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Wie hat, mein lieber Wandrer, Chios, wie die Stadt der Sapphoa), wie die schöne Samos, wie Sardis, weiland Königs Krösus Sitz, wie Smyrna dir und Kolophon gefallen1)? Hast du sie über oder unter ihrem Ruhm gefunden? Scheint dir gegen unser Marsfeld und des Tibers prächtige Ufer alles andre klein und unbedeutend? Hat von Attalus berühmten Städten eine Reiz genug, dich fest zu halten2)? Oder bist du etwa des Meeres und des Fahrens auf den Straßen so überdrüssig, daß es dir sogar in Lebedos gefällt3)? Du weißt, was für ein Ding das ist: und doch, wiewohl Fidenä und Gabii dagegen volkreich sind, so wollt' ich, müßt' es sein, mein ganzes Leben, der Meinigen vergessend und von ihnen vergessen, dort verleben, um der Wut Neptuns auf festem Lande ruhig zuzusehen. | Quid tibi visa Chios,
Bullati, notaque Lesbos, quid concinna Samos, quid Croesi regia Sardis, Smyrna quid et Colophon? maiora minorane fama? Cunctane prae Campo et Tiberino flumine sordent? <5> An venit in votum Attalicis ex urbibus una? An Lebedum laudas odio maris atque viarum? scis Lebedus quid sit? Gabiis desertior atque Fidenis vicus; tamen illic vivere vellem oblitusque meorum obliviscendus et illis <10> Neptunum procul e terra spectare furentem: | |
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Gleichwohl wird niemand, den auf einer Reise von Capua nach Rom ein Regenguß durchnäßt und wohlbesprützt zum ersten besten willkommnen Wirtshaus trieb, deswegen gleich auf Lebenslang sich drein vermieten wollen: und wer vom Frost gelitten, preiset Öfen und Bäder drum nicht als das einz'ge an, was glücklich mache: oder, wenn dich etwa der Südwind tüchtig im Ägeer-Meere herumgeworfen, wirst du drum sogleich im ersten Port dein Schiff verkaufen wollen? Wem ohnehin schon wohl ist, dem hilft Rhodus und Mitylen, die schöne4), was ein Überrock zu Sommers Anfang, was bei Schneegestöber ein Fechterschurzb), zur Winterszeit ein Bad im Tiber, und im Augstmond ein Kamin. So lang das Glück uns lächelt, bleiben wir in Rom. und loben uns die schönen Inseln alle | Sed neque qui Capua
Romam petit, imbre lutoque aspersus volet in caupona vivere; nec qui frigus collegit furnos et balnea laudat ut fortunatam plene praestantia vitam; <15> nec si te validus iactaverit Auster in alto, idcirco navem trans Aegaeum mare vendas. Incolumi Rhodos et Mitylene pulchra facit quod paenula solstitio, campestre nivalibus auris, per brumam Tiberis, Sextili mense caminus. <20> Dum licet et vultum servat Fortuna benignum, | |
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von ferne. Nimm du jede frohe Stunde, die Gott dir schenkt, mit Dank an, und verliere nie das gegenwärtige Vergnügen durch Entwürfe fürs künft'ge; sondern richte so dich ein, daß, wo du immer lebst, du gern gelebt zu haben sagen könnest5). Denn, wofern Vernunft und Klugheit, nicht ein Ort, der weit umher das Meer beherrscht, die Sorgen von uns nimmt, so ändern jene nur die Luft, nicht ihren Sinn, die über Meer der Langeweil' entlaufen. Wie sauer lassen wirs uns werden nichts zu tun! Man jagt mit Vieren und zu Schiffe dem Glücklichleben nach: was du erjagen willst, ist hier, ist selbst zu Ulubräc), wenn nur dein eigen Herz dich nicht im Stiche läßt. | Romae laudetur
Samos et Chios et Rhodus absens. Tu quamcumque deus tibi fortunaverit horam, grata sume manu, nec dulcia differ in annum: ut quocumque loco fueris vixisse libenter <25> te dicas. Nam si ratio et prudentia curas, non locus effusi late maris arbiter, aufert, caelum non animum mutant, qui trans mare currunt. Strenua nos exercet inertia; navibus atque quadrigis petimus bene vivere: quod petis hic est, <30> est Ulubris, animus si te non deficit aequus. |
Übrigens bemerke ich nur noch, daß in allen diesen Oder, welche
Horaz hier auf einander häuft, eine feine Ironie über seines Freundes unruhige und
unbeständige Sinnesart versteckt liege. Ein Mensch, der sich einbildet, es werde ihm besser
werden, wenn er den Ort verändre, wiewohl er die Ursache, warum ihm nicht wohl ist, mit sich
nimmt, fühlt an dem ersten fremden Orte, der ihm gefällt, sogleich eine Neigung in sich,
ewig dort zu bleiben: allein kaum hat er sich ein wenig umgesehen, so spürt er wieder,
daß ihm etwas fehlt, was er dort nicht findet. Er geht also weiter, trifft von ungefähr
anderswo an, was ihm dort fehlte, und glaubt nun den rechten Ort gefunden zu haben. Aber nicht
lange, so regt sich seine Unruhe wieder: ihm fehlt nun was anders, das er anderswo suchen muß;
und so macht er einen Versuch über den andern, und wird seines Irrtums immer nur gewahr, um
einen neuen zu begehen. Dies war, wie es scheint, das Übel des guten Bullatius, und dies ist,
was ihm Horaz durch alle die folgenden Induktionen, mit einer gutherzigen Art von Scherz, zu
verstehen geben will.