Böbchen

Unser Bob war das, was man so im Volke unter einem Terrier versteht, denn er war kurzhaarig, von weißer Farbe mit schwarzen Flecken, zu kurz kupiert und äußerst frech, mithin ein Terrier. Er hatte auch Terrierblut in sich, ganz entschieden, und er war auch ein hübscher Hund, das sagte jeder, und wer langen Fang, hartes Haar usw. von ihm verlangte, dem wurde bedeutet, daß Böbchen kein Schablonenterrier sei, sondern eine Individualität und mehr auf persönliche denn auf generelle Rasse Wert legte. Seine Mutter hatte übrigens blauestes Terrierblut, aber entschieden die Tendenz nach unten gehabt, denn Bobs Vater war unbekannt und blieb es, denn: la recherche de la paternité est interdite. Hatte Bob also nur einen halben Stammbaum, so besaß er dafür eine doppelte Portion von Temperament. Leider hatte er verhältnismäßig wenig Verwendung dafür, sintemal er ein Damenhund war. Er gehörte nämlich meiner Schwiegermutter und spielte sich als einziges männliches Wesen in der Familie vollkommen als Hausherr auf.

Aber ein Jahr dauerte es, ehe die Frage halbwegs entschieden war, wer nun Herr im Hause sein sollte, Bob oder ich. Bob benahm sich, als ob ich nichts zu sagen hätte. Das durfte ich mir nicht gefallen lassen und trat ihm kühn entgegen. Von seiner Seite wurde der Kampf mit stundenlangem Kläffen oder Piepen, Kratzen an den Türen und heiserem Wutgebell geführt, von mir mit der Zwille und Schrot Nr. 6. Die raffinierte Technik siegte; Bob erkannte meine physische Überlegenheit in gewisser Hinsicht an, besonders wenn es ihm gerade paßte, und gehorchte mir, aber nie ohne sein historisches Recht dadurch zu betonen, daß er »bö« sagte. Im übrigen liebte er mich trotz der Zwille und ungeachtet einer seiner Ansicht nach völlig unzweckmäßigen gelegentlichen Verwendung meines rechten Absatzes. Er liebte mich allerdings mehr mit dem Verstande, mehr aus praktischen Gründen, denn aus innerer Neigung; er liebte mich, weil ich mit ihm spazierenging, sehr weit spazierenging, ohne ihn anzulernen, weil ich ihn Emailletöpfe apportieren ließ, ihn Steine aus dem Wasser tauchen ließ und die Stellen kannte, wo es Feldmäuse, Hamster und Zaunigel gab. Er war von Natur ein Mäusefänger. Lief eine Maus durch die Waschküche, dann stand er regungslos und wartete, bis die Maus wiederkam, und ruhig und besonnen faßte er zu. Dann ging er zu einer von den Damen des Hauses, legte die Maus auf ihre Schuhspitze und machte hübsch; das hieß: »Ich bitte um ein Stück Zucker zum Lohne!«

Aber wilde, richtige wilde Mäuse auf der Stoppel zu jagen, das war doch etwas anderes, das war noch schöner, als Emailletöpfe zu trudeln und Seife und Ätherflaschen zu bekämpfen. Jawohl! Seife beißt, Äther auch, also sind es wilde Tiere, und wilde Tiere gehören totgebissen, meinte Bob. Und so verbellte er die Seife, als wäre sie ein Igel, und biß hinein und schimpfte und fluchte, daß ihm der Schaum vor der koddrigen Schnauze stand. Genau so machte er es mit brennenden Zigarrenstümpfen. »Sterben mußt du«, dachte er, »und wenn du noch so beißt«, und schließlich kriegte er sie tot. Aber so ein richtiger dicker Zaunigel, das war doch noch schöner, und das Beste war ein Hamster, ein ganz dicker und fetter, der sich gehörig wehren konnte; denn ein Hamster, der ist doch reeller als die infamigen Schweinskatzen, die das unfaire Auf-die-Bäume-Geklettere nicht lassen können, dachte Böbchen. Aber wehe der, die er erwischte; sie mußte hin werden, vorausgesetzt, daß es eine alte war, denn jungen Katzen tat er nichts, weil er zu kinderlieb und zu sehr Kavalier war.

Letzteres ging daraus hervor, daß er liebendgern Sekt trank, nur mußte er sich etwas beruhigt haben, und dann aß er Spargelköpfe für sein Leben gern. Leider brach das väterliche Erbteil immer wieder bei ihm durch. So war er in seinem weiblichen Umgange gar nicht wählerisch und verkehrte mit den proletarischsten Hündinnen, was ihm den Haß des ganzen Stadtviertels einbrachte. Wenn ihn die Hunde des Kohlenfuhrmanns von weitem sahen, dann murrten sie dumpf, und das sollte heißen: »Den ganzen Tag nischt tun, als bloß fein fressen, und wir können nachher die Alimente bezahlen, wo wir doch Tag für Tag mit dem Kohlenwagen gehen und aufpassen müssen!« Aber Bob feixte sie frech an und knurrte ihnen zu: »Seht euch bloß vor, ich habe eine Zwille.« Und das glaubten ihm die Schafsköpfe wirklich. Einmal aber hatten sie ihn doch zu fassen bekommen, und er kam als Beefsteak à la Tartare nach Hause. Gerade hatte der Tierarzt ihn zurechtgeflickt, und ich hielt ihn, während ich mich von dem Arzt verabschiedete, in der Haustüre auf dem Arme. Da ging der eine Kohlenhund vorbei und machte eine höhnische Bemerkung. Im Hui war Bob von meinem Arme herunter und stürzte auf drei Beinen auf ihn los, und da Bob halb in weiße Leinwand genäht war, kratzte der andere Hund entsetzt aus.

Merkwürdig war es, daß ihm bei seinen nächtlichen Debauchen nie etwas zustieß. Er konnte wochenlang den anständigen jungen Mann von Erziehung markieren, aber mit einem Male blieb er über Nacht aus. So um vier oder fünf Uhr in der Frühe piepte er vor der Haustüre; machte man dann nicht sofort auf, so schlug er einen Riesen- oder Abgottskrach. Außerdem machte er es so wie manche Männer, er beugte vor und schnauzte, sobald er in das Haus kam, damit er nicht angeschnauzt wurde. War er dann im Hause, so ging er nicht in die obere Etage zu meiner Schwiegermutter, sondern in das Erdgeschoß in unsere Küche, wo er sich unter den Herd legte. Da blieb er den ganzen Tag liegen, roch nach Bier und gemeinen Zigarren, aß nichts und soff abscheulich viel Wasser, solchen Brand hatte er, und duftete übel. Anfangs wußten wir nie, wo er gewesen war; später bekamen wir heraus, daß er in einer Destille in der Nachbarschaft verkehrte, wo es einen tadellosen Harzkäse gab. Außerdem mußte er noch anderswo verkehren, denn als er einmal wieder einen ausschweifenden Lebenswandel geführt hatte und ohne Halsband, aber mit einem Bombenjammer, sehr dreckig und voll von Flöhen heimgekehrt war, kam ein Herr, gab sein Halsband ab und sagte, Bob pflege öfter bei ihm zu schlafen; er ginge durch das Gitter, hüpfe auf die Veranda und von da in das Eßzimmer, wo er auf dem Sofa schlafe. Als wir Bob nach Details fragten, wurde er grob, wie immer in solchen Fällen, denn das fand er taktlos.

Er war in jeder Beziehung merkwürdig. Er trank nur aus einem Glase. Wenn man ihm sagte, er solle zusehen, ob oben jemand zu Hause wäre, lief er die Treppe hinauf, hängte sich an den Klingelzug und läutete, daß das Haus bebte. Wenn er ganz fest schlief und man flüsterte: »Brauner Kuchen!«, so hörte er das sofort, obschon er manchmal tat, als wenn er stocktaub wäre. Wenn es draußen nichts anderes gab, bog ich ihm einen Ast herunter, und dann hängte er sich daran, schwebte frei in der Luft und zerrte knurrend eine halbe Stunde lang herum. Er litt an Zahnschmerzen und war dann oft sehr verdrossen, denn er hatte sich an Steinen und Emailletöpfen alle Zähne kaputtgebissen; aber als er schon zehn Jahre alt war, brauchte man nur an einen zentnerschweren Stein oder an einen Straßenbahnmasten zu klopfen und zu sagen: »Schönes Steinchen!«, und dann versuchte er, mit furchtbarem Getöse das Ding vor sich herzutrudeln, wie er es vor dem Tore stundenlang mit Emailletöpfen und Blecheimern zum Vergnügen der Einwohner machte. Niemals aber brachte er so ein Möbel mit nach Hause; sobald wir in die Nähe der Stadt kamen, stellte er den Pott in den ersten besten Hausflur. Als ich jedoch mit ihm einmal verreiste und in eine kleine Stadt kam, wo ihn niemand kannte, trudelte er seinen Pott durch das ganze Nest und nahm ihn in das Gasthaus mit. Außerdem fraß er sehr gern Zwetschen, deren Steine er mit hörbarem Avec aus der linken Maulecke spuckte.

Als ich ihn kennenlernte, war er ein Augentier; seine Nase brauchte er höchstens, um sich von der Beschaffenheit der Atmosphärilien, die dem Erdgeschoß entströmten, wo die Küche lag, zu überzeugen. Er kannte jeden Freund des Hauses von weitem; wenn er vom Fenster plötzlich zur Erde sprang und piepend nach der Türe lief, dann wußten wir, daß es Besuch gab; nie benahm er sich so, wenn der Briefträger kam. Als dann Muk, der blondgelockte Teckel einzog, brachte der ihm bei, daß der Hauptsinn des Hundes die Nase sei, und Bob, den jede Hasenspur und alle Rehfährten bis dahin völlig kühl gelassen hatten, fand allmählich Gefallen am Jagen auf der frischen Fährte, trotzdem er damals schon zehn Jahre alt war. Aber so recht kam er nicht dahinter, fiel jede neue Fährte an, die die andere kreuzte, bis es ihm zu dumm wurde und er reuevoll zu seinem Blechtopfe zurückkehrte. Wenn er sich auch manchmal etwas formlos gab, in einer Beziehung hielt er streng an der hergebrachten Sitte.

Ich hatte später einen Teckel namens Putt Battermann, einen lieben Hund; ich würde den König und den Kronprinzen von Serbien, Castro, und andere entbehrliche Gegenstände mit Wonne hergeben, könnte ich Battermann damit wieder lebendig machen. Dieser Hund hatte eine eigentümliche Angewohnheit, oder vielmehr, er hatte sie nicht; denn wenn er ein größeres Geschäft erledigt hatte, machte er nie die üblichen drei Kratzfüße hinterher. Als Bob das sah, war er starr, ganz schnell lief er hin und scharrte, um dem dummen jungen Hunde zu zeigen, was sich gehöre. Aber Battermann erklärte ihm, das habe erstens auf dem Asphalt keinen Zweck und sei zweitens überhaupt nicht mehr Mode. Was sollte Bob machen? Gekratzt mußte werden, also kratzte er jedesmal, wenn Battermann das unterließ, wenn er sich auch nicht mehr bis zu der betreffenden Stelle hinbemühte. Aber er kratzte.

Wenn Bob jagdlich gearbeitet wäre, hätte er sich mit Ruhm bedeckt, und wäre er ein Mensch gewesen, hätte der Erdball unter ihm so gedröhnt wie unter dem ersten Napoleon, denn was Furcht war, das kannte er nicht. In aller Lerchenfrühe nahm ich ihn einmal in den Zoologischen Garten mit, aber auch nur einmal, denn hätte ich ihn nicht an der Leine gehabt, so hätte ich einen neuen Löwen kaufen können. Ohne sich zu besinnen, fiel er eine eselsgroße Dogge an, und Bullen auf Weidekämpen zu hetzen, das dünkte ihm ein harmloses Spiel. Und doch bekam er es einmal, ich will nicht sagen mit der Angst, aber mit jenem Gefühl der Hilflosigkeit, das den Menschen befällt, wenn er bergab radelt, die Pedale verliert und merkt, daß die Bremse versagt. Das war in einer Gastwirtschaft; da sah er ein großes weißes Tier, das ganz sonderbar roch. Er wollte es totbeißen, aber es nahm ihn auf die Hörner und warf ihn in den Busch, daß ihm die Rippen krachten. Mit einem furchtbaren Fluche rappelte er sich zusammen und fiel das Ungetüm wieder an, aber alle Mühe, die er sich gab, es von hinten zu erwischen, war vergebens; mit Schaum vor dem Maul und Scham in der Brust schob er ab, ging, in tiefe Grübelei versunken, neben mir nach Hause, beachtete die schönsten Blechpötte nicht und aß nichts zu Abend, denn allzusehr war sein Selbstbewußtsein zerknittert. Und noch etwas gab es, das ihn mit Hilflosigkeit erfüllte, ein Floh auf dem Rücken. Dann fühlte er sich wie Lazarus. Ganz unglücklich war er, piepte jammervoll und schüttelte sich unter den Ecksofas, bis eine Franse nach der andern den Weg aller Wolle ging. Sonst kannte er keine Furcht; ein Stock versetzte ihn in Ärger, die Hundepeitsche in Zorn und die Zwille in schäumende Wut. Aber Angst? Keine Spur! Dreizehn Jahre wurde er alt und blieb, wie er war, immer lustig, immer frech, immer ein Verehrer der Weiblichkeit. Ganz plötzlich bekam er Krämpfe, und ein Schuß gab ihm ein schnelles Ende.

Er hat mich viel geärgert und oft in Wut gebracht, wenn er mich durch Piepen und Kratzen bei der Arbeit störte. Aber viel Freude habe ich doch an ihm gehabt, und immer denken wir gern zurück an unser Böbchen.


Vorige Seite Titelseite Nächste Seite