Dreizehntes Kapitel

Der Jäger schießt und trifft

Immer wurde unser junger Schwabe von seinen schwärmerischen Empfindungen wieder durch einen äußeren Eindruck abgezogen, der ihm etwas Neues zuführte. So besuchte er den Sammler, den wir auf dem Oberhofe kennengelernt haben, einige Tage, nachdem er den Brief an seinen Freund geschrieben hatte. Der alte Schmitz hatte ihm schon hin und wieder ein saures Gesicht gemacht, daß seine Schätze noch nicht früher in Augenschein genommen worden waren, indessen erheiterte sich dieses jetzt bald, als der Jäger, angelegentlich fragend, in der kleinen, engen und dunkeln Wohnung mit ihm durch die aufgestapelten alten Klosterbilder, Pergamenthaufen, Waffen, Urnen und Gefäße hindurchwanderte, und den gelegentlich erfolgenden Auseinandersetzungen: Wo Hermann den Varus geschlagen? ein aufmerksames Ohr lieh. - Der Jäger sah manches ihm Neue und würde von der ganzen Beschauung noch mehr Nutzen gehabt haben, wenn ihm sein Führer Muße gelassen hätte, die einzelnen Stücke genauer zu betrachten. Allein, sobald er einige Sekunden lang bei einem verweilt hatte, riß ihn der Ungeduldige mit schreienden Worten zu einem andern hin, in der Besorgnis, daß irgend etwas übersehen bleiben möchte.

Er lebte, nach Sammlermanier, ganz einsam und nur seinen Seltenheiten hingegeben. Ein großer, schwarzer Kater, welcher ihm treu anhing, machte seine ganze Hausgenossenschaft aus. Dieser ging denn auch heute, wie es seine Gewohnheit war, ernsthaft durch die Zimmer hinter den beiden menschlichen Beobachtern, wie ein dritter Altertumsfreund einher.

Der Alte war eigentlich infolge einer unglücklichen Liebe Sammler geworden. In seiner Jugend hatte er einem schönen Mädchen sein Herz zugewandt, welche, zu früh elternlos, unter der Obhut oder vielmehr Nichtobhut eines schwachen, nachlässigen Vormundes stand und bei ihrem Leichtsinn zu unabhängig war, um verständig bleiben zu können. Nachdem sie den treuen Verehrer vielfältig durch Grillen und Zweideutigkeiten gekränkt hatte, setzte sie ihrem Benehmen durch offenbare Untreue die Krone auf. Der Himmel strafte sie aber doppelt dafür; er ließ sie ihr Herz an einen Unwürdigen hängen und bald hernach in eine schwere Krankheit verfallen, von welcher sie nicht wieder erstand. Auf dem Totenbette trat die Reue ihren wankelmütigen Busen an, sie schickte nach dem Verlassenen, es erfolgte eine Aussöhnung, und sie setzte ihn zum Erben ihres Nachlasses ein. Unter diesem befand sich eine Menge goldener, silberner, emaillierter, seidner Kleinigkeiten, die das lebhafte Ding zusammengekauft, erbettelt, erstoppelt hatte, da ihr Auge, wie das der Elstern, an allen glänzenden Dingen hing, und ihre Hand besitzen mußte, was ihrem Auge gefiel. Der Hinterbliebene stellte nun daraus ein kleines Kabinett sehr ordentlich zusammen, aber bald wollte ihm das Vorhandene nicht mehr genügen, die Medaillen, die Figürchen, die gemalten Portefeuilles und Mappen forderten Gesellschaft, und er gab sie ihnen durch Münzen, Metallsachen, Siegelkapseln, schöngeschriebene Pergamenturkunden. Dergleichen greift aber immer weiter um sich, es zieht gewissermaßen magnetisch das Gleichartige an, und ehe er es sich versah, hatte daher seine Umgebung und sein Leben die nachherige Gestalt bekommen. Da nun die Liebhaberei bei ihm gefühlvollen Ursprungs war, so gab sie ihm auch nicht das Trockene und Leblose, wodurch die Sammler in der Regel der Abdruck ihrer Sachen werden; er behielt vielmehr eine freundliche und milde Sinnesart.

Der Jäger hatte neben einigem Guten viel Geringes besichtigen müssen. Jetzt fiel sein Blick in eine Ecke, worin die uns bekannte Amphora mehr versteckt als gewiesen stand. - »Wie? Und dieses herrliche Gefäß zeigen Sie mir nicht? Das ist ja leicht das schönste Ihrer ganzen Sammlung!« rief er erstaunt.

Eine Traurigkeit beschattete das Antlitz des Sammlers, seine geläufige Zunge stockte, er ging in die Ecke, streichelte die Amphora, wie ein Vater sein krankes Kind streichelt, und erzählte dem Jäger zutraulich die Geschichte ihrer Erwerbung. - »Seit der Zeit nun«, fuhr er fort, »daß ich gegen mein Gewissen dem Hofschulzen ein Attest über sein falsches Karls-des-Großen-Schwert ausstellte und mir durch diese Unwahrheit die Amphora zueignete, macht mir oft die ganze Sammlung keine rechte Freude mehr. Denn bei Altertümern beruht alles auf der Wahrheit, und wer für ein fremdes gelogen hat, der kann auch leicht den Glauben an seine eigenen verlieren. Es geht mir schon hin und wieder so; ich sehe die Donnerkeile zweifelnd an, ich habe bereits geträumt, meine so schönen Brakteaten seien nachgemachte Scharteken. Das Ende vom Liede wird wohl sein, daß ich die Amphora zurückgebe und mir mein falsches Attest wieder aushändigen lasse, wenn ich gleich nicht weiß, wie ich den Verlust des prächtigen Gefäßes werde überstehen können.«

Der Jäger mußte ungeachtet des kummervollen Gesichtes, welches der alte Mann machte, lächeln, und sagte: »Mit Ihrer Gewissenhaftigkeit wäre nie ein Museum zustande gebracht worden. - Aber sagen Sie mir, was für eine Bewandtnis hat es eigentlich mit dem Schwerte, auf welches der Hofschulze einen so außerordentlichen Wert legt?«

Hierauf gab der Sammler dem Jäger folgende wundersame Auskunft. »Daß hier auf unserer roten Erde der geweihte Boden der Freigerichte, welche man nur sehr uneigentlich Femgerichte genannt hat, war, wissen Sie«, sagte er. »Freigerichte waren sie, und Freigerichte blieben sie trotz aller späteren Entstellungen und Mißbräuche, nämlich die Gerichte der ursprünglich freien Markengenossen, die so unbeschränkt auf ihrer Wehr saßen, als der König in seiner Pfalz. Das aber werden Sie nicht wissen, daß in mehreren Distrikten und so auch nahe hiebei manche Höfe, welche das Freischöffenrecht hatten, immer noch die Tradition dieses Besitzes erhalten, und daß dieselbe vom Vater auf den Sohn, vom Sohn auf den Enkel fortgepflanzt wird. Natürlich ist jetzt die Sache zu einer bloßen Spielerei herabgesunken. Aber Wissende gibt es wirklich noch immer, die von Zeit zu Zeit sich bei den alten Freistühlen versammeln, und durch Mitteilung der geheimen Erkennungszeichen und des Rituals neue Wissende machen. Anfangs nahmen einige Behörden von dem Hokuspokus Notiz, wollten in die Mysterien eindringen, aber das gelang ihnen nicht, die Bauern trieben ihr Wesen nur um so vorsichtiger und blieben gegen alle Anmutungen, den Sinn der Losung zu verraten, standhaft. Seitdem bekümmert man sich nicht mehr darum.

Der Oberhof gehört nun recht eigentlich zu den alten Freischöffengütern. Nach dem Bauernglauben war es Karl der Große, der die Gerichte einsetzte, und das Gewaffen, was in dem Hofe aufbewahrt wird, gilt für das Richtschwert, welches der Kaiser zum Zeichen der Investitur dem ersten Besitzer gegeben habe. Der Hofschulze, der ein gar schlauer Vogel ist, hat, sein Ansehen zu steigern, sich diesen Glauben zunutze gemacht, und spielt nun eine Art von Freigrafen. Er soll nicht selten mit den Schöffen der umliegenden großen Höfe am Freistuhl zusammenkommen. Ja man spricht, daß durch ihn in die leeren Possen wieder ein Gehalt gebracht worden sei, daß sie über manche Sachen wirklich ihre geheimen Urteile fällen. So viel ist wenigstens gewiß, daß die Gerichte sich selbst über die wenigen Streitigkeiten wundern, die aus jener Gegend vor sie gebracht werden, obgleich unser Land sonst die Heimat der Prozeßkrämer ist.«

»Aber wie ist das möglich, da ihnen ja jede Macht der Ausführung fehlt?« fragte der Jäger, den diese seltsame Entdeckung ganz träumerisch bewegte.

»Nun«, sagte der Sammler, »sie können freilich keinen Widerspenstigen mehr am Baume aufknüpfen, aber wenn sie ihm nun Hülfe, Beistand, Vorschub versagten, es durch ihren Einfluß, da sie die Reichsten in der Gegend sind, dahin brächten, daß ihn auch die andern mieden, keiner mit ihm im Kruge tränke, Knecht und Magd nicht bei ihm aushielte; wie dann? Wäre das nicht auch ein Zwang, zwingend genug? Was vermag nicht die Meinung von Standesgenossen über den Menschen? Es werden mitunter dort umher einzelne in auffallender Art freunde- und genossenlos, das dauert eine Weile, dann nähert sich ihnen wieder alles. Man spricht, diese seien Verfemte, und nur ihre Nachgiebigkeit hebe den Bann wieder von ihrem Hause.«

Der Jäger reimte nunmehr sich manches zusammen, was ihm bisher unverständlich geblieben war. Er teilte seine Vermutung, daß binnen kurzem am Freistuhl etwas vorgehen werde, dem Sammler mit, und fragte ihn eifrig, ob es nicht möglich zu machen sei, einem solchen heimlichen Gerichte aus der Verborgenheit zuzuschauen? Damit wollte indessen der Sammler als mit einer gefährlichen Sache nichts zu tun haben.

Der Fuhrmann trat ein, welcher den Jäger nach dem Oberhofe befördern sollte und sagte, daß der Wagen vor der Türe stehe. Der Jäger hatte nämlich mit dem Diakonus die Absprache genommen, sich in der Stadt einquartieren zu wollen, hielt es jedoch für ziemlich, seinem alten Wirte in Person Dank und Lebewohl zu sagen. Einen Teil des Weges über hatte er weder auf diesen, noch auf das Fuhrwerk acht, da seine Gedanken um den Freistuhl und die Geheimnisse des Femgerichtes schwebten, die noch immer schattenartig in der Gegenwart fortlebten. »Sonderbares Land«, rief er für sich, »in welchem alles ewig zu sein scheint! Wie kommt es, daß aus dir noch kein großer Dichter hervorgegangen ist? Diese Erinnerungen, welche von dem Boden nicht weichen wollen, diese alten Sitten und Gebräuche mußten doch wohl imstande sein, eine Einbildungskraft zu entzünden!« Er übersah, daß das Talent keine Feldfrucht ist, sondern wie das Manna in der Wüste vom Himmel fällt.


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