Franziska
Und nun, gnädiges Fräulein, lassen Sie es
mit dem armen Major gut sein.
Fräulein
Oh, über die Vorbitterin! Als ob der
Knoten sich nicht von selbst bald lösen müßte.
Tellheim
(nachdem er gelesen, mit der lebhaftesten
Rührung). Ha! er hat sich auch hier nicht verleugnet!
- Oh, mein Fräulein, welche Gerechtigkeit! - welche
Gnade! - Das ist mehr, als ich erwartet! - Mehr, als
ich verdiene! - Mein Glück, meine Ehre, alles ist wiederhergestellt! -
Ich träume doch nicht? (Indem er
wieder in den Brief sieht, als um sich nochmals zu
überzeugen.) Nein, kein Blendwerk meiner Wünsche!
- Lesen Sie selbst, mein Fräulein, lesen Sie selbst!
Fräulein
Ich bin nicht so unbescheiden, Herr
Major.
Tellheim
Unbescheiden? Der Brief ist an mich, an
Ihren Tellheim, Minna. Er enthält - was Ihnen Ihr
Oheim nicht nehmen kann. Sie müssen ihn lesen; lesen
Sie doch!
Fräulein
Wenn Ihnen ein Gefalle damit geschieht,
Herr Major - (Sie nimmt den Brief und lieset.)
("Mein lieber Major von Tellheim!)
Ich tue Euch zu wissen, daß der Handel, der mich um
Eure Ehre besorgt machte, sich zu Eurem Vorteil aufgekläret
hat. Mein Bruder war des nähern davon
unterrichtet, und sein Zeugnis hat Euch für mehr als
unschuldig erkläret. Die Hofstaatskasse hat Ordre,
Euch den bewußten Wechsel wieder auszuliefern und
die getanen Vorschüsse zu bezahlen; auch habe ich befohlen,
daß alles, was die Feldkriegskassen wider Eure
Rechnungen urgieren, niedergeschlagen werde. Meldet
mir, ob Euch Eure Gesundheit erlaubet, wieder Dienste
zu nehmen. Ich möchte nicht gern einen Mann von
Eurer Bravour und Denkungsart entbehren. Ich bin
Euer wohlaffektionierter König" etc.
Tellheim
Nun, was sagen Sie hierzu, mein Fräulein?
Fräulein
(indem sie den Brief wieder zusammenschlägt und zurückgibt). Ich? Nichts.
Tellheim
Nichts?
Fräulein
Doch ja: daß Ihr König, der ein großer
Mann ist, auch wohl ein guter Mann sein mag. -
Aber was geht mich das an? Er ist nicht mein König.
Tellheim
Und sonst sagen Sie nichts? Nichts in
Rücksicht auf uns selbst?
Fräulein
Sie treten wieder in seine Dienste;
der Herr Major wird Oberstleutnant, Oberster vielleicht.
Ich gratuliere von Herzen.
Tellheim
Und Sie kennen mich nicht besser? -
Nein, da mir das Glück so viel zurückgibt, als genug
ist, die Wünsche eines vernünftigen Mannes zu befriedigen,
soll es einzig von meiner Minna abhangen, ob
ich sonst noch jemanden wieder zugehören soll als ihr.
Ihrem Dienste allein sei mein ganzes Leben gewidmet!
Die Dienste der Großen sind gefährlich und lohnen
der Mühe, des Zwanges, der Erniedrigung nicht, die
sie kosten. Minna ist keine von den Eiteln, die in ihren
Männern nichts als den Titel und die Ehrenstelle lieben.
Sie wird mich um mich selbst lieben; und ich werde
um sie die ganze Welt vergessen. Ich ward Soldat aus
Parteilichkeit, ich weiß selbst nicht für welche politische
Grundsätze, und aus der Grille, daß es für jeden
ehrlichen Mann gut sei, sich in diesem Stande eine Zeitlang
zu versuchen, um sich mit allem, was Gefahr
heißt, vertraulich zu machen und Kälte und Entschlossenheit
zu lernen. Nur die äußerste Not hätte mich
zwingen können, aus diesem Versuche eine Bestimmung,
aus dieser gelegentlichen Beschäftigung ein
Handwerk zu machen. Aber nun, da mich nichts mehr
zwingt, nun ist mein ganzer Ehrgeiz wiederum einzig
und allein, ein ruhiger und zufriedener Mensch zu sein.
Der werde ich mit Ihnen, liebste Minna, unfehlbar
werden; der werde ich in Ihrer Gesellschaft unveränderlich
bleiben. - Morgen verbinde uns das heiligste
Band; und sodann wollen wir um uns sehen und wollen
in der ganzen weiten bewohnten Welt den stillsten,
heitersten, lachendsten Winkel suchen, dem zum Paradiese
nichts fehlt als ein glückliches Paar. Da wollen
wir wohnen; da soll jeder unserer Tage - Was ist
Ihnen, mein Fräulein? (Die sich unruhig hin und her
wendet und ihre Rührung zu verbergen sucht.)
Fräulein
(sich fassend). Sie sind sehr grausam,
Tellheim, mir ein Glück so reizend darzustellen, dem
ich entsagen muß. Mein Verlust -
Tellheim
Ihr Verlust? - Was nennen Sie Ihren
Verlust? Alles, was Minna verlieren konnte, ist nicht
Minna. Sie sind noch das süßeste, lieblichste, holdseligste,
beste Geschöpf unter der Sonne, ganz Güte und
Großmut, ganz Unschuld und Freude! - Dann und
wann ein kleiner Mutwille; hier und da ein wenig Eigensinn -
Desto besser! desto besser! Minna wäre sonst ein
Engel, den ich mit Schaudern verehren müßte, den ich
nicht lieben könnte. (Ergreift ihre Hand, sie zu küssen.)
Fräulein
(die ihre Hand zurückzieht). Nicht
so, mein Herr! - (Wie auf einmal so verändert? - Ist
dieser schmeichelnde, stürmische Liebhaber der kalte
Tellheim? - Konnte nur sein wiederkehrendes Glück
ihn in dieses Feuer setzen? - Er erlaube mir, daß ich
bei seiner fliegenden Hitze für uns beide Überlegung
behalte. - Als er selbst überlegen konnte, hörte ich ihn
sagen, es sei eine nichtswürdige Liebe, die kein Bedenken
trage, ihren Gegenstand der Verachtung auszusetzen. -
Recht, aber ich bestrebe mich einer ebenso reinen
und edeln Liebe als er. - Jetzt, da ihn die Ehre ruft, da
sich ein großer Monarch um ihn bewirbt, sollte ich zugeben,
daß er sich verliebten Träumereien mit mir
überließe? daß der ruhmvolle Krieger in einen tändelnden
Schäfer ausarte? - Nein, Herr Major, folgen
Sie dem Wink Ihres bessern Schicksals -
Tellheim
Nun wohl! Wenn Ihnen die große Welt
reizender ist, Minna - wohl! so behalte uns die große
Welt! - Wie klein, wie armselig ist diese große Welt! -
Sie kennen sie nur erst von ihrer Flitterseite. Aber
gewiß, Minna, Sie werden - Es sei! Bis dahin, wohl!
Es soll Ihren Vollkommenheiten nicht an Bewundrern
fehlen, und meinem Glücke wird es nicht an Neidern gebrechen.
Fräulein
Nein, Tellheim, so ist es nicht gemeint!
Ich weise Sie in die große Welt, auf die Bahn
der Ehre zurück, ohne Ihnen dahin folgen zu wollen.
- Dort braucht Tellheim eine unbescholtene Gattin!
Ein sächsisches verlaufenes Fräulein, das sich ihm an
den Kopf geworfen -
Tellheim
(auffahrend und wild um sich sehend).
Wer darf so sprechen? - Ah, Minna, ich erschrecke vor
mir selbst, wenn ich mir vorstelle, daß jemand anders
dieses gesagt hätte als Sie. Meine Wut gegen ihn würde
ohne Grenzen sein.
Fräulein
Nun da! Das eben besorge ich. Sie
würden nicht die geringste Spötterei über mich dulden,
und doch würden Sie täglich die bittersten einzunehmen
haben. - Kurz, hören Sie also, Tellheim, was ich
fest beschlossen, wovon mich nichts in der Welt abbringen soll -
Tellheim
Ehe Sie ausreden, Fräulein - ich beschwöre
Sie, Minna! - überlegen Sie es noch einen
Augenblick, daß Sie mir das Urteil über Leben und
Tod sprechen! -
Fräulein
Ohne weitere Überlegung! - So gewiß
ich Ihnen den Ring zurückgegeben, mit welchem
Sie mir ehemals Ihre Treue verpflichtet, so gewiß Sie
diesen nämlichen Ring zurückgenommen: so gewiß soll
die unglückliche Barnhelm die Gattin des glücklichern
Tellheims nie werden!
Tellheim
Und hiermit brechen Sie den Stab, Fräulein?
Fräulein
Gleichheit ist allein das feste Band
der Liebe. - Die glückliche Barnhelm wünschte, nur für
den glücklichen Tellheim zu leben. Auch die unglückliche
Minna hätte sich endlich überreden lassen, das Unglück
ihres Freundes durch sich, es sei zu vermehren
oder zu lindern. - Er bemerkte es ja wohl, ehe dieser
Brief ankam, der alle Gleichheit zwischen uns wieder
aufhebt, wie sehr zum Schein ich mich nur noch weigerte.
Tellheim
Ist das wahr, mein Fräulein? - Ich
danke Ihnen, Minna, daß Sie den Stab noch nicht gebrochen. -
Sie wollen nur den unglücklichen Tellheim?
Er ist zu haben. (Kalt.) Ich empfinde eben, daß es mir
unanständig ist, diese späte Gerechtigkeit anzunehmen,
daß es besser sein wird, wenn ich das, was man
durch einen so schimpflichen Verdacht entehrt hat, gar
nicht wiederverlange. - Ja, ich will den Brief nicht
bekommen haben. Das sei alles, was ich darauf antworte
und tue! (Im Begriffe, ihn zu zerreißen.)
Fräulein
(das ihm in die Hände greift). Was
wollen Sie, Tellheim?
Tellheim
Sie besitzen.
Fräulein
Halten Sie!
Tellheim
Fräulein, er ist unfehlbar zerrissen,
wenn Sie nicht bald sich anders erklären. - Alsdann
wollen wir doch sehen, was Sie noch wider mich einzuwenden haben!
Fräulein
Wie? In diesem Tone? - So soll ich,
so muß ich in meinen eigenen Augen verächtlich werden?
Nimmermehr! Es ist eine nichtswürdige Kreatur,
die sich nicht schämet, ihr ganzes Glück der blinden
Zärtlichkeit eines Mannes zu verdanken!
Tellheim
Falsch, grundfalsch!
Fräulein
Wollen Sie es wagen, Ihre eigene
Rede in meinem Munde zu schelten?
Tellheim
Sophistin! So entehrt sich das schwächere
Geschlecht durch alles, was dem stärkern nicht
ansteht? So soll sich der Mann alles erlauben, was dem
Weibe geziemet? Welches bestimmte die Natur zur
Stütze des andern?
Fräulein
Beruhigen Sie sich, Tellheim! - Ich
werde nicht ganz ohne Schutz sein, wenn ich schon die
Ehre des Ihrigen ausschlagen muß. So viel muß mir
immer noch werden, als die Not erfordert. Ich habe
mich bei unserm Gesandten melden lassen. Er will
mich noch heute sprechen. Hoffentlich wird er sich
meiner annehmen. Die Zeit verfließt. Erlauben Sie,
Herr Major -
Tellheim
Ich werde Sie begleiten, gnädiges Fräulein. -
Fräulein
Nicht doch, Herr Major, lassen Sie mich -
Tellheim
Eher soll Ihr Schatten Sie verlassen!
Kommen Sie nur, mein Fräulein, wohin Sie wollen, zu
wem Sie wollen. Überall, an Bekannte und Unbekannte,
will ich es erzählen, in Ihrer Gegenwart des
Tages hundertmal erzählen, welche Bande Sie an mich
verknüpfen, aus welchem grausamen Eigensinne Sie
diese Bande trennen wollen -