Indessen du zu Rom dich in der Kunst der Ciceronen übest1), edler Lollius, hab' ich in meinem stillen Winkel zu Präneste den Dichter des Trojan'schen Krieges wieder gelesen, der, was schön ist oder schlecht, was nützlich oder nicht, uns faßlichera) und besser lehrt, als Krantor und Chrysipp2). Warum ich dieser Meinung sei, vernimm, wofern du Muße hast. Betörter Fürsten und blöder Völker tolle Hitze schildert die Fabel uns3), worin wir Griechenland und Barbarei zwei schöner Augen wegen in zehenjähr'gem Krieg zusammenstoßen sehn. Antenor rät das Übel an der Wurzel zu schneiden, und das Weib zurückzugeben. Was tut nun Paris? O, der schwört, es soll ihn niemand zwingen glücklich und in Ruhe auf seinem Thron zu sitzen. Nestor eilt | Troiani belli
scriptorem, Maxime Lolli, dum tu declamas Romae, Praeneste relegi. Qui quid sit pulchrum, quid turpe, quid utile, quid non, planius ac melius Chrysippo et Crantore dicit. <5> Cur ita crediderim, nisi quid te detinet, audi. Fabula, qua Paridis propter narratur amorem Graecia Barbariae lento collisa duello stultorum regum et populorum continet aestus. Antenor censet belli praecidere causam. <10> Quid Paris? ut salvus regnet vivatque beatus | |
die Händel zwischen dem Peliden und dem Sohn des Atreus gütlich beizulegen. Vergebens! Diesen brennt die Liebe zu des Priesters Tochter, beide Zorn und Stolz; und was die Fürsten rasen, immer büßen es die Griechen aus. Inn- und außerhalb der Mauern Ilions ist Zwietracht, Trug, Begier und Zorn die Quelle alles Übels. Im Gegenteil, was Tugend und was Weisheit vermögend sei, davon stellt uns Homer ein nützlich Beispiel im Ulysses auf, dem Sieger Trojas, der, durch alle Meere umher getrieben, vieler Völker Städte und Sitten prüfte, und, indem er unverwandt sein großes Ziel, sich und den Seinigen die Wiederkehr ins Vaterland zu schaffen, verfolgt, viel schweres Ungemach erdulden muß; doch unbezwingbar stets die feste Stirn den Stürmen des Geschicks entgegenstemmt. Du kennest der Sirenen lockenden Gesang und Circens Zauberbecher. | cogi posse negat. Nestor componere
lites inter Pelidem festinat et inter Atridem: hunc amor, ira quidem communiter urit utrumque; quicquid delirant reges, plectuntur Achivi. <15> Seditione, dolis, scelere atque libidine et ira Iliacos intra muros peccatur et extra. Rursus quid virtus et quid sapientia possit utile proposuit nobis exemplar Ulyssem, qui domitor Troiae multorum providus urbes <20> et mores hominum inspexit, latumque per aequor dum sibi, dum sociis reditum parat, aspera multa pertulit, adversis rerum immersabilis undis. | |
Hätt' er, wie seine unverständigen Gefährten, blindlings auch daraus getrunken, was war die Folge? Nun sein Leben lang verdammt zu sein, in einer Buhlerin ehrlosem Dienst zu kriechen, ohne Herz, ein geiler Hund, ein unflatliebend Schwein! Welch einen Spiegel hält dies Buch uns vor! Was sind wir, als ein Haufen ohne Namen4), bloß zum Verzehren gut, Penelopeens Sponsierer, Taugenichtse, Hofgesindel des Alcinous, die nichts zu sorgen haben, als sich ein glattes Fell zu ziehen, nicht erröten, bis in den hellen Tag hinein zu schlafen, und, wie ein ernsterer Gedank' sich blicken läßt, ihn flugs beim Klang der Zithern wegzutanzen5). Auf andrer Leben laurend wacht der Räuber die Nächte durch, und du, dich zu erhalten, erwachst nicht? Willst nicht lieber, um gesund zu bleiben, dir Bewegung machen, als wassersüchtig, auf Befehl des Arztes, mit doppelter Beschwerde laufen müssen6)? | Sirenum
voces et Circae pocula nosti; quae si cum sociis stultus cupidusque bibisset, <25> sub domina meretrice fuisset turpis et excors, vixisset canis immundus, vel amica luto sus. Nos numerus sumus et fruges consumere nati, sponsi Penelopae, nebulones, Alcinoique in cute curanda plus aequo operata iuventus; <30> cui pulchrum fuit in medios dormire dies et ad strepitum citharae cessatum ducere curam. Ut iugulent homines surgunt de nocte latrones; ut te ipsum serves non expergisceris? Atqui si noles sanus, curres hydropicus; et nicht | |
Wenn du vor Tag nicht Licht und Buch
verlangst7), um deinen Geist auf edle Gegenstände zu heften, was gewinnest du damit? Daß Liebe oder Neid um deinen Schlaf dich bringen und noch quälen obendrein. Wie eilest du, wenn etwa dir ein Splitter ins Auge fiel, ihn flugs heraus zu kriegen! Warum denn, wenn ein Krebs an deiner Seele nagt, die Heilung stets aufs nächste Jahr verschieben? Frisch angefangen ist schon halb getan. Was säumst du? Wag' es auf der Stelle weise zu sein! Wer recht zu leben eine Stunde nur versäumt, gleicht jenem Bäu'rlein, das am Flusse geduldig stehen blieb, zu warten, bis das Wasser abgeflossen wäre! Tor, die Zeit, die du verlierst, wie dort der Strom, fließt fort, und fließt, und ewig wird sie fließen, nur nie zurück! Allein, zum Unglück hat man so viel Nötigers zu tun! Fürs erste wird Geld gesucht, dann eine Frau, die uns dazu die Erben schaffe, und wenn nichts mehr übrig ist, so pflügt man Wälder um. Wer, was Genug ist, hat, der wünsche sich | <35> posces ante diem librum cum lumine, si non intendes animum studiis et rebus honestis, invidia vel amore vigil torquebere. Nam cur quae laedunt oculum, festinas demere; si quid est animum, differs curandi tempus in annum? <40> Dimidium facti qui coepit habet. Sapere aude, incipe! Qui recte vivendi prorogat horam rusticus expectat dum defluat amnis; at ille labitur, et labetur in omne volubilis aevum. Quaeritur argentum, puerisque beata creandis <45> uxor, et incultae pacantur vomere silvae. | |
nicht Mehr. Haus, Güter, Haufen Goldes und Silbers können des Besitzers Blut vom Fieber nicht befreien, noch von Sorgen sein Herz: gesund muß der zuvörderst sein, der des gehäuften Guts sich freuen will. Plagt ihn Begierde oder Furcht, so hilft ihm Haus und Hof so viel, als Malereien dem Triefaug', Bähungen dem Zipperlein, und Zithern dem, der an den Ohren leidet. Ist dein Gefäß nicht rein, so würde Nektar zu Essig drin. Verschmäh die Jugendlüste! Mit Schmerz erkauft ist Wollust viel zu teuer. Zieh einen engen Kreis um deine Wünsche! Der Geiz'ge darbet ewig, und der Neid wird magrer, wie sein Nachbar fetter wird. Die grausamste der Martern, die ein Phalaris erfand, reicht an die Pein des Neides nicht. Wer seinen Zorn nicht bändigt, wird zu spät bereuen, was die rasche Rachbegier | Quod satis est cui contigit, hic nil
amplius optet. Non domus et fundus, non aeris acervus et auri aegroto domini deduxit corpore febres, non animo curas. Valeat possessor oportet <50> si comportatis rebus bene cogitat uti. Qui cupit aut metuit, iuvat illum sic domus et res ut lippum pictae tabulae, fomenta podagram; auriculas citharae collecta sorde dolentes. Sincerum est nisi vas, quodcumque infundis acescit. <55> Sperne voluptates, nocet empta dolore voluptas. Semper avarus eget; certum voto pete finem. Invidus alterius macrescit rebus opimis: invidia Siculi non invenere tyranni maius tormentum. Qui non moderabitur irae, <60> infectum volet esse dolor quod suaserit et mens, | |
ihm eingab. Zorn ist kurze Raserei. Regiere deine Leidenschaften, zähme sie mit Ketten und Gebiß! Denn sind sie dir nicht untertan, so sind sie deine Herren. Jung lernt das Roß den noch gelehrigen biegsamen Nacken unter seinen Meister zu schmiegen, und den Weg zu gehn, den ihm der Reiter weist. Das junge Windspiel jagt die Wälder rastlos durch, seit es im Hofe die ausgestopfte Hirschhaut anzubellen gelernt hat. Jetzt, o Jüngling, suche die, durch die du besser werden kannst, jetzt sauge mit reiner Brust der Weisheit Lehren ein! Ein Topf verliert den Wohlgeruch nicht leicht, womit er neu durchbalsamt worden ist. Nun, wie du willst! Geh fürder, oder bleibe zurück: Ich werde meines Weges gehen; und weder auf dich warten, wenn du säumst, noch, wenn du mir zuvoreilst, schneller laufen. | dum poenas odio per vim
festinat inulto. Ira furor brevis est; animum rege! qui, nisi paret, imperat; hunc frenis, hunc tu compesce catena! Fingit equum tenera docilem cervice magister, <65> ire viam qua monstret eques. Venaticus, ex quo tempore cervinam pellem latravit in aula, militat in silvis catulus. Nunc adbibe puro pectore verba puer, nunc te melioribus offer! Quo semel est imbuta recens servabit odorem <70> testa diu. Quod si cessas, aut strenuus anteis, nec tardum opperior, nec praecedentibus insto. |
»Ihr, Megarer, seid weder die dritten, noch vierten, noch zwölften, weder an Zahl noch Witz.« |