Eine furchtbare Laune des Geschicks
»Triumph!« rief der Schriftsteller, als Münchhausens Zimmer rein geworden war.
»Triumph!« rief der Freiherr und sprang vom Lager auf. »Das war eine Schlacht, wie die an der Moskwa, und schlafend habe ich sie gewonnen, bloß durch meinen General habe ich gesiegt.«
»Lassen wir die sinistern Erinnerungen ruhen!« versetzte der Schriftsteller. »Sie wollten Euch zerreißen, wie die Bacchantinnen den Orpheus und jeder wollte sich seinen Teil zueignen, aber ich habe Euch ganz, unzerteilt, unzerstückelt erhalten, Reifenschläger, Gooseberry u.s.w. u.s.w.«
»... Professor Pips, Lord Drum, Mr. Raquette, Legationsrat von Sachtleben, Duca di... di...«
»... u.s.w. u.s.w. Vertieft Euch nicht in die Vergangenheit. Fort aus dem verwünschten Schlosse! Wenn noch jemand käme -«
Münchhausen schrak etwas zusammen, dann aber faßte er sich und sagte: »Dieser Jemand wird nicht kommen. Es wäre ja die albernste Laune, eine Laune, die ich selbst dem Schicksale nicht zutraue, wenn ein junger, plumper, unerfahrener Mensch mich ausfindig machte; zudem ist das Schloß in diesem verruchten Nebel auf zwanzig Schritte Entfernung nicht zu sehen.«
Ein Hacken wie mit einem Beile ließ sich über ihren Köpfen vernehmen, zugleich sang Emerentia unten lauter, ohne daß die Worte verständlich waren. Der Wind schnob, pfiff, die Wände schütterten. Der Schriftsteller machte ein ängstliches Gesicht. Er verlangte, daß Münchhausen augenblicklich mit ihm das Schloß verlassen solle. - »Nein!« rief der Freiherr, »dort im Schlafe ist mir ein allerliebstes spirituelles Billett an den Erbprinzen eingefallen, worin ich ihm den Plan unserer künftigen geheimen genialen Lebensweise vorzeichnen will, und zugleich ein submisses Danksagungsschreiben an den regierenden Herrn für meine semioffizielle Anstellung in den angemessensten Ausdrücken; solche Ideen, Penséen, Attrappen und Calembourgs müssen aber improvisiert und nicht destilliert werden, nur aus dem Stegreif geraten sie.«
»Toller Mensch!« rief der Schriftsteller und bezeichnete ihm den Ort, wo er seiner mit den Wechseln zur Reise nach Dünkelblasenheim warten wollte. Es war ein Dorf ganz in der Nähe, wo sich eine für Altertumsfreunde merkwürdige Kirche mit einer sonderbar geformten Krypte befand. - »Bestellt ein gutes Abendessen, sprengt einen Burschen für doppeltes Trinkgeld nach der Stadt, um uns Champagner zu verschaffen; wir wollen einen lustigen Abend haben und uns des Lebens freuen, das wie Champagner zu brausen beginnt!« rief der Freiherr seinem Kurator nach.
Er ging trällernd ein paarmal in der Stube auf und nieder, richtete den umgestürzten Tisch auf, legte sich zwei Bogen Postpapier zurecht, und schrieb nun, während das Schloß schütterte, der Wind heulte und das Lied Emerentias unten wie das Lied der Parzen immer schrillender klang, gleichzeitig die beiden Briefe, den spirituellen und den submissen, erst eine Zeile Geist an den Erbprinzen und dann eine Zeile Angemessenes an den regierenden Herrn.
Dazwischen schnitt er lustige Grimassen, pfiff die Anfänge von Opernarien, oder deklamierte große Rauscheworte aus Tragödien. Sein buntes, abenteuerliches, wildes Leben war ihm während des Schlafes in der Schlacht vor der Seele vorübergegangen, er fühlte sich von sich begeistert, er war in einer komischen Ekstase. Das Leben bei Hofe, seine wunderbare Doppelstellung zwischen den Hühneraugen des alten und dem geistigen Bedürfnisse des jungen Herrn sah ihn aristophanisch schillernd an, er blickte in eine ganze Welt von Schnurren und diplomatischen Faxen hinein.
In diesem Rausche vernahm er nicht, daß jemand mit entschiedenem Schritte die Treppe heraufkam, die Türe öffnete und sich hinter ihn stellte. Er saß, das Haupt tief auf die Briefbogen gebückt, so daß ihm der Fremde nicht in das Gesicht sehen konnte. Nachdem dieser einige Augenblicke so stillschweigend gestanden hatte, während Münchhausen immer emsig fortschrieb, sagte der Fremde: »Verzeihen Sie meine Dreistigkeit, ich suche den Herrn Baron -«
Münchhausen fuhr empor, unwillkürlich fiel sein Blick in den gegenüberhangenden Spiegel; er sah das Antlitz des Fremden darin, die Feder entsank seiner Hand, sein gelbes Gesicht wurde nicht grünlich, sondern weißgrau, seine Züge, die eben sich sarkastisch geformt hatten, blieben wie gefroren in diesem Ausdrucke stehen, sein Mund öffnete sich; er glich einer komischen Maske aus Stein. Der Fremde seinerseits stand gleichfalls vor Überraschung regungs- und sprachlos. So bildeten die beiden, welche sich hier so wunderbar fanden, einige Sekunden lang die seltsamste Gruppe.
»Was!?« rief endlich Münchhausen, als er die Sprache wiederfand. - »Was!?« rief der Fremde.
»Habe ich so unerwartet die Ehre, den Herrn Grafen von Waldburg« - stammelte Münchhausen.
»Zu dienen, Herr Schrimbs oder Peppel«, versetzte der Jäger.
»Ei, das ist ja heute ein an plötzlichen Rencontres überaus gesegneter Tag«, sagte der Freiherr, dessen Züge jetzt wieder flüssig wurden, um in ein unverhehlbares Beben überzugehen. - »Der Teufel hole den Teufel!« fügte er ingrimmig murmelnd hinzu. »Er hat mich mit den Possenspielen des Morgens und mit dem Lockgesange des Erbprinzen eingelullt, um mich nun unter die Fäuste dieses Schwaben zu werfen.«
»In der Tat, ich erwartete Sie nicht hier«, sagte der Jäger. »Da es sich indessen wider alles Vermuten so fügt -«
»So will ich den Herrn vom Hause rufen, nach dem Sie, wenn ich nicht irre, verlangten«, rief Münchhausen, sprang auf und wollte zur Türe hinausrennen. - Der Jäger vertrat ihm aber den Weg, sah auf die Pistole, die am Boden lag und sagte kalt: »Ich danke Ihnen, Herr Schrimbs oder Peppel. Den Herrn Baron will ich mir schon selbst aufsuchen zu seiner Zeit, erst aber mit Ihnen ein altes Geschäft in Ordnung bringen.«
»Wenn ich Sie nur verstände!« versetzte Münchhausen.
Der Jäger erhob die Pistole vom Boden und sagte: »Ich werde mich gleich ganz deutlich machen, Herr Schrimbs oder Peppel.«
»Freiherr von Münchhausen, wenn ich bitten darf«, rief der Held, sich selbst vergessend.
»Desto besser. So sind Sie also von Adel und ich kann Sie bei dieser Qualität für mein Vorhaben um so fester halten.«