|
Das erste, Freund, wo nicht das einzige, das glücklich machen und erhalten kann, ist nichts bewundern1). Wenn es Leute gibt, die diese Sonne selbst und diese Sterne, dies große Uhrwerk der Natur, wodurch die Zeiten sich in ew'gem Kreise drehen, gesetzt und ohne Schauder ansehn können2): Wie meinst du wird ein solcher Mann die Schätze der Erde und des Meers, ein Klümpchen Gold, ein Häufchen runder Perlen, oder, wie den lauten Beifall, Gauklern, Fechtern, Sängern im Zirkus oder Schauspiel zugeklatscht, und was der Ehrgeiz von der Volksgunst bettelt3), mit welchem Sinne, welchen Augen wird er solche Dinge ansehn? Wer das Gegenteil von ihnen fürchtet, und wer vor Begier sie zu besitzen brennt, sind beide am Bewundrungsfieber krank, und werden beide von einerlei Gespenst geschreckt. Ob einer an Freude oder Traurigkeit, an Furcht sein alles zu verlieren, oder an Verlangen | Nil admirari
prope res est una, Numici, solaque quae possit facere et servare beatum. Hunc solem et stellas et decedentia certis tempora momentis, sunt qui formidine nulla <5> imbuti spectent: quid censes munera terrae, quid maris, extremos Arabas ditantis et Indos? Ludicra quid, plausus, et amici dona Quiritis? Quo spectanda modo, quo sensu credis et ore? Qui timet his adversa, fere miratur eodem <10> quo cupiens pacto: pavor est utrobique molestus, improvisa simul species exterret utrumque. | |
|
nach allem, was ihm mangelt, krank ist was verschlägts, wenn, was er über oder unter seiner Hoffnung erblickt, sein starrend Auge fesselt und, wie durch Zauber, ihn an Seel und Leib betäubt? Der Weise zieht den Namen eines Toren sich zu, und Aristid wird ungerecht, sobald sie selbst die Tugend weiter treiben, als eben recht ist. Geh nun, staune Silber und Marmorbilder an von alter Kunst, bewundre mir Korinthische Gefäße, und Edelsteine und Sidonsche Zeuge von hohen Farben4)! Tu' dir was darauf zu gut, daß tausend Augen, wenn du sprichst, auf dich geheftet sind! Sei stets der erste im Forum, und der letzte, der des Abends nach Hause geht, damit du ja das Unglück nicht erleben müssest, daß ein Erdensohn wie Mutus dir hinterm Rücken eine reiche Erbin wegschnappe, deren Geld ihn auf der Stelle zu deinem Bessern macht! Denn freilich wärs nicht auszustehen, wenn ein solcher Mensch, von solcher Herkunft, einem Mann wie du | Gaudeat an doleat, cupiat metuatne, quid ad rem si, quicquid vidit melius peiusve sua spe defixis oculis animoque et corpore torpet? <15> Insani sapiens nomen ferat, aequus iniqui, ultra quam satis est virtutem si petat ipsam. I nunc, argentum et marmor vetus, aeraque et artes suspice, cum gemmis Tyrios mirare colores! gaude quod spectant oculi te mille loquentem! <20> Gnavus mane forum et vespertinus pete tectum, ne plus frumenti dotalibus emetat agris Mutus, et (indignum, quod sit peioribus ortus!) | |
|
den Vorsprung abgewänne, und du ihn bewundern müßtest, nicht er dich! Wie schwach! Kannst du der Zeit verwehren, daß sie nicht ans Licht hervorzieh', was jetzt noch mit Erde bedeckt ist, und was jetzt im Sonnenschein uns anglänzt, einst in tiefem Schutt begrabe? Und wenn der Säulengang Agrippas und die Straße des Appius dich noch so gut gekannt5), am Ende mußt du doch dahin, wo Numa und Ancus. Wenn ein körperlicher Schmerz dich peinigt, rufst du nicht den Arzt herbei, und suchst des Übels los zu werden? Gut! Wer etwas will, muß auch die Mittel wollen. Du möchtest glücklich sein? Wer will das nicht? Und wenn die Tugend nun, und sie allein, dich glücklich machen kann: wohlan, so laß es Ernst dir sein, entschließe dich, der Tugend dich ganz zu weihn, und weg mit allen Üppigkeiten! Hältst du sie aber bloß für einen Namen Wie einen heil'gen Hain für bloßes Holz6): dann alle Segel aufgespannt, der erste zu sein, damit kein andrer früher komme, die Cibyratschen und Bithynischen Geschäfte7) | hic
tibi sit potius, quam tu mirabilis illi. Quicquid sub terra est, in apricum proferet aetas, <25> defodiet condetque nitentia. Cum bene notum porticus Agrippae et via te conspexerit Appi, ire tamen restat Numa quo devenit et Ancus. Si latus aut renes morbo temptantur acuto, quaere fugam morbi. Vis recte vivere? Quis non? <30> Si virtus hoc una potest dare, fortis omissis hoc age deliciis! Virtutem verba putas ut lucum ligna? Cave, ne portus occupet alter, ne Cibyratica, ne Bithyna negotia perdas! | |
|
dir vor dem Munde wegzufischen. Ruhe nicht, bis du dir eine Million zusammen- geründet hast, dann wieder eine, und dann noch die dritte; kannst du sie quadrieren, um so viel besser! Geld ist Königin der Welt, schafft alles dir, ein reiches Weib, Kredit und Freunde, Schönheit, Adel, alles! Die Überredung wohnt auf deinen Lippen, und Venus schmückt mit ihrem Gürtel dich. Der Kappadozier König ist an Sklaven reicha) und arm an Geld; du willst auf diesen Fuß kein König sein! Man sagt, Lucullus sei einmal gebeten worden, ob er nicht zu einem Schauspiel hundert Purpurröcke dem Prätor leihen könnte. Hundert? habe Lucull versetzt, wie käm' ich zu so vielen? Indessen will ich nachsehn lassen; was sich findet, steht zu Dienst. Nach einem Weilchen schreibt er zurück: es hätten sich indessen fünftausend Purpurröck' in seinem Hause | Mille talenta
rotundentur, totidem altera porro, <35> tertia succedant et quae pars quadret acervum. Scilicet uxorem cum dote, fidemque et amicos et genus et formam regina pecunia donat, ac bene nummatum decorat Suadela Venusque. Mancipiis locuples eget aeris Cappadocum rex; <40> ne fueris hic tu! Chlamydes Lucullus, ut aiunt, si posset centum scaenae praebere rogatus, qui possum tot? ait: tamen et quaeram et quot habebo mittam. Post paulo scribit, sibi milia quinque | |
|
gefunden, und sie könnten immer, was sie brauchten, oder alle holen lassen. Das muß ein armes Haus sein, wo nicht viel Unnützes ist, wovon der Herr nichts weiß, und das den Dieben nur zustatten kommt. Wenn also, wie gesagt, bloß Geld und Gut uns glücklich machen und erhalten kann: so laß dies deine erste Sorge beim Erwachen, und wenn du schlafen gehst, die letzte sein! Ists Gunst des Volks, Befördrung, Ansehn, Rang, so kaufen wir uns einen Sklaven, der ganz Rom auswendig weiß8), und wenn wir durch die Straßen gehn, uns in die Seite bohrt, um über einen Karrn voll Steine, oder zwischen emporgezognen Balken, diesem bald, bald jenem Ehrenmann die Hand zu reichen: »Der« (raunt der Nomenclator dir ins Ohr) »vermag ein Großes in der Fabischen Zunft, der alles in der Claudischen: er gibt die Fasces, wem er will und mag, und wem er übel will, der mache sich nur keine Hoffnung zum kurulschen Throne!« | esse domi chlamydum; partem, vel tolleret omnes. <45> Exilis domus est ubi non et multa supersunt et dominum fallunt et prosunt furibus. Ergo, si res sola potest facere et servare beatum, hoc primus repetas opus, hoc postremus omittas. Si fortunatum species et gratia praestat, <50> mercemur servum qui dictet nomina, laevum qui fodicet latus, et cogat trans pondera dextram porrigere: »Hic multum in Fabia valet, ille Velina, cui libet is fasces dabit, eripietque curule cui volet importunus ebur«; frater, pater adde, | |
|
Hübsch allen Leuten freundlich zugenickt, und jeden gleich, wie es sein Alter gibt, zum Vater oder Bruder adoptiert! Lebt aber der nur wohl, der trefflich ißt, wohlan! es tagt, auf! wo der Gaum uns hinführt! zum Fischen und zum Jagen! Machen wir ganz Rom zum Zeugen unsrer Schlemmerei! Wie einst Gargil, der einen langen Zug von Jägersburschen, Eseln, Tüchern, Netzen und Knebelspießen morgens übern Markt, wo sichs am dichteten drängte, ziehen ließ, damit der Pöbel gaffend früge, wem der Jagdzeug zugehör' und sähe wie ein Maultier, unter vielen, im Triumph die bar gekaufte Sau nach Hause trug9). Von einer Nacht zur andern fortgeschmaust, und sollten wir bei immer vollem Magen nie wieder aus dem warmen Bade kommen! Was kümmert uns die Sittlichkeit, der Wohlstand? Wir habens mit den Zensorn einmal schon verdorben, sind Ulyssens Schiffsvolk, das uneingedenk des Vaterlands aus Circens Becher zum Vieh sich trinkt, sich an den Sonnenrindern zu Tode frißt, und aller Warnung lacht. | <55> ut cuique est
aetas, ita quemque facetus adopta. Si bene qui cenat bene vivit, lucet, eamus quo ducit gula, piscemur, venemur! Ut olim Gargilius, qui mane plagas, venabula, servos, differtum transire forum populumque iubebat, <60> unus ut e multis populo spectante referret emptum mulus aprum. Crudi tumidique lavemur, quid deceat quid non obliti, Caerite cera digni, remigium vitiosum Ithacensis Ulyssei, cui potior patria fuit interdicta voluptas. | |
|
Ist endlich, wie Mimnerm, der Dichter, meint, kein glücklich Leben ohne Scherz und Liebe10), so leb' in Scherz und Liebe! Und hiemit gehab dich wohl! Weißt du was Besseres, so teile mir es unverhohlen mit; wo nicht, so reicht dies für uns beide zu. | <65> Si, Mimnermus
uti censet, sine amore iocisque nil est iucundum, vivas in amore iocisque! Vive, vale! Si quid novisti rectius istis, candidus imperti; si non, his utere mecum! |
Doch, es wäre nicht artig, wenn wir länger mit einem Worte spielen wollten, um Zitationen und Gelehrsamkeit auszukramen. Wenn Plato das Bewundern (To Jaumazein) einen philosophischen Affekt nennt, so denkt er was ganz anders dabei, als Horaz, wenn er das Nichtbewundern zur Bedingung der Glückseligkeit macht. Die Platonische Bewunderung ist, wie die Platonische Liebe, eine Leidenschaft, die sich weder lehren noch auf andre Weise mitteilen läßt. Man muß von der Natur ausdrücklich dazu organisiert und gestimmt sein: und nur sehr wenige Sterbliche sind so glücklich organisiert und so rein gestimmt. Die Bewunderung hingegen, die uns Horaz verbietet und wovon uns die Weisheit heilt, ist die Leidenschaft, womit Kinder, und alle Menschen ohne Ausnahme, die am Verstande Kinder geblieben sind, ihrer Unwissenheit und Sinnlichkeit wegen, alles anstaunen, was glänzt, und was bunt, ungewöhnlich, oder sonst in ihren Augen herrlich und begehrenswert ist; und da diese Leidenschaft bei ihnen nicht etwa den edeln Trieb, die Sache philosophisch zu untersuchen, sondern bloß eine heftige Begierde sie zu besitzen erzeugt: so ist klar, daß nichts bewundern für die Gemütsruhe und Zufriedenheit eines Menschen eine sehr ersprießliche Sache, und, vorausgesetzt, daß es die reife Frucht der Weisheit, und nicht bloße mechanische Wirkung von Dumpfheit oder Gefühllosigkeit sei, wenigstens in den Jahren des Schreibers dieser Epistel und seines Übersetzers, ein sehr wünschenswürdiger Zustand ist.
Übrigens bemerke ich nur noch im Vorbeigehen, daß einem noch höhern und
philosophischern Sinne den unser Dichter hier besonders im Auge zu haben scheint
nichts bewundern eine Grundlehre der
Aristippischen Philosophie ist, die (wie beim ersten Briefe schon gezeigt
worden) die Glückseligkeit des Weisen in der Unabhänglichkeit der
Seele sucht, und also eine erklärte Gegnerin aller
Leidenschaften ist, durch welche irgend einem Gegenstande
unbestimmte Gewalt über uns eingeräumt wird.
Octavianus hatte, nachdem er durch den Tod des Antonius zum ruhigen Besitz der vollen Autokratie im römischen Reiche gelangt war, einem Plan zufolge, den der Abbé de la Bléterie in seinen bekannten Dissertationen sehr gut entwickelt hatII), dem Senat und dem Volke alle von ihm empfangene triumviralische Gewalt zurückgegeben, und die Römer dadurch, dem Scheine nach, oder auf einen Augenblick wenigstens, in den vollständigen Besitz ihrer alten Freiheit zurückgesetzt. Nun machte zwar der Senat (dessen größter Teil aus Geschöpfen seiner eignen Hand bestand) und das Volk, welches von einer ganz schwärmerischen Leidenschaft für ihn besessen war, keinen andern Gebrauch von dieser Freiheit, als daß sie ihm alles, was er ihnen so großmütig geschenkt hätte, auf einmal wiedergeben wollten. Octavianus aber, oder, wie er nun hieß, Augustus, zu vorsichtig, die monarchische Gewalt, den eifrigsten Wunsch seines Herzens, auf einen so sandigen Grund zu bauen, hielt es für sichrer, sich alle Zweige derselben nach und nach wiedergeben zu lassen; und nahm damals, nach langem Widerstande, außer der tribunizischen Gewalt, die er schon hatte, nur die konsularische (wie gewöhnlich) auf ein Jahr, und die Oberfeldherrnstelle auf zehn Jahre an: mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, solche noch eher niederzulegen, wenn die ihm zugeteilten Provinzen in kürzerer Zeit vollkommen beruhigt werden könnten.
Seit dieser Zeit schien nun alles wieder in Rom seinen gesetzmäßigen Gang zu gehen: der Senat in sein altes Ansehen, das Volk in alle seine hohen Vorrechte wieder eingesetzt. Das letztere hielt seine Comitia, wie in den Zeiten der Scipionen und Paul-Ämile, wählte Zunftmeister, Ädilen, Prätoren und Konsuln; kurz, die Römer wähnten noch immer Römer zu sein, und sahen in August, der hinter der Szene alle Faden des ganzen Puppenspiels in der Hand hatte, nur den Schutzgott ihrer Freiheit, den Wiederhersteller des Friedens und der allgemeinen Glückseligkeit.
Aber konnte der furchtsame August bei allen seinen Kunstgriffen die Augen der Römer so zu bezaubern, daß sie nicht sehen wollten, was sie sogar mit Händen greifen konnten konnte er hoffen, daß eine so grobe Täuschung von langer Dauer sein werde? Daß seine Mitbürger nicht über Nacht nüchtern genug werden könnten, um zu merken, daß ein Mann, der die Würden eines Fürsten des Senats, eines Oberzunftmeisters, eines Konsuls, und eines Oberfeldherrn mit unbeschränkter Gewalt, in seiner Person vereinigte, alles im Staat könne, was er wolle; daß die Republik ein bloßer Name, und der Sohn des Ratsherrn C. Octavius und der Dame Atia, ohne den Namen eines Königs, im Grunde so gut König über Rom, Italien und das ganze Reich sei, als der König von Kappadozien über seine Sklaven?
Eine solche Bemerkung, wenn sie bei abgekühltem Blute von dem größern Teile der Römer gemacht worden wäre, konnte gefährlich werden. August mußte also einen neuen Schritt tun, neue Blendwerke machen, um die Täuschung zu verstärken; und wenn ers gar so weit bringen könnte, daß die Römer durch neue Erfahrungen fühlbar überzeugt würden, die alte Freiheit ihrer Vorfahren sei kein Gut mehr für sie, und es sei also immer noch am besten getan, die gemeine Wohlfahrt einem so milden und weisen Regenten, wie August sich seit dem Ende des Triumvirats bewiesen hatte, gänzlich anzuvertrauen: so glaubte er (und betrog sich nicht in seiner Meinung), daß sogar eine noch ausgedehntere und unumschränktere Gewalt, als diejenige, in deren Besitz er schon war, nichts Verhaßtes mehr haben würde.
Zu diesem Ende dankte August, im Jahre 731, das Konsulat, welches er nun
neun Jahre hinter einander geführt hatte, feierlichst ab; und so groß war noch immer der
Begriff, den die Römer mit dem Namen eines Konsuls verbanden, daß August durch die
Ablegung dieser Würde, ungeachtet er noch unter vielen andern Titeln Meister von der Republik
blieb, in ihren Augen in den Privatstand zurückgetreten war. Zwar
überfiel bald darauf, bei der großen Not, in welche die Stadt durch epidemische Seuchen,
Ergießung der Tiber und Mangel an Lebensmitteln gesetzt wurde, die Römer eine große
Reue, daß sie diese Abdankung angenommen hatten; und zu Vergütung der Sünde, die sie
dadurch an dem göttlichen August begangen zu haben glaubten, wollten sie ihm die höchste
Würde eines immerwährenden Diktators mit Gewalt aufdringen. Aber
August erinnerte sich an das Schicksal seines Groß-Oheims, und lehnte diese Wirkungen einer
unmäßigen Aufwallung auf eine solche Art von sich ab, die ihn noch mehr zum Abgott des
Volks machen mußte. Nun konnte er zwar (und wollte auch
gewißlich nicht!) die Entschädigung nicht gleichfalls von sich
weisen, die ihm das Volk dafür aufzwang: aber um zu zeigen, wie sehr es sein Ernst sei,
die Freiheit der Republik durch alle die Vorrechte, womit man ihn
überhäuft hatte, nicht zu beschränken, entfernte er sich im
Jahre 732, unter einem scheinbaren Vorwand, aus Italien, und brachte beinahe drei Jahre in
Sizilien, Griechenland und Asien damit zu, die Majestät des römischen Namens in den
Provinzen dieses weitläufigen Reichs und unter den auswärtigen Nationen auf eine Art zu
behaupten, die zu gleicher Zeit seinen Ruhm befestigte, und der Welt darüber, wer eigentlich
ihr Beherrscher sei, keinen Zweifel übrig ließ.
Diese drei Jahre, da die Stadt Rom seiner Gegenwart beraubt und gleichsam
sich selbst überlassen war, können in gewissem Sinne
als die letzten angesehen werden, worin die Römer der Illusion, noch frei zu
sein, wirklich genossen; und wo ein Ausländer, der, ohne von der wahren Lage der Sache
unterrichtet zu sein, in diese Hauptstadt der Welt gekommen wäre, wenig oder nichts von der
Veränderung, die seit 25 Jahren mit ihr vorgegangen war, hätte gewahr werden
können. August selbst hatte seine geheime Absicht, warum er sie in diesem berauschenden
Freiheitswahne nicht stören wollte; und sein ganzes Betragen in Rücksicht auf die innern
Angelegenheiten Roms während dieser langen
AbwesenheitIII)
würde unerklärbar sein, wenn man nicht annähme, daß er die Römer
bloß deswegen sich selbst überließ, um ihnen zu zeigen, wie wenig sie seiner
entbehren könnten. Der Erfolg rechtfertigte die Politik seines Betragens; und er erreichte
seine Absicht, ohne daß er sich die mindeste Bewegung dabei zu geben schien, aufs
vollständigste.
Die Römer, die schon zu lange verlernt hatten durch den bloßen Respekt der Gesetze in
Schranken gehalten zu werden, bedienten sich der Freiheit der Komitialversammlungen und des
Wahlrechts ihrer höchsten Obrigkeiten auf eine so übermütige und tumultuarische Art,
daß die Stadt in Faktionen geteilt und mehr als einmal durch gewaltsame Ausbrüche in
Gefahr gesetzt wurde. Aber so groß war in diesen Augenblicken die Täuschung des
Freiheitswahns: daß ein gewisser Egnatius Flaccus, durch die
bloße Gunst, in die er sich als Ädilis beim Volke gesetzt
hatte, gegen alle Ordnung die Prätur erhielt und unmittelbar nach
Verfluß derselben durch eben dieses Mittel das Konsulat an sich zu
reißen suchte, ohne sich um die Folgen der aufrührischen Szenen, die er dadurch
veranlaßte, zu bekümmern daß der damalige Konsul Sentius
Saturninus, der sich diesen widergesetzlichen Anmaßungen mit einer Standhaftigkeit und
einem Ernst, die der alten Zeiten würdig
warenIV),
entgegensetzte, kein Bedenken trug öffentlich zu erklären: wenn Egnatius auch vom Volk
erwählt würde, so werde er doch nie dahin gebracht werden, die
Wahl für gültig zu erkennen und auszurufen daß eben
dieser Saturninus die Kandidaten zur Quästur, die er als
unwürdig ausgeschlossen hatte, und die, ohne sich daran zu kehren, in ihren Bewerbungen beim
Volke eifrig fortfuhren, ganz im Ton eines altrömischen Oberhaupts der Republik, mit den
Strafen, wozu ihm das Konsulat die Macht gebe (consulari vindicta), bedrohte und
daß der Senat, als es mit den Egnatianischen Unruhen ernsthafter zu werden anfing, dem
Saturninus den altrepublikanischen Auftrag, videret consul ne quid res publica detrimenti
capiat, machte, wodurch ihm eine außerordentliche Gewalt übertragen wurde, die keine
andre Grenzen hatte, als sein eignes Urteil über das, was zum Heil des Staats notwendig sei.
Diese Tatsachen beweisen, deucht mich, sehr einleuchtend, daß weder das Volk, noch Egnatius,
noch Saturninus, noch der Senat, in den Augenblicken, da sie so handelten, sich erinnerten,
daß sie einen Oberherrn hätten. Die Täuschung
konnte zwar nach so heftigen Zuckungen nicht lange mehr dauern: aber genug, sie hatte doch etliche
Jahre gedauert; und, da der gegenwärtige Brief (nach Bentleys wahrscheinlicher Berechnung)
nicht vor dem Jahre 73 5 geschrieben ist; so erläutert sich durch das bisher Gesagte, warum
Horaz von den allvermögenden Wirkungen der Volksgunst, und von der Art, sich um die
höchsten Ehrenstellen zu bewerben, in einem Tone spricht, der nur wenige Jahre später
nicht mehr schicklich gewesen sein würde. Damals, da er so sprach, paßten seine
Ausdrücke sehr gut zu dem, was vor seinen Augen geschah: und es sei nun, daß er selbst
durch das Blendwerk von Freiheit, womit August die Römer zur Vollendung seines ehrgeizigen
Plans anköderte, hintergangen wurde: oder (welches eher zu glauben ist) daß er
scharfsinnig genug war, den leisen und geheimen Gang dieses Meisters in den schlauesten Wendungen
der Staatskunst von ferne zu wittern: in beiden Fällen war die Art, wie er sich
ausdrückte, für den Augenblick schicklich welches alles ist, was
ich mit dieser historischen Erläuterung beweisen wollte.
Die Leidenschaft der Römer für Edelsteine, Trinkgeschirre aus Onyx mit erhabnen Bildern,
Juwelen und Perlen u. s. w. schrieb sich von den Zeiten her, da Pompejus seinen Triumph
über den Mithridates hielt, und stieg in kurzem auf eben den Grad von Ausschweifung, wie alle
übrige Zweige ihres ungeheuern Luxus. Man mußte goldne Betten und
einen edelsteinernen Hausrat (wie Seneca sich
ausdrücktVII))
haben, um sich über das Gewöhnliche zu erheben. Unter den kostbarsten Trinkgeschirren, die
in diesen Zeiten Mode waren, findet man auch häufig einer Gattung erwähnt, welche sie
Murrhina nannten, und die man, bei dem wenig befriedigenden Bericht, den
Plinius davon gibt, nicht ohne Wahrscheinlichkeit mit dem gelehrten
SaumaiseVIII)
für eine Art von Porzellan halten könnte. Denn daß die Römer sie aus den
entferntesten Morgenländern zogen, sagt Plinius selbst, und dies ist das einzige Begreifliche,
was er davon sagt. Daß aber diese Murrhina dem Golde an Wert
vorgingen, ist außer Zweifel. Petronius Arbiter, als er vom Nero
genötiget wurde aus der Welt zu gehen, zerbrach vorher, um den Tyrannen des schönsten
Stücks seiner Verlassenschaft zu berauben, eine große Vase von dieser Art (trullam
murrhinam), welche über 12 000 Taler gekostet hatte. Alles dies machte nun
freilich einen ungeheuern Kontrast mit jenen Zeiten, wo die ersten Männer im Staat noch aus
Schüsseln von Campanischer Töpferarbeit aßen; wo der Konsul
Älius Catus das Silbergeschirr, das ihm die Gesandten der
Ätolier (die ihn bei irdnen Schüsseln angetroffen) zum Geschenke machen wollten, wieder
zurückschickte; und wo ein Scipio Africanus selbst, der bei seinem
Triumph über Karthago 470 000 Pfund Silbers ins Capitolium eingeführt hatte,
nicht mehr als 32 Pfund an Silbergeschirr
hinterließIX),
und doch, nach damaligem Maßstab, als ein reicher Mann starb.
|
Laß mich, bei frischem Blut und sorgenfrei, sechzig erreichen. Aber, o Parze, dann flugs! schneide den Faden mir ab. |
Solon, der noch in einem weit höhern Alter seine Scheitel, wie Anakreon, mit Rosen kränzte, schrieb ihm:
|
Ändre mir das und singe dafür: mit achtzig, o Parze, (immer noch frühe genug) schneide den Faden mir abXVIII). |
Aber die Parze strafte den Dichter, der, nicht so weise wie Solon, versäumt hatte, in der schönen Zeit des Lebens für den Winter zu sorgen. Er wurde älter als sechzig, und kränkelte noch in diesem Alter an Liebe für eine schöne junge Flötenspielerin, die ihm wenig Ursache gab, sich für ihre Gütigkeiten zu bedanken. Indessen waren doch die Elegien, womit er sie in ein liebliches Vergessen seiner grauen Haare einzusingen suchte, so schön, daß man noch zu Athenäus Zeiten nicht müde werden konnte sie nachzusingen. Es sind nur wenige Fragmente von seinen Gesängen bis auf uns gekommen, die man in den Brunkischen Analekten beisammen findet: aber so wenig ihrer sind, so ists doch genug, das Vergnügen begreiflich zu machen, das die Alten aus seinen Elegien schöpften. Zufälligerweise ist auch der Vers darunter, auf welchen Horaz besonders zu deuten scheint:
|
TiV de bioV, ti de terpnon ater crushV
'AjrodithV; teJnaihn, ote moi mhketi tauta meloi! |