Den 4. Dezember 1767
Der Herzog fährt hierauf fort, ihm sein Unrecht in einem etwas gelindern Tone vorzuhalten. Er ermahnt ihn, sich eines Bessern zu besinnen; er will es vergessen, was er gehört habe; er ist versichert, daß Blanca mit dem Grafen nicht einstimmen und daß sie selbst ihm eben das würde gesagt haben, wenn er, der Herzog, ihr nicht zuvorgekommen wäre. Er schließt endlich: »Noch einmal, Graf; gehen Sie in sich! Stehen Sie von einem so schändlichen Vorhaben ab! Werden Sie wieder Sie selbst! Wollen Sie aber meinem Rate nicht folgen: so erinnern Sie sich, daß Sie einen Kopf haben, und London einen Henker!«1) - Hiermit entfernt sich der Herzog. Essex ist in der äußersten Verwirrung; es schmerzt ihn, sich für einen Verräter gehalten zu wissen; gleichwohl darf er es itzt nicht wagen, sich gegen den Herzog zu rechtfertigen; er muß sich gedulden, bis es der Ausgang lehre, daß er da seiner Königin am getreuesten gewesen sei, als er es am wenigsten zu sein geschienen.2) So spricht er mit sich selbst: zur Blanca aber sagt er, daß er den Brief sogleich an ihren Oheim senden wolle, und geht ab. Blanca desgleichen; nachdem sie ihren Unstern verwünscht, sich aber noch damit getröstet, daß es kein Schlimmerer als der Herzog sei, welcher von dem Anschlage des Grafen wisse.
Die Königin erscheinet mit ihrem Kanzler, dem sie es vertrauet hat, was ihr in dem Garten begegnet. Sie befiehlt, daß ihre Leibwache alle Zugänge wohl besetzt; und morgen will sie nach London zurückkehren. Der Kanzler ist der Meinung, die Meuchelmörder aufsuchen zu lassen und durch ein öffentliches Edikt demjenigen, der sie anzeigen werde, eine ansehnliche Belohnung zu verheißen, sollte er auch selbst ein Mitschuldiger sein. »Denn da es ihrer zwei waren«, sagt er, »die den Anfall taten, so kann leicht einer davon ein ebenso treuloser Freund sein, als er ein treuloser Untertan ist.«3) Aber die Königin mißbilliget diesen Rat; sie hält es für besser, den ganzen Vorfall zu unterdrücken und es gar nicht bekannt werden zu lassen, daß es Menschen gegeben, die sich einer solchen Tat erkühnen dürfen. »Man muß«, sagt sie, »die Welt glauben machen, daß die Könige so wohl bewacht werden, daß es der Verräterei unmöglich ist, an sie zu kommen. Außerordentliche Verbrechen werden besser verschwiegen, als bestraft. Denn das Beispiel der Strafe ist von dem Beispiele der Sünde unzertrennlich; und dieses kann oft ebensosehr anreizen, als jenes abschrecken.«4)
Indem wird Essex gemeldet und vorgelassen. Der Bericht, den er von dem glücklichen Erfolge seiner Expedition abstattet, ist kurz. Die Königin sagt ihm auf eine sehr verbindliche Weise: »Da ich Euch wieder erblicke, weiß ich von dem Ausgange des Krieges schon genug.«5) Sie will von keinen nähern Umständen hören, bevor sie seine Dienste nicht belohnt, und befiehlt dem Kanzler, dem Grafen sogleich das Patent als Admiral von England auszufertigen. Der Kanzler geht; die Königin und Essex sind allein; das Gespräch wird vertraulicher; Essex hat die Schärpe um; die Königin bemerkt sie, und Essex würde es aus dieser bloßen Bemerkung schließen, daß er sie von ihr habe, wenn er es aus den Reden der Blanca nicht schon geschlossen hätte. Die Königin hat den Grafen schon längst heimlich geliebt; und nun ist sie ihm sogar das Leben schuldig.6) Es kostet ihr alle Mühe, ihre Neigung zu verbergen. Sie tut verschiedne Fragen, ihn auszulocken und zu hören, ob sein Herz schon eingenommen, und ob er es vermute, wem er das Leben in dem Garten gerettet. Das letzte gibt er ihr durch seine Antworten gewissermaßen zu verstehen, und zugleich, daß er für ebendiese Person mehr empfinde, als er derselben zu entdecken sich erkühnen dürfe. Die Königin ist auf dem Punkte, sich ihm zu erkennen zu geben: doch siegt noch ihr Stolz über ihre Liebe. Ebensosehr hat der Graf mit seinem Stolze zu kämpfen: er kann sich des Gedankens nicht entwehren, daß ihn die Königin liebe, ob er schon die Vermessenheit dieses Gedankens erkennet. (Daß diese Szene größtenteils aus Reden bestehen müsse, die jedes seitab führet, ist leicht zu erachten.) Sie heißt ihn gehen und heißt ihn wieder so lange warten, bis der Kanzler ihm das Patent bringe. Er bringt es; sie überreicht es ihm; er bedankt sich, und das Seitab fängt mit neuem Feuer an.
»Die Königin. Törichte Liebe! -Essex. Eitler Wahnsinn! -
Die Königin. Wie blind! -
Essex. Wie verwegen! -
Die Königin. So tief willst du, daß ich mich herabsetze? -
Essex. So hoch willst Du, daß ich mich versteige? -
Die Königin. Bedenke, daß ich Königin bin!
Essex. Bedenke, daß ich Untertan bin!
Die Königin. Du stürzest mich bis in den Abgrund, -
Essex. Du erhebest mich bis zur Sonne, -
Die Königin. Ohne auf meine Hoheit zu achten.
Essex. Ohne meine Niedrigkeit zu erwägen.
Die Königin. Aber, weil du meines Herzens dich bemeistert: -
Essex. Aber, weil Du meiner Seele Dich bemächtiget: -
Die Königin. So stirb da, und komm' nie auf die Zunge!
Essex. So stirb da, und komm' nie über die Lippen!«7)
(Ist das nicht eine sonderbare Art von Unterhaltung? Sie reden miteinander und reden auch nicht miteinander. Der eine hört, was der andere nicht sagt, und antwortet auf das, was er nicht gehört hat. Sie nehmen einander die Worte nicht aus dem Munde, sondern aus der Seele. Man sage jedoch nicht, daß man ein Spanier sein muß, um an solchen unnatürlichen Künsteleien Geschmack zu finden. Noch vor einige dreißig Jahre fanden wir Deutsche ebensoviel Geschmack daran; denn unsere Staats- und Heldenaktionen wimmelten davon, die in allem nach den spanischen Mustern zugeschnitten waren.)
Nachdem die Königin den Essex beurlaubet und ihm befohlen, ihr bald wieder aufzuwarten, gehen beide auf verschiedene Seiten ab und machen dem ersten Aufzuge ein Ende. - Die Stücke der Spanier, wie bekannt, haben deren nur drei, welche sie Jornadas, Tagewerke, nennen. Ihre allerältesten Stücke hatten viere: sie krochen, sagt Lope de Vega, auf allen vieren, wie Kinder; denn es waren auch wirklich noch Kinder von Komödien. Virves war der erste, welcher die vier Aufzüge auf drei brachte; und Lope folgte ihm darin, ob er schon die ersten Stücke seiner Jugend, oder vielmehr seiner Kindheit, ebenfalls in vieren gemacht hatte. Wir lernen dieses aus einer Stelle in des letztern »Neuen Kunst, Komödien zu machen«8); mit der ich aber eine Stelle des Cervantes in Widerspruch finde9), wo sich dieser den Ruhm anmaßt, die spanische Komödie von fünf Akten, aus welchen sie sonst bestanden, auf drei gebracht zu haben. Der spanische Literator mag diesen Widerspruch entscheiden; ich will mich dabei nicht aufhalten.
El Capitán Virués; insigne ingenio,
Puso en tres actos la Comedia, que antes
Andaba en cuatro, como pies de niño,
Que eran entonces niñas las Comedias,
Y yo las escribí de once, y doce años,
De a cuatro actos, y de a cuatro pliegos,
Porque cada acto un pliego contenia.