Fräulein
Nun? irren wir uns noch?
Tellheim
Daß es der Himmel wollte! - Aber es
gibt nur eine, und Sie sind es. -
Fräulein
Welche Umstände! Was wir uns zu
sagen haben, kann jedermann hören.
Tellheim
Sie hier? Was suchen Sie hier, gnädiges
Fräulein?
Fräulein
Nichts suche ich mehr. (Mit offnen
Armen auf ihn zugehend.) Alles, was ich suchte, habe
ich gefunden.
Tellheim
(zurückweichend). Sie suchten einen
glücklichen, einen Ihrer Liebe würdigen Mann, und
finden - einen Elenden.
Fräulein
So lieben Sie mich nicht mehr? -
Und lieben eine andere?
Tellheim
Ah! der hat Sie nie geliebt, mein Fräulein,
der eine andere nach Ihnen lieben kann.
Fräulein
Sie reißen nur einen Stachel aus
meiner Seele. - Wenn ich Ihr Herz verloren habe, was
liegt daran, ob mich Gleichgültigkeit oder mächtigere
Reize darum gebracht? - Sie lieben mich nicht mehr:
und lieben auch keine andere? - Unglücklicher Mann,
wenn Sie gar nichts lieben! -
Tellheim
Recht, gnädiges Fräulein; der Unglückliche
muß gar nichts lieben. Er verdient sein Unglück,
wenn er diesen Sieg nicht über sich selbst zu erhalten
weiß; wenn er es sich gefallen lassen kann, daß die,
welche er liebt, an seinem Unglück Anteil nehmen
dürfen. - Wie schwer ist dieser Sieg! - Seitdem mir
Vernunft und Notwendigkeit befehlen, Minna von
Barnhelm zu vergessen: was für Mühe habe ich angewandt!
Eben wollte ich anfangen zu hoffen, daß
diese Mühe nicht ewig vergebens sein würde: - und
Sie erscheinen, mein Fräulein! -
Fräulein
Versteh ich Sie recht? - Halten Sie,
mein Herr; lassen Sie sehen, wo wir sind, ehe wir uns
weiter verirren! - Wollen Sie mir die einzige Frage
beantworten?
Tellheim
Jede, mein Fräulein -
Fräulein
Wollen Sie mir auch ohne Wendung,
ohne Winkelzug antworten? Mit nichts als einem trockenen
Ja oder Nein?
Tellheim
Ich will es - wenn ich kann.
Fräulein
Sie können es. - Gut: ohngeachtet
der Mühe, die Sie angewendet, mich zu vergessen -
lieben Sie mich noch, Tellheim?
Tellheim
Mein Fräulein, diese Frage -
Fräulein
Sie haben versprochen, mit nichts als
Ja oder Nein zu antworten.
Tellheim
Und hinzugesetzt: wenn ich kann.
Fräulein
Sie können; Sie müssen wissen, was
in Ihrem Herzen vorgeht. - Lieben Sie mich noch,
Tellheim? - Ja oder Nein.
Tellheim
Wenn mein Herz -
Fräulein
Ja oder Nein!
Tellheim
Nun, Ja!
Fräulein
Ja?
Tellheim
Ja, ja! - Allein -
Fräulein
Geduld! - Sie lieben mich noch:
genug für mich. - In was für einen Ton bin ich mit
Ihnen gefallen! ein widriger, melancholischer, ansteckender
Ton. - Ich nehme den meinigen wieder an. -
Nun, mein lieber Unglücklicher, Sie lieben mich noch
und haben Ihre Minna noch und sind unglücklich?
Hören Sie doch, was Ihre Minna für ein eingebildetes,
albernes Ding war - ist. Sie ließ, sie laßt sich träumen,
Ihr ganzes Glück sei sie. - Geschwind, kramen Sie Ihr
Unglück aus. Sie mag versuchen, wieviel sie dessen
aufwiegt. - Nun?
Tellheim
Mein Fräulein, ich bin nicht gewohnt
zu klagen.
Fräulein
Sehr wohl. Ich wüßte auch nicht, was
mir an einem Soldaten, nach dem Prahlen, weniger
gefiele als das Klagen. Aber es gibt eine gewisse kalte,
nachlässige Art, von seiner Tapferkeit und von seinem
Unglücke zu sprechen -
Tellheim
Die im Grunde doch auch geprahlt und
geklagt ist.
Fräulein
Oh, mein Rechthaber, so hätten Sie
sich auch gar nicht unglücklich nennen sollen. - Ganz
geschwiegen oder ganz mit der Sprache heraus. - Eine
Vernunft, eine Notwendigkeit, die Ihnen mich zu vergessen
befiehlt? - Ich bin eine große Liebhaberin von
Vernunft, ich habe sehr viel Ehrerbietung für die Notwendigkeit. -
Aber lassen Sie doch hören, wie vernünftig
diese Vernunft, wie notwendig diese Notwendigkeit ist.
Tellheim
Wohl denn; so hören Sie, mein Fräulein.
- Sie nennen mich Tellheim; der Name trifft ein. -
Aber Sie meinen, ich sei der Tellheim, den Sie in Ihrem
Vaterlande gekannt haben; der blühende Mann, voller
Ansprüche, voller Ruhmbegierde; der seines ganzen
Körpers, seiner ganzen Seele mächtig war, vor dem die
Schranken der Ehre und des Glückes eröffnet standen,
der Ihres Herzens und Ihrer Hand, wenn er schon
Ihrer noch nicht würdig war, täglich würdiger zu werden
hoffen durfte. - Dieser Tellheim bin ich ebensowenig,
als ich mein Vater bin. Beide sind gewesen. -
Ich bin Tellheim, der Verabschiedete, der an seiner
Ehre Gekränkte, der Krüppel, der Bettler. - Jenem,
mein Fräulein, versprachen Sie sich: wollen Sie diesem
Wort halten? -
Fräulein
Das klingt sehr tragisch! - Doch,
mein Herr, bis ich jenen wiederfinde - in die Tellheims
bin ich nun einmal vernarret -, dieser wird mir schon
aus der Not helfen müssen. - Deine Hand, lieber Bettler!
(Indem sie ihn bei der Hand ergreift.)
Tellheim
(der die andere Hand mit dem Hute vor
das Gesicht schlägt und sich von ihr abwendet). Das ist
zu viel! - Wo bin ich? - Lassen Sie mich, Fräulein!
Ihre Güte foltert mich! - Lassen Sie mich.
Fräulein
Was ist Ihnen? Wo wollen Sie hin?
Tellheim
Von Ihnen! -
Fräulein
Von mir? (Indem sie seine Hand an
ihre Brust zieht.) Träumer!
Tellheim
Die Verzweiflung wird mich tot zu Ihren Füßen werfen.
Fräulein
Von mir?
Tellheim
Von Ihnen. - Sie nie, nie wiederzusehen. -
Oder doch so entschlossen, so fest entschlossen
- keine Niederträchtigkeit zu begehen - Sie keine Unbesonnenheit
begehen zu lasen. - Lassen Sie mich,
Minna! (Reißt sich los und ab.)
Fräulein
(ihm nach). Minna Sie lasen? Tellheim! Tellheim!