VII
Die Schuld
Als ich noch sehr jung war, gab es drei Dinge, die mich ganz vorzüglich
interessierten, wenn ich Zeitungen las. Zuvörderst, unter
dem Artikel »Großbritannien«, suchte ich gleich:
ob Richard Martin keine neue Bittschrift, für die mildere
Behandlung der armen Pferde, Hunde und Esel dem Parlamente übergeben.
Dann, unter dem Artikel »Frankfurt«, suchte ich nach,
ob der Herr Doktor Schreiber nicht wieder beim Bundestag für
die großherzoglich hessischen Domänenkäufer eingekommen.
Hierauf aber fiel ich gleich über die Türkei her, und
durchlas das lange Konstantinopel, um nur zu sehen, ob nicht wieder
ein Großvezier mit der seidenen Schnur beehrt worden.
Dieses letztere gab mir immer den meisten Stoff zum Nachdenken.
Daß ein Despot seinen Diener ohne Umstände erdrosseln
läßt, fand ich ganz natürlich. Sah ich doch einst
in der Menagerie, wie der König der Tiere so sehr in majestätischen
Zorn geriet, daß er gewiß manchen unschuldigen Zuschauer
zerrissen hätte, wäre er nicht in einer sichern Konstitution,
die aus eisernen Stangen verfertigt war, eingesperrt gewesen.
Aber was mich wundernahm, war immer der Umstand, daß nach
der Erdrosselung des alten Herrn Großveziers sich immer
wieder jemand fand, der Lust hatte, Großvezier zu werden.
Jetzt, wo ich etwas älter geworden bin, und mich mehr mit
den Engländern als mit ihren Freunden, den Türken, beschäftige,
ergreift mich ein analoges Erstaunen, wenn ich sehe, wie nach
dem Abgang eines englischen Premierministers gleich ein anderer
sich an dessen Stelle drängt, und dieser andere immer ein
Mann ist, der auch ohne dieses Amt zu leben hätte, und auch
(Wellington ausgenommen) nichts weniger als ein Dummkopf ist.
Schrecklicher als durch die seidene Schnur endigen ja alle englischen
Minister, die länger als ein Semester dieses schwere Amt
verwaltet. Besonders ist dieses der Fall seit der Französischen
Revolution; Sorg und Not haben sich vermehrt in Downingstreet,
und die Last der Geschäfte ist kaum zu ertragen.
Einst waren die Verhältnisse in der Welt weit einfacher,
und die sinnigen Dichter verglichen den Staat mit einem Schiffe
und den Minister mit dessen Steuermann. Jetzt aber ist alles komplizierter
und verwickelter, das gewöhnliche Staatsschiff ist ein Dampfboot
geworden, und der Minister hat nicht mehr ein einfaches Ruder
zu regieren, sondern als verantwortlicher Engineer steht er unten
zwischen dem ungeheuern Maschinenwerk, untersucht ängstlich
jedes Eisenstiftchen, jedes Rädchen, wodurch etwa eine Stockung
entstehen könnte, schaut Tag und Nacht in die lodernde Feueresse,
und schwitzt vor Hitze und Sorge - sintemalen durch das geringste
Versehen von seiner Seite der große Kessel zerspringen,
und bei dieser Gelegenheit Schiff und Mannschaft zugrunde gehen
könnte. Der Kapitän und die Passagiere ergehen sich
unterdessen ruhig auf dem Verdecke, ruhig flattert die Flagge
auf dem Seitenmast, und wer das Boot so ruhig dahinschwimmen sieht,
ahnet nicht, welche gefährliche Maschinerie und welche Sorge
und Not in seinem Bauche verborgen ist.
Frühzeitigen Todes sinken sie dahin, die armen verantwortlichen
Engineers des englischen Staatsschiffes. Rührend ist der
frühe Tod des großen Pitt, rührender der Tod des
größeren Fox. Percival wäre an der gewöhnlichen
Ministerkrankheit gestorben, wenn nicht ein Dolchstoß ihn
schneller abgefertigt hätte. Diese Ministerkrankheit war
es ebenfalls, was den Lord Castlereagh so zur Verzweiflung brachte,
daß er sich die Kehle abschnitt zu North-Cray in der Grafschaft
Kent. Lord Liverpool sank auf gleiche Weise in den Tod des Blödsinns.
Canning, den göttergleichen Canning, sahen wir vergiftet
von hochtorieschen Verleumdungen, gleich einem kranken Atlas,
unter seiner Weltbürde niedersinken. Einer nach dem andern
werden sie eingescharrt in Westminster, die armen Minister, die
für Englands Könige Tag und Nacht denken müssen,
während diese, gedankenlos und wohlbeleibt, dahinleben bis
ins höchste Menschenalter.
Wie heißt aber die große Sorge, die Englands Ministern
Tag und Nacht im Gehirne wühlt und sie tötet? Sie heißt:
the debt, die Schuld.
Schulden, ebenso wie Vaterlandsliebe, Religion, Ehre usw. gehören
zwar zu den Vorzügen des Menschen - denn die Tiere haben
keine Schulden - aber sie sind auch eine ganz vorzügliche
Qual der Menschheit, und wie sie den einzelnen zugrunde richten,
so bringen sie auch ganze Geschlechter ins Verderben, und sie
scheinen das alte Fatum zu ersetzen in den Nationaltragödien
unserer Zeit. England kann diesem Fatum nicht entgehen, seine
Minister sehen die Schrecknisse herannahen, und sterben mit der
Verzweiflung der Ohnmacht.
Wäre ich königlich preußischer Oberlandeskalkulator
oder Mitglied des Geniekorps, so würde ich, in gewohnter
Weise, die ganze Summe der englischen Schuld in Silbergroschen
berechnen, und genau angeben, wievielmal man damit die große
Friedrichstraße oder gar den ganzen Erdball bedecken könnte.
Aber das Rechnen war nie meine Force, und ich möchte lieber
einem Engländer das fatale Geschäft überlassen,
seine Schulden aufzuzählen, und die daraus entstehende Ministernot
herauszurechnen. Dazu taugt niemand besser als der alte Cobbett,
und aus der letzten Nummer seines Registers liefre ich folgende
Erörterungen.
»Der Zustand der Dinge ist folgender:
-
Diese Regierung, oder vielmehr diese Aristokratie und Kirche,
oder auch, wie ihr wollt, diese Regierung borgte eine große
Summe Geldes, wofür sie viele Siege, sowohl Land- als Seesiege,
gekauft hat - eine Menge Siege, von jeder Sorte und Größe.
-
Indessen muß ich zuvor bemerken, aus welcher Veranlassung
und zu welchem Zwecke man diese Siege gekauft hat: die Veranlassung
(occasion) war die Französische Revolution, die alle aristokratischen
Vorrechte und geistlichen Zehnten niedergerissen hatte; und
der Zweck war die Verhütung einer Parlamentsreform in England,
die wahrscheinlich ein ähnliches Niederreißen aller
aristokratischen Vorrechte und geistlichen Zehnten zur Folge gehabt
hätte.
-
Um nun zu verhüten, daß das Beispiel der Franzosen
nicht von den Engländern nachgeahmt würde, war es nötig
die Franzosen anzugreifen, sie in ihren Fortschritten zu hemmen,
ihre neuerlangte Freiheit zu gefährden, sie zu verzweifelten
Handlungen zu treiben, und endlich die Revolution zu einem solchen
Schreckbilde, zu einer solchen Völkerscheuche zu machen,
daß man sich unter dem Namen der Freiheit nichts als ein
Aggregat von Schlechtigkeit, Greuel und Blut vorstellen, und das
englische Volk, in der Begeisterung seines Schreckens, dahin gebracht
würde, sich sogar ordentlich zu verlieben in jene greuelhaft-despotische
Regierung, die einst in Frankreich blühte, und die jeder
Engländer von jeher verabscheute, seit den Tagen Alfreds
des Großen bis herab auf Georg den Dritten.
-
Um jene Vorsätze auszuführen, bedurfte man der Mithülfe,
verschiedener fremder Nationen; diese Nationen wurden daher mit
englischem Gelde unterstützt (subsidized); französische
Emigranten wurden mit englischem Gelde unterhalten; kurz, man
führte einen zweiundzwanzigjährigen Krieg, um jenes
Volk niederzudrücken, das sich gegen aristokratische Vorrechte
und geistliche Zehnten erhoben hatte.
-
Unsere Regierung also erhielt »unzählige Siege«
über die Franzosen, die, wie es scheint, immer geschlagen
worden; aber diese unsere unzähligen Siege waren gekauft,
d. h. sie wurden erfochten von Mietlingen, die wir für Geld
dazu gedungen hatten, und wir hatten in unserem Solde zu einer
und derselben Zeit ganze Scharen von Franzosen, Holländern,
Schweizern, Italienern, Russen, Österreichern, Bayern, Hessen,
Hannoveranern, Preußen, Spaniern, Portugiesen, Neapolitanern,
Maltesern, und Gott weiß! wie viele Nationen noch außerdem.
-
Durch solches Mieten fremder Dienste und durch Benutzung unserer
eigenen Flotte und Landmacht kauften wir so viele Siege
über die Franzosen, welche arme Teufel kein Geld hatten,
um ebenfalls dergleichen einzuhandeln, so daß wir endlich
ihre Revolution überwältigten, die Aristokratie bei
ihnen bis zu einer gewissen Stufe wiederherstellten, jedoch um
alles in der Welt willen die geistlichen Zehnten nicht ebenfalls
restaurieren konnten.
-
Nachdem wir diese große Aufgabe glücklich vollbracht
und auch dadurch jede Parlamentsreform in England hintertrieben
hatten, erhob unsere Regierung ein brüllendes Siegesgeschrei,
wobei sie ihre Lunge nicht wenig anstrengte, und auch lautmöglichst
unterstützt wurde von jeder Kreatur in diesem Lande, die
auf eine oder die andere Art von den öffentlichen Taxen lebte.
-
Beinahe ganze zwei Jahre dauerte der überschwengliche
Freudenrausch bei dieser damals so glücklichen Nation; zur
Feier jener Siege drängten sich Jubelfeste, Volksspiele,
Triumphbögen, Lustkämpfe und dergleichen Vergnügungen,
die mehr als eine vierter Million Pfund Sterlinge kosteten, und
das Haus der Gemeinen bewilligte einstimmig eine ungeheure Summe
(ich glaube drei Million Pfund Sterling) um Triumphbögen,
Denksäulen und andere Monumente zu errichten, und damit die
glorreichen Ereignisse des Krieges zu verewigen.
-
Beständig, seit dieser Zeit, hatten wir das Glück,
unter der Regierung ebenderselben Personen zu leben, die unsere
Angelegenheiten in besagtem glorreichen Kriege geführt hatten.
-
Beständig, seit dieser Zeit, lebten wir in einem tiefen
Frieden mit der ganzen Welt; man kann annehmen, daß dieses
noch jetzt der Fall ist, ungeachtet unserer kleinen zwischenspieligen
Rauferei mit den Türken; und daher sollte man denken, es
könne keine Ursache in der Welt geben, weshalb wir jetzt
nicht glücklich sein sollten: wir haben ja Frieden, unser
Boden bringt reichlich seine Früchte, und, wie die Weltweisen
und Gesetzgeber unserer Zeit eingestehen, wir sind die allererleuchtetste
Nation auf der ganzen Erde. Wir haben wirklich überall Schulen,
um die heranwachsende Generation zu unterrichten; wir haben nicht
allein einen Rektor oder Vikar, oder Kuraten in jedem Kirchsprengel
des Königreichs, sondern wir haben in jedem dieser Kirchsprengel
vielleicht noch sechs Religionslehrer, wovon jeder von einer andern
Sorte ist als seine vier Kollegen, dergestalt, daß unser
Land hinlänglich mit Unterricht jeder Art versorgt ist, kein
Mensch dieses glücklichen Landes im Zustande der Unwissenheit
leben wird - und daher unser Erstaunen um so größer
sein muß, wie irgend jemand, der ein Premierminister dieses
glücklichen Landes werden soll, dieses Amt als eine so schwere
und schwierige Last ansieht.
-
Ach, wir haben ein einziges Unglück, und das ist ein
wahres Unglück: wir haben nämlich einige Siege gekauft
- sie waren herrlich -es war ein gutes Geschäft - sie waren
drei- oder viermal soviel wert als wir dafür gaben, wie Frau
Tweazle ihrem Manne zu sagen pflegt, wenn sie vom Markte nach
Hause kommt - es war große Nachfrage und viel Begehr nach
Siegen - kurz wir konnten nichts Vernünftigeres tun, als
uns zu so billigem Preise mit einer so großen Portion Ruhm
zu versehen.
-
Aber, ich gestehe es bekümmerten Herzens, wir haben,
wie manche andere Leute, das Geld geborgt, womit wir diese
Siege gekauft, als wir dieser Siege bedurften, deren wir
jetzt auf keine Weise wieder los werden können, ebensowenig
wie ein Mann seines Weibes los wird, wenn er einmal das Glück
gehabt hat, sich die holde Bescherung aufzuladen.
-
Daher geschieht's, daß jeder Minister, der unsere Angelegenheiten
übernimmt, auch sorgen muß für die Bezahlung unserer
Siege, worauf eigentlich noch kein Pfennig abbezahlt worden.
-
Er braucht zwar nicht dafür zu sorgen, daß das
ganze Geld, welches wir borgten, um Siege dafür zu kaufen,
ganz auf einmal, Kapital und Zinsen, bezahlt werde; aber für
die regelmäßige Auszahlung der Zinsen muß
er, leider Gottes! ganz bestimmt sorgen; und diese Zinsen, zusammengerechnet
mit dem Solde der Armee und anderen Ausgaben, die von unseren
Siegen herrühren, sind so bedeutend, daß ein
Mensch ziemlich starke Nerven haben muß, wenn er das Geschäftchen
übernehmen will, für die Bezahlung dieser Summen zu
sorgen.
-
Früherhin, ehe wir uns damit abgaben, Siege einzuhandeln,
und uns allzu reichlich mit Ruhm zu versorgen, trugen wir schon
eine Schuld von wenig mehr als zweihundert Millionen, während
alle Armengelder in England und Wales zusammen nicht mehr als
zwei Millionen jährlich betrugen, und während
wir noch nichts von jener Last hatten, die unter dem Namen dead
weight uns jetzt aufgebürdet ist, und ganz aus unserm Durst
nach Ruhm hervorgegangen.
-
Außer diesem Gelde, das von Kreditoren geborgt
worden, die es freiwillig hergaben, hat unsere Regierung, aus
Durst nach Siegen, auch indirekt bei den Armen eine
große Anleihe gemacht, d. h. sie steigerte die gewöhnlichen
Taxen bis auf eine solche Höhe, daß die Armen weit
mehr als jemals niedergedrückt wurden, und daß sich
die Anzahl der Armen und Armengelder erstaunlich vergrößerte.
-
Die Armengelder stiegen von zwei Millionen jährlich
auf acht Millionen; die Armen haben nun gleichsam ein Pfandrecht,
eine Hypothek auf das Land; und hier ergibt sich also wieder eine
Schuld von sechs Millionen, welche man hinzurechnen muß
zu jenen anderen Schulden, die unsere Passion für Ruhm und
der Einkauf unserer Siege verursacht hat.
-
The dead weight besteht aus Leibrenten, die wir unter dem
Namen Pensionen einer Menge von Männern, Weibern und Kindern
verabreichen, als eine Belohnung für die Dienste, welche
jene Männer beim Erlangen unserer Siege geleistet haben,
oder geleistet haben sollen.
-
Das Kapital der Schuld, welche diese Regierung kontrahiert
hat, um sich Siege zu verschaffen, besteht ungefähr in folgenden Summen:
|
| Pf. Sterling
|
| Hinzugekommene Summe zu der Nationalschuld
| 800 000 000
|
| Hinzugekommene Summe zur eigentlichen Armengelderschuld
| 150 000 000
|
| Dead weight als Kapital einer Schuld berechnet
| 175 000 000
|
| Pf. St.
| 1 125 000 000
|
d. h. eilfhundertundfünfundzwanzig Millionen zu fünf
Prozent ist der Betrag jener jährlichen sechsundfunfzig Millionen;
ja, dieses ist ungefähr der jetzige Betrag, nur daß
die Armengelderschuld nicht in den Rechnungen, die dem
Parlamente vorgelegt werden, aufgeführt ist, indem sie das
Land gleich direkt in den verschiedenen Kirchspielen bezahlt.
Will man daher jene sechs Millionen von den sechsundvierzig Millionen
abziehen, so ergibt sich, daß die Staatsschuldgläubiger
und das Dead-weight-Volk wirklich alles übrige verschlingen.
-
Indessen, die Armengelder sind ebensogut eine Schuld
wie die Schuld der Staatsschuldgläubiger, und augenscheinlich
aus derselben Quelle entsprungen. Von der schrecklichen Last der
Taxen werden die Armen zu Boden gedrückt; jeder andere wird
zwar auch davon gedrückt, aber jeder, außer den Armen,
wußte diese Last mehr oder weniger von seinen Schultern
abzuwälzen, und sie fiel endlich mit fürchterlichem
Gewichte ganz auf die Armen, und diese verloren ihre Bierfässer,
ihre kupfernen Kessel, ihre zinnernen Teller, ihre Wanduhr, ihre
Betten und bis auf ihr Handwerksgeräte, sie verloren ihre
Kleider, und mußten sich in Lumpen hüllen, sie verloren
das Fleisch von ihren Knochen - Sie konnten nicht weiter aufs
Äußerste getrieben werden, und von dem, was man ihnen
genommen, gab man ihnen wieder etwas zurück unter dem Namen
von vermehrten Armengeldern. Diese sind daher eine wahre Schuld,
ein wahres Pfandrecht auf das Land. Die Interessen dieser Schuld
können zwar zurückgehalten werden, aber wenn dieses
geschieht, würden die Personen, die solche zu fordern haben,
in Masse herbeikommen, und sich für den Betrag, gleichviel
in welcher Währung, bezahlt machen. Dieses ist also eine
wahre Schuld, und eine Schuld, die man bei Heller und Pfennig
bezahlen wird, und zwar, ich bemerke es ausdrücklich, wird
man ihr ein Vorrecht vor allen anderen Schulden gestatten.
-
Es ist also nicht nötig, sich sehr zu wundern, wenn man
die Not derjenigen sieht, die solche Geschäfte übernehmen!
Es ist zu verwundern, daß sich überhaupt jemand zu
einer solchen Übernahme versteht, wenn ihm nicht anheimgestellt
wird, nach Gutdünken eine radikale Umwandlung des ganzen
Systems vorzunehmen.
-
Hier gibt's keine Möglichkeit der Aushülfe, wenn
man die jährliche Ausgabe der Staatsgläubigerschuld
und der Deadweight-Schuld herabzusetzen sucht; um solches Herabsetzen
der Schuld, solche Reduktion dem Lande anzumuten, um zu verhindern,
daß sie große Umwälzungen hervorbringe, um zu
verhindern, daß nicht eine halbe Million Menschen in und
um London dadurch vor Hunger sterben müssen: da ist nötig,
daß man zuvor weit verhältnismäßigere Reduktionen
anderswo vornehme, ehe man die Reduktion jener obigen
zwei Schulden oder ihrer Interessen versuchen wollte.
-
Wie wir bereits gesehen haben, die Siege wurden gekauft,
in der Absicht, um Parlamentsreform in England zu verhindern,
und die aristokratischen Vorrechte und geistlichen Zehnten aufrechtzuerhalten;
es wäre daher eine himmelschreiende Greueltat, entzögen
wir ihre rechtmäßigen Zinsen jenen Leuten, die uns
das Geld geborgt, oder entzögen wir gar ihre Bezahlung denjenigen
Leuten, die uns die Hände vermietet, wodurch wir die Siege
erlangt haben; es wäre eine Greueltat, die Gottes Rache auf
uns laden würde, wenn wir dergleichen täten, während
die einträglichen Ehrenämter der Aristokratie, ihre
Pensionen, Sinekuren, königlichen Schenkungen, Militärbelohnungen
und endlich gar die Zehnten des Klerus unangetastet blieben!
-
Hier, hier also liegt die Schwierigkeit: Wer
Minister wird, wird Minister eines Landes, das eine große
Passion für Siege gehabt, auch sich hinlänglich
damit versehen und sich unerhört viel militärischen
Ruhm verschafft - aber leider diese Herrlichkeiten noch nicht
bezahlt hat, und nun dem Minister überläßt, die
Rechnung zu berichtigen, ohne daß dieser weiß, woher
er das Geld nehmen soll.«
Das sind Dinge, die einen Minister ins Grab drücken, wenigstens
des Verstandes berauben können. England ist mehr schuldig,
als es bezahlen kann. Man rühme nur nicht, daß es Indien
und reiche Kolonien besitzt. Wie sich aus den letzten Parlamentsdebatten
ergibt, zieht der englische Staat keinen Heller eigentlicher Einkünfte
aus seinem großen, unermeßlichen Indien, ja er muß
dorthin noch einige Millionen Zuschuß bezahlen. Dieses Land
nutzt England bloß dadurch, daß einzelne Briten, die
sich dort bereichert, durch ihre Schätze die Industrie und
den Geldumlauf des Mutterlandes befördern, und tausend andere
durch die Indische Kompanie Brot und Versorgung gewinnen. Die
Kolonien ebenfalls liefern dem Staate keine Einkünfte, bedürfen
des Zuschusses, und dienen zur Beförderung des Handels und
zur Bereicherung der Aristokratie, deren Nepoten als Gouverneure
und Unterbeamte dahin geschickt werden. Die Bezahlung der Nationalschuld
fällt daher ganz allein auf Großbritannien und Irland.
Aber auch hier sind die Ressourcen nicht so beträglich wie
die Schuld selbst. Wir wollen ebenfalls hier Cobbett sprechen lassen:
»Es gibt Leute, die, um eine Art Aushülfe anzugeben, von den Ressourcen des Landes
sprechen. Dies sind die Schüler des seligen Colquhoun, eines Diebesfängers, der ein
großes Buch geschrieben, um zu beweisen, daß unsere Schuld uns nicht im mindesten besorgt
machen darf, indem sie so klein sei in Verhältnis zu den Ressourcen der Nation; und damit
seine klugen Leser eine bestimmte Idee von der Unermeßlichkeit dieser Ressourcen bekommen
mögen, machte er eine Abschätzung von allem, was im Lande vorhanden ist, bis herab auf die
Kaninchen, und schien sogar zu bedauern, daß er nicht füglich die Ratten und
Mäuse mitrechnen konnte. Den Wert der Pferde, Kühe, Schafe, Ferkelchen, Federvieh,
Wildpret, Kaninchen, Fische, den Wert der Hausgeräte, Kleider, Feuerung, Zucker, Gewürze,
kurz von allem im Lande macht er ein Ästimatum; und dann, nachdem er das Ganze
assummiert, und den Wert der Ländereien, Bäume, Häuser, Minen, den Ertrag des Grases,
des Korns, die Rüben und das Flachs hinzugerechnet und eine Summe von Gott weiß wie vielen
tausend Millionen herausgebracht hat, grinst er in pfiffig prahlerisch schottischer Manier,
ungefähr wie ein Truthahn, und hohnlachend fragt er Leute meinesgleichen:
Mit Ressourcen, wie diese, fürchtet ihr da noch einen
Nationalbankerott?
Dieser Mann bedachte nicht, daß man Häuser nötig
hat, um darin zu leben, die Ländereien, damit sie
Futter liefern, die Kleider, damit man seine Blöße
bedecke, die Kühe, damit sie Milch geben, den Durst zu löschen,
das Hornvieh, Schafe, Schweine, Geflügel und Kaninchen, damit
man sie esse, ja, der Teufel hole diesen widersinnigen Schotten!
diese Dinge sind nicht dafür da, daß sie verkauft
und die Nationalschulden damit bezahlt werden. Wahrhaftig er hat
noch den Tagelohn der Arbeitsleute zu den Ressourcen der Nation
gerechnet! Dieser dumme Teufel von Diebesfänger, den seine
Brüder in Schottland zum Doktor geschlagen, weil er ein so
vorzügliches Buch geschrieben, er scheint ganz vergessen
zu haben, daß Arbeitsleute ihren Taglohn selbst bedürfen,
um sich dafür etwas Essen und Trinken zu schaffen.
Er konnte ebensogut den Wert des Blutes in unseren Adern abschätzen,
als ein Stoff, wovon man allenfalls Blutwürste machen könnte!«
Soweit Cobbett. Während ich seine Worte in deutscher Sprache
niederschreibe, bricht er leibhaftig selbst wieder hervor in meinem
Gedächtnisse, und wie vorig Jahr bei dem lärmigen Mittagessen
in Crown and Anchor Tavern, sehe ich ihn wieder mit seinem scheltend
roten Gesichte und seinem radikalen Lächeln, worin der giftigste
Todeshaß gar schauerlich zusammenschmilzt mit der höhnischen
Freude, die den Untergang der Feinde ganz sicher voraussieht.
Tadle mich niemand, daß ich Cobbett zitiere! Man mag ihn
immerhin der Unredlichkeit, der Scheltsucht und eines allzu ordinären
Wesens beschuldigen; aber man kann nicht leugnen, daß er
viel beredsamen Geist besitzt, und daß er sehr oft, und
in obiger Darstellung ganz und gar, recht hat. Er ist ein Kettenhund,
der jeden, den er nicht kennt, gleich wütend anfällt,
oft den besten Freund des Hauses in die Waden beißt, immer
bellt, und eben wegen jenes unaufhörlichen Bellens nicht
gehört wird, wenn er einmal einem wirklichen Diebe entgegenbellt.
Deshalb halten es jene vornehmen Diebe, die England plündern,
nicht einmal für nötig, dem knurrenden Cobbett einen
Brocken zuzuwerfen, und ihm damit das Maul zu stopfen. Dieses
wurmt den Hund am bittersten, und er fletscht die hungrigen Zähne.
Alter Cobbett! Hund von England! ich liebe dich nicht, denn fatal
ist mir jede gemeine Natur; aber du dauerst mich bis in tiefster
Seele, wenn ich sehe, wie du dich von deiner Kette nicht losreißen
und jene Diebe nicht erreichen kannst, die lachend vor deinen
Augen ihre Beute fortschleppen, und deine vergeblichen Sprünge
und dein ohnmächtiges Geheul verspotten.