Die Frau hatte zwei Töchter mit ins Haus gebracht, die schön und weiß von Angesicht waren, aber garstig und schwarz von Herzen. Da ging eine schlimme Zeit für das arme Stiefkind an. »Soll die dumme Gans bei uns in der Stube sitzen !« sprachen sie. »Wer Brot essen will, muß es verdienen : hinaus mit der Küchenmagd.« Sie nahmen ihm seine schönen Kleider weg, zogen ihm einen grauen alten Kittel an und gaben ihm hölzerne Schuhe. »Seht einmal die stolze Prinzessin, wie sie geputzt ist!« riefen sie, lachten und führten es in die Küche. Da mußte es von Morgen bis Abend schwere Arbeit tun, früh vor Tag aufstehn, Wasser tragen, Feuer anmachen, kochen und waschen. Obendrein taten ihm die Schwestern alles ersinnliche Herzeleid an, verspotteten es und schütteten ihm die Erbsen und Linsen in die Asche, so daß es sitzen und sie wieder auslesen mußte. Abends, wenn es sich müde gearbeitet hatte, kam es in kein Bett, sondern mußte sich neben den Herd in die Asche legen. Und weil es darum immer staubig und schmutzig aussah, nannten sie es Aschenputtel.
Es trug sich zu, daß der Vater einmal in die Messe ziehen
wollte, da fragte er die beiden Stieftöchter, was er ihnen
mitbringen sollte. »Schöne Kleider«, sagte die eine, »Perlen
und Edelsteine« die zwe.ite. »Aber du, Aschenputtel«,
sprach er »was willst du haben?« »Vater, das erste
Reis, das Euch auf Eurem Heimweg an den Hut stößt,
das brecht für mich ab.« Er kaufte nun für die beiden
Stiefschwestern schöne Kleider, Perlen und Edelsteine,
und auf dem Rückweg, als er durch einen grünen Busch
ritt, streifte ihn ein Haselreis und stieß ihm den Hut ab.
Da brach er das Reis ab und nahm es mit. Als er nach
Haus kam, gab er den Stieftöchtern, was sie sich
gewünscht hatten, und dem Aschenputtel gab er das Reis
von dem Haselbusch. Aschenputtel dankte ihm, ging zu
seiner Mutter Grab und pflanzte das Reis darauf und
weinte so sehr, daß die Tränen darauf niederfielen und es
begossen. Es wuchs aber und ward ein schöner Baum.
Aschenputtel ging alle Tage dreimal darunter, weinte
und betete, und allemal kam ein weißes Vöglein auf den
Baum, und wenn es einen Wunsch aussprach, so warf
ihm das Vöglein herab, was es sich gewünscht hatte.
Es begab sich aber, daß der König ein Fest anstellte, das
drei Tage dauern sollte und wozu alle schönen Jungfrauen
im Lande eingeladen wurden, damit sich sein
Sohn eine Braut aussuchen möchte. Die zwei Stiefschwestern,
als sie hörten, daß sie auch dabei erscheinen sollten,
waren guter Dinge, riefen Aschenputtel und sprachen:
»Kämm uns die Haare, bürste uns die Schuhe und
mache uns die Schnallen fest, wir gehen zur Hochzeit,auf
des Königs Schloß.« Aschenputtel gehorchte, weinte
aber, weil es auch gern zum Tanz mitgegangen wäre, und
bat die Stiefmutter, sie möchte es ihm erlauben. »Du,
Aschenputtel«, sprach sie, »bist voll Staub und Schmutz
und willst zur Hochzeit? Du hast keine Kleider und
Schuhe und willst tanzen!« Als es aber mit Bitten anhielt,
sprach sie endlich: »Da habe ich dir eine Schüssel Linsen
in die Asche geschüttet, wenn du die Linsen in zwei
Stunden wieder ausgelesen hast, so sollst du mitgehen.«
Das Mädchen ging durch die Hintertüre nach dem Garten
und rief: »Ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen,
all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir
lesen,
die guten ins Töpfchen,
die schlechten ins Kröpfchen.«
Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen
herein und danach die Turteltäubchen, und endlich
schwirrten und schwärmten alle Vöglein unter dem Himmel
herein und ließen sich um die Asche nieder. Und,die
Täubchen nickten mit den Köpfchen und fingen an pick,
pick, pick, pick, und da fingen die übrigen auch an pick,
pick, pick, pick und lasen alle guten Körnlein in die
Schüssel. Kaum war eine Stunde herum, so waren sie
schon fertig und flogen alle wieder hinaus. Da brachte
das Mädchen die Schüssel der Stiefmutter, freute sich
und glaubte, es dürfte nun mit auf die Hochzeit gehen.
Aber sie sprach: »Nein, Aschenputtel, du hast keine
Kleider und kannst nicht tanzen: du wirst nur ausgelacht.«
Als es nun weinte, sprach sie : »Wenn du mir zwei
Schüsseln voll Linsen in einer Stunde aus der Asche rein
lesen kannst, so sollst du mitgehen«, und dachte: »Das
kann es ja nimmermehr.« Als sie die zwei Schüsseln
Linsen in die Asche geschüttet hatte, ging das Mädchen
durch die Hintertüre nach dem Garten und rief: »Ihr
zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein
unter dem Himmel, komrnt und helft mir lesen,
die guten ins Töpfchen,
die schlechten ins Kröpfchen.«
Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen
herein und danach die Turteltäubchen, und endlich
schwirrten und schwärmten alle Vöglein unter dem Himmel
herein und ließen sich um die Asche nieder. Und die
Täubchen nickten mit ihren Köpfchen und fingen an
pick, pick, pick, pick, und da fingen die übrigen auch an
pick, pick, pick, pick und lasen alle guten Körner in die
Schüsseln. Und eh eine halbe Stunde herum war, waren
sie schon fertig und flogen alle wieder hinaus. Da trug
das Mädchen die Schüsseln zu der Stiefmutter, freute sich
und glaubte, nun dürfte cs mit auf die Hochzeit gehen.
Aber sie sprach: »Es.hilft dir alles nichts: du kommst
nicht mit, denn du hast keine Kleider und kannst nicht
tanzen; wir müßten uns deiner schämen.« Darauf kehrte
sie ihm den Rücken zu und eilte mit ihren zwei stolzen
Töchtern fort.
Als nun niemand mehr daheim war, ging Aschenputtel
zu seiner Mutter Grab unter den Haselbaum und rief:
»Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,
wirf Gold und Silber über mich.«
Da warf ihm der Vogel ein golden und silbern Kleid
herunter und mit Seide und Silber ausgestickte Pantoffeln.
In aller Eile zog es das Kleid an und ging zur
Hochzeit. Seine Schwestern aber und die Stiefmutter
kannten es nicht und meinten, es müßte eine fremde
Königstochter sein, so schön sah es in dem goldenen
Kleide aus. An Aschenputtel dachten sie gar nicht und
dachten, es säße daheim im Schmutz und suchte die
Linsen aus der Asche. Der Königssohn kam ihm entgegen,
nahm es bei der Hand und tanzte mit ihm. Er wollte
auch mit sonst niemand tanzen, also daß er ihm die Hand
nicht losließ, und wenn ein anderer kam, es aufzufordern,
sprach er: »Das ist meine Tänzerin.«
Es tanzte, bis es Abend war, da wollte es nach Haus gehen. Der Königssohn aber sprach: »Ich gehe mit und begleite dich«, denn er wollte sehen, wem das schöne Mädchen angehörte. Sie entwischte ihm aber und sprang in das Taubenhaus. Nun wartete der Königssohn, bis der Vater kam, und sagte ihm, das fremde Mädchen wär' in das Taubenhaus gesprungen. Der Alte dachte: »Sollte es Aschenputtel sein«, und sie muißten ihm Axt und Hacken bringen, damit er das Taubenhaus entzweischlagen konnte; aber es war niemand darin. Und als sie ins Haus kamen, lag Aschenputtel in seinen schmutzigen Kleidern in der Asche, und ein trübes Öllämpchen brannte im Schornstein; denn Aschenputtel war geschwind aus dem Taubenhaus hinten herabgesprungen und war zu dem Haselbäumchen gelaufen: da hatte es die schönen Kleider abgezogen und aufs Grab gelegt, und der Vogel hatte sie wieder weggenommen, und dann hatte es sich in seinem grauen Kittelchen in die Küche zur Asche gesetzt.
Am andern Tag, als das Fest von neuem anhub und die
Eltern und Stiefschwestern wieder fort waren, ging
Aschenputtel zu dem Haselbaum und sprach:
»Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich
wirf Gold und Silber über mich.«
Da warf der Vogel ein noch viel stolzeres Kleid herab als
am vorigen Tag. Und als es mit diesem Kleide auf der
Hochzeit erschien, erstaunte jedermann über seine
Schönheit. Der Königssohn aber hatte gewartet, bis es
kam, nahm es gleich bei der Hand und tanzte nur allein
mit ihm. Wenn die andern kamen und es aufforderten,
sprach er: »Das ist meine Tänzerin.« Als es nun Abend
war, wollte es fort, und der Königssohn ging ihm nach
und wollte sehen, in welches Haus es ging: aber es sprang
ihm fort und in den Garten hinter dem Haus. Darin
stand ein schöner großer Baum, an dem die herrlichsten
Birnen hingen, es kletterte so behend wie ein Eichhörnchen
zwischen die Äste, und der Königssohn wußte
nicht, wo es hingekommen war. Er wartete aber, bis der
Vater kam, und sprach zu ihm : »Das fremde Mädchen ist
mir entwischt, und ich glaube, es ist auf den Birnbaum
gesprungen.« Der Vater dachte: »Sollte es Aschenputtel
sein«, ließ sich die Axt holen und hieb den Baum um,
aber es war niemand darauf. Und als sie in die Küche
kamen, lag Aschenputtel da in der Asche, wie sonst
auch, denn es war auf der andern Seite vom Baum
herabgesprungen, hatte dem Vogel auf dem Haselbäumchen
die schönen Kleider wieder gebracht und sein
graues Kittelchen angezogen.
Am dritten Tag, als die Eltern und Schwestern fort
waren, ging Aschenputtel wieder zu seiner Mutter Grab
und sprach zu dem Bäumchen:
»Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,
wirf Gold und Silber über mich.«
Nun warf ihm der Vogel ein Kleid herab, das war so
prächtig und glänzend, wie es noch keins gehabt hatte,
und die Pantoffeln waren ganz golden. Als es in dem
Kleid zu der Hochzeit kam, wußten sie alle nicht, was sie
vor Verwunderung sagen sollten. Der Königssohn tanzte
ganz allein mit ihm, und wenn es einer aufforderte,
sprach er: »Das ist meine Tänzerin.«
Als es nun Abend war, wollte Aschenputtel fort, und der
Königssohn wollte es begleiten, aber es entsprang ihm so
geschwind, daß er nicht folgen konnte. Der Königssohn
hatte aber eine List gebraucht und hatte die ganze Treppe
mit Pech bestreichen lassen: da war, als es hinabsprang,
der linke Pantoffel des Mädchens hängengeblieben. Der
Königssohn hob ihn auf, und er war klein und zierlich
und ganz golden. Am nächsten Morgen ging er damit zu
dem Mann und sagte zu ihm: »Keine andere soll meine
Gemahlin werden als die, an deren Fuß dieser goldene
Schuh paßt.« Da freuten sich die beiden Schwestern,
denn sie hatten schöne Füße. Die Älteste ging mit dem
Schuh in die Kammer und wollte ihn anprobieren, und
die Mutter stand dabei. Aber sie konnte mit der großen
Zehe nicht hineinkommen, und der Schuh war ihr zu
klein, da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach:
»Hau die Zehe ab: wann du Königin bist, so brauchst du
nicht mehr zu Fuß zu gehen.« Das Mädchen hieb die
Zehe ab, zwängte den Fuß in den Schuh, verbiß den
Schmerz und ging heraus zum Königssohn. Da nahm er
sie als seine Braut aufs Pferd und ritt mit ihr £ort. Sie
mußten aber an dem Grabe vorbei, da saßen die zwei
Täubchen au£ dem Haselbäumchen und riefen:
»Rucke di guck, rucke di guck,
Blut ist im Schuck (Schuh):
der Schuck ist zu klein,
die rechte Braut sitzt noch daheim.«
Da blickte er auf ihren Fuß und sah, wie das Blut
herausquoll. Er wendete sein Pferd um, brachte die
falsche Braut wieder nach Haus und sagte, das wäre nicht
die rechte, die andere Schwester sollte den Schuh anziehen.
Da ging diese in die Kammer und kam mit den
Zehen glüeklich in den Schuh, aber die Ferse war zu
groß. Da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach:
»Hau ein Stüek von der Ferse ab: wann du Königin bist,
brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen.« Das Mädchen
hieb ein Stück von der Ferse ab, zwängte den Fuß in den
Schuh, verbiß den Schmerz und ging heraus zum
Königssohn. Da nahm er sie als seine Braut aufs Pferd
und ritt mit ihr fort. Als sie an dem Haselbäumchen
vorbeikamen, saßen die zwei Täubchen darauf und
riefen :
»Rucke di guck, rucke di guck,
Blut ist im Schuck:
der Schuck ist zu klein,
die rechte Braut sitzt noch daheim.
Er blickte nieder auf ihren Fuß und sah, wie das Blut aus
dem Schuh quoll und an den weißen Strümpfen ganz rot
heraufgestiegen war. Da wendete er sein P£erd und
brachte die falsche Braut wieder nach Haus. »Das ist
auch nicht die rechte«, sprach er, »habt Ihr keine andere
Tochter?« »Nein«, sagte der Mann, »nur von meiner
verstorbenen Frau ist noch ein kleines verbuttetes
Aschenputtel da: das kann unrnöglich die Braut sein.«
Der Königssohn sprach, er sollte es heraufschicken, die
Mutter aber antwortete: »Ach nein, das ist viel zu
schmutzig, das darf sich nicht sehen lassen.« Er wollte es
aber durchaus haben, und Aschenputtel mußte gerufen
werden. Da wusch es sich erst Hände und Angesicht
rein, ging dann hin und neigte sich vor dem Königssohn,
der ihm den goldenen Schuh reichte. Dann setzte es sich
au£ einen Schemel, zog den Fuß aus dem schweren
Holzschuh und steckte ihn in den Pantof£el, der war wie
angegossen. Und als es sich in die Höhe richtete und der
König ihm ins Gesicht sah, so erkannte er das schöne
Mädchen, das mit ihm getanzt hatte, und rief: »Das ist
die rechte Braut!« Die Stiefmutter und die beiden Schwestern
erschraken und wurden bleich vor Ärger: er aber
nahm Aschenputtel au£s Pferd und ritt mit ihm fort. Als
sie an dem Haselbäumchen vorbeikamen, riefen die zwei
weißen Täubchen :
»Rucke di guck, rucke di guck,
kein Blut im Schuck:
der Schuck ist nicht zu klein,
die rechte Braut, die führt er heim.«
Und als sie das gerufen hatten, kamen sie beide herabge-
flogen und setzten sich dem Aschenputtel au£ die Schul-
tern, eine rechts, die andere links, und blieben da
sitzen.
Als die Hochzeit mit dem Königssohn sollte gehalten werden, kamen die falschen Schwestern, wollten sich einschmeicheln und teil an seinem Glück nehmen. Als die Brautleute nun zur Kirche gingen, war die Älteste zur rechten, die Jüngste zur linken Seite: da pickten die Tauben einer jeden das eine Auge aus. Hernach, als sie herausgingen, war die Älteste zur linken und die Jüngste zur rechten : da pickten die Tauben einer jeden das andere Auge aus. Und waren sie also für ihre Bosheit und Falschheit mit Blindheit auf ihr Lebtag gestraft.