Fräulein
(im Negligé, nach ihrer Uhr sehend).
Franziska, wir sind auch sehr früh aufgestanden. Die
Zeit wird uns lang werden.
Franziska
Wer kann denn in den verzweifelten
großen Städten schlafen? Die Karossen, die Nachtwächter,
die Trommeln, die Katzen, die Korporals -
das hört nicht auf zu rasseln, zu schreien, zu wirbeln,
zu mauen, zu fluchen; gerade, als ob die Nacht zu
nichts weniger wäre als zur Ruhe. - Eine Tasse Tee,
gnädiges Fräulein? -
Fräulein
Der Tee schmeckt mir nicht. -
Franziska
Ich will von unserer Schokolade machen lassen.
Fräulein
Laß machen, für dich!
Franziska
Für mich? Ich wollte ebensogern für mich
allein plaudern als für mich allein trinken. - Freilich
wird uns die Zeit so lang werden. - Wir werden vor
langer Weile uns putzen müssen und das Kleid versuchen,
in welchem wir den ersten Sturm geben
wollen.
Fräulein
Was redest du von Stürmen, da ich
bloß herkomme, die Haltung der Kapitulation zu
fordern?
Franziska
Und der Herr Offizier, den wir vertrieben,
und dem wir das Kompliment darüber machen
lassen; er muß auch nicht die feinste Lebensart haben;
sonst hätte er wohl um die Ehre können bitten lassen,
uns seine Aufwartung machen zu dürfen. -
Fräulein
Es sind nicht alle Offiziere Tellheims.
Die Wahrheit zu sagen, ich ließ ihm das Kompliment
auch bloß machen, um Gelegenheit zu haben, mich nach
diesem bei ihm zu erkundigen. - Franziska, mein Herz
sagt es mir, daß meine Reise glücklich sein wird, daß
ich ihn finden werde. -
Franziska
Das Herz, gnädiges Fräulein? Man traue
doch ja seinem Herzen nicht zu viel. Das Herz redet
uns gewaltig gern nach dem Maule. Wenn das Maul
ebenso geneigt wäre, nach dem Herzen zu reden, so
wäre die Mode längst aufgekommen, die Mäuler unterm
Schlosse zu tragen.
Fräulein
Ha! ha! Mit deinen Mäulern unterm
Schlosse! Die Mode wäre mir eben recht!
Franziska
Lieber die schönsten Zähne nicht gezeigt,
als alle Augenblicke das Herz darüber springen lassen!
Fräulein
Was? Bist du so zurückhaltend? -
Franziska
Nein, gnädiges Fräulein, sondern ich
wollte es gern mehr sein. Man spricht selten von der
Tugend, die man hat; aber desto öftrer von der, die
uns fehlt.
Fräulein
Siehst du, Franziska? Da hast du
eine sehr gute Anmerkung gemacht. -
Franziska
Gemacht? Macht man das, was einem so einfällt? -
Fräulein
Und weißt du, warum ich eigentlich
diese Anmerkung so gut finde? Sie hat viel Beziehung
auf meinen Tellheim.
Franziska
Was hätte bei Ihnen nicht auch Beziehung auf ihn?
Fräulein
Freund und Feind sagen, daß er der
tapferste Mann von der Welt ist. Aber wer hat ihn
von Tapferkeit jemals reden hören? Er hat das rechtschaffenste
Hertz, aber Rechtschaffenheit und Edelmut
sind Worte, die er nie auf die Zunge bringt.
Franziska
Von was für Tugenden spricht er denn?
Fräulein
Er spricht von keiner; denn ihm fehlt keine.
Franziska
Das wollte ich nur hören.
Fräulein
Warte, Franziska, ich besinne mich.
Er spricht sehr oft von Ökonomie. Im Vertrauen,
Franziska, ich glaube, der Mann ist ein Verschwender.
Franziska
Noch eins, gnädiges Fräulein. Ich habe
ihn auch sehr oft der Treue und Beständigkeit gegen
Sie erwähnen hören. Wie, wenn der Herr auch ein
Flattergeist wäre?
Fräulein
Du Unglückliche! - Aber meinest du
das im Ernste, Franziska?
Franziska
Wie lange hat er Ihnen nun schon nicht
geschrieben?
Fräulein
Ach! seit dem Frieden hat er mir nur
ein einziges Mal geschrieben.
Franziska
Auch ein Seufzer wider den Frieden!
Wunderbar! Der Friede sollte nur das Böse wieder
gutmachen, das der Krieg gestiftet, und er zerrüttet
auch das Gute, was dieser, sein Gegenpart, etwa noch
veranlasset hat. Der Friede sollte so eigensinnig nicht
sein! - Und wie lange haben wir schon Friede? Die
Zeit wird einem gewaltig lang, wenn es so wenig
Neuigkeiten gibt. - Umsonst gehen die Posten wieder
richtig; niemand schreibt; denn niemand hat was zu schreiben.
Fräulein
"Es ist Friede", schrieb er mir, "und
ich nähere mich der Erfüllung meiner Wünsche." Aber
daß er mir dieses nur einmal, nur ein einziges Mal geschrieben -
Franziska
Daß er uns zwingt, dieser Erfüllung der
Wünsche selbst entgegenzueilen: finden wir ihn nur,
das soll er uns entgelten! - Wenn indes der Mann doch
Wünsche erfüllt hätte, und wir erführen hier -
Fräulein
(ängstlich und hitzig). Daß er tot
wäre?
Franziska
Für Sie, gnädiges Fräulein, in den Armen
einer andern. -
Fräulein
Du Quälgeist! Warte, Franziska, er
soll dir es gedenken! - Doch schwatze nur; sonst schlafen
wir wieder ein. - Sein Regiment ward nach dem
Frieden zerrissen. Wer weiß, in welche Verwirrung von
Rechnungen und Nachweisungen er dadurch geraten?
Wer weiß, zu welchem andern Regimente, in welche
entlegne Provinz er versetzt worden? Wer weiß, welche
Umstände - Es pocht jemand.
Franziska
Herein!