Die deutschen Sprichwörter

Gesammelt
von
Karl Simrock

(Nach der Ausgabe von 1846)


[Anmerkung zu der Ausgabe für das Projekt Gutenberg-DE: Karl Simrock hatte für die Erstausgabe zu jedem Sprichwort ein Haupt-Stichwort angenommen (meist das Subjekt), die Sammlung danach alphabetisch sortiert und dann laufend von 1 bis 12259 durchnumeriert. Erweiterungen in späteren Ausgaben wurden in die Numerierung mit angehängten Kleinbuchstaben (z.B. 2260a) eingefügt bzw. in einer Nachlese mit den Nummern 12260–12396 zusammengefaßt. Seit Simrocks Zeiten hat sich die Schreibweise vieler dieser Stichwörter geändert: oft wurde C zu K oder Th zu T, I wird heute von J unterschieden usw. Um die Suche zu erleichtern, sind hier die Stichwörter samt dem Nachtrag nach der modernen Schreibweise neu sortiert; die Reihenfolge innerhalb eines Stichworts sowie die originale Numerierung wurden beibehalten.]

Vorwort

Dem Volk zu geben, was des Volkes ist, durfte man ihm seine Sprichwörter am wenigsten vorenthalten, diesen seit tausend Jahren gehäuften Schatz, zu welchem es selbst seinen gesunden Verstand, seine Sinnes- und Anschauungsweise, seine Rechtsgewohnheiten und Lebenserfahrungen, ja einen Teil seiner Lebensschicksale in goldenen Sprüchen ausgeprägt hat.

Nur allzusehr schwindet aus der heutigen Bücher- und Rednersprache die selbwachsene, körnige Kraft des sprichwörtlichen Ausdrucks; eine abstrakte, verschliffene, blasse Redeweise hat jene sinnliche, bildreiche, markige Sprache unserer Altvordern verdrängt, die nationale Färbung geht immer mehr verloren, alles sieht fahl und verwaschen aus, im besten Fall wie aus dem Französischen übersetzt. Darüber klage ich nicht zuerst; aber lassen wir es nicht bei der Klage bewenden: geben wir dem Volke, was des Volkes ist und was ihm seine Schriftsteller vorenthalten. Der Tag wird kommen, wo es selber reden wird, und dann wird es ja hoffentlich deutsch reden.

In mehren der gangbaren Volksbücher, als Bürgerlust, Finkenritter, sinnreicher Hirnschleifer, Herzog Ernst (Anhang), fanden sich schon Sprichwörter und Sprüche zusammengestellt; in keinem aber war man auch nur darauf ausgegangen, den ganzen, freilich unermeßlichen Schatz auf einen Haufen zu bringen, wie das andere nicht zunächst für das Volk bestimmte Sammlungen seit Heinrich Bebelius, Johann Agricola, Sebastian Franck sich zur Aufgabe machten. Die deutschen Volksbücher enthielten also statt einer Sprichwörtersammlung mehre, statt einer, die auf Vollständigkeit ausging und sie einigermaßen erreichte, deren drei bis vier, die durchaus nicht darauf ausgingen und sie noch viel weniger erreichten. Es konnte nicht fehlen, daß manche Sprichwörter sich in allen diesen Sammlungen fanden, während so viel tausend andere in keiner derselben zu finden waren. Also Unvollständigkeit und Wiederholungen! Um letztere wo nicht ganz zu vermeiden, doch möglichst zu vermindern, bedurfte es hier nur der Verschmelzung der vorhandenen Sammlungen in eine; der Unvollständigkeit mußte aber auch dann noch durch fleißiges Nachsammeln – seines Fleißes darf sich jeder rühmen – nach Kräften abgeholfen werden. Unbedingte Vollständigkeit wird man niemals verlangen dürfen: alle Sprichwörter aufzuschreiben ist so wenig möglich als die Sterne zu zählen oder die See auszuschöpfen; man darf sich nicht einmal einbilden, keins der vornehmsten und gangbarsten vergessen zu haben; aber wer nach einem goldenen Rade trachtet, dem wird doch wenigstens eine Speiche davon; wer tut, was er kann, ist wert, daß er lebt; wer redlich ficht, wird gekrönt und überdies: Allzuviel zerreißt den Sack.

Drum, lieber Leser, nimm vorlieb
Mit dem, was ich hier niederschrieb.
Schreib du hinzu, was noch gebricht,
Mach's besser, aber zürne nicht.
Wieviel hier fehlt, all dieser Fehler
Bin ich kein Dieb noch auch ein Hehler.
Dazu macht mich das Sprichwort dreister:
Wer am Wege baut, hat viele Meister;
Und muß ich gleich mich schelten lassen,
Sei du nicht Hans in allen Gassen.


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