Wenn man in einzeln Fällen den Maler und Dichter miteinander vergleichen will, so muß man vor allen Dingen wohl zusehen, ob sie beide ihre völlige Freiheit gehabt haben, ob sie ohne allen äußerlichen Zwang auf die höchste Wirkung ihrer Kunst haben arbeiten können.
Ein solcher äußerlicher Zwang war dem alten Künstler öfters die Religion. Sein Werk, zur Verehrung und Anbetung bestimmt, konnte nicht allezeit so vollkommen sein, als wenn er einzig das Vergnügen des Betrachters dabei zur Absicht gehabt hätte. Der Aberglaube überladete die Götter mit Sinnbildern, und die schönsten von ihnen wurden nicht überall als die schönsten verehret.
Bacchus stand in seinem Tempel zu Lemnos, aus welchem die fromme Hypsipyle ihren Vater unter der Gestalt des Gottes rettete1), mit Hörnern, und so erschien er ohne Zweifel in allen seinen Tempeln, denn die Hörner waren ein Sinnbild, welches sein Wesen mit bezeichnete. Nur der freie Künstler, der seinen Bacchus für keinen Tempel arbeitete, ließ dieses Sinnbild weg; und wenn wir, unter den noch übrigen Statuen von ihm, keine mit Hörnern finden2), so ist dieses vielleicht ein Beweis, daß es keine von den geheiligten sind, in welchen er wirklich verehret worden. Es ist ohnedem höchst wahrscheinlich, daß auf diese letzteren die Wut der frommen Zerstörer in den ersten Jahrhunderten des Christentums vornehmlich gefallen ist, die nur hier und da ein Kunstwerk schonte, welches durch keine Anbetung verunreiniget war.
Da indes unter den aufgegrabenen Antiken sich Stücke sowohl von der einen als von der andern Art finden, so wünschte ich, daß man den Namen der Kunstwerke nur denjenigen beilegen möchte, in welchen sich der Künstler wirklich als Künstler zeigen können, bei welchen die Schönheit seine erste und letzte Absicht gewesen. Alles andere, woran sich zu merkliche Spuren gottesdienstlicher Verabredungen zeigen, verdienet diesen Namen nicht, weil die Kunst hier nicht um ihrer selbst willen gearbeitet, sondern ein bloßes Hilfsmittel der Religion war, die bei den sinnlichen Vorstellungen, die sie ihr aufgab, mehr auf das Bedeutende als auf das Schöne sahe; ob ich schon dadurch nicht sagen will, daß sie nicht auch öfters alles Bedeutende in das Schöne gesetzt, oder aus Nachsicht für die Kunst und den feinern Geschmack des Jahrhunderts, von jenem so viel nachgelassen habe, daß dieses allein zu herrschen scheinen können.
Macht man keinen solchen Unterschied, so werden der Kenner und der Antiquar beständig miteinander im Streite liegen, weil sie einander nicht verstehen. Wenn jener, nach seiner Einsicht in die Bestimmung der Kunst, behauptet, daß dieses oder jenes der alte Künstler nie gemacht habe, nämlich als Künstler nicht, freiwillig nicht: so wird dieser es dahin ausdehnen, daß es auch weder die Religion, noch sonst eine außer dem Gebiete der Kunst liegende Ursache, von dem Künstler habe machen lassen, von dem Künstler nämlich als Handarbeiter. Er wird also mit der ersten mit der besten Figur den Kenner widerlegen zu können glauben, die dieser ohne Bedenken, aber zu großem Ärgernisse der gelehrten Welt, wieder zu dem Schutte verdammt, woraus sie gezogen worden3).
Gegenteils kann man sich aber auch den Einfluß der Religion auf die Kunst zu groß vorstellen. Spence gibt hiervon ein sonderbares Beispiel. Er fand beim Ovid, daß Vesta in ihrem Tempel unter keinem persönlichen Bilde verehret worden; und dieses dünkte ihm genug, daraus zu schließen, daß es überhaupt keine Bildsäulen von dieser Göttin gegeben habe, und daß alles, was man bisher dafür gehalten, nicht die Vesta, sondern eine Vestalin vorstelle4). Eine seltsame Folge! Verlor der Künstler darum sein Recht, ein Wesen, dem die Dichter eine bestimmte Persönlichkeit geben, das sie zur Tochter des Saturnus und der Ops machen, das sie in Gefahr kommen lassen, unter die Mißhandlungen des Priapus zu fallen, und was sie sonst von ihr erzählen, verlor er, sage ich, darum sein Recht, dieses Wesen auch nach seiner Art zu personifieren, weil es in einem Tempel nur unter dem Sinnbilde des Feuers verehret ward? Denn Spence begehet dabei noch diesen Fehler, daß er das, was Ovid nur von einem gewissen Tempel der Vesta, nämlich von dem zu Rom sagt5), auf alle Tempel dieser Göttin ohne Unterschied, und auf ihre Verehrung überhaupt, ausdehnet. Wie sie in diesem Tempel zu Rom verehret ward, so ward sie nicht überall verehret, so war sie selbst nicht in Italien verehret worden, ehe ihn Numa erbaute. Numa wollte keine Gottheit in menschlicher oder tierischer Gestalt vorgestellet wissen; und darin bestand ohne Zweifel die Verbesserung, die er in dem Dienste der Vesta machte, daß er alle persönliche Vorstellung von ihr daraus verbannte. Ovid selbst lehret uns, daß es vor den Zeiten des Numa Bildsäulen der Vesta in ihrem Tempel gegeben habe, die, als ihre Priesterin Sylvia Mutter ward, vor Scham die jungfräulichen Hände vor die Augen hoben6). Daß sogar in den Tempeln, welche die Göttin außer der Stadt in den römischen Provinzen hatte, ihre Verehrung nicht völlig von der Art gewesen, als die Numa verordnet, scheinen verschiedene alte Inschriften zu beweisen, in welchen eines Pontificis Vestae gedacht wird7). Auch zu Korinth war ein Tempel der Vesta ohne alle Bildsäule, mit einem bloßen Altare, worauf der Göttin geopfert ward8). Aber hatten die Griechen darum gar keine Statuen der Vesta? Zu Athen war eine im Prytaneo, neben der Statue des Friedens9). Die Jasseer rühmten von einer, die bei ihnen unter freiem Himmel stand, daß weder Schnee noch Regen jemals auf sie falle10). Plinius gedenkt einer sitzenden, von der Hand des Skopas, die sich zu seiner Zeit in den Servilianischen Gärten zu Rom befand11). Zugegeben, daß es uns itzt schwer wird, eine bloße Vestalin von einer Vesta selbst zu unterscheiden, beweiset dieses, daß sie auch die Alten nicht unterscheiden können, oder wohl gar nicht unterscheiden wollen? Gewisse Kennzeichen sprechen offenbar mehr für die eine, als für die andere. Das Zepter, die Fackel, das Palladium, lassen sich nur in der Hand der Göttin vermuten. Das Tympanum, welches ihr Codinus beileget, kömmt ihr vielleicht nur als der Erde zu; oder Codinus wußte selbst nicht recht, was er sahe12).
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Serta patri, juvenisque comam vestesque Lyaei Induit, et medium curru locat; aeraque circum Tympanaque et plenas tacita formidine cistas. Ipsa sinus hederisque ligat famularibus artus: Pampineamque quatit ventosis ictibus hastam, Respiciens; teneat virides velatus habenas Ut pater, et nivea tumeant ut cornua mitra, Et sacer ut Bacchum referat scyphus. |
Das Wort tumeant, in der letzten ohn' einen Zeile, scheinet übrigens
anzuzeigen, daß man die Hörner des Bacchus nicht so
klein gemacht, als sich Spence einbildet.
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Esse diu stultus Vestae simulacra putavi: Mox didici curvo nulla subesse tholo. Ignis inexstinctus templo celatur in illo. Effigiem nullam Vesta, nec ignis habet. |
Ovid redet nur von dem Gottesdienste der Vesta in Rom, nur von dem Tempel, den ihr Numa daselbst erbauet hatte, von dem er kurz zuvor (v. 259. 260) sagt:
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Regis opus placidi, quo non metuentius ullum Numinis ingenium terra Sabina tulit.
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Sylvia fit mater: Vestae simulacra feruntur Virgineas oculis opposuisse manus. |
Auf diese Weise hätte Spence den Ovid mit sich selbst vergleichen sollen. Der Dichter redet von verschiedenen Zeiten. Hier von den Zeiten vor dem Numa, dort von den Zeiten nach ihm. In jenen ward sie in Italien unter persönlichen Vorstellungen verehret, so wie sie in Troja war verehret worden, von wannen Aeneas ihren Gottesdienst mit herübergebracht hatte.
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- - Manibus vittas, Vestamque potentem, Aeternumque adytis effert penetralibus ignem: |
sagt Virgil von dem Geiste des Hektors, nachdem er dem Aeneas
zur Flucht geraten. Hier wird das ewige Feuer von der Vesta selbst,
oder ihrer Bildsäule, ausdrücklich unterschieden. Spence
muß die römischen Dichter zu seinem Behufe doch noch
nicht aufmerksam genug durchgelesen haben, weil ihm diese Stelle
entwischt ist.
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Hinc radios trivere rotis, hinc tympana plaustris Agricolae - |
(Virgilius Georgic. lib. II. v. 444.) Und einem solchen Rade scheinet
mir das, was sich an der Vesta des Fabretti zeiget (Ad tabulam
Iliadis p. 339.) und dieser Gelehrte für eine Handmühle
hält, sehr ähnlich zu sein.