Die Störung. Was sich in einer Dorfkirche zutrug
Endlich hatte der Jäger die Feder geschnitten. Er schob Lisbeth ein Blatt Papier hin und bat sie, zu versuchen, ob sie schreibe. Sie tat es, konnte aber damit nicht zurechtkommen, sie habe Zähne, sagte sie. Er sah, was sie geschrieben, es war ihr eigener Name in den klarsten, ebensten Zügen. Die feinen Buchstaben entzückten ihn. »Ich glaube, an der Feder liegt es nicht«, stammelte er, »ich wollte wohl, ohne sie zu kappen, ein ganzes Gedicht damit niederschreiben.« - »Tun Sie es«, versetzte Lisbeth und schlug die Augen nieder, »Sie sagten mir ja überdies, daß Sie mir das Tuch mit einem Scherze haben schenken wollen.«
»Oh - der Scherz wird wohl ausbleiben -« rief der Jäger, nahm Feder und Papier, setzte zu dem Worte: »Lisbeth« das Wörtlein: »An«, und schrieb einige Reimzeilen nieder.
Lacht nicht über sie! - Der Jäger konnte seinen guten, runden schwäbischen Vers machen, und hätte bessere zustande gebracht, wäre er freieren Herzens gewesen.
»Ich wollte dir mit leichten Scherzen Die arme kleine Gabe reichen; Da trat mir ein Gefühl zum Herzen, Das jene Scherze machte weichen. Es war die fromme sanfte Rührung, Wenn man durch guter Genien Führung Die lieblichste Natur erblüht, Und aus sich selbst entfaltet sieht.
In deinem Ernst, in deinem Lachen |
Er hatte diese Verse mit fliegender Feder geschrieben, denn die Glocke läutete schon, und Lisbeth, die im Hochzeitszuge nicht fehlen durfte, schien unruhig zu werden. Jetzt reichte er das Blatt mit abgewandtem Gesichte ihr hin und trat von ihr hinweg an das andere Fenster. Nach einigen Sekunden hörte er hinter sich tief atmen und dann leise schluchzen. Rasch wandte er sich und hatte den rührendsten Anblick. Lisbeth stand, etwas gebeugt, als drücke sie die Verehrung, welche sie empfangen, und hielt das Blatt in der reizendsten Unbehülflichkeit mit beiden Händen vor sich hin, wie ein Kind, das die glänzende Weihnachtsbescherung sich noch gar nicht anzueignen wagt. Die hellen Tränen flossen ihr unter den Wimpern, dabei lächelte sie, und sah den Jäger mit dem gläubigsten Vertrauen an, als wollte sie sagen: »Wenn du einen armen Findling so hübsch besingen kannst, so mußt du es wohl recht herzlich mit ihm meinen.« - Endlich fand ihre Empfindung ein lautes Wort und sie lispelte: »Sie machen zuviel aus mir und ich werde noch ganz eitel durch Sie werden.«
Er trat, fest seinen flammenden und doch so sanften Blick auf sie heftend, ihr entgegen und wollte ihre Hand küssen. Sie war küssenswert, diese Hand. Es ist, als ob manchem nichts schaden könne. Trotz aller Arbeit war die Hand weich und zart geblieben. Lisbeth entzog sie seinem Munde, und bot ihm, die Augen schließend, die Lippen dar. Jauchzend wollte er mit den seinigen sie rühren, da öffnete sich die Türe und die Brautjungfer trat mit dem Putze und ihrem Anliegen ein. Die Gestörten traten erschreckt auseinander, Lisbeth zu ihrem Tüchlein, der Jäger, ohne sie anzusehen, an das Fenster, von wo er dann mit niedergeschlagenem Blicke aus dem Zimmer schlich. Denn das Gefühl ist auch darin nur sich selbst gleich, daß es mit dem Bewußtsein der reinsten Tugend die Furcht des lichtscheusten Verbrechens paart. - Du denkst an das geliebte Mädchen zugleich mit deinen Gedanken an Gott, du sagst, wie der Jäger in deinen einsamen Entzückungen: Könnte ich diese Liebe, wie meine beste Tat, von den Dächern rufen! und dann verleugnest du sie wie Petrus den Herrn der ersten Basenfrage, und rufst, ob man von dir glaube, daß du so töricht seist? -
Draußen war unter dem Glockengeläute die Musik immer näher gekommen, und jetzt wurde der Brautwagen, gezogen von zwei starken Pferden am andern Ende des Weges, der durch den Eichenkamp leitete, sichtbar. Die erste Brautjungfer stand mit ihrem dicken, zum Teil übelriechenden Strauße ehrbar neben der Braut, die Knechte standen bei den Packen und Laden im Flur, zum letzten Anfassen bereit; der Hofschulze schaute unruhig nach der zweiten und nach der improvisierten dritten Brautjungfer sich um; denn wenn diese nicht vor der Erscheinung des Bräutigams den Platz, den ihnen der Tag anwies, nahmen, so war es nach seinem Gefühle um die ganze Feierlichkeit geschehen. Doch da kamen die beiden Erwarteten eben noch zur rechten Zeit die Treppe herunter und stellten sich zu der ersten, als der Wagen gerade auf den freien Platz vor dem Hause hinauslenkte.
Gleichmütig im Gesicht, wie alle Hauptpersonen dieses Festes, stieg der Bräutigam vom Wagen. Junge Leute, seine nächsten Freunde, folgten ihm bebändert und bestraußt. Er schritt langsam auf die Braut zu, die auch jetzt noch nicht emporsah, sondern immerfort nur spann und spann. Nun befestigte ihm die erste Brautjungfer den großen Strauß, worin Sternblumen und Salbei dufteten, vorn auf der Brust an dem hochzeitlichen Kleide. Der Bräutigam empfing diesen Schmuck, ohne zu danken, denn der Dank gehörte nicht zum Herkommen. Er reichte seinem Schwiegervater stillschweigend die Hand, dann sie ebenso stillschweigend der Braut, die sich darauf erhob und zu den Brautjungfern stellte, zwischen die erste und zweite und vor die dritte.
Währenddessen hatten die Knechte die Ausstattung auf den Wagen geschafft. Die Szene bekam etwas Wildes, denn indem die Menschen mit dem Gepäck zwischen den Kochfeuern hindurchliefen, wurde mancher brennende Klotz von seinem Orte hinweggestoßen, knisterte und sprühte in dem Wege, den das Brautpaar zu gehen hatte. Nach dem Linnen, dem Flachs, den Betten, den Kleidungsstücken nahm die Braut mit ihren drei Jungfern und dem Spinnrade, welches sie selbst trug, auf dem Wagen Platz. Der Bräutigam setzte sich abgesondert von ihr in den hintersten Teil des Fahrzeuges, und die jungen Bursche mußten diesem zu Fuße folgen, da die Ausstattung zu viel Raum einnahm, um ihnen noch Sitze zu gestatten. Hierüber machte der eine hergebrachte Späße gegen den Hofschulzen, auf welche dieser schmunzelnd antwortete. Er ging hinter den jungen Burschen her, und zu ihm gesellte sich der Jäger. So gingen zwei zusammen, welche an diesem Tage die entgegengesetztesten Empfindungen hegten. Denn der Hofschulze dachte an nichts, als an die Hochzeit, und der Jäger an nichts weniger, als an sie, obgleich seine Gedanken um den Brautwagen flogen.
Fahre dieser nun langsam nach dem Hofe des Bräutigams, wo schon die ganze Hochzeitsgesellschaft, Männer, Frauen, Mädchen, junge Bursche aus allen umliegenden Wehren, und überdies die Freunde aus der Stadt, der Hauptmann und der Sammler seiner warten. Dort wird abgeladen; wir gehen inzwischen voran zur Kirche, die in der Mitte der ganzen Bauerschaft auf einem grünen Hügel, beschattet von Walnußbäumen und wilden Kastanien liegt. - In der Sakristei beschäftigte sich der Diakonus still mit seinem Texte. Er gehörte zu den glücklichen Geistlichen, deren innerste Glaubenskraft vom Zweifel, welchen die neuere Wissenschaft erst recht gründlich ausgeschaffen hat, nicht berührt wird. Die verflüchtigenden Vorstellungen, welche in das Christentum eingedrungen sind, waren ihm nicht fremd geblieben, und sein Geist mußte zu sich sagen, daß darin mehr Wahrheit sei, als in dem Buchstaben des Orthodoxen. Aber es ging ihm mit der heiligen Geschichte, wie es uns mit unsern Eltern geht. Wir erkennen ihre Schwächen und sind doch, wo es auf etwas ankommt, immer ihre Kinder. Denn er wurde gleich ein anderer, wenn er das Heiligtum betrat; zwischen dessen Wänden verschwand ihm die Kälte, er empfand das Evangelium in allen seinen Ausstrahlungen, Wundern und Widersprüchen als eine ewige Tatsache, und als eine wirkliche, nicht als eine gemachte. So war er denn nie in der Kirche Lippengläubiger, sondern erbaut, um andere zu erbauen.
Auch heute war er in den Gegenstand seiner Predigt fromm vertieft. Indessen störte ihn einigermaßen der Küster, welcher, ohne noch dort ein Geschäft zu haben, auch in der Sakristei verweilte, seinen Oberen mit verlegenen Blicken anschaute und dazu unablässig seufzte. Der Diakonus sah sich endlich genötigt, ihn zu fragen, was dies zu bedeuten habe?
»Beklemmung, Beängstigung, ein ungemeines Blutwallen und Zudringen der Säfte nach dem Kopfe hat es zu bedeuten, Herr Diakonus«, versetzte der seufzende Küster.
»Es ist nicht zu verwundern, daß Ihr beklommen seid«, antwortete lächelnd der Diakonus. »Dieses Kopfkissen, welches Ihr jahrein, jahraus, sobald wir die Stadt verlassen, eingeknöpft auf dem Unterleibe tragt, die Witterung mag so schön sein, wie sie will, muß Euch das Blut wallen machen und die Säfte zu Kopfe treiben.«
»Es ist nicht dieses, mein Herr Diakonus«, erwiderte der Küster, indem er seinen ausgestopften Unterleib streichelte, welcher sich in sonderbaren Wellenlinien, Wülsten und Knoten darwies, weil der Inhaber die Federn des Kissens nicht ganz gleich verteilt und verstrichen hatte. »Es ist nicht dieses. Besser bewahrt, wie beklagt, ich weiß ja, was eine hartnäckige Verkältung auf sich hat. Das Kissen ist gleichsam ein Teil von mir geworden und ruht mir ohne die mindeste Beschwer auf dem Herzen. Aber weshalb ich beklommen bin, das ist die Furcht vor einer Herabsetzung meines Ansehens und vor einer Schändung sozusagen des ganzen Küsterstandes, welche mir auf dieser unglückseligen Hochzeit bevorsteht.«
»Wie denn so?«
»Der Herr Diakonus wissen, daß der Schulmeister loci vor nunmehr beinahe acht Tagen verstorben ist, und seine Stelle noch keine Besetzung gefunden hat. So fehlet also dieser Hochzeit der zweite observanzmäßige Aufwärter*, und da hat nun der Hofschulze, dieser alte eigensinnige Mann sich nicht entblödet, mir gestern an- und zumuten zu lassen, ich solle statt des fehlenden Schulmeisters aufwarten, weil Küster und Schulmeister miteinander die meiste Ähnlichkeit und Verwandtschaft hätten, worüber ich denn die ganze Nacht hindurch kein Auge zugetan habe. Annoch kann ich vor Herzklopfen mich nicht zufriedengeben.«
»Freilich würde bei der Aufwartung die eigene Leibesnahrung nicht so wohl gedeihen«, sagte der Diakonus.
»Dieses nebenbei«, sprach der Küster sehr ernst. »Nötigenfalls würde durch Bündelschnüren und Serviettenverpackung dafür gesorgt werden, daß Küsterei in ihren Gerechtsamen keinen Schaden erlitte. Aber daß die Würde eine Beeinträchtigung dulden müßte und die Freiheit der Stelle von allen und jeden Aufwartediensten eine Verletzung erführe; dieses ist die Hauptsache. Und ehe ich ein solches Präjudiz aufkommen lasse, wodurch mittelst fernerer Nachlässigkeit der Amtsnachfolger Küsterei einer immerwährenden Last unterzogen werden könnte, sterbe ich lieber, obschon ich einsehe, daß meine Weigernis einen furchtbarlichen Lärmen hervorbringen kann, denn der Hofschulze ist in allem fest, was er sich vorsetzte. Daher entsprießet denn wohl nicht ohne Grund einiger Kummer.«
Der Diakonus, der durch das Geschwätz des närrischen Küsters sich in seinen Gedanken unangenehm geirrt fühlte, beschwichtigte ihn mit der Versicherung, daß er seinen Einfluß verwenden werde, um den Hofschulzen von dem rechtswidrigen Verlangen abzubringen. Der Küster ging, etwas erleichtert, da es Zeit war, und die Menschen sich schon in der Kirche versammelt hatten, hinaus und begann auf der Orgel die hergebrachte »Schlacht von Prag« zu spielen. Er kannte nämlich nur ein Präludium, und dieses war jene verschollene Schlachtmusik, an welche sich vielleicht noch einige ältere Leute erinnern, wenn ich ihnen in das Gedächtnis zurückrufe, daß das Tongemälde mit dem Aufmarsche der Ziethenschen Husaren anfängt. Von diesem Aufmarsche wußte der Küster dann immer mit freilich nicht selten kühnen Gängen sich in die gangbaren Kirchenmelodien hinüberzuschwingen.
Während des Liedes betrat der Diakonus die Kanzel, und als er die Augen zufällig auf die Versammlung warf, hatte er einen unerwarteten Anblick. Ein vornehmer Herr vom Hofe stand nämlich mitten unter den Bauern, deren Aufmerksamkeit er zerstreute, weil sie von ihrem Gesangbuche immer empor- und nach seinem Sterne schielten. Der vornehme Herr wollte mit irgendeinem Bauern in das Gesangbuch sehen, um in das Lied einzustimmen, da aber jeder, so wie der Herr vom Hofe sich ihm näherte, ehrerbietig auswich, so gelangte er nicht zum Zwecke und erregte nur eine fast allgemeine Unruhe. Denn wenn er in eine Kirchenbank sich setzte, so rutschten auf der Stelle sämtliche darin seßhafte Bauern bis in die äußerste entgegengesetzte Ecke, und entflohen der Bank gänzlich, wenn der Vornehme ihnen nachrutschte. Dieses Rutschen und Entrutschen wiederholte sich in drei bis vier Bänken, so daß der Herr vom Hofe, der in der besten Absicht diesen Dorfgottesdienst besuchte, es endlich aufgeben mußte, zu einer tätigen Teilnahme an demselben zu gelangen. Er hatte Geschäfte in der Gegend und wollte die Gelegenheit nicht verabsäumen, durch Herablassung die Herzen dieser Landleute für den Thron zu gewinnen, dem er sich so nahe wußte. Deshalb war, sobald er von der Bauernhochzeit hörte, in ihm der Vorsatz entstanden, ihr leutselig von Anfang bis zu Ende beizuwohnen.
Den Diakonus berührte der Anblick des Vornehmen, den er aus den glänzenden Zirkeln der Hauptstadt kannte, nicht wohltuend. Er wußte, welche sonderbare Sitte der Predigt folgen werde, und fürchtete den Spott des Vornehmen. Seine Gedanken verloren daher von ihrer gewöhnlichen Klarheit, seine Gefühle waren etwas bedeckt und er kam, je weiter er redete, um desto weiter aus der Sache. Seine Zerstreuung wuchs, da er bemerkte, daß der Vornehme ihm verstehende Blicke zuwarf und bei einigen Stellen beifällig mit dem Haupte nickte; meistenteils da, wo der Redner mit sich am unzufriedensten gewesen war. Er beschnitt daher die einzelnen Teile der Traurede, und eilte sich, zur Zeremonie zu gelangen.
Das Brautpaar kniete nieder und die verhängnisvollen Fragen ergingen an dasselbe. Da trug sich etwas zu, was den vornehmen Fremden in den äußersten Schreck versetzte. Denn er sah links und rechts, vor sich und hinter sich, Männer und Frauen, Mädchen und junge Bursche dicke Knittel, aus Sacktüchern gewunden, hervorziehen. Alles war aufgestanden, zischelte untereinander und sah sich, wie es ihm vorkam, mit wilden und heimtückischen Blicken um. Da es ihm nun unmöglich war, den richtigen Sinn dieser Vorbereitungen zu erraten, so verließ ihn alle Fassung, und weil die Knittel doch unwidersprechlich auf jemand deuteten, der Schläge empfangen sollte, so kam ihm der Gedanke, daß er der Gegenstand einer allgemeinen Mißhandlung sein werde. Er erinnerte sich, wie scheu man ihm ausgewichen war, und er bedachte, wie roh der Charakter des Landvolkes ist, und wie die Bauern vielleicht, weil ihnen seine herablassende Gesinnung nicht bekannt sei, sich vorgenommen hätten, den ihnen unbequemen Eindringling zu entfernen. Alles dieses ging blitzschnell durch seine Seele und er wußte nicht, wie er Würde und Person vor dem entsetzlichen Angriffe wahren sollte.
* Bei den Hochzeitmahlzeiten der Bauern in dortiger Gegend warten der Bräutigam und der Schulmeister auf; sonst niemand