Eine Stube in einer schlechten Dorfherberge
Drei Vagabunden stehen um einen Tisch und würfeln. Crugantino, den Degen an der Seite, eine Zither mit einem blauen Band in der Hand. Er stimmt, auf und ab
gehend, und singt:
Mit Mädeln sich vertragen,
Mit Männern 'rumgeschlagen,
Und mehr Kredit als Geld
So kommt man durch die Welt.
Ein Lied, am Abend warm gesungen,
Hat mir schon manches Herz errungen,
Und steht der Neider an der Wand,
Hervor, den Degen in der Hand!
'raus, feurig, frisch,
Den Flederwisch!
Kling! Kling! Klang! Klang!
Dik! Dik! Dak! Dak!
Krik! Krak!
Mit Mädeln sich vertragen,
Mit Männern 'rumgeschlagen
Und mehr Kredit als Geld
So kommt man durch die Welt.
Erster Vagabund.
Komm doch, Crugantino! Halt eins!
Crugantino.
Mir ist heut gar nicht drum zu tun.
Zweiter Vagabund.
Er ist heut wieder nicht zu brauchen.
Crugantino.
Servitor! Wenn ich mich wollte brauchen lassen, ging ich in honette Gesellschaft und gäb mich mit Lumpen nicht ab, wie ihr seid.
Erster Vagabund.
Laßt ihn! Er ist guten Humors.
Dritter Vagabund.
Ich wette, er harrt auf die Stunde zum Rendezvous. Wohin geht's heut? zur Almeria hinüber?
Crugantino.
Wie du meinst.
Zweiter Vagabund.
Nein, der Roman ist gewiß zu Ende. Er dauert schon drei Wochen.
Erster Vagabund.
Wett', ich rat's! Zur Camilla, die auf'm letzten Jahrmarkt ihm mit ihren schwarzen Augen stracks durch die Leber geschossen hat.
Crugantino.
Ich dächte, du gingst mit und sähst zu; wärst du doch deiner Sache ganz gewiß.
Erster Vagabund.
Viel Ehr. Wenn sie nur so eine lange Nas nicht hätt. Sonst ist sie nicht übel, außer fürcht ich
Crugantino.
Ich glaub, du fängst an, delikat zu werden.
Zweiter Vagabund.
Mag nicht mehr spielen.
Dritter Vagabund.
Ich auch nit.
Zweiter Vagabund.
Unter ein paaren ist's nicht der Mühe wert. Man gewinnt einander das Geld ab, das ist fatal.
Crugantino.
Besonders, wo keins ist.
Zweiter Vagabund.
Bliebst du bei uns, hättst du auch was zu lachen.
Crugantino.
Was treibt ihr denn?
Zweiter Vagabund.
Der Pfarrer hat heut ein Hirschkalb geschenkt gekriegt; das hängt hunten in der Küchenkammer. Das wird ihm weggeputzt.
Dritter Vagabund.
Und die Hörner ihm auf den Perückenstock genagelt. Sein Perückenstock mit der Festperücke steht in der Ecke; verlaßt euch auf mich!
Ich hätte sie neulich bald übern Haufen geworfen, als mich die Köchin in dem Kämmerchen konsultierte.
Zweiter Vagabund.
Du steigst hinein, reichst mir den Bock heraus. Wir lösen die Hörner ab und geben sie dir.
Dritter Vagabund.
Für das übrige laßt mich sorgen! Auf der Perücke muß das herrlich stehn, und ein Zettelchen dran: Der neue Moses!
Alle.
Bravo, bravo!
Erster Vagabund.
Hat keiner den Basko gesehn?
Crugantino.
Wollt ihr einen Augenblick warten? er wird gleich zur Hand sein.
Zweiter Vagabund.
Ich glaub's nicht; er ist bös auf mich, ich hab ihn gestern ein bißchen übergezogen.
Crugantino.
Bös über dich? bild dir's nit ein! Basko ist kein Kerl, das nachzutragen. Er hätt dir ins Gesicht geschmissen und ein Schrämmchen über die
Nase gehauen, und da wär's gut gewest.
Man hört eine Nachtigall draußen.
Erster Vagabund.
Da ist er! Hört ihr ihn? Da ist er!
Basko.
Guten Abend!
Crugantino.
Du kommst eben recht. Sylvio meint, du wärst bös über ihn.
Basko.
Was der Mensch sich vor Streiche einbildt! Crugantino, ein Wort!
Erster Vagabund.
Scheniert euch nicht. Wir machen euch Platz.
Basko.
Lernst du noch Lebensart, alter Bock! Gelt, du spürst in allen Gliedern, daß dich ehstens der Teufel holen wird, und da wirst du kirre?
Die Vagabunden.
Viel Glück auf die Expedition! Wir wollen eine Bouteille drauf ausleeren.
Mit vielem hält man haus,
Mit wenig kommt man auch aus:
Heisa! Heisa! so geht's doch hinaus.
Ab.
Crugantino.
Die ich doch am Ende wieder bezahlen muß O Basko, das Leben wird mir unter den Kerls unerträglich! Eine Langeweile, ein ewig Einerlei. Wenn unsere
Streiche nicht wären. Was bringst du, Basko? Was bringst du von Villa Bella?
Basko.
Viel, gar viel.
Crugantino.
Hab ich Hoffnung, mich Claudinen zu nähern? Ein Engel, ein ganzer Engel!
Basko.
Camillchen, das liebe Camillchen hat mir Winke gegeben, hat mir zugeflüstert: Dem edlen Crugantino meinen Gruß!
Crugantino.
Laß sie zum Teufel gehn! Red mir von Claudinen.
Basko.
Herr! Wir, oder unser Genius, oder allzusammen sind ausgemachte Esel.
Crugantino.
Was gibt's?
Basko.
Ich, der ich sonst herumschwärme den ganzen Tag und plane wie ein Raubvogel, muß heut den ganzen Nachmittag hier auf der Bärenhaut liegen.
Crugantino.
Nun.
Basko.
Und drüben ich hätte mir die Augen ausschlagen mögen drüben in Villa Bella Ich hab in Gonzalos Hofe bei Claudinen
gestanden, von hier an den Tisch, und wer's eh' gewußt hätte
Crugantino.
Schwerenot! Wie ging das?
Basko.
Heut ist Claudinens Geburtstag. Ihr Vater, der sie wie ein Narr liebt, hat ein Fest angestellt. Sie haben einen Umgang gehalten, sie im Triumph getragen
Crugantino.
Das hast du gesehn?
Basko.
Ich kam zu spät. Aber im Hof unter den großen Linden waren fürs ganze Dorf Tische gedeckt. Alt und Junge, alles geputzt! Und heisa oben aus! Fässer
mit Bier, ungeheure Töpfe mit Brei, und ein Gesumm und Gedräng! da kam ich eben auch hinein.
Crugantino.
Und holtest mich nicht?
Basko.
Kaum hatt ich mich umgesehn, verloren sich die Herrschaften.
Crugantino.
Hast sie gesehn?
Basko.
Narr, ich möcht dir sagen können, wie schön sie war. In einer gewissen Verlegenheit.
Crugantino.
Was ist nun das alles?
Basko.
Geduld! Geduld! Eins hab ich erfahren. Sie pflegt alle Nacht, besonders bei so schönem Mondenscheine, allein im Garten zu spazieren. Du kennst die
Kastanienbäume, die davorstehen auf dem Wege nach Salanka?
Crugantino.
Lehr mich das! Die Terrasse geht da heraus und die eiserne Türe. O, ich will hin, gleich hin, und dort sein, eh der Mond noch aufgeht. Komm, Basko!
Basko.
Noch eins! Nimm dich doch in acht. Serpillo, der Häscher, der mein Herzensfreund ist, hat mir vertraut: man frage nach dir, erkundige sich nach dir.
Crugantino.
Possen! Ich wüßte jetzt nichts!
Basko.
Wenn's nur nicht über etwas geht, das du schon vor abgetan hältst!
Crugantino.
Das wär dumm.
Basko.
Unsere Landsleute tragen gar lange nach.
Crugantino.
Ist mir nit bang. Und nach Villa Bella muß ich. Komm, wir wollen unsern Operationsplan so einrichten: Ich steck mich in die Allee; hör ich sie, bin ich gleich am
Garten; überm Gitter; im Garten. Und du, klettre auf einen Kastanienbaum. Wenn jemand kommt, so mach deine Nachtigall.
Basko.
Gut, gut! Zwar ziemlich außer der Zeit
Crugantino.
Und vergiß die Maske nicht. Und wie ich dir sage, schlag und zwitschere und kümmere dich um nichts, bis ich dich rufe. Ich zieh mich schon heraus. Zwei verderben
immer so einen Handel. Komm! Ich halt dich doch von nichts ab die Nacht, Basko?
Basko.
Ich bring's gegen Tag wieder ein.
Crugantino.
Du hast doch auch was auf'm Korn?
Basko abgehend.
A!
Eine Blond und eine Braune
Schlagen sich jetzt um mein Herz;
Eine mit immer schlimmen Laune,
Eine mit immer Lust und Scherz.
Mondschein
Die Terrasse des Gartens von Villa Bella; mit einer Gartentüre, wohinauf eine doppelte Treppe führt. Eine Reihe hoher Kastanienbäume vor der
Terrasse.
Claudine oben, Crugantino unter den Bäumen.
Claudine.
Hier, im stillen Mondenscheine
Mit dir, heil'ge Nacht, alleine,
Schlägt dies Herz so liebevoll;
Ach, daß ich's nicht sagen soll!
Crugantino.
In dem stillen Mondenscheine
Wandelst, Engel, nicht alleine;
Seufzet noch ein armes Herz,
Birgt im Schatten seinen Schmerz.
Claudine, sich der Tür nähernd.
Welche Stimme! Ich vergehe.
Crugantino nimmt die Maske vor und steigt die Treppe leise hinauf.
Auf, ich wag mich in die Nähe.
Claudine an der Gartentüre.
Wer! Wer! Wer ist da?
Crugantino hinaufsteigend.
Ich! Ich! Ich bin da.
Claudine droben.
Wer?
Crugantino.
Ich!
Claudine.
Fremdling, wie heißt du?
Crugantino.
Liebchen, das weißt du.
Claudine.
Zeige mir dein Gesicht!
Crugantino.
Sagt dir's dein Herze nicht?
Claudine.
Weg von dem Orte!
Crugantino.
Öffne die Pforte.
Beide.
Himmel, Himmel, welche Qual!
Einen Kuß doch nur einmal!
Claudine entfernt sich.
Crugantino.
Das Gitter! will nichts bedeuten. Sie hat mich so lange angehört. O wenn ich sie hasche!
Er fängt an, aufzusteigen; wie er bald droben ist, schlägt die Nachtigall.
Nachtigall und der Teufel!
Er springt herab.
Ich höre wahrlich jemand. Gingst du feurig!
Die Terrasse herunter und hinter die Bäume. Die Nachtigall schlägt zuweilen.
Pedro.
Mein Herz zieht mich unwiderstehlich hierher. Da droben wandelt sie oft in stillem Gefühl ihrer selbst. Himmlischer Ort! Alles schwebt um dich voll Liebegefühl!
Die Nachtigallen singen noch, als war hier ein ewiger Frühling. O, rings umher in allen Gebüschen hat sie der Sommer schon schweigen gemacht. Liebe Nachtigall!
Freundin meines Herzens!
Noch so spät, ihr Nachtigallen,
Laßt ihr Liebesklagen schallen,
Zärtlich noch wie meine Brust?
Auch ich bin in Liebestagen,
Seufze, klage; doch mein Klagen
Ist die wärmste Herzenslust!
Crugantino, der die Zeit über seine Ungeduld bezeigt hat, vor sich.
Ich muß ihn wegschaffen; er endigt nicht.
Pedro.
Horch! Wer da?
Crugantino langsam hervortretend.
Pedro mit starker Stimme.
Wer da?
Crugantino zieht.
Eine Degenspitze!
Pedro zieht.
Nichts weiter?
Sie fechten. Pedro wird in rechten Arm verwundt, den er sinken läßt und mit der Linken den Degen faßt.
Crugantino.
Laßt! Ihr seid verwundet.
Pedro, den Degen vorhaltend.
Wollt Ihr mein Leben? Wollt Ihr meinen Beutel? redt! Den Beutel könnt Ihr haben; mein Leben sollt Ihr noch teuer bezahlen.
Crugantino.
Keins von beiden.
Vor sich.
Seine Stimme rührt mich.
Laut.
Ich bin weder Räuber noch Mörder.
Pedro.
Was fallt Ihr mich an?
Crugantino.
Laßt! Ihr verblutet! Nehmt unsere Bemühungen an.
Er nimmt sein Schnupftuch.
Nachtigall! Nachtigall!
Pedro.
Was ist das?
Crugantino.
Fürchtet nichts!
Basko.
Was gibt's?
Crugantino.
Trag Sorge für diesen Verwundeten.
Pedro.
Die Augen vergehn mir.
Basko, sich um ihn beschäftigend.
Das blutet verteufelt für eine Armritze!
Crugantino, auf und ab gehend.
Esel! tausendfacher Esel!
Sich an die Stirn schlagend.
Basko.
Seid Ihr nicht Pedro?
Pedro.
Bring mich wohin; daß ich ruhe und verbunden werde.
Crugantino.
Pedro! Claudinens Pedro! Bring ihn hinüber nach Sarossa! in unser Wirtshaus, Basko! leg ihn auf mein Bett, Basko!
Basko.
Nun, nun! Ermannt Euch, Herr! Kommt!
Ab.
Crugantino.
Nun und was soll's? Der Teufel hol den Fratzen! Armer Pedro! Aber ich weiß, Degen, du sollst mir steckenbleiben! Ich will dich zu Hause lassen, ich will dich ins
Wasser werfen! Mußt er denn auch just Wer da! rufen? Und Wer da! mit einem so gebietenden Ton? Ich kann den gebietenden Ton nicht leiden Und
darüber alles zu Grunde, die schönste herrlichste Gelegenheit! Wärst du nur vorhin übers Gitter und hättst den Amoroso mit der Nachtigall duettieren
lassen. Daß einen die Resolution just da verläßt, wo man sie am meisten braucht! Vielleicht
nach der Treppe zugehend
ein dummes Vielleicht! Sie ist lang nach dem Haus zurück und liegt im Bett bis über die Ohren. Horch!
Gonzalo oben mit zwei Bedienten.
Gonzalo.
Wo sie sein mag! Bleib einer bei mir. Und ihr durchsucht den Garten, ihr! Gebt acht, am End ist's Lug und Trug von Schandmäulern.
Crugantino horchend.
Wieder was Neues.
Gonzalo.
Verbirgt sich nicht einer da drunten unter die Kastanienbäume?
Bediente.
Mich dünkt's.
Gonzalo.
Haben wir den Vogel? Wart, Pedro, wart!
Er schließt das Gitter auf und kommt auf die Treppe.
Wer ist da unten? Wer, holla, wer?
Crugantino, die Maske vornehmend.
Aus dem Regen in die Träufe.
Gonzalo.
Wer da?
Crugantino.
Gut Freund!
Gonzalo.
Hol der Teufel den guten Freund, der einem des Nachts ums Haus herumschleicht, den Leuten zu Nachreden Gelegenheit gibt und alle Liebe und Freundschaft so belohnt!
Crugantino, die Hand an den Degen, und gleich wieder davon.
Ich bitte dich, bleib stecken! Was mag das bedeuten? Das ist der Vater.
Gonzalo.
Nein, Herr, das ist schlecht, sag ich Euch; sehr schlecht.
Crugantino.
Das ist zu viel!
Die Maske wegwerfend.
Seid Ihr Herr von Villa Bella oder nicht, Euer Betragen ist unanständig.
Gonzalo.
Ihr seid nicht Pedro?
Crugantino.
Sei ich, wer ich will, Ihr habt mich beleidigt, und ich verlange Genugtuung.
Gonzalo zieht.
Gerne! So verdrießlich mir der Streich ist.
Crugantino zieht halb, stößt aber gleich wieder in die Scheide.
Genug, mein Herr, genug! Ich kann zufrieden sein, daß ein Mann von Ihrem Alter, Ihrer bekannten Tapferkeit, Stand und Würde die Spitze seines Degens gegen
mich gekehrt hat. Dadurch würden größere Beleidigungen vergütet werden.
Gonzalo.
Ihr beschämt mich.
Crugantino.
Wie's scheint, haben Sie mich für den Unrechten angesehen.
Gonzalo.
Und Ihnen unrecht getan; und vielleicht dem andern, durch Argwohn, auch unrecht getan.
Crugantino.
Ihr nanntet ihn Pedro. Ist das der junge angenehme Fremde?
Gonzalo.
Der aus Kastilien angekommen ist.
Crugantino.
Richtig! Sie glaubten, der wäre hier herum?
Gonzalo.
Ich glaubte Genug, mein Herr! Sie haben niemanden gesehen?
Crugantino.
Niemanden. Ich ging hier auf und ab, wie ich denn die Einsamkeit liebe, und hing meinen stillen Betrachtungen nach, als Sie mich zu unterbrechen beliebten.
Gonzalo.
Nichts mehr davon. Ich danke dem Zufall und meiner Hitze, daß sie mir die Bekanntschaft eines so wackern Mannes verschafft haben. Sie halten sich auf, wenn man
fragen darf?
Crugantino.
Nicht weit von hier, in Sarossa.
Gonzalo.
Es ist nicht zu spät, noch hereinzutreten und auf weitere Bekanntschaft ein Gläschen zu stoßen?
Crugantino.
Wenn's Mitternacht wäre, und Sie erlaubten. So ein Trunk wär eine Pilgrimschaft wert.
Gonzalo.
Allzu höflich! Allenfalls steht auch ein Pferd zum Rückweg zu Diensten.
Crugantino.
Sie überhäufen mich.
Gonzalo.
Treten Sie herein.
Crugantino.
Ich folge.
Die Treppe hinauf, da Gonzalo das Gitter schließt, und ab.