Worin der Hofschulze eine dreifache Moral aus der Geschichte des Jägers zieht
»Erstens«, sagte der Hofschulze, »lehret die Geschichte, daß, wenn Ihre Passion wirklich von Ihrer Frau Mutter sich herschreibt, der Herr noch jetzunder seinen Spruch wahr macht, welcher lautet: Ich will die Sünden der Väter heimsuchen an den Kindern bis in das dritte und vierte Glied. Denn an und vor sich ist die Jägerei eine erlaubte und lustige Sache. Nun aber sündiget der Mensch jederzeit, wenn er sich wider etwas setzt, was Herkommens ist bei seinesgleichen, dadurch kriegt die Gleichgültigkeit ein Gewicht und hat Folgen, wie Pestilenz darnach kam, als David sein Volk zählen ließ, weil das nicht Herkommens bei den Juden war. Ihre Frau Mutter nun verfiel in Sünde, weil sie den Herrn Vater nicht auf die Jagd gehen lassen wollte, da das zu seinem Stande gehörte, und darum ist an Ihnen eine Torheit gesetzt, das Schießen ohne Treffen. Sie sollten aber suchen, mit der Gewalt davon loszukommen, weil solche Neigungen nicht aus den Wirkungen in der dunkeln Kammer, nicht aus den Kräften und den eigenen Rechten, wie Sie es nannten, herrühren, sondern einzig und allein aus der Torheit, durch welche Sie groß Unglück anrichten können. Auch die Mädchen haben mitunter das Gelüst, Feuer anzulegen, sie lassen es aber wohl bleiben, wenn sie scharf zusammengenommen werden. Es kann und soll aber der Mensch, über den kein anderer gesetzt worden, an ihm selber der Herr und Zuchtmeister sein.
Zweitens tut die Geschichte lehren, daß im Ehestande gar zu viel Liebe schädlich ist. Denn Ihr Herr Vater würde mit dem Pferde nicht gestürzt sein, wenn Ihre Frau Mutter nicht so besorgt aus der Türe gesprungen wäre. Sie wollte ihn vor Gefahr hüten und brachte ihn eben recht in Gefahr. Wie leicht konnte ihn einer von den Herrn niederschießen, an die er nach der Jagd Briefe schreiben wollte! Im Ehestande muß alles moderiert sein, auch die Liebe, weil die Sache für die Hitze und den Eifer zu lange währt. Vorher kann der Mensch tun, was er will, danach kommt nichts; aber der Ehestand macht einen Abschnitt und gibt ein Exempel, da muß der Mensch sich zusammennehmen, denn auf Eheleute sieht ein jeder, und Ärgernis, welches durch sie kommt, ist doppelt Ärgernis. Mit einem losledigen Menschen haben wenige Verkehr, aber auf den Haus- und Ehestand verläßt sich aller Handel und Wandel, Nachbarhülfe und Ansprache, Christentum, Kirchen- und Schulzucht, Haus und Hof, Rind und Kind, und wie sollen nun alle diese Sachen in gehöriger Ordnung und Verfassung bleiben, wenn die Eheleute selbst sich wie die Gecken betragen? Bei uns Bauern kommt der Fehler weniger vor, aber bei den Stadtleuten, mit denen ich vielfältig hier und dahaußen verkehre, und deren Gebräuche ich daher kenne, will mir in dem Punkte manches schlimm gefallen. Wenn ein Mann sein Weib schlägt, oder angrunzt ohne Not, so gibt er Ärgernis, denn der Apostel schreibt, daß die Männer ihre Weiber lieben sollen, wie der Herr Christus seine Gemeine liebt, aber wenn ein Weib ihren Mann so unterkriegt mit Karessen und süßen Reden, daß er zwischen guten Freunden vor Angst nicht mehr zu bleiben weiß, wenn die Stunde schlägt, da er hat nach Hause kommen sollen, oder daß er sich von allem zurückhalten muß, was ihm das Herze fröhlich macht, so gibt sie auch Ärgernis, denn der Apostel Paulus schreibt nicht minder, das Weib solle den Mann fürchten. Die Furcht aber besteht mit solchem Verhalten nicht, vielmehr treibet sie dahin, daß dem Manne sein freier Wille gelassen werde, denn der Ehestand soll den Mann erbauen, nicht aber ihn daniederreißen, weil abermals der nämliche Apostel Paulus an die Korinther schreibt: Der Mann ist nicht vom Weibe, sondern das Weib ist vom Manne.
Ich habe hier jezuweilen bei guter Witterung große Gesellschaft von Stadtleuten, die für Pläsier den Tag im Freien zubringen, und gegen Abend wieder heimfahren. Da sehe ich nun mitunter, daß die Neugeheirateten, die etwa erst im zweiten Jahre Mann und Frau sind, denn späterhin hört dieses Wesen gemeiniglich auf, miteinander ein Anblicken und Anblinzeln, Löffeln und Schlecken treiben, als seien sie mutterseelenallein und niemand außer ihnen um sie und neben ihnen. Darin stecken nun wieder drei Ärgernisse.«
»Schade«, unterbrach ihn der Jäger lachend, »daß Euch kein Philosoph von Profession anhört, Hofschulze. Er würde die architektonische Symmetrie Eures Gedankenbaus loben. Drei Ärgernisse, entsprechend drei Moralen!«
Der Schulze fuhr, ohne sich stören zu lassen, fort: »Erstens sind immer in der Gesellschaft Leute, die gerne freien möchten und nicht können, und in denen stiftet so ein öffentliches Liebeswesen geheimen Neid und stille Abgunst, wovor der Mensch seinen Nächsten bewahren soll. Dieses ist das erste Ärgernis. Zweitens läßt, wenn sie sich vor so vielen Leuten nicht scheuen, das zu tun, was in die Verborgenheit gehört, vermuten, daß sie daheim eine Brinneiferigkeit haben, welche die Gesundheit ruiniert, und drittens denkt dieser und jener in der Gesellschaft: Was dem einen recht, ist dem andern billig, geniert ihr euch nicht, genier' ich mich auch nicht, dürft ihr schmatzen, darf ich kratzen; läßt nun alle geheimen Würmer und Otterngezüchte, welche er im Herzen trägt und sonst bei sich behielte, los, die schlechten, spöttischen Reden, die Schraubereien und Verleumdungen, welche denn wieder von andern aufgefangen und erwidert werden, so daß das ganze Pläsier zugrunde geht. Auf diese Weise habe ich es erlebt, daß durch so ein öffentlich löffelndes Ehepaar lauter Zank und Hader in eine Gesellschaft kam, der immer mehr stieg, je mehr die Eheleute miteinander karessierten.
Dagegen ist es eine wahre Freude, bisweilen vernünftige junge Leute zu sehen, die bescheiden und anständig sich betragen; das Frauchen sitzt da, und der Mann da, jedes diskuriert höflich mit seinen Nachbarn, keines scheint auf das andere zu achten, von Handgeben und Küssen ist nun gar nicht die Rede, und doch sieht man den roten, muntern Gesichtern an, daß sie zu Hause Glück und Segen miteinander haben; gleichsam zwei Äpfel sind sie an einem Zweige, die auch nicht nacheinander umgucken und doch zusammen wachsen, gedeihen und reifen. Der Ehestand ist ein Segensstand, aber er will mit Vernunft und Geschick und Manierlichkeit angegriffen sein, sonst macht er, wie der Wein im Übermaß, trunken, dumm und ungesund. Er ist wie der grüne Zweig am Apfelbaum; was darauf zum Gedeihen kommen soll, muß hübsch still und ruhig sich daran halten bei Sonnenschein und Regen.«
»Eure Moralien klingen zwar ziemlich hausbacken, aber es liegt doch etwas Wahres darin«, sagte der Jäger. »Der gesunde Menschenverstand behält immer recht, obschon er selbst nicht das letzte Recht ist. Was meine Eltern betrifft, so spricht deren nachheriges Verhältnis auch gewissermaßen für Eure Sätze. Meine Mutter ist nach dem entsetzlichen Schreck wie umgewandelt gewesen, er hatte auf sie wie ein Sturzbad gewirkt, der Vater hat späterhin gehen, kommen, sich kleiden dürfen, wie, vornehmen können, was er gewollt, und von der Zeit an, wo ich selbst zum Bewußtsein gelangte, erinnere ich mich der Ehe meiner Eltern, als einer zwar liebevollen, aber freien und ruhigen.«
»Ja, ja«, sprach der Hofschulze, »so mußte es sich wenden. Allzuscharf macht schartig, der Bogen, welcher zu sehr gespannt wird, bricht, und hinter heißem Wetter kommt kühles. Aber Ihnen will ich doch eine gute Lehre geben, junger Herr. Wenn Sie inkognito bleiben, und wie Sie sich mir verkündiget haben, für den Sohn von Bürgersleuten gelten wollen, so müssen Sie mir keine Geschichte erzählen von Jagdschlössern und fürstlichen Banketten und goldenen Uniformen und Bedienten und Reitknechten.«
»Ach, die Lehre kommt zu spät!« rief der junge Jäger lustig. »Das Verstellen hilft mir nichts, ich sehe es wohl ein, und wenn ich auch wie der Vogel Strauß den Kopf wegstecke, man erblickt mich dennoch. Verratet mich aber nicht; ich habe meine Gründe zu der Bitte, die Ihr mit gutem Gewissen erfüllen könnt, denn ein Verbrechen habe ich nicht begangen.«
»Nein, das soll wohl sein, Sie sehen nicht danach aus«, sagte der Hofschulze lächelnd.
»Jetzt nehmt von meiner Seite eine Lehre an. Ihr seid ein alter, gesetzter Mann, dem mehr daran liegen muß, seine Absichten für sich zu behalten, als mir. Wenn Ihr Eure Geheimnisse, welche Ihr zweifelsohne habt, vor mir und meinem Nachspüren bewahren wollt, so müßt Ihr meine Aufmerksamkeit nicht selbst rege machen, müßt mir nicht das Schwert Karls des Großen mit so feierlicher dunkler Rede zeigen.«
Der Hofschulze richtete sich in die Höhe. Seine große Gestalt schien noch zu wachsen, und der Mond, welcher inzwischen aufgegangen war, warf seinen Schatten lang in den Hof. Er sagte mit tiefem Tone und mit einem Nachdruck, der dem andern durch Mark und Bein ging: »Wehe dem, welcher die Geheimnisse des Schwertes Caroli Magni sieht oder hört, wenn es dergleichen gibt!« - Darauf setzte er sich nieder, schenkte seinem Gaste das letzte Glas ein, und tat, als ob nichts vorgefallen sei.
Dieser schwieg verlegen. Er merkte, daß mit dem Alten in manchen Dingen nicht zu scherzen sei. Um wieder ein Gespräch in Gang zu bringen, sagte er endlich: »Ihr verspracht drei Moralen aus meiner Geschichte, habt aber bis jetzt mir nur zwei mitgeteilt.«
»Die dritte«, versetzte der Hofschulze, »ist keine Rede, sondern eine Handlung und Verrichtung.« Mit diesen Worten, deren Sinn er nicht weiter aufklärte, ging er in das Haus.