Viertes Kapitel

Blätter aus dem Tagebuche eines Bedienten

Auch Karl Buttervogel führte ein Tagebuch. Da er sich viel in der Welt umhergetrieben und bei hundert Herrschaften gedient hatte, so war es ihm zur Gewohnheit geworden, kleine kurze Notizen in seine Brieftasche einzutragen, die sich denn dort vermischt mit Anzeichnungen seiner Auslagen fanden. Die Brieftasche hatte Decken von ehemals rotem Schafsleder. Denn ihre Farbe war durch die rauhe Faust der Zeit allgemach ausgetilgt worden; sie sahen jetzt fast aschgräulich aus. Vier Blätter gelben, oftbenutzten Pergamentes, auf welchem der Bleistift kaum noch eine Spur nach sich lassen wollte, waren eingeheftet; die Seitentasche enthielt eine gemalte Blume, mit einem Reime darunter, einen kleinen immerwährenden Kalender und einen Kamm.

Dieses ehrwürdige Altertum schloß folgende Herzensergießungen Karlos des Schmetterlings in sich:

Erstes Blatt

»Den sechszehnten Juni: Ausgerissen von Stuttgart.

Hab' mein Putzzeug im Wirtshaus stehen lassen.

Von der Rieke keinen Abschied nicht genommen.
Ging zu rasch.

 

Den zweiundzwanzigsten Juni: Angekommen auf'm Schloß durch Pferdsturz.

Sehr viel Hunger und Durst gelitten, Flöh', Wanzen und sonstiges Ungemach.

Gefallt mir hier gar nicht.

Vor Wachs 3 Stüber
Vor blauen Zwirn 1 Stüber
Vor Sachen aus der Apotheke 18 Stüber
Vor einen Brief 12 Stüber
Vor waschen zu lassen 8 Stüber
Vor meinen Herrn vor eine gemeinnützliche Kollekte 3 Heller

was mir alles mein Herr noch zahlen muß.

Seit Lichtmeß keinen Lohn nicht gekriegt. Tut drei Gulden sechs Kreuzer per Monat, zusammen zwölf Gulden vierundzwanzig Kreuzer.

 

Den sechsundzwanzigsten Juni: Seit drei Tagen nichts zu fressen gehabt. An mein' Rieken kontinuierlich immerwährend gedacht. Ist kaum noch auszustehen. Sichtlich mager geworden.
O Rieke, dein Getreuer
Aus Schwaben oder Bayern,
Dem ist es nicht gegonnen,
Wenn abends sinkt die Sonnen,
Daß er an deiner Brust
Dich küßt nach Herzenslust.

Vorstehenden Spruch gemacht gestern nacht als den achtundzwanzigsten Juni, da ich nicht schlafen konnt' von wegen Hunger und Flöh'.

Zweites Blatt

Den fünften Juli: Lange nichts eingeschrieben in die Brieftafel. War zu beschäftigt die Zeit her. Außerordentlich mich verbessert in meiner ganzen Lag' und Kondition. Fräulein verliebt in mich.

Durchaus nicht gewißt und erfahren, wie sich's zugetragen. Gefragt und getribeliert und endlich auf den Kopf mir zugeschworen, ich sei's.

Nicht ausweichen gekonnt und endlich zugesichert, ich wollt's sein, wenn und wofern ich meine gehörige Verköstigung erlange.

Meinen alten Nußkracher mir fortgenommen und dazu geweint. Glaub', sie ist verrückt.

Sogleich am nämlichen Tag zwei Pfund Rindfleisch gegessen. Sehr schönes Gefühl danach gehabt. Zum ersten Mal wieder in Ruh' an mei' Rieken gedacht.

 

Den siebenten Juli: Über alles und jedes befragt, als zum Exempel von Fürst und Hechelkram und seligen Spaziergängen in Nitze und von Rutscheputsche. Kein Wort verstanden, indessen aber mir alles gefallen gelassen und immerdar ja gesagt.

 

Den achten Juli: Große Gewissensbisse gehabt um mei' Rieken. Bratwurst gessen, wornach sich die Beängstigung gemindert.

Nicht dafür gekonnt, daß ich in dies Malheur verfallen.

Drittes Blatt

Den neunten Juli: Schönes Gefühl empfunden durch die neue Lieb. Sehr geschmeichelt gefühlt von der Lieb vornehmer Person. Gar nicht mehr den Bedienten gefühlt in der neuen Lieb. Stiefeln in diesem Gefühl geputzt. Angeschnauzt von meinem Herrn und abgeschwartet* in der Still', weil Stiefeln nicht blank gewest. Alles verschmerzt im Gefühl der Lieb.

Abends zwölf harte Eier gessen. Äußerst selig zu Bette gangen.

 

Vor Flecke aus dem Tuch zu bringen nimmt man Tobak, kocht ihn ab und schmiert's Tuch mit ein. Dann gebürstet und am Sonnenschein getrocknet, ist alles 'raus.

Viertes Blatt

Den zwölften Juli: Heut meinen Entschluß gefaßt nach langem Kampf. Mich risalfiert, Rieken ewig zu lieben und das Fräulein zu heiraten, wofern mir mei fernere gute Verköstigung zugesagt wird.

Alle Andenken verbrannt von Rieken, um nicht wieder Kampf zu leiden.

Dennoch äußerst viel Furcht gehabt vor dem alten Baron, von wegen Zumhausnausschmeißens, wenn's 'raus kommt.

Vier Stüber vom Fräulein geschenkt gekriegt, um mir ein' Erholung zu machen.

 

Angespielt heute von ferne auf fernerweite gute Verköstigung, wofern geheiratet werden soll. Mißverstanden geworden. Mich entschlossen, nächstes Mal mich deutlicher zu machen.

 

Den vierzehnten Juli: Künftigem Schwiegervatern heute vor Pläsier die Stiefeln ausgezogen. Ihn dabei bedeutsam angeblickt, um die Entdeckung vorzuspielen. Auch nicht verstanden geworden. Nachgerade bänglicht.

Gar keine Lust mehr zum Dienen bei Münchhausen. Gar zu viel gewißt von seinen Geheimnissen und seit jeher keinen rechten Respekt nicht vor einem chemisch-präparierten Menschen gehabt. Durch die neue Lieb' vollends ganz stolz geworden. Mich erniedrigt gefühlt durch die einförmigen Rockausklopfereien und sonstigen Amtsverrichtungen. Will Fürst von Hechelkram werden, wann's nicht anders ist und das Fräulein darauf besteht. Soll mir sagen, wo's Fürstentum liegt, damit ich drum einkommen kann.

 

Am selbigen Tag, nachts: Mein Herr von Münchhausen heute abermals seine Schmierereien vorgenommen und mir dadurch ganz widerwärtig geworden. Mir vorgenommen, bei erster Gelegenheit grob zu werden, um auf eine feine Manier aus dieser Sklaverei zu kommen.

Gefallt mir jetzt recht wohl hier. Übrigens doch eigne Lag', und weiß der Schinder, was draus werden soll.«

 

In ein so wunderbares Verhältnis war Fräulein Emerentia mit ihren Gedanken, Träumen und Empfindungen geraten. Man kann sich daher vorstellen, wie es ihr Bewußtsein verletzen mußte, als der Vater die Besorgnis vor einer Mariage zwischen ihr und Münchhausen äußerte.

Übrigens wußte sie kaum noch, ob sie auf der Erde wandelte. Sie dachte und sah nur den Prätendenten von Hechelkram, den Altar der Freundschaft und das ihr winkende Stiftskreuz. Der kleine Haushalt litt freilich sehr unter dieser glücklichen Entwirrung schwieriger Verhältnisse. Auf die Suppe mußte nach und nach ganz verzichtet werden, da sie niemals zu genießen stand, oder der Schulmeister hatte mit seiner schwarzen auszuhelfen. Alles Fleisch aber stahl regelmäßig die Katze, weil der maskierte Fürst unersättlich war. Der alte Baron wünschte sich hundertmal des Tages über verdrießlich seine Lisbeth zurück. Wo er die Katze, die vermeintliche Räuberin der Speisen sah, schlug er nach ihr; ach, er wußte nicht, daß Karlos der Schmetterling die Schlange war, die er am Busen nährte. Nannte nun gar seine Tochter diesen Namen (und sie nannte seit der großen Entdeckung Buttervogeln nie anders) so wollte er, nachdem er einige Male über den blühenden Tropus gelacht hatte, schier verzweifeln, denn er begann zu fürchten, daß sein armes Kind sich mit starken Schritten einer unglückseligen Verwandlung nahe.


* Soll wohl heißen: geschlagen. Zurück


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