La Fontaine

Die Eiche und das Schilfrohr

Die Eiche sprach zum Schilf: "Du hast,
so scheint mir, guten Grund, mit der Natur zu grollen:
Zaunkönige sind dir schon eine schwere Last;
der Windhauch, der in leisem Schmollen
kräuselt des Baches Stirn unmerklich fast,
zwingt dich, den Kopf zu neigen,
indes mein Scheitel trotz der Sonne Glut
wie hoher Alpenfirn und auch des Sturmes Wut
es nicht vermag, mein stolzes Haupt zu beugen.
Was dir schon rauher Nord, scheint linder Zephir mir.
Ja, ständst du wenigstens, gedeckt von meinem Laube,
in meiner Nachbarschaft! O glaube,
meinen Schutz gewährt' ich gerne dir;
du würdest nicht den Sturm zum Raube.
So aber steht am feuchten Saum
des Reichs der Winde du in preisgegebnem Raum.
An dir hat die Natur sehr ungerecht gehandelt!"
"Das Mitleid", sagt das Rohr, "das dich anwandelt,
von gutem Herzen zeugt's, doch sorge nicht um mich!
ich beug' mich, doch ich breche nicht. Zwar hieltst du dich
und standst, wie furchtbar sie auch schnoben,
fest, ungebeugt bis heut an deinem Ort.
Doch warten wir!" Kaum sprach das Rohr dies Wort,
da, sieh, am Horizont in schwarzer Wolke zeigt sich
und rast heran, ein Sturmessausen;
des Nordens schlimmsten Wind hört man da brausen.
Fest steht der Baum, das Schilfrohr aber neigt sich,
Der Sturm verdoppelt seine Wut
und tobt, bis er den fällt,
des stolzes Haupt dem Himmel sich gesellt
und dessen Fuß ganz nah dem Reich der Toten ruht.