Fünftes Kapitel

Worin der Hofschulze seine letzte Rede über allerhand wichtige Gegenstände hält

An einem der nächsten Tage ging der Diakonus auf das Gerichtshaus, wo er als Zeuge vernommen werden sollte. Mehrere Menschen, die gleich ihm hinbeschieden worden waren, standen unten vor der Türe, und andere sprachen mit ihnen über den Gegenstand, der vor einigen Wochen die größte Verwunderung im Städtchen erregt hatte, dann den Leuten aus dem Sinne gekommen war, und nun, als das Gericht die Sache wiederaufnahm, von neuem zu reden gab.

Die Zeugen sollten über den Patriotenkaspar und den Oberhof verhört werden. Der Oberamtmann war nämlich an jenem Tage, wo er den Einäugigen traf, über den Fall ins klare und mit einer protokollarischen Darstellung desselben zustande gekommen. Auch er überzeugte sich zwar, daß die Sache verjährt sei, gleichwohl meinte er, sie habe eine solche Gestalt, daß wenigstens das Tatsächliche in aller Form rechtens festgestellt werden müsse. Der Amtseifer des Geschäftsmannes wurde selbst durch den traurigen Zwischenfall mit seinem jungen Freunde nicht von dieser Bahn abgeleitet. Er trug daher, was er geschrieben, zu dem Vorstande des Gerichts, gab die nötigen Erläuterungen dazu und das Gericht ging ebenfalls in die Ansicht ein, daß ein geständiger Mörder wenn auch von noch so alter Zeit her, wenigstens vor der Hand nicht auf freien Füßen stehen und unverhört bleiben dürfe.

Man schritt daher gegen den Patriotenkaspar zur Verhaftung. Dieser hielt von dem Leiterwagen herunter, auf dem man ihn einbrachte, Reden an das Volk, verfluchte die Gerichte von seinesgleichen und pries die Gerichte des Königs, vor denen er nunmehr seine alte Schuld abbüßen wolle. Zugleich berühmte er sich des Torts, den er seinem Todfeinde angetan. Das Gericht wollte sich indessen auch nicht so ohne weiteres mit einer vielleicht nachher getadelten Arbeit belasten, fragte daher höheren Ortes an, von da geschah eine Rückfrage noch weiter hinauf und die Bescheidung erfolgte erst nach mehreren Wochen. Sie ging dahin, daß allerdings, um die Sache aufzuklären, die nötigen Vernehmungen geschehen sollten.

Gerade kurz vor den Tagen, von welchen hier die Rede ist, war jene Bescheidung eingetroffen.

Besichtigungen wurden daher vorgenommen, Zeugen abgehört und diese Dinge brachten die Angelegenheit wieder in das Gedächtnis der Menschen zurück. Die sonderbare Art von Macht, welche der Hofschulze ausgeübt, kam zur Sprache, der einäugige Frevler hatte kein Hehl, daß er seinem Feinde das Schwert an einen verborgenen Ort weggetan habe und obgleich dieser Tatumstand kaum ein Verbrechen, sondern mehr nur einen Mutwillen darstellte, so war er es doch gerade, und was mit ihm zusammenhing, wodurch die Leute am meisten beschäftigt wurden. Man verwunderte sich, daß ein Uraltes, längst Verschollenes sich wie eine unabhängige Macht im Staate hatte hinstellen können.

Auch der Name des Diakonus geriet auf die Zeugenliste. Die Untersuchung ruhte in den Händen eines Richters, der sich viel mit historischen Studien beschäftigte, und diese fanden hier reichliche Nahrung. Er machte daher die Sache wohl weitläuftiger, als sie strenggenommen zu werden brauchte, und hörte jeden ab, der einigen Aufschluß über das Wesen des Oberhofes und das Treiben seines Besitzers zu geben vermochte. Deshalb hatte er denn den Diakonus gleichfalls vorladen lassen, weil dieser, wie bekannt war, viel mit dem Hofschulzen verkehrte, obgleich er von dem eigentlichen Gegenstande der Nachforschungen nicht das mindeste wußte.

Man ließ den Diakonus seines Standes wegen nicht im Zeugenzimmer warten, sondern berief ihn sofort in die Verhörstube. Dort wohnte er einem sonderbaren Auftritte bei. An den Schranken stand der einäugige Mörder und in einer Ecke saß der Hofschulze, über dessen verfallenes Aussehen der Diakonus erschrak. Der Mörder stand ganz strack da und sein reicher Feind saß in zusammengekrümmter Haltung. - »Noch einmal fordere ich Euch auf«, sagte der Richter zum Patriotenkaspar, »mir zu entdecken, wohin Ihr das Schwert getan habt; bedenkt, daß Ihr durch hartnäckiges Verleugnen Euer Schicksal erschwert. - Hofschulze, sagt ihm ins Gesicht, daß Ihr Euer ganzes Haus danach vergeblich durchsucht habt, daß es also nicht im Oberhofe liegen könne.«

»Wenn der Mensch keine Hexenmeisterkünste ausgeübt und es in einen Balken inwendig hineingehext hat, so liegt es draußen irgendwo und der Bösewicht muß wissen, wo es liegt«, sagte der Hofschulze, indem er einen Blick des grimmigsten Zornes auf den Entwender warf.

Der Einäugige, der mehr seinen Feind im Auge behielt, als den Richter, versetzte: »Und dennoch liegt es im Oberhofe, Hofschulze, aber finden werdet Ihr es schwerlich, wenn Ihr nicht das ganze Haus von Grund aus umreißt. Und das ist eben meine Freude, daß Ihr das wissen sollt, und daran vergehen, daß es Euch so nahe ist und dennoch verborgen bleibt. Mein Schicksal weiß ich. Daumenschrauben und Leitern gelten nicht mehr; Ihr könnt mich also höchstens sitzen lassen, Herr Richter, und das mögt Ihr tun, denn ich schweige und werde schweigen, müßte ich auch hundert Jahre absitzen. Wo das Schwert liegt, diese Sache geht mit mir in die Grube.«

Der Richter, welcher gar zu gern das alte Schwert gesehen hätte, fuhr den hartnäckigen Verleugner heftig an, der Hofschulze aber richtete sich auf, unterbrach ihn und sagte mit plötzlicher Hoheit: »Lasset es gut sein, Herr Richter, wenn meine Bitte etwas gilt, denn ich habe mich besonnen und dieser Bösewicht wird nichts verraten. Ich werde mich ohne das Schwert zu behelfen wissen.«

Der Richter ließ den Patriotenkaspar abführen. »Seid nun so gut«, sagte der Hofschulze, »die Sachen von mir aufzunehmen, die mit den anderen Dingen stimmen, welche bereits von mir geschrieben stehen.«

Der Richter schien etwas in Verlegenheit zu geraten und erwiderte: »Das gehört ja nicht zur Sache und ich muß überhaupt erst den Herrn Diakonus vernehmen.« - Dessen Verhör war kurz, es drehte sich eigentlich um nichts. Der Hofschulze wartete ruhig die Beendigung ab; dann wiederholte er seine frühere Bitte. - »Soweit ich Euch im allgemeinen verstanden habe«, sagte der Richter, »wollt Ihr Sachen aufgeschrieben wissen, die sich nicht ziemen.«

»Nicht ziemen!« rief der Hofschulze mit erhöhter Stimme. »Ich habe Euch auf alle Fragen nach der Heimlichkeit und wie ich sie verwaltet, Rede gestanden, und nun verlange ich auch mit der Manier, daß meine Auskünfte und Zusätze gehörig dazugetan werden, und soweit mir die Rechte bekannt sind, dürft Ihr mir die Zunge nicht stumm machen.«

»Nun denn«, rief der Richter halb ängstlich halb ärgerlich seinem Schreiber zu, »zeichnen Sie auf, was der Alte sagt.«

»Ja, alt bin ich, und alt ward ich in Ehren«, versetzte der Hofschulze gelassen. Der Diakonus wollte gehen. - »Nein, bleiben Sie, Herr Diakonus«, sagte der Hofschulze, »es ist mir gar sehr lieb, daß Sie zufällig hier sind, denn ich ästimiere Sie als einen frommen und gelehrten Mann von Herzen, und es kann mir nicht schaden, wenn auch Sie meiner Art und Manier Zeugenschaft geben. - Herr Skribent«, sagte er zu dem Schreiber so gebietend, als habe er an Gerichtsstelle zu befehlen, »schreibet genau auf, was ich zu wissen tue.

Herr Richter, ich mag mit meinem Schwerte und mit der Heimlichkeit am Stuhl wohl wie ein Narr da in den Schriften stehen, und Possen, wenn mir recht ist, nannte der junge vornehme Herr, an dem ich mich in meiner Angst vergreifen wollte, die Sachen, woran mein Herz gehangen hat. Ich will aber jetzt explizieren, was vor eine Bewandtnis es mit diesen Possen gehabt hat. - Allerhand habe ich erlebt in der Bauerschaft, Friedenszeiten und Kriegesläufte und Hagelschlag, Überschwemmung, gute Ernte und Mißwachs und Viehsterben. Nun sah ich denn, seitdem ich in die Jahre getreten war, wo das Menschenkind anfängt nachzudenken, daß hin und her die Herren kamen, die sich auf die Schreiberei verstehen und auf das Besserwissen als die Leute, welche die Sache angeht, und die kuckten nach, wenn alles geschehen war, das Korn niedergetreten und das Vieh in den letzten Zügen lag und die Wässer wieder im Ablaufen sich befanden. Hatte aber gar der Feind geplündert und ravagiert, da kamen sie vollends erst lange darnach und notierten sich's auf, denn während der Gefahr war meistens keiner der Herren zu finden.

Die Herren taten dann ordinieren, wie alles wieder in Richtigkeit zu bringen sei, mehrestenteils aber sagten sie Sachen des Sinnes und Verstandes, daß wenn der Hagel nicht gefallen wäre, so hätte sich das Korn nicht umgelegt und ohne die Lungenfäule müßten die Kühe noch am Leben sein. Unterweilen wurde auch wohl einiges Geld geschickt, es kam aber selten an den Rechten, und im ganzen rappelten diejenigen sich am besten wieder heraus, welche nicht auf die Hülfe der Herren da draußen warteten, sondern sich selber halfen, wohingegen ich manche Menschen habe ganz herunterkommen sehen, die immerdar bei jedem Unfall meinten, es müsse nun von da draußen ihnen das Malheur gutgemacht werden.

Erstaunend absonderlich aber war eine Sache. Mitunter machte ein Herr von der Schreiberei unter uns Bauern Dinge, worüber wir lachen mußten und dann traf es sich wohl, daß ein solcher Herr ein paar Jahre darauf von weither mit vier Pferden durch die Bauerschaft gefahren kam und hatte eine Miene, als habe er bei Erschaffung der Welt mitgeholfen und allerhand bunte Bänder vorne am Rocke.


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