Ein Zimmer
Danton. Camille. Lucile.
Camille.
Ich sage euch, wenn sie nicht alles in hölzernen Kopien
bekommen, verzettelt in Theatern, Konzerten und Kunstausstellungen,
so haben sie weder Augen noch Ohren dafür. Schnitzt einer
eine Marionette, wo man den Strick hereinhängen sieht, an
dem sie gezerrt wird und deren Gelenke bei jedem Schritt in fünffüßigen
Jamben krachen - welch ein Charakter, welche Konsequenz! Nimmt
einer ein Gefühlchen, eine Sentenz, einen Begriff und zieht
ihm Rock und Hosen an, macht ihm Hände und Füße,
färbt ihm das Gesicht und läßt das Ding sich drei
Akte hindurch herumquälen, bis es sich zuletzt verheiratet
oder sich totschießt - ein Ideal! Fiedelt einer eine Oper,
welche das Schweben und Senken im menschlichen Gemüt wiedergibt
wie eine Tonpfeife mit Wasser die Nachtigall - ach, die Kunst!
Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gasse: die erbärmliche Wirklichkeit! - Sie vergessen ihren Herrgott über seinen schlechten Kopisten. Von der Schöpfung, die glühend, brausend und leuchtend, um und in ihnen, sich jeden Augenblick neu gebiert, hören und sehen sie nichts. Sie gehen ins Theater, lesen Gedichte und Romane, schneiden den Fratzen darin die Gesichter nach und sagen zu Gottes Geschöpfen: wie gewöhnlich! - Die Griechen wußten, was sie sagten, wenn sie erzählten, Pygmalions Statue sei wohl lebendig geworden, habe aber keine Kinder bekommen.
Danton.
Und die Künstler gehn mit der Natur um wie David, der
im September die Gemordeten, wie sie aus der Force auf die Gasse
geworfen wurden, kaltblütig zeichnete und sagte: ich erhasche
die letzten Zuckungen des Lebens in diesen Bösewichtern.
(Danton wird hinausgerufen.)
Camille.
Was sagst du, Lucile?
Lucile.
Nichts, ich seh dich so gern sprechen.
Camille.
Hörst mich auch?
Lucile.
Ei freilich!
Camille.
Hab ich recht? Weißt du auch, was ich gesagt habe?
Lucile.
Nein, wahrhaftig nicht.
(Danton kommt zurück.)
Camille.
Was hast du?
Danton.
Der Wohlfahrtsausschuß hat meine Verhaftung beschlossen.
Man hat mich gewarnt und mir einen Zufluchtsort angeboten.
Sie wollen meinen Kopf; meinetwegen. Ich bin der Hudeleien überdrüssig. Mögen sie ihn nehmen. Was liegt daran? Ich werde mit Mut zu sterben wissen; das ist leichter, als zu leben.
Camille.
Danton, noch ist's Zeit!
Danton.
Unmöglich - aber ich hätte nicht gedacht...
Camille.
Deine Trägheit!
Danton.
Ich bin nicht träg, aber müde; meine Sohlen brennen
mich.
Camille.
Wo gehst du hin?
Danton.
Ja, wer das wüßte!
Camille.
Im Ernst, wohin?
Danton.
Spazieren, mein Junge, spazieren. (Er geht.)
Lucile.
Ach, Camille!
Camille.
Sei ruhig, lieb Kind!
Lucile.
Wenn ich denke, daß sie dies Haupt -! Mein Camille!
das ist Unsinn, gelt, ich bin wahnsinnig?
Camille.
Sei ruhig, Danton und ich sind nicht eins.
Lucile.
Die Erde ist weit, und es sind viel Dinge drauf - warum denn
gerade das eine? Wer sollte mir's nehmen? Das wäre arg. Was
wollten sie auch damit anfangen?
Camille.
Ich wiederhole dir: du kannst ruhig sein. Gestern sprach ich
mit Robespierre: er war freundlich. Wir sind ein wenig gespannt,
das ist wahr; verschiedne Ansichten, sonst nichts!
Lucile.
Such ihn auf!
Camille.
Wir saßen auf einer Schulbank. Er war immer finster
und einsam. Ich allein suchte ihn auf und machte ihn zuweilen
lachen. Er hat mir immer große Anhänglichkeit gezeigt.
Ich gehe.
Lucile.
So schnell, mein Freund? Geh! Komm! Nur das (sie küßt
ihn) und das! Geh! Geh! (Camille ab.)
Das ist eine böse Zeit. Es geht einmal so. Wer kann da drüber
hinaus? Man muß sich fassen. (Singt:)
Ach Scheiden, ach Scheiden, ach Scheiden,
Wer hat sich das Scheiden erdacht?
Wie kommt mir grad das in Kopf? Das ist nicht gut, daß es den Weg so von selbst findet. - Wie er hinaus ist, war mir's, als könnte er nicht mehr umkehren und müsse immer weiter weg von mir, immer weiter.
Wie das Zimmer so leer ist; die Fenster stehn offen, als hätte ein Toter drin gelegen. Ich halt es da oben nicht aus. (Sie geht.)