Sechstes Kapitel

Der bekannte Schriftsteller Immermann führt eine sehr ernste Unterredung mit dem Freiherrn von Münchhausen. Karlos der Schmetterling entschließt sich, bewogen durch den Anblick eines Sauerbratens und die Zuredungen seiner Geliebten, endlich die Maske abzuwerfen

Der Schriftsteller lief, als er den Schloßhof erreicht hatte, gerade auf das Haus zu, indem er fortwährend für sich murmelte: »Hätte ich ihn nur erst aus dieser Klemme! Sich so zu verfahren und zu versteigen, gerade in dem Augenblicke, wo ich ihm ein anständiges und sicheres Brot verschaffen kann! Wenn sie mein Wort nur gelten lassen!« - Er drückte an der Klinke der Türe. Da sie sich aber so nicht öffnen lassen wollte, so stemmte er sich mit der ganzen Gewalt seiner Schultern gegen sie, und da ihn die Natur mit einer ziemlichen Leibeskraft ausgestattet hatte, gelang ihm, was Semilasson und den drei Unbefriedigten so wenig, als dem Jäger möglich gewesen war. Die morsche Türe wich nämlich aus den Angeln, einige innen vorgesetzte Tonnen und Kisten fielen um, die Türe fiel auf sie und in das Innere des Flurs, der Schriftsteller fiel auf die Türe, wenigstens halb, und solchergestalt, fast mit der Türe in das Haus fallend, eröffnete er gewaltsam den Zugang zu dem Schlosse Schnick-Schnack-Schnurr, dessen Inneres ohne seine Dazwischenkunft vielleicht lange unzugänglich geblieben wäre. Einen Augenblick sich erholend und im Flure stehenbleibend hörte auch er oben das heftige Schnarchen. - »Der Schäker! Was hat er nun da vor!« rief der Schriftsteller lachend und eilte die Treppe hinauf. In Münchhausens Zimmer standen mehrere Fläschchen und Gläserchen mit den seltsam-schillernden Feuchtigkeiten, deren schon einmal Erwähnung geschehen ist, gefüllt, auf dem Tische. Der Inhalt war hin und wieder verschüttet und ein scharfer mineralischer Dunst würzte die Luft. Nahe bei dem Tische schlief aber der Freiherr auf einem Stuhle, das Haupt zur Seite hängend, den festesten und gesundesten Schlaf, obgleich der Apparat auf dem Tische anzudeuten schien, daß er noch wenige Minuten zuvor gewacht haben müsse. Ganz überaus schnarchte er und lächelte wirklich, wie Karl Buttervogel gesagt hatte, gleich einem Engel in seinem Schlummer. Der Schriftsteller überblickte einige Augenblicke schweigend und ironisch schmunzelnd den Schläfer und die chemischen Zurüstungen, dann setzte er seine Brille auf, wie er immer vor wichtigen Momenten zu tun pflegt, schlich sich auf den Zehen zu dem Freiherrn, schlug ihm auf die Schulter und flüsterte ihm in das Ohr: »Keine Verstellung gegen mich, alter Freund!«

Das hangende Haupt des Freiherrn fuhr rasch empor, so daß er gegen die Nase des Schriftstellers anstieß und die Brille aus ihrer richtigen Stellung brachte, die Augen Münchhausens öffneten sich weit, starrten mit dem Ausdrucke eines unglaublich freudigen Erstaunens den Besuch an und schienen zu sagen: Nun, das muß wahr sein, wenn die Not am höchsten, ist die Hülfe am nächsten. Er blieb aber sprachlos.

Der Schriftsteller nahm die Brille ab, wischte die Gläser mit seinem Taschentuche rein und rief dann mit der Brille in der Hand lebhaft gestikulierend, dem Freiherrn zu: »Nun sagt mir, Erzkauz und Herzog der Phantasterei, Marquis von Traumland und König aller modernen Zigeuner und Bettelstudenten -«

»... gefürsteter Abt in qualitate qua, Herr zu Irrlicht, Nebeltau und Wildfeuer, Baron des unheiligen Reichs der Motten, Ziegenmelker und Karpfenschwänze*, Grand aller böhmischen Dörfer, Erbbelehnter in sämtlichen künftigen neuen Entdeckungen, Großpensionär von Lirum Larum etc. etc. etc.«, fiel der Freiherr seinem Kurator in die Rede. »Ihr seid im Zuge mit Euren gewöhnlichen unaufhaltsamen Bezeichnungen, und ich will Euch darin helfen«, setzte er hinzu.

»Nein, Herr von Münchhausen«, erwiderte der Schriftsteller, der plötzlich ernst geworden war, kalt. »Vergeuden wir die edle Zeit nicht mit müßigen Spielen des Witzes! Ich bin mit Ihnen sehr unzufrieden. Immer noch sah ich Sie auf der Höhe der Wogen, jetzt aber scheinen Sie gänzlich unter der Flut zu sein. Was soll dieses Schlafen? Was soll das Verrammeln in einem Hause, welches nicht Ihnen gehört? Fühlen Sie denn nicht, daß Sie durch solche Eulenspiegeleien sich fallenlassen?«

»Herr Immermann, Sie irren«, versetzte Münchhausen. »Ich schlief ein, als ich mir gegen den alten Narren, meinen Wirt, durchaus nicht anders mehr zu helfen wußte. Darin ahmte ich nur das Stratagem erfinderischer Köpfe nach. Ich versichere Sie, man wird vielleicht bald von dem chronischen Schlummer mehrerer Projektenmacher hören, wenn ihr Latein erschöpft ist.«

»Und das Türverrammeln?«

»Konnte ich denn wissen, daß Ihre gewichtige Kraft mir so nahe sei? Ich wollte Zeit gewinnen, eine halbe Stunde entscheidet oft alles, in einer halben Stunde kann der Himmel einfallen und dann sind wir durch jegliche Erdennot hindurch. Und wirklich habe ich recht gehabt. Sie sind da, der alte Baron nicht, der sonst vielleicht schon hier wäre und alle ruhige Besprechung unmöglich machte.«

»Mein Herr, lassen Sie diese possenhafte Betrachtung einer intrikaten Lage!« fuhr der Schriftsteller seinen Klienten barsch an. »Der alte Baron läuft nach dem Bürgermeister, um Polizeihülfe herbeizuschaffen! Begreifen Sie nun Ihre Position? Sorge ich darum väterlich für Sie, schicke ich deshalb gewissenhaft die Fläschchen der von Ihnen bereiteten Tinktur an den Oberkammerherrn, schreibe ich mir, um Ihnen endlich ein sicheres Brot bei dem geistreichen Erbprinzen von Dunkelblasenheim zu verschaffen, beinahe die Finger lahm, damit Sie nun schmachvoll in dem Protokolle irgendeines obskuren Polizeibeamten endigen? Nein, Münchhausen, ich kann Sie fast nicht mehr achten, Sie sind doch ein gar zu verlogener Schelm.«

Der Freiherr hatte während dieser harten Anrede sacht unter seinen Kleidungsstücken gewühlt. Jetzt zog er daraus einen schwarzen Frack hervor und einen kleinen zusammengelegten Klapphut. »Was sehen Sie?« fragte er seinen rauhen Beschützer in einem ruhigen, man möchte sagen, überlegenen Tone.

»Einen Frack und einen Klack!« rief der Schriftsteller noch immer zornig, obgleich diese harmlosen Gegenstände keine Entrüstung verdienten.

Münchhausen zog an dem kleinen Klapphute, da wurde er größer, er griff dehnend in die Öffnung, da wurde er dreieckicht, er nahm aus den Seitenwänden einen weißen Federbusch und steckte ihn auf, da war es ein Offizierhut, wie er nur sein mußte. Dann krempelte er den Frack um, häkelte das seidene Unterfutter los, da kam überall rotes Tuch zum Vorschein und am Kragen und an den Aufschlägen weißes mit Goldstickerei. Er warf seinen Rock ab, zog diese phantasievolle Uniform an, setzte den Hut auf und ein Offizier in fremden Diensten stand vor dem Schriftsteller.

Dieser betrachtete die neue Gestalt, welche sich wie durch Zauberei vor ihm gebildet hatte, mit Erstaunen. »So sind Sie denn also wirklich - was ich noch immer nicht glauben wollte - Sie sind...«

»St! mein Lieber« - rief der Freiherr plötzlich ängstlich werdend. »Sprechen Sie ein gewisses Wort nicht aus; es ist das einzige, was mir Schrecken erregt! Ich wollte Ihnen nur zeigen, daß meine Mittel nicht erschöpft sind. Aus jenen Westen, Jacken und Tüchern, die Sie da liegen sehen, kann ich auf Verlangen Neugriechen, Matrosen, Jockeis herstellen mittelst Knöpfens, Wendens, Steckens - ein ziemlich gewandter Proteus. Und so möge der alte Baron und ein Bürgermeister, der Teufel und seine Großmutter gegen dieses Schloß heranrücken, mir soll das Herz nicht abwärts sinken. - Sie haben mich in Ihrer rauhen Manier angefahren, Sie haben einen hohen Ton gegen mich angestimmt, als seien Sie wunder wie weit über mir und ich nur eine mediokre Figur. Ich bin gegen solche Beleidigungen empfindlich. Deshalb frage ich Sie jetzt, womit habe ich sie verdient? Wissen Sie einen einzigen schlechten Streich von mir, mein Herr?«

Der Schriftsteller versetzte nach einigem Besinnen: »Nein. Wahrheit muß Wahrheit bleiben. Einen eigentlich schlechten Streich weiß ich allerdings nicht von Ihnen. Wie hätte ich mich auch mit einem Escroc so weit einlassen mögen?«

»Nun denn!« rief Münchhausen, und seine Gestalt, von der roten Uniform gehoben, nahm eine Art komischer Erhabenheit an. »Ich habe phantasiert, ja! Ich habe tolle Streiche ausgehen lassen, ja! Ich habe es mit der Wahrheit ziemlich oder vielmehr unziemlich leichtgenommen, ja! Ich war überall und nirgends, mein Name war mir stets so gleichgültig, wie der Rock, den ich gerade zufällig trug - aber mein Ehrenwort hatte ich mir darauf gegeben, alles dieses Schwärmen, Phantasieren, Fabulieren, Vagabondieren uneigennützig zu treiben, und obgleich ich der Freiherr von Münchhausen heiße, dieses Ehrenwort habe ich gehalten. Die Kasse manches Narren stand mir zu Gebote und blieb unberührt von mir; höchstens erlog ich mir hin und wieder Obdach und freie Beköstigung, wenn ich sonst nicht wußte, wohin mein Haupt legen und was beißen oder brechen?«

»Waren Sie stets so uneigennützig?« fragte der Schriftsteller mit scharfem Akzent.

»Nein«, rief Münchhausen plötzlich wieder kleinlaut, »ich will mich gegen Sie nicht besser machen, als ich bin. Einmal habe ich einer einfältigen Gans Liebe vorgelogen, um zu ihres Vaters Geld und Gut zu gelangen und da mußte ich zuletzt erfahren, daß kein Geld und Gut vorhanden sei. Diese eigennützige Lüge ohne Erfolg brachte nun eine ganz greuliche und ekelhafte Nachwirkung in mir hervor. Denn es gibt kein abscheulicheres Gefühl für einen Charakter, wie ich bin, als Witz und Phantasie umsonst ausgespendet zu haben. Und da gab ich mir eben das Ehrenwort, fortan in der reinen unselbstischen Erfindung zu schwelgen.«

»Doch im Grunde eine traurige Schwelgerei!« sagte der Schriftsteller.

»Die lieblichste und üppigste!« rief der Freiherr begeistert. Seine Züge nahmen ein Gepräge an, wie es noch niemals in ihnen gesehen worden war. Seine Augen leuchteten wunderlich und schrecklich, durch die Irrgänge seiner Lineamente schlichen Schelmerei, Spott, trunkenes Behagen, wie schöne Mädchen, die in einem vernachlässigten Park spazierengehen. Mit den Fingern griff er in die Lüfte, als wollte er da tausend lustige Erinnerungen sich greifen, er sah wie der Geist Capriccio aus. - »Was ist das süße Feuer, welches die Traube in unsere Adern gießt, was sind die veratmenden Ohnmachten des höchsten Liebesrausches gegen das selige Behagen, mit allen stolzen Torheiten der Zeit zu tändeln, zu scherzen, zu spielen und des Witzes urkräftige Blitze in alle Spelunken hinableuchten zu lassen! Man fühlt sich wahrhaft als Schöpfer; eine neue Welt ersteht, durch welche man als König und Wohltäter hinzieht, denn hinter den Rädern des Siegeswagens blühen in den Geleisen phantastische Blumen auf, welche dem Gefolge lieblicher duften als Rosen und Jasminen. Ich habe viele Narren glücklich gemacht und da die Welt aus Narren besteht, so habe ich die Welt beglückt, so weit mein streifender Fuß sie betrat.

Was soll ein gescheiter Kerl jetzt anders tun als lügen, die Prahlhänse zum besten haben, umherlaufen, sich wandeln und verwandeln? In Kriegsdienste gehen? - Napoleon hat das Heldentum ausgebeutet, wie er selbst ungefähr mit den nämlichen Worten auf Sankt Helena sagte, für fünfzig und mehrere Jahre, es ist heutzutage als sähe man bleierne Soldaten aufgestellt, darunter ist auch immer noch einer als General und mehrere sind als Hauptleute lackiert, aber bleierne Soldaten sind sie alle. In der Staatskunst sich versuchen? Auch da verlangt man nach einem Chef, der's ist, der nicht bloß so heißt. Zeigt mir einen Richelieu, oder nur einen schlauen, geschminkten Mazarin und ich werde Legationsrat. In Papier spekulieren? Pfui! Ich bin ja kein Jude. Den Tiefdenker machen, das Original, den Sonderling, den Unglücklichen? Abgebraucht. Was bleibt übrig? Lügen, Flirren, Flausen produzieren. Ein Lügner war ich, ein Lügner bin ich, ein Lügner will ich sein! Ich habe auf Tollheiten spekuliert, das ist das höchste und nobelste Hasardspiel, was es gibt. Lucian ist mein Evangelium und Ebu Seid von Serug mein Herr und Meister!

Und da ich ein solcher bin, wie können Sie, mein Herr, sich herausnehmen, mir so unhöflich zu begegnen?«

»Was!« rief der Schriftsteller Immermann, »du empörst dich, Geschöpf, wider deinen Schöpfer?«

»Alter Freund«, versetzte der Freiherr mit ruhiger Hoheit, »Ihr seid nicht der Mann, einen Mann wie mich zu schaffen. Ihr habt einige meiner Abenteuer aufgeschrieben und demnach ein Stück meiner Biographie geliefert, das ist das Ganze, und wer weiß noch, ob mir und meinem Rufe damit sehr gedient gewesen ist, denn Ihr habt wenig Kredit in der Literatur. Ihr besorgt mir die Flaschen mit der Hühneraugenessenz an den Oberkammerherrn, und wollt mir durch dieses und andere Mittel mein sicheres Brot bei dem Erbprinzen von Dünkelblasenheim verschaffen. Ob ich Euch dafür zu danken habe, weiß ich erstlich noch gar nicht, denn vielleicht sagt mir die gebundene Lage nicht zu. Wäre das aber auch, so sind jene Dienste kleine Gefälligkeiten, die ich Euch dadurch reichlich vergütet habe, daß ich Euch erlaubte, aus mir ein Buch zu machen.«


* Vermutlich sind hier die rastlos schwirrenden grauen Nachtfalter mit dem fischschweifartigen Hinterleibe genannt. Zurück


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