Es fing bereits stark zu dämmern an; die Vögel begannen leise zu zwitschern,und der Tau stieg fühlbar aus dem Grunde. Friedrich war an dem Stamm hinabgeglitten und starrte, die Arme über den Kopf geschlungen, in das leise einschleichende Morgenrot. Plötzlich fuhr er auf: über sein Gesicht fuhr ein Blitz, er horchte einige Sekunden mit vorgebeugtem Oberleib wie ein Jagdhund, dem die Luft Witterung zuträgt. Dann schob er schnell zwei Finger in den Mund und pfiff gellend und anhaltend. - "Fidel, du verfluchtes Tier!" - Ein Steinwurf traf die Seite des unbesorgten Hundes, der, vom Schlafe aufgeschreckt, zuerst um sich biß und dann heulend auf drei Beinen dort Trost suchte, von wo das Übel ausgegangen war. In demselben Augenblicke wurden die Zweige eines nahen Gebüsches fast ohne Geräusch zurückgeschoben, und ein Mann trat heraus, im grünen Jagdrock, den silbernen Wappenschild am Arm, die gespannte Büchse in der Hand. Er ließ schnell seine Blicke über die Schlucht fahren und sie dann mit besonderer Schärfe auf dem Knaben verweilen, trat dann vor, winkte nach dem Gebüsch und allmählich wurden sieben bis acht Männer sichtbar, alle in ähnlicher Kleidung, Weidmesser im Gürtel und die gespannten Gewehre in der Hand.
"Friedrich, was war das?" fragte der zuerst Erschienene. "Ich wollte, daß der Racker auf der Stelle krepierte. Seinetwegen können die Kühe mir die Ohren vom Kopf fressen." "Die Canaille hat uns gesehen",sagte ein anderer. "Morgen sollst du auf die Reise mit einem Stein am Halse", fuhr Friedrich fort und stieß nach dem Hunde. "Friedrich, stell dich nicht an wie ein Narr! Du kennst mich, und du verstehst mich auch!" Ein Blick begleitete diese Worte, der schnell wirkte. "Herr Brandis, denkt an meine Mutter!" "Das tu ich. Hast du nichts im Walde gehört?" "Im Walde?" Der Knabe warf einen raschen Blick auf des Försters Gesicht. "Eure Holzfäller, sonst nichts." "Meine Holzfäller!"
Die ohnehin dunkle Gesichtsfarbe des Försters ging in tiefes Braunrot über. "Wie viele sind ihrer, und wo treiben sie ihr Wesen?" "Wohin Ihr sie geschickt habt; ich weiß es nicht." Brandis wandte sich zu seinen Gefährten: "Geht voran; ich komme gleich nach."
Als einer nach dem andern im Dickicht ver schwunden war, trat Brandis dicht vor den Knaben: "Friedrich", sagte er mit dem Ton unterdrückter Wut, "meine Geduld ist zu Ende; ich möchte dich prügeln wie einen Hund, und mehr seid ihr auch nicht wert. Ihr Lumpenpack,dem kein Ziegel auf dem Dach gehört! Bis zum Betteln habt ihr es, gottlob, bald gebracht und an meiner Tür soll deine Mutter, die alte Hexe, keine verschimmelte Brotrinde bekommen. Aber vorher sollt ihr mir noch beide ins Hundeloch."
Friedrich griff krampfhaft nach einem Aste. Er war totenbleich, und seine Augen schienen wie Kristallkugeln aus dem Kopfe schießen zu wollen. Doch nur einen Augenblick. Dann kehrte die größte, an Erschlaffung grenzende Ruhe zurück. "Herr", sagte er fest, mit fast sanfter Stimme, "Ihr habt gesagt, was Ihr nicht verantworten könnt und ich vielleicht auch. Wir wollen es gegeneinander aufgehen lassen, und nun will ich Euch sagen, was Ihr verlangt. Wenn Ihr die Holzfäller nicht selbst bestellt habt, so müssen es die Blaukittel sein; denn aus dem Dorfe ist kein Wagen gekommen; ich habe den Weg ja vor mir, und vier Wagen sind es. Ich habe sie nicht gesehen, aber den Hohlweg hinauffahren hören." Er stockte einen Augenblick. "Könnt Ihr sagen, daß ich je einen Baum in Eurem Revier gefällt habe? Überhaupt, daß ich je anderwärts gehauen habe als auf Bestellung? Denkt nach, ob Ihr das sagen könnt."
Ein verlegenes Murmeln war die ganze Antwort des Försters, der nach Art der meisten rauhen Menschen leicht bereute. Er wandte sich unwirsch und schritt dem Gebüsche zu. "Nein, Herr", rief Friedrich, "wenn Ihr zu den anderen Förstern wollt, die sind dort an der Buche hinaufgegangen." "An der Buche?" sagte Brandis zweifelhaft, "nein, dort hinüber, nach dem Mastergrunde." "Ich sage Euch, an der Buche; des langen Heinrich Flintenriemen blieb noch am krummen Ast dort hängen; ich habs ja gesehen!"
Der Förster schlug den bezeichneten Weg ein. Friedrich hatte die ganze Zeit hindurch seine Stellung nicht verlassen; halb liegend, den Arm um einen dürren Ast geschlungen, sah er dem Fortgehenden unverrückt nach, wie er durch den halbverwachsenen Steig glitt, mit den vorsichtigen, weiten Schritten seines Metiers, so geräuschlos wie ein Fuchs die Hühnersteige erklimmt. Hier sank ein Zweig hinter ihm, dort einer; die Umrisse seiner Gestalt schwanden immer mehr. Da blitzte es noch einmal durchs Laub. Es war ein Stahlknopf seines Jagdrocks; nun war er fort. Friedrichs Gesicht hatte während dieses allmählichen Verschwindens den Ausdruck seiner Kälte verloren und seine Züge schienen zuletzt unruhig bewegt. Gereute es ihn vielleicht, den Förster nicht um Verschweigung seiner Angaben gebeten zu haben? Er ging einige Schritte voran, blieb dann stehen. "Es ist zu spät", sagte er vor sich hin und griff nach seinem Hute. Ein leises Picken im Gebüsche, nicht zwanzig Schritte von ihm. Es war der Förster, der den Flintenstein schärfte. Friedrich horchte.
_"Nein!" sagte er dann mit entschlossenem Tone, raffte
seine Siebensachen zusammen und trieb das Vieh eilfertig die Schlucht
entlang.