XI.

Bekenntnisse einer Sterbenden

Kernbeißer war zerbrochen und vernichtet. Dürr schlief. Ich war stark im Glauben und hoffte auf den nächstkünftigen Mittwoch.

Aber die Entscheidung sollte noch rascher heranrücken. Gegen zehn Uhr abends ließ uns die Schnotterbaum rufen. Wir fanden sie völlig entkräftet und kaum noch fähig zu reden. Die Magd wurde herbeigeholt, unterstützte sie mit ihren Armen, und so halb emporgerichtet, gab sie uns, oft unterbrochen von ihrer Schwäche, folgendes zu vernehmen:

»Ihr Herren, es geht mit mir zu Ende. Die Geistersachen haben mich zu sehr mitgenommen. Vielleicht hätt' einige irdische Arznei meinen schwachen und gebrechlichen Leib länger hingehalten; indessen sei es fern' von mir, an den Pforten der Ewigkeit jemand anzuklagen.

Ich werd' den nächstkünftigen Mittwoch schwerlich erleben. Ob der Grobschmidt oder der Magister, mein seliger Herr Vater in mir gesessen, ich weiß es nit, nehm' auch keinen Anteil mehr daran. Ich muß ohne sie oder einen von beiden vor Gott. Der Magister hat mir etwas anvertraut, worüber er auf einer seiner Wanderungen Licht erhalten, und welches der Art ist, daß kein Mensch sich dergleichen denken kann. Es hat mich überaus sehr gequält, ist aber nicht über meine Lippen gekommen. Ich hielt's auch meistenteils für eine Schnurr', darin der Magister von jeher stark war. Weiß auch noch nit, ob etwas Wahres daran ist.

Nun aber höret und vernehmet, Ihr Herrn. Der Magister hat mir auch erzählt, daß er diese verborgene Sache zu Papier gebracht, und das verschlossene Papier sein Testament benamset habe. Bisher wußte ich nun dessen Aufbewahrungsort nicht. Vor kurzem jedoch ist mir offenbart worden, daß es im hiesigen Polizeiarchive und zwar in dem Gefach S unter verschiedenen nicht mehr brauchbaren und staubigen Papieren hinterlegt worden sei, und dorten allerdings noch beruhe.

Nun aber Ihr Herren tut mit meiner Entdeckung und in betreff des bisher unbekannt gebliebenen Testamentes, was Euch gut dünkt. Mich laßt mit mir allein und schickt mir, wenn ich bitten darf, geistlichen Beistand.«

Die Magd mußte sie zurücklegen, und ihre Brust begann zu röcheln. Wir verließen das Zimmer und sandten nach dem Geistlichen. Keiner von uns legte sich nieder. Gegen Mitternacht kam die Magd und sagte, daß sie verschieden sei. Kurz vor ihrem Ende habe sie geäußert: »Es steht kein Engel bei mir, aber ich bin dennoch getrost. Das Unheil ist ohne meinen Willen über mich gekommen; es wird mir vergeben werden.«

»Also wieder eine, die in die Stricke des Zerebralsystems zurückfiel!« rief Eschenmichel. »Dieser Umstand, meine Herren, bleibt vorderhand unter uns.«

Alle unsere Gedanken wendeten sich mit Macht gegen das Testament des Magisters Schnotterbaum. Nach kurzer Verfinsterung durch den dunkeln Körper der Polizei schien die Sonne der höheren Welt nur um so sieghafter leuchten zu sollen. Denn Eschenmichel schrieb auf der Stelle an den Beamten, teilte ihm die Entdeckung mit, und bat ihn um die Erlaubnis für die Etablissementsgenossen, an dem bezeichneten Orte nach dem Testamente suchen zu dürfen. »An dem Rande des Grabes«, so schloß der Brief, »in dem Augenblicke, wo der scheinbare Tag weicht und die heiligen Finsternisse ihre Lichter anzünden, trat die Welt der Geister wieder in ihre unzerstörlichen, urewigen Rechte ein. Aus ihr erscholl die Stimme, welche einen Moment lang zum Schweigen gebracht worden war, um den Glauben am Zweifel zu prüfen. Hat sie Wahrheit gesprochen, so müssen alle Staubwirbel, welche die Geschäftigkeit des modernen Unglaubens aufwühlt, sich zerstreuen und verschwinden.«

»Eigentlich ist's nicht ganz richtig«, sagte Kernbeißer, als er den Brief überlesen hatte. »Denn der Magister hatte ihr bei Lebzeiten vom Testament gesagt, soweit ich die gute Schnotterbaum verstanden habe.« - »Schweig!« rief Eschenmichel, und siegelte den Brief.

Zwischen der Leiche im Hause und dem verhängnisschwangern Polizeiarchiv eingeklemmt verbrachten wir den Rest der Nacht in einer wild-unruhigen, verworrenen Stimmung. Wir wollten dieses sagen, und unsere Lippen sprachen jenes. Wir wollten jubelnde und triumphierende Reden über den Sieg der Thaumaturgie halten, und ehe wir uns dessen versahen, schlugen sie in Klagelieder um. Wir wollten lachen und mußten heiße, schmerzhafte Tränen von den Wangen wischen. Ein Geist, vielleicht mächtiger, als alle bisherigen Poltergeister in und um Weinsberg ging durch das Etablissement.

Frühmorgens sandte Eschenmichel seinen Brief an den Beamten. Sehr bald kam eine Antwort von diesem, worin er auf die allerverbindlichste Weise seine Freude über die hergestellte Tätigkeit der Wunder ausdruckte und meldete, daß er, um allen Unterschleif zu vermeiden, sofort das Polizeiarchiv habe unter Siegel legen lassen. Er bestimmte die Stunde der Nachsuchung und schloß damit, daß er, um dem ganzen Einhergange die größtmögliche Offenkundigkeit und feierlichste Würde zu geben, mehrere Honoratioren des Städtchens und einige Fremde von Auszeichnung dazu einladen lassen werde.

Eschenmichel mühte seinen Geist in Vermutungen ab, was das mystische Testament enthalten werde. »Vielleicht die Entdeckung, wo er die Kleider des erschlagenen Knechts gelassen«, sagte er unter anderem. - »Du vergissest«, erwiderte Kernbeißer, »daß es ja nicht der Grobschmidt, sondern der Magister geschrieben hat.« - »Mir ist hoch zumut!« rief Eschenmichel. - »Mir angst«, sagte Kernbeißer.

Dürr schlief noch immer. Ich packte im stillen meinen Koffer. Warum? weiß ich nicht. Mir war, als müsse ich packen. Gewiß auch noch ein dämonischer Einfluß zu guter Letzt.


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