Ich lenke mich vielmehr wieder in meinen Weg, wenn ein Spaziergänger anders einen Weg hat.
Was ich von körperlichen Gegenständen überhaupt gesagt habe, das gilt von körperlichen schönen Gegenständen um so viel mehr.
Körperliche Schönheit entspringt aus der übereinstimmenden Wirkung mannigfaltiger Teile, die sich auf einmal übersehen lassen. Sie erfodert also, daß diese Teile nebeneinander liegen müssen; und da Dinge, deren Teile nebeneinander liegen, der eigentliche Gegenstand der Malerei sind; so kann sie, und nur sie allein, körperliche Schönheit nachahmen.
Der Dichter, der die Elemente der Schönheit nur nacheinander zeigen könnte, enthält sich daher der Schilderung körperlicher Schönheit, als Schönheit, gänzlich. Er fühlt es, daß diese Elemente, nacheinander geordnet, unmöglich die Wirkung haben können, die sie, nebeneinander geordnet, haben; daß der konzentrierende Blick, den wir nach ihrer Enumeration auf sie zugleich zurücksenden wollen, uns doch kein übereinstimmendes Bild gewähret; daß es über die menschliche Einbildung gehet, sich vorzustellen, was dieser Mund, und diese Nase, und diese Augen zusammen für einen Effekt haben, wenn man sich nicht aus der Natur oder Kunst einer ähnlichen Komposition solcher Teile erinnern kann.
Und auch hier ist Homer das Muster aller Muster. Er sagt: Nireus war schön; Achilles war noch schöner; Helena besaß eine göttliche Schönheit. Aber nirgends läßt er sich in die umständlichere Schilderung dieser Schönheiten ein. Gleichwohl ist das ganze Gedicht auf die Schönheit der Helena gebauet. Wie sehr würde ein neuerer Dichter darüber luxuriert haben!
Schon ein Constantinus Manasses wollte seine kahle Chronik mit einem Gemälde der Helena auszieren. Ich muß ihn für seinen Versuch danken. Denn ich wüßte wirklich nicht, wo ich sonst ein Exempel auftreiben sollte, aus welchem augenscheinlicher erhelle, wie töricht es sei, etwas zu wagen, das Homer so weislich unterlassen hat. Wenn ich bei ihm lese1):
|
Hn h gunh perikallhV, euojruV, eucroustath, EupareioV, euproswpoV, bovpiV, cionocrouV, ElikoblejaroV, abra, caritwn gemon alsoV, Leukobraciwn, trujera, kalloV antikruV, empnoun, To proswpon kataleukon, h pareia rodocrouV, To proswpon epicari, to blejaron wraion, KalloV anepithdeuton, abaptiston, autocroun, Ebapte thn leukothta rodocria purinh WV ei tiV ton elejanta bayei lampra porjura. Deirh makra, kataleukoV, oJen emuJourghJh Kuknogenh thn euopton Elenhn crhmatizein - - |
so dünkt mich, ich sehe Steine auf einen Berg wälzen, aus welchen auf der Spitze desselben ein prächtiges Gebäude aufgeführet werden soll, die aber alle auf der andern Seite von selbst wieder herabrollen. Was für ein Bild hinterläßt er, dieser Schwall von Worten? Wie sahe Helena nun aus? Werden nicht, wenn tausend Menschen dieses lesen, sich alle tausend eine eigene Vorstellung von ihr machen?
Doch es ist wahr, politische Verse eines Mönches sind keine Poesie. Man höre also den Ariost, wenn er seine bezaubernde Alcina schildert2):
|
Di persona era tanto ben formata, Quanto mai finger san pittori industri: Con bionda chioma, lunga e annodata, Oro non è, che più risplenda, e lustri, Spargeasi per la guancia delicata Misto color di rose e di ligustri. Di terso avorio era la fronte lieta, Che lo spazio finia con giusta meta.
Sotto due negri, e sottilissimi archi
Sotto quel sta, quasi fra due vallette,
Bianca neve è il bel collo, e'l petto latte,
Mostran le braccia sua misura giusta, |
Milton sagt bei Gelegenheit des Pandämoniums: einige lobten das Werk, andere den Meister des Werks. Das Lob des einen ist also nicht allezeit auch das Lob des andern. Ein Kunstwerk kann allen Beifall verdienen, ohne daß sich zum Ruhme des Künstlers viel Besonders sagen läßt. Wiederum kann ein Künstler mit Recht unsere Bewunderung verlangen, auch wenn sein Werk uns die völlige Gnüge nicht tut. Dieses vergesse man nie, und es werden sich öfters ganz widersprechende Urteile vergleichen lassen. Eben wie hier. Dolce, in seinem Gespräche von der Malerei, läßt den Aretino von den angeführten Stanzen des Ariost ein außerordentliches Aufheben machen3); ich hingegen, wähle sie als ein Exempel eines Gemäldes ohne Gemälde. Wir haben beide recht. Dolce bewundert darin die Kenntnisse, welche der Dichter von der körperlichen Schönheit zu haben zeiget; ich aber sehe bloß auf die Wirkung, welche diese Kenntnisse, in Worte ausgedrückt, auf meine Einbildungskraft haben können. Dolce schließt aus jenen Kenntnissen, daß gute Dichter nicht minder gute Maler sind; und ich aus dieser Wirkung, daß sich das, was die Maler durch Linien und Farben am besten ausdrücken können, durch Worte gerade am schlechtesten ausdrücken läßt. Dolce empfiehlet die Schilderung des Ariost allen Malern als das vollkommenste Vorbild einer schönen Frau; und ich empfehle es allen Dichtern als die lehrreichste Warnung, was einem Ariost mißlingen müssen, nicht noch unglücklicher zu versuchen. Es mag sein, daß wenn Ariost sagt:
|
Di persona era tanto ben formata Quanto mai finger san pittori industri, |
er die Lehre von den Proportionen, so wie sie nur immer der fleißigste Künstler in der Natur und aus den Antiken studieret, vollkommen verstanden zu haben, dadurch beweiset4). Er mag sich immerhin, in den bloßen Worten:
|
Spargeasi per la guancia delicata Misto color di rose e di ligustri, |
als den vollkommensten Koloristen, als einen Tizian, zeigen5). Man mag daraus, daß er das Haar der Alcina nur mit dem Golde vergleicht, nicht aber güldenes Haar nennet, noch so deutlich schließen, daß er den Gebrauch des wirklichen Goldes in der Farbengebung gemißbilliget6). Man mag sogar in seiner herabsteigenden Nase,
Quindi il naso per mezzo il viso scende,
das Profil jener alten griechischen, und von griechischen Künstlern auch Römern geliehenen Nasen finden7). Was nutzt alle diese Gelehrsamkeit und Einsicht uns Lesern, die wir eine schöne Frau zu sehen glauben wollen, die wir etwas von der sanften Wallung des Geblüts dabei empfinden wollen, die den wirklichen Anblick der Schönheit begleitet? Wenn der Dichter weiß, aus welchen Verhältnissen eine schöne Gestalt entspringet, wissen wir es darum auch? Und wenn wir es auch wüßten, läßt er uns hier diese Verhältnisse sehen? Oder erleichtert er uns auch nur im geringsten die Mühe, uns ihrer auf eine lebhafte anschauende Art zu erinnern? Eine Stirn, in die gehörigen Schranken geschlossen, la fronte,
Che lo spazio finia con giusta meta;
eine Nase, an welcher selbst der Neid nichts zu bessern findet,
Che non trova l'invidia, ove l'emende;
eine Hand, etwas länglich und schmal in ihrer Breite,
Lunghetta alquanto, e di larghezza angusta:
was für ein Bild geben diese allgemeine Formeln? In dem Munde eines Zeichenmeisters, der seine Schüler auf die Schönheiten des akademischen Modells aufmerksam machen will, möchten sie noch etwas sagen; denn ein Blick auf dieses Modell, und sie sehen die gehörigen Schranken der fröhlichen Stirne, sie sehen den schönsten Schnitt der Nase, die schmale Breite der niedlichen Hand. Aber bei dem Dichter sehe ich nichts, und empfinde mit Verdruß die Vergeblichkeit meiner besten Anstrengung, etwas sehen zu wollen.
In diesem Punkte, in welchem Virgil dem Homer durch Nichtstun nachahmen können, ist auch Virgil ziemlich glücklich gewesen. Auch seine Dido ist ihm weiter nichts als pulcherrima Dido. Wenn er ja umständlicher etwas an ihr beschreibet, so ist es ihr reicher Putz, ihr prächtiger Aufzug:
|
Tandem progreditur - - - - Sidoniam picto chlamydem circumdata limbo: Cui pharetra ex auro, crines nodantur in aurum, Aurea purpuream subnectit fibula vestem8). |
Wollte man darum auf ihn anwenden, was jener alte Künstler zu einem Lehrlinge sagte, der eine sehr geschmückte Helena gemalt hatte, »da du sie nicht schön malen können, hast du sie reich gemalt«: so würde Virgil antworten, »es liegt nicht an mir, daß ich sie nicht schön malen können; der Tadel trifft die Schranken meiner Kunst; mein Lob sei, mich innerhalb diesen Schranken gehalten zu haben.«
Ich darf hier die beiden Lieder des Anakreons nicht vergessen, in welchen er uns die Schönheit seines Mädchens und seines Bathylls zergliedert9). Die Wendung, die er dabei nimmt, macht alles gut. Er glaubt einen Maler vor sich zu haben, und läßt ihn unter seinen Augen arbeiten. So, sagt er, mache mir das Haar, so die Stirne, so die Augen, so den Mund, so Hals und Busen, so Hüft' und Hände! Was der Künstler nur teilweise zusammensetzen kann, konnte ihm der Dichter auch nur teilweise vorschreiben. Seine Absicht ist nicht, daß wir in dieser mündlichen Direktion des Malers die ganze Schönheit der geliebten Gegenstände erkennen und fühlen sollen; er selbst empfindet die Unfähigkeit des wörtlichen Ausdrucks, und nimmt eben daher den Ausdruck der Kunst zu Hilfe, deren Täuschung er so sehr erhebet, daß das ganze Lied mehr ein Lobgedicht auf die Kunst, als auf sein Mädchen zu sein scheinet. Er sieht nicht das Bild, er sieht sie selbst, und glaubt, daß es nun eben den Mund zum Reden eröffnen werde:
|
Apecei· blepw gar authn. Taca, khre, kai lalhseiV. |
Auch in der Angabe des Bathylls, ist die Anpreisung des schönen Knabens mit der Anpreisung der Kunst und des Künstlers so ineinander geflochten, daß es zweifelhaft wird, wem zu Ehren Anakreon das Lied eigentlich bestimmt habe. Er sammelt die schönsten Teile aus verschiednen Gemälden, an welchen eben die vorzügliche Schönheit dieser Teile das Charakteristische war; den Hals nimmt er von einem Adonis, Brust und Hände von einem Merkur, die Hüfte von einem Pollux, den Bauch von einem Bacchus; bis er den ganzen Bathyll in einem vollendeten Apollo des Künstlers erblickt.
|
Meta de proswpon estw, Ton AdwnidoV parelJwn, ElejantinoV trachloV· Metamazion de poiei DidumaV te ceiraV Ermou, PoludeukeoV de mhrouV, Dionusihn de nhdun - - Ton Apollwna de touton KaJelwn, poiei BaJullon. |
So weiß auch Lucian von der Schönheit der Panthea anders keinen Begriff zu machen, als durch Verweisung auf die schönsten weiblichen Bildsäulen alter Künstler10). Was heißt aber dieses sonst, als bekennen, daß die Sprache vor sich selbst hier ohne Kraft ist; daß die Poesie stammelt und die Beredsamkeit verstummet, wenn ihnen nicht die Kunst noch einigermaßen zur Dolmetscherin dienet?
|
To mesojruon de mh moi Diakopte, mhte misge, Ecetw d' opwV ekeinh To lelhJotwV sunojrun Blejarwn itun kelainhn. |
Nach der Lesart des Pauw, obschon auch ohne sie der Verstand der nämliche ist, und von Henr. Stephano nicht verfehlet worden:
|
Supercilii nigrantes Discrimina nec arcus, Confundito nec illos: Sed junge sic ut anceps Divortium relinquas, Quale esse cernis ipsi. |
Wenn ich aber den Sinn des Dares getroffen hätte, was müßte man wohl sodann, anstatt des Wortes notam, lesen? Vielleicht moram? Denn so viel ist gewiß, daß mora nicht allein den Verlauf der Zeit, ehe etwas geschieht, sondern auch die Hinderung, den Zwischenraum von einem zum andern, bedeutet.
Ego inquieta montium jaceam mora,
wünschet sich der rasende Herkules beim Seneca, (v. 1215)
welche Stelle Gronovius sehr wohl erklärt: Optat se medium
jacere inter duas Symplegades, illarum velut moram, impedimentum,
obicem; qui eas moretur, vetet aut satis arcte conjungi, aut rursus
distrahi. So heißen auch bei eben demselben Dichter lacertorum
morae soviel als juncturae. (Schroederus ad v. 762 Thyest.)