|
Du, dem mein erstes Lied gewidmet war, und nun auch meiner Muse letzte Frucht gebührt, warum, Mäcen, mich, den man schon genug gesehn und fernern Diensts entlassen, von neuem zu dem alten Spiel zurück zu nötigen? Ich bin an Jahren und an Sinnesart nicht mehr der vorige. Vejan, um seine Freiheit länger nicht dem Volke am Rand des Fechtplans abzubetteln, hing sein Schwert in Herkuls Tempel1) auf, und steckt verborgen in seinem Meierhof2). Auch mir, Mäcen, raunt oft ich weiß nicht welche Stimm' ins Ohr: »Sei klug, und spann den alten Renner noch in Zeiten aus, bevor er auf der Bahn, wo einst der Sieg ihn krönte, lahm und keuchend die Lenden schleppt und zum Gelächter wird.«3) Gehorsam dieser Warnung hab' ich nun der Verse und des andern Spielwerks mich entschlagen4), und was wahr und recht ist, kümmert | Prima dicte mihi, summa dicende Camena, spectatum satis et donatum iam rude quaeris, Maecenas, iterum antiquo me includere ludo. Non eadem est aetas, non mens. Veianius, armis <5> Herculis ad postem fixis, latet abditus agro, ne populum extrema toties exoret arena. Est mihi purgatam crebro qui personet aurem: »Solve senescentem mature sanus equum, ne peccet ad extremum ridendus et ilia ducat.« <10> Nunc itaque et versus et cetera ludicra pono, quid verum atque decens curo et rogo et omnis in hoc sum, | |
|
mich ganz allein; ich leb' und webe d'rin, bemüht, mir einen Vorrat einzusammeln, wovon ich bald im Winter zehren könnea). Fragst du, in welche von den Weisheitsschulen Athens ich eingeschrieben sei5), so wisse, in keine! Frei und ohne auf die Worte von einem Meister, wer er sei, zu schwörenb), bin ich, wie einer, der zu Wasser reiset, bald hie bald da, wohin der Wind mich wirft. Bald lauter Tatkraft, treib' ich in den Wogen des tätigen weltbürgerlichen Lebens, und strenge Tugend, die kein Haarbreit weicht von Recht und Pflicht, ist meine große Göttin: bald sink' ich unvermerkt in Aristipps System zurück, und statt mich selbst den Dingen zu unterwerfen, seh' ich, wie ichs mache sie unter mich zu kriegen6). Wie die Nacht | condo et compono, quae mox depromere possim. Ac ne forte roges quo me duce, quo lare tuter, nullius addictus iurare in verba magistri, <15> quo me cumque rapit tempestas deferor hospes. Nunc agilis fio et mersor civilibus undis, virtutis verae custos rigidusve satelles: nunc in Aristippi furtim praecepta relabor, et mihi res, non me rebus, submittere conor. <20> Ut nox longa quibus mentitur amica, diesque | |
|
dem mächtig lang wird, dem ein schelmisch Mädchen gelogen hatc), und lang der Tag dem Fröner, und träg das Jahr dem Minderjähr'gen, den die Vormundschaft der strengen Mutter drückt: so schleichen langsam und verhaßt die Zeiten mir dahin, die meinen Plan und meine Hoffnung hemmen, mit Ernst zu treiben, was dem Armen gleich als wie dem Reichen nützt, und was, versäumt, dem Jungen wie dem Alten Schaden bringt. Indes behelf ich bis auf beßre Zeiten mich mit dem ABC der Weisheit, ungefähr wie folgt, und spreche: Weil du freilich nie ein Lynceus werden dürftestd), wolltest du, wenn du an deinen Augen leidest, dich darum | longa videtur opus debentibus, ut
piger annus pupillis, quos dura premit custodia matrum; sic mihi tarda fluunt ingrataque tempora, quae spem consiliumque morantur agendi gnaviter id, quod <25> aeque pauperibus prodest, locupletibus aeque, aeque neglectum pueris senibusque nocebit. Restat ut his ego me ipse regam solerque elementis: non possis oculo quantum contendere Lynceus, | |
|
der Salbe weigern? Oder, weil die Muskeln des nie besiegten Glykons dir versagt sinde), dich vor dem knotenreichen Chiragra nicht wenigstens nach Möglichkeit verwahren? Man geht, so weit man kann, wenn weiter zu geh'n nicht möglich ist. Brennt dich die Habsucht, macht dich Begierde schlaflos? Nur getrost! Wir haben Zauberlieder7), die, wofern sie auch das Übel nicht von Grund aus heilen, dir zum wenigsten die Schmerzen lindern werden. Schwillst du von Ruhmsucht? Gut, wir können dir ein Büchlein reichen, das, mit reingewaschnen Augen zum drittenmal gelesen, viel Erleichtrung dir verschaffen wird. Ein Mann sei noch so neidisch, zornmütig, faul, verbuhlt, dem Trunk ergeben, so wild ist niemand, daß er durch Kultur nicht milder werden könnte, wenn er nur die Hand nicht von sich stößt, die seiner pflegt. Das Laster meiden ist schon Tugend, frei | non tamen idcirco contemnas lippus
inungi; <30> nec quia desperes invicti membra Glyconis nodosa corpus nolis prohibere cheragra? Est quadam prodire tenus, si non datur ultra. Fervet avaritia miseroque cupidine pectus? Sunt verba er voces, quibus hunc lenire dolorem <35> possis, et magnam morbi deponere partem. Laudis amore tumes? Sunt certa piacula, quae te ter pure lecto poterunt recreare libello. Invidus, iracundus, iners, vinosus, amator, nemo adeo ferus est, ut non mitescere possit, <40> si modo culturae patientem commodet aurem. | |
|
von Torheit sein der Weisheit erste Stufe. Wie strengst du alle deine Nerven bis zum Kopfweh anf), und sinnest, rechnest, wachest die Nächte durch, den Übeln zu entgeh'n, die dir die größten scheinen, ohne Würde und Rang zu sein und wenig zu versteuern! Wie unverdrossen rennst du dem Gewinn bis an den Ganges nach, fliehst ärger vor der Armut, als vor dem Tod, durch Klippen, Flut und Feuerg)! Warum nicht lieber dem, der besser denkt, Gehör gegeben, und entbehren alles das gelernt, was du aus Torheit anstaunst und begehrst? Wer wollte lieber sich mit Gassenjungen in Dörfern und auf offner Straße raufen, | Virtus est vitium fugere, et
sapientia prima stultitia caruisse. Vides quae maxima credis esse mala, exiguum censum turpemque repulsam, quanto devites animi capitisque labore! <45> Impiger extremos curris mercator ad Indos per mare pauperiem fugiens, per saxa, per ignes: ne cures ea, quae stulte miraris et optas, discere et audire et meliori credere non vis. Quis circum pagos et circum compita pugnax | |
|
als zu Olympia gekrönt sich seh'n? Zumal wenn ihm die Palme ohne Staub8) geboten würde. Muß an Wert das Silber dem Golde weichen, wie viel mehr das Gold der Tugend? Freilich nicht zu Rom! Da gehts aus einem andern Ton! »Ihr Herrn und Bürger, zuerst für Geld gesorgt, für bares Geld, dann gibt sichs mit der Tugend wohl von selbst.« So ruft vom untern bis zum obern Ende uns Janus zu9), so singt, den Beutel und die Rechentafel um den linken Arm gehangen, Alt und Jung ihm rastlos nach. Denn fehlt an sechzehn Tausend Talern dirh) nur eins bis zwei vom Hundert, sei an Geist und Sitten noch so edel, sei beredt und treu und gut, so viel du willst, du bist und bleibst doch Pöbel10). Gleichwohl hören wir die Kinder singen: »Wers am besten macht, | <50> magna coronari contemnat Olympia, cui spes, cui sit condicio dulcis sine pulvere palmae? Vilius argentum est auro, virtutibus aurum. »O cives, cives, quaerenda pecunia primum est, virtus post nummos!« Haec Ianus summus ab imo <55> prodocet, haec recinunt iuvenes dictata senesque laevo suspensi loculos tabulamque lacerto. Si quadringentis sex, septem milia desunt, est animus tibi, sunt mores et lingua fidesque, plebs eris! At pueri ludentes, »Rex eris«, aiunt, | |
|
soll König
sein!«i)
Nun sprich, wer hat mehr
Recht11), das Roscische Gesetz, das einen Mann nach so und so viel tausend Talern schätzt und anschlägt, oder unser Kinderlied, das dem Verdienst die Krone zuerkennt? Das Lied, das unsre wackeren Camiller und Curier als Männer täglich sangen! Wer ratet dir am besten: der dich Geld erwerben heißt in Ehren freilich, wenn sichs tun läßt doch, wo nicht, auf welche Art! nur Geld! um näher bei den tränenreichen Stücken12) des Pupius zu sitzenj), oder, wer durch Lehr' und Beispiel dich dem Übermut Fortunens einer freien Seele festen Sinn entgegenstellen lehrt? Wenn übrigens | <60> »si recte
facies«. Hic murus aheneus esto, nil conscire sibi, nulla pallescere culpa! Roscia, dic sodes, melior lex, an puerorurn est naenia, quae regnum recte facientibus offert, et maribus Curiis et decantata Camillis? <65> Isne tibi melius suadet, qui rem facias, rem, si possis recte, si non, quocumque modo rem, ut propius spectes lacrimosa poemata Pupi, an qui fortunae te responsare superbae liberum et erectum praesens hortatur et aptat? | |
|
mich die Quiriten etwa fragen sollten: warum ich der gemeinen Denkart mich nicht auch, wie der bedeckten Gänge an den Häusern, wie sie bediene, und nicht auch, was sie begehren oder flieh'n, begehr' und fliehe? so würd' ich ihnen, was der kluge Fuchs dem kranken Löwen einst, zur Antwort geben: »Die Spuren schrecken mich, die alle einwärts in deine Höhle gehen, keine wieder heraus.« Du bist ein Tier mit vielen Köpfen; wem soll ich folgen? Jeder winket mir auf einen andern Weg. Die einen, lüstern nach Pachtungen des Staates, werben um Kontrakte, (wo ein Tempel aufzuführen, ein Sumpf zu trocknen, ein Kanal zu graben, ein Leichbegängnis anzuordnen ist.)13) Noch andre suchen alte karge Witwen mit Kuchen oder Äpfeln, Kindern gleich, ins Garn zu ködern, oder reiche Greise einander wegzuangeln: wieder andre macht unvermerkt geheimer Wucher fett. Doch, daß Verschiedne auf verschiednen Wegen | <70> Quod si me populus
Romanus forte roget, cur non, ut porticibus, sic iudiciis fruar isdem, non sequar aut fugiam quae diligit ipse vel odit? olim quod vulpes aegroto cauta leoni respondit, referam: »Quia me vestigia terrent <75 > omnia te adversum spectantia, nulla retrorsum.« Bellua multorum es capitum: nam quid sequar aut quem? Pars hominum gestit conducere publica: sunt, qui crustis et pomis viduas venentur avaras, excipiantque senes, quos in vivaria mittant: <80> multis occulto crescit res fenore. Verum esto aliis alios rebus studiisque teneri; | |
|
ihr Glück verfolgen, und der eine dies, der andre jenes liebt, begreift sich: aber wenn ein Mann nicht eine Stunde gleiches Sinnes bleibt, wie dann? Ein Reicher spreche: »In der Welt ist doch kein Winkel, der an Anmut dem von Bajä gleicht!« Stracks wird das nahe Meer und der Lucrinersee die feur'ge Liebe des raschen Herrn empfinden14)! Über Nacht kriecht durch die Leber ihm, ich weiß nicht was, so spricht er morgen zu den Arbeitsleuten: »Führt euern Werkzeug nach Theanum ab!«k) Ist er vermählt, so geht nach seiner Meinung nichts über Ledigsein; und ledig schwört er hoch, der Ehestand sei doch der einzige, worin ein Mann sich seines Lebens freue. Mit welchem Knoten soll ich fest ihn halten den Proteus, der nicht einen Augenblick derselbe bleibt? Sogar der Arme (lache nur!) verändert wenigstens, so oft er kann, sein Stübchen unterm Dach, sein hartes Lager, | idem eadem possunt horam
durare probantes? »Nullus in orbe sinus Baiis praelucet amoenis«, si dixit dives, lacus et mare sentit amorem <85> festinantis heri; cui si vitiosa libido fecerit auspicium: »Cras ferramenta Theanum tolletis, fabri!« Lectus genialis in aula est? Nil ait esse prius, melius nil caelibe vita; si non est, iurat bene solis esse maritis. <90> Quo teneam vultus mutantem Protea nodo? Quid pauper? ride! mutat cenacula, lectos, balnea, tonsores; conducto navigio aeque | |
|
Barbier und Bad, und macht in einem Marktschiff, worin er seinen Platz um wenig Dreier bezahlt, den Zärtlichen, trotz einem Reichen in seiner eignen prächtigen Galeere. Begegn' ich etwa dir einmal mit übel verschnittnen Haaren auf dem Markt, so lachst du; sitzt mir die Toga ungleich auf den Schultern, guckt unter meinem wollenreichen Rock ein abgeschabnes Wams hervor, so lachst du15); hingegen mein Gemüt mag mit sich selbst auch noch so uneins sein, mag lieben, was es kaum gehaßt, verschmähen, was es kaum noch liebte, nach keiner Regel, keinem Endzweck leben, jetzt etwas bau'n, dann wieder niederreißen, und plötzlich runden, was viereckige war, da lachst du nicht! Es ist nun seine Grille, denkst du; nicht, daß ich eines Arztes bedürfe, oder daß der Prätor mich bevogten sollte. Gleichwohl nimmst du Anteil an mir, als einem Freunde, der so ganz an deinen Augen hängt, und warmen Anteil! | nauseat ac locuples quem ducit
priva triremis. Si curtatus inaequali tonsore capillos <95> occurri, rides: si forte subucula pexae trita subest tunicae, vel si toga dissidet impar, rides: quid, mea cum pugnet sententia secum? quod petiit, spernit, repetit, quod nuper omisit? aestuat et vitae disconvenit ordine toto? <100> diruit, aedificat, mutat quadrata rotundis? Insanire putas solemnia me, neque rides, nec medici credis nec curatoris egere a praetore dati, rerum tutela mearum | |
|
Denn, wenn ein Nagel nur am Finger mir nicht recht geschnitten ist, so steigt dir schon die Galle. Und also hat, mit einem Worte, doch zuletzt die Stoa Recht: der Weise ist nach Jupitern der zweite in der Welt; ist reich und edel, frei und schön, ein König der Könige, vornehmlich kerngesund, versteht sich, wenn ihn nicht der Schnuppen plagt16). | cum
sis, et prave sectum stomacheris ob unguem <105> de te pendentis, te respicientis amici. Ad summam, sapiens uno minor est Iove, dives, liber, honoratus, pulcher, rex denique regum, praecipue sanus, nisi cum pituita molesta est. |
|
Ipse ego, qui nullos me affirmo scribere versus, invenior Parthis mendacior etc. |
|
»Sag', was ich tun soll?« »Nichts! das Versemachen aufgeben.« »Nun, ich will gehangen sein, wofern dies nicht das Beste wäre aber, Freund, ich kann nicht schlafen.« |
| Satire an den Trebaz. |
In dieser Verfassung befanden sich die philosophischen Schulen der Griechen, als die ungelehrten Römer mit ihnen bekannter zu werden anfingen. Nichts kann wohl ungleichartiger sein, als der Geist und Charakter der Römer und der Griechen, selbst noch um die Zeit der berühmten Gesandtschaft des KarneadesII), welche die Epoke ist, da die griechische Philosophie und Redekunst, die nur wenige Jahre zuvor durch ein Edikt des Senats aus Rom verwiesen worden war, mit dem Ansehen einer öffentlichen Gesandtschaft bekleidet zurückkam, um eine Art von Triumph über die Beherrscher der halben Welt innerhalb ihrer eignen Ringmauern zu erhalten. Ungeachtet des lebhaften Eindrucks, den diese drei Philosophen (besonders Karneades, der witzigste und redseligste aller Griechen seines Jahrhunderts) auf die edle römische Jugend machten, währte es noch eine geraume Zeit, bis der rauhe römische Genius sich gewöhnen konnte, die attischen Musen für etwas Bessers als eine Art griechischer Hetären anzusehen, mit denen man sich wohl ein paar müßige Stunden vertreiben könne, die aber einer ernsthaften Zuneigung nicht würdig seien. Die Wissenschaften und Künste der Griechen wurden als Gegenstände des Luxus betrachtet, welche dazu gemacht wären, den Herren der Welt zu dienen, nicht über sie zu herrschen. Die Großen von Rom hatten griechische Baumeister, griechische Maler, griechische Steinschneider, griechische Vorleser, griechische Tänzer und Baladins in ihren Diensten, ließen ihre Weiber von griechischen Mädchen coeffieren, ihre Kinder von griechischen Pädagogen erziehen u. s. w. Aber so lange noch ein Antiochus und Mithridates zu bekämpfen war, und so lange sie sich noch unter einander selbst über die wichtige Preisfrage zankten, wer von ihnen Meister über alle übrigen bleiben würde, blieb ihnen wenig Zeit zu subtilen und müßigen Spekulationen: und erst nachdem Julius Cäsar jene große Frage entschieden hatte, sehen wir einen Cicero, in der unfreiwilligen Einsamkeit seines Tusculanum, auf akademische Betrachtungen einen Wert legen, und in Verpflanzung der Platonischen und Stoischen Philosophie auf römischen Boden Unterhaltung und TrostIII) gegen den Unbestand des Glücks und die Trübsale des Lebens suchen.
Indessen ist nicht zu leugnen, daß schon in dem letzten halben Jahrhundert des freien Roms die Philosophie von verschiedenen edeln Römern, besonders unter denen, welche sich mehr durch Beredsamkeit und Geschicklichkeit in den bürgerlichen Rechten als durch kriegerische Talente den Weg zu den höchsten Ehrenstufen bahnen wollten, als ein Hülfsmittel zu ihrem Zweck mit einigem Ernste getrieben wurde. Da man sie aber als eine von den griechischen Künsten betrachtete, so war auch das Vorurteil ganz natürlich, daß man sie aus der Quelle schöpfen, d. i. von den Griechen lernen, und sich also zu irgend einer von ihren Schulen bekennen müsse. Ein Philosoph oder ein Akademiker, Stoiker, oder Epikuräer sein, war in ihren Augen einerlei; und es schien ihnen bequemer, die Theorien, die sie schon gemacht und fertig in den philosophischen Buden der Griechen liegen fanden, zu ihrem Gebrauch anzuwenden, als sich eigene selbst zu machen. Indessen war es wohl den wenigsten darum zu tun, die Philosophie, zu der sie sich bekannten, in ihrem Leben auszudrücken; und wenn ein Catulus, Cato und Brutus hievon Ausnahme machten, so kam es schwerlich aus einem andern Grunde, als weil sie, auch ohne Akademie und Stoa, das gewesen wären, was sie waren. Aber mit dem Tode dieser großen Männer, und mit der Revolution, die darauf erfolgte, veränderte sich auch der Geist der römischen Philosophie. Das Jahrhundert der Cäsarn konnte Catonen weder mehr hervorbringen noch ertragen. Indem die Republik sich unvermerkt in das Phantom einer Aristokratie verwandelte, von welcher ein einziger die Seele war: so hörte auch die Beredsamkeit auf, die mächtigste Triebfeder des Staats zu sein, und der beste Bürger war nun der, der am besten gehorchen konnte. Die Philosophie sank also gar bald von der Würde herab, zu welcher sie von einigen großen Staatsmännern in Rom war erhoben worden. Sie wurde nun auch in der Hauptstadt der Welt, was sie zu Athen schon lange gewesen war, eine müßige Kunst zu grübeln und zu deklamieren. Man mußte allenfalls einen Anstrich davon haben, weil es zum guten Ton gehörte, von Literatur und Philosophie, so wie von Gemälden und Statuen, schwatzen zu können; aber Philosophie zu leben würde in den Augen der meisten Weltleute Unsinn, und bei den Billigsten wenigstens eine seltsame Art von Sonderlichkeit gewesen sein.
Bei dem allem konnte es gleichwohl nicht fehlen, daß es in einer solchen Epoke, wie die
Regierung des Augustus in Rom machte, nicht hier und da einen Sonderling gegeben hätte, der in
der Muße eines glücklichen Mittelstandes zwischen Überfluß und
Dürftigkeit, mit mehr Liebe zur Freiheit, als Ehrgeiz oder Begierlichkeit, sich bloß zu
seinem eignen Vorteil ein Geschäft daraus machte, richtiger von dem Menschen und seinen
Angelegenheiten zu urteilen, und nach bewährtem Grundsätzen zu leben, als der große
Haufe. Horaz, indem er sich in diesem Briefe an seinen großen Freund für einen dieser
Sonderlinge bekennt, der die Philosophie, ohne alle Prätension an Bart und Mantel, bloß
als eine ökonomische Angelegenheit, wenn man so sagen darf, und um sich
besser zu befinden, treibe: erklärt sich zugleich, daß er eben darum in keine der
philosophischen Schulen eingeschrieben sei, auf keines Meisters Worte geschworen habe; sondern, wie
ein Reisender, bald da bald dort anlande oder absteige, und von jedem nur gerade so viel nehme, als
er zu seinem Gebrauch nötig habe. Es geht, wenn mich mein Gefühl nicht täuscht, durch
diese ganze Stelle eine sehr feine Schattierung von Laune (Humour), wodurch er dem erwarteten
Spott des Mäcenas zuvorkommt, und das Lächerliche von sich ablehnt, das die Weltleute auf
einen Philosophen von Profession zu werfen geneigt sind. Doch glaube ich nicht, daß das
Persiflage so weit gehe, als es Batteux in seiner Erklärung
dieser Stelle auszudehnen scheint. Denn daß es Horazen mit der Philosophie, die er in diesem
Briefe vorträgt, Ernst sei, ist schon daraus klar genug, weil es die nämliche ist, die aus
allen seinen Werken atmet. Er läßt der Stoa Gerechtigkeit widerfahren, indem er ziemlich
deutlich zu verstehen gibt, daß er, sobald er sich (in Gedanken nämlich) in
die Wogen des bürgerlichen Lebens stürze, die
Anhänglichkeit an eine strenge unerschütterliche Tugend für die beste Partei halte,
die alsdann zu nehmen sei. Aber er gibt auch gleich wieder auf eine feine Art zu verstehen,
daß für einen Mann wie er der doch wahrlich, wenn er den Cato oder Brutus
hätte machen wollen, der Republik nichts damit geholfen hätte das schicklichste
sei, die Sachen zu lassen, wie sie sind; und nur sich selbst in eine solche innerliche Verfassung zu
setzen, daß er in einem Staate, wo die politische Freiheit verloren und die
bürgerliche sehr beschränkt war wenigstens der persönlichen und moralischen,
der Freiheit von törichten Begierden und quälenden Leidenschaften, nicht durch eigne
Schuld verlustig werde.
| Et mihi res, non me rebus, submittere conor |
eigentlich habe sagen wollen, scheint den meisten Auslegern nicht klar genug gewesen zu sein. Sanadon wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er, eigenmächtig und gegen alle Handschriften, die Ordnung der Zeilen änderte, und die eben angeführte der unmittelbar vorgehenden
| Nunc in Aristippi furtim praecepta relabor |
vorsetzte, weil er sich einbildete, daß es just umgekehrt sei. Die Stoiker, meint er, wären ja eben diejenigen, welche lehrten, daß ein Weiser die Dinge sich, und nicht sich den Dingen, unterwerfen müsse: dies letztere hingegen sei gerade das, worin Aristipps ganze Philosophie bestanden habe. Aber Sanadon irrte sich in beidem. Just so wie die vier Verse im Original in allen Handschriften stehen, machen sie den schönsten Sinn, und drücken das Charakteristische der Stoischen und Aristippischen Philosophie aufs richtigste aus.
Der Hauptgrundsatz der Stoiker war: der Weise unterwirft sich immer und in allem den ewigen und notwendigen Gesetzen der Natur der Dinge; er bildet seine Art zu denken und zu handeln einzig nach dieser Richtschnur; und seine höchste Freiheit besteht darin, daß er will was er muß, tut was er soll. Die unveränderliche Natur der Dinge, dieses einzige, aber unerläßliche Gesetz des Weisen, schreibt ihm in jedem Augenblick und Verhältnis des Lebens vor, was recht ist, und was er also zu wollen und zu tun hat; und bloß um zu wissen, was recht ist, damit er immer recht handle, bemüht er sich die Dinge so zu erkennen, nicht wie sie dem verfälschten Auge des Vorurteils und der Leidenschaften scheinen, sondern wie sie in den Augen der reinen Vernunft, d. i. wie sie wirklich sind. Der Weise sieht sich daher immer als einen Teil des Ganzen an, der bloß um desselben willen da ist, und dessen Wohlstand und Vollkommenheit mit dem seinigen so notwendig verbunden ist, daß er nur in so fern seiner Natur gemäß lebt und vollkommen ist, in so fern er zur Vollkommenheit des Ganzen mitwirkt. So lehrten die Stoiker, und so ist klar, warum Horaz das se rebus submittere, sich selbst den Dingen unterwerfen, zum unterscheidenden Zeichen eines Stoikers macht. Denn daß in den beiden ersten Versen von ihnen die Rede sei, wiewohl er sie nicht ausdrücklich nennt, ist keinem Zweifel unterworfen.
Von dem eigentlichen System des Aristippus wissen wir nur sehr wenig Zuverlässiges; denn seine Schriften sind verloren gegangen, und von den sogenannten Cyrenäern, seinen angeblichen Nachfolgern, läßt sich kein sichrer Schluß auf ihn selbst machen. In dem, was Diogenes Laertius von ihm zusammengestoppelt hat, sind die Anekdoten und Bons-Mots das Beste, wiewohl darunter einige von verdächtigem Schlage vorkommen. Aber, wenn wir auch nichts von ihm wüßten, als was uns Horaz in seinem Briefe an Scäva und in einer Stelle seiner Satiren sagt: so würde dies, mit etlichen Zügen, die sich im Cicero, Plutarch und Athenäus finden, schon hinlänglich sein, uns von der Denkart dieses Philosophen, der so wenig dazu gemacht war, gute Nachahmer zu haben, einen ziemlich reinen Begriff zu geben. Der Grund seiner ganzen Philosophie scheint folgendes Räsonnement gewesen zu sein. Der Mensch weiß nichts gewisser, als daß er ist; denn dies fühlt er; und eben dies Gefühl sagt ihm alle Augenblicke, was er ist, nämlich ein Wesen, dessen Existenz eine Kette von angenehmen oder unangenehmen Empfindungen ist, die ihm entweder von außenher kommen, oder die es sich selbst macht. Aus jenen erkennt er zwar, daß eine unendliche Menge von Dingen außer ihm sind; aber was diese Dinge für sich selbst sind, weiß er nicht; und da es ihn im Grunde nichts angeht, so soll er sich auch nichts darum kümmern. Aber was er gewiß weiß, weil ers fühlt, ist: daß ihm diese Dinge teils geradezu Lust oder Unlust machen, teils Gelegenheit geben, daß er sich selbst ihrentwegen plagt. Das letztere zu vermeiden, hängt sehr von seinem Willen oder doch von seiner Weisheit ab; denn seine Einbildungen und Leidenschaften sind in ihm selbst, und er kann also, wenn er will und es recht angreift, sehr wohl Meister über sie werden. Was die Dinge außer ihm betrifft, so mag er (wenn er kann) diejenigen vermeiden, die ihm Unlust machen, und diejenigen suchen, die ihm wohltun. Kann er aber jene nicht vermeiden, ohne sich größrer Unlust auszusetzen: so duldet er, wenn er weise ist, das kleinere Übel um des größern Guten willen: und eben so unterläßt er lieber ein Vergnügen zu suchen, wenn er weiß oder sehr wahrscheinlich vermuten kann, daß es mit mehr Unlust verbunden sei, als das Gute daran wert ist. Unvermeidliche Übel erleichtert er sich durch Geduld; alles Angenehme aber genießt er, wenn es gleich mit einiger geringen Unlust verbunden ist; aber genießt es als etwas Entbehrliches, wie einer eine Rose pflückt, die an seinem Wege blüht; und da die meisten Dinge uns nicht durch das, was sie sind, sondern durch das, was wir ihnen geben, d. i. durch unsre Vorstellungsart, glücklich oder unglücklich machen: so gewöhnt sich ein weiser Mann, die Dinge außer ihm von der angenehmsten oder doch leidlichsten Seite anzusehen. Durch diese Art zu denken erhält er sich frei und unabhängig, während die ganze Welt sein ist. Er verschafft sich jedes Gute um den wohlfeilsten Preis, denn er gibt nichts Bessers darum hin; wird es ihm entzogen, so betrachtet er's als etwas, das nie sein war. Kurz, er kann alles genießen, alles entbehren, sich in alles schicken; und die Dinge außer ihm werden nie Herr über ihn, sondern er ist und bleibt Herr über sie. Das ist's, denke ich, worin Horaz dem Aristipp ähnlich zu werden suchte, worin er ihm wirklich sehr ähnlich war, und was er durch sein et mihi res, non me rebus, sagen wollte.
Ich untersuche hier nicht, ob diese ziemlich unpoetische Art zu philosophieren die beste sei: ich sage nur, dies war Aristipps Philosophie; und alles, was wir von seinem Leben wissen, ist der Beweis davon.
Aristipp und Antisthenes gingen von einerlei Grundsatz aus. Das Größte, was mir meine Tochter Arete zu danken hat, sagte Aristipp, ist, daß ich sie gelehrt habe, auf nichts Entbehrliches einen Wert zu legen.
Aristipp wußte es z. B. immer so zu machen, daß es ihm nie an Geld fehlte, ohne daß das Geld jemals mehr in seinen Augen galt, als das, was er darum haben konnte. Er bezahlte (in seiner Jugend) einsmals ein Rebhuhn um funfzig Drachmen, oder beinahe um zwölf Taler unsers Geldes. Einer von seinen Freunden hielt ihm eine große Strafpredigt über eine so verschwenderische Naschhaftigkeit. Du hättest das Rebhuhn also doch auch gekauft, wenn es nur einen Albus gekostet hätte? fragte der Philosoph. Nun freilich, dann wohl, erwiderte der Freund. Gut, versetzte jener, wenn mir nun funfzig Drachmen nicht mehr sind, als dir ein Albus, wie dann?
Ein andermal, da er auf einer Reise war, beklagte sich der Sklave, der sein Gepäck und seine Kasse trug, daß ihm die Last zu schwer werde. So wirf davon weg, was dir zu viel ist, sagte Aristipp.
Welcher von unsern Lesern hat nicht die schöne Lais nennen gehört,
| Vor deren Tür das ganze Gräzien lagIV)? |
Aristipp ließ sich's nicht wenig kosten, an den Gunstbezeugungen dieser Tochter der
Schönheitsgöttin, die in ihrer Art so einzig war, als er in der seinigen, Anteil zu haben.
Jemand, der vermutlich lieber selbst an seinem Platze gewesen wäre, schwatzte ihm viel davon
vor, daß er sich übel betröge, wenn er glaube, Lais liebe
ihn. Was geht mich das an, sagte Aristipp: die Fische, die ich esse, lieben mich auch nicht,
und ich esse sie doch. Ein andrer guter Freund wollte ihm einen Vorwurf daraus machen, daß ein
so weiser Mann sich in den Netzen einer Lais habe fangen lassen. Da irrst du dich, antwortete der
Philosoph; ich habe sie, aber sie hat
mich nicht. (Er konnte das in seiner
Sprache mit drei Worten sagen, ecw ouk ecomai, und so klangs freilich
noch besser.) Ohne Zweifel hatte Horaz diese und ähnliche Züge im Auge, da er die
Philosophie des Aristipps in die zwei Worte mihi res zusammenfaßte. Aber genug
von Aristipp, da uns doch die Epistel an den Scäva wieder auf ihn bringen wird.
Horaz bedient sich hier, in seiner gewöhnlichen anspielenden Manier, lauter solcher
Redensarten, die von dieser magischen Heilkunst entlehnt sind; und gibt
durch die Anwendung derselben auf die Philosophie, als die Heilkunst der
Seele, seiner ernsthaften Moral die durchsichtige Farbe von feinem Scherz, die niemand mit
einer leichtern Hand aufzutragen weiß, als er. Übrigens scheint er besonders die Stelle
aus des Euripides Phädra im Auge gehabt zu haben, wo die mitleidige
Amme ihrer liebeskranken Königin sagt: Eisin d'
epwdai kai logoi Jelktrhrioi etc., es gibt
Zauberlieder (Beschwörungen) und schmerzbesänftigende
Worte wovon das Horazische Sunt verba et voces etc. beinahe eine wörtliche
Übersetzung ist. Übrigens scheint er bei den Worten ter pure lecto libello einen
damals bekannten Traktat irgend eines Philosophen, der ausdrücklich gegen die
Ruhmsucht geschrieben war, im Sinne gehabt zu haben.
|
Hic murus abeneus esto, nil conscire sibi, nulla pallescere culpa! Dies sei die wahre Mauer von Erz nichts Böses sich bewußt sein und von keiner Schuld erblassen! |
Der Spruch ist schön, scheint mir aber hier keine gute Wirkung zu tun, und außerdem,
daß der pompöse Ton mit dem Ton des vorgehenden und nachfolgenden merklich dissoniert,
auch den lebhaften Dialog des Dichters mit sich selbst auf eine unangenehme Art zu unterbrechen. Ich
weiß nicht, ob die Sache dadurch besser wird, wenn die eherne Mauer (wie
Lambinus meint) eine Anspielung auf ein paar Verse eines vom
Plato (im 6ten Buche von den Gesetzen)
angeführten alten Dichters ist, welcher sagt: »es sei besser, wenn eine Stadt mit
ehernen und eisernen Mauern (nämlich von gewaffneten tapfern
Bürgern) als mit irdenen beschützt sei.« Es ist
möglich, daß irgend so etwas unserm Autor ganz frisch im Gedächtnis war. Dem sei wie
ihm wolle, diese zwei halben Verse würden dem prächtigsten Heldengedicht Ehre machen: aber
eben darum scheinen sie mir neben der puerorum nenia eine widrige Wirkung zu tun.
|
Flebunt amici et bene noti mortem meam, Nam populus in me vivo lacrumavit satis. Meine Freunde und Bekannte mögen meinen Tod beweinen, denn dem römischen Volke hab' ich lebend Tränen gnug gekostet. |
Man sieht hieraus, warum Horaz seine Stücke lacrimosa nennt. Der gute Mann gehörte
unter die Dichter, welche die Vortrefflichkeit eines Trauerspiels darein setzen, wenn es weinen und
schluchzen macht; und aus dem Schicksale der seinigen (von denen schon zu
Quintilians Zeiten nicht mehr die Rede war) können sich diejenigen
das ihrige weissagen, die sich auf die Tränenbäche so viel zugute tun, die man, wie die
Rede geht, bei ihren Stücken in gewissen deutschen Hauptstädten vergossen haben soll.
|
Aedem conducere, flumina, portus, siccandam eluviem, portandum ad busta cadaver, u. s. w. |
Schon zu Horazens Zeiten (und das waren noch goldne Zeiten gegen Juvenals ) wimmelte es, wie
natürlich, in der Hauptstadt der Welt von Leuten, die ihr Glück
machen wollten; und eine der volkreichsten Straßen, die zum Tempel dieser Göttin
führten, war das Pachten der Zölle und andrer Staatseinkünfte, und aller Arten von
Unternehmungen, wo ein namhafter Schnitt zu machen war. Zu diesen letztem gehörten auch die
Leichenbegängnisse, wobei die Vornehmen und Reichen in Rom große Summen aufgehen zu
lassen pflegten, und welche gewöhnlich von einer Art von Entrepreneurs, die man
Designatores nannte, um eine gewisse verglichne Summe besorgt wurden. Alle diese
Ehrenmänner nahmen es nun freilich mit der Redlichkeit nicht immer so genau, wie der ehrliche
Mann der Stoiker, mit dem man auch im Dunkeln Gerad oder Ungerad spielen
kann; ihnen roch aller Gewinn gut, wie mephitisch seine Quelle sein mochte. Dafür wurden sie
aber auch reich, machten alsdann ein Haus, gaben zu essen, hatten prächtige Villen, lebten mit
den Großen, wurden vom Pöbel angestaunt, und sahen auf so einen ehrlichen Schlucker wie
Nigritius und seines gleichen als auf arme Teufel herab, die nicht
Verstand genug gehabt hatten, ihren Weg zu machen. Dies sind die
Grundzüge, worin sich die Menschen in den Hauptstädten großer Reiche immer
ähnlich gesehen haben, und aller Philosophie und Aufklärung zu trotz immer ähnlich
bleiben werden.
Die Wendung, die er durch das brüske ad summam (mit einem
Wort, oder kurz und gut) nimmt, scheint freilich etwas
Lächerliches auf die ganze Moral, die er bisher mit so vielem Eifer gepredigt, zu werfen; und
also alles Gute, was er beim Mäcen hätte damit ausrichten können, auf einmal wieder
wegzulachen. Aber Horaz kannte die Menschen und den Mann, mit dem ers zu tun hatte, zu gut, um ihm
eine neue Vorstellungsart, die ihm in seiner Lage nicht natürlich sein konnte, geben zu wollen.
Seine Absicht war nicht, den Mäcenas zu bekehren, sondern ihm zu
sagen, wie er für sich selbst denke; und ihm mit guter Art zu
verstehen zu geben: daß von einem Menschen von seiner Denkart nicht zu vermuten sei, daß
er bloß zur Belustigung der Großen in Rom dazusein glauben werde. Daß es unserm
Dichter, bei aller seiner Scherzhaftigkeit, mit seiner Philosophie sehr Ernst gewesen, ist wohl
keinem Zweifel unterworfen; diese ganze Folge von Briefen enthält davon den
vollständigsten Beweis. Aber eben darum geziemte es seiner Urbanität, mit einem Manne wie
Mäcenas nicht den Schulmeister zu machen; zumal, da er vermutlich, so gut als Sokrates und
Shaftesbury, überzeugt war, daß die Art von Licht, worin alles Falsche, Übertriebne
und Unschickliche lächerlich wird, die natürliche Schönheit
der Wahrheit nur desto mehr erhebt, oder, genauer zu reden, in den
Schattenrissen von ihrem Schattenbilde, womit
wir uns statt ihrer selbst behelfen müssen, das Unrichtige, Verschobne, Verschnittene und
Übermäßige nur auffallender macht.