Zu Insterburg.
Geheimer Rath. Major.
Major.
Hier Bruder Ich schweife wie Kain herum, unstät und flüchtig Weißt Du
was? Die Russen sollen Krieg mit den Türken haben; ich will nach Königsberg gehn, um
nähere Nachrichten einzuziehen: ich will mein Weib verlassen und in der Türkey sterben.
Geh. Rath.
Deine Ausschweifungen schlagen mich vollends zu Boden. O Himmel, muß es denn von
allen Seiten stürmen? Da liß den Brief vom Professor Mr.
Major.
Ich kann nicht mehr lesen; ich hab meine Augen fast blind geweint.
Geh. Rath.
So will ich dir vorlesen, damit Du siehst, daß Du nicht der einzige Vater seyst, der sich zu
beklagen hat: »Ihr Sohn ist vor einiger Zeit wegen Bürgschaft gefänglich eingezogen
worden: er hat, wie er mir vorgestern mit Thränen gestanden, nach fünf vergeblich
geschriebenen Briefen keine Hofnung mehr, von Eurer Excellenz Verzeihung zu erhalten. Ich redte ihm
zu, sich zu beruhigen, bis ich gleichfalls in dieser Sache mich vermittelt hätte: er versprach
es mir, ist aber ungeachtet dieses Versprechens noch in derselben Nacht heimlich aus dem
Gefängniß entwischt. Die Schuldner haben ihm Steckbriefe nachsenden und seinen Namen in
allen Zeitungen bekannt machen wollen; ich habe sie aber dran verhindert und für die Summe
gutgesagt, weil ich viel zu sehr überzeugt bin, daß Eure Excellenz diesen Schimpf nicht
werden auf Dero Familie kommen lassen. Uebrigens habe die Ehre, in Erwartung Dero Entschlusses mich
mit vollkommenster« ...
Major.
Schreib ihm zurück: sie sollen ihn hängen.
Geh. Rath.
Und die Familie
Major.
Lächerlich! Es giebt keine Familie; wir haben keine Familie. Narrenspossen! Die Russen sind
meine Familie: ich will Griechisch werden.
Geh. Rath.
Und noch keine Spur von Deiner Tochter?
Major.
Was sagst Du?
Geh. Rath.
Hast nicht die geringste Nachricht von Deiner Tochter?
Major.
Laß mich zufrieden.
Geh. Rath.
Es ist doch Dein Ernst nicht, nach Königsberg zu reisen?
Major.
Wenn mag doch die Post abgehn von Königsberg nach Warschau?
Geh. Rath.
Ich werde Dich nicht fortlassen; es ist nur umsonst. Meynst Du, vernünftige Leute werden sich
von Deinen Phantasien übertölpeln lassen? Ich kündige Dir hiermit Hausarrest an.
Gegen Leute, wie Du bist, muß man Ernst gebrauchen, sonst verwandelt sich ihr Gram in Narrheit.
Major. (weint)
Ein ganzes Jahr Bruder geheimer Rath Ein ganzes Jahr und niemand weiß,
wohin sie gestoben oder geflogen ist?
Geh. Rath.
Vielleicht todt
Major.
Vielleicht? Gewiß todt und wenn ich nur den Trost haben könnte, sie noch zu
begraben aber sie muß sich selbst umgebracht haben, weil mir niemand Anzeige von ihr
geben kann. Eine Kugel durch den Kopf, Berg, oder einen Türkenpallasch; das wär
eine Victorie.
Geh. Rath.
Es ist ja eben so wohl möglich, daß sie den Läuffer irgendwo angetroffen und mit dem
aus dem Lande gegangen. Gestern hat mich Graf Wermuth besucht und hat mir gesagt, er sey denselben
Abend noch in eine Schule gekommen, wo ihn der Schulmeister nicht hab' in die Kammer lassen wollen:
er vermuthet immer noch, der Hofmeister habe drinn gesteckt, vielleicht Deine Tochter bey ihm.
Major.
Wo ist der Schulmeister? Wo ist das Dorf? Und der Schurke von Grafen ist nicht mit Gewalt in die
Kammer eingedrungen? Komm: wo ist der Graf?
Geh. Rath.
Er wird wohl wieder im Hecht abgestiegen seyn, wie gewöhnlich.
Major.
O wenn ich sie auffände Wenn ich nur hoffen könnte, sie noch einmal wieder zu sehen
Hol mich der Kuckuk, so alt wie ich bin und abgegrämt und wahnwitzig; ja hol mich der
Teufel, dann wollt' ich doch noch in meinem Leben wieder einmal lachen, das letztemal laut lachen
und meinen Kopf in ihren entehrten Schooß legen und denn wieder einmal heulen und denn
Adieu Berg! Das wäre mir gestorben, das hieß mir sanft und selig im Herrn entschlafen.
Komm Bruder, Dein Junge ist nur ein Spitzbube geworden: das ist nur Kleinigkeit; an allen
Höfen giebts Spitzbuben; aber meine Tochter ist eine Gassenhure, das heiß' ich einem
Vater Freud machen: vielleicht hat sie schon drey Lilien auf dem Rücken. Vivat die
Hofmeister und daß der Teufel sie holt! Amen.
(gehn ab)
Eine Bettlerhütte im Walde.
Augustchen. (im groben Kittel.)
Marthe. (ein alt blindes Weib)
Gustchen.
Liebe Marthe, bleibt zu Hause und seht wohl nach dem Kinde: es ist das erstemal, daß ich Euch
allein lasse in einem ganzen Jahr; also könnt Ihr mich nun wohl auch einmal einen Gang für
mich thun lassen. Ihr habt Proviant für heut und Morgen; Ihr braucht also heute nicht auf der
Landstraß auszustehn.
Marthe.
Aber wo wollt Ihr denn hin, Grethe; das Gott erbarm! da Ihr noch so krank und so schwach seyd;
laßt Euch doch sagen: ich hab auch Kinder bekommen und ohne viele Schmerzen, so wie Ihr, Gott
sey Dank! aber einmal hab ichs versucht, den zweyten Tag nach der Niederkunft auszugehen und
nimmermehr wieder; ich hatte schon meinen Geist aufgegeben, wahrlich ich könne Euch sagen, wie
einem Todten zu Muthe ist Laßt Euch doch lehren; wenn Ihr was im nächsten Dorf zu
bestellen habt, obschon ich blind bin, ich will schon hinfinden; bleibt nur zu Hause und macht
daß Ihr zu Kräften kommt: ich will alles für Euch ausrichten, was es auch sey.
Gustchen.
Laßt mich nur, Mutter; ich hab Kräfte wie eine junge Bärin und seht nach
meinem Kinde.
Marthe.
Aber wie soll ich denn darnach sehen, Heilige Mutter Gottes! da ich blind bin? Wenn es wird saugen
wollen, soll ichs an meine schwarze verwelkte Zitzen legen? und es mit zu nehmen, habt Ihr keine
Kräfte, bleibt zu Hause, liebes Grethel, bleibt zu Hause.
Gustchen.
Ich darf nicht, liebe Mutter, mein Gewissen treibt mich fort von hier. Ich hab' einen Vater, der
mich mehr liebt als sein Leben und seine Seele. Ich habe die vorige Nacht im Traum gesehen,
daß er sich die weissen Haare ausriß und Blut in den Augen hatte: er wird meynen, ich
sey todt. Ich muß ins Dorf und jemand bitten, daß er ihm Nachricht von mir giebt.
Marthe.
Aber hilf lieber Gott, wer treibt Euch denn? Wenn Ihr nun unterwegens liegen bleibt? Ihr könnt
nicht fort...
Gustchen.
Ich muß Mein Vater stand wankend; auf einmal warf er sich auf die Erde und blieb todt
liegen Er bringt sich um, wenn er keine Nachricht von mir bekommt.
Marthe.
Wißt Ihr denn nicht, daß Träume grade das Gegentheil bedeuten?
Gustchen.
Bey mir nicht Laßt mich Gott wird mit mir seyn. (geht ab)
Die Schule.
Wenzeslaus. Läuffer. (an einem Tisch sitzend) Der Major.
Der Geheime Rath und Graf Wermuth.
(treten herein mit Bedienten)
Wenzeslaus. (läßt die Brille fallen)
Wer da?
Major. (mit gezogenem Pistol)
Daß Dich das Wetter! da sitzt der Haas im Kohl. (schießt und trift Läuffern in
Arm, der vom Stuhl fällt)
Geh. Rath. (der vergeblich versucht hat ihn zurückzuhalten)
Bruder (stößt ihn unwillig) So hab's denn darnach, Tollhäusler!
Major.
Was? ist er todt? (schlägt sich vors Gesicht) Was hab ich gethan? Kann Er mir keine
Nachricht mehr von meiner Tochter geben?
Wenzeslaus.
Ihr Herren! Ist das jüngste Gericht nahe, oder sonst etwas? Was ist das? (zieht an seiner
Schelle) Ich will Euch lehren, einen ehrlichen Mann in seinem Hause überfallen.
Läuffer.
Ich beschwör' Euch: schellt nicht! Es ist der Major; ich hab's an seiner Tochter
verdient.
Geh. Rath.
Ist kein Chirurgus im Dorf, ehrlicher Schulmeister! Er ist nur am Arm verwundet, ich will ihn
kuriren lassen.
Wenzeslaus.
Ey was kuriren lassen! Straßenräuber! schießt man Leute übern Haufen, weil man
so viel hat, daß man sie kuriren lassen kann? Er ist mein Kollaborator; er ist eben ein Jahr
in meinem Hause: ein stiller, friedfertiger, fleißiger Mensch, und sein Tage hat man nichts
von ihm gehört, und Ihr kommt und erschießt mir meinen Kollaborator in meinem eignen
Hause! Das soll gerochen werden, oder ich will nicht selig sterben. Seht Ihr das!
Geh. Rath. (bemüht Läuffern zu verbinden)
Wozu das Geschwätz, lieber Mann? Es thut uns leyd genug Aber die Wunde könnte
sich verbluten, schaft uns nur einen Chirurgus.
Wenzeslaus.
Ey was! Wenn Ihr Wunden macht, so mögt Ihr sie auch heilen, Strassenräuber! Ich muß
doch nur zum Gevatter Schöpsen gehen. (geht ab)
Major. (zu Läuffern)
Wo ist meine Tochter?
Läuffer.
Ich weiß es nicht.
Major.
Du weißt nicht? (zieht noch eine Pistol hervor)
Geh. Rath. (entreißt sie ihm und schießt sie aus dem Fenster ab)
Sollen wir Dich mit Ketten binden lassen, Du
Läuffer.
Ich habe sie nicht gesehen, seit ich aus Ihrem Hause geflüchtet bin; das bezeug' ich vor Gott,
vor dessen Gericht ich vielleicht bald erscheinen werde.
Major.
Also ist sie nicht mit Dir gelaufen?
Läuffer.
Nein.
Major.
Nun denn; so wieder eine Ladung Pulver umsonst verschossen! Ich wollt, sie wäre Dir durch den
Kopf gefahren, da Du kein gescheutes Wort zu reden weißt, Lumpenhund! Laßt ihn liegen
und kommt bis ans Ende der Welt. Ich muß meine Tochter wieder haben, und wenn nicht in diesem
Leben, doch in jener Welt, und da soll mein hochweiser Bruder und mein hochweiseres Weib mich
wahrhaftig nicht von abhalten (läuft fort.)
Geh. Rath.
Ich darf ihn nicht aus den Augen lassen. (wirft Läuffern einen Beutel zu) Lassen Sie
Sich davon kuriren, und bedenken Sie, daß Sie meinen Bruder weit gefährlicher verwundet
haben, als er Sie. Es ist ein Bankozettel drin, geben Sie Acht drauf und machen ihn sich zu Nutz so
gut Sie können. (gehn alle ab)
(Wenzeslaus kömmt mit dem Barbier Schöpsen und einigen Bauerkerlen)
Wenzeslaus.
Wo ist das Otterngezüchte? Redet!
Läuffer.
Ich bitt Euch, seyd ruhig. Ich habe weit weniger bekommen, als meine Thaten werth waren. Meister
Schöpsen, ist meine Wunde gefährlich?
(Schöpsen besieht sie)
Wenzeslaus.
Was denn? Wo sind sie? Das leid ich nicht; nein, das leid ich nicht und sollt es mich Schul und Amt
und Haar und Bart kosten. Ich will sie zu Morsch schlagen, die Hunde Stellen Sie Sich vor,
Herr Gevatter; wo ist das in aller Welt in iure naturae, und in iure civili, und
im iure canonico, und im iure gentium, und wo Sie wollen, wo ist das erhört,
daß man einem ehrlichen Mann in sein Haus fällt und in eine Schule dazu; an heiliger
Stätte Gefährlich; nicht wahr? Haben Sie sondirt? Ists?
Schöpsen.
Es ließe sich viel drüber sagen nun doch wir wollen sehen am Ende wollen
wir schon sehen.
Wenzeslaus.
Ja Herr, he he, in fine videbitur cuius toni; das heißt, wenn er wird todt seyn, oder
wenn er völlig gesund seyn wird, da wollen Sie uns erst sagen, ob die Wunde gefährlich war
oder nicht: das ist aber nicht medicinisch gesprochen; verzeyh Er mir. Ein tüchtiger Arzt
muß das Dings vorher wissen, sonst sag' ich ihm ins Gesicht: er hat seine Pathologie oder
Chirurgie nur so halbwege studirt und ist mehr in die Bordells gangen, als in die Kollegia; denn
in amore omnia insunt vitia, und wenn ich einen Ignoranten sehe, er mag seyn aus was
für einer Fakultät er wolle, so sag' ich immer: er ist ein Jungfernknecht gewesen; ein
Hurenhengst; das laß' ich mir nicht ausreden.
Schöpsen. (nachdem er die Wunde noch einmal besichtigt)
Ja die Wunde ist, nachdem man sie nimmt Wir wollen sehen, wir wollen sehen.
Läuffer.
Hier, Herr Schulmeister! hat mir des Majors Bruder einen Beutel gelassen, der ganz schwer von
Dukaten ist und obenein ist ein Bankozettel drinn Da sind wir auf viel Jahre geholfen.
Wenzeslaus. (hebt den Beutel)
Nun das ist etwas Aber Hausgewalt bleibt doch Hausgewalt und Kirchenraub, Kirchenraub
Ich will ihm einen Brief schreiben, dem Herrn Major. den er nicht ins Fenster stecken soll.
Schöpsen. (der sich die Weil' über vergessen und eifrig nach dem Beutel gesehen,
fällt wieder über die Wunde her)
Sie wird sich endlich schon kuriren lassen, aber sehr schwer, hoff' ich, sehr schwer
Wenzeslaus.
Das hoff' ich nicht, Herr Gevatter Schöpsen; das fürcht' ich, das fürcht' ich
aber ich will Ihm nur zum voraus sagen, daß wenn Er die Wunde langsam kurirt, so kriegt Er
auch langsame Bezahlung; wenn Er ihn aber in zwey Tagen wieder auf frischen Fuß stellt, so
soll Er auch frisch bezahlt werden; darnach kann Er sich richten.
Schöpsen.
Wir wollen sehen.
Gustchen. (liegend, an einem Teich mit Gesträuch umgeben)
Soll ich denn hier sterben? Mein Vater! Mein Vater! gieb mir die Schuld nicht, daß
Du nicht Nachricht von mir bekömmst. Ich hab meine letzten Kräfte angewandt sie
sind erschöpft Sein Bild, o sein Bild steht mir immer vor den Augen! Er ist todt,
ja todt und für Gram um mich Sein Geist ist mir diese Nacht erschienen, mir
Nachricht davon zu geben mich zur Rechenschaft dafür zu fodern Ich komme, ja ich
komme. (raft sich auf und wirft sich in Teich.)
Major. (von weitem)
Geh. Rath und Graf Wermuth. (folgen ihm)
Major.
Hey! hoh! da giengs in Teich Ein Weibsbild wars und wenn gleich nicht meine Tochter, doch
auch ein unglücklich Weibsbild Nach, Berg! Das ist der Weg zu Gustchen oder zur
Hölle! (springt ihr nach)
Geh. Rath. (kommt)
Gott im Himmel! was sollen wir anfangen?
Graf Wermuth.
Ich kann nicht schwimmen.
Geh. Rath.
Auf die andere Seite! Mich deucht, er haschte das Mädchen ... Dort dort
hinten im Gebüsch. Sehen Sie nicht? Nun treibt er den Teich mit ihr hinunter Nach!
(Eine andere Seite des Teichs, Hinter der Scene Geschrey.)
»Hülfe! 's meine Tochter! Sakkerment und all das Wetter!
Graf! reicht mir doch die Stange:
daß Euch die schwere Noth.«
Major Berg. (trägt Gustchen aufs Theater)
Geheimer Rath und Graf. (folgen)
Major.
Da! (setzt sie nieder. Geheimer Rath und Graf suchen sie zu ermuntern) Verfluchtes
Kind! habe ich das an Dir erziehen müssen! (kniet nieder bey ihr) Gustel! was fehlt Dir?
Hast Wasser eingeschluckt? Bist noch mein Gustel? Gottlose Kanaille! Hättst Du mir nur
ein Wort vorher davon gesagt; ich hätte dem Lausejungen einen Adelbrief gekauft, da hättet
ihr können zusammen kriechen. Gott behüt! so helft ihr doch; sie ist ja
ohnmächtig. (springt auf, ringt die Hände; umhergehend) Wenn ich nur wüst', wo
der maledeyte Chirurgus vom Dorf anzutreffen wäre. Ist sie noch nicht wach?
Gustchen. (mit schwacher Stimme)
Mein Vater!
Major.
Was verlangst Du?
Gustchen.
Verzeihung.
Major. (geht auf sie zu)
Ja verzeih Dirs der Teufel, ungerathenes Kind. Nein, (kniet wieder bey ihr) fall nur
nicht hin, mein Gustel mein Gustel! Ich verzeih Dir; ist alles vergeben und vergessen
Gott weiß es: ich verzeih Dir Verzeih Du mir nur! Ja aber nun ists nicht mehr zu
ändern. Ich hab dem Hundsvott eine Kugel durch den Kopf geknallt.
Geh. Rath.
Ich denke, wir tragen sie fort.
Major.
Laßt stehen! Was geht sie euch an? Ist sie doch Eure Tochter nicht. Bekümmert Euch um
Euer Fleisch und Bein daheime. (Er nimmt sie auf die Arme) Da Mädchen Ich sollte
wohl wieder nach dem Teich mit Dir (schwenkt sie gegen den Teich zu) aber wir wollen
nicht eher schwimmen als bis wir's Schwimmen gelernt haben, meyn' ich. (drückt sie an
sein Herz) O du mein einzig theurester Schatz! Daß ich dich wieder in meinen Armen
tragen kann, gottlose Kanaille! (trägt sie fort)
In Leipzig.
Fritz von Berg. Pätus.
Fritz.
Das einzige, was ich an Dir auszusetzen habe, Pätus. Ich habe Dirs schon lang sagen wollen:
untersuche Dich nur selbst; was ist die Ursach zu all Deinem Unglück gewesen? Ich tadle es
nicht, wenn man sich verliebt. Wir sind in den Jahren; wir sind auf der See, der Wind treibt uns,
aber die Vernunft muß immer am Steuerruder bleiben, sonst jagen wir auf die erste beste Klippe
und scheitern. Die Hamstern war eine Kokette, die aus Dir machte, was sie wollte; sie hat Dich um
Deinen letzten Rock, um Deinen guten Namen und um den guten Namen Deiner Freunde dazu gebracht: ich
dächte, da hättest Du klug werden können. Die Rehaarin ist ein unverführtes
unschuldiges jugendliches Lamm: wenn man gegen ein Herz, das sich nicht vertheidigen will, noch
vertheidigen kann, alle mögliche Batterien spielen läßt, um es was soll ich
sagen? zu zerstören, einzuäschern, das ist unrecht, Bruder Pätus, das ist unrecht.
Nimm mirs nicht übel, wir können so nicht gute Freunde zusammen bleiben. Ein Mann, der
gegen ein Frauenzimmer es so weit treibt, als er nur immer kann, ist entweder ein Theekessel oder
ein Bösewicht; ein Theekessel, wenn er sich selbst nicht beherrschen kann, die Ehrfurcht, die
er der Unschuld und Tugend schuldig ist, aus den Augen zu setzen: oder ein Bösewicht, wenn er
sich selbst nicht beherrschen will und wie der Teufel im Paradiese sein einzig Glück darin
setzt, ein Weib ins Verderben zu stürzen.
Pätus.
Predige nur nicht, Bruder! Du hast Recht; es reuet mich, aber ich schwöre Dir, ich kann drauf
fluchen, daß ich das Mädchen nicht angerührt habe.
Fritz.
So bist Du doch zum Fenster hineingestiegen und die Nachbarn habens gesehen, meynst Du, ihre Zunge
wird so verschämt seyn, wie Deine Hand vielleicht gewesen ist? Ich kenne Dich, ich weiß,
so dreust Du scheinst, bist Du doch blöde gegen's Frauenzimmer und darum lieb ich Dich: aber
wenns auch nichts mehr wäre, als daß das Mädchen ihren guten Namen verliert, und
eine Musikantentochter dazu, ein Mädchen, das alles von der Natur empfieng: vom Glück
nichts, der ihre einzige Aussteuer, ihren guten Namen, zu rauben Du hast sie unglücklich
gemacht, Pätus.
(Herr Rehaar kommt, eine Laute unterm Arm.)
Rehaar.
Ergebener Diener von Ihnen; ergebener Diener, Herr von Berg, wünsche schönen guten Morgen.
Wie haben Sie geschlafen und wie stehts Konzertchen? (setzt sich und stimmt) Haben Sie's
durchgespielt? (stimmt) Ich habe die Nacht einen heßlichen Schrecken gehabt, aber ich
wills dem eingedenk seyn. Sie kennen ihn wohl, es ist einer von ihren Landsleuten. Twing,
twing. Das ist eine verdammte Quinte! Will sie doch mein Tage nicht recht tönen; ich will Ihnen
Nachmittag eine andere bringen.
Fritz. (setzt sich mit seiner Laute)
Ich hab das Koncert noch nicht angesehen.
Rehaar.
Ey Ey, faules Herr von Bergchen, noch nicht angesehen? Twing! Nachmittag bring ich Ihnen eine andre.
(legt die Laute weg und nimmt eine Prise) Man sagt: die Türken sind über die Donau
gegangen und haben die Russen brav zurückgepeitscht, bis Wie heißt doch nun der
Ort? Bis Otschakof, glaub' ich; was weiß ich? so viel sag ich Ihnen, wenn Rehaar unter ihnen
gewesen wäre, was meynen Sie? Er wäre noch weiter gelaufen. Ha ha ha! (nimmt die Laute
wieder) Ich sag Ihnen, Herr von Berg, ich hab keine größere Freude, als wenn ich
wieder einmal in der Zeitung lese, daß eine Armee gelaufen ist. Die Russen sind brave Leute,
daß sie gelaufen sind; Rehaar wär auch gelaufen und alle gescheute Leute, denn wozu
nützt das Stehen und sich todtschlagen lassen, ha ha ha.
Fritz.
Nicht wahr, das ist der erste Grif?
Rehaar.
Ganz recht; den zweiten Finger etwas mehr übergelegt und mit dem kleinen abgerissen, so
Rund, rund den Triller, rund Herr von Bergchen Mein seliger Vater pflegt' immer zu sagen, ein
Musikus muß keine Kourage haben, und ein Musikus der Herz hat, ist ein Hundsfut. Wenn er sein
Konzertchen spielen kann und seinen Marsch gut bläst Das hab' ich auch dem Herzog von
Kurland gesagt, als ich nach Petersburg gieng, das erstemal in der Suite vom Prinzen Czartorinsky,
und vor ihm spielen mußte. Ich muß noch lachen; als ich in den Saal kam und wollt' ihm
mein tief tief Kompliment machen, sah' ich nicht, daß der Fußboden von Spiegel war und
die Wände auch von Spiegel, und fiel herunter wie ein Stück Holz und schlug mir ein
gewaltig Loch in Kopf: da kamen die Hofkavaliere und wollten mich drüber necken. Leidt das
nicht, Rehaar, sagte der Herzog, Ihr habt ja einen Degen an der Seite; leidt das nicht. Ja, sage
ich, Ew. Herzoglichen Majestät, mein Degen ist seit Anno Dreißig nicht aus der
Scheide gekommen, und ein Musikus braucht den Degen nicht zu ziehen, denn ein Musikus, der Herz hat
und den Degen zieht, ist ein Hundsfut und kann sein Tag auf keinem Instrument was vor sich bringen
Nein, nein, das dritte Chor wars, k, k, so Rein, rein, den Triller rund
und den Daumen unten nicht bewegt, so
Pätus. (der sich die Zeit über seitwärts gehalten, tritt hervor und bietet
Rehaar die Hand)
Ihr Diener, Herr Rehaar; wie gehts?
Rehaar. (hebt sich mit der Laute)
Ergebener Die Wie solls gehen, Herr Pätus? Toujours content, jamais d'argent:
das ist des alten Rehaars Sprichwort, wissen Sie, und die Herren Studenten wissens alle; aber darum
geben sie mir doch nichts Der Herr Pätus ist mir auch noch schuldig, von der letzten
Serenade, aber er denkt nicht dran ..
Pätus.
Sie sollen haben, liebster Rehaar; in acht Tagen erwart' ich unfehlbar meinen Wechsel.
Rehaar.
Ja, Sie haben schon lang gewartet, Herr Pätus, und Wechselchen ist doch nicht kommen. Was ist
zu thun, man muß Geduld haben, ich sag immer, ich begegne keinem Menschen mit so viel
Ehrfurcht als einem Studenten: denn ein Student ist nichts, das ist wahr, aber es kann doch alles
aus ihm werden. (er legt die Laute auf den Tisch und nimmt eine Prise) Aber was haben Sie mir
denn gemacht, Herr Pätus? Ist das recht; ist das auch honett gehandelt? Sind mir gestern zum
Fenster hineingestiegen, in meiner Tochter Schlafkammer.
Pätus.
Was denn, Vaterchen? ich? ...
Rehaar. (läßt die Dose fallen)
Ja ich will Dich bevaterchen und ich werd' es gehörigen Orts zu melden wissen, Herr, daß
seyn Sie versichert. Meiner Tochter Ehr' ist mir lieb und es ist ein honettes Mädchen, hol's
der Henker! und wenn ichs nur gestern gemerkt hätte oder wär' aufgewacht, ich hätt
Euch zum Fenster hinausgehenselt, daß Ihr das Unterste zu Oberst Ist das honett, ist
das ehrlich? Pfuy Teufel, wenn ich Student bin, muß ich mich auch als Student aufführen,
nicht als ein Schlingel Da haben mirs die Nachbarn heut gesagt: ich dacht ich sollte den
Schlag drüber kriegen, Augenblicks hat mir das Mädchen auf den Postwagen müssen und
das nach Kurland zu ihrer Tante; ja nach Kurland, Herr, denn hier ist ihre Ehr' hin und wer zahlt
mir nun die Reisekosten? Ich habe warhaftig den ganzen Tag keine Laut' anrühren können und
über die funfzehn Quinten sind mir heut gesprungen. Ja Herr, ich zittere noch am ganzen Leibe
und Herr Pätus, ich will ein Hühnchen mit Ihnen pflücken. Es soll nicht so bleiben;
ich will Euch Schlingeln lehren ehrlicher Leute Kinder verführen.
Pätus.
Herr, schimpf Er nicht, oder
Rehaar.
Sehen Sie nur an, Herr von Berg! sehn Sie einmal an wenn ich nun Herz hätte, ich fodert'
ihn augenblicklich vor die Klinge Sehen Sie, da steht er und lacht mir noch in die Zähne
obenein. Sind wir denn unter Türken und Heiden, daß ein Vater nicht mehr mit seiner
Tochter sicher ist? Herr Pätus, Sie sollen mirs nicht umsonst gethan haben, ich sags Ihnen und
sollts bis an den Kuhrfürsten selber kommen. Unter die Soldaten mit solchen lüderlichen
Hunden! Dem Kalbsfell folgen, das ist gescheidter! Schlingel seyd ihr und keine Studenten!
Pätus. (giebt ihm eine Ohrfeige)
Schimpf Er nicht; ich habs Ihm fünfmal gesagt!.
Rehaar. (springt auf, das Schnupftuch vorm Gesicht)
So? Wart Wenn ich doch nur den rothen Fleck behalten könnte, bis ich vorn Magnifikus
komme Wenn ich ihn doch nur acht Tage behalten könnte, daß ich nach Dresden reise
und ihn dem Kuhrfürsten zeige Wart, es soll Dir zu Hause kommen, wart, wart Ist
das erlaubt? (weint) Einen Lautenisten zu schlagen? weil er Dir seine Tochter nicht geben
will, daß Du Lautchen auf ihr spielen kannst? Wart, ich wills seiner
Kuhrfürstlichen Majestät sagen, daß Du mich ins Gesicht geschlagen hast. Die Hand
soll Dir abgehauen werden Schlingel! (läuft ab, Pätus will ihm nach; Fritz
hält ihn zurück)
Fritz.
Pätus! Du hast schlecht gehandelt. Er war beleidigter Vater, Du hättest ihn schonen sollen.
Pätus.
Was schimpfte der Schurke?
Fritz.
Schimpfliche Handlungen verdienen Schimpf. Er konnte die Ehre seiner Tochter auf keine andere Weise
rächen, aber es möchten sich Leute finden
Pätus.
Was? Was für Leute?
Fritz.
Du hast sie entehrt, Du hast ihren Vater entehrt. Ein schlechter Kerl, der sich an Weiber und
Musikanten wagt, die noch weniger als Weiber sind.
Pätus.
Ein schlechter Kerl?
Fritz.
Du sollst ihm öffentlich abbitten.
Pätus.
Mit meinem Stock.
Fritz.
So werd ich Dir in seinem Namen antworten.
Pätus. (schreyt)
Was willst Du von mir?
Fritz.
Genugthuung für Rehaarn.
Pätus.
Du wirst mich doch nicht zwingen wollen; einfältiger Mensch
Fritz.
Ja, ich will Dich zwingen, kein Schurke zu seyn.
Pätus.
Du bist einer Du mußt Dich mit mir schlagen.
Fritz.
Herzlich gern wenn Du Rehaarn nicht Satisfaktion giebst.
Pätus.
Nimmermehr.
Fritz.
Es wird sich zeigen.