Vierzehntes Kapitel

Die angefangene historische Novelle kommt glücklich, wenn auch auf unerwartete Weise zu Ende

»Nach der Erzählung der sechs Gebrüder Piepmeyer entstand, wie ich sagte, in der Wachtstube zu Kassel ein großer Streit. Einige Hessen wollten die Wahrheit derselben bezweifeln, und meinten, daß niemand bei lebendigem Leibe umgehn könne. Ein Skeptiker aus Witzenhausen sagte, kein Geist rauche Tabak, und noch viel weniger bleibe von seiner Pfeife Asche nach, das Ganze sei daher eine ›Einbildungskraft‹ der Gebrüder Piepmeyer, wie er sich ausdrückte.

Dagegen sagten vier Gardisten aus Schaumburg, mit Potentaten verhielte es sich anders, als wie mit Partikuliers, die hätten etwas voraus, sie könnten überall und doch nirgends sein. Zwei Ziegenhainer riefen: ›Wenn er da war und sich verlustieren wollte, so tat er rauchen, und wenn er rauchen tat, so tat Rauch und Asche darnach kommen.‹ Einer aus Hofgeismar drehte diese Sätze um, und folgerte also: ›Weil Piepmeyers Asche finden taten, so hat er rauchen getan, und weil er rauchen getan hat, so hat er auf der Löwenburg sein getan.‹

Es nahmen immer mehrere Wachtmannschaften an diesen Debatten teil, und der Lärmen wuchs von Minute zu Minute. Da rief der kommandierende Fähnrich, ein junger Herr von Zinzerling, aus einer der ersten Familien des Landes, mit seiner hohen Diskantstimme in das Getöse hinein: ›Ihr Sakramenter, in dreier Teufel Namen, räsoniert nicht weiter!‹ - Jede Untersuchung hörte demnächst auf, und alle Wachtmannschaften enthielten sich aus Subordination selbst der stillen Gedanken über den Gegenstand.

Die Nacht hatte inzwischen den ersten Strahlen des Frühlichts Raum gegeben, welche den Ofen und die Bänke der Wachtstube mit gelbrötlichen Streifen säumten. Unvergleichlich war die Wirkung eines scharfen Schlaglichtes am oberen Zinnrande eines Bierkrugs, von welchem ein seltsamer, aber verstandner Reflex den Knopf des Feldwebelstocks traf, welcher darüber am dritten Haken hing. Überall tiefe, satte Farbentöne, klare, durchsichtige Schatten! Die Wachtstube schien keine wirkliche Wachtstube zu sein, sie war heute mehr, sie war eine gemalte.

Was Piepmeyers betrifft, so hatten sie ihre Postenstunden abgestanden, sie durften sich nun einem kurzen Schlafe überlassen. Ruhig lagen sie nebeneinander auf der Pritsche und schnarchten. Hinter der Pritsche hingen ihre sechs Zöpfe einträchtig herunter, damit der Wachtfriseur dieselben auch während ihres Schlummers neu einflechten könne.

Um diese Zeit ereignete sich folgende wunderwürdige Begebenheit. Nämlich der Wachtfriseur Isidor Hirsewenzel trat in die Wachtstube.«

»Darin sehe ich denn eben kein großes Wunder!« fuhr der alte Baron unwillkürlich heraus.

»Alles in der Natur und in der Geschichte hängt zusammen«, sagte der Freiherr mit Würde. »Man höre mich ohne Unterbrechung an, das Wunder folgt dem kurhessischen Wachtfriseur Isidor Hirsewenzel auf der Ferse.«

»Dieser Isidor ist doch nicht...« sagte das Fräulein schüchtern.

»Der nämliche Hirsewenzel, welcher seither die deutsche Bühne mit einer so unermeßlichen Anzahl von Stücken bedacht hat«, versetzte der Freiherr. »Unser Mann und Held, aus einem guten aber herabgekommenen Geschlechte in Olgendorf, einem Flecken in der Nähe der Lüneburger Heide entsprossen, hat einen sonderbaren Lebenslauf gehabt. Dramatiker wurde er erst spät; von der Natur war er durchaus zum Lederhändler bestimmt. Der erste Laut, den sein kindlicher Mund von sich gab, klang wie: Leder! Kein Spielzeug von Holz oder Blech vergnügte den heranwachsenden Knaben, die muntre braun- und gelbbemalte Erbsenflinte war ihm ein Greuel, mit Abscheu stieß er das gefällig konstruierte grüne Nürnberger Wägelchen, das schuldlose Weihnachtsschaf mit den sinnigen roten Lackaugen zurück, dagegen begannen seine Blicke zu leuchten, wenn er der Peitsche ansichtig wurde, und der fünfgeflochtenen Schnur, wenn er das lederüberzogene Hottpferd besteigen durfte, wenn man ihm die kleine Scherzpatrontasche umhing. Später war er oft halbe Tage lang aus der väterlichen Wohnung verschwunden, und wo fand man ihn wieder? In irgendeiner der Gerbereien, welche dem Städtchen die Hauptnahrung gaben. Ja, einmal war er, kecken Jugendmutes voll, selbst in eine Lohgrube gesprungen, um zu versuchen, ob er nicht noch lebend seine Haut in den so heiß verehrten Zustand bringen möchte; leider zog man ihn zu früh heraus, als die Ledrifikation erst halb vor sich gegangen war. Unentwickelt blieb demnach der höhere Zustand seiner Bedeckungen, indessen wollten die Kundigen versichern, er habe nach jenem Versuche denn doch immerdar ein dickes Fell behalten.

O Ihr Väter und Erzieher, die Ihr die heilige Aufgabe habt, die Keime der Euch anvertrauten Pflanzen in die Blüte zu fordern, hieher tretet, und lernt an einem furchtbaren Beispiele vor den Folgen schaudern, wenn Ihr die Stimme der Natur mißachtet, und die Gerte, welche rechts hinaus wachsen will, links hinüber zwingt. Nicht allein macht Ihr den Baum zum brandigen Krüppel, nein! er wird auch seine Nebenstämme anstecken, das Ungeziefer, welches die krankende Krone ausbrütet, wird die Verwüstung viel weiter tragen, als Ihr ahnen und berechnen könnt!

Isidor Hirsewenzel von Olgendorf hätte für Deutschland ein Lederhändler werden können, wie wir ihn noch nicht besessen haben. Möglich, daß in der Tiefe seiner Seele Gedanken schlummerten, wodurch der Dampf vom Throne des neunzehnten Jahrhunderts gestoßen, und die gegerbte Haut zur Weltbeherrscherin erhoben worden wäre! Aber der Vater verstand den Sohn nicht. Er verstand nicht die zukunftschwangern Regungen des Geistes, der über Bälgen, über Alaun und Lohbereitung, über Sämisch- und Kalkgerberei erfindungengebärend brütete. ›Du bist ein Narr, Dorus‹, sagte der harte Vater zu ihm, ›Leder kann aus der Mode kommen, die Menschenliebe ist so hoch gestiegen, daß sie sich unversehens auf das Vieh werfen kann; woher aber soll Leder kommen, wenn jeder Hund und Ochs unser Bruder, jedes Schaf unsre Schwester wird, und wir des verwandtschaftlichen Lebens schonen? Du also wirst das werden, mein Sohn, wozu ich dich bestimmt habe.‹

Isidor weinte, verzweifelte, aber seine Tränen und Seufzer verfingen gegen den eisenfesten Vater nichts; Isidor mußte Perückenmacher werden. Das heißt: Vor der Welt wurde er simpler Friseur, in der Stille aber errichtete er zu seiner Tröstung, um seinem Triebe zum Kompakten zu folgen, um sich durch das zerstreute Haar, durch die charakterschwache Pomade, durch den gesinnungslosen Puder dem Zähen, Ledernen wenigstens anzunähern, jene wunderbaren Haargebilde, welche die Welt längst über Schwedenkopf und Naturscheitel vergessen zu haben schien.

Ich will kurz sein. Sowie der alte Hessenfürst zurückgekehrt war, entstand über seinen Wunsch, oder vielmehr Befehl, die größte Verlegenheit. Die Novella I. de capillis pudrandis zopfificandisque war erlassen, aber es ging mit dieser, wie mit so mancher Institution, sie hatte ihr Dasein vorläufig nur auf dem Papiere, und das war die Hauptfrage: Konnte der Zopf eine Wahrheit werden? Denn man wußte niemand, der jene Haarformationen der Urwelt noch zu bereiten verstand. Der alte Herr besaß zwar seinen in diesen Dingen ergrauten Künstler, allein es widersprach der Rangordnung und Etikette durchaus, daß dieselbe Hand, welche um die Majestät beschäftigt war, sich gemeinen Köpfen widmen solle.

In dieser Not und Bedrängnis sprang unser Meister aus seinem Puderdunste, wie Äneas aus der Wolke. Er verstand zu frisieren, Toupets einzusalben und aufzusteifen, Zöpfe von allen Längen- und Dickenmaßen zu flechten. Er wurde präsentiert, tentiert, approbiert, placiert. Der Staat konnte hiemit für organisiert erachtet werden.«

»Nun also, dieser Mann betrat die Wachtstube...« sagte das Fräulein, welche bei aller Begeisterung für den Erzähler sich doch nach einem rascheren Fortschritt der Geschichte sehnte.

»Noch nicht, meine Gnädige«, versetzte Münchhausen kalt, »so weit sind wir noch nicht. Die historische Darstellung erheischt langsame Entfaltung; auf den Landstraßen sind Eilwagen eingeführt, aber, Sie wissen es ja selbst, unsre Romanciers fahren in ihren Geschichten noch mit der sächsischen Kutsche, welche sich ehemals zwischen Leipzig und Dresden bewegte, und zur Vollendung dieser Reise drei Tage gebrauchte, vorausgesetzt nämlich, daß der Weg gut war.

In unsrem Isidor war während seiner Lehrjahre eine große psychische Revolution vorgegangen. Man sah ihn einsam durch die Wälder streifen, er floh der Brüder wilde Reihn, aber ach! das Schönste suchte er nicht auf den Fluren, womit er seine Liebe schmückt'! Die Liebe erstarb in diesem Busen, eine sinistre Falte des Unmuts lagerte sich auf der denkenden Stirn, Entschlüsse reiften in ihm, die zum Schrecken des Geschlechts finstre Taten wurden. Haarscherer durch Bestimmung, dem inneren Berufe nach Lederhändler, Perückenmacher aus Resignation, wurde er Tragiker aus Menschenhaß, dem leider die Reue bis jetzt nicht gefolgt ist. Ja, meine Freunde, alle jene Trauerspiele, worin entweder der Held die Stiefeln seines Bruders zu putzen hat, die Geliebte aber ihn auf jene Welt vertröstet, in welcher er nicht mehr nach Wichse riechen wird, oder worin der Landrat Friedrich Barbarossa seine Dienstleiden erzählt, der Steuerexekutor Heinrich der Sechste sich mit Beitreibung der Gefälle-Reste plagt, oder der biedre, aufgeklärte Pastor Friedrich der Zweite aus Gielsdorf wegen Rationalismus verdammte Scherereien mit dem Lyoner Konsistorium hat, die stuhlsetzenden Kämmerlinge jedoch, also die Abräumer, eigentlich die einzigen handelnden Personen sind, ja, meine Freunde, alles das, und o Gott! wie unendlich viel mehr hat nur die Misanthropie Hirsewenzels geboren. Wir wären damit verschont geblieben, wenn er seinem wahren Berufe hätte folgen dürfen.«

»Könnte man denn nicht noch jetzt dem Fortschritte des Unheils Einhalt tun?« fragte das Fräulein, sonderbar verlegen.

»O, meine Gnädige!« rief Münchhausen begeistert; »es bleibt doch ewig wahr, das Wort unsres Schiller: ›Was kein Verstand der Verständigen sieht, das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt!‹ Sie haben da in Ihrer Einfalt einen großen Gedanken gefunden. Ja, wir wollen, da gegenwärtig auf so vieles subskribiert wird, eine Subskription durch ganz Deutschland eröffnen, zu dem Ende, mit vereinten Nationalkräften für Hirsewenzel eine Gerberei in Schlesien unter den Wasserpolacken anzupachten, ihm so einen heitern Abend des Lebens zu schaffen, die Bühne aber von ihm zu befrein. Ich bin überzeugt, selbst unsre Fürsten, denen ja Poesie und Literatur so sehr am Herzen liegen, geben etwas dazu, einen Gulden oder einen Taler, je nachdem sie über Gulden- oder Talerland herrschen. Doch für jetzt nur weiter in meinem Texte.

Als in Isidor der Gedanke an sein verfehltes Dasein einmal recht zum Durchbruch gekommen war, da rief er aus: ›Weil Ihr mich im Leben nicht habt zum Leder kommen lassen, so will ich Euch, da ich Euch leider nicht ans Leben selbst kommen kann, wenigstens das Bild des Lebens, die Bühne ruinieren.‹

                                    ........ Die Welt
Ist noch auf einen Abend mein. Ich will
Ihn nützen, diesen Abend, daß nach mir
Kein Pflanzer mehr in zehen Menschenaltern
Auf dieser Brandstatt ernten soll.

Meine Vorgänger im Geschäft, Iffland und Kotzebue, machten die Misere zu Helden; ich will die Sache umkehren, und Helden zu miserabeln Personen machen. Müllner wirkte durch Schuld und Blut, Houwald durch alte Camillen und Bilder, die an den Galgen gehören, ich will durch Langeweile wirken. Ich will die Langeweile zur dramatischen Dynamis erheben, der Sandmann in den Augen der Helden soll meine Katastrophen bewirken. Meine Helden sollen lieber sterben, oder sonst ein Unglück erleben, als daß sie noch länger meine Redensarten abhaspeln. Ich will Euch ein Stück schreiben, namens ›König Enzian‹, ein Stück, dessen Perspektive nicht der Stern der Hoffnung über dem Grabe, nicht die Nacht des Tartarus unter den Füßen des hinsinkenden Frevlers, nicht die reinliche Entsagung der Wüste oder des Klosters sein soll, sondern eine Chambre garni im Felsen bei Zwielicht, oben mit einem Deckel versehen, worin der gähnende Mietsmann mit seiner gähnenden Geliebten bei hinlänglichem Essen und Trinken nichts zu tun hat, als Kinder zeugen, die bei der Geburt, anstatt zu schrein, auch schon gähnen. Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch, es wird eine Krankheit über unsern Weltteil heraufziehn, geheißen die Cholera. Hin und her werden die Ärzte raten, woher das Miasma gekommen, welches die Seuche fortleitete, und man soll nicht erraten, daß es aus der Grube aufstieg, in welche ich den König Enzian verspündete. Wehe über dich Sand-Jerusalem, die du die Juden begünstigest, und kreuzigest immerdar die Propheten; du sollst zweimal die Cholera kriegen, weil du meinen »Enzian« so oft wirst haben spielen lassen! Ich will einundzwanzigmillionendreihunderttausend und einen halben Vers, folglich einen halben Vers mehr machen als Lope de Vega; alle sollen parallel nebeneinanderherlaufen, wie die lombardischen Pappeln zu beiden Seiten der Chaussee von Halle nach Magdeburg, und dieses Wunder soll nur von dem Wunder der Kühnheit übertroffen werden, womit ich versichern will, daß ich nie einen unschönen Vers verfertigt habe. Nicht durch Fehler und Ausschweifungen will ich die Bretter reizen; nein, ich will das Theater nivellieren, entnerven und abmergeln. Es soll aus meiner Feder nichts kommen, was selbst der Zensur von China verdächtig werden könnte, ich will ein völlig etatsmäßiger Poet werden, gleichwohl aber will ich von mir behaupten, ich sei durch große Geschichtsepochen, die von keinem Etat etwas wußten, zu Tränen der Rührung hingerissen worden, denn Klingeln gehört zum Handwerk. Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch, es wird die Zeit kommen, da die Schauspieler meine Rollen im Schlaf abspielen, das Auditorium schläft, und der Kritiker Gottsched am folgenden Tage während seines Nachmittagsschläfchens eine Rezension in die velinpapiernen Blätter stiftet, worin er sagt, das neuste geniale Werk aus meiner unermüdlichen Feder habe das Publikum zum Enthusiasmus hingerissen. Mit einem Worte: Ich will Ich sein, und nur mir selber gleich!‹


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