Siebentes Kapitel

Worin der Jäger dem Hofschulzen eine alte Geschichte von seinen Eltern erzählt

Mehrere Tage gingen im Oberhofe auf die gewohnte stille und einförmige Weise hin. Der alte Jochem ließ noch immer weder von sich noch von dem entwichenen Abenteurer hören, und seinen jungen Gebieter wollte doch nachgerade eine stille Unruhe beschleichen. Denn so umspinnt uns alle die jetzige geregelte Zeit, daß niemand, und sei er noch so ungebunden, lange ausdauern kann ohne den Rücken an ein Geschäft, oder an ein Verhältnis zu lehnen.

Mit dem Hofschulzen verkehrte er zwar, sooft er konnte, und die originelle Eigentümlichkeit des Mannes behielt für ihn ihre ganze Anziehungskraft, welche sie am ersten Tage der Bekanntschaft über ihn ausgeübt hatte, aber teils war der Alte meistens in seiner Wirtschaft sehr beschäftigt, teils hatte er viel mit andern abzureden, da täglich Menschen im Hofe einsprachen, die ihn um Rat oder Hülfe angingen. Bei diesen Gelegenheiten bemerkte der Jäger, daß der Hofschulze im eigentlichen Sinne des Worts nie etwas umsonst tat. Er war gegen Nachbarn, Gevattern und Freunde zu allem bereit, aber sie mußten ihm immer etwas dagegen leisten, und wäre es nur die unentgeltliche Ausrichtung eines Auftrags nach einer in der Nähe belegenen Bauerschaft, oder eines andern kleinen Dienstes dieser Art gewesen.

Täglich wurde geknallt, freilich immer vorbei, so daß der Alte, der stets ins Schwarze traf, er mochte zielen, worauf er wollte, über diese fruchtlosen Bemühungen verwunderte Augen zu machen begann.

Es war ein Glück für unsern Jäger, daß gerade um jene Zeit der zunächstwohnende Gutsbesitzer sich mit seiner Familie und Dienerschaft auf einer Reise befand, sonst würden ihn wahrscheinlich doch einmal die zünftigen Schützen oben am Freistuhl ertappt haben.

Gern wäre der junge Schwabe in manches eingedrungen, was ihm verhüllt blieb. Der erste Knecht fragte den Schulzen eines Tages, ob das Korn droben am Stuhl nicht angeschnitten werden solle, da es vollkommen reif sei? erhielt aber von seinem Herrn den Bescheid, daß es bis nach der Hochzeit stehen bleiben müsse. Diese Worte würden dem Jäger nicht weiter aufgefallen sein, wenn er damit nicht unwillkürlich den Inhalt eines Gesprächs in Verbindung gesetzt hätte, dessen unbemerkter Ohrenzeuge er kurz zuvor geworden war.

Zwei benachbarte Hofbesitzer, welche seinen Wirt besuchten, hatten ihn nämlich, so daß der Jäger es hörte, befragt: Wann das Geding sein solle? und zur Antwort erhalten: Am zweiten Tage nach der Hochzeit, mit dem Hinzufügen, daß dann zugleich der Schwiegersohn die Losung empfangen werde. Der junge Mann brachte diese Reden mit der Schonung des reifen Korns am Freistuhl in Zusammenhang, ohne gleichwohl die eigentliche Bedeutung sich klarmachen zu können.

Seinerseits sagte der Hofschulze einmal zum Jäger, als dieser wieder mit leerem Pulverhorn und leerer Weidtasche in den Hof zurückkehrte: »Wie ist das, junger Herr? Sie treffen ja niemalen was?«

Der Jäger war gerade in einer verdrießlichen Stimmung, die zuweilen am offensten macht. Er versetzte daher kurzweg: »Daß ich nichts treffe, ist nicht meine Schuld, und daß ich dennoch immerdar schießen muß, liegt auch nicht an mir, das hängt mir von Mutterleib an.«

»Wie? Von Mutterleib?« fragte der Hofschulze.

»Ich kann es nicht anders nennen«, erwiderte der Jäger. »Ihr seid ein so verständiger Mann, daß ich keinen Grund habe, Euch eine Geschichte vorzuenthalten, welche Euch meine Jägerei, über die Ihr, wie ich sehe, schon seit einiger Zeit den Kopf schüttelt, einigermaßen erklärlich machen wird. Man hat Muttermäler in Form von Sternen, Kreuzen, Kronen, Schwertern, weil die Frau, welche den Menschen trug, sich an einem großen Orden, an einem Kirchenzuge, an einer Krönung versah, oder unter Kriegsgetümmel ihre Schwangerschaft abhielt; warum sollte einer nicht Jäger von Mutterleib aus sein können?«

Der Hofschulze nötigte seinen jungen Gast an den Tisch unter den Linden vor der Türe, ließ eine Flasche sehr trinkbaren Weins bringen, und der Jäger begann hierauf folgendergestalt seine Erzählung.

»Meine Mutter hatte sich mit meinem Vater erst nach einem trauer- und tränenvollen Brautstande verbinden dürfen. Die Verwandten und viele Umstände waren gegen die Heirat gewesen, indessen hatte die Liebe, welche beide zueinander trugen, doch endlich obzusiegen gewußt, und die Ringe durften gewechselt werden. Die Folge jenes langen Hinderns und Zurückhaltens war nicht, wie es oft zu geschehen pflegt, ein rasches Erkalten nach gewonnenem Besitze, sondern eine äußerst zärtliche Ehe gewesen, so daß also in diesem Falle der Wunsch der Leidenschaft sein Recht darwies. Noch in jetzigen Tagen erzählen bejahrte Leute, welche meine Eltern in den ersten Jahren ihrer Ehe gekannt haben, von dem schönen Paare, das immerfort wie Liebhaber und Geliebte miteinander umgegangen sei. Die Zärtlichkeit meiner Mutter äußerte sich nun auch in einer Sorge um das Leben und die Gesundheit des Vaters, welche freilich oft in das Übertriebene ging. Blieb er von einem Spaziergange oder einem Besuche in der Nachbarschaft einige Minuten über die bestimmte Zeit aus, so schickte sie ängstlich nach ihm; war seine Farbe nicht so ganz munter, wie gewöhnlich, gleich fürchtete sie eine schwere Krankheit und wollte den Arzt herbeigeholt wissen, um alles hätte sie ihn nicht in der Nacht reisen lassen, und wo er ging oder stand, mußte er sich vor Zugluft in acht nehmen. Während sie für ihre eigene Person hart, unbekümmert und mutig blieb, sah sie in jeglichem, was meinen Vater umgab, Schreck und Gefährde.«

»Ja, ja«, murmelte der Hofschulze vor sich hin, »die vornehmen Leute haben zu dergleichen Zeit. Bei uns Bauern kommt es auf einen Puff nicht an.«

»Am inständigsten flehte ihn meine Mutter an, sich der Jagd zu enthalten. Sie hatte in den ersten Jahren ihrer Ehe einen verworrenen Traum, von dem sie sich beim Erwachen nur einer schönen grünen Uniform, worin sie meinen Vater gesehen, und daß ihn in derselben ein Unglück betroffen, zu erinnern wußte. Nun fielen ihr alle die Geschicke, die sich auf Jagden ereignen können; scheugewordene Pferde, unvermutet losgegangene Schüsse, Eber, die den Schützen anrennen, und was dergleichen mehr war, ein, und sie ließ sich daher von meinem Vater das Wort geben, nie diesem verhängnisvollen Genusse wieder frönen zu wollen. Er willfahrte ihr gern, denn er sah ihre Liebe zu ihm, und war überhaupt dem Weidwerke nicht leidenschaftlich ergeben, obschon er es, wie ihm sonst nach seinen Verhältnissen zukam, getrieben hatte.

Mehrere Jahre der Ehe blieben kinderlos. Endlich fühlte meine Mutter ihren Schoß gesegnet. Sonst pflegt, wie man mir gesagt hat, in diesem Zustande die Neigung der Frau zu dem Manne abzunehmen, und sich der verborgen reifenden Frucht zuzuwenden, meine Mutter machte aber von dieser Regel eine Ausnahme. Ihre Liebe zu dem Vater wuchs noch, wenn sie eines Wachstums fähig war. Zugleich stellte sich die Erinnerung an den früher gehabten und seitdem fast vergessenen Traum wieder bei ihr mit Heftigkeit ein, dessen eigentliche Bilder ihr jedoch nicht deutlich werden wollten, obgleich sie stundenlang sich damit abmühte, sie hervorzurufen. Nochmals mußte mein Vater sein früheres Gelübde in ihre Hand wiederholen.

Inzwischen rückte der Sankt Hubertustag heran, an welchem der Fürst, mit dem mein Vater eng zusammenhing, die jährliche große Jagd zu veranstalten pflegte. Es war in seiner Umgebung schon verwundernd viel davon geschwätzt worden, warum mein Vater sich in den Jahren zuvor unter allerhand Vorwänden von den Jagden zurückgehalten habe, endlich hatte man den wahren Grund aufgespürt, und der etwas rohe und leichtfertige Kreis mag sich trefflich über den gehorsamen Ehemann lustig gemacht haben. Der Fürst, derb und zufahrend, wie er war, nahm sich vor, den Gehorsam zu Falle zu bringen. Es war so Sitte, daß schon an dem Tage vor Hubertus ein lustiges Bankett auf dem Jagdschlosse gegeben wurde. Der Saal, in welchem es stattfand, war an den Wänden mit Hirschgeweihen, Armbrüsten und alten Jagdspießen ausgeziert. Da wurde denn, wie man bei uns zu sagen pflegt, tapfer gebürstet, d. h. gezecht, und wer an dem Bankette teilnahm, konnte sich natürlich von der Hubertusjagd nicht lossagen.

Mein Vater würde also um keinen Preis einen Partner des Schmauses abgegeben haben, wenn ihn nicht der Fürst durch eine List nach dem Jagdschlosse zu ziehen gewußt hätte. Er ließ ihn nämlich unter dem Vorwande eines Geschäfts berufen und hielt ihn in langen Gesprächen hin, bis der Lakai meldete, daß serviert sei. Da wollte mein Vater fortreiten, aber ein zweiter Lakai brachte, ausgesandt, die Nachricht, der Reitknecht habe verstanden, der Herr bleibe zur Tafel, und sei bis auf den Abend mit den Pferden nach Hause geritten. ›Nun, da es so ist, laß dir's gefallen und nimm hier vorlieb‹, sagte der Fürst. ›Du kannst doch nicht die zwei Stunden zu Fuß nach Hause gehen.‹ - Was sollte mein Vater beginnen? So unlieb es ihm war, er mußte bleiben. Bei Tafel, als es ziemlich lärmend zu werden anfing, warf einer die Frage hin, ob er morgen mit zur Jagd komme?

Ohne seine Antwort abzuwarten, rief ein anderer: ›Nein, er darf nicht, seine Frau hat es ihm streng verboten.‹ - ›Ist es wahr‹, fragte der Fürst laut über die ganze Tafel hin, ›daß dir deine Frau befohlen hat, kein Gewehr mehr abzudrücken? Wenn dem so ist, und du gehorchst, so bist du ja ein wahrer Mustermann für Stadt und Land.‹ Ein schallendes Gelächter folgte diesen Worten, obgleich darin nicht viel Lachenswertes steckte.

Mein Vater ärgerte sich, nahm sich aber zusammen und versetzte, daß dem nicht so sei; wie man denken könne, daß seine Frau ihm so etwas befehlen werde? und dergleichen mehr, was ein jeder in seiner Lage und in einer so wilden Gesellschaft entgegnet haben würde. - ›Topp!‹ rief der Fürst, ›das ist recht, so hilfst du uns also morgen Sankt Hubert Devotion erzeigen‹ - und als mein Vater sich mit einer Reise, mit Besuch, mit Unpäßlichkeit entschuldigen wollte - ›Oho! die Frau Gemahlin steckt doch dahinter! Nun, der Sache müssen wir auf den Grund kommen! Erinnert mich das nächste Mal, wo ich mit der Gestrengen zusammentreffe, daß ich ernstlich danach bei ihr anfrage.‹


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