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Woher, Mäcenas, mag es kommen, daß mit seinem selbsterwählten oder vom Geschick ihm zugeworfnen Lose niemand sich begnügt, und jeden, der auf einem andern Pfade das Glück verfolgt, für neidenswürdig hält? »Wie glücklich ist der Kaufmann!« ruft ein alter von vieler ausgestandner Not und Arbeit gebrochner Krieger aus; der Handelsmann hingegen, dessen Schiff in Stürmen treibt, preist den Soldatenstand »Was ists denn auch? Man trifft zusammen, und in einem Stündchen ists entschieden, Siegeswonne, oder rascher Tod!« Der Advokat, wenn sein Klient beim Ruf des frühen Hahns ihn aus dem Schlafe pocht, lobt sich des Landmanns Leben, während dieser, wenn ein Termin zu ungelegner Zeit aus seiner Wirtschaft in die Stadt ihn zieht, die Städter für die einzigen Glücklichen | Qui
fit, Maecenas, ut nemo, quam sibi sortem seu ratio dederit seu fors obiecerit, illa contentus vivat, laudet diversa sequentes? »O fortunati mercatores«, gravis annis <5> miles ait, multo iam fractus membra labore; contra mercator, navim iactantibus austris: »Militia est potior; quid enim? concurritur; horae momento cita mors venit aut victoria laeta.« Agricolam laudat iuris legumque peritus, <10> sub galli cantum consultor ubi ostia pulsat. Ille datis vadibus qui rure extractus in urbem est solos felices viventes clamat in urbe. | |
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auf Erden ausruft. Dies durch alle Klassen und Stände fortzuführen würde selbst den Schwätzer Fabius1) ermüden. Also, um dich nicht aufzuhalten, höre gleich wo ich hinaus will. Wenn ein Gott nun käm' und spräche: »Gut, ich will euch geben was ihr begehrt; du, Krieger, sollst ein Kaufmann, du, Rechtsgelehrter, sollst ein Bauer sein! Fort, tauschet eure Rollen! Nun? was zaudert ihr?« So würde keiner wollen. Und sie konnten doch so glücklich werden! Wäre solches Volk nicht wert, daß Zeus mit beiden aufgebausten Backen sie grimmig ansäh' und sich rund erklärte, er wolle nicht so zahm mehr sein, die Ohren zu albernen Gebeten herzuleihen? Doch, um nicht nach der Possenspieler Weise mein ganzes Stück in diesem Ton zu geben, (Wiewohl, wer wehret uns die Wahrheit lachend zu sagen? so wie milde Pädagogen die kleinen Zöglinge durch Honigplätzchen | Cetera de genere
hoc, adeo sunt multa, loquacem delassare valent Fabium. Ne te morer, audi <15> quo rem deducam. Si quis deus, »en ego«, dicat, »iam faciam quod vultis; eris tu, qui modo miles, mercator, tu, consultus modo, rusticus: hinc vos, vos hinc mutatis discedite partibus. Eia! Quid statis?« nolint. Atqui licet esse beatis! <20> Quid causae est, merito quin illis Iupiter ambas iratus buccas inflet, neque se fore posthac tam facilem dicat, votis ut praebeat aurem? Praeterea, ne sic, ut qui iocularia, ridens percurram (quamquam ridentem dicere verum <25> quis vetat? ut pueris olim dant crustula blandi doctores, elementa velint ut discere prima) | |
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zum Abc verführen) Laß uns jetzt von einer ernsten Sache ernsthaft sprechen2). Der Pflüger, der sichs sauer werden läßt sein Feld zu bau'n, der hinterlist'ge Krämer3), der Kriegsmann, und der Schiffer, den Gewinnsucht durch alle Meere jagt, versichern alle, sie unterziehen sich so vieler Plage bloß um einst, im Alter, ihres Lebens noch in Ruhe froh zu werden, wenn sie erst fürs Brot gesorgt: so wie die Ameis, (ihr gewöhnlich Beispiel) ein so kleines Tierchen, und doch an Fleiß so groß! in ihrem Munde herbeischleppt was sie kann und ihrem Haufen zuträgt, um auf die vorgefühlte Zukunft sich bei Zeiten zu versorgen. Gut! wenn aber aus seinem umgestürzten Kruge nun der Wassermann die traur'ge Jahrszeit schüttelt, kriecht sie nicht mehr heraus, und ist so weise mit dem Erworbnen gütlich sich zu tun4): da dich hingegen weder Sonnenglut noch Winterfrost, noch Sturm noch Schwert und Feuer | sed tamen amoto
quaeramus seria ludo. Ille gravem duro terram qui vertit aratro, perfidus hic caupo, miles, nautaeque per omne <30> audaces mare qui currunt, hac mente laborem sese ferre, senes ut in otia tuta recedant, aiunt, cum sibi sint congesta cibaria: sicut parvula (nam exemplo est) magni formica laboris ore trahit quodcumque potest, atque addit acervo <35> quem struit, haud ignara ac non incauta futuri: quae, simul inversum contristat aquarius annum, non usquam prorepit, et illis utitur ante | |
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vom Wucher abzubringen je vermag, nichts dich erschreckt, wenn nur kein andrer reicher wird. Wozu der ungeheure Haufen Gold und Silber, wenn du furchtsam, wie gestohlnes Gut, ihn in die Erde scharrst? Du sprichst: »Er müßte, wenn täglich was hinweggenommen würde, zum Pfenning endlich doch herunterschmelzen.« Doch, nimmst du nichts, was wäre denn noch Schönes an deinem Haufen? Hätten deine Tennen auch hundert tausend Scheffel ausgedroschen, dein Magen wird darum nicht mehr als meiner fassen: wie, unter einem Trupp von Sklaven, der den Brotsack trägt darum kein größer Stück empfängt. Und was verschlägt es dem, der innerhalb der Grenzen der Natur lebt, ob er hundert, ob tausend Morgen ackert? »O! es ist doch angenehm von einem großen Haufen zu nehmen«, sagst du. Wenn du uns erlaubst von unserm wenigen soviel zu nehmen als du von viel, so seh ich eben nicht | quaesitis sapiens: cum te neque
fervidus aestus dimoveat lucro, neque hiems, ignis, mare, ferrum: <40> nil obstet tibi, dum ne sit te ditior alter. Quid iuvat immensum te argenti pondus et auri furtim defossa timidum deponere terra? »Quod si comminuas vilem redigatur ad assem.« At, ni id fit, quid habet pulchri constructus acervus? <45> Milia frumenti tua triverit area centum, non tuus hoc capiet venter plus ac meus: ut si reticulum panis venales inter onusto forte vehas humero, nihilo plus accipias quam qui nil portarit. Vel dic, quid referat intra <50> naturae fines viventi, iugera centum, an mille aret? »At suave est ex magno tollere acervo.« Dum ex parvo nobis tantumdem haurire relinquas, | |
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was deine Böden dir mehr helfen sollten als unsre Kasten uns. Es ist, als wenn du einen Kübel oder Becher Wassers brauchtest, und sprächst: ich möchte doch aus einem großen Fluß ihn lieber als aus diesem Quellchen füllen. Da kömmts dann gerne so, daß einen, der an größerm Überfluß, als recht ist, Freude hat, der schnelle Waldstrom samt dem morschen Ufer davon führt: da hingegen, wer nicht mehr begehret als das bißchen was er braucht, dafür auch weder leimicht Wasser trinken noch einen nassen Tod befürchten muß5). Allein, ein guter Teil der Menschen, angekörnt von falscher Gierde6), spricht: »Nichts ist genug! Was einer hat das gilt er, und nicht mehr!« Was ist mit solchen Leuten anzufangen? Laß sie doch elend sein, wofern sie es so gerne sind: Denn manchem gehts vielleicht wie jenem reichen Knauser zu Athen7), der, wenn er hörte wie man in der Stadt | cur tua plus laudes cumeris
granaria nostris? Ut, tibi si sit opus liquidi non amplius urna <55> vel cyatho, et dicas: magno de flumine malim quam ex hoc fonticulo tantumdem sumere. Eo fit, plenior ut si quos delectat copia iusto cum ripa simul avulsos ferat Aufidus acer: at qui tantuli eget quantum est opus, is neque limo <60> turbatam haurit aquam, neque vitam amittit in undis. At bona pars hominum, decepta cupidine falso, »Nil satis est«, inquit, »quia tanti, quantum habeas, sis. Quid facias illi? iubeas miserum esse, libenter quatenus id facit: ut quidam memoratur Athenis <65> sordidus ac dives, populi contemnere voces | |
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von seinem Geize spreche, naserümpfend zu sagen pflegte: immer zische mich der Pöbel aus, ich klatsche desto mehr mir selbst zu Hause, wenn ich meine Füchse in der Kiste betrachte. Tantalus schnappt ewig dürstend dem Wasser nach, das seine dürren Lippen vorbeifließt Wie? du lachest8)? Ist die Fabel nicht unter anderm Namen deine eigene Geschichte? Da du über deinen Säcken, mit allenthalben hergescharrtem Golde gefüllt, unruhig und halbwachend schlummerst, genötigt, sie wie Heiligtümer sorgsam zu schonen, oder nur, wie an Gemälden, die Augen dran zu weiden? Weißt du denn nicht was das Geld gilt? Nicht wozu es gut ist? Daß Brot, Gemüse und ein Quärtchen Wein dafür zu haben ist, und manches andre was sich die menschliche Natur nicht gern versagen läßt? Wie? sollte dir's soviel Vergnügen machen, Tag und Nacht, entseelt vor Angst und ohne Schlaf, vor Dieben und Feuersbrünsten dich zu fürchten, und | sic solitus: populus
me sibilat, at mihi plaudo ipse domi, simul ac nummos contemplor in arca. Tantalus a labris sitiens fugientia captat flumina: quid rides? mutato nomine de te <70> fabula narratur. Congestis undique saccis indormis inhians, et tamquam parcere sacris cogeris, aut pictis tamquam gaudere tabellis. Nescis quo valeat nummus? quem praebeat usum? Panis ematur, olus, vini sextarius; adde <75> queis humana sibi doleat natura negatis. An vigilare metu exanimem noctesque diesque | |
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vor deinen eignen Sklaven, daß sie dich nicht überfallen, und mit deinem Gelde davon gehn? O! wenn Reichtum uns nichts Bessers zu geben hat, so wünsch' ich bettelarm zu sein! Doch wenn ein Fieber oder sonst ein Zufall dich aufs Lager heftet, hast du für dein Geld doch jemand wenigstens der bei dir aufsitzt, dir warme Tücher umschlägt, und den Arzt beschwört dich zu erhalten und den lieben Deinen wieder zu schenken? Umgekehrt! Dein Weib, dein Sohn sind Feinde deines Lebens; Nachbarn und Bekannte, Bübchen und Mädchen, wünschen dir den Tod. Und darfst du dich's noch wundern lassen, du, dem seine Kasse über alles ist, wenn niemand eine Liebe, die du nicht verdienen magst, dir schenket? Meinest du, Verwandte, welche die Natur dir ohne dein Zutun gab, an dich zu ziehen und zu Freunden dir zu machen, wäre so verlor'ne Müh', als wenn du einen Esel | formidare malos fures,
incendia, servos ne te compilent fugientes, hoc iuvat? Horum semper ego optarim pauperrimus esse bonorum. <80> At si condoluit temptatum frigore corpus, aut alius casus lecto te affixit, habes qui assideat, fomenta paret, medicum roget, ut te suscitet, ac reddat natis carisque propinquis? Non uxor salvum te vult, non filius, omnes <85> vicini oderunt, noti, pueri atque puellae. Miraris, cum tu argento post omnia ponas, si nemo praestet, quem non merearis amorem? An, si cognatos, nullo natura labore quos tibi dat, retinere velis servareque amicos, <90> infelix operam perdas, ut si quis asellum | |
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die Schulen lehren wolltest? Kurz, des Scharrens muß doch einst ein Ende sein. Je mehr du hast, je minder darf vor Dürftigkeit dir grauen. Du hast nun was du giertest: laß es dann dabei bewenden, daß dirs nicht zuletzt wie dem Ummidius9) ergehe, dessen Geschichte, weil sie kurz ist, ich dir doch erzählen muß. Der Mann war, wie man sagte, so reich, daß er sein Geld mit Scheffeln maß, und auch so filzig, daß er nie sich besser als seine Sklaven kleidete. Bis an sein Ende war Hungers sterben seine einz'ge Furcht. Was meint ihr daß sein Ende war? Sein liebes getreues Kebsweib, ehmals seine Sklavin, hieb ihm, wie eine zweite Klytemnestra10), mit einer Zimmeraxt den Kopf entzwei. »Wohlan! Was soll ich tun? ein Mänius, ein Nomentanus11) werden?« Also immer von einem Äußersten zum andern! Um kein Filz, muß man ein Taugenichts, ein Schlemmer sein! Vom glatten Tanais zum Schwiegervater | in campo
doceat parentem currere frenis? Denique sit finis quaerendi, quoque habeas plus, pauperiem metuas minus, et finire laborem incipias, parto quod avebas! ne facias quod <95> Ummidius quidam, (non longa est fabula) dives, ut metiretur nummos; ita sordidus, ut se non umquam servo melius vestiret; ad usque supremum tempus, ne se penuria victus opprimeret, metuebat. At hunc liberta securi <100> divisit medium, fortissima Tyndaridarum. »Quid mi igitur suades? ut vivam Maenius? aut sic ut Nomentanus?« Pergis pugnantia secum frontibus adversis componere? Non ego, avarum cum veto te fieri, vappam iubeo ac nebulonem. | |
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Visells12),
liegt, denk' ich, etwas in der Mitte. Halt Maß in allem, denn in allem gibt's ein Mittel, dessen Linie das Rechte bezeichnet; dies- und jenseits wird gefehlt. Ich kehre nun dahin zurück, woher ich ausging: nämlich, daß, dem Geiz'gen gleich, niemand mit seinem Los zufrieden ist, nur jene lobt, die einen andern Weg im Leben gehn, wenn eines andern Ziege mehr Milch gibt, gleich die Schwindsucht kriegen möchte, nie mit dem großen Haufen Ärmerer sich mißt, und diesem oder jenem stets zuvor zu kommen eifert, immer also dem reich zu werden Eilenden ein Reicherer im Weg ist: Wie, sobald das rasche Rennpferd aus den offnen Schranken die Wagen reißt, der Wagenführer nur die Rosse, die den seinigen zuvor geflogen sind, zu überholen strebt, hingegen der zurückgebliebenen nicht achtet13). Daher also, daß der Mann so selten ist, der wohl gelebt zu haben | <105> Est inter Tanaim
quidquam socerumque Viselli. Est modus in rebus, sunt certi denique fines, quos ultra citraque nequit consistere rectum. Illuc unde abii redeo. Nemon' ut avarus se probet, at potius laudet diversa sequentes, <110> quodque aliena capella gerat distentius uber tabescat, neque se maiori pauperiorum turbae comparet, hunc atque hunc superare laboret! Sic festinanti semper locupletior obstat, ut, cum carceribus missos rapit ungula currus, <115> instat equis auriga suos vincentibus, illum | |
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versichert, und, vergnügt mit seinem Anteil, vom Leben wie ein Gast von einem Mahle, gesättigt weggeht14)? Soviel sei genug! Und nun, damit ich nicht die Schränke des triefäugigen Crispin geplündert zu haben scheinen nicht ein Wörtchen mehr15)! | praeteritum
temnens extremos inter euntem. Inde fit, ut raro, qui se vixisse beatum dicat, et exacto contentus tempore vitae cedat, uti conviva satur, reperire queamus. <120> Iam satis est! Ne me Crispini scrinia lippi compilasse putes, verbum non amplius addam. |
Beiläufig bemerke ich hier gegen Hagedorn (in der Anmerkung zu seiner
Übersetzung der Äsopischen Fabel von der Ameise und Grille) und gegen mich selbst (in der
ersten Ausgabe dieser Satiren), daß Horaz wegen dieser den Ameisen zugeschriebenen
ökonomischen Vorsicht der gewöhnlichen Entschuldigung eben nicht bedürfe. Denn
daraus, daß die englischen und deutschen Ameisen keine Provisionen auf den Winter machen, weil
sie diese strenge Jahrszeit in ihren unterirdischen Nestern in beständiger Erstarrung
zubringen, folgt nicht, daß es mit den Ameisen der heißen Himmelsstriche ebendieselbe
Bewandtnis haben müsse.
Die beiden Knaben, welche Wasser holen wollten
Zwei Knaben, die sich an einem warmen Tage mit Laufen und Spielen erhitzt hatten, gingen hinaus um frisches Wasser zum Trinken zu holen. Nicht weit von ihrem Hause sprudelte aus einem Felsen ein kleines Quellchen hervor; und etwa hundert Schritte weiter floß ein rascher Waldstrom vorbei. Der eine Knabe lief zu der kleinen Quelle und hielt sein Becherchen unter. Fi, sagte der Größere spottend, wer wollte aus einem so armseligen Quellchen schöpfen? ich gehe an den Fluß dort; da ists doch eine Freude seinen Becher zu füllen, wo man einen solchen Überfluß vor sich sieht! Der jüngere Knabe ließ sich die alberne Rede seines Bruders nicht anfechten; er füllte seinen Becher aus der kleinen Quelle mit einem Wasser, so hell wie Kristall, und labete sich an den, reinen frischen Trunk. Der andere lief an den Fluß; das Ufer war abschüssig, und vom öftern Austreten des Stroms in Regenzeiten, ziemlich locker; indem nun der Junge mit Mühe hinunter kletterte, und sich bückte, um seinen kleinen Becher zu füllen, brach der morsche Boden mit ihm, und er fiel hinab. Hätte er sich nicht noch zu gutem Glücke im Herabglitschen an einer jungen Weide fest gehalten, der Strom würde ihn ohne Rettung mit sich fortgerissen haben. Aber so kam er noch mit der bloßen Angst und viel Wasser in den Schuhen davon, und brachte wenigstens seinen Becher voll zurück: aber wie er ihn an den Mund setzte, war das Wasser so trüb und leimicht, daß er es nicht einmal trinken konnte. Der Geizhals mag die Moral aus dieser Fabel ziehen!
So würde ungefähr die Fabel lauten, auf welche Horaz hier, als
ob sie schon gemacht vorhanden wäre, anzuspielen scheint. Der ganze Unterschied liegt darin,
daß er die Erzählung in die Nutzanwendung, die er davon auf den Geizigen macht,
unmittelbar verwebt, und, indem er das Geschichtchen nur durch leichte Striche andeutet, dafür
die darin liegende Allegorie mehr entwickelt, und jeden kleinen Umstand zum Vorteil seines
moralischen Zwecks geltend macht, nämlich, den alten Erfahrungssatz anschaulich zu
machen: daß der Geizige, der um seinen großen Haufen, wovon er doch nur wenig braucht,
zusammen zu scharren, sich einer Menge vergebliche Mühe und Gefahr unterzieht, und zuletzt auch
nicht einmal das wenige, was er davon hat, rein genießt, aus diesem gedoppelten Grunde ein Tor
und ein armer Teufel ist. Baxters Vermutung, als ob Horaz hier an irgend
einen Apulischen oder Calabrischen Bauren, der, als der Dichter noch ein Knabe gewesen, im
Aufidus auf diese Art ertrunken sei, gedacht habe, ist ein frostiger
Einfall. Der Aufidus, dessen Horaz in seinen Gedichten einigemale
erwähnt, fließt freilich durch die Gegend, wo er geboren wurde: aber er steht hier
für einen jeden andern Waldstrom: und wenn auch einmal ein Apulier oder Calabrier mit einem
Stück Ufer in diesen Fluß herabgeglitscht und ertrunken wäre, was trüge das
bei, um dieser Stelle mehr Licht zu geben?
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Esse aliquid Manes et subterranea regna et pontum et stygio ranas in gurgite nigras nec pueri credunt, nisi qui nondum aere lavantur |
zu erinnern, um die wahre Antwort auf die obige Frage zu finden. Zu Horazens Zeiten glaubte niemand
mehr an die Homerische Hölle, an die Strafen des Tantalus, des Ixion, der Danaiden, u.s.w., man
lachte über diese Dinge, als über läppische Fabeln, womit man keinem
vernünftigen Menschen aufgezogen kommen müsse. Wie also Horaz ganz ernsthaft anfängt:
Tantalus schnappt ewigdurstend dem Wasser nach, das seine dürren Lippen
vorbeifließt so lacht ein Harpax, weil er nicht an den
allegorischen Sinn der Fabel denkt, und nicht erwartet, daß ihm der
Dichter zurufen werde: was lachst du? ist die Fabel nicht unter anderm Namen
deine eigene
Geschichte?
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all sein Erbgut, mütterlichs und väterlichs, baldmöglichst durch die Gurgel gejagt |
bekannt ist, und sich also sehr wohl schickt, dem aus gleicher Ursache famosen
Nomentanus beigesellt zu werden: so lesen wir, mit Torrentius und Bentley,
Mänius. Baxters Einwendung, Mänius sei kein Zeitgenosse von
Horaz gewesen, ist unbedeutend; Nomentanus war es auch nicht: Beide lebten
kurz vor seinen Zeiten; aber beide waren, als Leute die ein ansehnliches
Vermögen durchgeschwelgt hatten, noch in frischem Andenken.
Zusatz bei dieser neuen Ausgabe
Diese Stelle lautete in der ersten Ausgabe wie folget:
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»Nun wieder auf den Weg zurückgekommen, (besser: ich lenke nun dahin, woher ich ausging, ein) wenn, gleich dem Geizhals, jeder, unzufrieden mit seinem Lose, immer nur das Glück bei andern sieht, und falls des Nachbars Ziege mehr Milch gibt, gleich vor Neid die Schwindsucht kriegt, nie mit dem großen Haufen Ärmerer sich mißt und immer diesem oder jenem zuvorzukommen strebt; wie, wenn die Wagen im Wettlauf aus den Schranken sich gestürzt, die Renner mit verhängten Zügeln jeden, der ihnen vorgesprungen, einzuholen (besser: der ihnen vorgeeilt, zu überholen) wetteifern, den der hinter ihnen bleibt verachten: ists denn Wunder, daß der Mann so selten ist, u.s.w.« |
Nitsch tadelt in seinen Vorlesungen über
die Satiren des Horaz, daß ich die ganze Stelle vom 108ten bis zum 119ten Vers des Originals
in eine einzige Periode zusammengezogen, und die Gedankenfolge Horazens
(die ihm die natürlichste, die es nur geben kann, scheint) dadurch
entstellt habe. Wiewohl ich nun überzeugt bin, daß ich in der ersten Übersetzung den
Sinn des Dichters nicht verfehlt, und daß er durch eine wörtlichere weder an Klarheit
noch Ordnung und Zierlichkeit gewinnt: so habe ich mich doch nicht verdrießen lassen, die so
hochgepriesene Anordnung der Horazischen Gedankenfolge in einer
möglichst getreuen Übersetzung aufzustellen, und überlasse nun dem Leser, welche von
beiden Versionen er der andern vorzuziehen begründet zu sein glaubt.
| Cur non ut plenus vitae conviva recedis? |
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qui Curios simulant et bacchanalia vivunt, Die sich wie Curier stellen und Bacchanalien leben |
Die Urbanität in dieser Art auf einmal mit einem Scherz abzubrechen, die den Weltmann
verrät, und am Schluß eines moralischen Diskurses an einen
Mäcenas so sehr am rechten Orte angebracht ist, scheint keiner von
beiden gemerkt zu haben. Wenigstens ist es lächerlich, wenn Baxter
meint, er habe sich durch diesen Stich auf die Stoiker den
Epikuräern suaviter empfehlen
wollen. Als ob ein Scherz über so einen Menschen, wie Crispinus war, den
Stoikern gegolten hätte? oder als ob ein
Horaz nicht, seiner eignen Laune gemäß, sich im Vorbeigehn
über einen Crispinus lustig machen könnte, ohne die schmarotzerische Nebenabsicht zu
haben, sich den Epikuräern dadurch zu empfehlen; wiewohl sie damals
in Rom den größten Teil derjenigen ausmachten die zu essen gaben.