Achtes Kapitel

Entdeckungen über Entdeckungen

Es war ein Uhr mittags. Der alte Baron hatte heute noch nicht einen Bissen genossen. Ihn hungerte trotz alles Ärgers. Er suchte Emerentien, sie war aber freilich weder im Wohnzimmer noch in ihrem Schlafgemache zu finden. In der Küche sah er ein verglimmendes Feuer. »Mich dünkt, wir sollten heute Sauerbraten bekommen«, sagte er, »vielleicht ist er gar und ich kann mir immer schon ein Stückchen abschneiden für den ersten Angriff.« - Es roch recht lieblich und nahrhaft da zwischen den Brandmauern, aber ach, die Töpfe und Schüsseln auf dem Herde waren leer. Auf dem Schemel lag die Hauskatze, eine von den schwarz- und gelbgestreiften, ruhig und harmlos, mit zugekniffenen Augen spinnend. Der alte Baron sah grimmig von den leeren Schüsseln nach der Katze, von dieser nach jenen. Er hielt sich nicht länger und mit dem Rufe: »Ich will dir Bestie denn doch endlich das Fressen wohl verleiden!« gab er der armen Unschuldigen einen so heftigen Schlag, daß das treue Haustier schreiend aufsprang und winselnd forthinkte, denn eine Pfote war ihm von dem Stockschlage gelähmt worden.

Der Blick des zornigen Hausherrn fiel auf ein Buch, welches neben dem Herde lag. Er erkannte Emerentias Handschrift, wurde neugierig und begann darin zu lesen, nur die letzten Blätter, so daß er nicht den ganzen Zusammenhang von seiner Tochter Gedanken und Gefühlen daraus entnehmen konnte, aber leider erfuhr er schon durch das, was er las, ein neues, nur zu großes Unheil.

Es war Emerentias Tagebuch. Sie pflegte, was sie am Abend geschrieben, am Morgen darauf in der Küche zu ihrer Erholung sich vorzulesen. Nun hatte sie in den letzten Wochen, da sich der Schatz ihrer anderweitigen Vorstellungen und Erinnerungen ausgeleert haben mochte, nur eingezeichnet, was sie an Lebensmitteln dem maskierten Fürsten zugesteckt hatte, den sie aus einer zärtlichen Grille gerade auf diesen Blättern nur Karlos nannte, also mit dem Namen, der ihrem Vater entzifferbar war. Zu seinem Entsetzen las er demnach, daß der Bediente Karl Buttervogel die Katze gewesen war, welche das Schloß in Hungersnot versetzt, daß sein eigenes Fleisch und Blut dieses häusliche Elend gestiftet hatte.

Ohne ein Wort zu sagen, ließ er das Tagebuch fallen. Heimlich murmelnd ging er die Treppe nach dem Söller hinauf in seine Gerichtsstube, als müsse ihm da irgendein Gedanke kommen, der ihm Luft in der Brust schaffen könne. Münchhausen hatte er fast vergessen. Karlos den Schmetterling oder die Katze, wie man ihn nun nennen will, abzustrafen, nicht mit Worten, sondern mit Werken, dahin zielten alle seine Gedanken. Oben musterte er irren Blickes die abgelegte Garderobe seiner Gemahlin, die an den Pflöcken umherhing. Man hätte sehen können, daß seine Vorstellungen nicht bei diesen Roben, Spenzern und Taffentmänteln waren, die Augen suchten nur mechanisch Gegenstände, um sich anzuheften. Er riß, ohne zu wissen, was er tat, ein altes Kleid vom Pflocke, dahinter wurde ihm ein Paar Pistolen an Nägeln aufgehängt, sichtbar, und neben den Pistolen hing ein Pulverhorn. Die Pistolen von den Nägeln nehmend, versuchte er ihre Schlösser. Sie waren gut eingeölt gewesen, die Hähne knackten und die Steine gaben lustig Feuer. Er schüttelte das Pulverhorn, es war nicht leer. Er lud die eine Pistole, und würde zum Verhängnis vielleicht auch noch eine Kugel gefunden haben, wenn er nicht in seinem gefährlichen Werke von jemand unterbrochen worden wäre, und zwar von dem, den er in seinem erbitterten Sinne trug.

Karl Buttervogel betrat nämlich, gerade als der alte Baron die Pistole mit Pulver geladen hatte, ohne vorher anzupochen, die Gerichtsstube, um die Gebote seiner Dame auszuführen. Er betrat die Stube mit den Empfindungen eines Fürsten, eines Liebenden und eines Eßlustigen. Hechelkram schwebte zwar seiner Seele immer nur noch in unbestimmten Umrissen vor, desto fester zeichneten sich die Gefühle des Liebenden und Eßlustigen in ihm. Stolz und keck trug er sich, hatte Stiefeln und Rock rein abgebürstet, den lackierten Hut in der Hand, und das rot- und weißgeblümte Halstuch von Zitz vorn in einer übermäßig großen Schleife zusammengebunden. Zum Zierat war von ihm in dem Knopfloche ein Tannenreis und eine gelbe Malve befestigt worden.

So trat er höchst mutvoll und sicher, denn ihn stärkte die Erinnerung an Emerentias rotes Kleid, zu dem Manne ein, dessen Schwiegersohn zu heißen jetzt sein heißestes Verlangen war.

Die Züge des alten Barons nahmen bei Karls Erscheinen den Ausdruck einer giftigen Süßigkeit an. Er setzte sich in seinen Lehnstuhl, legte die Pistolen vor sich auf den Tisch, holte tief Atem und sagte dann: »Er kommt mir gerade recht, mein Sohn.«

»Allerdings Sohn, nichts als Sohn, und so weiter Sohn«, versetzte Karl sich räuspernd.

»Trete Er doch etwas näher hieher zu mir«, sagte der alte Baron, indem die Finger seiner rechten Hand unruhig auf dem Tische spielten.

»Niemals vor jetzt«, erwiderte Karl Buttervogel und setzte seinen lackierten Hut auf, denn er glaubte als Fürst und glücklich Liebender sich diese Rücksicht schuldig zu sein. - »Sondern hier stehenbleiben und der Tisch zwischen uns, während die Anhaltung geschieht und Maske fallen gelassen wird. Denn alles muß seine Ordnung haben, und wenn keine Ordnung mehr in der Welt ist in Fürsten- und Heiratssachen, so wäre der Mensch ein Dummerjan und ein rechter Flegel. Also hier stehenbleiben aus der Entfernung, in dieser Distanz und Augenmaß von zehn Fuß wird Rede gehalten und nachher noch Zeit genug zum Hingehen und Niederfallen und Handküssen, wenn Rührung ausbricht, geschluchzt wird, und Schwiegervater Schwiegersohn umarmt, insofern nämlich nichts weiter als dieses außer allem dem Sonstigen platterdings unmöglich wenn gleich schwierig und wirklich effektiv.«

Der alte Baron sah den Bedienten, der in diesen fremden Zungen redete, sprachlos an.

»Da man nämlich Fürst ist -«

Der Schloßherr faßte seinen Kopf mit beiden Händen. Karl fuhr, ohne sich stören zu lassen, die Hände in die Hosentaschen steckend, (denn er hielt dies für vornehm) und sich auf den Füßen hin und her wiegend, (das kam ihm nämlich erhaben vor) fort: »Da man nämlich Fürst ist, so wird Hechelkram sich finden, wenn auch verborgen vor jetzt und in Zukunft. Maske wäre hiemit fallen gelassen, hier oben wie unten im Garten. Nach dieser Schwiegersohnsangelegenheit sehr nötig und fast schon zu spät. Nichtsdestoweniger, weil nämlich überhaupt und dennoch gnädiges Fräulein sehr von mir angegriffen gewesen, und durchaus gewollt, ich soll's sein, zugesagt darauf, immer Wurst und Eier und Rindfleisch gegeben, und jetzt sich meisterhaft angezogen, Sauerbraten gekocht, so wird Widerstand unmöglich und wofern fernerweite gute Verköstigung ausgemacht wird, muß sich Rieke in Stuttgart das Maul wischen und obgleich keine Bestechung erfolgt ist, was schmerzlich war und unrecht, einen Bedienten für nichts und wieder nichts verführen zu wollen, so wird hiemit um die Hand gebeten und gänzlich entschlossen ist man, Fräulein unten im Garten zu heiraten.«

»Er will sich mit meiner Tochter verbinden?« stammelte der alte Baron.

»Dieses wäre die Absicht und das Contentement, wofern Heirat zur Verbindung gehört«, sagte Karl.

»Komme Er jetzt wenigstens, mein Söhnchen«, schmeichelte der Schloßherr in einem keuchenden Tone. »Komme Er jetzt wenigstens zu mir.«

»Ganz wohl«, versetzte Karl Buttervogel. - »Man sieht, daß Rührung im Gang ist und Tränen nicht ohne sein werden.« - Er ging zu seinem Schwiegervater, der die Zeit kaum erwarten zu können schien, um sich an dem Schwiegersohne zu letzen. Den Hut auf dem Kopfe behaltend, kniete er vor dem alten Baron nieder und sagte: »Folglich bäte man hiedurch um Ihren Segen!«

»Da hast du den Segen, du Racker, du Spitzbube!« schrie der Alte und reichte dem Liebenden eine der schwersten, klatschendsten und schmerzhaftesten Ohrfeigen, welche wohl jemals in Deutschland geschlagen worden sind. Der Hut fiel dem Geohrfeigten vom Kopfe, er sprang heulend auf, hielt die blutige feuernde Wange mit beiden Händen und stürzte nach der Türe. Der grimmig-gereizte alte Mann aber stürzte ihm, die eine Pistole ergreifend nach zur Treppe, überlaut rufend: »Tot schieß' ich den Halunken! den Hund! die Katze, die ganz Schnick-Schnack-Schnurr kahl gefressen hat!«

Der Bediente voran auf der Treppe, der alte Baron hinterher - -

Hier verrichtet unsere Erzählung das Mirakel, welches einst jenem Wundertäter, dessen Name mir entfallen ist, gelang. Er war in ein Sterbehaus berufen, um einen Toten aufzuerwecken, unterweges sah er einen Schneider aus dem Fenster stürzen, den hieß er, weil er keine Zeit für ihn übrig hatte, so lange in der Luft schweben, bis er vom Toten zurück wäre, tat hierauf im Sterbehause was seines Amtes war, kehrte darnach zu dem schwebenden Schneider zurück und ließ ihn sänftlich zur Erde niederkommen.


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