III.

Der magische Schneider

Nicht weit vom Orte in einem engen Talwege, von wo ich bereits deutlich die Weibertreue ragen sah, bemerkte ich, daß ein spindeldürrer Mensch vor meinem Wagen auf der Landstraße hin und her wankte, der nach gemeinen Begriffen für betrunken gelten konnte, denn er taumelte in der Tat außerordentlich und fiel nach einigen Versuchen, Grund und Boden dennoch fest unter den Füßen zu halten, nebenan in den Graben. Seine Lage da unten zwischen Wegerich, Nesseln und Vogelkraut war nicht die eines gewöhnlichen Menschen, denn ganz symmetrisch war er gefallen, mit dem Rücken und Kopfe genau in die Mitte des Straßengrabens, die Arme und Füße aber rechts und links auf die Ränder des Grabens gestreckt, so daß der Meridian gerade durch sein Zentrum ging. Dieses außerordentliche Schauspiel regte meine besondere Teilnahme an, ich stieg vom Wagen, hob mit Hülfe meines Fuhrmannes den Sinnlosen hinauf, und dachte, in Weinsberg werde sich wohl ein Ort finden, wo er ausschlafen könne.

Endlich waren wir angelangt, und Doktor Kernbeißer, dem ich schon empfohlen worden war, empfing mich recht freundlich. - »'s ist gut«, sagte er, »daß Sie kommen. Für zwei Mann wird der Sache zuviel, wir brauchen junge Kräfte, um die Geisterwelt gehörig bestreiten zu können. 's ist heute einmal wieder ein tolles Getreibe hier und das Zwischenreich ganz des Henkers. Das ist ein Gerutsche, Gebrumme, Gepoltre, Gedusele, Gedudele, Geschreite, Gewinsele und ein Gerumore durcheinander, daß man nicht weiß, wo man zuerst anfassen soll. Ich helf' herzlich gern meinen Nebenmenschen in der unsichtbaren Welt, aber es kann einem auch zuviel werden. Der eine will erlöst sein, der andere hat 'n Schatz vergraben, der ein Geheimbuch über die Seite gebracht, dazwischen fallen die Sonnenkreise ab, wie reife Maulbeeren, dem soll man was vorbeten, dem auf'm Klavier was vorspielen, wir wissen beide nicht, ich und mein Freund Eschenmichel, wo uns der Kopf steht.«

Ich bat ihn, sich zu beruhigen, was an mir sei, werde geschehen, ihnen Aushülfe zu geben. - Wir gingen in das Haus, welches mit seinem freundlichen Garten an die Stadtmauer stieß. Drinnen rief uns Eschenmichel, der eben eine Somnambüle bestrich und vor Eifer mich gar nicht begrüßte, an: »Kommt der Dürr?« - »Nein«, versetzte Kernbeißer, »vor der Hand bring' ich nur den Münchhausen.« - »Wer ist der Dürr?« fragte ich. - »Der magische Schneider«, versetzte Kernbeißer, »den wir uns zum Sukkurs verschrieben haben. Ein Satan von Kerl! (O Gott, verzeihe mir meine Sünde und dieses Fluchwort!) Er hat mehr Gewalt über die Dämonen, als wir beide zusammengenommen, er schnauzt sie an, daß es nur so eine Art hat und bringt sie zur Räson. Er sollte uns beistehen und hatte auch sagen lassen, daß er heute kommen wolle. Gott hat ihm den Sinn wunderbarlich aufgeschlossen und mit herrlichen Kräften gerüstet; er steht im Centro der Dinge und sieht von da die Radien ausstrahlen in die Peripherie, wo sie die Schale und die Kruste und die Figur der sogenannten äußeren Welt bilden, über welcher dann die himmlischen Wolken wie suchende und liebende Mütter schweben. Diese streben mildregnend bis zum Centro einzudringen, daß Himmel und Kreatur eins werde in ewiger Lösung und Bindung, und -«

»Schwätz nit so viel, Kernbeißer!« rief hier Eschenmichel dazwischen; »ich kann vor deinem Getös' die Strunz hier nicht vernehmen, welche soeben beginnt mit der inneren Sprach' mir das Geheimnis des Jüngsten Tages auseinanderzusetzen.«

»Ich muß doch dem Münchhausen den Dürr beschreiben!« rief Kernbeißer zugleich zornig und ermattet. - »Immer störst du mich im Aufschwung. Nun ist meine Anschauung zerbrochen, meine Kraft dahin, und ich bin für den Rest des Tages nur noch ein Lump. - Haben Sie den Dürr nicht unterweges erschaut?«

Ich wollte eben verneinend antworten, als der Fuhrmann eintrat und fragte, was denn mit dem toten Menschen auf dem Wagen werden solle. Ich bat Kernbeißern um einen Aufbewahrungsort für meinen Schützling. Er sagte ihn gern zu, ging mit hinaus, um den Menschen vom Wagen heben zu lassen, schlug aber wie außer sich die Hände über dem Kopfe zusammen, als er ihn, der wirklich wie tot auf dem Grunde des Fahrzeuges lag, ansichtig wurde, und rief: »Das ist ja der Dürr! das ist ja der Dürr! das ist ja der magische Schneider! O Himmel, muß ich dich wieder in diesem Zustande sehen, Dürr? - Schauen Sie«, sagte er zu mir, »dieses ist die einzige Schwäche des außerordentlichen Menschen; er besäuft sich einen um den andern Tag, woran aber freilich sein reizbares Nervensystem schuld ist. In dieser Verfassung kann er nun von allen seinen schönen magischen Gaben keinen Gebrauch machen, und so geht die Hälfte seines Lebens für die höhere Welt verloren. O Dürr! Dürr! Dürr! - Aber, was kann's helfen? Nehmt ihn säuberlich herunter und legt ihn auf Stroh, daß er ausschlafe.«

Der magische Schneider, den ich so unwissend aus dem Straßengraben in das Hauptquartier des Geisterreiches befördert hatte, wurde in einen Stall getan, ich aber zog nunmehr bei den Thaumaturgen ein. Bald nachher setzten wir uns ohne vorgängiges Wunder zu Tisch.


Vorige Seite Titelseite Nächste Seite