Das nachstehende Gedicht schrieb ich im diesjährigen Monat Januar
zu Paris, und die freie Luft des Ortes wehete in manche Strophe weit
schärfer hinein, als mir eigentlich lieb war. Ich unterließ
nicht, schon gleich zu mildern und auszuscheiden, was mit dem
deutschen Klima unverträglich schien. Nichtsdestoweniger, als ich
das Manuskript im Monat März an meinen Verleger nach Hamburg schickte,
wurden mir noch mannigfache Bedenklichkeiten in Erwägung gestellt.
Ich mußte mich dem fatalen Geschäfte des Umarbeitens nochmals
unterziehen, und da mag es wohl geschehen sein, daß die ernsten
Töne mehr als nötig abgedämpft oder von den Schellen des
Humors gar zu heiter überklingelt wurden. Einigen nackten
Gedanken habe ich im hastigen Unmut ihre Feigenblätter wieder
abgerissen, und zimperlich spröde Ohren habe ich vielleicht
verletzt. Es ist mir leid, aber ich tröste mich mit dem
Bewußtsein, daß größere Autoren sich ähnliche
Vergehen zuschulden kommen ließen. Des Aristophanes will ich zu
solcher Beschönigung gar nicht erwähnen, denn der war ein blinder
Heide, und sein Publikum zu Athen hatte zwar eine klassische Erziehung
genossen, wußte aber wenig von Sittlichkeit. Auf Cervantes und
Molière könnte ich mich schon viel besser berufen; und
ersterer schrieb für den hohen Adel beider Kastilien, letzterer
für den großen König und den großen Hof von Versailles!
Ach, ich vergesse, daß wir in einer sehr bürgerlichen Zeit
leben, und ich sehe leider voraus, daß viele Töchter gebildeter
Stände an der Spree, wo nicht gar an der Alster, über mein
armes Gedicht die mehr oder minder gebogenen Näschen rümpfen
werden! Was ich aber mit noch größerem Leidwesen voraussehe,
das ist das Zeter jener Pharisäer der Nationalität, die jetzt
mit den Antipathien der Regierungen Hand in Hand gehen, auch die volle
Liebe und Hochachtung der Zensur genießen und in der Tagespresse
den Ton angeben können, wo es gilt, jene Gegner zu befehden, die
auch zugleich die Gegner ihrer allerhöchsten Herrschaften sind.
Wir sind im Herzen gewappnet gegen das Mißfallen dieser
heldenmütigen Lakaien in schwarzrotgoldner Livree. Ich höre
schon ihre Bierstimmen: "Du lästerst sogar unsere Farben,
Verächter des Vaterlands, Freund der Franzosen, denen du den
freien Rhein abtreten willst!" Beruhigt euch. Ich werde eure Farben
achten und ehren, wenn sie es verdienen, wenn sie nicht mehr eine
müßige oder knechtische Spielerei sind. Pflanzt die
schwarzrotgoldne Fahne auf die Höhe des deutschen Gedankens, macht
sie zur Standarte des freien Menschtums, und ich will mein bestes
Herzblut für sie hingeben. Beruhigt euch, ich liebe das Vaterland
ebensosehr wie ihr. Wegen dieser Liebe habe ich dreizehn Lebensjahre im
Exile verlebt, und wegen ebendieser Liebe kehre ich wieder zurück
ins Exil, vielleicht für immer, jedenfalls ohne zu flennen oder
eine schiefmäulige Duldergrimasse zu schneiden. Ich bin der
Freund der Franzosen, wie ich der Freund aller Menschen bin,
wenn sie vernünftig und gut sind, und weil ich selber nicht so
dumm oder so schlecht bin, als daß ich wünschen sollte,
daß meine Deutschen und die Franzosen, die beiden auserwählten
Völker der Humanität, sich die Hälse brächen zum
Besten von England und Rußland und zur Schadenfreude aller Junker
und Pfaffen dieses Erdballs. Seid ruhig, ich werde den Rhein nimmermehr
den Franzosen abtreten, schon aus dem ganz einfachen Grunde:
weil mir der Rhein gehört. Ja, mir gehört er, durch
unveräußerliches Geburtsrecht, ich bin des freien Rheins noch
weit freierer Sohn, an seinem Ufer stand meine Wiege, und ich sehe gar
nicht ein, warum der Rhein irgendeinem andern gehören soll als
den Landeskindern. Elsaß und Lothringen kann ich freilich dem
deutschen Reiche nicht so leicht einverleiben, wie ihr es tut,
denn die Leute in jenen Landen hängen fest an Frankreich wegen
der Rechte, die sie durch die französische Staatsumwälzung
gewonnen, wegen jener Gleichheitsgesetze und freien Institutionen, die
dem bürgerlichen Gemüte sehr angenehm sind, aber dem Magen der
großen Menge dennoch vieles zu wünschen übriglassen.
Indessen, die Elsasser und Lothringer werden sich wieder an
Deutschland anschließen, wenn wir das vollenden, was die Franzosen
begonnen haben, wenn wir diese überflügeln in der
Tat, wie wir es schon getan im Gedanken, wenn wir uns bis zu
den letzten Folgerungen desselben emporschwingen, wenn wir die
Dienstbarkeit bis in ihrem letzten Schlupfwinkel, dem Himmel,
zerstören, wenn wir den Gott, der auf Erden im Menschen wohnt,
aus seiner Erniedrigung retten, wenn wir die Erlöser Gottes
werden, wenn wir das arme, glückenterbte Volk und den verhöhnten
Genius und die geschändete Schönheit wieder in ihre Würde
einsetzen, wie unsere großen Meister gesagt und gesungen und
wie wir es wollen, wir, die Jünger - ja, nicht bloß
Elsaß und Lothringen, sondern ganz Frankreich wird uns alsdann
zufallen, ganz Europa, die ganze Welt - die ganze Welt wird
deutsch werden! Von dieser Sendung und Universalherrschaft
Deutschlands träume ich oft, wenn ich unter Eichen wandle.
Das ist mein Patriotismus.
Ich werde in einem nächsten Buche auf dieses Thema zurückkommen,
mit letzter Entschlossenheit, mit strenger Rücksichtslosigkeit,
jedenfalls mit Loyalität. Den entschiedensten Widerspruch werde
ich zu achten wissen, wenn er aus einer Überzeugung hervorgeht.
Selbst der rohesten Feindseligkeit will ich alsdann geduldig verzeihen;
ich will sogar der Dummheit Rede stehen, wenn sie nur ehrlich gemeint
ist. Meine ganze schweigende Verachtung widme ich hingegen dem
gesinnungslosen Wichte, der aus leidiger Scheelsucht oder unsauberer
Privatgiftigkeit meinen guten Leumund in der öffentlichen
Meinung herabzuwürdigen sucht und dabei die Maske des
Patriotismus, wo nicht gar die der Religion und der Moral, benutzt.
Der anarchische Zustand der deutschen politischen und literarischen
Zeitungsblätterwelt ward in solcher Beziehung zuweilen mit
einem Talente ausgebeutet, das ich schier bewundern mußte.
Wahrhaftig, Schufterle ist nicht tot, er lebt noch immer und steht
seit Jahren an der Spitze einer wohlorganisierten Bande von
literarischen Strauchdieben, die in den böhmischen Wäldern
unserer Tagespresse ihr Wesen treiben, hinter jedem Busch, hinter
jedem Blatt versteckt liegen und dem leisesten Pfiff ihres
würdigen Hauptmanns gehorchen.
Noch ein Wort. Das "Wintermärchen" bildet den Schluß
der "Neuen Gedichte", die in diesem Augenblick bei
Hoffmann und Campe erscheinen. Um den Einzeldruck veranstalten zu
können, mußte mein Verleger das Gedicht den überwachenden
Behörden zu besonderer Sorgfalt überliefern, und neue Varianten
und Ausmerzungen sind das Ergebnis dieser höheren Kritik.
| Hamburg, den 17. September 1844 | Heinrich Heine |
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Caput I