Tellheim
Reden Sie frei, gnädige Frau! Vor mir
dürfen Sie sich Ihres Unglücks nicht schämen. Kann
ich Ihnen worin dienen?
Dame
Mein Herr Major -
Tellheim
Ich beklage Sie, gnädige Frau! Worin
kann ich Ihnen dienen? Sie wissen, Ihr Gemahl war
mein Freund; mein Freund, sage ich; ich war immer
karg mit diesem Titel.
Dame
Wer weiß es besser als ich, wie wert Sie
seiner Freundschaft waren, wie wert er der Ihrigen
war? Sie würden sein letzter Gedanke, Ihr Name der
letzte Ton seiner sterbenden Lippen gewesen sein,
hätte nicht die stärkere Natur dieses traurige Vorrecht
für seinen unglücklichen Sohn, für seine unglückliche
Gattin gefordert -
Tellheim
Hören Sie auf, Madame! Weinen wollte
ich mit Ihnen gern; aber ich habe heute keine Tränen.
Verschonen Sie mich! Sie finden mich in einer Stunde,
wo ich leicht zu verleiten wäre, wider die Vorsicht zu
murren. - O mein rechtschaffner Marloff! Geschwind,
gnädige Frau, was haben Sie zu befehlen? Wenn ich
Ihnen zu dienen imstande bin, wenn ich es bin -
Dame
Ich darf nicht abreisen, ohne seinen letzten
Willen zu vollziehen. Er erinnerte sich kurz vor
seinem Ende, daß er als Ihr Schuldner sterbe, und beschwor
mich, diese Schuld mit der ersten Barschaft zu
tilgen. Ich habe seine Equipage verkauft und komme,
seine Handschrift einzulösen. -
Tellheim
Wie, gnädige Frau? darum kommen Sie?
Dame
Darum. Erlauben Sie, daß ich das Geld
aufzähle.
Tellheim
Nicht doch, Madame! Marloff mir schuldig?
das kann schwerlich sein. Lassen Sie doch sehen.
(Er ziehet sein Taschenbuch heraus und sucht.) Ich finde
nichts.
Dame
Sie werden seine Handschrift verlegt
haben, und die Handschrift tut nichts zur Sache. - Erlauben Sie -
Tellheim
Nein, Madame! so etwas pflege ich nicht
zu verlegen. Wenn ich sie nicht habe, so ist es ein Beweis,
daß ich nie eine gehabt habe, oder daß sie getilgt
und von mir schon zurückgegeben worden.
Dame
Herr Major! -
Tellheim
Ganz gewiß, gnädige Frau. Nein, Marloff
ist mir nichts schuldig gebleiben. Ich wüßte mich
auch nicht zu erinnern, daß er mir jemals etwas schuldig
gewesen wäre. Nicht anders, Madame; er hat mich
vielmehr als seinen Schuldner hinterlassen. Ich habe
nie etwas tun können, mich mit einem Manne abzufinden,
der sechs Jahre Glück und Unglück, Ehre und
Gefahr mit mir geteilet. Ich werde es nicht vergessen,
daß ein Sohn von ihm da ist. Er wird mein Sohn sein,
sobald ich sein Vater sein kann. Die Verwirrung, in
der ich mich jetzt selbst befinde -
Dame
Edelmütiger Mann! Aber denken Sie auch
von mir nicht zu klein! Nehmen Sie das Geld, Herr
Major; so bin ich wenigstens beruhiget. -
Tellheim
Was brauchen Sie zu Ihrer Beruhigung
weiter als meine Versicherung, daß mir dieses Geld
nicht gehöret? Oder wollen Sie, daß ich die unerzogene
Waise meines Freundes bestehlen soll? Bestehlen, Madame;
das würde es in dem eigentlichsten Verstande
sein. Ihm gehört es, für ihn legen Sie es an! -
Dame
Ich verstehe Sie; verzeihen Sie nur, wenn
ich noch nicht recht weiß, wie man Wohltaten annehmen
muß. Woher wissen es denn aber auch Sie, daß
eine Mutter mehr für ihren Sohn tut, als sie für ihr
eigen Leben tun würde? Ich gehe -
Tellheim
Gehen Sie, Madame, gehen Sie! Reisen
Sie glücklich! Ich bitte Sie nicht, mir Nachricht von
Ihnen zu geben. Sie möchte mir zu einer Zeit kommen,
wo ich sie nicht nutzen könnte. Aber noch eines, gnädige Frau;
bald hätte ich das Wichtigste vergessen.
Marloff hat noch an der Kasse unsers ehemaligen Regiments
zu fordern. Seine Forderungen sind so richtig wie
die meinigen. Werden meine bezahlt, so müssen auch
die seinigen bezahlt werden. Ich hafte dafür. -
Dame
Oh! Mein Herr - Aber ich schweige lieber. -
Künftige Wohltaten so vorbereiten, heißt sie in
den Augen des Himmels schon erwiesen haben. Empfangen
Sie seine Belohnung und meine Tränen! (Geht ab.)