Wenn man sagt, der Künstler ahme dem Dichter, oder der Dichter ahme dem Künstler nach, so kann dieses zweierlei bedeuten. Entweder der eine macht das Werk des andern zu dem wirklichen Gegenstande seiner Nachahmung, oder sie haben beide einerlei Gegenstände der Nachahmung, und der eine entlehnet von dem andern die Art und Weise es nachzuahmen.
Wenn Virgil das Schild des Aeneas beschreibst, so ahmet er dem Künstler, welcher dieses Schild gemacht hat, in der ersten Bedeutung nach. Das Kunstwerk, nicht das was auf dem Kunstwerke vorgestellet worden, ist der Gegenstand seiner Nachahmung, und wenn er auch schon das mitbeschreibt, was man darauf vorgestellet sieht, so beschreibt er es doch nur als ein Teil des Schildes, und nicht als die Sache selbst. Wenn Virgil hingegen die Gruppe Laokoon nachgeahmet hätte, so würde dieses eine Nachahmung von der zweiten Gattung sein. Denn er würde nicht diese Gruppe, sondern das, was diese Gruppe vorstellet, nachgeahmt, und nur die Züge seiner Nachahmung von ihr entlehnt haben.
Bei der ersten Nachahmung ist der Dichter Original, bei der andern ist er Kopist. Jene ist ein Teil der allgemeinen Nachahmung, welche das Wesen seiner Kunst ausmacht, und er arbeitet als Genie, sein Vorwurf mag ein Werk anderer Künste, oder der Natur sein. Diese hingegen setzt ihn gänzlich von seiner Würde herab; anstatt der Dinge selbst ahmet er ihre Nachahmungen nach, und gibt uns kalte Erinnerungen von Zügen eines fremden Genies, für ursprüngliche Züge seines eigenen.
Wenn indes Dichter und Künstler diejenigen Gegenstände, die sie miteinander gemein haben, nicht selten aus dem nämlichen Gesichtspunkte betrachten müssen: so kann es nicht fehlen, daß ihre Nachahmungen nicht in vielen Stücken übereinstimmen sollten, ohne daß zwischen ihnen selbst die geringste Nachahmung oder Beeiferung gewesen. Diese Übereinstimmungen können bei zeitverwandten Künstlern und Dichtern, über Dinge, welche nicht mehr vorhanden sind, zu wechselsweisen Erläuterungen führen; allein dergleichen Erläuterungen dadurch aufzustutzen suchen, daß man aus dem Zufalle Vorsatz macht, und besonders dem Poeten bei jeder Kleinigkeit ein Augenmerk auf diese Statue, oder auf jenes Gemälde andichtet, heißt ihm einen sehr zweideutigen Dienst erweisen. Und nicht allein ihm, sondern auch dem Leser, dem man die schönste Stelle dadurch, wenn Gott will, sehr deutlich, aber auch trefflich frostig macht.
Dieses ist die Absicht und der Fehler eines berühmten englischen Werks. Spence schrieb seinen »Polymetis«1) mit vieler klassischen Gelehrsamkeit, und in einer sehr vertrauten Bekanntschaft mit den übergebliebenen Werken der alten Kunst. Seinen Vorsatz, aus diesen die römischen Dichter zu erklären, und aus den Dichtern hinwiederum Aufschlüsse für noch unerklärte alte Kunstwerke herzuholen, hat er öfters glücklich erreicht. Aber demohngeachtet behaupte ich, daß sein Buch für jeden Leser von Geschmack ein ganz unerträgliches Buch sein muß.
Es ist natürlich, daß wenn Valerius Flaccus den geflügelten Blitz auf den römischen Schilden beschreibt,
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(Nec primus radios, miles Romane, corusci Fulminis et rutilas scutis diffuderis alas) |
mir diese Beschreibung weit deutlicher wird, wenn ich die Abbildung eines solchen Schildes auf einem alten Denkmale erblicke2). Es kann sein, daß Mars in eben der schwebenden Stellung, in welcher ihn Addison über der Rhea auf einer Münze zu sehen glaubte3), auch von den alten Waffenschmieden auf den Helmen und Schilden vorgestellet wurde, und daß Juvenal einen solchen Helm oder Schild in Gedanken hatte, als er mit einem Worte darauf anspielte, welches bis auf den Addison ein Rätsel für alle Ausleger gewesen. Mich dünkt selbst, daß ich die Stelle des Ovids, wo der ermattete Cephalus den kühlenden Lüften ruft:
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Aura - - - venias - - Meque juves, intresque sinus, gratissima, nostros |
und seine Prokris diese Aura für den Namen einer Nebenbuhlerin hält, daß ich, sage ich, diese Stelle natürlicher finde, wenn ich aus den Kunstwerken der Alten ersehe, daß sie wirklich die sanften Lüfte personifieret, und eine Art weiblicher Sylphen, unter dem Namen Aurae, verehret haben4). Ich gebe es zu, daß wenn Juvenal einen vornehmen Taugenichts mit einer Hermessäule vergleicht, man das Ähnliche in dieser Vergleichung schwerlich finden dürfte, ohne eine solche Säule zu sehen, ohne zu wissen, daß es ein schlechter Pfeiler ist, der bloß das Haupt, höchstens mit dem Rumpfe, des Gottes trägt, und weil wir weder Hände noch Füße daran erblicken, den Begriff der Untätigkeit erwecket5). - Erläuterungen von dieser Art sind nicht zu verachten, wenn sie auch schon weder allezeit notwendig noch allezeit hinlänglich sein sollten. Der Dichter hatte das Kunstwerk als ein für sich bestehendes Ding, und nicht als Nachahmung, vor Augen; oder Künstler und Dichter hatten einerlei angenommene Begriffe, demzufolge sich auch Übereinstimmung in ihren Vorstellungen zeigen mußte, aus welcher sich auf die Allgemeinheit jener Begriffe zurückschließen läßt.
Allein wenn Tibull die Gestalt des Apollo malet, wie er ihm im Traume erschienen: - der schönste Jüngling, die Schläfe mit dem keuschen Lorbeer umwunden; syrische Gerüche duften aus dem güldenen Haare, das um den langen Nacken schwimmet; glänzendes Weiß und Purpurröte mischen sich auf dem ganzen Körper, wie auf der zarten Wange der Braut, die itzt ihrem Geliebten zugeführet wird: - warum müssen diese Züge von alten berühmten Gemälden erborgt sein? Echions nova nupta verecundia notabilis mag in Rom gewesen sein, mag tausend- und tausendmal sein kopieret worden, war darum die bräutliche Scham selbst aus der Welt verschwunden? Seit sie der Maler gesehen hatte, war sie für keinen Dichter mehr zu sehen, als in der Nachahmung des Malers6)? Oder wenn ein anderer Dichter den Vulkan ermüdet, und sein vor der Esse erhitztes Gesicht rot, brennend nennet: mußte er es erst aus dem Werke eines Malers lernen, daß Arbeit ermattet und Hitze rötet7)? Oder wenn Lucrez den Wechsel der Jahreszeiten beschreibet, und sie, mit dem ganzen Gefolge ihrer Wirkungen in der Luft und auf der Erde, in ihrer natürlichen Ordnung vorüberführet: war Lucrez ein Ephemeron, hatte er kein ganzes Jahr durchlebet, um alle die Veränderungen selbst erfahren zu haben, daß er sie nach einer Prozession schildern mußte, in welcher ihre Statuen herumgetragen wurden? Mußte er erst von diesen Statuen den alten poetischen Kunstgriff lernen, dergleichen Abstrakta zu wirklichen Wesen zu machen8)? Oder Virgils pontem indignatus Araxes, dieses vortreffliche poetische Bild eines über seine Ufer sich ergießenden Flusses, wie er die über ihn geschlagene Brücke zerreißt, verliert es nicht seine ganze Schönheit, wenn der Dichter auf ein Kunstwerk damit angespielet hat, in welchem dieser Flußgott als wirklich eine Brücke zerbrechend vorgestellet wird9)? - Was sollen wir mit dergleichen Erläuterungen, die aus der klarsten Stelle den Dichter verdrängen, um den Einfall eines Künstlers durchschimmern zu lassen?
Ich bedaure, daß ein so nützliches Buch, als »Polymetis« sonst sein könnte, durch diese geschmacklose Grille, den alten Dichter statt eigentümlicher Phantasie, Bekanntschaft mit fremder unterzuschieben, so ekel, und den klassischen Schriftstellern weit nachteiliger geworden ist, als ihnen die wäßrigen Auslegungen der schalsten Wortforscher nimmermehr sein können. Noch mehr bedauere ich, daß Spencen selbst Addison hierin vorgegangen, der aus löblicher Begierde, die Kenntnis der alten Kunstwerke zu einem Auslegungsmittel zu erheben, die Fälle ebensowenig unterschieden hat, in welchen die Nachahmung des Künstlers dem Dichter anständig, in welchen sie ihm verkleinerlich ist10).
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Tunc rudis et Grajas mirari nescius artes Urbibus eversis praedarum in parte reperta Magnorum artificum frangebat pocula miles, Ut phaleris gauderet equus, caelataque cassis Romuleae simulacra ferae mansuescere jussae Imperii fato, geminos sub rupe Quirinos, Ac nudam effigiem clipeo fulgentis et hasta Pendentisque dei perituro ostenderet hosti. |
Der Soldat zerbrach die kostbarsten Becher, die Meisterstücke großer Künstler, um eine Wölfin, einen kleinen Romulus und Remus daraus arbeiten zu lassen, womit er seinen Helm ausschmückte. Alles ist verständlich, bis auf die letzten zwei Zeilen, in welchen der Dichter fortfährt, noch ein solches getriebenes Bild auf den Helmen der alten Soldaten zu beschreiben. So viel sieht man wohl, daß dieses Bild der Gott Mars sein soll; aber was soll das Beiwort pendentis, welches er ihm gibt, bedeuten? Rigaltius fand eine alte Glosse, die es durch quasi ad ictum se inclinantis erklärt. Lubinus meinet, das Bild sei auf dem Schilde gewesen, und da das Schild an dem Arme hänge, so habe der Dichter auch das Bild hängend nennen können. Allein dieses ist wider die Konstruktion; denn das zu ostenderet gehörige Subjektum ist nicht miles, sondern cassis. Britannicus will, alles was hoch in der Luft stehe, könne hangend heißen, und also auch dieses Bild über oder auf dem Helme. Einige wollen gar perdentis dafür lesen, um einen Gegensatz mit dem folgenden perituro zu machen, den aber nur sie allein schön finden dürften. Was sagt nun Addison bei dieser Ungewißheit? Die Ausleger, sagt er, irren sich alle, und die wahre Meinung ist ganz gewiß diese. (S. dessen Reisen deut. Übers. S. 249.) »Da die römischen Soldaten sich nicht wenig auf den Stifter und kriegerischen Geist ihrer Republik einbildeten, so waren sie gewohnt auf ihren Helmen die erste Geschichte des Romulus zu tragen, wie er von einem Gotte erzeugt, und von einer Wölfin gesäuget worden. Die Figur des Gottes war vorgestellt, wie er sich auf die Priesterin Ilia, oder wie sie andere nennen, Rhea Sylvia, herabläßt, und in diesem Herablassen schien sie über der Jungfrau in der Luft zu schweben, welches denn durch das Wort pendentis sehr eigentlich und poetisch ausgedruckt wird. Außer dem alten Basrelief beim Bellori, welches mich zuerst auf diese Auslegung brachte, habe ich seitdem die nämliche Figur auf einer Münze gefunden, die unter der Zeit des Antoninus Pius geschlagen worden.« - Da Spence diese Entdeckung des Addison so außerordentlich glücklich findet, daß er sie als ein Muster in ihrer Art, und als das stärkste Beispiel anführet, wie nützlich die Werke der alten Artisten zur Erklärung der klassischen römischen Dichter gebraucht werden können: so kann ich mich nicht enthalten, sie ein wenig genauer zu betrachten. (Polymetis Dial. VII. p. 77.) - Vors erste muß ich anmerken, daß bloß das Basrelief und die Münze dem Addison wohl schwerlich die Stelle des Juvenals in die Gedanken gebracht haben würde, wenn er sich nicht zugleich erinnert hätte, bei dem alten Scholiasten, der in der letzten ohn' einen Zeile anstatt fulgentis, venientis gefunden, die Glosse gelesen zu haben: Martis ad Iliam venientis ut concumberet. Nun nehme man aber diese Lesart des Scholiasten nicht an, sondern man nehme die an, welche Addison selbst annimmt, und sage, ob man sodann die geringste Spur findet, daß der Dichter die Rhea in Gedanken gehabt habe? Man sage, ob es nicht ein wahres Hysteronproteron von ihm sein würde, daß er von der Wölfin und den jungen Knaben rede, und sodann erst von dem Abenteuer, dem sie ihr Dasein zu danken haben? Die Rhea ist noch nicht Mutter, und die Kinder liegen schon unter dem Felsen. Man sage, ob eine Schäferstunde wohl ein schickliches Emblema auf dem Helme eines römischen Soldaten gewesen wäre? Der Soldat war auf den göttlichen Ursprung seines Stifters stolz; das zeigten die Wölfin und die Kinder genugsam; mußte er auch noch den Mars im Begriffe einer Handlung zeigen, in der er nichts weniger als der fürchterliche Mars war? Seine Überraschung der Rhea mag auf noch so viel alten Marmorn und Münzen zu finden sein, paßt sie darum auf das Stück einer Rüstung? Und welches sind denn die Marmor und Münzen auf welchen sie Addison fand, und wo er den Mars in dieser schwebenden Stellung sahe? Das alte Basrelief, worauf er sich beruft, soll Bellori haben. Aber die Admiranda, welches seine Sammlung der schönsten alten Basreliefs ist, wird man vergebens darnach durchblättern. Ich habe es nicht gefunden, und auch Spence muß es weder da, noch sonst wo gefunden haben, weil er es gänzlich mit Stillschweigen übergeht. Alles kömmt also auf die Münze an. Nun betrachte man diese bei dem Addison selbst. Ich erblicke eine liegende Rhea; und da dem Stempelschneider der Raum nicht erlaubte, die Figur des Mars mit ihr auf gleichem Boden zu stellen, so stehet er ein wenig höher. Das ist es alles; Schwebendes hat sie außer diesem nicht das geringste. Es ist wahr, in der Abbildung, die Spence davon gibt, ist das Schweben sehr stark ausgedruckt; die Figur fällt mit dem Oberteile weit vor; und man sieht deutlich, daß es kein stehender Körper ist, sondern daß, wenn es kein fallender Körper sein soll, es notwendig ein schwebender sein muß. Spence sagt, er besitze diese Münze selbst. Es wäre hart, obschon in einer Kleinigkeit, die Aufrichtigkeit eines Mannes in Zweifel zu ziehen. Allein ein gefaßtes Vorurteil kann auch auf unsere Augen Einfluß haben; zudem konnte er es zum Besten seiner Leser für erlaubt halten, den Ausdruck, welchen er zu sehen glaubte, durch seinen Künstler so verstärken zu lassen, daß uns ebensowenig Zweifel desfalls übrigbliebe, als ihm selbst. So viel ist gewiß, daß Spence und Addison eben dieselbe Münze meinen, und daß sie sonach entweder bei diesem sehr verstellt, oder bei jenem sehr verschönert sein muß. Doch ich habe noch eine andere Anmerkung wider dieses vermeintliche Schweben des Mars. Diese nämlich: daß ein schwebender Körper, ohne eine scheinbare Ursache, durch welche die Wirkung seiner Schwere verhindert wird, eine Ungereimtheit ist, von der man in den alten Kunstwerken kein Exempel findet. Auch die neue Malerei erlaubet sich dieselbe nie, sondern wenn ein Körper in der Luft hangen soll, so müssen ihn entweder Flügel halten, oder er muß auf etwas zu ruhen scheinen, und sollte es auch nur eine bloße Wolke sein. Wenn Homer die Thetis von dem Gestade sich zu Fuße in den Olymp erheben läßt, Thn men ar Oulumponde podes jeron (Iliad. S. v. 148), so verstehet der Graf Caylus die Bedürfnisse der Kunst zu wohl, als daß er dem Maler raten sollte, die Göttin so frei die Luft durchschreiten zu lassen. Sie muß ihren Weg auf einer Wolke nehmen (Tableaux tirés de l'Iliade p. 91), so wie er sie ein andermal auf einen Wagen setzt (p. 131), obgleich der Dichter das Gegenteil von ihr sagt. Wie kann es auch wohl anders sein? Ob uns schon der Dichter die Göttin ebenfalls unter einer menschlichen Figur denken läßt, so hat er doch alle Begriffe eines groben und schweren Stoffes davon entfernet, und ihren menschenähnlichen Körper mit einer Kraft belebt, die ihn von den Gesetzen unserer Bewegung ausnimmt. Wodurch aber könnte die Malerei die körperliche Figur einer Gottheit von der körperlichen Figur eines Menschen so vorzüglich unterscheiden, daß unser Auge nicht beleidiget würde, wenn es bei der einen ganz andere Regeln der Bewegung, der Schwere, des Gleichgewichts beobachtet fände, als bei der andern? Wodurch anders als durch verabredete Zeichen? In der Tat sind ein Paar Flügel, eine Wolke auch nichts andres, als dergleichen Zeichen. Doch von diesem ein mehreres an einem andren Orte. Hier ist es genug, von den Verteidigern der Addisonschen Meinung zu verlangen, mir eine andere ähnliche Figur auf alten Denkmälern zu zeigen, die so frei und bloß in der Luft hange. Sollte dieser Mars die einzige in ihrer Art sein? Und warum? Hatte vielleicht die Tradition einen Umstand überliefert, der ein dergleichen Schweben in diesem Falle notwendig macht? Beim Ovid (Fast. lib. 3.) läßt sich nicht die geringste Spur davon entdecken. Vielmehr kann man zeigen, daß es keinen solchen Umstand könne gegeben haben. Denn es finden sich andere alte Kunstwerke, welche die nämliche Geschichte vorstellen, und wo Mars offenbar nicht schwebet, sondern gehet. Man betrachte das Basrelief beim Montfaucon (Suppl. T. I. p. 183), das sich, wenn ich nicht irre, zu Rom in dem Palast der Mellini befindet. Die schlafende Rhea liegt unter einem Baume, und Mars nähert sich ihr mit leisen Schritten, und mit der bedeutenden Zurückstreckung der rechten Hand, mit der wir denen hinter uns, entweder zurückzubleiben, oder sachte zu folgen, befehlen. Es ist vollkommen die nämliche Stellung in der er auf der Münze erscheinet, nur daß er hier die Lanze in der rechten und dort in der linken Hand führet. Man findet öftrer berühmte Statuen und Basreliefe auf alten Münzen kopieret, als daß es auch nicht hier könnte geschehen sein, wo der Stempelschneider den Ausdruck der zurückgewandten rechten Hand vielleicht nicht fühlte und sie daher besser mit der Lanze füllen zu können glaubte. - Alles dieses nun zusammengenommen, wie viel Wahrscheinlichkeit bleibet dem Addison noch übrig? Schwerlich mehr, als soviel deren die bloße Möglichkeit hat. Doch woher eine bessere Erklärung, wenn diese nichts taugt? Es kann sein, daß sich schon eine bessere unter den vom Addison verworfenen Erklärungen findet. Findet sich aber auch keine, was mehr? Die Stelle des Dichters ist verdorben; sie mag es bleiben. Und sie wird es bleiben, wenn man auch noch zwanzig neue Vermutungen darüber auskramen wollte. Dergleichen könnte z. E. diese sein, daß pendentis in seiner figürlichen Bedeutung genommen werden müsse, nach welcher es soviel als ungewiß, unentschlossen, unentschieden, heißet. Mars pendens wäre alsdenn soviel als Mars incertus oder Mars communis. Dii communes sunt, sagt Servius, (ad v. 118. lib. XII. Aeneid.), Mars, Bellona, Victoria, quia hi in bello utrique parti favere possunt. Und die ganze Zeile,
Pendentisque dei (effigiem) perituro ostenderet hosti,
würde diesen Sinn haben, daß der alte römische
Soldat das Bildnis des gemeinschaftlichen Gottes seinem demohngeachtet
bald unterliegenden Feinde unter die Augen zu tragen gewohnt gewesen
sei. Ein sehr feiner Zug, der die Siege der alten Römer mehr
zur Wirkung ihrer eignen Tapferkeit, als zur Frucht des parteiischen
Beistandes ihres Stammvaters macht. Demohngeachtet: non liquet.
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- - - - At tu Nil nisi Cecropides; truncoque simillimus Hermae: Nullo quippe alio vincis discrimine, quam quod Illi marmoreum caput est, tua vivit imago. |
Wenn Spence die griechischen Schriftsteller mit in seinen Plan
gezogen gehabt hätte, so würde ihm vielleicht, vielleicht
aber auch nicht, eine alte Aesopische Fabel beigefallen sein,
die aus der Bildung einer solchen Hermessäule ein noch weit
schöneres, und zu ihrem Verständnisse weit unentbehrlicheres
Licht erhält, als diese Stelle des Juvenals. »Merkur«,
erzählet Aesopus, »wollte gern erfahren, in welchem Ansehen
er bei den Menschen stünde. Er verbarg seine Gottheit, und
kam zu einem Bildhauer. Hier erblickte er die Statue des Jupiters,
und fragte den Künstler, wie teuer er sie halte? ,Eine Drachme,
war die Antwort. Merkur lächelte; ,Und diese Juno? fragte
er weiter. ,Ohngefähr - ebensoviel. Indem ward er sein
eigenes Bild gewahr, und dachte bei sich selbst: ich bin der Bote
der Götter; von mir kömmt aller Gewinn; mich müssen
die Menschen notwendig weit höher schätzen. ,Aber hier
dieser Gott? (Er wies auf sein Bild.) ,Wie teuer möchte
wohl der sein? ,Dieser? antwortete der Künstler. ,O,
wenn Ihr mir jene beide abkauft, so sollt Ihr diesen obendrein
haben.« Merkur war abgeführt. Allein der Bildhauer kannte
ihn nicht, und konnte also auch nicht die Absicht haben, seine
Eigenliebe zu kränken, sondern es mußte in der Beschaffenheit
der Statuen selbst gegründet sein, warum er die letztere
so geringschätzig hielt, daß er sie zur Zugabe bestimmte.
Die geringere Würde des Gottes, welchen sie vorstellte, konnte
dabei nichts tun, denn der Künstler schätzet seine Werke
nach der Geschicklichkeit, dem Fleiße und der Arbeit, welche
sie erfordern, und nicht nach dem Range und dem Werte der Wesen,
welche sie ausdrücken. Die Statue des Merkurs mußte
weniger Geschicklichkeit, weniger Fleiß und Arbeit verlangen,
wenn sie weniger kosten sollte, als eine Statue des Jupiters oder
der Juno. Und so war es hier wirklich. Die Statuen des Jupiters
und der Juno zeigten die völlige Person dieser Götter;
die Statue des Merkurs hingegen war ein schlechter viereckichter
Pfeiler, mit dem bloßen Brustbilde desselben. Was Wunder
also, daß sie obendrein gehen konnte? Merkur übersahe
diesen Umstand, weil er sein vermeintliches überwiegendes
Verdienst nur allein vor Augen hatte, und so war seine Demütigung
ebenso natürlich, als verdient. Man wird sich vergebens bei
den Auslegern und Übersetzern und Nachahmern der Fabeln des
Aesopus nach der geringsten Spur von dieser Erklärung umsehen;
wohl aber könnte ich ihrer eine ganze Reihe anführen,
wenn es sich der Mühe lohnte, die das Märchen geradezu
verstanden, das ist, ganz und gar nicht verstanden haben. Sie
haben die Ungereimtheit, welche darin liegt, wenn man die Statuen
alle für Werke von einerlei Ausführung annimmt, entweder
nicht gefühlt, oder wohl noch gar übertrieben. Was sonst
in dieser Fabel anstößig sein könnte, wäre
vielleicht der Preis, welchen der Künstler seinem Jupiter
setzet. Für eine Drachma kann ja wohl auch kein Töpfer
eine Puppe machen. Eine Drachma muß also hier überhaupt
für etwas sehr Geringes stehen. (Fab. Aesop. 90. Edit. Haupt.
p. 70.)
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It Ver, et Venus, et Veneris praenuntius ante Pinnatus graditur Zephyrus; vestigia propter Flora quibus mater praespargens ante viai Cuncta coloribus egregiis et odoribus opplet. Inde loci sequitur Calor aridus, et comes una Pulverulenta Ceres; et Etesia flabra Aquilonum. Inde Autumnus adit; graditur simul Evius Evan: Inde aliae tempestates ventique sequuntur, Altitonans Volturnus et Auster fulmine pollens. Tandem Bruma nives adfert, pigrumque rigorem Reddit, Hiems sequitur, crepitans ac dentibus Algus. |
Spence erkennet diese Stelle für eine von den schönsten
in dem ganzen Gedichte des Lucrez. Wenigstens ist sie eine von
denen, auf welche sich die Ehre des Lucrez als Dichter gründet.
Aber wahrlich, es heißt ihm diese Ehre schmälern, ihn
völlig darum bringen wollen, wenn man sagt: Diese ganze Beschreibung
scheinet nach einer alten Prozession der vergötterten Jahreszeiten,
nebst ihrem Gefolge, gemacht zu sein. Und warum das? »Darum,«
sagt der Engeländer, »weil bei den Römern ehedem dergleichen
Prozessionen mit ihren Göttern überhaupt, ebenso gewöhnlich
waren, als noch itzt in gewissen Ländern die Prozessionen
sind, die man den Heiligen zu Ehren anstellet; und weil hiernächst
alle Ausdrücke, welche der Dichter hier braucht, auf eine
Prozession recht sehr wohl passen« (come in very aptly, if applied
to a procession). Treffliche Gründe! Und wie vieles wäre
gegen den letzteren noch einzuwenden. Schon die Beiwörter,
welche der Dichter den personifierten Abstrakten gibt, Calor aridus,
Ceres pulverulenta, Volturnus altitonans, fulmine pollens Auster,
Algus dentibus crepitans, zeigen, daß sie das Wesen von
ihm, und nicht von dem Künstler haben, der sie ganz anders
hätte charakterisieren müssen. Spence scheinet übrigens
auf diesen Einfall von einer Prozession durch Abraham Preigern
gekommen zu sein, welcher in seinen Anmerkungen über die
Stelle des Dichters sagt: Ordo est quasi pompae cujusdam, Ver
et Venus, Zephyrus et Flora etc. Allein dabei hätte es auch
Spence nur sollen bewenden lassen. Der Dichter führet die
Jahreszeiten gleichsam in einer Prozession auf; das ist gut. Aber
er hat es von einer Prozession gelernt, sie so aufzuführen;
das ist sehr abgeschmackt.