Eilftes Kapitel

Eine Art von Feldzug

In keinem Trauerhause fehlt es an jemand, der auf eine so lächerliche Weise zu weinen weiß, daß er die Wehklage der anderen fast in Unordnung bringt und nahe dem Umschlagen in eine geheime Heiterkeit. - Der würdigste Vater mag sich bei der wohlgemeintesten und wohlgesprochensten Ermahnung an seine mannbare Tochter ja davor in acht nehmen, daß irgendein sonderbar mithandelnder Zipfel ihm ein durchaus komisches Ansehen leihe. - Ernste Männer vom größten Verdienst haben nicht selten das Unglück gehabt, daß ihre feierlichsten Handlungen durch den ungeschickten Eifer eines Anhängers fast wie Schnurren ausliefen. - Mir ist, um auf das Trauerhaus noch einmal zurückzukommen, der Fall bekannt, daß eine ganze Familie am Begräbnis einer teuren Verwandten in das tiefste Leid eingetaucht um einen Tisch her versammelt saß, plötzlich aber zu einem ärgerlichen und unwiderstehlichen Lachen fortgerissen wurde, weil einer, und gerade der Schluchzendste, sacht eine baumwollene Nachtmütze hervorholte, diese sich auf den Kopf setzte und unter derselben fortfuhr zu schluchzen. An und für sich war diese Handlung höchst vernünftig, weil er das Herannahen eines Rheumatismus im Kopfe fühlte und demselben mit der wärmenden Hülle begegnen wollte. Gleichwohl wirkte sie in so anstößig erheiternder Weise! Denn eine baumwollene Nachtmütze gehört nun einmal zu den Dingen, die unwiderstehlich jeden feierlichen Ernst zerstören.

Der neckende Geist, welcher bei allen trüben oder erhabenen Angelegenheiten des Lebens sein Spiel zu treiben scheint, hatte auch den Küster wieder in die Nähe des Oberhofes geführt. Dieser Mann war nämlich gekommen, sein Deputat an Lebensmitteln von der Hochzeit einzufordern. Rasch hatte sich das Geschäft gemacht, weil schon alles für ihn bereitstand. Jetzt wandelte er mit seiner korbtragenden Magd den Weg voran, den auch unser leidendes Liebespaar zu gehen hatte. Der Nebel war endlich verweht, die Sonne sah wieder golden vom Himmel, es war ein angenehmer, klarer Tag, wenn auch etwas kühl. In der Heiterkeit der Lüfte war dem Küster der Gedanke zugeweht, nach so manchen Ängsten ein frohes und genügliches Mahl im Freien zu halten, da er sich auf der Hochzeit selbst, wie wir wissen, nicht zum vierten Teile satt gegessen hatte. Er bezweckte dabei zugleich, wie wir nachmals hören werden, die Erfüllung seines dritten Lebenswunsches, des Wunsches, der in dem Gespräche mit dem kupfernasigen Schirrmeister unausgesprochen blieb, weil das Gespräch damals leider nicht zum ruhigen Abschlusse gedieh.

In solchen Gedanken schritt er denn also mit seiner Magd fürbaß. Die Magd konnte wegen des schweren Korbes nicht rasch gehen, er bestellte sie daher nach dem sogenannten alten Spritzenhäuschen, welches auf der Hälfte des Weges lag, und ging eilig voran, weil er unterweges in einem einzelnen Hause noch eine Verrichtung hatte.

Zu der langsam nachwandelnden Magd gesellte sich aber, als ihr Herr ihrem Gesichte entschwunden war, ein zweiter Wanderer, der Schulmeister Agesel. Die Magd hatte wohl von den Einbildungen des Schulmeisters vernommen, da sie aber zu den mutvollen Personen ihres Geschlechtes gehörte, so fürchtete sie sich nicht vor ihrem Begleiter, vielmehr war es ihr lieb, Gesellschaft zu finden. Der Schulmeister seinerseits war erfreut, die Magd zu finden, denn er wollte an ihren Herrn, nicht ihm ein Leid zuzufügen, sondern den Leugner von seinen gesunden Verstandeskräften zu überzeugen. Nachdem er im allgemeinen über diesen Punkt mit der Magd gesprochen hatte, sagte er zu ihr: »Es ist ja mein offenbarer Schaden und eine Sache, die mir mein ganzes Brot und den Kredit in der Bauerschaft verderben kann, wenn der Küster, der noch dazu ein halber Amtsbruder von mir ist, überall umherläuft und mich bei den Leuten anschwärzt. Deshalb muß ich ihn notwendig davon überzeugen, daß ich meine fünf Sinne beisammen habe.«

»Natürlich«, versetzte die Magd. »Wenn mich einer eine Diebin schilt, so muß er auch hören können, warum ich keine Diebin bin.«

»Nun also!« fuhr der Schulmeister eifrig fort, »und heute muß es geschehen, denn die Gelegenheit kommt mir nie so günstig wieder.«

»Wie das?« fragte die Magd.

»Wenn ich ihn in der Stadt aufsuche oder im Freien ansprenge, so reißt er aus, wie er mich nur erblickt. Hält er aber, wie Ihr mir sagt, im alten Spritzenhäuschen seine Mahlzeit ab, und ich trete mit meiner Rede unversehens in den Eingang, so muß er wohl Stich halten und alle meine Gründe anhören, denn es ist wider die Natur der Furcht, daß er gegen mich stürzen, mich überrennen und so das Freie gewinnen sollte.«

Die Magd dachte einen Augenblick nach und sagte dann: »Da ist nur eines zu befürchten.«

»Was?« fragte der Schulmeister.

»Daß er ein Fach an der anderen Seite ausschlägt und so durchbricht. Denn das Spritzenhäuschen ist sehr alt und verfallen und die Lehmwände haben überall große Löcher, zu denen der Tag einscheint, und wenn mein Herr in der Angst und Furcht gegen so ein Loch stürzt, so stehe ich nicht dafür, daß er die ganze Wand einrennt, denn, kriegt er die Manschetten, da ist mit ihm nicht zu spaßen.«

»Deshalb müßt Ihr mir einen Gefallen tun, Mädchen«, sagte der Schulmeister.

»Und welchen?« fragte die Küstermagd.

»Tretet vor das größte Loch auf der anderen Seite, und lehnt Euch gegen die Wand, damit wenigstens die Hauptgefahr des Entrinnens abgewehrt wird, denn daß er auch Euch umrennen sollte, ist nicht wahrscheinlich, weil Ihr eine robuste Person seid.«

»Ich will das recht gerne tun«, versetzte die Magd, »denn seinem Nebenmenschen muß man helfen, wo man kann.«

Nachdem dieses sinnreiche Gespräch zwischen dem Schulmeister und der Magd so weit gediehen war, wurde auch noch verabredet, zu welcher Zeit der Anschlag gegen den Küster ausgeführt werden sollte. Der Schulmeister sagte der Magd, daß er sie in der Nähe des Spritzenhäuschens vorangehen lassen und sich verstecken wolle, bis sie ihm ein Zeichen gebe, daß es für ihn Zeit sei, hervorzubrechen und mit seinem Amtsbruder ein Wort der Verständigung zu reden.

Nach diesen Verabredungen gingen die beiden Personen ihres Weges weiter. Einige Zeitlang blieb nun die Straße ganz still und einsam. Dann aber erhob sich ein auffallender Lärmen die Felder hindurch, welche sie zu beiden Seiten begrenzten. Die jungen Burschen, welche das Hochzeitgefolge gemacht hatten, waren nämlich noch in irgendeinem Kruge versammelt gewesen, um einen Nachtrunk zu halten, denn der Bauer kann eine Lustbarkeit, wenn sie auch mit allen Anhängen vorüber ist, immer noch nicht schließen. Im Kruge war nun unter sie eine Kunde gedrungen, daß der junge Fremde etwas Unrechtes habe ausgehen lassen. Was es gewesen sei, darüber lauteten die Nachrichten verworren oder schwiegen auch wohl ganz. Nach einigen Berichterstattern sollte er das Schwert weggenommen haben, nach anderen ausfallend gegen den Hofschulzen gewesen sein, ein dritter kam der Wahrheit näher, indem er erzählte, der Fremde habe die Heimlichkeit droben am Freistuhle in Unordnung gebracht. Es genügte ihnen aber überhaupt nur zu hören, daß ein Fremder irgendein Unrecht begangen habe, um ihre schon erhitzten Köpfe noch mehr zu entflammen. Die meisten hatten ihre Gewehre noch bei sich, in mehreren der Läufe staken sogar noch Schüsse. An Pulver fehlte es auch nicht und in seiner Aufregung begann nun der Haufen, nachdem er viel getrunken hatte, durch die Gegend zu schwärmen, ohne eine eigentliche feindselige Absicht, aber doch gefährlich in seiner planlosen Leidenschaft, wenn dieselbe durch den geringsten Anreiz zum Ausbruche gebracht wurde.

Sie schossen ihre Gewehre ab, luden wieder, lärmten und schrien. Zwischen diesen Trupps von drei, vier, fünf Menschen, die näher oder ferner die Straße umschweiften, kam nun unser verdüstertes Paar einhergegangen. Lisbeth ging auf der linken Seite der Straße, Oswald auf der rechten und zwischen ihnen war die ganze Breite des Weges. Um nichts auch verminderten sie dieselbe, wenn ein lärmender Trupp mit drohender Gebärde links oder rechts an ihnen vorüberstreifte, oder ein Schuß fiel, der, wie man am Pfeifen der Kugel merkte, durch einen schlimmen Zufall leicht das Verderben hätte bringen können. Schweigend, bleich, ohne sich irren zu lassen, ging das einander entfernte Paar seinen Weg durch diese Bedrohungen und Schrecknisse hindurch und nur, wenn an Lisbeths Seite sich ein lärmender Trupp zeigte, oder ein Schuß fiel, sah sich Oswald besorgt nach ihr um, warf aber, wenn er bemerkte, wie sie ohne seines Beistandes in diesen Gefahren sich bedürftig zu zeigen, fürderschritt, einen Blick des schmerzlichsten Zornes dann nach der anderen Seite der Felder.

Ungefähr eine halbe Stunde mochten sie in diesem Lärmen und Schießen gegangen sein und wirklich mußte der Himmel über ihren Häuptern wachen, denn sonst hätte gewiß die Hand irgendeines der berauschten Schützen den Lauf des Gewehres in verhängnisvoller Richtung angeschlagen. Da sah Oswald in einiger Entfernung auf einem freien Platze unter Bäumen vor sich einen Haufen von wohl zwanzig Bauern, die sämtlich mit Gewehren bewaffnet waren. Augenscheinlich lauerten die wilden Menschen, deren Reden und Schwadronieren schon von weitem sich hören ließ, ihm auf. Er erschrak. An sich dachte er nicht, nur an Lisbeth, wie er sie ungefährdet dem rohen Haufen vorüberbringen möchte. Es kam ihm in dieser Not ein Gedanke und da ihm nichts Besseres einfallen wollte, so beschloß er sein Heil mit dem zu versuchen, was ihm eben eingefallen war.

Rasch ging er voran und mutig auf den Haufen zu. Zuvorderst stand ein langer junger Kerl in blauem Kittel, der sein Gewehr drohend durch die Luft schwang und ihm wie der Anführer der übrigen vorkam. An diesen beschloß er sich mit seiner Kriegslist zu wenden, die auf dem uralten Grundsatze des Herrschens durch Teilung beruhte.

Er begrüßte daher den Menschen so freundlich, als seine Stimmung es ihm gestatten wollte und bat ihn, mit ihm zur Seite zu treten, da er ihm notwendig etwas im geheimen zu sagen habe. Der Mensch sah seine Kameraden fragend an, folgte aber doch dem Ersuchen. - »Ihr scheint mich hier nicht durchlassen zu wollen«, sagte Oswald zu ihm, so daß es die übrigen nicht hören konnten. Wirklich versperrten sie die ganze Straße. - »Nein«, sagte der Mensch, »denn Sie haben was begangen.« - »Ja, das habe ich auch«, erwiderte Oswald, »und es tut mir herzlich leid, aber es läßt sich doch noch ein Wort darüber reden, und zu Euch muß ich das sprechen, denn Ihr seid der einzige Nüchterne und Verständige von der ganzen Kompanie da.« - »Ja, der bin ich«, erwiderte der lange Bauer und taumelte. - »Also nur her das Wort, denn ein Wort muß der Mensch mit sich reden lassen, absonderlich, wenn er vernünftig angesprochen wird.«


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