Eine Korrespondenz des Herausgebers mit seinem Buchbinder

I.

Der Herausgeber an den Buchbinder

»Aber, lieber Herr Buchbinder, was für Streiche machen Sie in jüngster Zeit! Neulich schicke ich Ihnen: ›Zur Philosophie der Geschichte. Von Karl Gutzkow.‹ Sie aber setzen hinten auf den Titel: ›Zur Philosophie der Geschichte von Karl Gutzkow‹, so, als ob dieses Buch eine innere Geschichte des Autors enthalte, ungeachtet er doch darin von den toten Kräften und den natürlichen Voraussetzungen in der Geschichte, vom abstrakten und konkreten Menschen, von Mann und Weib, von der Leidenschaft, vom Staat, von Krieg und Frieden, von Übergangszeiten, von Revolutionen, und endlich vom Gott in der Geschichte handelt; mithin das ganze Gebiet des historischen Nachdenkens in seinem Werke durchwandert. Heute aber bekomme ich von Ihnen das erste Buch meiner Münchhausenschen Denkwürdigkeiten zurück, und da sehe ich, daß Sie die zehn ersten Kapitel gänzlich verheftet, sie hinter die Kapitel Eilf bis Fünfzehn gebracht haben. Ich ersuche Sie unter Rückgabe des Buches eine Umheftung vorzunehmen.

Der ich übrigens mit Achtung u.s.w.«

II.

Der Buchbinder an den Herausgeber

»Ew. Wohlgeboren haben mir schmerzliche Vorwürfe gemacht, die ich so nicht auf mir sitzen lassen kann. Ich bin lange genug im Geschäft, und weiß, was es damit auf sich hat. Heutzutage muß, wenn der Autor sich verpudelt hat, ein ordentlicher Buchbinder ein bißchen auf das Verständnis wirken, durch Winke auf den Rückentiteln, oder, wo sie sonst sich anbringen lassen.

Die Schriftsteller sind etwas konfuse geworden. Die jungen Leute lesen und lernen zu wenig, aber unsereins, dem sozusagen, die ganze Literatur unter das Beschneidemesser kommt, und der alle die Nachrichten ›für den Buchbinder‹ durchstudieren muß, deshalb aber genötigt ist, noch rechts und links von den Nachrichten sich umzuschauen, o der gewinnt ganz andre Übersichten. Da muß man denn helfen, so gut man kann, und oft läßt sich der rechte Gesichtspunkt für ein Buch feststellen, bloß dadurch, daß man einen Punkt oder ein Komma wegläßt, oder zusetzt, wie denn gerade die Sachen sich verhalten.

Bei dem Buche von Karl Gutzkow tat es die Weglassung des Punktes hinter ›Geschichte‹. Ew. Wohlgeboren! Ich habe Spittler eingebunden und Schlözer, und Herders ›Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit‹ sind mir wenigstens hundertmal unterm Falzbein gewesen, und jetzt binde ich Ranke viel ein - ich sage Ihnen, die Männer schrieben so schöne dicke Bücher, und so viele Noten und Zitate stehen in den Büchern, daß man sieht, wie die Verfasser sich's haben sauer werden lassen mit der Philosophie und der Geschichte - ich sage Ihnen, es ist rein unmöglich, daß man auf 305 Seiten, wie Karl Gutzkow getan, den Gott, und die Revolutionen und den Teufel und seine Großmutter in der Geschichte abhandeln kann. Aber das ist auch gar nicht seine Absicht gewesen, wie sich aus dem Vorworte ergibt, welches ich lesen mußte, weil ich einen Karton einzulegen hatte. Denn darin sagt der Autor, er habe keine anderen Quellen zur ›Philosophie der Geschichte‹ benutzen können, als höchstens einige an die Wand gekritzelte Verwünschungen der Langenweile, oder einige in die Fensterscheiben geschnittne Wahlsprüche unbekannter Namensinschriften. Wenn er nun das Buch, was er vermutlich auch nur schrieb, um sich die Langeweile zu vertreiben, dennoch herausgab, so konnte das nur in der einzigen Absicht geschehen, Memoiren über seine schlechten und mangelhaftigen Studien zu liefern, und der Titel, wie ich ihn mit goldenen Lettern setzte, ist ganz richtig: ›Zur Philosophie der Geschichte von Karl Gutzkow‹.

Warum ich aber die letzten Kapitel Ihres Buches zu den ersten machte, das sollen Sie auch gleich vernehmen. Sie hatten die Münchhausenschen Geschichten wieder so schlicht angefangen, wie Ihre Manier ist: ›In der deutschen Landschaft, worin ehemals das mächtige Fürstentum Hechelkram lag, erhebt sich eine Hochebene‹ u.s.w. hatten dann von dem Schlosse und seinen Bewohnern berichtet, und waren endlich nach und nach auf den Helden dieser Erzählungen gekommen.

Ew. Wohlgeboren, dieser Stylus mochte zu Cervantes Zeiten gut und ersprießlich sein, wo die Leser so sacht und gelind in eine Erzählung hineinkommen wollten, wie in eine Zaubergrotte, von der die Märlein singen, daß eine schöne Elfe davor sitzt, und den Ritter mit wunderleisen Klängen in die karfunkelleuchtenden Klüfte lockt. Sie stößt auch nicht in die Trompete, oder bläst die Baßposaune, oder macht Pizzicato, sondern sie hat eine kleine goldne Laute im Arm; aus deren Saiten quellen unschuldige, naive Töne, wie harmlose Kinder, die um den Ritter Blumenfesseln schlingen, und eh' er sich's versieht, ist er umsponnen und durch den Grotten-Eingang gezogen, und steht mitten in dem Reiche der Wunder, bevor er nur gemerkt hat, daß er aus der Welt da draußen hinweggegangen ist.

Aber heutzutage paßt die Magie eines solchen süßfesselnden Styls gar nicht mehr.

Ew. Wohlgeboren, heutzutage müssen Sie noch mehr tun, als die Baßposaune blasen, Sie müssen den Tam-Tam schlagen, und die Ratschen in Bewegung setzen, womit man in den Schlachtmusiken das Klein-Gewehrfeuer macht, oder falsche Quinten greifen, oder vor die Dissonanz die Konsonanz schieben, wenn Sie die Leute ›packen‹ wollen, wie es genannt wird.

Ew. Wohlgeboren, die ordentliche Schreibart ist aus der Mode. Ein jeder Autor, der etwas vor sich bringen will, muß sich auf die unordentliche verlegen, dann entsteht die Spannung, die den Leser nicht zu Atem kommen läßt, und ihn par force bis zur letzten Seite jagt. Also nur alles wild durcheinander gestopft und geschoben, wie die Schollen beim Eisgange, Himmel und Erde weggeleugnet, Charaktere im Ofen gebacken, die nicht zu den Begebenheiten stimmen, und Begebenheiten ausgeheckt, die ohne Charaktere umherlaufen, wie Hunde, die den Herrn verloren haben! Mit einem Worte: Konfusion! Konfusion! - Ew. Wohlgeboren, glauben Sie mir, ohne Konfusion richten Sie heutzutage nichts mehr aus.

Ich habe, soweit ich vermochte, in diesem Stücke bei den Münchhausianis für Sie gesorgt, und ein bißchen Konfusion gestiftet, so viel es sich tun ließ, damit die benötigte Spannung entstehe. Sehen Sie, so wie jetzt das Heft gebunden ist, kann kein Mensch bisher erraten, woran er ist, wer der alte Baron ist, und das Fräulein und der Schulmeister, und wo sich die Sache zuträgt? Hat sich aber ein tüchtiger Leser erst durch einige Kapitel hindurchgewürgt, dann würgt er sich auch weiter, denn es geht den Leseleuten so, wie manchem Zuschauer in der Komödie. Er ärgert sich über das schlechte Stück, er gähnt, er möchte vor Ungeduld aus der Haut fahren, aber dennoch bleibt er sitzen, weil er einmal sein Entrée-Geld gegeben hat, und dafür auch seine drei Stunden absitzen will.

Also, Ew. Wohlgeboren, ich dächte, Sie ständen von dem Verlangen nach Umheftung ab. Der ich übrigens u.s.w.«

III.

Der Herausgeber an den Buchbinder

»Lieber Herr Buchbinder, Sie haben mich überzeugt. Ach, ich lasse mir jetzt von jedermann raten in meinem Metier, selbst von Ihrem Jungen, wenn er mir etwa Vorschläge über das neue Buch machen kann. Es hat mir schon so mancher Junge Zurechtweisungen erteilt, und ich habe sie nicht befolgt und schwer darob büßen müssen.

Es soll also bei der Verheftung bleiben, und wenn Sie oder Ihr Junge in der Folge merken, daß ich wieder gegen die Spannung, oder die unordentliche Schreibart gesündigt habe, dann heften Sie nur nach Gutdünken die Kapitel durcheinander, und verbessern auf solche Weise das Buch. Ich glaube sogar, daß ich nicht der erste in solchem Verfahren bin; Herr Steffens hat gewiß bei seinen Novellen von Walseth und Leith und den vier Norwegern und Malcolm dem Buchbinder eine gleiche Vergünstigung eingeräumt.

Vor ein sieben, acht Jahren hätte mir noch keiner so etwas bieten dürfen, aber ich bin - -

- - müde geworden, hatte ich geschrieben, lieber Buchbinder, und recht im Vertrauen auseinandergesetzt, warum man in der Welt jetzt so müde werden kann.

Zwei Damen aber, denen ich den Brief vorlas, sagten, das dürfe durchaus nicht stehen bleiben; der müde und weinerliche Ton zieme sich platterdings nicht für mich.

Sie haben recht. Mag die Welt uns alles versagen, die Geschichte und die Natur kann sie uns nicht versperren. Ich will die Buben heulen und greinen lassen über das Elend, welches sie doch eben hauptsächlich machen helfen.

Nein, Herr Buchbinder, unsere Augen sollen wacker bleiben, und die Wunden sollen uns schön stehen.

Aber was halten Sie von dem Münchhausen, und was meinen Sie, das aus ihm werden wird?«

IV.

Der Buchbinder an den Herausgeber

»Ew. Wohlgeboren, aus dem Münchhausen wird nichts; da Sie denn doch meine Meinung wissen wollen. Dieses tut indessen nichts. Ein Buch, aus dem nichts wird, mehr oder weniger in der Welt, verschlägt nichts. Und dann können wir den einzelnen Abschnitten doch noch in etwa nachhelfen. Für diesen ersten habe ich schon so ein Hausmittelchen in Gedanken. Der ich übrigens u.s.w.«

V.

Der Herausgeber an den Buchbinder

»Welches Hausmittelchen, lieber Herr Buchbinder? Ich bin äußerst gespannt auf Ihre ferneren Mitteilungen. Mit Achtung u.s.w.«

VI.

Der Buchbinder an den Herausgeber

»Ew. Wohlgeboren, Briefwechsel sind jetzt beliebt, wenn sie auch nur Nachrichten von Schnupfen- und Hustenanfällen der Korrespondenten enthalten. Lassen Sie unsern Briefwechsel im ersten Buche mit abdrucken; der hilft ihm auf.«

VII.

Der Herausgeber an den Buchbinder

»Auch unsre letzten Zettel?«

VIII.

Der Buchbinder an den Herausgeber

»Jawohl.«

IX.

Der Herausgeber an den Buchbinder

»Wohl!«

X.

Der Buchbinder an den Herausgeber

(Kuvert um die Briefe des Herausgebers.)


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