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Du milder Richter meiner unbedeutenden Sermonen, wie genießest du, Tibull, dein Leben auf dem Lande? Dichtest du vielleicht, was selbst den anmutsvollen Kleinigkeiten des Cassius von Parma1) länger nicht den Vorzug lasse: oder schleichest still und einsam im gesunden Wald umher, und suchst in deinem eignen Herzen was des Weisen und des Guten würdig ist? Du warst nicht bloß ein schönes Bild, dem nichts im Busen schlägt. Die Götter gaben dir zur Schönheit Reichtum, gaben dir zu beidem die seltne Kunst des Lebens zu genießen. Was kann die Amme ihrem lieben Zögling noch Größers wünschen, wenn er, unverdorben an Kopf und Herz, die Gabe, was er denkt, zu sagen, mit der Gabe zu gefallen zu gatten weiß, und Gunst und Ruhms genug, auch einen Überfluß an frischem Blut, ein reinlich Haus, und immer noch für jeden bescheidnen Wunsch so viel im Beutel hat, | Albi, nostrorum sermonum
candide iudex, quid nunc te dicam facere in regione Pedana? Scribere quod Cassi Parmensis opuscula vincat? An tacitum silvas inter reptare salubres, <5> curantem quicquid dignum sapiente bonoque est? Non tu corpus eras sine pectore. Di tibi formam, di tibi divitias dederunt, artemque fruendi. Quid voveat dulci nutricula maius alumno qui sapere et fari possit quae sentiat, et cui <10> gratia, fama, valetudo contingat abunde, et mundus victus non deficiente crumena. | |
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als nötig ist? Dies Glück, Tibull, ist
dein2). Indes das Leben andern zwischen Hoffen und Wünschen, zwischen Furcht und Zorn entschlüpft, nimm du den Tag, der anbricht, für den letzten; so wird dir jede unverhoffte Stunde, die noch hinzu kommt, desto werter kommen. Mich wirst du wohlbeleibt, mit glattem Fell und runden Backen finden, wenn dir einfällt, über ein wohlgenährtes Schwein aus Epikurs verschrienem Stalle lustig dich zu machen3). | Inter
spem curamque, timores inter er iras, omnem crede diem tibi diluxisse supremum: grata superveniet quae non sperabitur hora. <15> Me pinguem et nitidum bene curata cute vises, cum ridere voles Epicuri de grege porcum. |
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Animas, quales neque candidiores terra tulit, neque quis me sit devinctior alter. |
Gleichwohl macht ihn dieser schale Glossierer nicht nur zum Meuchelmörder, sondern gibt auch durch ein innuendo zu verstehen, er habe dem Cassius von Parma das Trauerspiel Thyest bei dieser Gelegenheit gestohlen und hernach als sein eigen Werk in die Welt geschickt. Viele Leute, sagt er, hätten es deswegen geglaubt, weil Varus den Cassius an seinem Schreibtisch ermordet, und den Pult samt den Schriften mit sich genommen, Cassius aber viele Tragödien geschrieben habe. Der Beweis würde immer noch schlecht sein, wenn auch Q. Varus und L. Varius der Dichter die nämliche Person gewesen wären: so aber, da zwei verschiedne Namen natürlicherweise auch zwei verschiedne Personen bezeichnen, straft die Anekdote sich selbst Lügen, und gehört offenbar zu so vielen andern, welche Neid und Bosheit zu allen Zeiten erfunden, und Dummheit ohne Beweis angenommen und fortgepflanzt hat, um den Ruhm der trefflichsten Menschen zu beflecken. Ich würde mich mit dieser Rechtfertigung eines Dichters, der, wiewohl eine der ersten Zierden der schönsten Zeit der römischen Literatur, uns, die wir nichts mehr von ihm besitzen, gleichgültig worden ist, nicht aufgehalten haben, wenn ich dieses schändliche Scholium des unbekannten Glossierers nicht in den besten Ausgaben unsers Dichters, auch von einem Baxter und Geßner, angeführt sähe, ohne daß einer von ihnen ein paar Zeilen daran gewendet hätte, sich der Ehre eines unschuldig verleumdeten Toten anzunehmen.
Horaz spricht hier bloß von opusculis des Cassius von Parma, und gibt uns einen hinlänglichen Begriff von dem Fache, in welches sie gehörten, da er sie mit Tibulls opusculis zusammenstellt, und diesem ein großes Kompliment zu machen glaubt, wenn er ihm zutraut, jenen sogar übertreffen zu können.
Die Ausleger der Alten verfehlen oft bloß dadurch des wahren Sinnes, daß sie dem Autor, als ob er zu wenig an seinem eignen Witz habe, auch noch von dem ihrigen leihen wollen, der nicht immer von der besten Sorte ist. Cruquius wittert hier eine Ironie, wo gewiß sonst niemand eine finden wird; und Baxter meint, opuscula habe hier einen ganz besondern Nachdruck, und wolle so viel sagen, als Werke, die mit Gold aufgewogen zu werden verdienen. Als ob opuscula, wo die Rede von kleinen, leichten, gelegenheitlichen, scherzhaften, oder erotischen Gedichten ist, etwas anders als opuscula sein müßten!
Vorzüglich bemerkenswürdig ist übrigens, daß Horaz freimütig genug
war und sein durfte, eines ehemaligen Freundes
seiner Jugendjahre namentlich und rühmlich zu erwähnen, der einer von den Mördern
Cäsars, ein Anhänger des M. Brutus, und so sehr ein Feind der Julischen Partei und
des nachmaligen Augusts gewesen war, daß er, nach Brutus und Cassius Tode, sich in einer Art
von Verzweiflung lieber zum Antonius schlagen, als dem Octavianus ergeben wollte. Auch dies ist ein
Zug, der uns mit dem sittlichen Charakter unsers von dieser Seite zu wenig gekannten Dichters
vertrauter machen hilft. Wir werden in der Folge noch auf mehr solche Äußerungen
stoßen, welche beweisen, daß er, mitten unter den eigennützigen oder
wollüstigen Höflingen eines alles vermögenden und bei aller seiner
Mäßigung und affektierten Bescheidenheit nicht immer ungefährlichen Usurpators, das
Recht zu sagen, was er dachte (fari quae sentiat), sehr gut zu
behaupten wußte. Denjenigen, der vielleicht hinzusetzen wollte, daß dies dem August eben
so viel Ehre mache, als dem Horaz, würde ich an eine Anekdote erinnern, die uns
Sueton aufbehalten hat, und die so völlig im Charakter des erstern
ist, daß man sie sogar einem alten Glossator glauben dürfte. Ein gewisser Ämilius
Älianus von Corduba war verschiedner Verbrechen halber angeklagt worden, welche August selbst
untersuchen wollte. Der Kläger, um seinen übrigen Beschuldigungen desto mehr Gewicht zu
geben, machte hauptsächlich diese gelten: Älianus pflege sich sehr ungebührliche
Reden über den August zu erlauben. »Das sollst du mir gleich beweisen, fiel ihm August
mit angenommener Hitze ins Wort: ich will dem Älianus zeigen, daß ich auch eine Zunge
habe! Ich will noch mehr über ihn sagen, als er über mich.« Und da Tiberius in einem
Schreiben an seinen Stiefvater sich über eben diesen Gegenstand sehr heftig ereiferte,
antwortete ihm August: er möchte seiner Jugendhitze nicht zu viel erlauben, und nicht so sehr
ungehalten darüber werden, daß jemand übel von ihm spreche: Es
ist genug, setzte er hinzu, daß wir's dahin gebracht haben,
daß uns niemand nichts Übels tun kann. Octavianus hatte sich den Weg
zur höchsten Gewalt durch so schändliche und grausame Mittel gebahnt, daß es nun
bloße Klugheit vom Augustus war, mit Gelindigkeit zu regieren, und
mit dem schönen Glanze dieses neuen, lauter Gutes zusagenden Namens die Verbrechen zuzudecken,
womit sein voriger besudelt war.
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Tacitum silvas interreptare salubres curantem quicquid dignum sapiente bonoque est, |
auf ihn hätte passen, oder so ein Wunsch wie dieser:
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Sit mihi quod nunc est, etiam minus: ut mihi vivam quod superest aevi etc. |
jemals in seine weichliche Seele gekommen sei. Für ihn sind seine Auen und Gebüsche und Lauben nichts als Szenen seiner verliebten Neigungen; und allen Reiz, den sie für ihn haben, empfangen sie von der Gegenwart seiner Delia. Für Horaz ist sein kleiner Meierhof der Ort,
| der ihn sich selber wieder gibt, |
und wenn er mit einer so herzlichen Ausdehnung der Brust ausruft:
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O du mein liebes Feld, wenn werd' ich dich einst wieder sehn? Wenn wirds so gut mir werden, bald mit Homer und Plato, bald in freier zweckloser Träumerei und ungestörtem Schlummer ein liebliches Vergessen aller Plage und Eitelkeit des Lebens einzuatmenIV)! |
so braucht er nicht, wie Tibull, seine Wiesen und Anger durch die Magie seiner Einbildung in ein wollüstiges Elysium zu verwandeln, wo
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iuvenum series teneris immixta puellis ludit, et assidue proelia miscet AmorV). |
Tibull läßt, mitten im Anpreisen seines jetzigen unscheinbaren Wohlstands, manchen verstohlnen Blick, nicht ohne kaum zurückgehaltene Seufzer, auf das glänzendere Glück, das er nie genossen, aber zu genießen geboren war, fallen; und er scheint angenehmer Zerstreuungen als eines Nepenthes zu bedürfen, der ihn vor schmerzlichen Erinnerungen bewahre. Horaz hingegen sieht, im Genusse seines kleinen Glücks, seine Wünsche übertroffenVI) er hat nichts mehr zu wünschen, als daß ihm bleibe, was er hat, und es könnte weniger sein, ohne daß er etwas verloren zu haben glaubte. Tibulls Leben war ein Traum, und sein Glück eine süße Berauschung der Seele. Horaz hatte wachend gelebt, und durch seine Erfahrung zwei große Schätze gewonnen, Weltkenntnis und Kenntnis seiner selbst. Zwar hatte er auch gespieltVII), und schämte sich dessen nicht; aber er wußte aufzuhören, und der Tumult des Lebens und der Ergötzungen hatte sein Ohr nicht stumpf gemacht, die leise Stimme seines Genius, seines bessern Selbst zu hören, die ihn ermahnte, mit sich selbst zu leben, und in sich zu suchen, was die Menschen sonst überall suchen, als da, wo sie es finden würden, und sich dann verwundern oder ärgern, daß es nicht zu finden sei.
Horaz hat also, allem Ansehen nach, dem Tibull zu viel Ehre angetan, wenn er ihn in der Stelle:
Quid dulci voveat nutricula maius alumno, gleichsam an seinen eignen Platz setzt; ja
vielleicht schon zu viel, wenn er ihn nur für weise genug hielt, sich den feinen Wink, den er
ihm dadurch gab, zu Nutze zu machen. Tibull hatte das alles, weswegen ihn sein Freund glücklich
preist; nur mit dem Sapere scheint es nicht so ganz richtig bei ihm gewesen zu sein; und das
war's doch gerade, was alles übrige erst gut machen mußte.
Doch, um der Leser willen, die mit den Alten nicht bekannt genug sind, um das Salz dieses Scherzes
so fein zu finden, als es Tibull vermutlich fand, sei uns noch erlaubt ein paar Worte hinzuzutun.
Die Epikurische Philosophie, welche das Wort Wollust ein den
Römern von jeher verhaßtes Wort gebrauchte, um das Ideal dessen, worin sie
die Glückseligkeit der Weisen setzte, zu bezeichnen, hatte bloß
um dieses Wortes willen ein allgemeines Vorurteil wider sich. Denn mitten unter der
zügellosesten Verdorbenheit der Sitten wollten die Römer doch
nicht dafür angesehen sein, daß sie auch der Denkart, oder
wenigstens der Sprache ihrer edeln Vorfahren entsagt hätten.
Überhaupt dachte man sich gewöhnlich unter einem Epikuräer
einen Freigeist, einen Menschen, dem Religion und Tugend nur leere Namen wären; und sowohl die
Deklamationen des Cicero, als die Aufführung einiger vornehmen Römer dieser Zeiten, die
(um doch auch eine Philosophie zu haben) die Epikurische ausgehängt hatten, schienen das
Ärgste, was man von ihr denken wollte, zu rechtfertigen. In Augusts Zeiten wurde zwar vieles in
einem minder strengen Lichte betrachtet, als ehemals; aber der gemeine Begriff, den man sich von
einem Epikuräer zu machen gewohnt war, blieb noch immer; und wiewohl Leute, die eine polite
Erziehung genossen und ihre Studien in Griechenland gemacht hatten, sehr wohl wußten, was an
der Sache war: so nahmen sie doch das Wort, wenigstens im Scherze, wie mans im gemeinen Leben zu
nehmen pflegte. Wenn sich also Horaz, um dem Tibull auf eine scherzhafte Art zu sagen, er werde ihn
durch den müßigen Aufenthalt auf dem Lande fetter und runder finden, als zuvor, sich, mit
einer ihm gewöhnlichen Dilogie, ein Epikurisches Schwein nennt, so
geschieht es ohne alle Konsequenz für diese Sekte, weil eine solche Benennung in seinem Munde
nichts anders als indirekter Spott über ein vulgares Vorurteil sein
konnte; aber auch ohne Konsequenz für ihn selbst, weil er, um dieses vermeinten
Selbstgeständnisses willen (wofür Brucker und andre es ihm in
vollem Ernst aufnehmen), nicht um ein Haar mehr Epikuräer war, als
Cicero, da er an seinen jovialischen Freund
Pätus
schriebX):
Illa mea quae solebas antea laudare »o hominem facilem! o hospitem non
gravem!« abierunt. In Epicuri nos adversarii nostri castra coniecimus etc. »Mit den
Lobsprüchen, die du ehemals meiner Begnügsamkeit zu erteilen pflegtest, ists nun vorbei.
Ich bin der bequeme Gast nicht mehr, der sich alles gefallen läßt, mit allem vorlieb
nimmt, mein guter Pätus: wir sind zu unserm ehemaligen Feind Epikur
übergegangen. Nicht als ob wir den Eifer für unsre neue Partei schon so weit
trieben, wie die bekannten Häupter derselben: vor der Hand begnügen wir uns noch an der
geschmackvollen Eleganz, zu welcher du selbst dich bekanntest, als es noch wohl um deine Finanzen
stand. Mache dich also immer auf einen Gast von großem Appetit gefaßt, und der in der
Theorie des guten Essens schon ansehnliche Fortschritte getan hat, u. s. w.« Es ist
für die Ciceronen und Horaze traurig, wenn sie Leser haben, denen man erst
sagen muß, was Scherz ist: aber die Leser, die weder Scherz
verstehen noch leiden können, sind doch noch schlimmer daran. Sie sollten mit ihrem Arzt aus
der Sache sprechen.