Zweites Kapitel

Ein Topf läuft über und eine Braut wird geschmückt

Der Hofschulze war nach seiner Rede langsam aus der Kammer und die Treppe hinuntergegangen, gefolgt von dem Spielmann, der auf die Schlußfolgerungen des Alten nichts zu erwidern wußte und sich unten aus dem Hofe schlich. Im Flur überschaute der Hofschulze die getroffenen Anstalten; die Feuer, die Kessel, die Töpfe, die grünen Maien, die bebänderten und vergoldeten Hörner seines Rindviehs. Er schien mit allem zufrieden zu sein, denn er nickte mehrere Male wohlgefällig mit dem Kopfe. Er schritt durch den Flur hofwärts und dann nach der Seite des Eichenkamps, sah die dortigen Feuer lodern und gab gleiche Zeichen des Beifalls, jedoch immer mit einer gewissen Hoheit. Wenn der weiße Sand, womit der ganze Flur und der Platz vor dem Hause dick bestreut war, unter seinen Füßen so recht lebhaft rauschte und knackte, schien ihm dies ein besonderes Vergnügen zu machen.

Jetzt war er von seinem beaufsichtigenden Gange in die Nähe des Herdes zurückgelangt. Ein Topf, welchen die Mägde zu tief in die Gluten geschoben, war im Überkochen begriffen und drohte, seinen Inhalt zu verschütten. Schon war ein Teil des letzteren in das Feuer gewallt, welches sich zischend gegen diesen Feind wehrte. Von den Mägden und Knechten war eben zufällig niemand im Flur, da sie im Baumgarten sich mit der Tafel beschäftigten. Der Hofschulze hätte nun allerdings dem Fortschritte des Unheils durch Abrücken mit eigener Hand Einhalt tun können, aber er war weit entfernt, so die Haltung des Brautvaters, welche ihm verbot, irgend etwas an diesem Tage selbst anzufassen, zu verlieren. Vielmehr stand er ruhig neben dem überkochenden Topfe, ruhig wie jener spanische König, welcher die glühende Kohle lieber seinen Fuß versengen ließ, als daß er sie etikettewidrig selbst weggenommen hätte.

Er begnügte sich damit: »Gitta!« zu rufen, auch nicht hastig und leidenschaftlich, sondern langsam und ruhig. Es dauerte daher einige Zeit, bevor die Magd Gitta herbeikam, und als sie endlich gekommen war, erschien die Hülfe zu spät, denn der Topf hatte nichts mehr zu verschütten.

Der Hofschulze ließ sich diesen Verlust nicht kümmern, die Magd mußte ihm einen Stuhl vor das Haus setzen, er nahm dort, dem Eichenkampe gegenüber, Platz, und erwartete, die Schenkel gerade vor sich hingestreckt, Hut und Stock in der Hand, von der goldenen Sonne prächtig beleuchtet, still und wacker den weiteren Fortgang der Dinge.

Inzwischen schmückten zwei Brautjungfern die Braut auf ihrer Kammer. Rings um sie her standen bunt mit Blumen bemalte Laden und Packen in Leinwand, welche die Ausstattung an Gebild, Betten, Garn, Wäsche und Flachs enthielten. Selbst in der Türe und bis weit auf den Gang hinaus war alles besetzt. Inmitten dieser Reichtümer saß die Braut vor einem kleinen Spiegel, hochrot und ernsthaft. Die erste Brautjungfer legte ihr die blauen Strümpfe mit roten Zwickeln an, die zweite warf ihr den Rock von schwarzem, feinem Tuche über, und ließ diesem Stücke die Jacke gleichen Stoffes und gleicher Farbe folgen. Darauf beschäftigten sich beide mit dem Haare, welches zurückgestrichen und hinten in einer Art von Rad zusammengeflochten wurde.

Während dieser Zurüstungen sagte die Braut kein Wort. Desto gesprächiger waren ihre Freundinnen. Sie lobten den Putz, priesen die aufgestapelten Schätze, und hin und wieder ließ ein verstohlener Seufzer ahnen, daß sie lieber Geschmückte als Schmückende gewesen wären. Unerschöpflich waren sie in Hochzeitsgeschichten, welche jedoch sämtlich darauf hinausliefen, daß die und die dasselbe angezogen habe, was nun auch die Tochter vom Oberhofe der Landessitte gemäß zu tragen hatte. Als diese Erzählungen endlich doch versiegten, kam das Ausbleiben der dritten Brautjungfer an die Reihe. Sie hatte sich unpaß melden, jedoch zugleich sagen lassen, sie werde wohl noch imstande sein, zu kommen, wenn auch später als die andern. Nun war es aber schon zehn Uhr vormittags, in einer halben Stunde mußte die Glocke anfangen zur Trauung zu läuten, es war die höchste Zeit, daß die dritte erschien, ohne welche die Braut für nicht gehörig begleitet gelten konnte. »Sie kommt gewiß«, sagte die zweite Brautjungfer, »an so einem Tage macht sich ja kein Mensch etwas daraus, wenn ihm auch etwas schlimm ist.« - »Und was wollt Ihr mit mir wetten«, rief die erste, »daß sie nicht kommt? Ich weiß, was ich weiß, weiß, mit den Schmerzen ist es so weit nicht her, aber der Verdruß ist zu groß, und sie kann sich nicht zwingen; das hat ihr von jeher gefehlt.«

»Ei Gott«, sagte die Braut, welche hier zum ersten Male ihre Sprache fand, ängstlich, »das wäre ja ein erschreckliches Unglück, und wenn sie ausbliebe, so würde aus der ganzen Hochzeit nichts.« - Sie würde lieber den Bräutigam gemißt, als die dritte Brautjungfer entbehrt haben.

»Wenn du mir folgen willst, Kordelchen, so laß uns auf den Notfall denken«, sprach die zweite Brautjungfer, ein flinkes, anstelliges Mädchen. »Ich pack' deinen zweiten Feiertagsanzug aus, wir warten noch ein Stückchen, und wenn die Sibyll' dann nicht da ist, so kleid' ich die Stellvertreterin für sie ein.«

Ohne die Antwort der Braut abzuwarten, hatte das Mädchen eine der Laden aufgetan und aus derselben den saubern neuen Staat mit allem Zubehör an Bändern und Krausen genommen. Ihre Gefährtin stieß währenddessen durch das Radgeflecht der Haare einen silbernen Pfeil, und dann brachten beide Mädchen mit feierlichen Mienen der Braut die Krone zugetragen. Denn die Mädchen der dortigen Gegend tragen an ihrem Ehrentage keinen Kranz, sondern eine Krone von goldenen und silbernen Flittern. Der Kaufmann, welcher ihren Putz liefert, leiht die Krone nur dar und nimmt sie nach dem Hochzeitstage zurück. So wandert sie von einem bräutlichen Haupte zum andern. Es liegt etwas Schönes und Wahres in diesem Gebrauche und ich müßte mich sehr irren, wenn er nicht aus dem göttlichen Instinkte des Volkes entsprungen wäre, der freilich darin, wie in allem, worin er schöpferisch hervortritt, nur unbewußt gewaltet hat. Das Höchste, Einzige, was nur einmal das Leben zieren kann, soll nie als Eigentum in Besitz genommen werden, soll stets nur leihweise die Stirn des Glücklichen berühren. So darf der Lorbeerkranz um die Scheitel des Helden und Dichters, so darf das Blatt, welches sich, wann Vater und Mutter weinend segnen, durch die Locke der Jungfrau schlingt, nur Gunst und Zeichen eines Augenblicks sein. O es wäre zu wünschen, daß mancher unserer städtischen Damen versagt wäre, mit anspruchsvollem Stolze die welke Myrte zu betrachten, die sie im geschmückten Kästchen unter dem großen Spiegel verwahren, daß sie sich vielmehr hätten gewöhnen müssen, gleich den westfälischen Bäuerinnen die Krone morgen auf einem andern Haupte zu erblicken, welche sie heute trugen, und welche gestern ebenfalls eine andere getragen hat!


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