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Wofern ich, wackrer Lollius, nicht sehr an dir mich irre, wirst du wohl dich hüten, da, wo du dich zur Rolle eines Freundes bekannt hast, dir den Anschein der Schmarotzerei zu geben. Größer ist der Abstand nicht von einer ehrbarn Frau zur feilen Dirne, als er vom Freunde zum Hofierer ist. Das Gegenteil von diesem Laster, und beinah das schlimmre, ist das ungeschliffne Wesen, das sich durch grobe Ungeschmeidigkeit, den kurzgeschornen Kopf und schwarze Zähne ein Ansehn geben will, und ohne Scham sich über Lebensart und Wohlstand wegzusetzen für bare Freiheit und für Tugend uns verkaufen will. Die wahre Tugend, Freund, liegt zwischen zwei Exzessen, gleich von beiden zurückgezogen, richtig in der Mitte1). Der eine, immer mehr, als recht ist, nachzugeben bereit, und dem, der ihm zu essen gibt, | Si bene te novi,
metues, liberrime Lolli, scurrantis speciem praebere professus amicum: Ut matrona meretrici dispar erit atque discolor, infido scurrae distabit amicus. <5> Est huic diversum vitio vitium prope maius, asperitas agrestis et inconcinna gravisque quae se commendat tonsa cute, dentibus atris, dum vult libertas dici mera veraque virtus. Virtus est medium vitiorum et utrimque reductum. <10> Alter in obsequium plus aequo pronus et imi | |
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mit seinem Lachen aufzuwerten, trägt so viel Respekt vorm bloßen Wink des Gönners, hallt so gefällig seine Späße nach, schnappt jedes Wort, das ihm entfällt, im Falle so hastig auf, daß dir nicht anders ist, als ob du einen Knaben zitternd seine Lektion aufsagen, oder auf dem Schauplatz einen demütigen Vertrauten spielen hörest. Im Gegenteil erhebt der andre oft den größten Zank mit dir um Ziegenwolle, und kämpfte, eh' er sich ergäbe, lieber mit barem Unsinn. »Was? ich sollte dir mehr glauben, als mir selbst? Ich sollte nicht, was ich denke, von der Leber frisch wegbellen dürfen? Nein, das laß ich mir nicht nehmen, wenn's mein Leben doppelt gälte!« Der Streit betrifft auch keine Kleinigkeit! Die Frage ist, ob Kastor oder Dolichosa) sein Handwerk besser wisse? Ob die Straße des Appius oder des Minucius | derisor lecti, sic nutum divitis horret, sic iterat voces et verba cadentia tollit, ut puerum saevo credas dictata magistro reddere, vel partes mimum tractare secundas: <15> alter rixatur de lana saepe caprina, propugnat nugis armatus: »Scilicet, ut non sit mihi prima fides et vere quod placet ut non acriter elatrem, pretium aetas altera sordet.« Ambigitur quid enim? Castor sciat an Dolichos plus? <20> Brundusium Minuci melius via ducat an Appi? | |
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uns etwas bälder nach Brundusium führe? Die Gunst der Großen wird nicht selten bloß dadurch verloren, daß man ihnen sich zu ähnlich stellt. Wer sich durch Tänzerinnen und Würfel ruiniert, aus eitler Hoffart sich über sein Vermögen trägt, sich schämt für ärmer als ein andrer angesehn zu sein, und unersättlich stets nach Golde hungert, kann sicher rechnen, daß sein hoher Freund, wiewohl vielleicht um zehen Laster reicher als er, ihn hassen oder wenigstens fürbaß hofmeistern wird. Er ist hierin den guten Müttern gleich, die ihre Töchter weiser und tugendreicher haben wollen, als sie selber sind, und spricht, beinahe wahr: »Wofern ich tolles Zeug beginne, Freund, so bin ich reich genug, es auszuhalten; du mußt dich nach der Decke strecken; einem verständigen Menschen deinesgleichen ziemt ein enger Rockb), hör' auf, das Maß zum deinen | Quem damnosa Venus, quem
praeceps alea nudat, gloria quem supra vires et vestit et ungit, quem tenet argenti sitis importuna famesque, quem paupertatis pudor et fuga, dives amicus <25> saepe decem vitiis instructior, odit et horret, aut si non odit, regit; ac veluti pia mater, plus quam se sapere et virtutibus esse priorem vult, et ait prope vera: »Meae (contendere noli) stultitiam patiuntur opes; tibi parvula res est, | |
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an mir zu nehmen.« Wem
Eutrapelus2) recht übel wollte, dem verehrt' er reiche Kleider: nun, dacht' er, wird in seinem schönen Rocke der Geck ein andrer Mann sich dünken, wird von nichts als Glücksentwürfen und gefundnen Schätzen träumend seine Morgenstunden verschlafen, was ihm obliegt, einer Buhlschaft wegen versäumen, wird auf hohe Zinsen borgen, und bald genug genötigt sein, sein Fell an eine Gladiatortruppe zu verkaufen, oder eines Gärtners blinden Schimmel um Taglohn traurig vor sich her zu treiben. Du wirst dir zum Gesetze machen, weder nach deines hohen Freunds Geheimnissen zu forschen, noch, wofern er etwas dir von selbst vertraut, es zu verraten, wenn du gleich mit Wein und Zorn gefoltert würdest. Auch wirst du niemals deinen Neigungen den Vorzug geben und die seinen tadeln; noch, wenn er auf die Jagd will, dich damit entschuldigen, du müssest Verse machen. Man sagt, die Harmonie der beiden | <30> arta decet sanum comitem
toga; desine mecum certare.« Eutrapelus cuicumque nocere volebat, vestimenta dabat pretiosa: beatus enim iam cum pulchris tunicis sumet nova consilia et spes, dormiet in lucem, scorto postponet honestum <35> officium, nummos alienos pascet, ad imum Thraex erit, aut olitoris aget mercede caballum. Arcanum neque tu scrutaberis illius umquam, commissumque teges et vino tortus et ira; nec tua laudabis studia aut aliena reprendes, <40> nec, cum venari volet ille, poemata panges. | |
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berühmten Zwillingsbrüder Zethus und Amphion sei aus keiner größern Ursach zerrissen worden; bis der sanftere Amphion, dem Humor des rauhen Bruders nachgebend, seine Leier schweigen hieß3). So mach' es auch. Betrachte stets die Bitten des mächtigen Freunds als mildere Befehle: und hat er seinen Jagdzeug mit den Koppeln vorausgeschickt, so spring du hurtig auf, entrunzle flugs der ungefälligen Muse gedankenvolle Stirn', und zeig' ein heitres Gesicht; die Wildpastete, die dir Müh und Schweiß gekostet, wird nur baß dir schmecken. Die Jagd stand immer in gar hohen Ehren bei unsern Römern, ist dem guten Rufc) und der Gesundheit nütz, und stärkt die Glieder: auch ziemt sie dir besonders, da du Schnelligkeit, | Gratia sic fratrum
geminorum, Amphionis atque Zethi, dissiluit, donec suspecta severo conticuit lyra; fraternis cessisse putatur moribus Amphion: tu cede potentis amici <45> lenibus imperiis, quotiesque educet in agros Aetolis onerata plagis iumenta canesque, surge, et inhumanae senium depone Camenae, cenes ut pariter pulmenta laboribus empta; Romanis sollemne viris opus, utile famae <50> vitaeque et membris, praesertim cum valeas et | |
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um einen Hund zu überlaufen, Kräfte, um einen Eber zu bezwingen, hast. Und wer hat mit den Waffen umzugehen mehr Anstand? Wem wird in den Kriegesspielen des Campus Martius lauter zugeklatscht? Du dientest ja beinah als Knabe schon im Zuge gegen die Cantabrer, unter dem Feldherrn, der uns aus der Parther Tempeln die Adler wiedergab, und jetzt, was etwa noch zurück ist, unsern Waffen unterwirft4): Und, um dir alle Ausflucht abzuschneiden, so weiß man ja, daß du, wiewohl du nichts Unschicklichesd) zu tun beflissen bist, auf deinem väterlichen Gut mitunter auch Kurzweil treibst. Da werden, zum Exempel, aus kleinen Fischerkähnen zwei Schlachtordnungen formiert, und unter deiner Anführung, wie in vollem Ernst, das Treffen bei Actium von deinen Hausgenossen | vel cursu superare canem vel viribus
aprum possis. Adde, virilia quod speciosius arma non est qui tractet; scis quo clamore coronae proelia sustineas campestria; denique saevam <55> militiam puer et Cantabrica bella tulisti, sub duce qui templis Parthorum signa refigit nunc, et si quid abest, Italis adiudicat armes. Ac ne te retrahas et inexcusabilis abstes, quamvis nil extra numerum fecisse modumque <60> curas, interdum nugaris rure paterno: partitur lintres exercitus, Actia pugna | |
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im Kleinen
vorgestellt5). Dein
Bruder ist der Feind, dein Gartenteich das Adriatsche Meer; so wird gefochten, bis die leichtbeschwingte Victoria des Siegers Schläfe kränzt: und niemand, wer dir gleiche Billigkeit für seine Launene) zutraut, wird die deinen tadeln. Sodann, und weil ich einmal am Erinnern bin, (wofern du ja Erinnerns nötig hast) bedenke wohl und oft, was du von jedem und zu wem du sprichst. Dem Frager weiche aus, er ist ein Schwätzer: Ohren, welche immer weit offen stehen, lassen leicht entfallen, was ihnen anvertraut war; und ist dir einmal ein Wort entschlüpft, so fliegts davon und läßt nie wieder sich zurückerufen. Nicht minder hüte dich, daß innerhalb der Marmorschwelle deines großen Freundes ja keiner seiner schönen Sklaven, keine | te duce per pueros hostili
more refertur; adversarius est frater, lacus Adria, donec alterutrum velox Victoria fronde coronet. <65> Consentire suis studiis qui crediderit te fautor utroque tuum laudabit pollice ludum. Protinus ut moneam (si quid monitoris eges tu) quid de quoque viro, et cui dicas, saepe videto! Percontatorem fugito, nam garrulus idem est, <70> nec retinent patulae commissa fideliter aures, et semel emissum volat irrevocabile verbum. Non ancilla tuum iecur ulceret ulla puerve | |
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von seinen Mädchen (die er selbst vielleicht sich vorbehielt) die Leber dir entzünde: damit er keinen Anlaß habe, weder mit einem unbedeutenden Geschenk dich abzufinden, oder, wenn er deinen Wünschen zuwider ist, sie dir zur Qual zu machen. Den Mann, den du empfehlen willst, besieh erst recht genau und oft von allen Seiten, damit nicht unversehens fremde Fehler dich schamrot machen. Doch, man kann auch wohl betrogen werden und für jemand sich verwenden, der sich dessen unwert zeigt: in diesem Fall, und wenn er seine Schuld nicht leugnen kann, entzieh ihm deinen Schutz. Ist aber der, den böse Zungen stechen, dir ganz genau bekannt: so halte fest, und stelle dich dem Mann zur Brustwehr dar, der seine Zuversicht auf dich gesetzt hat. Darf ihn der Lästrung Zahn vor deinen Augen benagen, ohne daß dein Herz dir sagt, bald könn' auch dich, was ihm begegnet, treffen? | intra marmoreum venerandi limen amici; ne dominus pueri pulchri caraeve puellae <75> munere te parvo beet, aut incommodus angat. Qualem commendes etiam atque etiam aspice, ne mox incutiant aliena tibi peccata pudorem. Fallimur et quondam non dignum tradimus: ergo quem sua culpa premet, deceptus omitte tueri, <80> ut penitus notum, si temptent crimina, serves tuterisque tuo fidentem praesidio; qui dente Theonino cum circumroditur, ecquid ad te post paulo ventura pericula sentis? | |
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Brennt deines Nachbars Wand, so gilts auch dir, und Unsinn wärs, mit Löschen warten, bis das ganze Haus in hellen Flammen stünde. Um eines Mächtigen Gunst zu buhlen, deucht dem Unerfahrnen süß, gefährlich dem Erfahrnen. Du, dessen Schiff bereits im hohen Meer mit muntern Wimpeln geht, wend' alles an, daß dich kein Gegenwind zurück ans Ufer werfe. Die Großen wollen stets den Widerschein von ihrer Laun' an ihren Freunden sehen; selbst düster, hassen sie den muntern, lustig den ernsten: einem raschen ist der sanfte gesetzte, einem schläfrigen hingegen der rüstige geschäft'ge Mensch zuwider; und dem, der mit Falerner Nächte durch sich gern beträufelt, würdest du dich schlecht empfehlen, wenn du dir den dargebotnen Becher verbitten wolltest, schwürst du gleich beim Bart des Äsculap, dein Kopf und Magen könne des späten Weindunsts Hitze nicht vertragen. | Nam tua res agitur,
paries cum proximus ardet, <85> et neglecta solent incendia sumere vires. Dulcis inexpertis cultura potentis amici, expertus metuit. Tu, dum tua navis in alto est, hoc age, ne mutata retrorsum te ferat aura. Oderunt hilarem tristes, tristemque iocosi, <90> sedatum celeres, agilem gnavumque remissi; potores bibuli media de nocte Falerni oderunt porrecta negantem pocula, quamvis nocturnos iures te formidare vapores. | |
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Zerstreu' die Wolk' um deine Augenbraunen! Sehr oft wird, um der bloßen Miene willen, Bescheidenheit für düstern Sinn, und Stille für hämische Misanthropie gehalten. Vor allem forsche von den Weisen, toten und lebenden, wie du es machen sollst, um sanft des Lebens Strom hinab zu gleiten, damit nicht immer dich die dürftige Begierde, nicht die Furcht dich quäle, noch die Hoffnung solcher Dinge, deren Nutzen ein Kluger leicht entbehret. Forsch' und lerne von ihnen, was dich besser macht, ob Tugend als Gabe der Natur uns angeboren, oder durch Unterricht und Fleiß erworben werde? Was deiner Sorgen Anzahl mindre? Was dir selbst zum Freund dich mach', und wahre Ruh dir schaff'? Ob Ehre, oder Reichtum? oder ein unbemerkter schmaler Pfad durchs Leben6)? So oft der kalte Bach Digentia mich erfrischetf), den das kleine frost'ge Dorf | Deme supercilio nubem; plerumque modestus <95> occupat obscuri speciem, taciturnus acerbi. Inter cuncta leges et percunctabere doctos, qua ratione queas traducere leniter aevum, ne te semper inops agitet vexetque cupido, ne pavor et rerum mediocriter utilium spes: <100> virtutem doctrina paret, naturane donet? quid minuat curas? quid te tibi reddat amicum? quid pure tranquillet, honos an dulce lucellum, an secretum iter et fallentis semita vitae? Me quoties reficit gelidus Digentia rivus, | |
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Mandela trinkt, was meinst du, daß ich denke? was glaubst du, Freund, daß ich die Götter bitte? »Laßt mir nur, was ich hab', und wärs auch minder, und was ihr etwa noch von Lebenszeit mir zugedacht, laßt mich mir selber leben! Laßt mirs an Büchern nicht, auch nicht an Vorrat, was auf ein Jahr vonnöten ist, gebrechen, damit die ungewisse Zukunft im Genuß des Gegenwärt'gen mich nicht stören müsse!« Es ist genug, um Dinge, die er gibt und wieder nimmt, den Jupiter zu bitten: er gebe Leben nur und Notdurft mir, ein ruhig Herz will ich schon selbst mir schaffen! | <105> quem
Mandela bibit, rugosus frigore pagus, quid sentire putas? quid credis, amice, precari? »Sit mihi quod nunc est, etiam minus, et mihi vivam quod superest aevi, siquid superesse volunt di; sit bona librorum et provisae frugis in annum <105> copia, neu fluitem dubiae spe pendulus horae.« Sed satis est orare Iovem, quae donat et aufert: det vitam, det opes, aequum mi animum ipse parabo. |
| Wirf die Leier weg, und widme dich den WaffenVI) |
Vermutlich konnte Zethus nicht leiden, daß sein Bruder aus Liebe zur Musik alle andre
Beschäftigungen vernachlässigte, und sein einziges Geschäft
aus demjenigen machte, was, nach den Sitten der Heroischen Zeiten, nur ein
Zeitvertreib der Krieger war. Das Denkmal, welches Winkelmann in seinen
Monumenti Inediti bekannt gemacht, stellt die von Horaz hier angerühmte Nachgiebigkeit
des sanften Amphions, auf eine eben so einfache als sinnreiche Weise, dar. Antiope ist darauf
zwischen ihren beiden Söhnen abgebildet: Zethus ist durch einen Hut, das Zeichen des
Landlebens, kenntlich gemacht: Amphion hat einen Helm auf dem Kopf, und hält die dem Bruder
verhaßte Lyra halbverdeckt unter seinem Kriegskleide.
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wem wird in den Kriegesspielen des Campus Martius lauter zugeklatscht? |
Denn, wiewohl auch Männer, sogar alte Konsularen und Feldherren,
zuweilen noch an diesen militärischen Ritterspielen, die ein uraltes und den Römern eignes
Institut waren, Anteil nahmen: so waren sie doch eigentlich für die Jugend bestimmt, und wurden
als kriegerische Vorübungen betrachtet, wodurch sie teils die
nötigen Fertigkeiten erwerben, teils öffentlich zeigen konnten, was man sich von ihrer
Fähigkeit und ihrem Mute zu versprechen habe.
Unsre Leser wünschen vielleicht zu wissen, wie der junge Lollius sich alle diese Lehren seines freundschaftlichen Mentors zu Nutze gemacht habe? Aber wir befinden uns hierüber ohne alle historische Nachrichten; und eben dieses gänzliche Stillschweigen der Geschichte von ihm bringt uns auf die Vermutung, entweder, daß er nicht lange genug gelebt habe, um sich auf dem Schauplatz der Geschäfte hervorzutun; oder daß er, nach der von Horaz ihm angeratnen scharfen Prüfung,
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was wahre Ruhe schaff, ob Ehre, Reichtum, oder ein unbemerkter schmaler Pfad durchs Leben? |
das letztere für sich am zuträglichsten befunden, und also in dem Stillschweigen der
Geschichte von ihm gerade seinen Endzweck erreicht habe.