Herr von S. war auf dem Heimwege verstimmt, die jedesmalige Folge, wenn der Wunsch, seine Popularität aufrecht zu erhalten, ihn bewog, solchen Festen beizuwohnen. Er sah schweigend aus dem Wagen. "Was sind denn das für ein paar Figuren?" Er deutete auf zwei dunkle Gestalten, die vor dem Wagen rannten wie Strauße. Nun schlüpften sie ins Schloß. "Auch ein paar selige Schweine aus unserm eigenen Stall!" seufzte Herr von S. Zu Hause angekommen, fand er die Hausflur vom ganzen Dienstpersonal eingenommen, das zwei Kleinknechte umstand, welche sich blaß und atemlos auf der Stiege niedergelassen hatten. Sie behaupteten, von des alten Mergels Geist verfolgt worden zu sein, als sie durchs Brederholz heimkehrten. Zuerst hatte es über ihnen an der Höhe gerauscht und geknistert; darauf hoch in der Luft ein Geklapper wie von aneinander geschlagenen Stöcken; plötzlich ein gellender Schrei und ganz deutlich die Worte: "O weh, meine arme Seele!" hoch von oben herab. Der eine wollte auch glühende Augen durch die Zweige funkeln gesehen haben, und beide waren gelaufen, was ihre Beine vermochten.
"Dummes Zeug!" sagte der Gutsherr verdrießlich und trat in die Kammer, sich umzukleiden. Am anderen Morgen wollte die Fontäne im Garten nicht springen, und es fand sich, daß jemand eine Röhre verrückt hatte, augenscheinlich um nach dem Kopfe eines vor vielen Jahren hier verscharrten Pferdegerippes zu suchen, der für ein bewährtes Mittel wider allen Hexen und Geisterspuk gilt. "Hm", sagte der Gutsherr, "was die Schelme nicht stehlen, das verderben die Narren."
Drei Tage später tobte ein furchtbarer Sturm. Es war Mitte
cchs256 rnacht, aber alles im Schlosse außer dem Bett.
Der Gutsherr stand am Fenster und sah besorgt ins Dunkle, nach seinen Feldern hinüber. An den Scheiben flogen Blätter und Zweige her; mitunter fuhr ein Ziegel hinab und schmetterte auf das Pflaster des Hofes. "Furchtbares Wetter!" sagte Herr von S. Seine Frau sah ängstlich aus. "Ist das Feuer auch gewiß gut verwahrt?" sagte sie; "Gretchen, sieh noch einmal nach, gieß es lieber ganz aus! Kommt wir wollen das Evangelium Johannis beten." Alles kniete nieder, und die Hausfrau begann: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort." Ein furchtbarer Donnerschlag. Alle fuhren zusammen; dann furchtbares Geschrei und Getümmel die Treppe heran. "Um Gottes willen! Brennt es?" rief Frau von S. und sank mit dem Gesichte auf den Stuhl. Die Türe ward aufgerissen, und herein stürzte die Frau des Juden Aaron, bleich wie der Tod, das Haar wild um den Kopf, von Regen triefend. Sie warf sich vor dem Gutsherrn auf die Knie. "Gerechtigkeit!" rief sie "Gerechtigkeit! Mein Mann ist erschlagen!" und sank ohnmächtig zusammen.
Es war nur zu wahr, und die nachfolgende Untersuchung bewies, daß der Jude Aaron durch einen Schlag an die Schläfe mit einem stumpfen Instrumente, wahrscheinlich einem Stabe, sein Leben verloren hatte, durch einen einzigen Schlag. An der linken Schläfe war der blaue Fleck, sonst keine Verletzung zu finden. Die Aussagen der Jüdin und ihres Knechtes Samuel lauteten so: Aaron war vor drei Tagen am Nachmittag ausgegangen, um Vieh zu kaufen, und hatte dabei gesagt, er werde wohl über Nacht ausbleiben, da noch einige böse Schuldner in B. und S. zu mahnen seien. In diesem Falle werde er in B. beim Schlächter Salomon übernachten. Als er am folgenden Tage nicht heimkehrte, war seine Frau sehr besorgt geworden und hatte sich endlich heute um drei nachmittags in Begleitung ihres Knechtes und des großen Schlächterhundes auf den Weg gemacht. Beim Juden Salomon wußte man nichts von Aaron; er war gar nicht da gewesen. Nun waren sie zu allen Bauern gegangen, von denen sie wußten, daß Aaron einen Handel mit ihnen im Auge hatte. Nur zwei hatten ihn gesehen, und zwar an demselben Tage, an welchem er ausgegangen. Es war darüber sehr spät geworden. Die große Angst trieb das Weib nach Haus, wo sie ihren Mann wiederzufinden eine schwache Hoffnung nährte. So waren sie im Brederholz vom Gewitter überfallen worden und hatten unter einer großen am Berghange stehenden Buche Schutz gesucht; der Hund hatte unterdessen auf eine auffallende Weise umhergestöbert und sich endlich, trotz allem Locken, im Walde verlaufen. Mit einemmale sieht die Frau beim Leuchten des Blitzes etwas Weißes neben sich im Moose. Es ist der Stab ihres Mannes, und fast im selben Augenblicke bricht der Hund durchs Gebüsch und trägt etwas im Maule: es ist der Schuh ihres Mannes. Nicht lange, so ist in einem mit dürrem Laube gefüllten Graben der Leichnam des Juden gefunden. Dies war die Angabe des Knechtes, von der Frau nur im allgemeinen unterstützt; ihre übergroße Spannung hatte nachgelassen, und sie schien jetzt halb verwirrt oder vielmehr stumpfsinnig. "Aug um Auge, Zahn um Zahn!" dies waren die einzigen Worte, die sie zuweilen hervorstieß.
In derselben Nacht noch wurden die Schützen aufgeboten, um
Friedrich zu verhaften. Der Anklage bedurfte es nicht, da Herr
von S. selbst Zeuge eines Auftritts gewesen war, der den dringendsten
Verdacht auf ihn werfen mußte; zudem die Gespenstergeschichte
von jenem Abende, das Aneinanderschlagen der Stäbe im Brederholz,
der Schrei aus der Höhe. Da der Amtsschreiber gerade abwesend
war, so betrieb Herr von S. selbst alles rascher, als sonst geschehen
wäre. Dennoch begann die Dämmerung bereits anzubrechen,
bevor die Schützen so geräuschlos wie möglich das
Haus der armen Margreth umstellt hatten. Der Gutsherr selber pochte
an; es währte kaum eine Minute, bis geöffnet ward und
Margreth völlig gekleidet in der Türe erschien. Herr
von S. fuhr zurück; er hätte sie fast nicht erkannt,
so blaß und steinern sah sie aus. "Wo ist Friedrich?"
fragte er mit unsicherer Stimme. "Sucht ihn", antwortete
sie und setzte sich auf einen Stuhl. Der Gutsherr zögerte
noch einen Augenblick. "Herein, herein!" sagte er dann
barsch; "worauf warten wir?" Man trat in Friedrichs
Kammer. Er war nicht da, aber das Bett noch warm. Man stieg auf
den Söller, in den Keller, stieß ins Stroh, schaute
hinter jedes Faß, sogar in den Backofen; er war nicht da.
Einige gingen in den Garten, sahen hinter den Zaun und in die
Apfelbäume hinauf; er war nicht zu finden. "Entwischt!"
sagte der Gutsherr mit sehr gemischten Gefühlen; der Anblick
der alten Frau wirkte gewaltig auf ihn. "Gebt den Schlüssel
zu jenem Koffer." Margreth antwortete nicht. "Gebt den
Schlüssel!" wiederholte der Gutsherr und merkte jetzt
erst, daß der Schlüssel steckte. Der Inhalt des Koffers
kam zum Vorschein: des Entflohenen gute Sonntagskleider und seiner
Mutter ärmlicher Staat; dann zwei Leichenhemden mit schwarzen
Bändern, das eine für einen Mann, das andere für
eine Frau gemacht. Herr von S. war tief erschüttert. Ganz
zu unterst auf dem Boden des Koffers lag die silberne Uhr und
einige Schriften von sehr leserlicher Hand; eine derselben von
einem Manne unterzeichnet, den man in starkem Verdacht der Verbindung
mit den Holzfrevlern hatte. Herr von S. nahm sie mit zur Durchsicht,
und man verließ das Haus, ohne daß Margreth ein anderes
Lebenszeichen von sich gegeben hätte, als daß sie unaufhörlich
die Lippen nagte und mit den Augen zwinkerte.