Erklärung der Zeichen und Sonderzeichen:
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Die fett geschriebenen Wörter sind bei Nietzsche mehrfach unterstrichen.
Die Fragmente von Juli 1882 bis Herbst 1885 bestehen aus 36 Handschriften aufgeteilt in 21 Heften, 12 Notizbücher, 3 Mappen mit losen Blättern.
[Dokument: Heft]
[Tautenburger Aufzeichnungen für Lou von Salomé. Juli – August 1882]
1 [1]
„solitudo continuata dulcescit." Madonna del Sasso. (Locarno)
1 [2]
Widerlegung der Moral?-
Die Moral ist die Sache jener, welche sich von ihr nicht frei machen können: für sie gehört sie eben deshalb unter die „Existenz-Bedingungen". Existenz-Bedingungen kann man nicht widerlegen: man kann sie nur – nicht haben
1 [3]
Grundsätze.
Der letzte physikalische Zustand der Kraft, den wir erschließen, muß auch nothwendig der erste sein.
Die Auflösung der Kraft in latente Kraft muß die Ursache der Entstehung der lebendigsten Kraft sein. Dem einen Zustand der Negation muß der Zustand der höchsten Position folgen.
Raum ist wie Materie eine subjektive Form. Zeit nicht.
Raum ist erst durch die Annahme leeren Raumes entstanden. Den giebt es nicht. Alles ist Kraft.
Bewegtes und Bewegendes können wir nicht zusammen denken, aber das macht Materie und Raum. Wir isoliren.
Die Entwicklung eines Dinges erlaubt Rückschlüsse auf die Entstehung des Dings.
Alle Entwicklung ist eine Entstehung.
Materie, Stoff ist eine subjektive Form.
Wir können uns Nichts anders als stofflich denken. Auch Gedanken und Abstrakta bekommen von uns eine sehr verfeinerte Stoff lichkeit, die wir vielleicht ableugnen: nichts destoweniger haben sie eine solche. Wir haben uns daran gewöhnt, diese feine Stofflichkeit zu übersehn und vom „Immateriellen" zu reden. Ganz wie wir todt und lebendig, logisch und unlogisch usw. getrennt haben. Unsere Gegensätze verlernen – ist die Aufgabe.
1 [4]
Auch die Begriffe sind entstanden. Woher? – Hier giebt es Übergänge.
1 [5]
Personen, die man zu einem Unternehmen benutzt hat, welches mißrathen ist, soll man doppelt belohnen.
1 [6]
Willst du lange jung bleiben, werde spät jung.
„Wer in seinem Urtheile über Andere zu streng ist, den halte ich für schlecht" – sage ich mit Demosthenes.
1 [7]
„Suaviter in re, fortiter in me."
1 [8]
Glaube aller Wieder-Erstandenen. – Wer früh einmal gestorben ist, stirbt lange nicht zum zweiten Male.
1 [9]
Leben nach dem Tode. – Wer Gründe hat, an sein „Leben nach dem Tode" zu glauben, muß seinen „Tod" während seines Lebens ertragen lernen.
1 [10]
Spät jung. – Spät jung erhält lang jung.
1 [11]
Das Ideal. – Das Auge sieht Alles außer sich: und so sehen wir auch unser Ideal immer noch vor uns, wenn wir es auch schon erreicht haben!
1 [12]
Begriff und Gefühl „edel" hat eine andere Vorgeschichte als Begriff und Gefühl „gut".
1 [13]
Vademecum. Vadetecum
Von F. Nietzsche
Erste Gesammtausgabe
Inhalt:
Menschliches Allzumenschliches. Mit Anhang
Der Wanderer und sein Schatten
Morgenröthe
Die fröhliche Wissenschaft.
1 [14]
Die Pflugschar.
Ein Werkzeug zur Befreiung
des Geistes.
Erste Gesammt-Ausgabe.
in 2 Bänden
Inhalt:
Menschliches Allzumenschliches. Mit Anhang:
Vermischte Meinungen und Sprüche.
Der Wanderer und sein Schatten.
Morgenröthe. Gedanken über die moralischen Vorurtheile.
Die fröhliche Wissenschaft.
1 [15]
An – – –
Freundin! – sprach Columbus – traue
Keinem Genueser mehr!
Immer starrt er in das Blaue,
Fernstes lockt ihn allzusehr!
Muth! Auf offnem Meer bin ich,
Hinter mir liegt Genua.
Und mit dir im Bund gewinn ich
Goldland und Amerika.
Stehen fest wir auf den Füßen!
Nimmer können wir zurück.
Schau hinaus: von fernher grüßen
Uns Ein Tod, Ein Ruhm, Ein Glück!
1 [16]
über vornehmliche oder ausschließliche Pflanzenkost
Menschen der heftigen Affekte, ehrgeizige gehässige wollüstige Menschen mögen in der Tat sich die Frage stellen, ob für sie nicht auch wenig Fleisch schon zu viel ist, obschon mir viel wichtiger als die Frage, was sie essen sollen, jene andere Frage gilt: wieviel, das heißt hier: wie wenig.
1 [17]
Wie Freund sich reißt von Freundesbrust.
Wohlan! Noch hast du deine Pein!
1 [18]
Was liegt an meinem Buche, wenn es nicht aushält, wenigstens sub specie trecentorum annorum betrachtet zu werden?
1 [19]
Freigeister.
Stil.
Moralisch und organisch.
Selbstsucht und Nächstensucht.
Heroismus.
Die Wirkung des Gedankens an die Zukunft der Welt.
Gott und Teufel.
1 [20]
Zur Moral des „Ich".
Die Schwierigkeit, sich verständlich zu machen. An Viele ist es unmöglich.
Jede Handlung wird mißverstanden. Und man muß, um nicht fortwährend gekreuzt zu werden, seine Maske haben. Auch um zu verführen ...
Lieber mit solchen umgehen, die bewußt lügen, weil nur sie auch mit Bewußtsein wahr sein können. Die gewöhnliche Wahrhaftigkeit ist eine Maske ohne Bewußtsein der Maske.
Das „Ich" unterjocht und tödtet: es arbeitet wie eine organische Zelle: es raubt und ist gewaltthätig. Es will sich regeneriren – Schwangerschaft. Es will seinen Gott gebären und alle Menschheit ihm zu Füßen sehen.
Die befreiten Ich's kämpfen um die Herrschaft.
1 [21]
Dies ist kein Buch: was liegt an Büchern!
Was liegt an Särgen und Leichentüchern!
Dies ist ein Wille, dies ist ein Versprechen,
Dies ist ein letztes Brücken-Zerbrechen,
Dies ist ein Meerwind, ein Ankerlichten,
Ein Räderbrausen, ein Steuer-Richten,
Es brüllt die Kanone, weiß dampft ihr Feuer,
Es lacht das Meer, das Ungeheuer –
1 [22]
mit schönen Worten nennen, nachdem die Selbstsucht böse sein soll
1 [23]
daß die semitische Rasse zur indoeuropäischen gehört, glaube ich G. I. Ascoli und E. Rénan.
1 [24]
Das Leben eines heroischen Menschen enthält die abgekürzte Geschichte mehrerer Geschlechter in Bezug auf Vergottung des Teufels. Er macht den Zustand des Ketzers, der Hexe, des Wahrsagers, des Skeptikers, des Schwachen, des Gläubigen und überwältigten durch.
1 [25]
Wer selber den Willen zum Leiden hat, steht anders zur Grausamkeit; indem er wehethut, hält er das Wehethun nicht an und für sich für schädlich und schlecht.
1 [26]
„Jesus sah jemanden am Sabbat arbeiten und sagte zu ihm: wenn du weißt, was du thust, so bist du selig; wenn du's aber nicht weißt, so bist du verflucht und ein Übertreter des Gesetzes."
Lucas, 6,4. alte Hdschr.
1 [27]
Die vorhandene Welt von Kräften leitet zurück auf einen einfachsten Zustand dieser Kräfte: und ebenso vorwärts auf einen einfachsten Zustand, – könnten und müßten beide Zustände nicht identisch sein? Aus einem System bestimmter Kräfte, also aus einer meßbar sicheren Kraft kann sich keine Unzähligkeit der Zustände ergeben. Nur bei der falschen Annahme eines unendlichen Raums, in welchen sich die Kraft gleichsam verflüchtigt, ist der letzte Zustand ein unproduktiver, todter. Der einfachste Zustand ist zugleich – und +
1 [28]
Stellen wir uns auf den strengsten Standpunkt der Moralität, z. B. der Ehrlichkeit so ist schon der Verkehr mit den Dingen, alle die Glaubensartikel unseres gewöhnlichen Handelns unmoralisch (z. B. daß es Körper gebe.
Insgleichen, daß Mensch = Mensch sei zu glauben, an Stelle der Atomistik der Individuen.
Alles wird so zur Unredlichkeit. Und gesetzt, wir erkennen, das Leben ist Unredlichkeit, also Unmoralität – so ist das Leben zu verneinen.
Ebenso die unbedingte Gerechtigkeit bringt zur Einsicht, daß Leben wesentlich ungerecht ist.
Consequenz der äußersten Moralität der Erkenntniß: Verlangen nach Vernichtung.
Aber nun kommt erlösend die Kritik der Moral und Moralität: sie bringt sich selber um.
Also: das Leben ist nicht zu verneinen, denn die Moral steht nicht über ihm, sie ist todt. Der Exceß der Moral hat ihren Gegensatz, das Böse, als nothwendig und nützlich bewiesen, und als Quelle des Guten.
Haben wir damit das Gute auf zugeben ? Nein, gerade nicht ! Denn unsere Redlichkeit braucht nicht mehr so streng zu sein. Thatsächlich sind es die Guten nicht.
1 [29]
Das Bedürfniß des Gemüthes ist nicht zu verwechseln mit dem Bedürfniß nach Gemüth: das einige sehr kalte Personen haben.
1 [30]
Der Hund bezahlt Wohlwollen mit Unterwerfung. Die Katze genießt sich selber dabei und hat ein wollüstiges Kraftgefühl: sie giebt nicht zurück.
1 [31]
Zur Erklärung der sogenannten „Spiritistischen Erscheinungen". Ein Theil der intellektuellen Funktionen des Mediums verlaufen ihm unbewußt: sein Zustand ist darin hypnotisch (Trennung eines wachen und schlafenden Intellekts) Auf diesen unbewußten Theil concentrirt sich die Nervenkraft. – Es muß zwischen den durch die Hände verbundenen Personen eine elektrische Leitung nach dem Medium zu stattfinden, vermöge dessen Gedanken einer jeden Person in das Medium übergehen. Eine solche Leitung von Gedanken ist nicht wunderbarer als die Leitung vom Gehirne zum Fuße, im Fall eines Stolperns, innerhalb Eines Menschen. Die Fragen werden durch die lntellektualität der betheiligten Personen beantwortet: wobei das Gedächtniß oft etwas leistet und bietet, was für gewöhnlich vergessen scheint. Folge der nervösen Emotion. – Es giebt kein Vergessen. – Auch unbewußter Betrug ist möglich: ich meine, ein betrügerisches Medium fungirt mit allerlei betrügerischen Manipulationen, ohne darum zu wissen: seine Art Moralität äußert sich instinktiv in diesen Handlungen. – Zuletzt geht es immer so zu, bei allen unseren Handlungen. Das Wesentliche verläuft uns unbewußt, und der Schelm ist sich unbewußt hundertmal mehr und häufiger Schelm als bewußt.
Elektricitäts-Erscheinungen, kalte Ströme, Funken sind möglich dabei. Gefühle Angefaßt-werden können die Sache der Täuschung sein, Hallucinationen der Sinne: wobei möglich ist, daß es für mehrere Personen Hallucinat<ions>Einheit giebt. (Wie bei den alten orgiastischen Culten)
Der Glaube an die Wiederbegegnung mit Todten ist die Voraussetzung des Spiritismus. Es ist eine Art Freigeisterei. Wirkliche Fromme haben diesen Glauben nicht nöthig. (Buckle über Unsterblichkeit)
1 [32]
Advocatus diaboli
Neue Vorstellungen von Gott und Teufel. Die unbedingte Erkenntniß ist ein Wahnsinn der Tugend-Periode; an ihr gienge das Leben zu Grunde. Wir müssen die Lüge, den Wahn und Glauben, die Ungerechtigkeit heiligen. Wir müssen uns von der Moral befreien, um moralisch leben zu können. Meine freie Willkür, mein selbstgeschaffenes Ideal will diese und jene Tugend von mir d. h. den Untergang in Folge der Tugend. Das ist Heroismus.
1 [33]
Das National-Princip wird die Muhamedaner die Inder entfesseln.
1 [34]
Was macht denn z. B. die Prostitution so schädlich, schleichend, ihrer selber unsicher? Nicht „das Böse an sich" in ihr, sondern die schlechte Meinung, mit der sie behandelt wird. Dies gegen die Statistiker. Man sollte den Guten nachrechnen, daß die gröbere und feinere Nachwirkung ihrer Urtheile das innere und äußere Elend der Menschen ausmacht. Und dann nehmen sie dieses Elend als Beweis dafür, daß sie Recht haben, als Beweis der Natur und Kraft! Das schlechte Gewissen vergiftet die Gesundheit.
Die Ehe als die erlaubte Form der Geschlechtsbefriedigung.
Der Krieg als die erlaubte Form des Nachbar-Mordes.
Die Schule als die erlaubte Form der Erziehung.
Justiz als die erlaubte Form der Rache.
Religion als die erlaubte Form des Erkenntnißtriebes.
Die Guten als die Pharisäer, die Bösen mit schlechtem Gewissen und unterdrückt lebend. Was ist denn Ausschweifung aller Art mehr als die Consequenz der Unbefriedigung so Vieler an den erlaubten Formen? Was ist das meiste Verbrecherthum anders als Unvermögen oder Unlust zur Heuchelei der „Guten"? Mangel an Erziehung der starken Triebe? Es giebt dafür nur Gegner und Verächter.
1 [35]
Vom Glück des Pharisäers.
Seine Selbst-Überwindung. Die Herstellung des „sittlichen" Handelns unter allen Umständen und die Einübung, sich fortwährend solche Motive allein im Bewußtsein zu erhalten und die wirklichen Motive falsch (nämlich sittlich) zu benennen.
Es ist die uralte Übung innerhalb der Heerde: die eigentliche Unredlichkeit, bei sich nur die erlaubten Urtheile und Empfindungen zu sehen. Diese allen Guten gemeinsame Übung bringt die Uniformität der gemeinsamen Handlungen hervor: es giebt ihnen ihre ungeheure Kraft, an so wenige Motive bei sich und dem Nächsten zu glauben, und nur an gute.
Der Pharisäer ist der Urtypus des erhaltenden Menschen, immer nöthig.
Gegensatz:
die starken Bösen
und die schwachen Bösen, die sich so fühlen.
Aus ihnen entsteht mitunter der Sich-selber-Gute, der zum Gott gewordene Teufel.
1 [36]
Leiden verringern und sich selber dem Leiden (d.h. dem Leben) entziehen – das sei moralisch?
Leiden schaffen – sich selber und Anderen – um sie zum höchsten Leben, dem des Siegers zu befähigen – wäre mein Ziel.
1 [37]
Es ist ekelhaft, große Menschen durch Pharisäer verehrt zu sehen. Gegen diese Sentimentalität.
1 [38]
Auch das Rückwärts-gehen und Verfallen, beim Einzelnen und bei der Menschheit, muß seine Ideale erzeugen: und immer wird man glauben, fortzuschreiten.
Das Ideal „Affe" könnte irgendwann einmal vor der Menschheit stehen – als Ziel.
1 [39]
Meine Virtuosität: das zu ertragen, was mir unangenehm ist, ihm gerecht zu sein, ja artig dagegen – Mensch und Erkenntniß. Darin bin ich am besten geübt.
1 [40]
Ich habe eine Neigung, mich bestehlen, ausbeuten zu lassen. Aber als ich merkte, daß alles darauf aus war, mich zu täuschen, gerieth ich in den Egoismus.
1 [41]
Aus der vollendeten alten Moralität heraus verlangte mich nach der Selbstsucht.
1 [42]
Warum liebe ich die Freigeisterei? Als letzte Consequenz der bisherigen Moralität. Gerecht sein gegen Alles, über Neigung und Abneigung hinweg, sich selber in die Reihe der Dinge einordnen, über sich sein, die Überwindung und der Muth nicht nur gegen das Persönlich-Feindliche, Peinliche, auch in Hinsicht auf das Böse in den Dingen, Redlichkeit, selbst als Gegnerin des Idealismus und der Frömmigkeit, ja der Leidenschaft, sogar in Bezug auf die Redlichkeit selber; liebevolle Gesinnung gegen Alles und jedes und guter Wille, seinen Werth zu entdecken, seine Berechtigung, seine Nothwendigkeit. Auf Handeln verzichten (Quietismus) aus Unvermögen zu sagen: „es soll anders sein" – in Gott ruhen, gleichsam in einem werdenden Gotte.
Als Mittel dieser Freigeisterei erkannte ich die Selbstsucht als nothwendig, um nicht in die Dinge hinein verschlungen zu werden: als Band und Rückhalt. Jene Vollendung der Moralität ist nur möglich in einem Ich: insofern es sich lebendig, gestaltend, begehrend, schaffend verhält, und in jedem Augenblick dem Versinken in die Dinge widerstrebt, erhält es sich seine Kraft, immer mehr Dinge in sich aufzunehmen und in sich versinken zu machen. Die Freigeisterei ist also im Verhältniß zum Selbst und zur Selbstsucht ein Werden, ein Kampf zweier Gegensätze, nichts Fertiges, Vollkommenes, kein Zustand: es ist die Einsicht der Moralität, nur vermöge ihres Gegentheils sich in der Existenz und Entwicklung zu erhalten.
1 [43]
1. Unzufriedenheit mit uns selber. Gegenmittel gegen die Reue. Die Verwandlung der Temperamente (z. B. durch die Anorganica). Der gute Wille zu dieser Unzufriedenheit. Seinen Durst abwarten und voll werden lassen, um seine Quelle zu entdecken.
2. Der Tod umzugestalten als Mittel des Sieges und Triumphes.
3. Die Geschlechtsliebe, als das Mittel zum Ideal (Streben in seinem Gegensatz unterzugehen.) Liebe zur leidenden Gottheit.
4. Die Krankheit, Verhalten zu ihr, Freiheit zum Tode.
5. Die Fortpflanzung als die heiligste Angelegenheit. Schwangerschaft, Schaffung des Weibes und des Mannes, welche im Kinde ihre Einheit genießen wollen und ein Denkmal daran stiften.
6. Mitleiden als Gefahr. Die Gelegenheiten schaffen, damit jeder sich selber helfen könne und es ihm freistehe, ob geholfen werden solle.
7. Die Erziehung zum Bösen, zum eigenen „Teufel".
8. Der innere Krieg, als „Entwicklung".
9. „Arterhaltung" und der Gedanke der ewigen Wiederkunft.
10. In wiefern jeder geschaffene Gott sich wieder einen Teufel schafft. Und das ist nicht der, aus dem er entstanden ist. (Es ist das benachbarte Ideal, mit dem er kämpfen muß)
1 [44]
Staat hat seine Moral dem I<ndividuum> einverleibt.
Willkür vielleicht der gelobteste Name einmal für Moral
1 [45]
Stil
Das Erste, was noth thut, ist Leben: der Stil soll leben.
Der Stil soll jedes Mal dir angemessen sein in Hinsicht auf eine ganz bestimmte Person, der du dich mittheilen willst.
Man muß erst genau wissen: „so und so würde ich dies sprechen und vortragen" – bevor man schreiben darf. Schreiben soll nur eine Nachahmung sein.
Weil dem Schreibenden viele Mittel des Vortragenden fehlen, so muß er im Allgemeinen eine sehr ausdrucksreiche Art von Vortrag zum Vorbilde haben: das Abbild davon, das Geschriebene wird nothwendig schon viel blässer (und dir natürlicher) ausfallen.
Der Reichthum an Leben verräth sich durch Reichthum an Gebärden. Man muß Alles, Länge Kürze der Sätze, die Interpunktionen, die Wahl der Worte, die Pausen, die Reihenfolge der Argumente – als Gebärden empfinden lernen.
Vorsicht gegen die Periode! Zur Periode haben nur die Menschen ein Recht, die einen langen Athem auch im Sprechen haben. Für die Meisten ist die Periode eine Affektation.
Der Stil soll beweisen, daß man an seine Gedanken glaubt, und sie nicht nur denkt, sondern empfindet.
Je abstrakter die Wahrheit ist, die man lehren will, um so mehr muß man erst die Sinne zu ihr verführen.
Der Takt des guten Prosaikers besteht darin, dicht an die Poesie heranzutreten, aber niemals zu ihr überzutreten. Ohne das feinste Gefühl und Vermögen im Poetischen selber kann man diesen Takt nicht haben.
Es ist nicht artig und klug, seinem Leser die leichteren Einwände vorwegzunehmen. Es ist sehr artig und klug, seinem Leser es übrig zu lassen, die Quintessenz unserer Weisheit selber auszusprechen.
1 [46]
G. Sand, Brief von 1868 an Maxime Du Camp.
„Faites un mariage d'amitié pour avoir des enfants. L'amour ne procrée guère. Quand vous verrez devant vous un être, que vous aimerez plus que vous-mêmes, vous serez heureux. Mais ce n'est pas la femme que l'on peut aimer plus que soimême, c'est l'enfant, c'est l’être innocent, c'est le type divin, qui disparaît plus ou moins en grandissant, mais qui, durant quelques années, nous ramène à la possession d'un idéal sur la terre."
1 [47]
Der Mann hat im. Hintergrunde aller seiner Empfindungen für ein Weib immer noch die Verachtung für das weibliche Geschlecht.
1 [48]
Gegen die moralische Empörung.
Dieselbe Grausamkeit wie in Religionskriegen. „Die Verachtung des Mitmenschen" als Gegenstand von Christi Entrüstung (er wurde gegen die Pharisäer ungerecht).
(Das Böse muß erhalten bleiben!)
1 [49]
Wer das Ideal eines Menschen geschaut hat, empfindet den wirklichen Menschen als dessen Carikatur.
1 [50]
– der einzelnen Tugenden und Laster von Mann und Weib.
Weib und Arbeit
Weib und Staat
Weib und Ruhm.
2. Das weibliche Urtheil und der Glaube des Weibes in Betreff seines Urtheils.
3. Die verhehlte Wirklichkeit und – – –
4. Die Unwirklichkeit, welcher ein Weib sich verpflichtet fühlt, als wahr zu behaupten.
5. Die Verführung der Anderen zur guten Meinung über uns, und das Sich-Beugen vor dieser Meinung als einer Autorität.
6. Tempo der weiblichen Affekte.
7. Schwangerschaft als der Cardinalzustand, welcher allmählich das Wesen des Weibes überhaupt gestaltet hat. Relation aller weiblichen Denk- und Handlungsweisen dazu.
8. Die Pflege der Kinder theils zurückbildend – theils allzu sehr entkindlichend. Weiblicher Rationalismus.
9. Verschiedenheit der weiblichen und männlichen Herrschsucht.
10. Das weibliche Gefühl der Vollkommenheit – im Gehorchen.
11. Was als unweiblich empfunden wird. Geschichte.
12. Verneinen zerstören hassen sich rächen: warum das Weib darin barbarischer ist als der Mann.
13. Sinnlichkeit von Mann und Frau verschieden.
1 [51]
Zur Wieder-Entstehung der Welt.
Aus zwei Negationen entsteht eine Position, wenn die Negationen Kräfte sind. (Es entsteht Dunkel aus Licht gegen Licht, Kälte aus Wärme gegen Wärme usw.)
1 [52]
Wirf deine Worte deinen Thaten voraus: verpflichte dich selber durch die Scham vor gebrochnen Worten.
1 [53]
Nur der Unbeugsame darf von sich selber schweigen.
1 [54]
Wir sind gegen Andere aufrichtiger als gegen uns selber.
1 [55]
In Bezug auf alle Wahrheit geht es uns wie in Hinsicht auf den inneren Leib.
1 [56]
Ursprünglich war die Lüge moralisch. Man gab die Meinungen der Heerde vor.
1 [57]
Um sich gut zu unterhalten, sucht der Eine einen Geburtshelfer für seine Gedanken, und der Andere einen, dem er helfen kann.
1 [58]
Bei jedem Gespräch zu dreien ist einer überflüssig und verhindert damit die Tiefe des Gesprächs.
1 [59]
Wer uns nicht produktiv macht, wird uns sicher gleichgültig. Wen wir produktiv machen, den lieben wir deshalb noch nicht.
1 [60]
Wie die Guten sich die großen Menschen imagin<iren>. Gegen ihre Sentimentalität.
1 [61]
Ideal bilden, d.h. seinen Teufel zu seinem Gotte umschaffen. Und dazu muß man erst seinen Teufel geschaffen haben.
1 [62]
Alles Gute ist aus einem Bösen geworden.
1 [63]
Wer nach Größe strebt, hat Gründe in der Quantität seine Vollendung und Befriedigung zu haben. Die Menschen der Qualität streben nach Kleinheit.
1 [64]
Der Zustand der absoluten Erkaltung in Bezug auf alle bisher geglaubten Werthe ist vorhergehend dem der Erhitzung.
1 [65]
Ich bin der advocatus diaboli und der Ankläger Gottes.
1 [66]
Der Mensch ist eine zu unvollkommene Sache. Liebe zu einem Menschen würde mich zerstören.
1 [67]
Grausamkeit in dem Genuß am Mitleiden. Das Mitleiden ist am stärksten, je tiefer wir den Anderen kennen und lieben. Folglich wird der Liebende, welcher gegen den, welchen er liebt, grausam ist, am meisten Genuß von der Grausamkeit haben. Gesetzt, wir lieben uns selber am meisten, so wäre der höchste Genuß des Mitleidens die Grausamkeit gegen uns. Heroisch = das ist das Streben nach dem absoluten Untergange in seinen Gegensatz, die Umschaffung des Teufels in Gott: das ist dieser Grad von Grausamkeit.
1 [68]
Die Existenz-Bedingungen eines Wesens, sobald sie sich als ein „Soll" repräsentiren, sind seine Moral.
1 [69]
Wie der Teufel zu Gott wird.
1 [70]
Zur Philosophie der Wiederkunft.
über heroische Größe als einzigen Zustand der Vorbereitenden.
(Streben nach dem absoluten Untergange, als Mittel, sich zu ertragen.)
Funktion-Werden-Wollen: weibliches Ideal der Liebe. Das männliche Ideal ist Assimilation und Überwältigung oder Mitleid (Anbetung des leidenden Gottes).
absolute Gleichgültigkeit über die Meinungen Anderer (weil wir ihre Maaße und Gewichte kennen): aber als Meinung über sich selber Gegenstand des Mitleidens.
Wir dürfen nicht Einen Zustand wollen, sondern müssen periodische Wesen werden wollen = gleich dem Dasein.
ich habe den ganzen Gegensatz einer religiösen Natur absichtlich ausgelebt. Ich kenne den Teufel und seine Perspektiven für Gott.
„Gut" und „Böse" als Lust- und Unlustempfindungen. Unentbehrlich. Aber für Jeden sein Böses.
Wer nicht den Weg zu seinem Ideale findet, lebt leichtsinniger und frecher als der, welcher gar kein Ideal hat.
Dem Weh thun, den wir lieben – ist die eigentliche Teufelei. In Bezug auf uns selber ist es der Zustand des heroischen Menschen – die höchste Vergewaltigung. Das Streben in den Gegensatz gehört hierzu.
1 [71]
„Idealist" als Gegensatz des redlichen und furchtlosen Erkennenden. Die Urtheile des Idealisten machen mir Ekel, sie sind ganz unbrauchbar.
1 [72]
Freude am Schaden des Anderen ist etwas Anderes als Grausamkeit, letztere ist Genuß im Mitleiden, und hat ihre Höhe, wenn das Mitleiden am höchsten ist (dann, wenn wir den lieben, den wir foltern).
Wenn ein Anderer dem, welchen wir lieben, das Wehe zufügte, dann würden wir rasend vor Wuth, das Mitleid wäre ganz schmerzhaft. Aber wir lieben ihn: und wir thun ihm wehe. Dadurch wird das Mitleid ein ungeheurer Reiz: es ist der Widerspruch zweier entgegengesetzter starker Triebe, der hier als höchster Reiz wirkt.
Selbstverstümmelung und Wollust neben einander ist das Gleiche. Oder hellstes Bewußtsein und Bleischwere und Unbeweglichkeit nach Opium.
1 [73]
Allgemeine Frage: wie wirken widersprechende Empfindungen, also eine Zweiheit? Wie verwandte, als Zweiheit? (Abschwächend?)
Die höchste Liebe zum Ich, wenn sie als Heroismus sich äußert, hat Lust zum Selbst-Untergange neben sich, also Grausamkeit, Selbst-Vergewaltigung.
Die, welche die Menschheit liebten, thaten ihr am wehesten.
Die unbedingte Hingebung und das Gerneleiden vom Geliebten, die Begierde mißhandelt zu werden. Hingebung wird zum Trotz gegen sich.
Andererseits der Liebgehabte, welcher das Liebende quält, sein Machtgefühl genießt, und um so mehr, als er sich selber dabei tyrannisirt: es ist eine doppelte Ausübung von Macht. Machtwille wird hier zum Trotz gegen sich.
1 [74]
Der Freigeist als der religiöseste Mensch, den es jetzt giebt.
1 [75]
Gott hat Gott getödtet.
1 [76]
Die Moral starb an der Moralität.
1 [77]
Der gläubige Mensch ist der Gegensatz des religiösen Menschen.
1 [78]
Voraussetzung der Zeugung sollte der Wille sein, ein Abbild und Fortleben der geliebten Person haben zu wollen: und ein Denkmal der Einheit mit ihr, ja eine Vollendung des Triebes nach Einheit, durch ein neues Wesen. – Sache der Leidenschaft und nicht der Sympathie.
1 [79]
Die hohe und ehrliche Form des Geschlechtsverkehrs, die der Leidenschaft, hat jetzt noch das böse Gewissen bei sich. Und die gemeinste und unredlichste das gute Gewissen.
1 [80]
Die Verworrenheit der Mittel, die Ehe aufrecht zu erhalten: das Weib glaubt, prädestinirt nur für diese zu sein. In Wahrheit ist Alles gemeiner Zufall, und hundert andere Männer thäten ihr ebenso gut. Sie will gehorchen: sie arbeitet für den Mann und denkt und sagt: „was habe ich alles für dich gethan!" aber es war nicht für „dich", sondern für irgend einen, der ihren Trieben in den Wurf kam. – Der Beruf und die tägliche Arbeit trennt die Gatten und hält so die Erträglichkeit aufrecht. – Weil die Männer und Frauen früher nicht erfahren haben, was eigentlich Freundschaft ist, so sind sie auch nicht enttäuscht über den Verkehr: weder die Liebe, noch die Freundschaft ist ihnen bekannt. Die Ehe ist auf verkümmerte Halbmenschen eingerichtet.
1 [81]
Eitel – beleidigt
vorsichtig – in Acht nehmen
unmoralisch – verachten.
1 [82]
Er tödtet, wenn er sonst nicht leben kann.
Er raubt, wenn er einen Gegenstand nöthig hat oder einen Menschen (Ehe).
Er lügt, wenn er verborgen bleiben will um seines Zieles willen.
1 [83]
Mittag und Ewigkeit
Entwurf einer heroischen Philosophie.
1 [84]
Menschen, die nach Größe streben, sind gewöhnlich böse Menschen: es ist ihre einzige Art, sich zu ertragen.
1 [85]
Wie lange (wie viel Jahrhunderte) dauert es, bis eine Größe den Menschen als Größe sichtbar wird und leuchtet – ist mein Maaßstab der Größe. Bisher sind wahrscheinlich alle die Größten gerade verborgen geblieben.
1 [86]
Wer das Große nicht mehr in Gott findet, findet es überhaupt nicht vor und muß es leugnen oder – schaffen – schaffen helfen.
1 [87]
Die ungeheure Erwartung in Betreff der Geschlechtsliebe verdirbt den Frauen das Auge für alle weiteren Perspektiven.
1 [88]
Heroismus – das ist die Gesinnung eines Menschen der ein Ziel erstrebt, gegen welches berechnet er gar nicht mehr in Betracht kommt. Heroismus ist der gute Wille zum absoluten Selbst-Untergang.
Der Gegensatz des heroischen Ideals ist das Ideal der harmonischen All-Entwicklung: ein schöner Gegensatz und ein sehr wünschenswerther! Aber nur ein Ideal für gute Menschen!
1 [89]
In allem Verkehr von M<enschen> dreht es sich nur um Schwangerschaft.
1 [90]
Wenn fünf Menschen zusammen reden, muß immer ein sechster sterben.
1 [91]
Alle Mädchen glauben, daß ein Mann nur dann Freundschaft mit einem Weibe schließt, weil er nicht mehr erreichen konnte.
1 [92]
Wer das Hohe eines M<enschen> nicht sieht, sieht dessen Niedriges zu nahe und mit allzuscharfen Augen.
1 [93]
Wenn die Talente nachlassen, werden die moralischen Eigenschaften eines M<enschen> sichtbarer.
1 [94]
Die Männer gelten als grausam, aber die Weiber sind es. Die Weiber gelten als gemüthvoll, aber die Männer sind es.
1 [95]
Ah, wie ich der tragischen Gebärden und Worte satt bin!
1 [96]
Schilling, span<ische> Grammatik, Leipzig, Glockner.
1 [97]
Soll das Band nicht reißen,
Mußt du mal drauf beißen.
1 [98]
Gelegentlich habe ich eine ungeheure Geringschätzung der Guten – ihre Schwäche, ihr Nichts-Erleben-Wollen, Nicht-sehen-wollen, ihre willkürliche Blindheit, ihr banales Sich-Drehen im Gewöhnlichen und Behaglichen, ihr Vergnügen an ihren „guten Eigenschaften" usw.
1 [99]
Hitzig Untersuchungen über das Gehirn Berlin 1874.
Animal Depravity (Quarterly Journal of Science 1875
415-430.
Lilienfeld Gedanken über die Socialwissenschaft.
1 [100]
Cosa bella e mortal,
Passa e non dura !!!
1 [101]
Columbus novus.
Dorthin will ich, und ich traue
Mir fortan und meinem Griff!
Offen ist das Meer: in's Blaue
Treibt mein Genueser Schiff.
Alles wird mir neu und neuer
Hinter mir liegt Genua.
Muth! Stehst du doch selbst am Steuer,
Lieblichste Victoria!
(Sommer 1882)
1 [102]
Der Baum spricht.
Zu einsam wuchs ich und zu hoch:
Ich warte: worauf wart' ich doch?
Zu nah ist mir der Wolken Sitz:
Ich warte auf den ersten Blitz.
1 [103]
An das Ideal.
Wen liebt ich so wie dich, geliebter Schatten!
Ich zog dich an mich, in mich – und seitdem
Ward ich beinah zum Schatten, du zum Leibe.
Nur daß mein Auge unbelehrbar ist,
Gewöhnt, die Dinge außer sich zu sehen:
Ihm bleibst du stets das ew'ge „Außer-mir".
Ach, dieses Auge bringt mich außer mich!
1 [104]
„Die fröhliche Wissenschaft".
(Sanctus Januarius)
Dies ist kein Buch: was liegt an Büchern!
An diesen Särgen und Leichentüchern!
Vergangnes ist der Bücher Beute:
Doch hierin lebt ein ewig Heute.
1 [105]
Im Gebirge.
(1876.)
Nicht mehr zurück? Und nicht hinan?
Auch für die Gemse keine Bahn?
So wart' ich hier und fasse fest,
Was Aug' und Hand mich fassen läßt!
Fünf Fuß breit Erde, Morgenroth,
Und unter mir – Welt, Mensch und – Tod.
1 [106]
An die Freundschaft.
Heil dir, Freundschaft!
Meiner höchsten Hoffnung
Erste Morgenröthe!
Ach, ohn' Ende
Schien oft Pfad und Nacht mir,
Alles Leben
Ziellos und verhaßt!
Zweimal will ich leben,
Nun ich schau' in deiner Augen
Morgenglanz und Sieg,
Du liebste Göttin!
1 [107]
Das Wort.
Lebend'gem Worte bin ich gut:
Das springt heran so wohlgemuth,
Das grüßt mit artigem Genick,
Ist lieblich selbst im Ungeschick,
Hat Blut in sich, kann herzhaft schnauben,
Kriecht dann zum Ohre selbst den Tauben,
Und ringelt sich und flattert jetzt,
Und was es thut – das Wort ergetzt.
Doch bleibt das Wort ein zartes Wesen,
Bald krank und aber bald genesen.
Willst ihm sein kleines Leben lassen,
Mußt du es leicht und zierlich fassen,
Nicht plump betasten und bedrücken,
Es stirbt oft schon an bösen Blicken –
Und liegt dann da, so ungestalt,
So seelenlos, so arm und kalt,
Sein kleiner Leichnam arg verwandelt,
Von Tod und Sterben mißgehandelt.
Ein todtes Wort – ein häßlich Ding,
Ein klapperdürres Kling-Kling-Kling.
Pfui allen häßlichen Gewerben,
An denen Wort und Wörtchen sterben!
[Tautenburger Aufzeichnungen für Lou von Salomé]
1 [108]
1.
Menschen, die nach Größe streben, sind gewöhnlich böse Menschen; es ist ihre einzige Art, sich zu ertragen.
2.
Wer das Große nicht mehr in Gott findet, findet es überhaupt nicht vor und muß es entweder leugnen oder – schaffen (schaffenhelfen)
<3.>
[+++]
4.
Die ungeheure Erwartung in Betreff der Geschlechtsliebe verdirbt den Frauen das Auge für alle fernen Perspektiven.
5.
Heroismus – das ist die Gesinnung eines Menschen, der ein Ziel erstrebt, gegen welches gerechnet er gar nicht mehr in Betracht kommt. Heroismus ist der gute Wille zum absoluten Selbst-Untergange.
6.
Der Gegensatz des heroischen Ideals ist das Ideal der harmonischen All-Entwicklung – ein schöner Gegensatz und ein sehr wünschenswerther! Aber nur ein Ideal für grundgute Menschen (Goethe z. B.)
Liebe ist für Männer etwas ganz Anderes als für Frauen. Den Meisten wohl ist Liebe eine Art Habsucht; den übrigen Männern ist Liebe die Anbetung einer leidenden und verhüllten Gottheit.
Wenn Freund Rée dies läse, würde er mich für toll halten.
Wie geht es? – Es gab nie einen schöneren Tag in Tautenburg als heute. Die Luft klar, mild, kräftig: so wie wir Alle sein sollten.
Von Herzen
F. N.
1 [109]
Zur Lehre vom Stil.
1.
Das Erste, was noth thut, ist Leben: der Stil soll leben.
2.
Der Stil soll dir angemessen sein in Hinsicht auf eine ganz bestimmte Person, der du dich mittheilen willst. (Gesetz der doppelten Relation.)
3.
Man muß erst genau wissen: „so und so würde ich dies sprechen und vortragen" – bevor man schreiben darf. Schreiben muß eine Nachahmung sein.
4.
Weil dem Schreibenden viele Mittel des Vortragenden fehlen, so muß er im Allgemeinen eine sehr ausdrucksvolle Art von Vortrage zum Vorbild haben: das Abbild davon, das Geschriebene, wird schon nothwendig viel blässer ausfallen.
5.
Der Reichthum an Leben verräth sich durch Reichthum an Gebärden. Man muß Alles, Länge und Kürze der Sätze, die Interpunktionen, die Wahl der Worte, die Pausen, die Reihenfolge der Argumente – als Gebärden empfinden lernen.
6.
Vorsicht vor der Periode! Zur Periode haben nur die Menschen ein Recht, die einen langen Athem auch im Sprechen haben. Bei den Meisten ist die Periode eine Affektation.
7.
Der Stil soll beweisen, daß man an seine Gedanken glaubt, und sie nicht nur denkt, sondern empfindet.
8.
Je abstrakter die Wahrheit ist, die man lehren will, um so mehr muß man erst die Sinne zu ihr verführen.
9.
Der Takt des guten Prosaikers in der Wahl seiner Mittel besteht darin, dicht an die Poesie heranzutreten, aber niemals zu ihr überzutreten.
10.
Es ist nicht artig und klug, seinem Leser die leichteren Einwände vorwegzunehmen. Es ist sehr artig und sehr klug, seinem Leser zu überlassen, die letzte Quintessenz unsrer Weisheit selber auszusprechen.
F. N.
Einen guten Morgen,
meine liebe Lou!
1 [110]
„Ja, ein schwaches Geschlecht!" – so reden die Männer von den Frauen, so reden auch die Frauen von sich selber: aber wer glaubt, daß sie bei dem gleichen Worte das Gleiche denken? Doch lassen wir einmal die Männer hierüber denken, was sie wollen; was meint für gewöhnlich ein Weib, wenn es von der Schwäche seines Geschlechts spricht? –
Schwäche fühlen – das ist ihm nicht nur einen Mangel an Kraft fühlen, sondern vielmehr: ein Bedürfniß nach Kraft fühlen. Es sucht nach Kraft, es blickt nach außen dabei, es will sich anlehnen es ist ganz Fühlhorn für Alles, woran es sich anlehnen könnte, es schlingt sich verlangend auch um das, was zur Stütze ungeeignet ist und versucht sich daran zu halten, ja es täuscht sich gerne über die Kraft alles Anderen, Fremden außer ihm – es glaubt in dem Grade an die Kraft außer sich als es an die Schwäche in sich glaubt. Das Gefühl der Schwäche, im äußersten Maaße empfunden, findet geradezu überall Stärke und dichtet Kraft in jedes Außer-sich hinein, mit dem es sich berührt: und wenn das Auge widersprechen sollte, so wird das Auge – zugemacht!
Dies ist in der That der Zustand, in dem das schwache Geschlecht sich befindet, und nicht nur in Beziehung auf die Männer seiner Umgebung, sondern auch in Beziehung auf Religion und Sitte: das schwache Weib glaubt an seine Unmöglichkeit, ungestützt stehen zu können und verwandelt alles, was es leiblich oder geistig umgiebt, in Stützen – es will nicht sehen, was dies Alles wirklich ist, es will nicht prüfen, ob das Geländer, an dem es über den Fluß geht, wirklich hält, es glaubt an das Geländer, weil es an seine Schwäche und Angst glaubt. Woran ein solches Weib sich anlehnt, das ist unter allen Umständen nicht die erkannte Kraft, sondern die erwartete, gewünschte und erdichtete Kraft: und je größer sein Gefühl der Schwäche war, um so mehr Kraft wird es an dem fühlen wollen, das ihm „Halt giebt". Das schwächste Weib wird aus jedem Manne einen Gott machen: und ebenso aus jedem Gebot der Sitte und Religion etwas Heiliges, Unantastbares, Letztes, Anbetungswürdiges. Es liegt auf der Hand, daß für die Entstehung der Religionen das schwache Geschlecht wichtiger ist als das starke. Und, so wie die Weiber sind, würden sie sich, wenn man sie allein ließe, aus ihrer Schwäche heraus nicht nur beständig „Männer" erschaffen, sondern auch „Götter" – und beide, wie zu vermuthen steht, einander ähnlich –: als Ungeheuer von Kraft!
1 [111]
Vom Weibe.
1 . Das weibliche Urtheil und der Glaube (Aberglaube) des Weibes in Betreff seines Urtheils.
Affekte,
der einzelnen Tugenden und Laster,
Mann und Weib,
Staat und Natur,
Arbeit, Muße, usw.
4. Was von der Wirklichkeit sich das Weib verhehlt.
5. Worin es sich verpflichtet fühlt, eine Unwirklichkeit, die es als solche kennt, doch als wirklich zu behaupten.
6. Tempo der weiblichen Affekte
7. Die Pflege der Kinder, theils zurückbildend und hemmend, theils allzusehr entkindlichend (der weibl<iche> Rationalism) In wiefern die Weiber den Mann als Kind behandeln.
8. In wiefern das Weib die Anderen zur guten Meinung über sich verführt und trotzdem sich dann vor dieser Meinung beugt (als vor einer Autorität)
9. Geschichte dessen, was vom Weibe als unweiblich empfunden wird, – je nach Volk und Sittenzustand.
10. Der weibl<iche> Glaube an irgend eine oberste weibl<iche> Tugend, welche da sein müsse, damit irgend eine höhere Natur des Weibes erreicht werden könne – und der thatsächl<iche> Wechsel dieser „obersten Tugenden".
11. Gefühl der Vollkommenheit und Wesens-Vollendung z. B. beim Dienen, Gehorchen
12. Schwangerschaft als der Cardinalzustand, welcher allmählich, im Verlauf der Zeiten, das Wesen des Weibes festgestellt hat. Relation aller weiblichen Denk- und Handlungsweisen dazu.
13. Verneinen, zerstören, allein sein, kämpfen, verachten, sich rächen: warum das Weib in alledem barbarischer ist als der Mann usw. usw. usw.
[Dokument: Heft]
[Sommer - Herbst 1882]
2 [1]
Metteyya
2 [2]
Carus, vergl<eichende> Psychologie
2 [3]
Vogt 19185
Lindau 18772
Wilbrandt 18761
2 [4]
Die Moral der Ausgewählten oder die freie Moral.
Wir als die Erhalter des Lebens.
Unvermeidlich entstehend die Verachtung und der Haß gegen das Leben. Buddhismus. Die europäische Thatkraft wird zum Massen-Selbstmord treiben. Dazu: meine Theorie der Wiederkunft als furchtbarste Beschwerung.
Wenn wir nicht uns selber erhalten, geht Alles zu Ende. Uns selber durch eine Organisation.
Die Freunde des Lebens.
Nihilismus als kleines Vorspiel.
Unmöglichkeit der Philosophie.
Wie der Buddhismus unproduktiv und gut macht, so wird auch Europa unter seinem Einfluß: müde!
Die Guten, das ist die Ermüdung.
Die Versöhnung, das ist die Ermüdung.
Die Moral, das ist die Ermüdung.
Die guten Sitten (z. B. Ehe) das ist die Ermüdung.
Gegen die Idealisten.
2 [5]
Das, was kommt.
Das eigentliche Streben ins Nichts.
Kriege über das Princip von Besser-Nichtsein-als-Sein.
(A)
Erste Consequenz der Moral: das Leben ist zu verneinen.
Letzte Consequenz der Moral = die Moral selber ist zu verneinen.
(B)
Also: fällt die erste Consequenz dahin
Befreiung der Selbstsucht,
Befreiung des Bösen,
Befreiung des Individuums.
Die neuen Guten („ich will") und die alten Guten ("ich soll").
Befreiung der Kunst als Abweisung der unbedingten Erkenntniß. Lob der Lüge.
Rückgewinnung der Religion.
(C)
Durch alle diese Befreiung wächst der Reiz des Lebens. Seine innerste Verneinung, die moralische, ist beseitigt. – Damit Anfang vom Untergange. Die Nothwendigkeit der Barbarei, wohin z. B. auch die Religion gehört. Die Menschheit muß in Cyklen leben, einzige Dauerform. Nicht die Cultur möglichst lange, sondern möglichst kurz und hoch. – Wir im Mittage: Epoche.
(D) .
Was bestimmt die Höhe der Höhen, in der Geschichte der Cultur? Der Augenblick, wo der Reiz am größten ist. Gemessen daran, daß der mächtigste Gedanke ertragen, ja geliebt wird.
2 [6]
Das, was kommt.
Eine Prophetie.
E. Der freiwillige Tod.
2 [7]
Schlange, sprach Zarathustra, du bist das klügste Thier unter der Sonne du wirst wissen was ein Herz stärkt – mein kluges Herz ich weiß es nicht. Und du Adler, du bist das stolzeste Thier unter der Sonne, nimm das Herz und trage es dorthin, wohin es verlangen wird – das stolze Herz – ich weiß es nicht.
2 [8]
M<enschen> die nicht nöthig haben viel zu lügen, thun sich etwas darauf zu Gute, daß sie wenig lügen.
2 [9]
Und kündet mir doch ihr Thiere: Steht schon die Sonne im Mittag? Ringelt sich schon die Schlange welche Ewigkeit heißt? Blind wird Zarathustra.
Mir gereicht Jegliches immer zum Tode. Wer will mein Schicksal sein? Ich liebe jedes Schicksal. Selig wird Zarathustra!
Nichts weiß mehr Zarathustra, nichts erräth mehr Zarathustra.
2 [10]
Immer zurückgeben: nichts geschenkt annehmen, außer als Auszeichnung und Zeichen, daß wir die Liebenden anderer Personen an solchen erkennen und durch unsere Liebe ausgleichen.
2 [11]
Den Menschen die Moral nehmen weil sie davon so schlechten Gebrauch machen: und ihnen harte Gefühle auflegen – „du sollst" – soldatisch –
2 [12]
Bekenne dich zu etwas z. B. „ich will gerecht sein". Nur eine Sünde: Feigheit.
2 [13]
Armut an Liebe verkleidet sich gern als Entbehrung des Liebens-Würdigen.
2 [14]
Vermöge der Liebe sucht der Mann die unbedingte Sklavin, das Weib die unbedingte Sklaverei – Liebe ist das Verlangen nach einer vergangenen Cultur und Gesellschaft.
2 [15]
Gegen einen unabhängigen Menschen, welcher es verschmäht, Leithammel zu sein, nährt der moralische Mensch einen Verdacht, als ob er ein schweif<endes> Raubthier sei.
2 [16]
Das Eisen haßt den Magneten, wenn der M<agnet> das Eisen nicht ganz an sich ziehen kann.
2 [17]
Nicht was uns hindert, geliebt zu werden, sondern was uns hindert ganz zu lieben, hassen wir am meisten.
2 [18]
Wer aus sich kein Hehl macht, empört.
2 [19]
„Unglückseliger, dein Gott ist zerborsten und zerbrochen, und Schlangen hausen in ihm. Und nun liebst du selbst diese Schlangen noch um seinetwillen."
2 [20]
Von unseren Feinden wollen wir nicht geschont werden – und ebensowenig von denen, die wir von Grund aus lieben.
2 [21]
Nimm dich vor dem in Acht: er redet nur, um nachher hören zu dürfen: – und du hörst eigentlich nur, weil es nicht angeht, immerfort zu sprechen – d. h. du hörst schlecht und jener hört gut.
2 [22]
Die Hündin Sinnlichkeit, die einen Bissen Fleisch abhaben will, weiß gar artig um einen Bissen Geist zu betteln.
2 [23]
Sie giebt nie, sie vergilt nicht einmal – sie entgegnet nur.
2 [24]
Es giebt gebende Naturen, es giebt zurückgebende.
2 [25]
Die eigentlich gerechten Menschen sind unbeschenkbar – sie geben alles zurück.
2 [26]
Es ist in der Mittheilung einer Erkenntniß immer etwas Verrath.
2 [27]
In allem Schreiben ist Schamlosigkeit.
2 [28]
Wer Gott liebt, der züchtigt ihn.
2 [29]
Die Oberflächlichen müssen immer lügen, weil sie keinen Inhalt haben.
2 [30]
Erziehen: d. h. unter allen Umständen zum Lügen erziehen.
2 [31]
Der Wahrhaftige endet damit zu begreifen, daß er immer lügt.
2 [32]
Lüge ist nicht nur wider sein Wissen reden, sondern auch wider sein Nichtwissen reden.
2 [33]
Es ist vornehmer, sich Unrecht zu geben als Recht zu behalten.
2 [34]
Die Lüge ist die Menschenfreundlichkeit des Erkennenden.
2 [35]
Selbstmord
2 [36]
Gerechtigkeit nur gegen Dinge möglich.
2 [37]
Unsere Wirkungen als nothwendige Täuschungen.
2 [38]
Getheiltes Unrecht ist halbes Recht.
2 [39]
p. 200 Mensch<liches>, Allz<umenschliches>
P 77 Morgenröthe
167,8 Fr<öhliche> Wissenschaft
2 [40]
Furchtbare Consequenz, wenn man die Menschen nur um Gottes Willen liebt.
2 [41]
„Aber wie konntest du so handeln! sagte ein Freund zu einem sehr klugen M<enschen> – es war eine Dummheit." Es ist mir auch schwer genug geworden, entgegnete dieser.
2 [42]
Wer hinauf zur letzten Erkenntniß will, muß auch die Wahrhaftigkeit hinter sich lassen. Der Zaun der Erkenntniß ist durchaus nicht von der Moralität aus zu ersteigen.
2 [43]
„Das Leben um der Erkenntniß willen", das auf dem Kopfe stehen-wollen ist vielleicht etwas Tolles – aber wenn es ein Zeichen der Freude ist, so mag es hingehen, es sieht da nicht übel aus ein Ele<phant, welcher versucht auf seinem Kopfe zu stehen.>
2 [44]
Für einen guten Ruf zahlt man gewöhnlich zu viel: nämlich sich selber.
2 [45]
Die Gefahr des Weisen liegt darin, daß er sich in die Unvernunft verliebt.
2 [46]
Liebe zum Weibe! Wenn sie nicht das Mitleiden mit einem leidenden Gotte ist, so ist sie der Instinkt für das verborgene Thier im Weibe.
2 [47]
Der Prüfstein für eine Natur ist nicht die Art, wie sie liebt, sondern wenn sie sich geliebt weiß, tritt alle ihre Gemeinheit oder Höhe ans Licht.
2 [48]
Ich verwundere mich mehr über einen Tadel als über ein Lob; ich verachte das Lob mehr als den Tadel.
2 [49]
Die moral<ische> Entrüstung ist die perfideste Art der Rache.
2 [50]
Ich mag das Mitleid nur im Gesichte eines Siegreichen. Wenn diese Erbärmlichen, deren Anblick wehthut, gar noch mitleidige Gesichter machen, – – –
Mitleid mag etwas für Götter sein, aber einem Helden geziemt es fröhlich zu sein über der Trübsal um ihn herum.
[Dokument: Heft]
[Sommer - Herbst 1882]
3 [1]
Auf hoher See.
Ein Sentenzen-Buch
von
Friedrich Nietzsche.
„Dorthin will ich! Und ich traue
„Mir fortan und meinem Griff.
„Offen ist das Meer, ins Blaue
„Treibt mein Genueser Schiff.
„Alles wird mir neu und neuer,
„Weit hinaus glänzt Raum und Zeit –
„Heil dir, Schiff! Heil deinem Steuer!
„Um dich braust die Ewigkeit!" –
Schweigsame Reden
Ein Sentenzen-Buch.
„Jenseits von gut und böse."
Sentenzen-Buch.
„il sait goûter sa vie
en paresseux sensé qui pond sur ses plaisirs."
(Duc de Nevers.)
1. A: Was bedeutet die Gerechtigkeit? B: Meine Gerechtigkeit ist Liebe mit sehenden Augen. A: Aber bedenke, was du sagst: diese Gerechtigkeit spricht jeden frei, ausgenommen den Richtenden! Diese Liebe trägt nicht nur alle Strafe, sondern auch alle Schuld! B: So soll es sein!
2. Spät jung erhält lang jung. Man muß die Jugend nicht bei den Jungen suchen.
3. Wenn die Talente eines Menschen nachlassen, werden seine moralischen Eigenschaften sichtbarer; und nicht immer sind es Sterne, die bei dieser einbrechenden Nacht sichtbarer werden.
4. Wer das Hohe eines Menschen nicht zu sehen vermag, hat gerade deshalb ein Luchsauge für dessen Niedriges.
5. Es giebt auch eine Zudringlichkeit des Erkennenden: sie ist verurtheilt, von allen Dingen nur den Vordergrund zu sehen.
6. Wenn fünf Menschen zusammen reden, muß immer ein sechster sterben.
7. Gott erstickte an der Theologie; und die Moral an der Moralität.
8. Die, welche bisher den Menschen am meisten liebten, thaten dem Menschen immer am wehesten: sie forderten von ihm das Unmögliche, gleich allen Liebenden.
9. So sprach ein Heiliger: „ich liebe Gott – denn der Mensch ist eine zu unvollkommene Sache. Liebe zu einem Menschen würde mich zerstören."
10. Die Zeit ist da, in der der Teufel der Advokat Gottes sein muß: wenn anders er selber fortbestehen will.
11. „Du bist gegen Alles, was bisher Werth hatte, kalt geworden, du bist kälter als Eis – aber wer dich jetzt anrührt, sagt du seist glühend geworden: und zieht schnell seinen Finger zurück, im Glauben, du habest ihn verbrannt. Und es wird bald Menschen geben, welche dich aufsuchen, um sich an dir zu wärmen."
12. Es ist verrätherisch, wenn jemand nach Größe strebt. Die Menschen der besten Qualität streben nach Kleinheit.
13. Wer uns nicht fruchtbar macht, wird uns sicher gleichgültig. Wen wir aber fruchtbar machen, den lieben wir deshalb noch lange nicht.
14. Der Dritte ist immer der Kork, welcher verhindert, daß das Gespräch von Zweien in die Tiefe sinkt: was, unter Umständen, ein Vortheil ist.
15. Wirf deine Worte deinen Thaten voraus: verpflichte dich selber durch die Scham vor gebrochnen Worten.
16. Es ist Weiber-Art, seine Nächsten zu einer guten Meinung über sich zu verführen und dann an diese Meinung wie an eine Autorität zu glauben.
17. Im Verneinen, Zerstören, Hassen, Sich-Rächen ist das Weib barbarischer als der Mann.
18. Die Opfer, die wir bringen, beweisen nur, wie wenig werth uns jedes andre Ding wird, wenn wir Etwas lieben.
19. Was wir am liebsten thun, von dem möchten wir, daß es als, das gelte, was uns am schwersten werde.
20. Die Weiber haben im Hintergrunde alles ihres Ehrgeizes als Weiber immer noch die Verachtung für „das Weib".
21. Das, was wir an einem Menschen erkennen, das entzünden wir an ihm auch; und wer nur die niedrigen Eigenschaften eines Menschen erkennt, hat auch eine anreizende Kraft für dieselben und bringt sie zur Entladung. Die Affekte deiner Nächsten gegen dich sind die Kritik deiner Erkenntniß, nach Höhe und Niedrigkeit.
22. Seinem Affekte einen Namen geben ist schon ein Schritt über den Affekt hinaus. Die tiefste Liebe z. B. weiß sich nicht zu benennen und fragt sich wohl: „bin ich nicht Haß?"
23. Die männlichen und, die weiblichen Affekte sind im Tempo verschieden: deshalb hören Mann und Weib nie auf, sich mißzuverstehen.
Mit aller Kenntniß anderer Menschen kommt man nicht aus sich hinaus, sondern immer mehr in sich hinein.
24. Wir machen es auch im Wachen wie im Traum: immer erfinden und erdichten wir erst die Menschen, mit denen wir verkehren – und vergessen sofort, daß sie erfunden und erdichtet sind.
25. Man wird auch für seine Tugenden bestraft.
26. Das Bedürfniß des Gemüths ist nicht zu verwechseln mit dem Bedürfniß nach Gemüth, das einige kalte Personen haben.
27. Wer nicht nöthig hat, zu lügen, thut sich etwas darauf zu Gute, nicht zu lügen.
28. Die Weiber verstehen die Kinder besser, aber die Männer sind kindlicher als die Weiber.
29. Der Gläubige hat seinen natürlichen Widersacher nicht im Freigeiste, sondern im religiösen Menschen.
30. Am meisten werden die Schaffenden gehaßt: denn es sind die gründlichsten Vernichter.
31. Der Pharisäismus ist nicht eine Entartung an den guten Menschen, sondern eine Bedingung von, deren Gut-Sein.
32. Wir lieben das Leben, nicht weil wir leben, sondern weil wir an's Leben gewöhnt sind.
33. Man soll auch von Zeit zu Zeit seine Tugenden schlafen lassen.
34. Du glaubst an dein „Leben nach dem Tode"? So mußt du lernen, während deines Lebens todt zu sein.
35. Unsere Mängel sind unsere besten Lehrer: aber gegen die besten Lehrer ist man immer undankbar.
36. „Reden wir nicht davon!" – „Freund, hiervon dürfen wir nicht einmal schweigen."
37. Was weiß der von Liebe, der nicht gerade das verachten mußte, was er liebte!
38. Von sich absehen ist nöthig, um gut zu sehen.
39. „Die Menschen sind nicht gleich!" – So spricht – die Gerechtigkeit.
Man glaubt an vieles nur deshalb nicht, weil man nicht an die Erklärung glaubt, die im Schwange ist.
40. Wer die Leidenschaft zur Gerechtigkeit hat, empfindet auch seinen schmerzhaftesten Affekt noch als eine Erleichterung.
41 . Schwere, schwermüthige Menschen werden gerade durch das was Andere schwer macht wie Haß und Liebe leichter und kommen an ihre Oberfläche herauf.
42. Seifenblasen und Schmetterlinge und was ihrer Art unter Menschen ist scheinen mir am meisten vom Glücke zu wissen, diese, leichten, thörichten, beweglichen zierlichen Seelchen flattern zu sehen – das rührt mich zu Thränen und Versen.
43. „Hast du deinen Teufel gesehen?" – „Ja, schwer ernst tief gründlich pathetisch: so stand er da, recht als genius gravitationis, durch den alle Wesen und Dinge – fallen."
44. Wer mit dem ganzen Geschlechte Mitleid hätte, müßte von jedem Einzelnen als hart und tyrannisch empfunden werden.
45. Eine Sache, die sich aufklärt, hört auf, uns zu interessiren. Nimm dich also in Acht, daß du dir nicht selber zu aufgeklärt wirst!
46. Man muß verstehen Schwamm zu sein, wenn man von einem vollen übervollen Menschen geliebt sein will.
Hier steckt die häufigste Art der Unredlichkeit der Erkennenden: sie leugnen die Facta.
47. Wer, das Ideal eines Menschen geschaut hat, empfindet den wirklichen Menschen als dessen Carikatur.
48. Der Eine sucht einen Geburtshelfer für seine Gedanken, der Andre einen, dem er helfen kann: so entsteht ein gutes Gespräch. Wehe aber, wenn zwei Geburtshelfer zusammen stoßen! Sie haben nicht umsonst ihre Zangen!
49. Wer den Weg zu seinem Ideale nicht zu finden vermag, lebt leichtsinniger und frecher als der, welcher gar kein Ideal hat.
50. Der Teufel hat die besten Perspektiven für Gott: deshalb hält er sich von ihm so ferne – er ist nämlich ein Freund der Erkenntniß.
51. „Soll das Band nicht reissen,
Mußt du mal drauf beißen."
Die Ehe, die verlogenste und heuchlerischeste Art des Geschlechter-Verkehrs, mag für solche recht sein, welche weder der Liebe noch der Freundschaft fähig sind und sich und Andere gerne über diesen Mangel täuschen möchten: dazu haben ja Staat und Religion die Ehe heilig gesprochen, und welche, weil sie in Beidem keine Erfahrung haben, auch durch die Ehe nicht enttäuscht werden können.
52. Die Gefahr des Weisen liegt darin, daß er gerade am meisten verführt ist, sich in das Unvernünftige zu verlieben.
53. Liebe zum Weibe! Wenn sie nicht Mitleiden mit einem leidenden Gotte ist, so ist sie der Instinkt, welcher nach dem im Weibe verborgenen Thiere sucht.
54. Die moralische Entrüstung ist die perfideste Art der Rache.
55. Fröhlich inmitten aller gemeinen Trübsal sein ist Sache des Helden: und nicht aus Mitleiden, sondern aus Reichthum giebt er ab und „opfert sich", – wie man es nennt.
56. Eigennutz und Leidenschaft sind mit einander verheiratet: diese Ehe nennt man Selbstsucht: diese unglückliche Ehe!
57. Wie? du willst nicht nach deinen Wirkungen, sondern nach deinen Absichten gemessen werden? Aber deine Absichten selber stammen aus deinen Wirkungen.
58. Alles, was lange bedacht wird, wird bedenklich.
59. Fürchterliche Erlebnisse geben zu rathen, Ob der, welcher sie erlebt, nicht etwas Fürchterliches ist: vielleicht ohne daß er es weiß.
60. Die Ehe ist die verlogenste Form des Geschlechter-Verkehrs; und eben deshalb hat sie das gute Gewissen auf ihrer Seite.
61. Für seinen guten Ruf opfert man gewöhnlich zu viel: nämlich sich selber.
Wer ein Führer der Menschen werden will, muß ihnen eine gute Zeit als ihr gefährlichster Feind gelten wollen.
62. Die Menschen laufen jedem nach, der ihnen einzureden weiß, sie hätten ihren Weg verloren: es schmeichelt sie so, zu hören, daß sie überhaupt einen Weg haben.
63. Die großen Gedanken, die „aus dem Herzen", die kleinen die aus dem Unterleibe kommen: schlecht gedacht sind sie Beide.
64. „Große Gedanken"? Mein Freund, das sind Gedanken, die dich aufblasen und groß machen: der Blasebalg ist nichts Großes!
Nicht, wie Jemand liebt verräth das Gemeine oder Hohe seiner innersten Natur – die Liebe ist nämlich in allen Stücken vielmehr Lügnerin als Verrätherin! Aber man gebe Acht, wie Einer sich benimmt, wenn er geliebt wird! – Und für Manche, die Grund hatten unerkannt zu bleiben, war es die Feinheit ihres Schicksals, daß sie nie geliebt wurden.
65. Das Leben um der Erkenntniß willen ist vielleicht etwas Tolles: aber doch ein Zeichen von Frohmüthigkeit. Der Mensch dieses Willens ist so lustig anzusehen wie ein Elephant, welcher versucht auf seinem Kopfe zu stehen.
66. „Aber wie konntest du so handeln! – sagte ein Freund zu einem sehr klugen Menschen – es war eine Dummheit!" – Es ist mir auch schwer genug geworden, entgegnete dieser.
67. Jesus von Nazareth liebte die Bösen, aber nicht die Guten: der Anblick von deren moralischer Entrüstung brachte selbst ihn zum Fluchen. Überall wo gerichtet wurde, nahm er Partei gegen die Richtenden: er wollte der Vernichter der Moral sein.
68. Jesus sagte zu den Menschen: „liebt Gott, wie ich ihn liebe, als sein Sohn: was geht uns Söhne Gottes die Moral an!"
69. Ihr meint, ihr suchtet „die Wahrheit"! Ihr sucht einen Führer und wollt euch gerne commandiren lassen!
70. Warum so abseits? – „Ich fand Keinen, dem ich noch gehorchen könnte und Niemanden, dem ich befehlen möchte ."
71. Ein Hirt hat immer auch noch einen Leithammel nöthig.
72. Die Liebe bringt die hohen und seltenen Eigenschaften eines Menschen ans Licht; insofern täuscht sie über ihn (ihn selber am meisten). Aber, wer nicht getäuscht sein will, habe Acht, was geschieht, wenn ein Mensch sich geliebt weiß, aber nicht liebt: da verräth eine Seele selbst ihren Bodensatz.
73. Über seine Wahrhaftigkeit kam noch Niemand ganz zur Erkenntniß.
74. Man hat den Blitz unschädlich gemacht. aber das genügt nicht, er soll lernen, für uns zu arbeiten. – So denke ich über alles „Böse", in dir und in mir.
75. Der christliche Gott, der Gott der Liebe und Grausamkeit, ist eine sehr klug und ohne moralische Vorurtheile ausgedachte Person: recht ein Gott für Europäer, welche sich die Erde unterthan machen wollen.
76. Was eine Zeit als böse empfindet, worin sie den Widerspruch mit ihrem Ideale erkennt, das ist in Wahrheit ein Nachschlag dessen, was ehemals als gut galt und gleichsam der Atavismus eines alten Ideals. Erbsünde – das ist unter allen Umständen = Erbtugend.
77. Aus dem Auge aller Richtenden blickt der Henker.
78. Wenn man sich über gut und böse erhoben hat, sieht man auch in der Tragödie nur eine unfreiwillige Komödie.
79. Philosophische Systeme sind die bescheidenste Form, in der Jemand von sich selber reden kann – eine undeutliche und stammelnde Form von Memoiren.
80. Die tragischen Naturen zu Grunde gehen sehen und noch lachen können, über das tiefste Verstehen, Fühlen und Mitleiden mit ihnen hinweg – ist göttlich.
81. „Es ist kein Zweifel, von den Gläubigen dieser Sache wird viel gelogen und betrogen: folglich ist Alles an dieser Sache Betrügerei und Lüge" – so schließen die Oberflächlichen. Wer den Menschen tiefer kennt, wird umgekehrt schließen: „folglich ist an dieser Sache etwas Wahres: ihre Gläubigen verrathen so, wie sicher sie sich fühlen, und wie ihnen jeder Köder gut dünkt, wofern er nur jemanden zu ihrer Sache lockt."
82. Die Unschuld der Lüge ist das Zeichen des guten Glaubens an eine Sache.
83. Man muß einen Menschen schlafend gesehen haben: sonst weiß man nicht, wie er aussieht. Das Gesicht deines Freundes, das du zu kennen glaubst, ist dein Gesicht, auf einem unvollkommenen und rauhen Spiegel.
84. Was macht es, ob ihr einem Gotte oder Teufel schmeichelt, ob ihr vor einem Gotte oder Teufel winselt? Ihr seid nur Schmeichler und Winsler!
85. Wer von Grund aus feige ist, ist gewöhnlich klug genug, sich die sogenannte Liebenswürdigkeit anzueignen.
86. Die Folgen unsrer Handlungen fassen uns am Schopfe, sehr gleichgültig dagegen, daß wir uns inzwischen „gebessert" haben.
87. Befehlerische Menschen werden auch ihrem Gotte befehlen, so sehr sie ihm zu dienen glauben.
88. Es wäre eine hochmoralische Verlogenheit denkbar, in der der Mensch seinen Geschlechtstrieb sich nur als die Pflicht, Kinder zu zeugen, zum Bewußtsein bringt.
89. Er nennt es Treue gegen seine Partei: aber es ist nur seine Bequemlichkeit welche ihn nicht mehr aus diesem Bette aufstehen läßt.
90. Wenn uns eine Tugend endlich gewohnt wird, sollte man auch den guten Geschmack haben, sie nun nicht mehr Tugend, sondern „Geschmack" zu nennen.
91. Es giebt Kameradschaft: möge es auch Freundschaft geben!
92. Wenn die Mitleidigen die Scham vor sich verlieren und uns sagen, Mitleid sei die Tugend selber: so hat man mit ihnen Mitleid.
93. Ein edler Mensch steht den Guten immer im Wege: sie beseitigen ihn oft gerade dadurch, daß sie sagen, er sei gut.
94. Um den Helden herum wird alles Tragödie; um den Halbgott herum – Alles Satyrspiel.
95. Grausamkeit ist eine versetzte und geistiger gewordene Sinnlichkeit.
96. Verbrecher werden von den moralischen Menschen als Zubehör Einer einzigen That behandelt – und sie selber behandeln sich so, je mehr diese Eine That die Ausnahme ihres Wesens war: sie wirkt wie der Kreidestrich um die Henne. – Es giebt in der moralischen Welt sehr viel Hypnotismus.
97. Hohe „Empfindungen", „erhabene Gesinnung" nennt ihr es: ich sehe nicht mehr als Lüsternheit nach Höhe und die Krämpfe eines moralischen Ehrgeizes.
98. Dein Schritt verräth, daß du noch nicht auf deiner Bahn schreitest, man müßte dir ansehen, daß du Lust zu tanzen hättest. Der Tanz ist der Beweis der Wahrheit.
99. „Ernst", „streng", „moralisch" – so nennt ihr ihn. Mir scheint er böse und ungerecht gegen sich selber, immer bereit, uns dafür zu strafen und an uns den Henker zu spielen – und verdrossen darüber, daß wir es ihm nicht erlauben.
100. „Hohe Empfindungen"! – In der Höhe fühlt man sich nicht hoch, sondern tief und endlich einmal auf festem Grunde: sofern man wirklich die Unschuld der Höhe hat.
101. Durch, den, guten Willen zu helfen, mit zu leiden, sich zu unterwerfen, persönliche Ansprüche aufzugeben, werden auch die unbedeutenden und oberflächlichen Menschen vielleicht für das Auge etwas Erträgliches: man soll ihnen ja nicht ausreden, dieser Wille sei „die Tugend selber".
102. Moral ist jetzt die Ausrede für die überflüssigen und Zufälligen, für das geistes- und kraftarme Gewürm, was nicht leben sollte – Moral ist insofern Barmherzigkeit: denn sie sagt zu Jedem „du bist doch etwas sehr Wichtiges": was freilich eine Lüge ist.
103. Daß „ein thörichtes Weib mit Güte des Herzens hoch über dem Genie steht", das klingt sehr artig – im Munde des Genie's. Es ist seine Höflichkeit – es ist auch seine Klugheit.
104. Die Eitelkeit Anderer geht uns dann wider unseren Geschmack, wenn sie wider unsere Eitelkeit geht.
105. Man liebt immer nur seine Begierde und nicht das Begehrte.
106. Die natürlichen Folgen einer Handlung werden wenig erwogen, so lange öffentliche Strafen und Beschimpfungen unter diesen Folgen sind. Hier fließt die große Quelle aller Oberflächlichkeit.
107. Die Frauen gehen mit ihrer Liebe auf den los, der ihnen Furcht einflößt: das ist ihre Art von Tapferkeit.
108. „Einer ist doch noch zuviel um mich" – denkt der Einsame. Einmal eins ist zwei.
109. Wir lieben den Nutzen nur als das Fuhrwerk unserer Neigungen: und finden eigentlich den Lärm seiner Räder unausstehlich.
110. „ Sich ganz so geben, wie man ist": das mag die Auszeichnung bleiben, die wir unserem Freunde vorbehalten – mit dem Erfolge, daß er uns deswegen zum Teufel wünscht.
111. Man ist oft zwar seiner Handlung gewachsen, aber nicht seinem Bilde der gethanen Handlung.
112. Die schönsten Farben, in denen die Tugenden leuchten, sind die Erfindung derer, welche ihrer ermangelten. Woher stammt z. B. der sammtene Glanz der Güte und des Mitleides? – Gewiß nicht von den Guten und Mitleidigen.
113 . Es kommt in der Welt-Geschichte nur auf die großen Verbrecher an, eingerechnet jene Vielen, welche eines großen Verbrechens fähig waren, aber durch Zufall es nicht thaten.
114. „Religiöser Mensch", „Narr", „Genie", „Verbrecher", „Tyrann" – das sind schlechte Namen und Einzelheiten an Stelle eines Unnennbaren.
115. Das schlechte Gewissen ist die Steuer, welche die Erfindung des guten Gewissens den Menschen auflegt.
116. Du willst gerecht sein? Unglückseliger, wie willst du Jedem das Seine geben? Nein, das will ich nicht. Ich gebe Jedem das Meine das ist genug für einen, der nicht der Reichste ist.
117. Die Einsamkeit macht uns härter gegen uns und sehnsüchtiger gegen die Menschen: in Beidem verbessert sie den Charakter.
118. Man ist am strengsten gegen seinen Gott: er darf nicht sündigen!
Gott erdachte die Teleologie der Schwangerschaft: da erdachte er das Weib.
119. „Ich glaube an nichts mehr". – Dies ist die richtige Denkweise eines schöpferischen Menschen.
120. La Rochefoucauld blieb auf halbem Wege stehen: er leugnete die „guten" Eigenschaften des Menschen – er hätte auch die „bösen" leugnen sollen.
Wenn der moralische Skeptiker beim Mißtrauen gegen die Moral angelangt ist, so bleibt ihm noch ein Schritt zu thun – die Skepsis gegen sein Mißtrauen. Leugnen und Vertrauen – das giebt einander die Hände.
121. Der Glaube in der Form, der Unglaube im Inhalt – das macht den Reiz der Sentenz aus – also eine moralische Paradoxie.
122. Wir verzeihen unseren Gegnern von Grund aus ihre – Fehlgriffe.
123. Wie? Du willst dich selber erkennen? Lerne vielmehr dein Glück erkennen!
124. Wünsche will ich, nichts als Wünsche: und immer an Stelle der Erfüllung einen neuen Wunsch.
125. Der kostspieligste Luxus, dem sich bisher die Menschheit hingab, ist der Glaube an etwas Unwirkliches, an die Selbstlosigkeit. Denn er entwerthete das Wirklichste, die Selbstsucht. – Seitdem ist alles Glück Sehnsucht.
126. Der tiefe Haß ist auch ein Idealist: ob wir aus unserem Gegner dabei einen Gott oder einen Teufel bilden, jedenfalls thun wir ihm damit zu viel Ehre an.
127. Auch im Hasse giebt es Eifersucht: wir wollen unseren Feind für uns allein haben.
128. Die Lösung für das Räthsel „Weib" ist nicht die Liebe, sondern die Schwangerschaft.
129. Unser Glaube an Andere verräth, worin wir gern an uns selber glauben möchten.
130. „Das Herz gehört zu den Eingeweiden" – sagte Napoleon. Die Eingeweide des Kopfes liegen im Herzen.
131. Jede heftige Erwartung überlebt ihre Erfüllung, wenn sie eher eintritt, als man erwartete. Dieser Freund kam zwei Tage zu früh: seine Anwesenheit ist mir unglaubwürdig.
132. Der Reiz der Erkenntniß wäre gering, wenn nicht auf dem Wege zu ihr so viel Scham zu überwinden wäre.
133. „Die Erkenntniß um ihrer selber willen" – das ist der letzte Fallstrick, den die Moral legt: damit verwickelt man sich noch einmal vollständig mit ihr.
„Alle Frauen sind entweder Vögel oder Katzen oder Kühe" – man sehe ihren Blick darauf an.
Was ist das beste Leben? Zu Tode gekitzelt werden.
134. Wo der Baum der Erkenntniß steht, ist immer noch das Paradies.
135. „Die Moral selber war der erste Sündenfall: die Moral selber ist die Erbsünde" – so denkt jeder Erkennende.
136. Er hat gelernt, sich auszudrücken – aber man glaubt ihm seitdem nicht mehr. Man glaubt nur den Stammelnden.
137. Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde.
138. Gewissensbisse erziehn zum Beißen.
139. Den kalten Menschen glaubt man ihre Torheiten nicht.
Pfui über das gebildete Gesindel, welches sich zu sagen schämt: „Hier fühle ich nichts!" „Hier weiß ich nichts."
Der Erkennende lebt unter Menschen nicht wie unter Thieren, sondern als unter Thieren.
140. Die Neigung zum Tragischen nimmt mit der Sinnlichkeit ab oder zu: sie gehört jedem Jüngling und jungen Manne.
141. Im Lobe ist viel mehr Zudringlichkeit als im Tadel.
142. Viel guter Wille zum Leben – aber zu wenig Wille zum Leiden – das macht den Behaglichen.
143. Der Einwand, das Mißtrauen, der Seitensprung sind Anzeichen der Gesundheit: alles unbedingte Streben gehört in die Pathologie.
144. Wer die Unfreiheit des Willens fühlt, ist geisteskrank: wer sie leugnet, ist dumm.
145. Was aus Liebe gethan wird, das ist nicht moralisch, sondern religiös.
146. Ein Talent haben ist nicht genug: man muß auch die Erlaubniß haben, es zu haben.
147. Man nehme sich vor den Menschen der moralischen Entrüstung in Acht: sie haben den Stachel der feigen, vor sich selber maskirten Bösartigkeit.
148. Der christliche Gott, der „die Liebe" ist, entstand in Zeiten, wo die Liebe noch zu wenig göttlich war.
149. Gute und böse Menschen – das ist mir gleich: aber die Feiglinge und die Liebenswürdigen verachte ich.
Die Stärke eines Guten liegt nicht in seiner Güte, sondern darin, daß sein Böses stark ist.
150. Wer von Grund aus Lehrer ist, nimmt alle Dinge nur in Bezug auf seine Schüler ernst – sogar sich selber.
151. „Sei wenigstens mein Feind": so spricht die wahre Ehrfurcht, die nicht um Freundschaft zu bitten wagt.
Wenn du nicht zuerst und unter allen Umständen Furcht einflößest, so wird dich Niemand so ernst nehmen, um dich endlich zu lieben.
152. Für den Erkennenden hört alles Eigenthums-Recht auf.
Wenn die Guten moralisiren, erregen sie Ekel: wenn die Bösen moralisiren, so erregen sie Furcht.
153. Nach dem Rausch des Sieges entsteht immer ein Gefühl des großen Verlustes: unser Feind, unser Feind ist todt! Wir beklagen selbst den Verlust eines Freundes nicht so tief und daher lauter!
154. Der Mensch der Erkenntniß muß nicht nur seine Feinde lieben, sondern auch seine Freunde hassen können.
155. Es ist ein Fehler des Geschmacks, wenn der Mensch der Erkenntniß sich noch als „moralischer Mensch" aufputzt: ihm soll man gerade ansehen, daß er die Moral „nicht nöthig hat".
156. Alles ist bei ihm ernte-reif: aber ihm fehlt die Sichel – und so rauft er Ähren und ist ärgerlich.
157. Der Eine reist, weil er sich sucht, und der Andere, weil er sich verlieren möchte .
158. Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tödtet man.
159. Der Irrsinn ist selten bei Einzelnen – aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel: – und deshalb redeten bisher die Historiker nicht vom Irrsinn. Aber irgend wann werden die Ärzte Geschichte schreiben.
160. Wenn wir lieben, schaffen wir Menschen nach dem Ebenbilde unseres Gottes: und dann erst hassen wir unseren Teufel von Grund aus.
161. Es ist nicht leicht möglich, ein Buch zu finden, das uns so viel lehrte wie das Buch, welches wir machen.
162. Wer „den Leser" kennt, schreibt gewiß nicht mehr für Leser – sondern für sich, den Schreiber.
163. Im Gebirge ist der nächste Weg von Gipfel zu Gipfel: aber du mußt dazu lange Beine haben! – Sentenzen sind Gipfel.
164. Es genügt nicht etwas wieder gut zu machen, man muß auch sich selber wieder gut machen, sich selber wieder gut werden, zum Beispiel durch eine kleine überflüssige Bosheit oder Wohlthat.
165. Jedem das Seine geben: das wäre die Gerechtigkeit wollen und das Chaos erreichen.
166. Hier diese Beiden haben im Grunde denselben schlechten Geschmack: aber der Eine von ihnen möchte sich und uns überreden, das es der beste sei. Und der Andere schämt sich seines Geschmacks und möchte sich und uns überreden, daß er einen anderen und besseren habe – unseren Geschmack. Von einer dieser zwei Arten sind alle Bildungs-Philister.
Wo nur immer man freiwillig Leiden auf sich nimmt, hat man damit auch den freien Willen, sich wohlzuthun: und wer dies leugnet – – –
167. Wehe, wenn die Guten, die ewigen Pharisäer, Geschichte treiben! Sie überpinseln die großen Menschen der Vergangenheit so lange, bis sie dick und brav wie gute Menschen aussehen.
Die Moral brüstet sich die Bekämpferin des Übels zu sein – – –
168. Noch ein Jahrhundert Zeitungen – und alle Worte stinken.
169. Nicht wenn die Wahrheit schmutzig ist, sondern wenn sie seicht ist, steigt der Erkennende ungern ins Wasser.
170. An die Sceptiker. Wer zu müde wird, legt sich zuletzt auch auf Schnee schlafen hüte dich zu weit zu gehen.
171 – Wer (auf ) hohe Berge steigt, lacht über alle tragischen Gebärden.
172. Die Luft dünn, und rein, die Gefahr nahe – und der Geist voll einer fröhlichen Bosheit: so paßt es gut zu einander.
173. Der Muth vernichtet Gespenster, aber schafft Kobolde.
174. Der Gedanke an den Selbstmord ist ein sehr starkes Trostmittel. Man kommt damit gut über die „böse Nacht" hinweg.
175. Es giebt Gefühle, die uns tödten wollen; gelingt es ihnen aber nicht, so müssen sie selber sterben.
176. Unserem stärksten Triebe, dem Tyrannen in uns, unterwirft sich nicht nur unsere Vernunft, sondern auch unser Gewissen. Haben wir aber unter den Trieben keinen solchen Tyrannen, so bewerben sich die einzelnen Triebe ebenso um die Gunst der Vernunft als um die Gunst des Gewissens –: und Vernunft und Gewissen werden fast souverän.
177. Unsere Selbstmörder machen den Selbstmord verrufen, – nicht umgekehrt!
178. Es ist vornehmer, sich Unrecht zu geben als Recht zu behalten – namentlich wenn man Recht hat.
179. Die Lüge kann die Menschenfreundlichkeit des Erkennenden sein.
180. Der Wahrhaftige endet damit, zu begreifen, daß er immer lügt.
181. Bei vielen Frauen ist wie bei Hypnotischen der Intellekt nur plötzlich und stoßweise da und in unerwarteter Kraft: der Geist kommt dann „über sie" und scheinbar nicht aus ihnen. Daher ihre dreiäugige Klugheit in verflochtenen Dingen –, daher auch ihr Glaube an Inspiration.
182. Es giebt Vieles an den Bösen, das mich ekelt, aber auch Vieles an den Guten: und wahrlich nicht eben ihr „Böses"!
183. „Es ist nicht genug den Verbrecher zu strafen, wir sollten ihn auch noch mit uns versöhnen und ihn segnen: oder liebten wir ihn nicht, als wir ihm wehe thaten? Litten <wir nicht> daran, ihn als Werkzeug zur Abschreckung benutzen zu müssen?"
184. Ob nicht überall wo eine Freundschaft durchaus nicht in Liebe übergehen will, ein Natur-Gegensatz wie zwischen Hund und Katze zu Grunde liegt?
185. Man muß vergelten, Gutes und Schlimmes: aber warum gerade an der Person, die uns Gutes oder Schlimmes that?
186. Die Strafe sollte so beschaffen sein, daß man sie nach einer Übertretung als sein Recht und seine Ehre in Anspruch nimmt.
187. Nicht nur der lügt, welcher wider sein Wissen redet, sondern erst recht der, welcher wider sein Nicht-Wissen redet. – Die zweite Art der Lüge ist so gewöhnlich, daß man nicht einmal mehr über sie stolpert: der menschliche Verkehr ist auf sie eingerichtet.
188. Erziehen: das heißt für gewöhnlich „zum Lügen erziehen".
189. Wer Gott liebt, der züchtigt ihn.
190. Die eigentlich gerechten Menschen sind unbeschenkbar: sie geben Alles zurück. Weshalb sie den Liebenden ein Greuel sind.
191. Man liebt seine Erkenntniß nicht genug mehr, sobald man sie mittheilt.
192. Die Hündin Sinnlichkeit, die ein Stück Fleisch abhaben will, weiß gar artig um ein Stück Geist zu betteln.
193. Die Dichter sind gegen ihre Erlebnisse schamlos; sie beuten sie aus.
194. Ob du dich oder mich verräthst, du gehörst zu den Verräthern. An die Schriftsteller.
195. Nimm dich vor dem in Acht: er redet nur, um nachher hören zu dürfen, – und du hörst eigentlich nur, weil es nicht angeht, immerfort zu reden: d. h. du hörst schlecht, und er hört nur zu gut.
196. Von unsren eigentlichen Feinden wollen wir nicht geschont werden: und ebensowenig von denen, die wir von Grund aus lieben.
197. Unglückseliger, dein Gott ist zerborsten und zerbrochen, und die Schlangen hausen in ihm – und nun liebst du gar noch diese Schlangen um seinetwillen!
198. Wer aus sich kein Hehl macht, empört.
199. Das Eisen haßt den Magneten, wenn der Magnet das Eisen nicht ganz an sich ziehen kann – und, doch zieht.
200. Nicht was uns hindert geliebt zu werden, sondern was uns hindert ganz zu lieben, hassen wir am meisten.
Man haßt an seinem Nächsten, daß er nicht unser Ideal haben kann.
201. Wenn wir unser selber satt werden und <uns> nicht mehr lieben mögen, so ist zur Kur die Nächstenliebe anzurathen: insofern die Nächsten sehr bald uns nöthigen werden, an unsere „Liebenswürdigkeit" zu glauben.
202. „Unser Nächster ist nicht unser Nachbar": so denken alle Politiker und Völker.
203. Du würdest an dieser Tugend zu Grunde gehen, mein Freund: aber der Himmel schenkte dir eine zweite, die dich bisweilen der ersten untreu macht.
204. Mit der Liebe zu einer Person will man den Neid gegen sie überspringen.
205. Wir stellen uns alle einfältiger als wir sind – und zwar auch vor uns selber.
206. Große Verbindlichkeiten machen uns nicht dankbar, sondern rachsüchtig.
207. Man lädt sich gerne einen Zeugen ein, wenn man von sich selber reden will: das nennt man „Umgang mit Menschen".
208. Wir gewöhnen uns das Böse verächtlich zu finden, wenn wir nur in der Gesellschaft schwacher und kleinlicher Personen leben: an großen Menschen hat das Böse etwas Begeisterndes.
209. Armut an Liebe verkleidet sich gern als Entbehrung des Liebens-Würdigen.
210. Vermöge der Liebe sucht der Mann die unbedingte Sklavin, das Weib die unbedingte Sklaverei. Liebe ist das Verlangen nach einer vergangenen Cultur und Gesellschaft – sie weist nach dem Orient zurück.
211. Das Unrecht soll der auf sich nehmen, der es tragen kann: so will es die Menschlichkeit.
212. Getheiltes Unrecht ist halbes Recht.
Die giftigsten Pfeile werden dem nachgesandt, der von einem Freunde sich losmacht, ohne ihn selbst nur zu beleidigen.
213. Nach einem Zwiespalt. – „Man mag mir sagen, was man will, um mir wehe zu thun: man kennt mich zu wenig, um zu wissen, was mir am meisten wehe thut."
214. Die Liebe zu Einem ist eine Barbarei, ausgeübt auf Unkosten aller Übrigen und ein Schaden der Erkenntniß. Sondern Viele sollst du lieben: – da zwingt dich die Liebe zur Gerechtigkeit gegen Jeden: und folglich zur Erkenntniß eines Jeden. Die Liebe zu Vielen ist der Weg zur Erkenntniß.
215. Die Grausamkeit des Gefühllosen ist der Gegensatz des Mitleidens; die Grausamkeit des Gefühlvollen ist die höhere Potenz des Mitleidens.
216. Was wir ohne Gründe glauben gelernt haben, ist am schwersten durch Gründe zu erschüttern.
217. Wer von Natur keusch ist, denkt nicht hoch von der Keuschheit, einige Eitelkeits-Narren abgerechnet. Ihre Vergötterer sind die, welche Gründe haben zu wünschen, sie möchten keusch sein oder gewesen sein – die Schweine der Circe.
218. Wem die Keuschheit sehr schwer fällt, dem ist sie gewiß auch zu widerrathen.
219. Herzensbedürfnisse. – Die Thiere, welche eine Brunstzeit haben, verwechseln nicht so leicht ihr Herz und ihre Begierde: wie es die Menschen und namentlich die Weibchen thun.
220. Das Weib will es vor sich selber nicht Wort haben, wie sehr sie in einem Geliebten „den Mann" (einen Mann) liebt: deshalb vergöttlicht sie „den Menschen" in ihm – vor sich und Andern.
Das „Ich" unterjocht raubt tödtet und thut jede Gewaltthat: mit alledem will es nichts als seiner Schwangerschaft dienen: damit es einen Gott gebäre und alle Menschheit ihm zu Füßen sehe.
221. An diesem Menschen ist nicht sein Äußeres, sondern sein Inneres hinzugelogen: er will durchaus nicht Schein und Oberfläche scheinen, was er doch ist.
222. Der heroische Mensch der Erkenntniß vergöttert seinen Teufel: und auf dem Wege dazu macht er den Zustand des Ketzers der Hexe des Wahrsagers, des Skeptikers, des Weisen Inspirirten und überwältigten durch, und ertrinkt zuletzt in seinem eignen Meere.
223. Wenn man erst den Willen zum Leiden hat, so ist es nur ein Schritt, um auch den Willen zur Grausamkeit zu haben – und zwar sowohl als Recht wie als Pflicht.
224. Es dauert lange, bis man zum zweiten Male stirbt: das gilt von jedem, der nach seinem Tode wieder zum Leben kam.
225. Auch wenn ein Volk rückwärts geht, läuft es einem Ideale nach: es glaubt immer an ein Vorwärts.
226. Die Neigung, sich herab zu setzen, sich bestehlen belügen und ausbeuten zu lassen, kurz die Demuth kann die Scham eines Gottes unter Menschen sein.
227. Wer als Gott das Gute neu schafft, den haben die Bewahrer des alten Guten immer für einen Teufel ausgegeben.
228. Nur der Lasterhafte ist unglücklich, bei dem das Bedürfniß zum Laster zusammen mit dem Ekel vor dem Laster wächst – und niemals von ihm überwachsen wird.
229. Man hat schlecht dem Leben zugeschaut, wenn man noch nicht die Hand gesehen hat, die auf eine schonende Weise – tödten wollte.
Nicht was du im Leben alles gethan hast, sondern was du jedesmal über das Gethane gedacht hast, bestimmt deine jetzige Zufriedenheit und Unzufriedenheit mit dir selber.
230. Eine kleine Rache ist zumeist etwas Menschlicheres als gar keine Rache.
231. Wer sich selber verachtet, ehrt sich doch immer noch mit dem Gedanken, daß er sich jetzt wenigstens nicht belügt.
232. Freund, alles, was du liebtest, hat dich enttäuscht: die Enttäuschung wurde endlich deine Gewohnheit: und deine letzte Liebe, die du „Liebe zur Wahrheit" nennst, ist vielleicht eben die Liebe zur Enttäuschung.
Das Unvermögen zu lügen ist durchaus noch nicht Liebe zur Wahrheit. Vielmehr ist in jeder Liebe das Vermögen zu lügen – auch in der Liebe zur Wahrheit.
233. Er schüttelt sich, blickt um sich, streicht mit der Hand über den Kopf – und man nennt ihn immer einen Erkennenden. Aber Freiheit vom Fieber ist noch nicht Erkenntniß.
234. „Wo ist ein Meer, in dem man wirklich noch ertrinken kann? nämlich ein Mensch!" – dieser Schrei klingt durch unsere Zeit.
Der Besitz der Wahrheit ist nicht schrecklich sondern langweilig wie jeder Besitz.
235. In der Bosheit begegnet sich der Übermüthige mit dem Schwächling: aber sie mißverstehen sich.
236. Wem ein Widerwille gegen das Erhabene zu eigen ist, findet nicht nur das ja, sondern auch das Nein schon zu pathetisch: – er gehört nicht zu den verneinenden Geistern, und wenn er auf deren Wege geräth, so macht er plötzlich einmal Halt und läuft fort – in die Büsche der Skepsis.
237. Im Kampfe giebt man wohl sein Leben dran; aber der Siegende ist versucht, sein Leben wegzuwerfen. In jedem Sieg ist Verachtung des Lebens.
238. „Ich fliehe nicht die Nähe der Menschen: gerade die Ferne, die ewige Ferne zwischen Mensch und Mensch treibt mich in die Einsamkeit."
Unbezwingliches Bedürfniß nach etwas und zugleich Ekel davor – das macht das Gefühl des Lasterhaften.
239. Auch die Wahrheit verlangt, gleich allen Weibern, daß ihr Liebhaber um ihretwillen zum Lügner werde, – aber nicht ihre Eitelkeit verlangt dies, sondern ihre Grausamkeit.
240. „Das habe ich gethan" sagt mein Gedächtniß; „das kann ich nicht gethan haben" sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich giebt das Gedächtniß nach –
241. Kalt auf die Dinge sehen, so, daß sie nackt und ohne Flaum und Farbe daliegen, – das nennt sich „Liebe zur Wahrheit", und ist nur die Ohnmacht zu lügen.
242. Die Fieberkranken sehn nur Gespenster der Dinge, und die Fieberlosen nur Schatten der Dinge: und Beide brauchen die gleichen Worte.
243. „Ich horchte nach Widerhall – und ich hörte nur Lob".
244. Gegenliebe entdecken sollte uns eigentlich über das geliebte Wesen ernüchtern: wie kann es so thöricht sein, an dich zu glauben?
245. „Was man lieben muß, warum muß man das immer zugleich auch hassen? Ist nicht Liebe die größte aller Qualen?" Deshalb muß, der Mensch überwunden werden.
246. Hast du die dumpfe Gleichgültigkeit des Negers gesehen, mit derer seine schweren inneren Krankheiten aushält, während du durch dieselben fast zur Verzweiflung gebracht würdest: dies gibt dir zu denken, daß, abseits von dem oberen Zehntausend des Geistes, überhaupt in der Menschheit wenig Schmerz vorhanden ist.
247. „Mein Glück beginnt, wenn ich mich unter mir, als ein Wesen neben anderen Wesen, sehe."
248. Unser Zeitalter ist ein aufgeregtes Zeitalter, und eben deshalb kein Zeitalter der Leidenschaft; es erhitzt sich fortwährend, weil es fühlt, daß es nicht warm ist – es friert im Grunde. Ich glaube nicht an die Größe aller dieser „großen Ereignisse", von denen ihr sprecht.
249. Der Erkennende fühlt sich als die Thierwerdung Gottes.
250. Jetzt ist es erst der Widerhall, durch den die Ereignisse „Größe" bekommen – der Widerhall, der Zeitungen.
251. Arme Künstler! Was verlangt denn das nervöse Gesindel von euch? Nicht auferbaut sondern umgeworfen will es werden!
252. Nicht die Stärke, sondern die Andauer der hohen Empfindung macht die hohen Menschen: sie sollen nicht mit den Menschen der moralischen Krämpfe verwechselt werden!
253. Und nochmals. – Redlich gegen uns selber, und wer sonst uns Freund ist, muthig gegen den Feind, großmüthig gegen die Besiegten, höflich gegen Alle.
254. Wer keinen eignen Willen hat, will wenigstens alles besser wissen.
255. Ursprünglich Heerde und Heerden-Instinkt; das Selbst als Ausnahme, Unsinn, Wahnsinn von der Heerde empfunden.
256. Der Weise als Astronom. – So lange du die Sterne noch fühlst als ein „Über-dir", fehlt dir noch der Blick der Erkenntniß: für, diese giebt es kein über und Unter mehr.
257. Man kann mit jemandem so verwandt sein, daß man alles, was jener wirklich thut und erleidet, in seinem Traum ihn thun und erleiden sieht: weil man es selber thun und erleiden könnte.
258. Hat man Charakter, so hat man auch sein typisches Erlebniß, das immer wieder kommt.
Die Menschen zerfallen in solche, welche einer fürchterlichen Handlung fähig sind und in solche die es nicht sind.
259. Es sind grundverschiedene Menschen: diese, welche Scham bei der Ebbe ihres Gefühls (in Freundschaft oder Liebe) empfinden, und jene, welche sich der Fluth schämen.
Eben dadurch daß die Passion des Einen von zwei Liebenden ihren Höhepunkt überschreitet und sinkt, steigt die des Anderen etwas länger aufwärts als sie sonst gestiegen sein würde: die Curve des länger Liebenden.
260. Ob jemand zu den Guten oder Bösen gehört, das liegt durchaus nicht an seinen Handlungen, – sondern an seiner Meinung über diese Handlungen.
261. Wenn die Selbstsucht erst einmal größer klüger feiner erfinderischer geworden ist, wird die Welt „selbstloser" aussehen.
262. Wer das Auge des Denkers stark zu empfinden vermag, der hat dabei jenen schrecklichen Eindruck, welchen jene Thiere machen, deren Auge sich langsam wie an einem Stiele aus dem Kopfe herausschiebt und um sich blickt.
263. Auch der Heilige bedarf der Vernichtung der Moral: damit er thun kann, wozu er Lust hat.
264. Wer sein Ideal erreicht, kommt eben damit über dasselbe – hinaus.
265. Ein Mensch mit Genie ist unausstehlich, wenn er nicht mindestens noch zweierlei besitzt: Dankbarkeit und Reinlichkeit.
266. Das, was die Liebe giebt, darf man nicht zurückgeben und vergelten wollen: im Meere der Liebe soll aller Trieb zur Vergeltung ertrunken sein.
267. Wie wolltet ihr gegen mich gerecht sein? – sagte der Heilige. Ich erwähle eure Ungerechtigkeit als den mir angemessenen Theil.
268. Der Mensch des Erhabenen wird beim Anblick des Erhabenen frei, fest, breit, ruhig, heiter: aber der Anblick des vollkommenen Schönen erschüttert ihn und wirft ihn um: vor ihm verneint er sich selber.
269. Wer im Erhabenen nicht zu Hause ist, fühlt das Erhabene als etwas Unheimliches und Falsches.
270. Mancher Pfau versteckt vor Aller Augen seinen Pfauenschweif: und nennt es seinen „Stolz".
271. Seltsam! Sobald ich mir einen Gedanken verschweigen und fernhalten will, kommt mir gewiß dieser Gedanke in leibhafter Gestalt, als Mensch, entgegen, und ich muß nun mit diesem „Engel Gottes" artig thun!
272. Es ist unmenschlich, da zu segnen, wo Einem geflucht wird. Lieber doch ein wenig mitfluchen!
273. Ich sah manche Wahrheit siegen, aber stets durch die wohlwollende Unterstützung von hundert Irrthümern.
274. Wenn Skepsis und Sehnsucht sich begatten, entsteht die Mystik.
Wessen Gedanke nur Ein Mal die Brücke zur Mystik überschritten hat, kommt nicht davon ohne ein Stigma auf allen seinen Gedanken.
275. Grad und Art, der Geschlechtlichkeit eines Menschen reicht bis in, die letzte Höhe seines Geistes hinauf.
276. Mit seinen Grundsätzen will man seine Gewohnheiten tyrannisiren, oder rechtfertigen, oder ehren, oder beschimpfen, oder verbergen. Menschen mit gleichen Grundsätzen wollen damit doch wahrscheinlich noch etwas ganz Verschiedenes.
277. Wille – das ist eine Annahme, welche mir nichts mehr erklärt. Für den Erkennenden giebt es kein Wollen.
278. Immer noch fehlt der umgekehrte La Rochefoucauld: der, welcher zeigt, wie die Eitelkeit und Selbstsucht der Guten gewisse Eigenschaften des Menschen verrufen und endlich böse und schädlich – gemacht hat.
279. Vergilt nicht Böses mit Gutem: denn das würde beschämen, sondern beweise, daß man dir etwas Gutes angethan hat.
280. In aller Bewunderung ist etwas Schrecken und Flucht vor uns selber – ja mitunter sogar Selbstverleugnung, Selbst-Leugnung.
281. Wer sich selber verachtet mag erwägen, daß er nicht nur der Verachtete, sondern auch der Verächter ist: er mag sich also als Verächter ächten!
282. So du weißt, was du thust, bist du selig. So du es aber nicht weißt, bist du verflucht und ein Frevler am <Gesetz> – sagte Jesus zu einem, der den Sabbat brach – ein Wort für alle Brecher und Verbrecher.
283. Unser plötzlich ausbrechender Widerwille gegen uns selber kann ebensogut das Resultat eines verfeinerten Geschmacks – als eines verdorbenen Geschmacks sein.
284. „Wille zur Wahrheit!" Reden wir nicht mehr so einfältig und großthuerisch! Wir wollen die Welt uns denkbar, womöglich sichtbar machen – ja machen! – Alle Physik ist auf Sichtbar-Machung aus.
285. Wille und Intellekt (oder wie man sagt, Herz und Kopf) – daß ist Mann und Weib; zwischen ihnen handelt es sich immer um Liebe, Zeugung, Schwangerschaft. Und wohlgemerkt, das Herz ist hierbei der Mann, und der Kopf das Weib!
286. Er ist einsam und hat nichts als seine Gedanken: was Wunder, daß er oft gegen sie zärtlich und neckisch ist und sie an den Ohren zupft! – Aber ihr Plumpen sagt, er sei ein Skeptiker.
287. „Die Liebe Gottes zu den Menschen ist seine Hölle" – sagte der Teufel. „Wie kann man sich aber auch in die Menschen verlieben!"
288. Indem wir fortwährend uns üben, es mit allerlei Mitmenschen auszuhalten, üben wir uns unbewußt darin, uns selber auszuhalten: was eigentlich die unbegreiflichste Leistung des Menschen ist.
289. Nicht die Größe des menschlichen Egoismus ist das Schwert, das über der Menschheit hängt, sondern umgekehrt dessen Schwäche, vermöge deren die Menschheit gar zu leicht ihrer selber satt werden könnte.
290. Unter friedlichen Umständen fällt der kriegerische Mensch über sich selber her – in Ermangelung von anderen Feinden.
291. Schaffen: das heißt etwas aus uns hinausstellen, uns leerer, ärmer und liebender machen. Als Gott die Welt geschaffen hatte, da war er nichts mehr als ein hohler Begriff – und Liebe zum Geschaffenen.
292. „Hier ist die Insel des Einsamen. Und alles Werdende Schweifende Suchende Flüchtige soll mir hier willkommen sein! Gastfreundschaft ist nunmehr meine einzige Freundschaft! Ich liebe alles Werdende!"
293. Die Liebe zum Leben ist beinahe der Gegensatz der Liebe zum Lang-Leben. Alle Liebe denkt an den Augenblick und die Ewigkeit – aber nie an „die Länge".
294. „Meine Liebe erregt Furcht, sie ist so anspruchsvoll! Ich kann nicht lieben, ohne zu glauben, der, den ich liebe sei bestimmt, etwas Unsterbliches zu thun. Und er erräth was ich glaube – was ich fordere!"
295. Der Erkennende vermeidet die Selbsterkenntniß und läßt seine Wurzeln in der Erde stecken.
296. Das Verständlichste an der Sprache ist nicht das Wort selber, sondern Ton, Stärke, Modulation, Tempo, mit denen eine Reihe von Worten gesprochen werden – kurz die Musik hinter den Worten, die Leidenschaft hinter dieser Musik, die Person hinter dieser Leidenschaft: alles das also, was nicht geschrieben werden kann. Deshalb ist es nichts mit Schriftstellerei.
297. Gang und Gangart. – Ich habe gehen gelernt: seitdem lasse ich mich laufen.
298. Der freie Geist. – Wer fliegen kann, weiß daß er sich zum Fortfliegen nicht erst stoßen lassen muß; wie alle ihr festgesessenen Geister es nöthig habt, um überhaupt „fort zu kommen".
299. Sich seiner Unmoralität schämen: das ist eine Stufe auf dem Wege, an dessen Ende man sich auch seiner Moralität schämt.
300. Man liebt von Grund aus und dauernd allein seine Kinder oder Werke: und die Liebe zu sich selber ist immer ein Symptom.
301. Manche Naturen wird man nie entdecken, es sei denn, daß man sie zuerst erfindet.
302. „Der Umgang mit den Menschen verdirbt den Charakter, namentlich wenn man keinen hat" – sagte Timon.
303. „Du kennst die W<eiber> nicht: wie kommt es, daß du bisweilen über sie recht hast?" – Bei den W<eibern> ist kein Ding unmöglich
304. Es fehlt noch überall an Selbstsucht.
305. Wer Sentenzen schreibt, will nicht gelesen, sondern auswendig gelernt werden.
306. Auch noch in der Befriedigung ihrer Begierde (nach Nahrung Weib Besitz, Ehre Macht) handeln die meisten Menschen als Heerdenvieh und nicht als Personen – selbst wenn sie Personen sind.
307. Es gereicht mir Alles zum Besten: wer hat Lust mein Schicksal zu sein? Ich liebe jedes Schicksal.
308. Das Zeitalter der größten Ereignisse wird trotz alledem das Zeitalter der kleinsten Wirkungen sein, wenn die Menschen von Gummi und allzu elastisch sind.
309. „Vor jeder Handlung quält es mich, daß ich nur ein Würfelspieler bin – ich weiß nichts mehr von Freiheit des Wollens. Und nach jeder Handlung quält es mich, daß die Würfel nun zu meinen Gunsten fallen: bin ich denn ein falscher Spieler?" – Skrupel eines Erkennenden.
310. Mit der Rache würde man auch die Dankbarkeit verlernen müssen, aber nicht die Liebe.
311. Lieben-Wollen verräth Selbstmüdigkeit und Sattheit an sich, Geliebt-werden-wollen aber Selbst-Verlangen, Selbst-Sucht. Der Liebende schenkt sich weg; der welcher geliebt werden will, möchte sich selber geschenkt bekommen.
312. Mit den Gründen, durch die man die Strafe eines Verbrechens rechtfertigt, kann man auch das Verbrechen rechtfertigen.
313. Reife des Mannes: das heißt den Ernst wiedergefunden zu haben, den man als Kind hatte, beim Spielen.
„Ella guardava suso, ed io in lei" Dante. Und ich in ihr!
314. Jetzt erst bin ich einsam: ich verlangte nach Menschen, ich suchte nach Menschen – ich fand immer nur mich – und nach mir verlangt mich nicht mehr!
Kleine Menschen sind des Bösen unfähig: sie können folglich weder gute noch böse Menschen werden. (Das Gute aber ist ein verkleinertes Böses?)
Etwas wollen und es durchsetzen: gilt als Zeichen des starken Charakters. Aber etwas nicht einmal wollen und es doch durchsetzen, ist den Stärksten eigenthümlich, welche sich als fleischgewordenes Fatum fühlen.
Wer immer Kind bleibt, bleibt damit auch der unschuldige Egoist, und wird mehr gehaßt als ein Gegenstand des Neides und Hasses für die „schuldigen" Egoisten.
315. Ich liebe die Menschen: und am meisten dann, wenn ich diesem Triebe widerstrebe.
316. Das Weib versucht zu lieben, wo es fühlt, gehorchen und dienen zu müssen: es ist sein Kunststück, um das Joch leichter zu tragen.
317. „Liebe mich!" – ein Gott, der so zu dem Menschen redet, ist toll geworden – vor Eifersucht.
318. Man haßt nicht, wenn man gering schätzt, sondern nur indem man gleich und hoch schätzt.
319. Man erschrickt bei der Vorstellung, plötzlich erschreckt zu werden.
320. Nicht das Verbrechen des Verbrechers, sondern seine Feigheit und Albernheit nach dem Verbrechen läßt uns überhaupt verächtlich von Verbrechern denken.
321. Das Böse kommt erst dann in Verruf, wenn es mit dem Niedrigen und Ekelhaften verwechselt wird. Bis dahin zieht es an und reizt zur Nachahmung.
322. Allen Frauen, denen die Sitte und die Scham die Befriedigung des Geschlechtstriebes untersagt, ist die Religion, als eine geistigere Auslösung erotischer Bedürfnisse, etwas Unersetzbares.
<323.> Meine Liebe zum Menschen hat Ebbe und Fluth: und jeder einzelne geliebte Mensch ist für diese Liebe nur eine Gelegenheits-Ursache. Dies zu erkennen betrübt.
324. Man umarmt aus Menschenliebe mitunter einen Einzelnen, weil man nicht Alle umarmen kann: aber man darf das dem Einzelnen nicht verrathen!
Das Gute ist das kleine Böse: deshalb ist es kleinen Menschen so leicht, gute Menschen zu werden.
325. Man liebt den Nächsten immer auf Unkosten des Ferneren.
„Der schwächere Mensch ist der bessere" – sagen unsere Moralprediger.
Die schwachen Menschen sagen „ich muß" die starken „es muß".
Das Weib begeht zehnmal weniger Verbrechen als der Mann – folglich ist es moralisch zehnmal besser: sagt die Statistik.
326. Die Unschuld des Egoismus ist dem Kinde eigen: und so ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nie in dies Himmelreich kommen.
327. Man sollte vom Leben scheiden, wie Odysseus von Nausicaa schied – mehr segnend als verliebt.
328. Man handelt wohl für seinen Nächsten, aber man schafft nicht für ihn: so sagt die Ehrlichkeit aller Schaffenden.
329. Höher als die Nächstenliebe steht, die Liebe zu den Fernen, Zukünftigen: und höher als alle Liebe zu Personen steht die Liebe zu Sachen.
330. „Feind" will ich sagen, aber nicht „Verbrecher": „Gewürm" will ich sagen, aber nicht „Schuft": „Kranker" will ich sagen, aber nicht „Ungeheuer"; „Narr" will ich sagen, aber nicht „Sünder".
331. Allen Feiglingen die Fortpflanzung verhindern: daß sollte die Moral der Weiber sein.
332. Nicht die Menschen – aber der Mensch ist es, den der Einsame liebt: und wenn diese Menschen-Liebe in ihm sich angehäuft und gestaut hat, dann stürzt sie wie ein Strom über irgend einen Menschen her, der ihm in den Sinn kommt – gleichgültig ob es Feind oder Freund ist.
333. Du sagst „ich liebe mich", „ich verachte mich", „ich bedaure mich" – mein Freund und Gottesleugner, ich will dir dein „Ich" nicht streitig machen, aber dies dein Mich ist ebenso erdichtet und erfunden, wie irgend ein Gott es ist – du mußt es auch leugnen.
334. Mitleid und zartes Gefühl für den Nächsten unter die Moral (oder gar als die Moral) zu rechnen, ist ein Zeichen von Eitelkeit, vorausgesetzt daß man selber von Natur mitleidig und zartfühlend ist, – also ein Mangel an Stolz und Vornehmheit der Seele.
Der Cultus des Mitleidens ist unanständig für Menschen, welche es nicht aus ihrer Erfahrung kennen.
335. Wenn man sein Gewissen dressirt, so küßt es uns zugleich wenn es beißt.
336. Die Moral ist die Wichtigthuerei des Menschen vor der Natur.
337. „Vielleicht erfand ein Teufel die Moral, um die Menschen durch Stolz zu quälen: und ein zweiter Teufel nimmt sie ihnen irgendwann einmal, um sie durch Selbst-Verachtung zu quälen."
338. „Es giebt keinen Menschen, denn es gab keinen ersten Menschen": so schließen die Thiere.
339. Die Vertraulichkeit des überlegenen erbittert, weil sie nicht zurückgegeben werden darf. Dagegen ist Höflichkeit ihm anzurathen, d. h. der beständige Anschein, als ob er etwas zu ehren habe.
340. Ich begreife nicht, wozu man nöthig hat zu verleumden. Will man jemandem schaden, so braucht man ja nur über ihn irgend eine Wahrheit zu sagen.
341. Man weiß von Jedermann immer etwas zu viel.
342. Wir loben nur, was nach unserem Geschmack ist – d. h. wir loben, wenn wir loben, immer nur unseren Geschmack – was auch wider allen guten Geschmack geht.
343. Der Mensch allein widerstrebt der Richtung der Gravitation: er möchte beständig nach oben – fallen.
344. Die Leiter meiner Gefühle ist lang, und ich sitze gar nicht ungern auf ihren niedrigsten Stufen, gerade weil ich oft zu lange auf den höchsten sitzen muß: da bläst nämlich der Wind scharf und das Licht ist oft zu hell.
345. Die Eifersucht ist die geistreichste Leidenschaft und trotzdem noch die größte Thorheit.
346. In der Flamme der Eifersucht wendet man gleich dem Skorpione den vergifteten Stachel gegen sich selber – doch ohne den Erfolg des Skorpions.
347. Nicht daß du mich belogst, sondern daß ich dir nicht mehr glaubte, hat mich erschüttert.
348. Ich soll vergeben? Aber ich mache dir nicht zum Vorwurfe, was du dir vorwirfst: wie könnte ich dir also vergeben?
349. Viel von sich reden ist auch ein Mittel sich zu verbergen.
350. Es ist leichter seinem Feinde zu vergeben als seinem Freunde.
351. Der Haß gegen das Böse ist der Prunkmantel, mit dem der Pharisäer seine persönlichen Antipathien verkleidet.
Musik ist bei Frauen eine Form der Sinnlichkeit.
Die Frauen sind viel sinnlicher als die Männer, gerade weil sie sich der Sinnlichkeit als solcher bei weitem nicht so bewußt werden wie diese.
352 . In der Musik von heute giebt es eine tönende Einheit von Religion und Sinnlichkeit: und folglich mehr Weib als jemals in der Musik war.
Ich und Mich sind immer zwei verschiedene Personen.
353. Seit ich das Meer im Sturme und über ihm einen reinen leuchtenden Himmel sah, mag ich alle die sonnenlosen, umwölkten Leidenschaften nicht mehr, die kein anderes Licht kennen, als den Blitz.
354. Alle Menschen des Erfolgs verstehen sich auf die schwere Kunst, zur rechten Zeit zu – gehen.
Man gefällt durch den Geist, den man zu kosten giebt: aber man wird gefürchtet um des Geistes willen, den man verschluckt. In dem Augenblick, wo du gefällst, erwäge, wie nah der Augenblick ist, wo du – – –
355. Nicht ihre Menschenliebe, sondern die Ohnmacht ihrer Menschenliebe verhindert die Christen von heute, Scheiterhaufen für die Ketzer aufzurichten.
356. Ihr glaubt, wie ihr sagt, an die Nothwendigkeit der Religion! Seid ehrlich! Ihr glaubt nur an die Nothwendigkeit der Polizei, und fürchtet euch vor Räubern und Dieben für euer Geld und eure Ruhe!
357. Wie moralisch und erhaben wird man, jedesmal wenn man gute Aussicht hat, damit wehe zu thun!
358. Vornehmheit im Gehorchen, Freiheit unter Zwang und Gesetz, Verachtung gegen die sich aufbäumenden Gelüste des Sklaven: das sind die Abzeichen der ersten Kaste „Mensch".
359. Elf Zwölftel aller großen Männer der Geschichte waren nur Repräsentanten einer großen Sache.
Der Blick der Menschheit war bisher zu stumpf, zu erkennen, daß die mächtigsten Menschen große Schauspieler waren.
360. Bei Lebzeiten wird man nur berühmt, wenn man auch der Schauspieler seiner Tugend ist.
361. „Er mißfällt mir". – Warum? – „Ich bin ihm nicht gewachsen." – Hat je ein Mensch so geantwortet?
362. Auch bei seinem Hunger nach Menschen sucht man vor Allem eine bequeme Nahrung, wenn sie auch nur wenig nahrhaft ist: gleich den Kartoffeln.
364. Die Auflehnung ist die vornehmste Attitüde des Sklaven.
365. Man muß aufhören, sich essen zu lassen, wenn man am besten schmeckt – so heißt das Geheimniß der Frauen, welche lange geliebt werden.
366. Schauspieler des Großen ohne Bewußtsein der Schauspielerei wirken wie echte Größen und haben vor ihnen sogar – den Glanz voraus.
367. Du gehst zu Frauen? Vergiß die Peitsche nicht!
In der Art, wie und was man ehrt, zieht man immer eine Distanz um sich.
368. Nicht, was er des Tages gegen mich thut und aussinnt, beunruhigt mich: aber daß ich Nachts in seinen Träumen vorkomme – das macht mir Grauen.
369. Vermöge der Musik genießen sich die Affekte selber.
370. Die Probe des starken Charakters besteht darin, daß er, wenn der Entschluß einmal gefaßt ist, auch den besten Vernunft-Gründen dagegen unzugänglich bleibt: also ein periodischer Wahnsinn.
371. „Was ist Freiheit? – Euer gutes Gewissen" – sagte Periander, der siebente Weise.
„Ich könnte dies oder das oder jenes thun, alles würde lehrreich sein, zumal wenn es mir mißriethe und mich in Noth brächte „ – so denkt und redet der freie Geist, der Liebhaber der Erkenntniß: er lacht darüber, wenn man ihm deshalb Willens-Schwäche und Unvernunft vorwirft.
372. Hatte ich je einen Gewissensbiß? – mein Gedächtniß schweigt auf diese Anfrage still.
373. Moral ist eine vorwissenschaftliche Form, sich mit der Erklärung unserer Affekte und Zustände abzufinden. Moral verhält sich zu einer einstmaligen Pathologie der Gemeingefühle, wie Alchemie zu Chemie.
374. Es giebt gar keine moralischen Phänomene; sondern nur eine moralische Interpretation gewisser Phänomene (– eine irrthümliche Interpretation!)
375. Der Verbrecher ist gewöhnlich seiner That nicht gewachsen, er widerruft und verleumdet sie.
376. „Lieber zu Bett liegen und sich krank fühlen, als etwas thun müssen" – nach diesem heimlichen Grundsatze leben alle Selbstquäler.
377. Die Wahrnehmung, daß ich mit Anderen übereinstimme, macht mich leicht mißtrauisch gegen das, worüber wir übereinstimmen.
378. Dem Erkennenden ist die pia fraus noch mehr wider den Geschmack als die impia fraus.
379. Man nehme sich vor der sancta simplicitas in Acht: sie ist es, die das Holz zu allen Scheiterhaufen gehäuft hat.
380. Einst vertrat die religiöse Erklärung die naturwissenschaftliche: und noch jetzt vertritt die moralische Erklärung die physiologische. Wer wenig denkt und gelernt hat, schiebt Alles zurück in die Moral, seine Verstimmungen durch Wetter, Unverdaulichkeit, Blutarmut, seine Bedürfnisse nach Entleerung oder Ersatz, seinen Mißerfolg, Überdruß, Unzufriedenheit, Unsicherheit.
381. Wenn du laut sagen wolltest, was du Alles schon in Gedanken gethan hast, so würde Jedermann schreien: „weg mit diesem ekelhaften Gewürme! Es schändet die Erde" – und Jedermann würde vergessen haben, daß er ganz dasselbe in seinen Gedanken gethan habe. – So moralisch macht uns Offenherzigkeit.
In der Moralität äußert sich, physiologisch zu reden, der Assimilationstrieb der Schwachen hin zu den Starken.
382. „Ich liebe sie und deshalb wünsche ich, daß sie liebt – aber warum gerade mich? ich liebe mich selber nicht genug dazu" – so spricht die göttliche Liebe aus dem Manne.
Du willst ihn bezaubern? So stelle dich vor ihm verlegen.
383. Das Verlangen nach Gegenliebe ist Eitelkeit und Sinnlichkeit.
384. Menschen, die gegen sich mißtrauisch sind, wollen mehr noch geliebt sein als lieben, um einmal, für einen Augenblick wenigstens, an sich glauben zu dürfen.
Ein Gott, der liebt, ist es nicht würdig, sich lieben zu lassen: lieber will er noch gehaßt werden.
385. Die Liebe zum Übermenschen ist das Heilmittel gegen das Mitleid mit den Menschen: an letzterem müßte die Menschheit sehr schnell zu Grunde gehen.
386. Ein kleines Mehr von Mitleid unter den Menschen, und die Verzweiflung am Leben stünde vor der Thür.
387. „Liebe deinen Nächsten" – d. h. zu alleroberst: „laß deinen Nächsten laufen!" – Und gerade dieser Theil der Tugend ist der schwerste!
388. Das kleine Leiden verkleinert uns, das große vergrößert uns. Der Wille zum großen Leiden sollte also eine Forderung der Selbstsucht sein.
389. Lieber böse Gesellschaft als kleine!
390. Ein bezauberndes Werk! Aber wie unausstehlich, daß sein Schöpfer uns immer daran erinnert, es sei sein Werk. Weiß er denn nicht, daß „der Vater" immer eine komische Person ist?
391. Vieles kleines Glück beschenkt uns mit vielem kleinen Elend: und verdirbt damit den Charakter.
392. Alle Behaglichkeit sollte man nur benutzen wie ein Kranker das Bett: zur Genesung.
393. Sehr klugen Personen glaubt man ihre Verlegenheit nicht.
394. „Ich bin zum Schauen und nicht zum Glauben vorherbestimmt, alle Gläubigen sind mir etwas Fremdes und Lärmendes."
395. Es giebt einen Übermuth der Güte, welcher sich wie Bosheit ausnimmt. Unsere Eitelkeit ist gerade dann am schwersten zu verletzen, wenn eben unser Stolz verletzt worden ist.
396. Diese zwei Weibspersonen, Vergangenheit und Zukunft, machen jetzt einen solchen Lärm, daß die Gegenwart vor ihnen davonläuft.
397. Aus einem „ich habe Lust" ein „du sollst" machen, die Gewohnheit zur Tugend, die Sitte zur Sittlichkeit umprägen: das ist eine feine alte uralte Falschmünzerei – und ich verstehe mich heute noch auf sie.
398. „Du sollst" klingt den Meisten angenehmer als „ich will": in ihren Ohren sitzt immer noch der Heerden-Instinkt.
399. In einem bestimmten krankhaften Zustand kann man gar nicht anders, als geizig sein. Geiz ist ein Affekt. Ihr liebt mir die Nüchternheit des Geistes zu sehr: auch dieser Geiz ist Krankheit.
400. Wir werden mißtrauisch, nicht weil wir einen Grund dazu finden, sondern „wir finden immer einen Grund dazu" mißtrauisch zu sein, wenn wir mißtrauisch werden.
401. Unter Umständen ist der allgemeine Schaden geringer, wenn einer seine Affekte an Anderen als wenn er sie an sich selber ausläßt: namentlich gilt dies von den schöpferischen Menschen, deren Nutzen in die Ferne geht.
402. Wehe wenn die Menschen nicht ihre kleinen boshaften Gedanken hätten! Wie viel Lust mehr haben sie dabei, wie viel Wehe-Thun ersparen sie dabei!
403. Der Mensch ist immer noch mehr Affe als irgend ein Affe.
404. Das Herz ist es, das begeistert: und der Geist ist es, der beherzt und kalt in der Gefahr macht. Oh über die Sprache!
405. Wie? Ein großer Mann? Ich sehe in ihm nur den Schauspieler seines eignen Ideals.
Die Selbstsucht ist bei Dieben, Räubern, Wucherern und Spekulanten im Grunde anspruchslos und bescheiden genug: man kann ja nicht leicht weniger von den Menschen wollen als wenn man nur ihr Geld will.
406. Faust, die Tragödie der Erkenntniß? Wirklich? Ich lache über Faust.
407. Die höchsten tragischen Motive sind bisher unbenutzt geblieben: Die Dichter wissen von den 100 Tragödien des Gewissens nichts aus Erfahrung.
408. Man spricht von den Ursachen der Affekte und meint ihre Gelegenheiten.
409. Er hat seiner Erkenntniß Menschen geopfert und ist auf nichts so stolz als auf diese Grausamkeit gegen sich selber.
410. Mitleid wirkt an dem Erkennenden beinahe zum Lachen, wie zarte Haut an einem Riesen.
411. Lange und große physische Schmerzen erziehen zum Tyrannen.
412. Man muß sowohl mitleidig als grausam sein, um eins von beiden sein zu können.
413. Nicht Wenige, die ihren Teufel austreiben wollten, fuhren dabei selber in die Säue.
414. Der „Lobende" stellt sich meistens, als gäbe er zurück: in Wahrheit will er beschenkt werden.
415. Im Affekt enthüllt sich nicht der Mensch, sondern sein Affekt.
Unsere Augen hören feiner als unsere Ohren: wir verstehen und schmecken lesend besser als hörend – bei Büchern wie bei Musik.
416. Das Concubinat ist corrumpirt durch – die Ehe.
417. Das Christenthum vergiftete den Eros: er starb zwar nicht daran, aber entartete zum „Laster".
Voller Leidenschaften aber herzlos und schauspielerisch: so waren die Griechen, so waren selbst die griechischen Philosophen, wie Plato.
418. Nur bei herzlosen Menschen ist die Innigkeit ächt und beinahe eine Sache der Scham.
419. Ein Bischen Neid im Ursprunge – und hinterdrein eine große Liebe? So entsteht eine Explosion durch die Reibung eines Zündhölzchens.
420. Wenn die Göttin Musik in Worten, statt in Tönen, reden wollte, so würde man sich die Ohren zuhalten.
421. Sich über ein Lob freuen ist bei diesen eine Eitelkeit des Geistes, bei jenen ein Merkmal von Höflichkeit des Herzens.
422. Man lügt mit der Zunge, aber mit dem Munde und Maule sagt man die Wahrheit – so entsteht der Physiognomiker.
423. Die Sinnlichkeit übereilt das Wachsthum der Liebe, so daß die Wurzel schwach bleibt und die ganze Pflanze leicht auszureißen ist.
424. In einigen Menschen ist ein tiefes Bedürfniß nach ihrem Feinde: bei ihm allein giebt es auch einen Haß auf den ersten Blick.
425. Mein Auge sieht die Ideale anderer Menschen, und dieser Anblick entzückt mich oft: aber ihr Kurzsichtigen denkt dann, es seien meine Ideale!
426. Die Moral aller Gesellschaft lautet, daß Vereinsamung Schuld sei.
427. Fast in jedem Lebenden steckt ein Parasit.
428. Wenn man über einen Menschen umlernen muß, so rechnet man ihm die Unbequemlichkeit, die er einem damit macht, hart an.
429. In der Leutseligkeit ist nichts von Menschenhaß, aber eben deshalb allzuviel Menschenverachtung.
430. Man vergilt einem Lehrer schlecht, wenn man immer „der Schüler" bleibt.
431. Es ist wie mit einem Baum: je mehr er hinauf in die Höhe und Helle will, um so stärker streben seine Wurzeln nach der entgegengesetzten Richtung: einwärts, abwärts, ins Dunkle, Tiefe, Breite – in's „Böse", wie man sagt.
432. Ihr nennt es die Selbstzersetzung Gottes: es ist aber nur seine Häutung: – er zieht seine moralische Haut aus! Und ihr sollt ihn bald wiedersehn, jenseits von gut und böse.
433. Ein Volk ist der Umweg der Natur, zu 5, 6 großen Männern.
434. Bei patriotischen Festen gehören auch noch die Zuschauer zu den Schauspielern.
435. Auch das Häßliche hat sein häßliches Prunkmäntelchen: es heißt „das Erhabene".
436. Was ist gut? – „Das, was zugleich hübsch und rührend ist" – antwortete ein kleines Mädchen.
Wenn Gott ein Gott der Liebe ist, so müßte der Gewissensbiß ein Gottesbiß und folglich ein Biß aus Liebe sein.
437. Muthig, unbekümmert, spöttisch und sogar etwas gewaltthätig: so will uns die Weisheit: sie ist ein Weib und – liebt immer nur einen Kriegsmann.
438. Viel Soldaten und doch wenig Männer! Viel Uniform und noch viel mehr Uniformität.
439. „Die Erntezeit ist wieder vorüber: der Wind weht über die leeren Felder, und jetzt scheint mir auch die glücklichste Ernte ein ungeheurer Verlust" – so empfindet jeder schöpferische Mensch.
440. Zweierlei will der ächte Mann: Gefahr und Spiel. Deshalb will er das Weib, als das gefährlichste Spielzeug.
441. Die Aufgabe des Weibes ist, das Kind im Manne zu entdecken und zu erhalten.
442. Man will die Emancipation des Weibes und erreicht dabei nur die Entmännlichung des Mannes.
443. Der Mann soll zum Kriege erzogen werden, und das Weib dazu, die Erholung des Kriegers zu sein: alles Andere ist Thorheit.
444. Mit dem Wort „Gelehrter" bezeichnet man sowohl die Soldaten des Geistes als – leider – auch die Strumpfwirker des Geistes.
Keine erbärmlichere Gesellschaft giebt es als die von Gelehrten: jene Wenigen abgerechnet, die militärische Gelüste im Leibe und Kopfe haben.
Es giebt zu wenig Männer: und daher vermännlichen sich die Weiber.
445. Es ist eine Feinheit, daß Gott griechisch lernte, als er Schriftsteller werden wollte, und ebenso dies, daß er es nicht besser lernte!
Dieser Denker ist kälter als Eis, folglich verbrennt man sich an ihm die Finger und hält ihn leicht für glühend.
3 [2]
Pinie und Blitz.
Hoch wuchs ich über Mensch und Thier;
Und sprech ich – Niemand spricht mit mir.
Zu einsam wuchs ich und zu hoch:
Ich warte: worauf wart' ich doch?
Zu nah ist mir der Wolken Sitz, –
Ich warte auf den ersten Blitz.
3 [3]
Portofino.
Hier sitz ich wartend – wartend? Doch auf nichts,
Jenseits von gut und böse, und des Lichts
Nicht mehr gelüstend als der Dunkelheit,
Dem Mittag Freund und Freund der Ewigkeit.
3 [4]
Auf hohem Meere.
Freundin – sprach Columbus – traue
Keinem Genuesen mehr!
Immer starrt er in das Blaue,
Fernstes zieht ihn allzusehr!
Wen er liebt, den lockt er gerne
Weit hinaus aus Raum und Zeit – –
Über uns glänzt Stern bei Sterne,
Um uns braust die Ewigkeit.
[Dokument: Heft]
[November 1882 - Februar 1883]
4 [1]
Wir stehen vor der größten Erregung – und hinter ihr der Rückschlag! die Sehnsucht ins Nichts! – Und wir wollen weder in dieser Erregung noch in dieser Sehnsucht zu Grunde gehen – wir Freunde des Lebens.
4 [2]
Ich habe von allen Europäern, die leben und gelebt haben, die umfänglichste Seele: Plato Voltaire – – – es hängt von Zuständen ab, die nicht ganz bei mir stehen, sondern beim „Wesen der Dinge" – ich könnte der Buddha Europas werden: was freilich ein Gegenstück zum indischen wäre.
4 [3]
Zu allen ersten Begegnungen gehört Glück und irgend ein gutes Vogelzeichen.
4 [4]
Es geht eine falsche Rede: „wer sich selber nicht erlöst, wie kann <er> die Anderen erlösen?" Wenn ich den Schlüssel zu deinen Ketten habe, warum müßte dein und mein Schloß dasselbe sein?
Im Kriege seid ihr heilig und wenn ihr mordet und brennt.
„Ein-Form" nennen sie's, was sie tragen: Einförmigkeit ist's was sie damit bedecken.
Schlafen sollt ihr wieder – und besser träumen.
Diese Grausamkeit sitzt in meinen Eingeweiden. Seht, ich bin böse.
Ihr sagt: die Sache sei es die den Krieg heilige? Der Krieg ist es, der die Sache heiligt!
Heerden sind nichts Gutes, auch nicht wenn sie dir nach laufen.
Der Hirt ist ein vergoldetes Werkzeug der Heerde.
4 [5]
Vernunft ist auch noch im Weisesten die Ausnahme: Chaos und Nothwendigkeit und Wirbel der Sterne – das ist die Regel.
Man muß aus dem Tode ein Fest machen und dabei ein wenig boshaft gegen das Leben sein: ein Weib, das uns verlassen will, uns!
Was die Helden betrifft, so denke ich nicht so gut von ihnen: immerhin: es ist die annehmbarste Form des Daseins, nämlich wenn man keine andere Wahl hat.
4 [6]
Wir haben beide etwas für uns: du die Affekte ich die Gründe.
Aus meinem eignen Gifte mache ich Balsam für meine Gebresten.
Ich melke deine Euter, geliebte Trübsal!
Es gab viele Gottmenschen auf Erden: und jeder Gottmensch schuf seinen Gott.
Es giebt nicht ärgere Feindschaft auf Erden als zwischen Gottmenschen und ihren Göttern.
Ihr Brüder, ich habe mich enthüllt: ich schäme mich nicht, mich nackt zu zeigen.
Scham heißt der Unhold, der sich zu dem Menschen gesellte, als es ihn über die Thiere hinaus gelüstete.
Es steht den Menschen frei, an Zarathustra zu glauben: was geht das Zarathustra an?
4 [7]
Halbgott.
Held.
Mann.
Kind.
Bin ich doch ein Genosse der Mit-Thiere.
4 [8]
Ich komme euch zu helfen – und ihr beklagt euch, daß ich nicht mit euch weinen will.
4 [9]
Ich weiß dies längst: Menschen von der Art, wie meine M<utter> und S<chwester> müssen meine natürlichen Feinde sein – daran ist nichts zu ändern: der Grund liegt im Wesen aller Dinge. Es verdirbt mir die Luft, unter solchen M<enschen> zu sein und ich habe viel Selbstüberwindung nöthig.
4 [10]
An die Männer. Dies ist die Lehre von der Heiligkeit.
An die Weiber. Jenseits von gut und böse.
An die Kinder. Mittag und Ewigkeit.
Zarathustra unter Thieren. Die sieben Einsamkeiten.
4 [11]
Ich würde an jedem einzelnen meiner Affekte zu Grunde gegangen sein. Ich habe immer einen gegen den anderen gesetzt.
4 [12]
Es soll für mich keinen Menschen geben, vor dem ich Ekel oder Haß habe.
4 [13]
„Wie Brahma lebt man allein; wie ein Gott lebt man zu Zweien; wie im Dorf lebt man zu Dreien; wo es mehr sind, ist es ein Lärm und ein Getümmel."
Rede nicht wie ein Mensch zu Thieren, sagt ihr, – – –
Meine stärkste Eigenschaft ist die Selbstüberwindung. Aber ich habe sie auch am meisten nöthig – ich bin immer am Abgrunde.
Ich rede und das Kind spielt: kann man ernsthafter sein als wir Beide es jetzt sind?
4 [14]
Ich bin nicht groß genug, diese Empfindungen nicht zu haben: aber ich bin groß genug, mich ihrer nicht zu schämen.
4 [15]
Es lebt Niemand, der mich loben dürfte.
Für Mann „ich will" für Frau „ich muß"
Ich gehöre zum Geschlecht der Jähzornigen, der Wollüstigen und der Glaubens-Wüthigen – fast vergaß ich's selber.
4 [16]
Die Moral ist durch die Freigeisterei auf ihre Spitze getrieben und überwunden.
Ich rede zu Männern, sprach Zarathustra – heißet die Weiber davongehen.
4 [17]
So sprach der Narr: einem neuen Geiste die alten Opfer bringen, die alte Seele durch einen neuen Leib umwandeln.
Blut begründet nicht; Blut erlöst auch nicht. Ich mag jene Lebensmüden nicht,
4 [18]
Der beste Mann ist böse, das beste Weib ist schlecht.
Liebe war es zum Hirt und Heerde, die schuf den Nutzen nun als gut und heilig:
Liebe war es zum Kinde und Geschlecht: diese Lieb: war Frevel an der Liebe Aller.
Aus der Liebe schufen sie Gut und Böse: und nicht aus der Klugheit, denn älter ist Liebe als Klugheit.
Nützlich war einst, was die Liebe Aller gebot: und wessen Liebe die mächtigste war, den schuf sich die Heerde zum Hirt.
Klein war noch die Liebe zum Nächsten, verachtet das Ich: und über Alles war Heerde.
4 [19]
Ich ehre alle M<enschen> ich verachte allein die Pharisäer.
4 [20]
Eines Morgens stieg Zarathustra auf einen Berg: als er allein mit sich war, rühmte er sich also: dich, mein Buch, – – –
Die Menschheit hat kein Ziel: sie kann sich auch ein Ziel geben – nicht für das Ende, nicht die Art erhalten, sondern sie aufheben.
Und alles Volk soll sprechen: heilig ist dieser Verbrecher.
Der Schöpfer (Erkennende), der Mittheiler (der Künstler), der Vereinfacher (der Liebende).
Ertragt meine Tugend! (als eine Übermacht).
Staat und Gesellschaft sind für Einige nicht nöthig aber diese müssen sie ertragen und sich, so gut es geht, entziehen.
Sparsamkeit dessen, der nicht lieben kann.
4 [21]
Ein unheimliches und ruhmloses Ziel.
4 [22]
(Eines Tages rühmte Zarathustra sich selbst und sprach also)
Drei Eigenschaften müssen sie vereinigen: wahr sein, sich mittheilen wollen und können und mitwissend sein (zur Einheit)
die Jünger der heiligen Selbstsucht
oder eins von den dreien
oder nur ein Mittel sein können von den dreien.
er soll sagen: ich bin böse, ich erhalte die Kraft des Bösen.
Es soll jeder sein Sein zum Zwecke des Planes machen.
Es gab bisher keinen Zweck: auf, so nehmen wir uns einen.
Reden zu Gunsten: der Eitelen, der Grausamen, u.s.w.
Das höchste Vergnügen: das, was wir müssen, auch das, was wir wollen. Also sich aufnehmen in den großen Plan.
4 [23]
Alles Schaffen ist Mittheilen.
Der Erkennende der Schaffende der Liebende sind Eins.
4 [24]
1000 Formeln für die Wiederkunft (ist die Drohung).
4 [25]
Die Geburt der Übermenschen.
4 [26]
Die Guten als die nothwendigen Pharisäer.
Auch hier giebt es einen Gegensatz wie zwischen Religiösen und Gläubigen.
Die das Gute Schaffenden haben ihren Gegensatz in den Bewahrenden des Guten.
Der Punkt, wo einer den Muth bekommt, sein Böses als sein Gutes zu empfinden z. B. der Christ seine „Feigheit".
4 [27]
Die Guten fast werthlos jetzt.
Auf die Bösen mit religiösem Willen kommt es an! Und immer war es so!
4 [28]
Ich muß ein Engel sein, wenn ich leben will: ihr habt nicht so harte Bedingungen.
4 [29]
Daß eure Aufklärung auch zugleich eine Morgenröthe sei.
Irrthum im Verbrechen.
nicht die angenehmen Gefühle nennt man gut – sondern die vollen mächtigen Zustände
Heiß machte sie, was sie einst verehrten.
eure Noth sollt ihr wiederum neu bestimmen: das was schon ist heiße euch Nothwendigkeit.
4 [30]
Wer am Fuße der höchsten Alpen wohnt, sieht ihren Gipfel nicht: verzeiht – – –
4 [31]
Man wird auch für seine Tugenden bestraft.
4 [32]
Liebesmahle heißen sie's, wenn man seinen Erlöser aus Liebe auffrißt.
Blut und Gründe-scheuen gründet Kirchen.
4 [33]
Aber was redest du nicht von den Gläubigen des rechten Glaubens? Was bedeutet dein Schweigen? – Zarathustra lächelte und sagte nur das Wort „Ehre den Besiegten!"
4 [34]
Wenn das Mitleid nicht eine harte Schale zu durchbrechen hat – –
Mitleid setze ich voraus: es ist eine Gehirn- und Nervenkrankheit, grausam zu sein.
Schweigen kann man nur, wenn man Pfeil und Bogen hat: sonst schwätzt und – zankt man.
Ich möchte der Welt ihren herzbrechenden Charakter nehmen
4 [35]
Nicht der Finger Gottes ist es, der dir die Kehle eindrückt. Einst, so sagt man, trat Gott an die Sterbenden: da wurde ihm wehe und gräßlich.
4 [36]
Wenig Gewissen des Geistes hat der Schauspieler: er glaubt an das, womit er am stärksten glauben macht.
Schaffende sind nur die Schätzenden und die Erfinder der neuen Werthe: um sie allein dreht sich die Welt. Wer den neuen Werthen Glauben macht, der heißt dem Volke aber „Schaffender" –
4 [37]
Wer die niedrigen Eigenschaften eines Menschen sieht, hat gewöhnlich auch eine aneignende Kraft für dieselben und bringt sie zur Entladung.
Als Schaffender läufst du von dir selber weg – du hörst auf, dein Zeitgenosse zu sein.
Der Ekel vor dem Schmutze kann so groß sein, daß er uns hindert, uns zu reinigen.
Die Thoren wollen es besser als gut haben.
4 [38]
Was muß ich thun, damit ich selig werde? Sei selig und thue, was du thun mußt.
Man gewinnt etwas lieb: und kaum liebt man es von Grund aus, so spricht der Tyrann, das höhere Selbst zu uns: „gerade das gieb mir zum Opfer!" – und wir geben's ihm.
Ich rathe nicht zur Arbeit, sondern zum Kampfe – ich rathe nicht zum Frieden, sondern zum Siege. Eure Arbeit sei ein Kampf, euer Frieden sei ein Sieg.
Ich weckte euch aus eurem Schlaf, denn ein Alp drückte euch. Und nun sagt ihr: „was sollen wir nun thun! Alles ist Nacht." – ihr Undankbaren!
Alles am Weibe ist Räthsel – alles am Weibe hat Eine Lösung: Schwangerschaft.
Willst du das Leben leicht haben, so bleibe immer bei der Heerde. Vergiß dich über der Heerde! Liebe den Hirten und ehre das Gebiß seines Hundes!
Verstehst du zu bellen und zu beißen, nun – so sei der Hund der Heerde: so machst du dir das Leben leicht.
Ich kenne alles Gute und alles Böse: ich kenne auch das was jenseits des Guten und des Bösen ist.
Gut und Böse sind die Vorurtheile Gottes – sagte die Schlange. Aber auch die Schlange war ein Vorurtheil Gottes.
Die Kirche ist der Stein am Grabe eines Gottmenschen: sie will, daß er nicht wieder auferstehe.
Ich liebe mich wie meinen Gott: wer könnte mich einer Sünde zeihen? Ich kenne nur Sünden an meinem Gotte: wer aber kennt meinen Gott? –
4 [39]
Mittag und Ewigkeit.
Also sprach
Zarathustra.
4 [40]
Was erhält mich am Leben? Die Schwangerschaft: und jedesmal wenn das Werk geboren war, hing das Leben an einem dünnen Fädchen.
Ich habe mich versteckt. Ich will meinen Ekel ihnen verschweigen, diesen Kleinen. Das ist mir am schwersten geworden: aber sie sind unschuldig, wie Gras und Kraut.
Man ist immer nur für das eigene Kind schwanger.
Ihr sagt „das ist dunkel". Ich stellte euch eine Wolke vor die Sonne. Aber seht wie die Ränder der Wolke glühen und licht werden!
Seht nicht in die Sonne! Der Mond ist noch zu hell für euer nächtliches Auge!
Ihr sollt den Frieden lieben als ein Mittel zu einem neuen Kriege!
Im Kriege schweigt die Rache; im Kriege stirbt das Persön<liche>.
4 [41]
Lüge und Verstellung – das Mittel aller Erziehung.
Was sollte ich auf eine furchtbare Weise Spaaß machen?
„Du hast mich überwunden" Sieh zu, daß ich dir eine Schwinge und kein Hemmschuh sei!
4 [42]
Es gab einmal einen alten rechtschaffenen Gott; der hatte Hand und Fuß, und auch ein Herz: und viel Zorn und Liebe war in seinen Eingeweiden.
Und siehe, die Liebe spielte ihm einen Streich und er verliebte sich in die Menschen: so daß diese Liebe ihm zur Hölle wurde.
Was that dieser alte rechtschaffne Gott? Er überredete ein menschliches Weib, daß es ihm einen Sohn gebäre: und dieser Sohn Gottes rieth den Menschen nichts als dies: „liebt Gott! wie
Ich ihn liebe! Was gehen uns Söhne Gottes die Guten und Gerechten an!"
Und einem Eifersüchtigen gleich verfolgte der alte rechtschaffene Gott die Menschen mit seiner Liebe.
Glaubt ihr, daß es ihm gelang? Auf die Dauer überredete er gerade die, welche von den Menschen er nicht mochte, die Guten und Gerechten.
„Kirche" nannten sie sich und Auserwählte: und schwätzten viel von ihrer Liebe zu Gott – die Liebes-Armen!
Da brach dem alten rechtschaffenen Gott das Herz: und es gieng ihm wie seinem Sohne: er starb am Kreuze des Mitleidens.
Wahrlich diese Guten, und Gerechten sind verderblich der Lust am Leben, und nicht nur alten rechtschaffenen Göttern.
„Dreierlei soll stets bei uns sein – so sagten sie immer – die Wahrheit, das Geld und die Tugend: also lieben wir Gott."
„Auserwählte sind wir, und auf der Erde die Überirdischsten."
4 [43]
Was wir am liebsten thun, von dem möchten wir, daß es als das gälte, was uns am schwersten werde: und vor uns selber.
Unsere Opfer beweisen nur, wie wenig werth uns jedes Ding ist, wenn wir etwas lieben.
Die moralischen Zustände und Strebungen sind nur Mittel der Erkenntniß, die unmoralischen auch.
Das Vergnügen im Erkennen ist ein äußerst intensives Glauben. Bringt man es nicht dazu, so giebt es ein Erkennen-Wollen nach Reizen, z. B. als Begierde nach Sicherheit oder Neuigkeit oder Begierde nach Begehrenswerthem, was zu entdecken wäre.
Da die Erkennenden allein von der Erkenntniß redeten, so ist viel Verlogenheit dabei – sie hatten ein Interesse daran, es als den werthvollsten Zustand erscheinen zu lassen.
Liebhaber der Erkenntniß! Und du hast noch nicht einmal einen Menschen getödtet, um dies Gefühl kennen zu lernen!
Die vollkommene Erkenntniß der Nothwendigkeit würde alles „Soll" aufheben – aber auch die Nothwendigkeit der „Solls" begreifen, als Consequenz der Unkenntniß.
4 [44]
Glücklich wie ein Elephant wenn er versucht sich auf den Kopf zu stellen.
Du hast nicht den Muth, dich zu verlieren und zu Grunde zu gehen: und so wirst du niemals ein Neues. Das, was uns heute Flügel Farbe Kleid und Kraft ist, soll morgen nur Asche sein.
Die Ehe mag für solche recht sein, welche weder der Liebe noch der Freundschaft fähig sind – für die Allermeisten also – und vielleicht auch für die ganz Seltenen, welche Beider zugleich fähig sind.
4 [45]
Eine andere Tugend giebt es, eine lohnsüchtige und sie will gut bezahlt sein, hier oder in einem Nicht-Hier und nennt dies „Gerechtigkeit".
Oh ihr Freunde der schenkenden Tugend, laßt uns Hohn tanzen aller lohnsüchtigen Tugend.
Aber das lerntet ihr noch nicht von mir: wie man Hohn tanzt.
4 [46]
Das, was uns Wärme oder Licht oder Schall oder Wurf der Gestirne ist – anderen Sinnen als menschlichen mag <es> etwas Anderes sein: aber niemals wird es Güte oder Weisheit oder Liebe sein.
Nächstenliebe. Wenn der Nutzen das Räderwerk ist.
4 [47]
um euch herum ist der entartende Sinn, und „Alles ist ohne Noth"
4 [48]
Gemeinschaft (nicht Heerde)
seine Überwindungen
Tafel
schwer
Daß meine Thiere mir ohne [–] willig [–] Geleit.
4 [49]
Die Auslegungen 1) Irrthum der ersten Ursache, ein Gott als Gegensatz gedacht (– – –
Verfehlt ist dein Leben: du bist wie ein Höfling.
wo eure Armut und Nüchternheit zum Himmel schrie
daß ein Blitz euch mit seiner Zunge lecke!
sie schossen einen Pfeil glühender Liebe in das All.
Nicht das Nicht-Wissen des Menschen ist das Erbärmliche: das Erbärmliche ist der Mensch!
Wissenschaft nur als eine Askese.
Ausnützung des Zufälligen – Vieldeutigkeit als Bedingung vieler Arten Leben – folglich Indifferenz zum Wesen
Wie ist es möglich, daß ihr engen Seelen mitdenkt?
4 [50]
Erhitzt euch nicht! Sie nehmen euch das Geld weg! und es giebt wichtigere Dinge, die auch den Ärmeren zugänglich sind. Jesus als Opfer ohne Geld!
4 [51]
Ascetismus des Geistes als Vorbereitung zum Schaffen. Absichtliche Verarmung der schaffenden Triebe.
4 [52]
Es giebt Prediger: die lehren das Leiden. Sie dienen euch, ob sie gleich euch hassen.
Ich rede nicht zu Euch wie zu dem Volke. Für jene ist das Höchste, sich zu verachten und zu vernichten: das zweithöchste sich unter einander zu verachten und zu vernichten.
4 [53]
Auf jede Wirkung folgt eine Wirkung – dieser Glaube an die Causalität hat seinen Sitz im stärksten der Instinkte, in dem der Rache.
Man verwechsele nicht: Schauspieler gehen am Ungelobtsein, ächte Menschen am Ungeliebtsein zu Grunde.
Der Gegensatz des Schauspielers ist nicht der ehrliche Mensch sondern der heimliche selbstverlogene Mensch.
(gerade unter ihnen sind die meisten Schauspieler)
4 [54]
„Es giebt Helden im Bösen, wie im Guten" – im Munde eines La Rochefoucauld ist dies eine vollkommene Naivität.
Sehen und doch nicht glauben ist die Cardinal-Tugend des Erkennenden.
In dem Bestreben, sich selber nicht zu erkennen sind die gewöhnlichen Menschen sehr fein und listig.
In D<eutschland> ehrt man das Wollen weit mehr als das Können: es ist die rechte Gegend für die Unvollkommenen und Prätensiösen.
4 [55]
Der Anblick des naiven Menschen ist eine Wollust, wofern er ein Natürlicher ist und Geist hat.
Die schlauen Menschen sind gewöhnlich einfache und nicht complicirte Menschen.
Labyrinth.
Ein labyrinthischer Mensch sucht niemals die Wahrheit, sondern immer nur seine Ariadne – was er uns auch sagen möge.
4 [56]
Daß ein M<ensch> uns bequem fällt, rechnen wir gerne seiner und unserer Moralität zu Gute.
Die Skepsis an allen moralischen Werthen ist ein Symptom davon, daß eine neue Werthtafel im Entstehen ist.
Es ist ein Fortschritt des intellektuellen Geschmacks, wenn man sich auch seines Bösen nicht mehr schämt.
Keine Phrase bereit haben, um seine Philosophie zu bestechen –
Verachtung dessen, was ich thue, und Verachtung dessen, was ich bin.
Die Kirche ist nichts als eine von Grund aus verlogene Art des St<aat>es.
Das männliche Thier ist grausam gegen das, was es liebt – nicht aus Bosheit, sondern weil es in der Liebe zu heftig sich selber fühlt und gar nicht mehr Gefühl für das Gefühl des Anderen übrig hat.
4 [57]
Wer arm an Liebe ist, ist geizig selbst mit seiner Höflichkeit.
In Sachen der Ehre sind die Frauen grob und schwerfällig.
Will man einen Freund haben, so muß man auch für ihn Krieg führen wollen d. h. man muß Feind sein können.
Sie hatten heute den guten Willen freundlich zu sein: aber wie armselig waren sie dabei, wie wenig Erfindung!
Ich unterscheide unter den philosophischen Menschen zwei Gattungen: die einen sinnen immer über ihre Vertheidigung nach, die anderen über einen Angriff auf ihre Feinde.
Der Held ist heiter – das mißfällt den Tragödien-Dichtern.
Bei höhnischen Menschen quillt das Gefühl selten heraus, aber immer sehr laut.
Es ist erstaunlich, zu welcher Thorheit selbst die Sinnlichkeit durch die Liebe verleitet werden kann, wie die Sinnlichkeit allen guten Geschmack verliert, und das Häßliche schön heißt, sobald ihr die Liebe zuredet.
4 [58]
Die sogenannten Liebenswürdigen wissen uns auf die kleine Münze der Liebe herauszugeben.
Alle welche noch nicht verlernt haben ihre Erlebnisse zu verdauen, haben auch die Faulheit des Verdauenden nicht verlernt: sie indigniren damit, in dieser Zeit der Hast und des Gedrängs.
Für das Weib giebt es einen einzigen Ehrenpunkt; daß es glauben muß mehr zu lieben als es geliebt wird. Jenseits dieses Punktes beginnt sofort die Prostitution.
Die Grausamkeit gegen den, welchen sie nicht liebt.
Wille zum Selbst, Selbstsucht ist eine feine und spät entwickelte Spezialität des Willens zur Lust: insofern jener Wille zur Lust ein Selbst ist.
„Du" ist älter als „ich" und auch im Ich noch fortlebend.
„Ich" – das ist eine Hülfs-Hypothese zum Zweck der Denkbarkeit der Welt – ganz wie Stoff und Atom.
4 [59]
Sobald die Klugheit sagt: „thue das nicht, es wird dir übel ausgelegt" – habe ich ihr immer entgegengehandelt.
Ein schlechter Ruf
Das utile ist nur ein Mittel, sein Zweck ist jedenfalls das dulce. Die Utilitarier sind dumm.
Sie lieben mich nicht: ist dies ein Grund, sie nicht zu segnen?
Siehe! Jetzt eben ward die Welt vollkommen.
4 [60]
sit tibi terra levis: will man einem in Deutschland wohl, so wünscht man ihm, daß er die Erde recht schwer finden möge.
4 [61]
Grundform,
Es wäre nicht auszuhalten: deshalb sind folgende Erleichterungen des Lebens nöthig.
Weg mit Gut und Böse!
Möglichste Zufriedenheit mit sich!
Tragische Menschen zurück!
Schonung der starken Affekte!
Die Erlösung des vielfachen Menschen.
Nicht anders handeln, sondern anders von sich denken!
Die Eitelkeit des Erhabenen!
gegen die Grausamkeit des Heroischen.
alle diese Verbesserungen des Lebens sind nutzlos, weil die Werthschätzungen nicht verändert sind z. B. Gesundheit. gegen die „Allzuschnellen".
4 [62]
Die kleinen Diebe, die kleinen Verleumder, die kleinen Hämischen und Ehrabschneider sollte man vernichten – nicht die Mörder
gegen Mücken und Flöhe soll man kein Mitleid haben.
Verächtliche und furchtbare Menschen.
Man soll den Wald schonen, man soll die Bösen schonen.
4 [63]
Giebt es Eigenthum für den Erkennenden? Wahrlich, ich vergaß es – oder verlernte ich's?
4 [64]
Unsere bösen Affekte haben auch ein Gewissen und ärgern sich, wenn sie sich haben überwinden lassen.
Das Gewissen ist ein Bauchredner, wenn es spricht, glauben wir nicht mehr, daß seine Stimme aus uns komme.
Die Religion will die Menschen fröhlich machen und an Stelle des „du sollst" ein „ich muß" setzen: sie will von der Menschen-Unmöglichkeit in der Moral befreien.
Jetzt bin ich gerecht – bedeutet in vielen Fällen „jetzt bin ich gerächt".
Seine Neigungen und Abneigungen als seine Pflicht auslegen ist die große Unreinlichkeit der „Guten".
Dem unglücklich Liebenden redet sein Stolz zu, die Geliebte verdiene es gar nicht, von ihm geliebt zu werden. Aber ein höherer Stolz sagt ihm: „Niemand verdient geliebt zu werden. – Du liebst sie nur nicht genug!"
4 [65]
Nicht durch Gegenliebe hört das Unglück des unglücklich Liebenden auf, sondern durch Mehr-Liebe.
Wenn wir einen Menschen los sein wollen, so brauchen wir uns nur vor ihm zu verkleinern – das wirkt sofort auf seine Eitelkeit und er läuft davon.
So lange du auch noch angefeindet wirst, bist du noch nicht über deine Zeit hinaus – sie darf dich gar nicht sehen können, so hoch und ferne sollst du ihr sein.
4 [66]
Zarathustra giebt immer mehr je weniger er angenommen wird.
„Geizig war ich – ihr hattet Recht, mich zu verschmähen!"
Reihenfolge der Themata zu machen nach ihrer Menschenfreundlichkeit.
er wird verbannt.
4 [67]
Seinen Affekt besiegen heißt in den meisten Fällen, ihn zeitweilig hemmen und aufstauen: also die Gefahr größer machen.
Die Meisten, welche einen Verunglückten aus der Gefahr retten, trieb nicht das Mitleid, sondern der Muth und die Gefahr.
Die Tollkühnheit hat mehr große Thaten gethan als die Nächstenliebe.
Erst macht der Mensch sich die Welt denkbar – wir sind noch dabei –: und wenn er sie einmal verstanden hat, und er fühlt daß sie nunmehr sein Werk ist – ach, und nun muß er sein Werk lieben, wie jeder Schöpfer!
Der Mann ist, so lange es Männer giebt, auf Krieg und Jagd eingeübt: deshalb liebt er jetzt die Erkenntniß als die umfänglichste Gelegenheit für Krieg und Jagd. Was ein Weib an der Erkenntniß überhaupt lieben könnte, müßte etwas Anderes – – –
4 [68]
Aus seiner Erbitterung gegen einen Menschen macht man sich die moralische Empörung zurecht – und bewundert sich dann: und aus dem Müdewerden seines Hasses die Vergebung – und bewundert sich noch einmal.
Man hat zum Verkehre mit Menschen die Lüge nicht mehr nöthig, wenn man genug der Wahrheiten hat: mit ihnen kann man sie betrügen und verführen, wohin man nur will.
4 [69]
Der höchste Muth des Erkennenden zeigt sich nicht da, wo er Staunen und Schrecken erregt – sondern da, wo von den Nicht-Erkennenden er als oberflächlich, niedrig, feige, gleichgültig empfunden werden muß.
Der Erkennende muß es auch verstehen, sich seinen eigenen Siegeskranz aufzusetzen: er kann nicht warten, weil es ihn zu neuen Verwandlungen drängt.
4 [70]
Die Leidenschaft zweier Personen für einander – das sind unter allen Umständen zwei Leidenschaften, und mit verschiedenen Curven Höhepunkten Schnelligkeiten: ihre Linien können sich kreuzen, nicht mehr.
Man sagt Lust und denkt an die Lüste, man sagt Sinn und denkt an die Sinnlichkeit, man sagt Leib und denkt an den Unterleib – und so hat man drei gute Dinge um ihre Ehre gebracht.
Die bürgerlichen und die ritterlichen Tugenden verstehen einander nicht und verleumden sich.
Auch unser Lernen und unser Fleiß sind Sache der Begabung.
Daß Jedermann lesen lernen darf und liest, das ruinirt auf die Dauer nicht nur die Schriftsteller sondern sogar die Geister überhaupt.
4 [71]
Er that mir Unrecht – das ist schlimm. Aber daß er vor mir gar noch sein Unrecht abbitten will, das ist zum Aus-der Haut-fahren!
Es gehört ein sehr guter Charakter dazu, die unangenehmen Folgen einer kleinen Thorheit nicht seinem Charakter zur Last zu legen.
Um die unangenehmen Folgen der eignen Thorheit wirklich seiner Thorheit und nicht seinem Charakter zur Last zu legen: dazu gehört mehr Charakter als die Meisten haben.
Sind wir auch nur einen Schritt über das Mittelmaaß menschl<icher> Güte hinaus, so werden unsere Handlungen getadelt.
Ihr sagt „das gefällt mir" und meint mich zu loben! – Oh ihr Narren wie ihr mir damit gefallt!
Der wissenschaftliche Mensch hat Ein Loos mit dem Seildreher: er spinnt seinen Faden länger, geht aber dabei selber – rückwärts.
4 [72]
Das Leben ist schwer zu tragen: dazu hat man Vormittags den Trotz und Nachmittags die Ergebung nöthig
Ich bin zerstreut: mein Appetit kommt erst nach der Mahlzeit.
An einer Theorie ist ihre Widerlegbarkeit wahrlich nicht der geringste Reiz.
Den constitutionellen Königen gab man die Tugend – sie können nicht mehr „Unrecht thun" – aber man nahm ihnen dafür die Macht. Seitdem wollen sie nichts als Krieg – warum doch?
Wenn man das Glück hat obskur zu bleiben, so soll man sich auch die Freiheit nehmen, die das Dunkel giebt und namentl<ich> „gut munkeln".
4 [73]
Ich hasse die Biedermänner viel mehr als die Sünder!
Liebe ich die Musik? Ich weiß es nicht – auch hasse ich sie zu oft. Doch liebt mich die Musik – und sobald mich jemand verläßt, springt sie herzu und will geliebt sein.
Wie spät zum Leuchten kommen?
Bald seinen Nacken munter zu stemmen, wie als ob das ganze Gewicht der Welt auf uns gelegt werden sollte – und bald zu zittern wie eine Rosenknospe, der ein Tropfen Thau schon zu schwer wiegt. Meine Brüder und Schwestern, thut mir doch nicht so zärtlich! wir sind allesammt hübsche lastbare Esel und Eselinnen, und durchaus keine Rosenknospen welche zittern.
4 [74]
Damit es des Hemmschuhs bedürfe, bedarf es vorerst des Rades.
Ich habe etwas zu lange in der Nähe des Todes gelebt um mich noch vor dem Leben zu fürchten.
Solche M<enschen> nenne ich „Summen"
4 [75]
Schauspieler nenne ich sie (die Mittheilenden)
Der Übermensch hat aus Überfülle des Lebens jene Erscheinungen der Opiumraucher und den Wahnsinn und den dionysischen Tanz: er leidet nicht an den Nachwehen.
Zu Vielem führt die Krankheit jetzt, was an sich nicht Symptom der Krankheit ist: zur Vision.
Nicht eure Sünde – eure Nüchternheit schreit zum Himmel.
Befreit uns von der Sünde und gebt uns den Übermuth wieder!
Der bleiche Verbrecher im Kerker und Prometheus dagegen!
Entartung!
„Wir wollen ein Wesen erschaffen" wir wollen alle dran Theil haben, es lieben, wir wollen schwanger sein alle – und uns ehren und achten deshalb.
Wir müssen ein Ziel haben, um dessentwillen wir uns alle einander liebhaben! Alle sonstigen Ziele sind vernichtenswerth!
4 [76]
Einen Philos<ophen> verstanden haben und von ihm überzeugt sein.
Heute verwandle ich alles in Gold, gieb mir, was du willst – Schicksal!
Laßt euch nicht täuschen! Die thätigsten Völker sind jetzt die müdesten! Sie haben nicht mehr Kraft genug zur Faulheit!
Das einzige Glück liegt im Schaffen: ihr Alle sollt mitschaffen und in jeder Handlung noch dies Glück haben!
Ihr sollt Chaos in euch bewahren: die Kommenden wollen sich daraus formen!
Erlösung vom ewigen Flusse.
4 [77]
Man thut seine Thaten oft als ein Opiat gegen seine Vergangenheit.
Sein Liebstes thun, ohne es mit großen Worten zu nennen – kann Heroismus sein. Scham vor den erhabenen Gebärden.
„Ich folge" – nicht „ich will".
„Ich konnte nichts entbehren als ich den Übermenschen schuf. Alles euer Böses und Falsches, eure Lüge und eure Unwissenheit – alles ist in seinem Samen."
(Gegen die reine Pflanzenkost) Wollen wir denn Lämmerseelen und schwärmerische Jungfräulein Schaffen? Löwen wollen wir und Ungeheuer an Kraft und Liebe.
Der Mensch sei ein Anlaß zu etwas, das nicht Mensch mehr ist.
Nicht uns entweltlichen – sondern die Welt überwältigen und uns in ihr.
Ich will aus der Zeugung – und aus dem Tode ein Fest machen.
4 [78]
Wir müssen so gut grausam als mitleidig sein: hüten wir uns kleiner zu werden als die Natur!
Ich lehre sowohl das Mitleiden als die Grausamkeit: ich lehre aber auch daß zu beiden Geist gehört, und Ziel.
Wir müssen die Erde für den Übermenschen bereit machen und Thier und Pflanzen
Ich impfe euch mit dem Wahnsinn
Für die Kleinen ist da was ihr zu viel an Liebe habt.
Ihr seht sie auf der Bühne, aber ihr müßt sie im Leben sehen und nicht etwa da gering achten.
Eure besten Dinge taugen nichts, ohne ein Schauspiel.
Die moralischen Menschen haben ihre Selbstgefälligkeit beim Gewissensbiß.
4 [79]
Ihr führt Krieg? Ihr fürchtet euch vor einem Nachbarn? So nehmt doch die Grenzsteine weg – so habt ihr keinen Nachbarn mehr.
4 [80]
Mit der Todtenfeier zu beginnen.
Ich sehe etwas Furchtbares voraus. Chaos am nächsten, Alles Fluß.
1. Nichts, was an sich werth hat – nichts, was befiehlt „du sollst".
2. Es ist nicht auszuhalten – wir müssen das Schaffen dem Anblick dieser Vernichtung entgegenstellen.
3. Diesen wandelnden Zielen müssen wir Ein Ziel entgegenstellen – es schaffen.
4. Als Stoff haben wir Alles Einverleibte, darin sind wir nicht frei. Diesen Stoff fassen, begreifen (durch Wissenschaft).
5. Den Übermenschen schaffen, nachdem wir die ganze Natur auf uns hin gedacht, denkbar gemacht haben.
6. Wir können nur etwas uns ganz Verwandtes lieben: wir lieben am besten ein erdachtes Wesen. Gegen ein Werk und ein Kind braucht die Liebe nicht befohlen zu werden. Vortheil des Übermenschen.
4 [81]
Ich will das Leben nicht wieder. Wie habe ich's ertragen? Schaffend. Was macht mich den Anblick aushalten? der Blick auf den Übermenschen, der das Leben bejaht. Ich habe versucht, es selber zu bejahen – Ach!
4 [82]
An's Leben zu denken soll die Sache der Erholung sein: sonst nur an Aufgaben.
Mémoires:
Primum vivere begriff ich, und was gehört alles zum vivere!
erkennen um zu leben – früher: um das Leben zu verneinen.
4 [83]
Die Auflösung der Moral führt in der praktischen Consequenz zum atomistischen Individuum und dann noch zur Zerteilung des Individuums in Mehrheiten – absoluter Fluß.
Deshalb ist jetzt mehr als je ein Ziel nöthig und Liebe, eine neue Liebe.
4 [84]
Die Gefahr der Umkehr zur Thierheit ist da. Wir schaffen allen Gestorbenen nachträglich Recht und geben ihrem Leben einen Sinn, wenn wir den Übermenschen aus diesem Stoffe formen und der ganzen Vergangenheit ein Ziel geben.
Wenn ich nicht die Menschen liebte, wie hielte ich Zarathustra aus?
Ehrt mir die Schauspieler und sucht die besten nicht auf der Bühne!
Peitsche.
4 [85]
Als Zarathustra dies gesagt hatte, winkte ihm ein Mütterchen und sprach: „Nun will ich gerne sterben, denn mein Mund hat Zarathustra nichts mehr zu lehren."
Fürchtet euch nicht vor dem Fluß der Dinge: dieser Fluß kehrt in sich selber zurück: er flieht sich selber nicht nur zweimal.
Alles „es war" wird wieder ein „es ist". Allem Zukünftigen beißt das Vergangene in den Schwanz.
Wo das „Soll" nicht mehr gefühlt wird, –
Entstehung der Liebe – Liebe als Folge der Moral.
4 [86]
Ich habe alle diese wilden Hunde noch bei <mir>, aber in meinem Keller. Ich will sie nicht einmal bellen hören.
Winkte ihm ein Mütterchen und sagte: Nun sterbe ich ruhig ich habe Zarathustra erlebt.
4 [87]
Es kommt Niemand zu mir. Und ich selber – ich gieng zu allen und ich kam zu Niemand.
4 [88]
Am Tage vor dem letzten Tage sandte Zarathustra die Jünger heim, die ihm Geleit gegeben hatten und sprach also zu ihnen:
Die Stätte, der Zarathustra gelacht hatte, muß [– –]
Jedes Ding hat 2 Gesichter: eins des Vergehens, eins des Werdens.
Je mehr Individuum, um so weiter soll die Heerde, zu der es gehört.
Der bon goût der Erkenntniß reicht in die höchste Stufe der Moralität.
Wenn ihr einen Begriff von der Qual der Verantwortlichkeit der höheren Menschen hättet!
4 [89]
Von der Moral der höheren Menschen.
Alles, was sonst Moral ist, ist hier Liebe geworden.
Aber nun beginnt ein neues „Du sollst" – die Erkenntniß des Freigeistes – die Frage nach den höchsten Zielen.
4 [90]
So wie wir die Moral nicht mehr nöthig haben, so – auch nicht mehr die Religion. Das „ich liebe Gott" – die einzige alte Form des Religiösen – ist in die Liebe eines Ideals umgesetzt – ist schöpferisch geworden – lauter Gott-Menschen.
Moral ist nöthig: wonach werden wir handeln, da wir doch handeln müssen? Und was wir gehandelt haben, müssen wir schätzen – wonach?
Irrthum in der Genesis nachweisen ist kein Argument gegen die Moral. Moral ist eine Lebensbedingung. „Du sollst"
Von der Heiligung der Leidenschaften.
Er gehorcht, so viel er kann.
Ich habe auf der schmalsten Stufe des Lebens gelebt.
Solche Leiden wie die meinigen sind die Leiden des Vergrabenen.
Jede höhere Handlung ist ein mannichfacher Bruch des Sittengesetzes.
Lehren auch den Nutzen und <die> Vernunft? Dazu sind wir lange nicht vernünftig genug.
4 [91]
Der Reihe nach alle Leidenschaften gelten lassen, aber heiligen.
Ich wollte wissen, nun treffen mich mein Loos (Vivisection) und mein Schmerz über den stummen Blick des Hundes.
Seid menschlich gegen die Schaffenden, es fehlt ihnen an Nächstenliebe.
Der Tiefe. – Du vergiebst heute, was man an dir that. Aber du hast es noch gar nicht erlebt: nach einem halben Jahre wirst du es nie mehr vergeben und vergessen.
4 [92]
Erst wenn der Geist in die Moral fährt, geht der Teufel los.
Die M<enschen> haben sich die Moral erst genommen, auch wir können uns eine Moral geben!
„Was ist das Schwerste?"
Dies Alles habe ich gethan, sprach Zarathustra, und gebe es heute billig – um eines Mädchens Lächeln.
Und hast du den Menschen nichts mehr zu sagen?
Nein, sagte Zarathustra, der Becher ist leer. Und als er das gesagt hat<te>, gieng er seines Weges und allein. Seine Jünger aber weinten.
Hütet euch dem Einsiedler wehe zu thun. Der Einsiedler ist wie ein tiefer Brunnen: leicht ist es, einen Stein hinein zu werfen, aber wie willst du ihn wieder herausbringen? Der Einsiedler vergiebt niemals.
einen Pfeil der Verachtung mehr in seinen Köcher stecken.
rupfen
4 [93]
Gebt euch nicht zu erkennen! Und müßt ihr es, nun so erzürnt, aber beschämt nicht!
Habe ich euch zu rathen, wie man sich gegen Einbrecher und Halsabschneider wehrt? ich rede zu solchen, welche ihrer Tugenden müde sind und sich gern einmal bestehlen und verleumden lassen, um ihrer Tugend ein Fest zu machen. –
4 [94]
Vergeßt mir dies nicht! Ich lehrte die M<enschen> den Übermenschen Schaffen, ich lehrte Mittag und Ewigkeit und die Erlösung vom Flusse, und meine Lehre ist: das Für Alle ist älter und eher gut geworden als das „für mich"; ihr müßt das „für mich" erst noch heiligen.
Ihr sollt eure Sinne nicht tödten sondern heiligen – unschuldig machen.
Da sagte alles Volk: wir sollen den Vernichter der Moral vernichten, –
Man muß auch als Thier vollkommen sein, will man als Mensch vollkommen werden.
Ihr werdet immer nur die Moral haben, die zu eurer Kraft paßt.
Der Übermensch, der Einsam-Wandler, der Scheue, – – –
4 [95]
ein Jünger – das ist weder ein Kind noch ein Werk", hier schwieg Zarathustra und sah verwandelt vor sich hin und mit einem harten Blicke. Seine Jünger aber traten auf ihn zu und fr<agten> ihn: „hast du uns nichts mehr anzuvertrauen – daß wir es mit uns heimbringen?"
Zarathustra gieng fürbaß bis er zu seiner Höhle und Gebirge kam: da fand er auch seinen Adler und seine Schlange. Als <er> aber die Höhle und die Thiere begrüßt hatte, wurde er auf Ein Mal sehr alt.
Damals sagte man sich unter dem Volke: es ist nicht das Schlimmste Zarathustra in die Hände zu fallen, aber nachts von ihm zu träumen.
Er besann sich lange und sprach kein Wort, während seine Thiere vor ihm warteten und der Vormittag durch das Gebirge gieng. Plötzlich veränderten sich seine Augen. Es war um die Stunde des Mittags, da fühlte er mit der Hand um sich und sagte: – – –
4 [96]
Das Unrecht soll der auf sich nehmen, der dazu f<ähig ist.>
Gefahren des Einsamen.
Pinie
Das Alles that ich und trage es auf mir – Lächeln eines Kindes
4 [97]
Hier wehet der Geist eines Helden – geh still vorbei. Er litt zu viel; er ist immer noch Willens, gerade dafür leiden zu machen.
4 [98]
Möge er selber seiner Seele gnädig sein.
4 [99]
Ich verlange alle Thaten der Aufopferung, der Güte, der heiligen Selbstsucht von euch und zu alledem sollt ihr sagen: „macht nichts Großes daraus! Es ist allein mein Geschmack!" Und ich verlange noch mehr, daß ihr der Erkenntniß nachgeht, weil ich weiß daß sie wider euren Geschmack ist, daß ihr sagt: „wir müssen wohl so sein", aber dies unser Muß soll kein Gesetz sein und den Anderen nicht zum Schatten und Ärgerniß werden.
4 [100]
Meine Brüder, ich weiß keinen Trost für das Weib als ihr zu sagen: „auch du kannst den Übermenschen gebären".
Was habt ihr mit den Wölfen und Katzen gemein? welche immer nur nehmen und nicht geben und lieber noch stehlen als daß sie nehmen?
Ihr seid die immer Schenkenden.
4 [101]
Alle eure Schwächen und Laster folgen euch noch in eurer Erkenntniß! Ein Buch ist schwer zu lesen: aber wer die Augen hat – – –
4 [102]
Schlecht behandelt werden ist euer Loos: eure Rache wird nicht gefürchtet. Dafür versinkt ihr nicht ganz in der Zeit.
4 [103]
Mitleid in Hinsicht auf den Übermenschen (Jünger – Cap<itel>).
(Cap<itel>) könnte ich den Übermenschen sehen! er sieht mich nicht, er sieht seine Vision.
(Cap<itel>) Das Gute – kein Gott gab es euch, und führt euch nicht in ein besseres Jenseits; es läßt sich nicht begründen; und ist eitler Irrthum. Also nur: „ich will!"
Die Liebe zu dem gegenwärtigen Menschen zu schildern (zum Genie) – wie es quält! wenn man es in die Ferne rückt und dann das Zerrbild sieht! (Cap<itel>)
4 [104]
Ihr sagt, ihr glaubt an Zarathustra. Aber was geht das Zarathustra an? Ihr seid meine Brüder: ich liebe euch nicht zu sehr: ein Bruder das ist weder ein Kind noch ein Werk.
Ich liebe die freien Geister wenn sie auch freie Herzen sind. Mir ist der Kopf wie das Eingeweide des Herzens. Was ein Herz annimmt, das muß der Kopf verdauen und zu Gedanken machen.
Lieber noch zürnt als daß ihr beschämt!
Und wenn euch geflucht wird, so gefällt es mir nicht, daß ihr dann segnen wollt: besser ist es ein wenig mitzufluchen. Hol mich der Teufel!
Ich empfehle allen Märtyrern zu überlegen, ob nicht die Rachsucht sie zum Äußersten trieb.
4 [105]
eure Dichter Bücher Schauspieler sollen euch den Mangel an Visionen unfühlbar machen – sie machen euch noch ärmer! Es sind nicht meine Visionen! Und die Dichter sollen lügen!
Ich will mit der Kunst nichts zu thun haben – außer der, die einen fröhlich macht! Aus Lust und Überlust! Die Lüge in der Kunst ist das Böse aus Übermuth!
Ich will euer Schreien nicht hören! Ja jetzt seid ihr „wahr"!
Umwerfen!
4 [106]
Das ist ein Gegengrund, und ich bin dir dankbar. Nun aber widerlege mir noch den Gegengrund, Freund!
Es entzückt mich dich zu sehen, sprach Zarathustra, und doch bist du es <nicht>, der mich entzückt, sondern du bist mir ein – – –
Dies ist die Stunde des Sommers, eine Stunde und nicht mehr. Du bist mir ein Hochgebirge: fest wie Eis, viel Sturm und Gewölk ...
4 [107]
Ich will mit ihnen nicht hassen und nicht lieben: ich kann ihren Schrei und ihr Glück nicht hören.
4 [108]
NB. Mit der höchsten Leidenschaft auszuführen: thöricht ist der Liebende (getäuscht) und er vermag seine Liebe nicht mitzutheilen.
Lieblos ist der Erkennende und unmittheilsam.
Lieblos und thöricht ist der Schauspieler.
4 [109]
sie verstehen mich nicht – aber schauerlich ist's, sie laufen zum beliebten Orte.
an die Gerichte sich zu wenden ist schon ein Zeichen von Verachtung.
4 [110]
Man ist stolz anzubeten, wenn man nicht Götze sein kann.
wenn die Brunst das W<eib> anfällt und sie die Bilder von M<ännern> –
Seht jenes blasse Weib; ich möchte ihr noch lieber in die Hände, obwohl sie mordlustige Hände hat, als in ihre Träume gerathen.
Wem begegnet Zarathustra zuerst? Er freut sich, sie wieder zu ertragen.
(Capitel) Ich gieng in die Einsamkeit, weil ich den Menschen lieben wollte, aber immer hassen mußte. Endlich liebte ich den Übermenschen – seitdem ertrage ich die Menschen. Ich will ihnen eine neue Hoffnung bringen! Und eine neue Furcht – sagte Zarathustra.
4 [111]
Es gab eine Zeit, wo mich ein Ekel vor mir selber anfiel: Sommer 1876. Die Gefahr des Irrthums, das schlechte wissenschaftliche Gewissen über die Einmischung der Metaphysik, das Gefühl der Übertreibung, das Lächerliche im „Richterthum" – also die Vernunft herstellen, und in der größten Nüchternheit, ohne metaphysische Voraussetzungen zu leben versuchen. „Freigeist" – über mich weg!
4 [112]
als ich jung war
Dies Alles gebe ich heute willig dahin – um das Lächeln eines Kindes. Man muß auch seine Jugend überwinden, wenn man wieder Kind sein will.
Bin ich's in Wahrheit, den ihr verehrt? Und wenn ich's bin – hütet euch daß euch nicht eine Bildsäule erschlage.
4 [113]
Jetzt erscheint der Mörder als krank: so sehr sind die moralischen Urtheile einverleibt.
ergreifende Dinge sammeln.
4 [114]
An mitleidigen Menschen ist die Härte eine Tugend.
4 [115]
Blut ist ein schlechter Zeuge für eine Wahrheit: Blut vergiftet eine Lehre, so daß sie Haß wird.
4 [116]
Als ich jung war, hatte ich einen Hang, mir wehe zu thun: man nannte es meinen Hang zum Erhabenen.
Sich von Gras und Eicheln der Erkenntniß nähren.
Der Mensch soll die Mitte zwischen der Pflanze und dem Gespenste sein.
Ich liebe alle diese schweren Tropfen, wie sie einzeln aus der dunklen Wolke niederfallen, die den Blitz in sich birgt: dieser Blitz heißt der Übermensch.
4 [117]
Das Kind in uns soll auch den Löwen in uns überwältigen – sprach Zarathustra.
Ich gebe nicht Almosen – dazu bin ich nicht arm genug – sagt Zarathustra.
Ich bin eine Stütze und ein Geländer am Strom – fasse mich wer mich fassen kann! Eine Krücke bin ich nicht
sich erniedrigen und seinem Hochmuth wehethun: seine Thorheit beichten lassen, um seiner Weisheit zu spotten.
Ich verbiete euch an diese metaphysischen Dinge zu glauben: Mißtrauen ziemt sich da, und Einsicht, woher ehemals die Werthschätzung dieser Fragen kam. Durchaus menschlich muß unsere Denkweise sein!
4 [118]
Moldenhauer
Mainländer
4 [119]
aber so du mir zuhören willst, so nimm von dem Meinen hinweg, was alles zu dir gehört.
4 [120]
Der Einsiedler mit verbissenen Zähnen – er hob mit Unlust die Zähne auseinander.
Wie ist es möglich sich mitzutheilen? Wie kann man gehört werden? Wann komme ich aus der Höhle in's Freie? Ich bin der Versteckteste aller Versteckten.
4 [121]
Seht weg! Erhebt euch in höheres Licht! Kein Mitleidiger liebt den Übermenschen!
4 [122]
Hier saß ich wartend –
Jenseits von gut und böse, bald des Lichts
Genießend bald des Schattens: ganz nur Spiel
Ganz Meer, ganz Mittag, ganz Zeit ohne Ziel.
4 [123]
Ach unser Gutes! – wir ehren unsere Vorfahren.
4 [124]
Aus Ihren Themen klingt immer etwas heraus wie Verzweiflung. H<einrichi> K<öselitz>
4 [125]
Cap<itel>: von der Abweisung des Martyriums.
4 [126]
Der Mensch eine Atomgruppe vollständig in seinen Bewegungen abhängig von allen Kräfte-Vertheilungen und -Veränderungen des Alls – und andererseits wie jedes Atom unberechenbar, ein An-und-für-sich.
Bewußt werden wir uns nur als eines Haufens von Affekten: und selbst die Sinneswahrnehmungen und Gedanken gehören unter diese Offenbarungen der Affekte.
4 [127]
Die tragischeste aller Geschichten mit einer himmlischen Lösung.
Zarathustra schrittweise größer werdend – seine Lehre schrittweise entfaltend mit diesem Größerwerden.
Die „Wiederkehr" wie eine Abendsonne über der letzten Katastrophe aufleuchtend.
4 [128]
hülflos, ohne Geist sich aus ihren Sünden zu helfen – die Lage steht „fest" für sie
Wenn man sehr leidet, so wird man bescheiden genug, um eitel zu sein.
„Ich weiß keinen Grund dagegen" – aber dies „ich weiß nicht" ist leider kein Grund dafür! Ich weiß so Vieles nicht –
4 [129]
Man lobt, wenn man lobt, immer sich selber: man tadelt, wenn man tadelt, immer das Andere.
Ich liege nieder eingehüllt durch eine dicke Melancholie – mein Leben hängt an kleinen Zufällen.
(Cap<itel>) Haltet euch die Seele frisch kühl (gegen das Mitleid)
Mitleid, wenn es stark ist, eine Höllen-Empfindung.
Mord aus höchster Liebe zu den Menschen.
4 [130]
Wie gut du heilst, Heiland. Das waren ihre Worte, denn das Weib liebte Zarathustra.
4 [131]
Wir dichten da nicht: wir rechnen. Aber damit wir rechnen können, hatten wir zuerst gedichtet.
Ich erlebe nichts mehr: ich bin auch über Erlebnisse erhaben.
Ihr Kalten und Nüchternen, ihr kennt die Entzückungen der Kälte nicht!
Ich löse dich von der Kette: stirb! – Und man sah das Weib lächeln indem es starb.
Als Zarathustra diese Worte des Weibes gehört hatte, verhüllte er sein Haupt und stützte sich.
Ist nicht dies Mitleiden eine Hölle? Ist nicht diese Inbrunst eine Flamme?
sagten die Richter mit Einer Stimme: dieser Mensch ist des Wahnsinns: er gehe, wohin ihm beliebt: und daß er nicht bleibe. Da beschloß Zarathustra bei sich die Heimkehr zur Höhle und zu seinen Thieren.
4 [132]
„Wiederkunft" gelehrt – „ich vergaß das Elend". Sein Mitleiden nimmt zu. Er sieht, daß die Lehre nicht zu ertragen ist.
Höhepunkt: der heilige Mord. Er erfindet die Lehre vom Übermenschen.
Heimkehr: Einkehr beim Einsiedler „was lehrst du nicht die Härte? Und den Haß gegen das Kleine?"
Zarathustra: das lehre du! Ich bin das nicht mehr! So war ich, als ich zu den Menschen kam. Ich bin zu arm dazu geworden, – ich gab Alles fort, auch meine Härte. – So denken die Einsiedler: Ich beschwöre dich bei der zuckenden Lippe und der Furche der Qual auf der Stirn, bei dem Lächeln der Sterbenden – er weint. (So lebe Gott) Gott ist todt: und es ist an der Zeit, daß der Übermensch lebt.
4 [133]
Den Begriff der Gerechtigkeit erheben umbilden – oder beweisen, daß das menschliche Handeln nothwendig ungerecht ist.
man kann sich außerhalb einer bestimmten Werthschätzung stellen, aber nicht außerhalb aller Werthschätzung.
die Moral abschätzen – wonach?
4 [134]
Es ist schon möglich, sich selber auszuhalten: aber wie hält man seinen Nächsten aus? er leidet zu viel.
ich wußte nicht, wie arm sie sind – ich wußte nicht, daß Nehmen schöner ist als Geben. –
Ist nicht Mitleid die Hölle Gottes? Und starb er vielleicht an dieser Inbrunst?
4 [135]
Bei der Blutrache: Grundgefühl wie alle die den Staat repräsentiren: Ehrfurcht vor einem tiefen Leiden eines Geschlechtes und Concession an dies Gefühl.
wenn wir das Schädliche mit Grauen oder Ekel verbinden, entsteht das Gefühl bös, schlecht.
Es giebt immer Menschen, welche die gefährlichen Posten lieben: und ohne hier die Beweggründe für diese Liebe zu untersuchen, oder gar ohne Weiteres zu loben – der Freigeist – –
4 [136]
Mit der Moral über uns ist das Leben gar nicht auszuhalten – wenn man kein Pharisäer ist und einen freien Blick hat – deshalb habe ich sie vernichtet.
Ein Haufen Affekte, ein primum mobile, aber in seiner Bewegung verschoben und zerdrückt durch alles, was sich bewegt.
um mich zu bejahen, vernichtete ich die Moral: ich zeigte, daß überall es den Schöpfer gab und Tyrannen zugleich. Aber das Zugleich ist nicht nöthig, weil die Heerde – – –
4 [137]
Alle Ziele sind vernichtet. Die Menschen müssen sich eins geben. Es war ein Irrthum, daß sie eins hätten: sie haben sie sich Alle gegeben. Aber die Voraussetzungen für alle früheren Ziele sind vernichtet.
Die Wissenschaft zeigt den Fluß, aber nicht das Ziel: sie giebt aber Voraussetzungen, denen das neue Ziel entsprechen muß.
4 [138]
Jeder Mensch ist eine schöpferische Ursache des Geschehens, ein primum mobile mit einer originalen Bewegung.
4 [139]
Als Gott sich selber begriff, schuf er sich selber und seinen Gegensatz.
Wie habt ihr den Weg vom Wurm zum Menschen gemacht! und Vieles in euch ist noch Wurm und ein Gedächtniß eures Weges.
4 [140]
Eisumschläge. – Mein Ekel an den Menschen war zu groß geworden. Ebenso der Gegen-Ekel an der moralischen Arroganz meines Idealismus. Ich näherte mich dem Verachteten, ich suchte in mir alles das, was ich verachtete: ich wollte meine Gluth dämpfen. Ich nahm die Partei gegen alle die Ankläger der Menschheit – ich entriß ihnen und mir das Recht zu hohen Worten.
Der kritische Trieb wollte das Leben –
Heroismus, darin, von der geringsten Kost zu leben: Wüste.
Heroismus, sich den intellektuellen Trieb selber zu erniedrigen, als Affekt auszudenken.
Ich verunglimpfte die Affekte um nachher zu sagen: ich hatte einen Affekt, nichts mehr!
Das Leben unter der Moral gar nicht auszuhalten. (Bedeutung Wagners schon früher)
4 [141]
W<agner> der übrig bleiben wird als ein M<ensch> der im Ungeschmack der Anmaaßung am weitesten gegangen ist.
4 [142]
Ich leugne moralische Triebe, aber alle Affekte und Triebe sind durch unsere Werthschätzungen gefärbt; in uns concurriren ganz verschiedene Schätzungen. Consequenz: die Vielheit der Moralen zu begreifen.
Ein beständiges Loben und Tadeln.
unsere Affekte moralisch redend
unsere Gemeingefühle moralisch redend
unsere intellektuellen Freuden <moralisch redend>
unsere Krankheiten treten als moralisches Phänomen auf
alles am Menschen ein Verbrechen, was uns gefällt oder mißfällt
aller Nutzen
Landschaft
Bett
eine Art von Krankheit moralis
andere moralische Affekte im Vordergrund bei schlechten Tagen
4 [143]
Alles was wir nicht so empfinden, geht uns wenig an. Wir vergessen es fortwährend.
Das Loben und Tadeln unserer Affekte, das Wertabschätzen also, nenne ich „Moral".
Mit der Erklärung der Töne ist noch nicht die Musik erklärt – oder gar widerlegt.
Es giebt Zeiten empörender Gleichgültigkeit gegen ein Menschenleben. Der Gegensatz dazu ist die Blutrache.
Erleichtern: so hält man sich selber erst aus – und wird aus Mitleiden wahnsinnig.
4 [144]
Mit festen Schultern steht er gestemmt gegen das Nichts: und wo Raum ist, da ist Sein.
4 [145]
Ganz Meer, ganz Mittag, ganz Zeit ohne Ziel
Ein Kind, ein Spielzeug
Und plötzlich werden Eins zu Zwei
Und Zarathustra gieng an mir vorbei.
4 [146]
ich gehe als Richter und Henker an mir zu Grunde.
4 [147]
„Gut zu etwas", „schlimm für etwas": ursprünglich sind alle moralischen Urtheile Urtheile über Mittel zu Zwecken. Aber man vergaß allmählich die Zwecke, und „gut" „schlecht" blieb übrig – als ob es an sich etwas Gutes geben könnte. Man lobte und tadelte immer in Hinsicht auf einen Zweck: endlich aber leugnete man den Zweck, um ganz voll loben und tadeln zu können, als nämlich Gefühle wie Verehrung Liebe oder Ekel sofort bei diesen Mitteln empfunden wurden.
Der Affekt also ist es, der das „Gute an sich" geschaffen hat und „das Böse an sich".
Wie es nun auch stehen möge mit diesen einverleibten „moralischen Gefühlen" – aus der Geschichte der moralischen Gefühle ergiebt sich, daß keine Gütertafel, kein letzter Zweck stehen geblieben ist – alles ist widerlegt. Wir haben eine ungeheure Kraft moralischer Gefühle
In uns, aber keinen Zweck für Alle. Unter sich sind sie im Widerspruch – sie stammen aus verschiedenen Gütertafeln, – – –
Es giebt eine ungeheure moralische Kraft, aber es giebt kein Ziel mehr, in dem alle Kraft verwendet werden könnte.
4 [148]
Was können Alle? Loben und tadeln. Dies ist der Wahnsinn des Menschen, des wahnsinnigen Thiers.
Ich sage daß der Flaum zum Apfel gehört, ich sage daß die Lüge zum Leben gehört.
Man thut viel Unrecht – und nicht nur wenn man wehe thut sondern durch Loben Wohlthat Mitleid – man vergilt nicht, wo es nöthig wäre!
4 [149]
Es giebt nur Eine Vernunft. Und es giebt nur Ein Gemüth? Eine vollkommen menschliche Ausdeutung des Weltprozesses muß zugleich – oder: für jede Phase des menschlichen Gemüths ist eine tröstliche Ausdeutung des Weltverlaufs möglich gewesen.
4 [150]
Es ist fürchterlich, zu sehen, wie ungerecht die Dinge sind. Aber da ist der Trost, daß wir die Schöpfer der Gerechtigkeit sind und daß wir an uns selber leiden.
4 [151]
Moralität – der Inbegriff aller uns einverleibten Werthschätzungen: was soll aus dieser ungeheuren Summe von Kraft werden? Nur insofern interessirt mich die Frage, wie diese Schätzungen entstanden sind.
4 [152]
Was wißt ihr davon, wie ein Wahnsinniger die Vernunft liebt?
4 [153]
(Cap<itel>) Rede an die Geistigsten.
(Cap<itel>) das verhüllte Leben.
4 [154]
Sie haben nie den Augenblick erlebt, der ihnen sagt „wir sind erbärmlich"
dieser alte Gottmensch konnte nicht lachen.
Ein Ebräer Namens Jesus war bisher der beste Liebende.
4 [155]
Nicht diesen M<enschen> den ich bisher verehrte verwarf ich: sondern das, um dessentwillen ich ihn bisher verehrte.
4 [156]
Schluß des Abschnittes. Und auch dieses Leiden der Wahrhaftigkeit wählte ich mir.
4 [157]
Du hast ihre Ideale gesehen – nun zerbrich sie selber und sei hart! Mitleid.
4 [158]
Form: dieser M<ensch> ist auf dem Kasten angekommen, der keinen Boden und keine Wände hat.
4 [159]
Wie! Ihr wollt diese dürftigen Menschen verewigen? In Ketten aneinander schließen? Laßt sie doch zu Grunde gehen! Socialisten was sind uns Reiche und Arme!
4 [160]
Wenn dies ohne Zeit in die Welt blickt, wird alles Krumme gerade
Wenn du blau siehst was nützt es dir dich selber zu überreden und zu sagen: es ist grau!
verachten
4 [161]
Es ist schwer, über das Weib etwas Falsches zu sagen: bei den Weibern ist kein Ding unmöglich – antwortete Zarathustra.
4 [162]
Der letzte Mensch – er hüstelt und genießt sein Glück.
4 [163]
Der Mensch bestimmt stehen zu bleiben, als der Überaffe, Bild des letzten Menschen, der der ewige ist.
4 [164]
Es giebt genug: die wissen nichts Besseres auf Erden als mit einem Weibe zusammen zu liegen.
4 [165]
Der M<ensch> ist eine Sache, die überwunden werden soll: was hast du dazu gethan? Was gehen mich eure guten bösen M<enschen> an?
4 [166]
Was nützt es den Geist frei zu machen, wenn er dann keine Flügel hat, um davonzufliegen?
4 [167]
Letztes Gespräch mit dem Einsiedler.
– ich lobe dich daß du nicht mein Schüler wurdest.
Einsiedler. Ich verachte die Menschen zu sehr, ich liebe sie zu sehr – ich halte sie nicht aus – ich muß mich zu sehr in Beidem verstellen.
Ich bringe ihnen eine neue Liebe und eine neue Verachtung – den Übermenschen und den letzten Menschen.
Ich verstehe dich nicht – das was du ihnen bringst, sie nehmen es nicht an. Laß sie erst betteln um ein Almosen!
Zarathustra: – – –
Aber sie brauchen nur Almosen, sie sind nicht reich genug, um deine Schätze brauchen zu können.
Ich mache Lieder und singe sie, ich lache und weine, wenn ich meine Lieder mache.
Diesen Mann habe ich nichts mehr zu lehren.
4 [168]
Diese wollen Würfel spielen und jene wollen rechnen und zählen und jene wieder wollen immer Wellen und Tänze der Wellen sehen – sie nennen's Wissenschaft und schwitzen dabei.
Aber es sind Kinder die ihr Spiel wollen. Und wahrlich, es ist eine schöne Kinderei, und etwas Lachen würde dem Spiele nicht Schaden
4 [169]
Zweck des Ascetismus: seinen Durst voll werden lassen, das eigene Schaffen muß sich stauen.
4 [170]
Es giebt viel an der Welt zu rechnen: aber die Welt auszurechnen – das ist lästig.
4 [171]
Der Gegensatz des Übermenschen ist der letzte Mensch: ich schuf ihn zugleich mit jenem.
Alles Übermenschliche erscheint am Menschen als Krankheit und Wahnsinn.
Man muß schon ein Meer sein, um einen schmutzigen Strom in sich aufzunehmen ohne schmutzig zu werden.
4 [172]
Als ich den Zweck dachte, dachte ich auch den Zufall.
Es muß möglich sein die Welt nach Zwecken und die Welt durch Zufall zu erklären: ebenso als Denken, ebenso als Wollen, ebenso als Bewegung, ebenso als Ruhe: ebenso als Gott und ebenso als Teufel. Denn das Alles ist das Ich.
Es sind nicht unsere Perspektiven, in denen wir die Dinge sehen; aber es sind Perspektiven eines Wesens nach unserer Art, eines größeren: in dessen Bilder wir hineinblicken.
4 [173]
Um das zu lernen, beschloß ich zu hassen die ich liebte, das zu tadeln was ich bisher lobte und zu sehen, was an den Bösen erst Gutes und an den Guten Böses sei. Gerechtigkeit nannte ich's.
Endlich fand ich das Schwerste: nicht zu lieben und nicht zu hassen, nicht zu loben und nicht zu tade<ln> und zu sagen: es giebt nichts Gutes und nichts Böses.
Als ich das gefunden hatte, gieng ich in die Wüste.
4 [174]
Die Welt steht fertig da, eine goldene Schale des Guten – aber der schaffende Geist will auch das Geschaffene noch schaffen – der erfand die Zeit, und nun rollt die Welt auseinander und rollt wieder in großen Ringen in sich zusammen – als ein Werden des Guten durch das Böse.
4 [175]
Ihr seid mir zu grob: ihr könnt nicht an kleinen Erlebnissen zu Grunde gehen.
4 [176]
„Und doch redet Alles anders zu mir als zu euch."
An dem Punkte wo eure Redlichkeit aufhört, hinzusehen, sieht euer Auge nicht mehr hin.
4 [177]
Geschichte = Entwicklung der Zwecke in der Zeit: so daß immer höhere aus den niedrigen wachsen. Zu erklären, warum immer höhere Formen des Lebens entstehen müssen. Darüber sind ja die Teleologen und die Darwinisten eins, daß es geschieht. Aber das Ganze ist eine Hypothese, auf Grund der Wertschätzungen – und zwar neuerer Werthschätzungen. Das Umgekehrte, daß Alles bis zu uns herab Verfall ist, ist ebenso beweisbar. Der Mensch und gerade der Weiseste als die höchste Verirrung der Natur und Selbstwiderspruch (das leidendste Wesen): bis hieher sinkt die Natur. Das Organische als Entartung.
4 [178]
In meinem Horste und Forste. Zarathustra 4.
4 [179]
Werthe ansetzen das heißt ebenso Unwerthe ansetzen. Um die Glückseligkeit der Werthschätzungen zu haben – muß man alles Böse mitnehmen und alle Unlust der Verachtung.
Dieser sagt: alle Welt ist Gedanke – Wille – Krieg – Liebe – Haß: meine B<rüder> ich sage euch: alles dies einzeln ist falsch, alles dies zusammen ist wahr.
4 [180]
Die Menschheit muß ihr Ziel über sich hinaus legen – aber nicht in eine falsche X-Welt, sondern in ihre eigene Fortsetzung.
Die Frage: wie etwas wird hat für mich immer dann Sinn wegen der Frage, was werden soll.
4 [181]
Was der Affe für uns ist, der Gegenstand einer schmerzlichen Scham das sollen wir für den Übermenschen sein.
4 [182]
Wie müßte man zu Euch reden, damit ihr verstündet! Man müßte euch krank machen!
4 [183]
Sobald der Wille auftritt hat das Gefühl den Eindruck der Befreiung. Das nennt man Freiheit des Willens. Das Gefühl ist nämlich leidend gedrückt – und sobald der Wille auftritt pausirt es und leidet nicht
4 [184]
Kaum seid ihr geboren, so fangt ihr auch schon an zu sterben.
4 [185]
Mitleid und Liebe Gegensatz der Moral. Darin keine Gerechtigkeit! Kein Gehorsam, keine Pflicht! Keine Wahrheitsliebe und Redlichkeit! Dazu Verlassen des eigenen Wegs – Charakter der Leidenschaft – und ihre Unvernunft.
4 [186]
Habe ich nicht einen neuen Geruch und eine neue Farbe erfunden? – Also sprach Zarathustra.
Das Meer trug dich: – – –
Wer von euch hat die umfänglichste Seele
Seiltänzer auf die niedrigste Stufe setzen.
4 [187]
Und wohin ich auch steige, überallhin folgt mir mein Hund, der heißt „Ich".
4 [188]
Das Ich erst in der Heerde. Gegensatz dazu: im Übermenschen ist das Du vieler Ichs von Jahrtausenden zu Eins geworden. (also die Individuen sind jetzt zu Eins geworden
4 [189]
Das Ich enthält auch eine Mehrzahl von Wesen (wie in der Heerde) kein Widerspruch. Ebenso als Mehrheit von Kräften. Mitunter pausirend – unsichtbar, wie der Strom der Elektricität.
Strebt sich zu verdichten, ist am stärksten als Diamant, am schöpferischsten? Wirklich? Als Volk noch mehr?
4 [190]
Sie gehen zu den Kohlenbrennern und reden ihnen von der ewigen Qual.
4 [191]
Rede mit einem Könige (Cap<itel>).
4 [192]
Die Geschichte der großen Augenblicke – dahin gehört auch die Lehre vor den Kohlenbrennern.
4 [193]
Und wenn ihr das Kleine nicht zertreten könnt, wenn ihr nicht Fliegenwedel sein wollt: so geht in die <Einsamkeit.>
4 [194]
unser Auge sieht Falsch, es verkürzt und zieht zusammen: ist das ein Grund, das Sehen zu verwerfen und zu sagen: es ist nichts werth?
4 [195]
Aber glaubt ihr daß Zarathustra fand, was er suchte? Glaubt ihr daß ein Blinder gerade Wege geht? – Und so geschah es, daß Zarathustra diesmal nicht untergieng.
4 [196]
Die Krankheit ist ein plumper Versuch zum Zwecke der Gesundheit. Kürzt diesen Versuch ab!
4 [197]
das Machtgefühl, Wetteifer aller Ich's, den Gedanken zu finden der über der Menschheit stehen bleibt, als ihr Stern – das Ich ein primum mobile.
4 [198]
Ziel: auf einen Augenblick den Übermenschen zu erreichen. Dafür leide ich alles! Jene Dreiheit!
Das ruhigste äußere Leben, weil sich so viel ereignet
4 [199]
Ist es nicht gleichgültig, daß möglichst Viele M<enschen> möglichst lange leben?
Ist das Glück dieser Vielen nicht eine verächtliche Sache und keine Rechtfertigung des Daseins?
Der Sinn deines Lebens sei, das Dasein zu rechtfertigen – und dazu mußt du nicht nur des Teufels Anwalt, sondern sogar der Fürsprecher Gottes vor dem Teufel sein.
4 [200]
Er liebte die Menschen weil Gott sie liebt. Er wollte sie erlösen, um Gott zu erlösen.
Liebe zu den Menschen war das Kreuz, an welches er geschlagen wurde; er wollte Gott aus seiner Hölle erlösen: welche ist die Liebe Gottes zu den Menschen.
4 [201]
Denn die Menschen hören schwer: und wer klug ist, zerschlägt ihnen die Ohren, daß sie anfangen mit den Augen zu hören.
lachten sie nicht mehr sondern sahen Zarathustra an.
und überall Oberfläche, – – –
4 [202]
Rede an den Felsen – ich liebe es, daß er nicht spricht. Seine Schweigsamkeit ist würdig (Alles moralisch)
4 [203]
Das Ich weiß nichts von sich in der Pflanze: es zerspaltet sich bei der Zeugung; es ist in Vielen eins (Heerde) es erlischt hier – was liegt daran? Der Zufall des Ichs (bei verschiedenen Wesen) gleichgültig.
4 [204]
(das verhüllte Leben)
ein bleicher Jüngling
Manchen wirst du nie entdecken
Pinie
(der letzte Mensch: eine Art Chinese)
So oft ihn sein Geist trieb, gieng Zarathustra auf einen Berg und schrieb unterwegs seine Sprüche auf. Und einmal, als er mit sich allein war, rühmte er sich und sprach
Ihr sollt sein wie Bäume die über dem Meere hängen und sich biegen von – – –
Allein geht er; denn seine Gestalten umringen ihn, die er nur sieht. Und trifft er seines Gleichen, so umarmen sich ihre Geister, und mit 4 Augen sehen sie dieselben Gestalten.
das Gerechte ist, daß ich alledem ein Recht zu Schaffen suchte, was mir im Grunde zuwider war
ein Baum: die Blätter losmachen und ihnen eine kleine Bewegung geben und ebenso die Wurzel und die Zweige u.s.w.
Der Einsiedler sah ihn lange an – – –
Zarathustra, sagte der Einsiedler, du bist arm geworden – und wenn ich ein Almosen von dir wollte, würdest du mir es wohl geben?
4 [205]
Bei aller Moral handelt es sich, höhere Zustände des Leibes zu erfinden oder zu suchen, wo bisher getrennte Fähigkeiten zusammen möglich sind.
4 [206]
Horcht nicht darauf, was gut und böse ist – geht den Weg zu neuen Guten, und schafft uns Böses und Gutes. Es giebt 1000 noch nicht begangene Wege!
4 [207]
Im Menschen hausen viele Geister wie Thiere des Meeres – die kämpfen mit einander um den Geist „Ich": sie lieben es, sie wollen, daß es sich ihnen auf den Rücken setze, sie hassen sich einander um dieser Liebe willen.
– das Ich, das bewegliche Kätzchen mit dem silbernen Thieresfrohsinn.
Wann litt je ein Ertrinkender an Durst!
und wieder quiekt das Kätzchen Ich und wieder ist Einer glücklich und wieder sind alle neidisch.
Ein schöner Trost für solche, die jung genug dazu sind, sagte das alte Weibchen.
Bin ich gemacht, Bußprediger zu sein? Bin ich gemacht zu rasseln gleich einem Priester und einer Pauke?
4 [208]
Ich lehre euch den Übermenschen: die große Verachtung müßt ihr euch selber lehren.
4 [209]
(Cap<itel>) Die Brüderschaft der Rechtfertiger.
4 [210]
Sie haben im Guten und Bösen nicht die Scham des Geistes: und loben und tadeln als ob
und im Geiste haben sie nicht die Scham des Guten und Bösen:
Sie werfen die Bilder um und sagen: es giebt nichts Hohes und Anbetungswürdiges – weil sie selber kein Bild und keinen Gott schaffen können.
Hört doch die Verachtung aus ihrer Wuth gegen die Bilder – die große Verachtung gen sich selber!
Ich liebe die verschwenderischen Seelen: sie geben nicht zurück und wollen keinen Dank denn sie schenken immer.
da gehn sie für sich fort
4 [211]
Ich erkläre auch eure Tugenden aus dem Zukünftigen.
Nicht eure Tugenden verwerfe ich, sondern eure Tugendhaften.
Der Freund als der beste Verächter und Feind.
Wie wenige sind würdig!
Das Gewissen des Freundes sein. Jede Erniedrigung bemerken. Gewissen nicht nur moralisch zu nehmen: auch Geschmack, auch als Verbleiben in seinen Grenzen.
Der Freund als Dämon und Engel. Sie haben für einander das Schloß zur Kette. In ihrer Nähe fällt eine Kette ab. Sie erheben sich einander. Und als ein Ich von Zweien nähern sie sich dem Übermenschen und jauchzen über den Besitz des Freundes, weil er ihnen den zweiten Flügel giebt, ohne den der eine nichts nützt.
4 [212]
Es ist kühl, die Wiese liegt im Schatten, die Sonne gieng.
Ist es nicht ungereimt zu leben? Müßten wir nicht mehr Vernunft haben, um aus dem Leben eine Vernunft zu machen?
Meine Brüder, verzeiht der Seele Zarathustras daß es Abend ist.
4 [213]
Das Erfinden von Zuständen
Es ist an der Zeit, daß der Mensch sich ein Ziel stecke. Noch ist er zum höchsten Ziele reich und wild genug. Ich sage euch: ihr habt noch Chaos und Anprall der Gestirne in euch, um einen Sternentanz gebären zu können.
Einst aber wird der Mensch zu arm geworden sein, einst wird er selbst zur Wuth der Verachtung nicht genug Rad und Schwung sein.
4 [214]
Unsere Verachtung des M<enschen> trieb uns hinter die Sterne. Religion, Metaphysik, als Symptom einer Begierde, den Übermenschen zu schaffen.
4 [215]
Schwanger geht die Menschheit, wunderlich sind die Schwangern!
4 [216]
(Cap<itel>) Beweise dich mir! Welches ist deine Pflicht?
4 [217]
1. Die Hervorhebung von Zuständen und das Streben nach ihnen. Bedeutung für den Leib.
2. Diejenige Auffassung des Ich von sich selber entsteht, bei der der Heerden-Typus erhalten bleibt.
3. Übelbefinden und das Böse.
Das Ausbrechen ganzer moralischer Strömungen als Correcturen des Leibes.
Was bedeutet Ascetismus?
Buddhismus und Mönchthum als Herstellung gesunder Leiber (gegen die vernichtenden und schwächenden Affekte).
Moral als eine Gleichnißsprache über eine unbekannte Region der leiblichen Zustände. – Hier <ist> noch ganz von Wille und Zweck die Rede und von gar nichts Anderem.
1. Die Anpassung der leiblichen Begierden an einander.
2. Die Anpassung des Leibes an ein Klima bringt Moralen zum Ausdruck.
3. Der Leib der herrschenden Kaste bringt eine Moral.
4. Der Leib für die nöthige Arbeit und Vielheit der Arbeit.
5. Die Erhaltung des Typus bringt eine Moral hervor. Das Zu-Grunde-Gehende des Typus und die Unmoralität.
also scheinbar ohne chemische Mittel den Leib verändern – – in Wahrheit handelt es sich bei der Moral (darum,) die chemische Beschaffenheit des Leibes zu verändern.
Ungeheurer Umweg. In wiefern es möglich ist, direkter zu gehen?
„Gesundheits-Begriff und Ideal abhängig vom Ziele des Menschen" –? aber das Ziel selber ist ein Ausdruck einer bestimmten Beschaffenheit des Leibes und deren Bedingungen.
Der Leib und die Moral.
4 [218]
Und er wußte seine Tugend nicht zu überwinden.
Der Löwe in ihm zerriß das Kind in ihm: und endlich fraß der Löwe sich selber.
Grausam war dieser Held und wild – – –
Seht, ich lehre euch die Liebe zum Übermenschen.
– – – lud er auf sich und zerbrach unter der Last.
4 [219]
Leidenschaften = Zustände unserer Organe und deren Rückwirkung auf das Gehirn – mit einem Suchen nach Auslösung.
4 [220]
Man nannte ihn einen Weisen, aber er war es nicht.
4 [221]
Die Stellung der Religion zur Natur war ehemals die umgekehrte: die Religion entsprach der populären Auffassung der Natur.
Jetzt ist die populäre Auffassung die materialistische. Folglich muß das von der Religion, was jetzt da ist, so zum Volke reden: materialistisch.
4 [222]
rechtwinklig am Leibe, mit starkem Nacken
den Bändiger des Löwen durch den Löwen umbringen
4 [223]
Ihr sollt nicht viele Tugenden haben wollen – ihr seid nicht reich genug dazu. Eine Tugend ist schon viel Tugend: damit sie lebe, müßt ihr schon zu Grunde gehen.
4 [224]
Ich lebe, damit ich erkenne: ich will erkennen, damit der Übermensch lebe.
Wir experimentiren für ihn!
4 [225]
Der durchgängig schöpferische Charakter alles Geschehens – – –
Die Freiheit des Willens ist viel besser bewiesen als Ursache und Wirkung (eigentlich ist Ursache Wirkung nur eine populäre Folgerung)
4 [226]
Wir sind zu geduldig gegen schlechte Luft: und du selber bist Anderen schlechte Luft.
Drei oder 2.
Wer uns nicht fruchtbar macht
4 [227]
Ein Aufsuchen desjenigen an der Wahrheit was mir wehethut, und Alles opfern, eine ungeheure Spannung
nichts im Kopfe als eine persönliche Moral: und mir ein Recht dazu zu Schaffen ist der Sinn aller meiner historischen Fragen über Moral. (Es ist nämlich schrecklich schwer, dies Recht sich zu schaffen!)
4 [228]
Ich liebe die Menschen welche ihre Tugend zu Grunde richtet.
seht, ich zeige euch die Brücke zum Übermenschen!
<Ich liebe die,> welche ihre Seele verschwenden, die nicht danken und nie zurückgeben, weil sie immer schenken.
4 [229]
Der die Zukünftigen rechtfertigt und die Vergangenen erlöst.
Und wer mitleidig ist, soll aus seinem Mitleiden sich Pflicht und Verhängniß Schaffen, und wer treu ist, dem soll Treue seine Pflicht und sein Verhängniß werden – und du kannst nicht Geist genug für deine Tugend haben.
Dein Leben sei ein Versuch – dein Mißlingen und Gelingen sei ein Beweis: aber sorge dafür, daß man wisse, was du versucht und bewiesen hast.
sie sagten: laßt uns der Welt absterben, sie suchten ihr Heil hinter den Sternen – sie fanden das Wort nicht vom Übermenschen. Sie verleumdeten ihre Gesundheit, – – –
Vieles macht mir Ekel an euren Guten und wahrlich nicht ihr Böses.
Ich wollte, sie hätten einen Wahnsinn, an dem sie zu Grunde giengen, wie der bleiche Verbrecher an seinem Wahnsinn,
Ich wollte, ihr Wahnsinn hieße Mitleid oder Treue oder Gerechtigkeit.
Aber sie haben ihre Tugend, um lange zu leben,
damals war der Zweifel, das Suchen nach Gerechtigkeit, das Mitleid mit dem Freunde – – –
4 [230]
Und sein Gelehrter soll ein Büßer des Geistes sein.
Und seine Rede mißfiel Allen, doch Einem gefiel sie.
Umgang.
Der Gelehrte.
Ruf zum Alleinstehen und Sich-lossagen!
4 [231]
Das Recht zu meinen eigenen Werthen – woher nahm ich das? Aus den Rechten aller alten Werthe und den Grenzen dieser Werthe.
4 [232]
Sinn der Ehe: ein Kind, das einen höheren Typus darstellt als die Eltern.
NB. sie müssen dich verachten, wenn du über sie hinweg gehst – sie verstehen nicht das Über-Sich.
Du sehnst dich nach Liebe – aber nein, du mußt Verachtung tragen lernen.
An's Geld hängt ihr euer Herz und verliert für euch selber euer Herz. Eisenbahn und Staat ist der Nutzen Vieler und das Verhängniß.
Denen, die nicht zu den Vielen gehören.
Ihr verliert eure Vorsicht, eure Luchsaugen und eure Bärentatzen.
4 [233]
Die Worte des Werthes sind Fahnen dort aufgepflanzt, wo eine neue Seligkeit erfunden wurde – ein neues Gefühl.
4 [234]
Zuweilen will ich von dir: daß du klug seist von Grund aus und daß du stolz seist von Grund aus: dann wird dein Stolz immer deiner Klugheit zur Seite gehen. Du wirst die Pfade der Thorheit gehen: aber ich beschwöre auch deine Thorheit, daß sie den Stolz zu ihrem Geleit immer nehme. Willst du aber thöricht sein – – –
Rathe ich euch die Nächstenliebe? Lieber noch Nächstenfurcht und Fernstenliebe.
Ich entdeckte ein neues Land im Menschen
wo die Seele überwallt
ihr zeigt mir den Pinsel und den Farbento<p>f und sagt: wir haben das Bild widerlegt.
Die Gesellschaft verdirbt.
die träumende Zukunft
Ihr flieht euch selber: und immer gerathet ihr aus dem Regen der Selbstverachtung unter die Traufe der Nächstenliebe.
Auch noch die Katzen und die Wölfe sollen mir Vorbild sein: sie halten ihr Selbst fester.
(Fliegenwedel) gegen die täglichen kleinen Ärger.
4 [235]
Ein Gott, der sich schlecht beweist, ist so gut als ein Gott, der sich gar nicht beweist.
Das ist ein Gott, der sich gar nicht oder schlecht beweist.
Wenn 100 beieinander stehen, verliert ein Jeder seinen Verstand und bekommt einen anderen.
Oh diese armseligen Freundschaften! Soviel sie ihren Freunden leisten, soviel verspreche ich noch meinen Feinden zu leisten – und will nicht ärmer geworden sein.
4 [236]
Und wie ein Kind mit dem kleinen Fuße eine Scherbe vor sich hin treibt, so thöricht stößt uns das Leben vorwärts.
4 [237]
Ja, mit Schwerem beladen, eilte ich in meine Wüste: da aber fand ich erst mein Allerschwerstes.
seiner eigenen Tugend Schmied und Ambos, seines eigenen Werkes und Willens ein Prüfstein.
Vieles Schwere giebt es und als ich jung war, forschte ich viel nach dem Schwersten.
Ja, ich lief in die Wüste – und erst dort in der einsamsten Wüste, fand ich mein Allerschwerstes.
Dieses Schwerste – das wurde das Liebste mir, einem Gotte gleich lehrte ich mein Schwerstes ehren.
seufzte tief und sprach nicht mehr.
4 [238]
Und wenn einer euch ein großes Unrecht thut, so sorgt nur dafür, daß ihr dem, der es that, auch ein kleines thut, so ist es menschlich.
4 [239]
Und du glaubst, daß die Gerechtigkeit dir schon nachhinken werde?
4 [240]
Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe als in deiner Vernunft. Und auch das, was du deine Weisheit nennst, – wer weiß wozu dein Leib gerade diese Weisheit nöthig hat.
4 [241]
Ich erkannte, daß Hirten und Heerdenzüchter diese Tafeln schufen: also gründeten sie Leben und Dauer ihrer Heerden.
4 [242]
Ja, alle diese Last trug ich! Ich kniete nieder und lud alle diese Last auf mich, einem Kameele gleich beugte ich das Haupt und eilte fort in die Wüste.
Wo sind die Wahrheiten welche leiden machen? rief ich.
Der erste war der Drache und sprach: „Unwerth ist aller Dinge werth", „Widerspruch ist im Herzen aller Werthe"
Da erkannte ich den Ursprung von Gut und Böse: und daß das Ziel der Menschheit fehle.
Mir das Recht zu geben, die Dinge mit neuen Namen und Werthen zu nennen, war das Schwerste.
Alle Pflanzen neidete ich – ich neidete auch alle Gespenster.
Mit den höheren Werthen die Gütertafeln zerbrechen
die eigenen Tafeln stellte ich neben die anderen – welcher Muth und Schrecken war das!
4 [243]
ihr seid die Verächter des Leibes
4 [244]
Ich sah mir das Auge dieser Größten an und kroch in ihre Seelen. Ach!!! – Schilderung der Genies und Heiligen. Bei der Frage ob es schon gegeben habe! – Gab es welche, so wußte die Erde nichts darum.
4 [245]
Am meisten verehrt werden die Prediger des langsamen Todes.
4 [246]
(Cap<itel>) Was wurde Zarathustra am schwersten? Sich von der alten Moral zu lösen.
4 [247]
Cap<itel>. Wollt ihr Lohn? Es ist mir das Maaß eurer Tugend, was ihr als Lohn wollt!
4 [248]
Eine neue Farbe gab ich <der> Erde – den Schleier einer neuen Hoffnung breitete ich um die Erde.
4 [249]
Blut gründet Kirchen: was hat Blut mit Wahrheit zu schaffen!
Und wollt ihr Recht von mir haben, so beweist mir mit Gründen und nicht mit Blute.
4 [250]
(Cap<itel>) Die Kleinen. Geht fort in die Einsamkeit, ihr könnt den kleinen Tropfenfall nicht aushalten.
4 [251]
und plötzlich schlägt es die Augen auf, die Augen des Kindes und der Blüthe. Was ist geschehen? Die Hand eines Schaffenden berührte es. Die Sonne eines Schaffenden errieth den verborgenen Gott.
4 [252]
Zur Erde hernieder und in ihre Hütten führte ich die Verflogenen: in der Höhe lehrte ich tief sein.
4 [253]
Sagt, wo sind sie hin, diese lieben Weisen? Fallen ihnen nicht die Augen zu? – Hier und da giebt es noch Solche um dich: die predigen mit sanfter Stimme vom Guten und Bösen.
Selig sind diese Schläfrigen.
4 [254]
Gab es schon Übermenschen? Werth unserer Cultur.
4 [255]
sie spinnen am Rande des Irdischen und ihre feinen Augen werden blind in dieser Dämmerung.
4 [256]
Tausend Arten zu leben erfinden – nicht mehr bloß für Heerden!
4 [257]
Kost und Küche verräth sie – das ist das Gemeine! Wir müssen lernen, das Gemeine zu adeln.
4 [258]
sich sehnen und fragen und nur Tränen vergießen u.s.w. – Gegen die Religiösen.
es ist nicht mehr redlich. Zum Glauben reicht es nicht!
Folglich: Entsagung nach dieser Seite!
4 [259]
Euren herrschenden Gedanken will ich hören und nicht nur daß ihr einem Irrsinn entronnen seid.
Seid ihr solche, die einem Irrsinn entrinnen dürfen? Oder warft ihr euren letzten Werth fort, als ihr eure Dienstbarkeit wegwarft ...
Frei, wovon? – was schert es noch Zarathustra, wenn euer Auge scheel blickt bei der Frage: frei wozu?
Euren herrschenden Gedanken will ich hören, daß er euch vor mir freispreche! – oder ich werde euch meine Gedanken wie Geißeln um eure Ohren schlagen.
4 [260]
Eine Sonne, um die sich die Schlange der Erkenntniß ringelt.
4 [261]
„das Irdische" – ihr müßt lernen, es anders empfinden.
Die falschen Werthmaaße beseitigen, die aus einer unbekannten Welt genommen sind
Der Mensch steht hoch – – viell<eicht> gelingt plötzlich ein höheres Wesen!
4 [262]
(Cap<itel>) Die angebliche Liebe Gottes und „alles für unser Bestes"
4 [263]
Das Gute es will sich durch das Alte erhalten
4 [264]
Sie möchten gerne entlaufen: sie können aber zu anderen Sternen keine Wege finden, so glauben sie, es gäbe unterirdische Wege – ganz andere Arten und gleichsam Schleichwege. – Die seltenen Zustände wurden als überirdisch empfunden. Wonne und Krampf zusammen.
Ihr seid mir an Liebe nicht reich genug, für die Liebe zum All!
Unsere Gefühle – das ist die ganze menschliche Vergangenheit bis zu dir und mir: die geschaffenen Werthe.
Unsere höheren Gefühle – wir müßten sie ausrotten, wenn wir nicht ein neues Ziel ihnen geben!
Ohne diese trübe Wolke am Himmel hättest du auch die trübe Erkenntniß nicht!
4 [265]
Meine Richtung der Kunst: nicht dort weiter dichten, wo die Grenzen sind! sondern die Zukunft des Menschen! Viele Bilder müssen da sein, nach denen gelebt werden kann!
4 [266]
Gegen die Hinterweltler.
Dein Leben ein Versuch und Denkmal deines Versuchs.
Künstler wirkten dazu, daß das Leben nicht verbessert wurde. Der Künstler selber meistens das Opfer seiner Werke.
Büßer des Geistes
der Schaffende
4 [267]
Es ist ein Opfer darin, diese Hinter-Welt aufzugeben. Männlichkeit!
Das Irdische genügt uns nicht – folglich das Himmlische – Fehlschluß.
Die Natur verbietet, euch dies Eindringen!
Im Anfang eine runzlige Knolle, und eine böse Wurzel mit mehreren Giften getröpfelt – jedes Gefühl.
4 [268]
ein Schaffender ist, der neue Werthe schafft. Aber der Künstler nicht!
4 [269] die Zusammenkunft der Einzelnen (Fest)
4 [270]
Einen Bogen habe ich, Götter! Welch ein Bogen – gegen Götter selbst ein guter Bogen!
4 [271]
Die große Probe: bist du bereit, das Leben zu rechtfertigen? Oder das Sterben für dich?
Auf der niedrigsten Stufe es noch aushalten.
Manchem führte Krankheit diesen zweiten Weg.
Entsagung.
Die große Mitte. – Die Entscheidung über Leben- und Sterben-wollen.
4 [272]
Staat und Kirche und alles, was sich auf Lügen gründet, dient den Predigern des Todes.
4 [273]
Ihr meint, im Dunklen müsse die Lösung eures Räthsels sein! Aber seht das Schicksal eines Wurmes an. In eurem Ziele und eurer Hoffnung liegt die Lösung: euer Wille ist's!
Kein Gott mischte je sich ein! Aber ihr unterwarft euch zu viel dem Herkömmlichen, auch der Natur.
Aber der Wissende sieht, wie jede Liebe und Sonne sich den häßlichen Unkräutern neigte.
4 [274]
In den kleinsten Sand steckte mancher Vogel Strauß seinen Kopf.
4 [275]
Wenn du von einer niederen Tugend zu einer höheren schreitest – – –
Eure Würde will ich euch erst geben: ihr sollt die Büßer des Geistes sein!
Ruinen soll man nicht zerstören: Gras und Rosen und winzige Kräuter und was sie immer schmückt von Lebendigem, das Alles zerstört auch das Todte.
Dieses Ich ist noch am besten bewiesen, dieses Ich, das sich selber widerspricht.
Wahrlich die Welt ist gut verborgen vor den M<enschen>. Der Bauch des Seins wird nie zu den M<enschen> reden!
Wozu sagte ich euch das? So wurde der Lügner zum Wegweiser des Übermenschen
Scheidung
4 [276]
Der Entschluß. Unzählige Opfer muß es geben. Ein Versuch.
4 [277]
Das süßeste Weib ist noch bitter von Geschmack.
4 [278]
Wenn der Nutzen Vieler unser Nutzen ist, so sollen wir's nicht Tugend nennen, wenn wir Vielen nutzen. Zur Nächstenliebe.
4 [279]
Entschlagt euch doch dieser falschen Sternguckerei!
Der Bauch des Seins wird nie zu euch reden.
4 [280]
3 Verwandl<ungen>
Schlaf und Tugend
1001 Ziel
die Verächter des Leibes.
Hinterwelt.
die eigne Tugend.
Vom bleichen Verbrecher
der Baum am Berge
Lesen und Schreiben.
Prediger des Todes.
Der neue Götze.
Einsamkeit 2. 1.
Freund.
Soldaten.
Nächstenliebe.
Keuschheit.
Weg des Schaffenden.
Weiber.
Natterbiß.
Ehe.
Tod. von der heiligen Selbstsucht.
[Dokument: Heft und Mappe mit losen Blättern]
[November 1882 - Februar 1883]
5 [1]
1. Wille zum Leben? Ich fand an seiner Stelle immer nur Wille zur Macht.
2. Der beständige Feuereifer für eine Sache, und sei es die höchste, die eigene, verräth, wie alle Dinge, die auf unbedingtem Glauben beruhen, einen Mangel an geistiger Vornehmheit: deren Abzeichen ist nämlich immer – der kühle Blick.
3. Ich empfinde alle Menschen als schädlich, welche dem, was sie lieben, nicht mehr Gegner sein können: sie verderben damit die besten Dinge und Personen.
4. Es giebt Personen, welche Jedermann zu einem Ja oder Nein in Bezug auf ihre ganze Person nöthigen möchten: zu ihnen gehörte Rousseau: ihr Leiden am Größenwahn stammt aus ihrem wahnsinnigen Mißtrauen gegen sich.
5. Man muß auch die Jugend in sich überwinden, wenn man wieder Kind werden will.
6. Mit seinen Absichten rationalisirt man sich seine unverständlichen Triebe: wie es z. B. der Mörder thut, der seinen eigentlichen Hang, zum Morde nämlich, damit vor seiner Vernunft rechtfertigt, daß er dabei einen Raub zu machen oder eine Rache zu nehmen beschließt.
7. Das Vergnügen, das alle Moral bisher gewährte und noch gewährt – also das, was sie bisher erhalten hat – liegt darin, daß sie Jedermann das Recht giebt, ohne lange Prüfung, zu loben und zu tadeln. Und wer hielte das Leben aus, ohne zu loben und zu tadeln!
8. Dies ist die crux der moralischen Pessimisten: wollten sie ernstlich den Nächsten in seiner Erlösung fördern, so müßten sie sich entschließen, ihm das Dasein zu verleiden, also sein Unglück <zu> sein; sie müßten aus Mitleid – böse werden!
Wäre es Wahr, daß das Leben nicht verdient bejaht zu werden, so triebe der moralische Mensch gerade durch seine Selbstverleugnung und Hülfsbereitschaft Mißbrauch mit seinem Nächsten, – zu seinem persönlichsten Vortheil.
9. Ich will wissen, ob du ein schaffender oder ein umsetzender Mensch bist, in irgend einem Betrachte: als Schaffender gehörst du zu den Freien, als Umsetzender bist du deren Sklave und deren Werkzeug.
10. Möglichst viel und dies möglichst schnell: das will die große Geistes- und Gefühlskrankheit, welche bald „Gegenwart" bald „Bildung" genannt wird, in Wahrheit aber ein Vorzeichen der Schwindsucht ist.
11. Weib und Genie arbeiten nicht. Das Weib war bisher der höchste Luxus der Menschheit. In allen Augenblicken, wo wir unser Bestes thun, arbeiten wir nicht. Arbeit ist nur ein Mittel zu diesen Augenblicken.
12. Nicht gegen das, was uns zuwider ist, sondern gegen das, was uns gar nichts, angeht, sind wir am unbilligsten.
13. So wie wir auch nur einen Schritt über das Mittelmaaß menschlicher Güte hinausgehen, erregen unsere Handlungen Mißtrauen. Die Tugend ruht nämlich „in der Mitte".
14. Ihr sagt „das gefällt uns" und meint mich zu loben. Oh ihr Narren! Wie sehr ihr mir damit gefallt!
15. Von allein Geschriebenen liebe ich nur das, was Einer mit seinem Blute schreibt. Darin liebe ich das Buch.
Seiner Affekte hat man sich nicht zu schämen, dazu sind sie zu unvernünftig.
16. Für den, der viel von seiner Vernunft beschwert wird, ist der Affekt eine Erholung; nämlich als eine Unvernunft.
17. Dieses Jahrhundert liebt es, den geistigsten Männern einen Geschmack für unreife, geistig arme und demüthige Volks-Weiberchen zuzusprechen, den Geschmack Faustens für Gretchen – dies zeugt wider den Geschmack des Jahrhunderts und seiner geistigsten Männer.
18. Schlimm genug! Die Zeit zur Ehe kommt viel früher als die Zeit zur Liebe: letztere gedacht als das Zeugniß der Reife, bei Mann und Weib.
19. Wenn ein Weib einen Mann angreift, so ist es nur um sich vor einem Weibe zu verteidigen. Wenn ein Mann mit einem Weibe Freundschaft schließt, so meint es, er thue es, weil er nicht mehr erreichen könne.
20. Es ist unmöglich, zu leiden, ohne irgendwen es entgelten zu lassen; schon jede Klage enthält Rache.
21. Meine Brüder und Schwestern, thut mir doch nicht so zärtlich! Wir sind allesammt hübsche lastbare Esel und Eselinnen und wahrlich keine zitternden Rosenknospen, denen ein Tropfen Thau schon ein Zuviel dünkt!
22. Das Leben ist schwer zu tragen: aber wozu hätte man auch Vorinittag<s> seinen Trotz und Nachmittags seine Ergebung?
23. Ich bin erstaunt: mein Hunger kommt oft erst nach der Mahlzeit.
24. An einer Theorie ist es wahrlich nicht der geringste Reiz, daß sie widerlegbar ist.
25. Diesen constitutionellen Königen gab man die Tugend: sie können seitdem nicht mehr „Unrecht thun" – aber man nahm ihnen dafür die Macht.
26. Wenn man das Glück hat, obskur zu bleiben, so soll man sich auch die Freiheiten nehmen, die das Dunkel giebt und namentlich „gut munkeln".
27. Um die unangenehmen Folgen der eigenen Thorheit wirklich seiner Thorheit und nicht seinem Charakter zur Last zu legen – dazu gehört mehr Charakter als die Meisten haben.
28. Der wissenschaftliche Mensch hat Ein Loos mit den Seildrehern: er zieht seinen Faden immer länger, geht aber selber dabei – rückwärts.
29. Nicht in seine Hände zu gerathen ist mir das Schlimmste: sondern in seine Gedanken.
30. Vieles erleben: Vieles Vergangene dabei miterleben; Vieles eigene und fremde Erleben als Einheit erleben: dies macht die höchsten Menschen; ich nenne sie „Summen".
31. Man hat den Tod nahe genug, um sich nicht vor dem Leben fürchten zu müssen.
32. Damit es des Hemmschuhs bedürfe, bedarf es vorerst des Rades. Die Guten sind der Hemmschuh: sie halten auf, sie erhalten.
<33.> Die Biedermännerei geht mir wider den Geschmack.
<34.> Nach 300 Jahren zum Leuchten kommen – ist meine Ruhmsucht.
<35.> Liebe ich die Musik? Ich weiß es nicht: auch hasse ich sie zu oft. Doch liebt mich die Musik, und sobald jemand mich verläßt, springt sie herzu und will geliebt sein.
<36.> Sie lieben mich nicht: ist dies ein Grund, sie nicht zu segnen?
37. „Siehe! Jetzt eben ward die Welt vollkommen": so denkt jedes Weib wenn es aus ganzer Liebe gehorcht.
38. Man soll das Böse schonen, wie man den Wald schonen soll. Es ist wahr, daß durch das Lichten und Ausroden des Waldes die Erde wärmer wurde – –
39. Gegen Mücken und Flöhe soll man kein Mitleid haben. Man thäte recht, die kleinen Diebe, die kleinen Verleumder und Ehrabschneider zu hängen.
40. Man soll den verächtlichen Menschen nicht durch ein Wort mit dem furchtbaren Menschen zusammenkoppeln.
41. Das Böse und der große Affekt erschüttern uns und werfen alles um, was morsch und klein an uns ist: ihr müßt erst versuchen, ob ihr nicht groß werden könnt.
42. Unser Zartgefühl hält uns in der Verstellung und macht uns gedrückt, sagen wir frei: „so gefällt es mir – was gehn mich Gründe an!"
43. In Bezug auf die meisten Wahrheiten haben Frauen ein Gefühl, als ob einer ihnen unter die Haut gucken wolle.
44. Außer unserer Fähigkeit zu urtheilen besitzen wir auch noch unsere Meinung von unserer Fähigkeit zu urtheilen.
45. Du hast den Muth nicht, dich zu verbrennen und zu Asche zu werden: so wirst du niemals neu, und niemals wieder jung!
46. Die Ehe ist für die durchschnittlichen Menschen ausgedacht, welche weder der großen Liebe noch der großen Freundschaft fähig sind, die Meisten also: aber auch <für> jene ganz Seltenen, welche sowohl der Liebe als der Freundschaft fähig sind.
47. Ihr Liebhaber der Erkenntniß! Was habt ihr denn bis jetzt aus Liebe für die Erkenntniß gethan? Habt ihr schon gestohlen und gemordet, um zu wissen, wie es einem Diebe und Mörder zu Muthe ist?
48. Auch über den Werth des Erkennens ist gelogen worden: die Erkennenden sprachen von ihm stets zu ihrer Vertheidigung – sie waren stets zu sehr die Ausnahmen und beinahe die Verbrecher.
49. Dicht an den Freund herantreten, aber nicht zu ihm übertreten! Man <soll> in seinem Freunde auch den Feind ehren.
50. Je abstrakter die Wahrheit ist, die du lehren willst, um so mehr mußt du auch die Sinne zu ihr verführen.
51. Die Feinheit des Mitleids besteht darin, daß es erräth, ob der Leidende Mitleid wolle.
52. „Gehorsam" und „Gesetz" – das klingt aus allen moralischen Gefühlen heraus. Aber „Willkür" und „Freiheit" könnte am Ende noch der letzte Klang der Moral werden.
53. Das Kind als Denkmal der Leidenschaft zweier Personen; Wille zur Einheit bei Zweien.
54. Man muß seinen Durst abwarten und voll werden lassen: sonst wird man nie seine Quelle entdecken, die nie die eines Anderen sein kann!
55. Du mußt auch deinen Teufel groß erziehen und wachsen lassen: damit du die kleinen Teufeleien los wirst.
56. Die großen Epochen unsres Lebens liegen dort, wo wir den Muth gewinnen, unser Böses als gut umzutaufen.
57. Auch die Wahrhaftigkeit ist nur eins von den Mitteln zur Erkenntniß, eine Leiter – aber nicht die Leiter.
58. Der Wille, einen Affekt zu überwinden ist zuletzt doch nur der Wille eines anderen Affektes.
59. Wer selber den Willen zum Leiden hat, steht anders zur Grausamkeit: er hält sie nicht an sich für schädlich und schlecht.
60. Personen, die man bei einem Unternehmen benutzt hat, das mißrathen ist, soll man doppelt belohnen.
61. Heroismus – das ist die Gesinnung eines Menschen, welcher ein Ziel erstrebt gegen das gerechnet er gar nicht mehr in Betracht kommt. H<eroismus> ist der gute Wille zum Selbst-Untergange.
62. Die ungeheure Erwartung in Betreff der Geschlechtsliebe verdirbt den Frauen alle weiteren Perspektiven.
63, Wer das Große nicht mehr in Gott findet, findet es überhaupt nicht mehr – er muß es leugnen oder schaffen.
64. Die unbedingte Liebe enthält – auch die Begierde mißhandelt zu werden: sie ist dann Trotz gegen sich selber, und aus der Hingebung wird zuletzt selbst der Wunsch der Selbst-Vernichtung: „Gehe unter in dies ein Meere!"
65. Wollust und Selbstverstümmelung sind nachbarliche Triebe. Es giebt auch unter den Erkennenden Selbstverstümmler: sie wollen durchaus nicht Schaffende sein.
66. Es giebt Naturen, welche kein Mittel findet sich zu ertragen als indem sie nach ihrem Untergange streben.
67. Je näher du der völligen Erkaltung kommst, in Bezug auf alles bisher Werthgeschätzte, um so mehr näherst du dich auch einer neuen Erhitzung.
68. Alles Gute ist die Verwandlung eines Bösen: jeder Gott hat einen Teufel zum Vater.
69. „Was muß ich thun, damit ich selig werde?" Das weiß ich nicht, aber ich sage dir: sei selig und thue dann, wozu du Lust hast.
70. Man gewinnt etwas lieb: und kaum hat man es von Grund aus liebgewonnen, so ruft jener Tyrann in uns: „gerade das gieb mir zum Opfer" – und wir geben's.
71. Ich rathe nicht zur Arbeit, sondern zum Kampfe, ich rathe nicht zum Frieden sondern zum Siege. Eure Arbeit sei ein Kampf, euer Friede ein Sieg.
72. Ich weckte euch aus dem Schlafe: denn ich sah, daß ein Alp euch drückte. Und nun seid ihr mißmuthig und sagt mir: „was sollen wir nun thun? Alles ist noch Nacht!" – ihr Undankbaren! Schlafen sollt ihr wieder und besser träumen!
73. Jede Kirche ist der Stein am Grabe eines Gottmenschen: sie will durchaus, daß er nicht wieder auferstehe.
Alles am Weibe ist ein Räthsel, alles am Weibe hat eine Lösung: sie heißt Schwangerschaft.
74. Gut und Böse sind die Vorurtheile Gottes – sagte die Schlange. Aber auch die Schlange selber war ein Vorurtheil Gottes.
75. Was kann es helfen! Du verstehst nun einmal nichts anderes als bellen und beißen – so sei denn wenigstens mein Hund – sagte Zarathustra.
76. Ich kenne alles Böse und alles Gute – ich kenne auch, was jenseits des Bösen und des Guten ist – sagte Zarathustra.
77. Heute liebe ich mich wie meinen Gott: wer könnte mich heute einer Sünde zeihen? Ich kenne nur Sünden an meinem Gotte; wer aber kennt meinen Gott?
78. Willst du das Leben leicht haben? So bleibe immer bei der Heerde und vergiß dich über der Heerde. –
79. Im Kriege schweigt die Rache von Person zu Person.
80. Ihr sollt den Frieden lieben als das Mittel zum neuen Kriege!
81. Seht nicht in die Sonne! Der Mond ist noch zu hell für eure nächtigen Augen!
82. Ihr sagt: „das ist dunkel". Und in Wahrheit: ich stellte euch eine Wolke vor die Sonne. Aber seht ihr nicht, wie die Ränder der Wolke schon glühen und licht werden?
83. Man ist nur für das eigene Kind schwanger.
84. Da stehen sie da, die Kleinen, wie Gras und Kraut und Gestrüpp – unschuldig an ihrer Erbärmlichkeit. Und nun schleiche ich mich durch sie hindurch und zertrete so wenig ich kann – aber der Ekel frißt mir dabei am Herzen.
85. Was erhielt mich denn? Immer nur die Schwangerschaft. Und jedesmal wenn das Werk geboren war, hieng mein Leben an einem dünnen Faden.
86. Der Ekel vor dem Schmutze kann so groß werden, daß er uns hindert, uns zu reinigen.
87. Als Schaffender lebst du über dich hinweg – du hörst auf, dein Zeitgenosse zu sein.
88. Ach, ihr wolltet es besser als gut haben! Das ist eure Thorheit.
89. Man kann nur schweigen, wenn man Pfeil und Bogen hat: sonst schwätzt und zankt man.
90. Daß ihr mitleidig seid setze ich voraus: ohne Mitleid sein heißt krank im Geiste und Leibe sein. Aber man soll viel Geist haben, um mitleidig sein zu dürfen! Denn euer Mitleid ist euch und Allen schädlich.
91. Ich liebe das Mitleiden, das sich unter einer harten Schale birgt: ich liebe das Mitleiden, um des willen man sich einen Zahn ausbeißt.
92. Es geht eine falsche Rede: „wer sich selber nicht erlösen kann, wie könnte der Andere erlösen?" Aber wenn ich den Schlüssel zu deiner Kette habe, warum müßte dein und mein Schloß dasselbe sein?
93. Im Kriege erst seid ihr heilig, und wenn ihr Räuber und grausam seid.
94. („Eine Form" nennen sie's, was sie tragen: Einförmigkeit ist's was sie damit bedeuten.)
95. Ich liebe etwas: und kaum liebe ich es von Grund aus, so sagt der Tyrann in mir: „gerade das will ich zum Opfer". Diese Grausamkeit ist in meinen Eingeweiden. Seht: ich bin böse.
96. Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar den Krieg heilige? Ich sage: der Krieg ist es, der jede Sache heiligt!
97. Vernunft ist auch in mir eine Ausnahme, sagte Zarathustra: Chaos und Nothwendigkeit und Wirbel der Sterne – das ist auch in der weisesten Welt die Regel.
98. Man soll aus seinem Tode ein Fest machen, und sei es auch nur aus Bosheit gegen das Leben: gegen dieses Weib, das uns verlassen will – uns!
99. Wir haben Beide etwas für uns: wie schön ist es da zu streiten – du hast die Leidenschaft, ich die Gründe!
100. Ich bin nicht groß genug – diese Empfindungen nicht zu haben: aber ich bin groß genug, mich ihrer nicht zu schämen.
101. „Es lebt Niemand, der mich loben dürfte. Und wen dürfte Zarathustra nicht loben?"
102. Aus meinem eigenen Gifte mache ich Balsam für meine Gebresten: und ich melkte die Milch aus dem Euter meiner Trübsal.
103. Ich habe mich enthüllt und schäme mich nicht, so nackt dazustehen. Scham heißt der Unhold, der sich zu den Menschen gesellte, als es sie über die Thiere hinaus gelüstete. („Rede an die Thiere")
104. Es steht den Menschen frei, an Zarathustra zu glauben: aber was geht das Zarathustra an?
105. Ich kam euch zu helfen, und ihr beklagt euch, daß ich nicht mit euch weinen will.
106. Jeder Gottmensch schuf seinen eigenen Gott: und es giebt keine ärgere Feindschaft auf Erden als die zwischen Göttern.
107. Bekenne dich zu deinem Willen und sprich zu uns Allen „nur dies will ich sein": hänge dein eigenes Gesetz der Strafe über dich auf: wir wollen ihre Vollstrecker sein!
108. Seid ihr zu schwach, euch selber Gesetze zu geben: so soll ein Tyrann auf euch sein Joch legen und sagen: „gehorcht, knirscht und gehorcht" – und alles Gute und Böse soll im Gehorsam gegen ihn ertrinken.
109. Gieb zurück und vergilt; vergilt reichlich, Gutes und Schlimmes – sei spröde im Annehmen, zeichne aus dadurch, daß du annimmst.
110. Nimm dich vor den Katzen in Acht: sie geben nie, sie vergelten nicht einmal – sie entgegnen nur und schnurren dabei.
111. Sagt mir, ihr Vögel, die ihr weit herum kommt und viele Verborgene seht: wer hat unter allen Menschen die umfänglichste Seele? wie kleine Länder sind die umfänglichsten Seelen
112. Du hast noch die volle Unschuld der Bewunderung: du glaubst nicht daran, je bewundert werden zu können.
113. Ich rede und das Kind spielt: wer kann ernsthafter sein, als wir Beide es sind?
114. Du hast dich selber überwunden: aber warum zeigst du dich mir nur als den Überwundenen? Ich will den Siegreichen sehen: wirf Rosen in den Abgrund und sprich: „Hier mein Dank dem Unthiere, dafür daß es mich nicht zu verschlingen wußte!"
115. Da sitzest du am Strande, frierst und hungerst: es ist nicht genug sein Leben zu retten!
116. Wer würde es mir glauben, sprach Zarathustra, daß ich zum Geschlechte der Jähzornigen gehöre, und zu dem der Wollüstigen, der Glaubens-Wüthigen, der Rachsüchtigen? Aber der Krieg hat mich geheiligt.
117. Das Glück des Mannes heißt „ich will", das Glück des Weibes „ich muß".
118. Unten im Grunde ist auch der beste Mann böse: unten im Grunde ist auch das beste Weib schlecht.
119. Ich muß ein Engel sein, wenn ich nur leben will: aber ihr lebt unter anderen Bedingungen.
120. Wer zu seinem Gotte spricht: ich will dir auch mit all meiner Bosheit dienen – ist der frömmste Mensch.
121. Du sagst, ich solle dein Lehrer sein! Sieh zu, daß ich deine Schwinge sei und nicht dein Hemmschuh.
122. Wie sollte ich auf eine so furchtbare Weise Spaaß machen?
Was kümmert mich das Schnurren dessen, der nicht lieben kann, gleich der Katze?
123. Manche That wird gethan, um eine andere That damit zu vergessen: es giebt auch opiatische Handlungen. Ich bin dazu da, daß ein Anderer vergessen wird.
124. Ich thue mein Liebstes und eben deshalb scheue ich mich, es mit hohen Worten zu nennen: ich will nicht <zu> glauben wagen, es sei ein erhabener Zwang, ein Gesetz, dem ich gehorche: ich liebe mein Liebstes zu sehr als daß ich mich ihm gezwungen zeigen möchte.
125. Nicht eure Sünde – eure Nüchternheit schreit gen Himmel.
126. Ihr seid mir zu arm an Leben geworden: nun wollt ihr, daß die Sparsamkeit die Tugend selber sei.
127. Goldne Zeit, da man den Übermuth für die Quelle des Bösen hielt!
128. Ihr sollt Chaos in euch bewahren: alle Kommenden müssen Stoff haben, um sich daraus zu formen.
129. Laßt euch nicht täuschen! Die thätigsten Völker haben die meiste Müdigkeit in sich, ihre Unruhe ist Schwäche – sie haben zum Warten und zur Faulheit nicht mehr Inhalt genug.
130. Gieb mir heute einmal den bösesten Wurf deiner Würfel, Schicksal. Heute verwandle ich Alles in Gold.
131. Es kommt Niemand mehr zu mir. Und ich selber: ich gieng zu Allen, aber ich kam zu Niemand!
132. Ans Leben zu denken soll die Sache der Erholung sein: sonst nur an unsere Aufgaben!
133. Wir müssen so gut grausam als mitleidig sein: hüten wir uns, ärmer zu werden als die Natur es ist!
134. „Ich konnte nichts entbehren als ich den Übermenschen schuf. In seinem Samen ist noch alles euer Böses und Falsches, eure Lüge und eure Unwissenheit."
135. Der Mensch sei der Ansatz zu etwas, das nicht Mensch mehr ist! Arterhaltung wollt ihr? Ich sage: Art-Überwindung!
136. Will ich denn Lammseelen und schwärmerische Jungfräulein schaffen? Löwen will ich und Ungeheuer an Kraft und Liebe.
137. So weit soll es kommen, daß die obersten Feste des Menschen die Zeugung und der Tod sind!
138. Wir müssen nicht nur die Erde, sondern auch Thiere und Pflanzen für den Übermenschen bereit machen.
139. Die besten Dinge taugen nichts ohne einen Schauspieler, der sie erst „aufführt".
140. „Man muß euch mit dem Wahnsinn impfen" – sagte Zarathustra.
141. Ich habe alle diese wilden Hunde noch bei mir, aber in meinem Keller. Ich will sie nicht einmal bellen hören.
142. Ans Leben zu denken soll Sache der Erholung sein: sonst soll man nur an Aufgaben denken.
143. Ehret mir die Schauspieler und sucht die besten ja nicht auf der Bühne!
144. Wenn ich nicht die Menschen liebte, wie hielte ich Zarathustra aus?
145. Ihr führt Krieg? Ihr fürchtet euren Nachbar? So nehmt doch die Grenzsteine weg: so habt ihr keinen Nachbarn mehr. Aber ihr wollt den Krieg: und darum erst setztet ihr die Grenzsteine.
146. „So will ich leben, bestrahlt von den Tugenden einer Welt, die noch nie da ist."
147. Jedes Ding hat zwei Gesichter, eins des Vergehens, eins des Werdens.
148. Dieser gute feine strenge Sinn im Erkennen, aus dem ihr durchaus euch keine Tugend machen wollt, ist die Blüthe vieler Tugenden: aber das „du sollst" ist nicht mehr zu sehen, aus dem er entsprang, die Wurzel ist unter der Erde.
149. Die Liebe ist die Frucht des Gehorsams: aber oft liegen Geschlechter zwischen Frucht und Wurzel: und die Freiheit ist die Frucht der Liebe.
150. Je freier und fester das Individuum ist, um so anspruchsvoller wird seine Liebe: endlich sehnt es sich nach dem Übermenschen weil Alles Andere seine Liebe nicht stillt.
151. Gebt euch nicht zu erkennen! Und müßt ihr es, so erzürnt, aber beschämt nicht!
152. Kam ich denn euch zu rathen, wie man sich gegen Einbrecher und Halsabschneider wehrt? Ich rede zu solchen, die ihrer Tugend müde sind und welche sich wohl einmal auch bestehlen und tödten lassen.
153. Und hast du den Menschen nichts mehr zu sagen? fragten seine Jünger. „Nein, sagte Zarathustra, der Becher ist leer." Und als er das gesagt hatte, gieng er seines Weges, allein. Die ihn aber gehen sahen, weinten.
154. Hütet euch den Einsiedler zu beleidigen: er vergiebt nie. Der Einsiedler ist wie ein tiefer Brunnen: es ist leicht, einen Stein in ihn zu werfen: wie aber wolltest du den Stein wieder herausholen, wenn er erst auf den Grund fiel?
155. Seid menschlich gegen die Schaffenden! Es ist in ihrer Art, daß sie arm an Nächstenliebe sind.
156. Bevor man vergeben kann, muß man erst erleben, was einem angethan ist: und bei tiefen Menschen dauern alle Erlebnisse lange.
157. In jeder Handlung eines höheren Menschen ist euer Sittengesetz hundertfach gebrochen.
158. Ich kann auf der schmalsten Stufe des Lebens noch stehen: aber wer wäre ich, wenn ich diese Kunst euch zeigte? Wollt ihr einen Seiltänzer sehn?
159. Ah, wie weich seid ihr gebettet! Ihr habt ein Gesetz – und einen bösen Blick gegen den, der gegen das Gesetz auch nur denkt. Wir aber sind frei: was wißt ihr von der Qual der Verantwortlichkeit gegen sich selber! –
160. Ich lehre euch die Erlösung vom ewigen Flusse: der Fluß fließt immer wieder in sich zurück, und immer wieder steigt ihr in den gleichen Fluß, als die Gleichen.
161. Dies lehrte ich mich: die Menschen haben sich alle Moral gegeben: obschon sie jetzt glauben, sie hätten sie nur genommen. Wohlan! Auch wir können uns noch ein Gutes und ein Böses geben!
162. Was ist dem Menschen am schwersten zu thun? Die zu lieben, die uns verachten: von unserer Sache lassen, wenn sie ihren Sieg feiert: um der Wahrheit willen der Ehrfurcht widersprechen; krank sein und den Tröster abweisen; in kaltes und schmutziges Wasser steigen; mit Tauben Freundschaft schließen; dem Gespenste die Hand reichen, wenn es uns fürchten macht: – dieß Alles, sagte Zarathustra, habe ich gethan und trage es auf mir: und dies Alles gebe ich heute weg um ein Geringes – um das Lächeln eines Kindes.
163. Erkennen wollte ich: grausam mußte ich sein. Floh ich die Rache? Wußte ich nicht um die stummen Augen aller Verletzten?
164. Man soll auch als Thier vollkommen sein – sagte Zarathustra.
165. Man ist stolz anzubeten, wenn man nicht Götze sein kann.
166. Ich liebe die freien Geister, wenn sie auch freie Herzen sind. Mir ist der Kopf wie der Magen des Herzens – aber man soll einen guten Magen haben. Was das Herz annimmt, das muß der Kopf verdauen.
167. Ein Talent haben ist nicht genug: man muß auch die Erlaubniß haben, es zu haben!
168. Mitleid eine Höllen-Empfindung: Mitleid ist selbst das Kreuz, an das der geschlagen wird, der die Menschen liebt.
169. Haltet euch die Seele frisch und kühl und rauh! Die laue Luft der Gefühlvollen, die matte schwüle Luft der Sentimentalen sei ferne von euch!
170. „Eingehüllt in dicker Schwermuth: mein Leben hängt an kleinen Zufällen." Der Einsiedler.
171. Wenn man sehr leidet, so wird man wohl selbst bescheiden genug, einmal eitel zu sein – sagte der Einsiedler: er hob mit Unlust seine Zähne auseinander, die er sonst verbissen hatte.
172. „Ich gebe nicht Almosen – dazu bin ich nicht arm genug" – sagte Zarathustra.
173. Ich bin eine Stütze und ein Geländer am Strom: fasse mich, wer mich fassen kann! – Eine Krücke bin ich nicht.
174. „Der Mensch soll die Mitte zwischen der Pflanze und dem Gespenst sein."
175. Blut ist ein schlechter Zeuge für Wahrheit: Blut vergiftet eine Lehre, so daß sie ein Haß wird.
176. An mitleidigen Menschen ist die Härte eine Tugend.
177. Morden-Wollen, Hassen, Mißtrauen sind jetzt begleitende Phänomene körperlicher Erkrankung: so sehr sind die moralischen Urtheile uns einverleibt. – In wilden Zeitaltern erscheint vielleicht die Feigheit und das Mitleid als Symptom der Erkrankung. Vielleicht können auch Tugenden Symptome sein; – – –
178. Das ist der Mensch: eine neue Kraft, eine erste Bewegung: ein aus sich rollendes Rad; wäre er stark genug, er würde die Sterne um sich herumrollen machen.
179. Mit festen Schultern steht der Raum gestemmt gegen das Nichts. Wo Raum ist, da ist Sein.
180. Ihr habt mir gesagt, was der Ton und das Ohr ist: aber was geht dies die Künstler der Töne an? Habt ihr die Musik damit erklärt – oder gar widerlegt?
181. Es giebt keine sittlichen Triebe, aber alle Triebe sind durch unsere Werthschätzungen gefärbt.
182. Was ist Leben? Ein beständiges Lob und Tadeln.
183. Wenn zum Schädlichen sich das Grauen gesellt, entsteht das Böse; wenn der Ekel, das Schlechte.
184. Zarathustra: So lange eure Moral über mir hieng, athmete ich wie ein Erstickender. Und so erwürgte ich diese Schlange. Ich wollte leben, deshalb mußte sie sterben.
185. Was ist der Mensch? Ein Haufen von Leidenschaften, welche durch die Sinne und den Geist in die Welt hineingreifen: ein Knäuel wilder Schlangen, die selten des Kampfes müde werden: dann blicken sie in die Welt, um da ihre Beute zu machen.
186. Man kann nicht leben, ohne zu schätzen: aber man kann leben ohne zu schätzen, was ihr schätzt.
187. Da liegt nun das Blei ihrer Schuld auf ihnen: sie sind so unbehend, so steif: wenn sie nur den Kopf schütteln könnten, würde es herab rollen. Aber wer bewegt diese Köpfe?
188. Ich will euch zwingen, menschlich zu denken: eine Nothwendigkeit für die, welche <als> Menschen denken können. Für euch würde eine Nothwendigkeit der Götter nicht wahr sein.
189. Ungeheuer ist die Kraft des Lobens und Tadelns: aber wo ist das Ziel, in welches diese Kraft verschlungen werden könnte?
190. Und was zu schlecht war zum Fraß der Hunde – das gerade warft ihr noch eurem Gotte vor. Starb er vielleicht an eurer Nahrung?
191. Euren Seelen fehlt der Weihrauch der Scham: aber zum guten Apfel gehört auch sein Flaum.
192. Wenn Unwetter heraufziehn, sollst du deine Beschlüsse schlafen legen.
193. Man soll nur da Götter befragen, wo allein Götter antworten können.
194. Bevor das Schicksal uns trifft, soll man es führen wie ein Kind und – ihm die Ruthe geben: hat es uns aber getroffen, so soll man es zu lieben suchen.
195. Gottlos schien es den Älteren von uns und unersättlich gierig, in den Eingeweiden der Erde nach Schätzen zu wühlen.
196. Hüte dich Todte zu erwecken, daß dich nicht der Blitz treffe.
197. Der größte Frevel ist der Frevel am Menschen, nachdem es keine Götter mehr giebt: und für die Eingeweide der unerforschbaren Dinge das Menschliche geringschätzen.
198. Werde nothwendig! Werde hell! Werde schön! Werde heil!
Dieser liebt den Vogel in seinem Fluge und jener sieht nur Morgenröthen und Meere.
199. Hütet euch die Särge der Lebenden zu versehren
200. sich um der großen Gegenstände willen regen und sonst langsam sein und – – –
201. Liebe ich die Vergangenheit? Ich vernichtete sie um zu leben. Liebe ich die Gegenwärtigen? Ich sehe von ihnen weg, um leben zu können.
202. Nicht glauben können auf lange!: das Wissen verliert im Augenblick der Eroberung seinen Werth. Also Schaffen!
203. Ein höheres Wesen als wir selber sind zu Schaffen, ist unser Wesen. Über uns hinaus schaffen! Das ist der Trieb der Zeugung, das ist der Trieb der That und des Werks. – Wie alles Wollen einen Zweck voraussetzt, so setzt der Mensch ein Wesen voraus, das nicht da <ist>, das aber den Zweck seines Daseins abgiebt. Dies ist die Freiheit alles Willens! Im Zweck liegt die Liebe, die Verehrung, das Vollkommensehen, die Sehnsucht.
Lob des Waldes. Heilig sei dieser Baum, wo ich dich dachte
Gewöhnung zur Dankbarkeit.
ihr sollt nicht tödten, bevor das Thier nicht nickt.
Verurtheilt dazu, Henker zu sein, ihr Gelehrten!
204. Ich fürchtete mich unter Menschen: es verlangte mich unter Menschen und nichts stillte mich. Da ging ich in die Einsamkeit und schuf den Übermenschen. Und als ich ihn geschaffen, ordnete ich ihm den großen Schleier des Werdens und ließ den Mittag um ihn leuchten.
205. Unsterblich ist der Augenblick, wo ich die Wiederkunft zeugte. Um dieses Augenblicks willen ertrage ich die Wiederkunft.
206. Was ist es, das den Dingen Sinn, Werth, Bedeutung verlieh? Das Schaffende Herz, welches begehrte und aus Begehren schuf. Es schuf Lust und Weh. Es wollte sich auch mit dem Wehe sättigen. Wir müssen alles Leiden, das gelitten worden ist, von Menschen und Thieren, auf uns nehmen und bejahen, und ein Ziel haben, in dem es Vernunft erhält.
207. Es giebt keine Erlösung für den, der am Dasein leidet als nicht-mehr-an-seinem-Dasein-zu-leiden. Wie erreicht er das? Durch den schnellen Tod oder durch die lange Liebe.
208. Jede Handlung schafft uns selber weiter, sie webt unser buntes Gewand. Jede Handlung ist frei, aber das Gewand ist nothwendig. Unser Erlebniß – das ist unser Gewand.
209. Begehren ist das Glück: Sättigung als Glück ist nur der letzte Augenblick des Begehrens. Ganz Wunsch sein ist Glück, und immer wieder ein neuer Wunsch.
210. Ich rede mit dir, meine Weisheit, unter 4 Augen: ich will, ich begehre, ich liebe – und darum lobe ich das Leben. Wenn ich nicht schüfe, sondern nur erkannte, würde ich es hassen.
211. Die Nicht-That, das Gehen-Lassen, das Nich-schaffen, das Nicht-Zerstören – das ist mein Böses. Der Erkennende als der Nicht-Begehrende auch.
212. Das Leere, das Eine, das Unbewegte, das Volle, die Sättigung, das Nichts-Wollen – das wäre mein Böses: kurz: der Schlaf ohne Traum.
213. Erkennen ist ein Begehren und Durst: Erkennen ist ein Zeugen. Liebe zum Leiblichen und zur Welt ist die Folge des Erkennens als eines Willens. Als ein Schaffen ist alles Erkennen ein Nicht-erkennen. Das Durch-schauen wäre der Tod, der Ekel, das Böse. Es giebt gar keine Form des Erkennens als die des Erst-Schaffens. Subjekt sein –
214. Die größte Gefahr ist der Glaube an das Wissen und Erkanntsein d. h. an das Ende des Schaffens. Dies ist die große Müdigkeit. „Es ist nichts."
215. Alles Erkennen hat als Schaffen kein Ende. Jedem Menschen müßte eine Erklärung der Welt entsprechen, die ganz ihm gehörte: ihm als einer ersten Bewegung. Wir wollen immer uns nicht zu uns bekennen und schielen nach der Heerde.
216. Unrecht wird erst recht dort gethan, wo wir jemandem Wohl thun: Recht und Unrecht hat nicht mit Wohl und Wehe, sondern mit Nutzen und Schaden zu thun.
217. Man wird euch die Vernichter der Moral nennen: aber ihr seid nur die Erfinder von euch selber.
218. Das sind meine Feinde: die wollen umwerfen und sich selber nicht aufbauen. Sie sagen: „alles das ist ohne Werth" – und wollen selber keinen Werth schaffen.
219. „der Erwachte" bin ich: und ihr – kaum seid ihr geboren, so fangt ihr auch schon an zu sterben.
220. Was können Alle? – Loben und tadeln. Dies ist die Tugend des Menschen, dies ist der Wahnsinn des Menschen.
221. Man thut immer Unrecht – sagt die Gerechtigkeit – und nicht nur wenn ihr euch wehethut, sondern auch wenn ihr euch wohlthut, liebt und nützt. Man vergilt nicht, man schadet durch Lob und Liebe, weil sie nicht vergelten.
222. Was wißt ihr davon, wie ein Wahnsinniger die Vernunft liebt, wie ein Fieberkranker das Eis liebt!
223. In der Wissenschaft, im Erkennen sind die Triebe heilig geworden: „der Durst nach Lüsten, der Durst nach Werden, der Durst nach Macht". Der erkennende Mensch ist in der Heiligkeit weit über sich hinaus.
224. Ich war in der Schule: ich lebte zur Erkenntniß. Da reinigte sich meine Seele, Alle Begierden wurden heilig. Es ist die Vorschule: die Einsamkeit des Erkennenden. So wie zu den Sachen sollt ihr euch zu den Menschen verhalten: eure Liebe soll über allen einzelnen Sachen und einzelnen Menschen sein.
225. Der Wille zum Leiden: ihr müßt zeitweilig in der Welt leben, ihr Schaffenden. Ihr müßt beinahe zu Grunde gehen – und hinterdrein euer Labyrinth und eure Verirrung segnen. Ihr könnt sonst nicht schaffen, sondern nur absterben. Ihr müßt eure Auf- und Untergänge haben. Ihr müßt euer Böses haben und zeitweilig wieder auf euch nehmen. Ihr ewig Wiederkehrenden, ihr sollt selber aus euch eine Wiederkehr machen.
226. Schaffen ist Erlösung vom Leiden. Aber Leiden ist nöthig für den Schaffenden. Leiden ist sich-Verwandeln, in jedem Geborenwerden ist ein Sterben. Man muß nicht nur das Kind, sondern auch die Gebärerin sein: als der Schaffende.
227. Man muß vergehen wollen, um wieder entstehen zu können – von einem Tage zum anderen. Verwandlung durch hundert Seelen – das sei dein Leben, dein Schicksal:
Und dann zuletzt: diese ganze Reihe noch einmal wollen!
228. Seht ihn an, ob er ein reines Auge und einen Mund ohne Verachtung hat. Seht ihn an, ob er geht, wie ein Tänzer.
229. Ihr müßt oft Alles verlassen, euer Weib, euer Land, eure Nützlichkeit: ihr müßt in eurem Leben die Sonne stillstehen heißen.
230. Euer Leben in den Lüsten ist eine Selbstpeinigung: und beides sind Krankheiten und Unwürdigkeiten.
231. Dem soll man dienen, der durch unseren Dienst zunimmt an Geist Selbstüberwindung und Erfindung neuer Aufgaben: – so wirst du als Dienender dir selber am besten genützt haben.
232. Zürnt denen nicht, welche denken, wie es untergehenden Menschen ziemt zu denken: sie hängen an ihrem Strohhalm von Leben und wissen wenig vom Leben, als daß man dran hängt und daß es wenig Sinn hat dran zu hängen: die Untergehenden haben wenig Werth – das ist der Kern ihrer „Weisheit"
233. Ihr habt euch noch gar nicht entschlossen zum Leben, sondern fürchtet euch und zittert, wie Kinder vor dem Wasser, in das sie tauchen sollen. Und inzwischen verläuft eure Zeit, und ihr trachtet nach Lehrern, die euch sagen: „fürchtet und zittert vor dem Meere, welches Leben heißt" – und ihr heißt dies Lehren gut und sterbt frühe.
234. Der Werth des Lebens liegt in den Werthschätzungen: Werthschätzungen sind Geschaffenes, nichts Genommenes, Gelerntes, Erfahrenes. Das Geschaffene muß vernichtet werden, um dem neu-Geschaffenen Platz zu machen: zum Lebenkönnen der Werthschätzungen gehört ihre Fähigkeit, vernichtet zu werden. Der Schöpfer muß immer ein Vernichter sein. Das Werthschätzen selber aber kann sich nicht vernichten: das aber ist das Leben.
234. „Das Leben ist ein Leiden?" – Habt ihr Recht: nun, so ist euer Leben ein Leiden! – so sorgt, daß ihr aufhört; daß das Leben aufhört, welches nichts als Leiden ist. Eure Moral heißt: „du sollst dich selber tödten", „du sollst dich selber davon stehlen".
235. Und auch jene, welche sich vom Leben abwandten und Freude und Frieden, dadurch fanden – – – sie fanden es, indem sie ein Bild eines solchen Lebens schufen, als Schaffende! – – – als Schaffende machtet ihr eurem Leiden ein Ende! Und liebtet so euer Leben!
236. Ihr wähnt frei zu sein von den Sätzen der Erkennenden: aber ihr vermögt euch nicht zu bewegen ohne nach unseren Schätzungen zu greifen, ihr Hülflosen! Noch weniger daß ihr Schaffen könntet! Es gehört zum Glück der Armut, dieser Wahn einer Freiheit! Ein Trost für Gefangene! Eine Wohlthat für Blindgeborene!
237. Das Thier weiß nichts von seinem Selbst, es weiß auch nichts von der Welt.
238. Ich bin zu voll: so vergesse ich mich selber, und alle Dinge sind in mir, und nichts giebt es mehr als alle Dinge. Wo bin ich hin?
239. Die fest verknoteten Empfindungen, die immer wieder kehren („relativ eine Zeit zusammenhalten") werden von uns als die rohen Dinge und Wirklichkeiten angesehn: zunächst unser Leib. Aber „alle Eigenschaften dieser Dinge bestehn aus unseren Empfindungen und Vorstellungen".
240. Wir sollen ein Spiegel des Seins sein: wir sind Gott im Kleinen.
241. Das Zukünftige ist eben so eine Bedingung des Gegenwärtigen wie das Vergangene. „Was werden soll und werden muß, ist der Grund dessen, was ist."
242. Sollte ich das Alles geschaffen haben? War es die Bewegung meines Ich, die dies ordnete, wie sie die Bewegung eines Leibes geordnet hat? Bin ich nur ein Tropfen von dieser Kraft?
243. Ich begreife nur ein Wesen, welches zugleich Eins ist und Vieles, sich verändert und bleibt, erkennt, fühlt, will – dies Wesen ist meine Urthatsache.
244. Als ich die Lust an der Wahrheit haben wollte, erfand ich die Lüge und den Schein – das Nahe und Ferne, Vergangene und Künftige, das Perspektivische. Da legte ich in mich selber die Dunkelheit und den Trug und machte mich zu einer Täuschung vor mir selber.
245. Vieles am Menschen ist zu lieben: aber der Mensch ist nicht zu lieben. Der Mensch ist eine zu unvollkommene Sache: Liebe zum Menschen würde mich tödten.
246. Nicht diesen Menschen den ich liebte verwarf ich: sondern das, um dessentwillen ich ihn liebte, verwarf ich.
247. Blicke in die Welt, wie als ob die Zeit hinweg sei: und dir wird Alles Krumme gerade werden.
248. Wenn du blau siehst, was nützt es dir dich selber zu überwinden und zu dir zu sprechen: du sollst nicht blau sehn!
249. Diese wollen Würfel spielen und jene wollen zählen und rechnen, und diese dort wollen tanzen sehn: sie nennen's Wissenschaft und schwitzen dabei. Aber es sind Kinder, die ihr Spiel wollen – und wahrlich, es ist eine schöne Kinderei, und etwas Lachen würde dem Spiele nicht Schaden.
250. Alle Zeichen des Übermenschlichen erscheinen als Krankheit oder Wahnsinn am Menschen.
251. Man muß schon ein Meer sein, um einen schmutzigen Strom in sich aufzunehmen, ohne unrein zu werden.
252. Als ich den Zweck dachte, dachte ich auch den Zufall und die Thorheit.
253. Ihr seid mir zu grob: ihr könnt nicht an kleinen Erlebnissen zu Grunde gehen.
254. Nicht wo euer Auge aufhört zu erkennen, sondern schon dort wo eure Redlichkeit aufhört, da sieht das Auge nichts mehr.
255. Was der Affe für uns ist, ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham: das soll der Mensch für den Übermenschen sein.
256. Wie müßte man zu euch reden, damit ihr verstündet! Erst wenn ihr krank werdet, bekommt ihr Ohren.
257. Sobald der Wille auftritt, hat das Gefühl den Eindruck der Befreiung. Das Gefühl ist nämlich leidend – und sobald der Wille auftritt, pausirt es und leidet nicht. Das nennt man Freiheit des Willens.
258. Wie schwer ward mir da die Welt – dem Thier gleich, das im Meer gelebt hat und nun ans Land mußte: wie soll es nun seinen eignen Körper schleppen!
258. Habe ich nicht eine neue Farbe und einen neuen Geruch erfunden?
259. Wo man euch zwingt, klein zu empfinden, da sollt ihr nicht leben. Man vergeudet sein Leben nicht schlimmer als mit kleinen Umgebungen.
260. Seid ihr zu weich und ekel, Fliegen und Mücken zu tödten, so geht in die Einsamkeit und die frische Luft, wo es keine Fliegen und Mücken giebt: und seid selber Einsamkeit und frische Luft!
Euer armer Leib – Unwissenheit der Gesetze der Natur.
261. Die Krankheit ist ein plumper Versuch, zur Gesundheit zu kommen: wir müssen mit dem Geiste der Natur zu Hülfe kommen.
262. Meine Brüder, die Natur ist dumm: und so weit wir Natur sind, sind wir alle dumm. Auch die Dummheit hat einen schönen Namen: sie nennt sich Nothwendigkeit. Kommen wir doch der Nothwendigkeit zu Hülfe!
263. Was liegt daran, daß möglichst viele Menschen möglichst lange leben? Ist ihr Glück eine Rechtfertigung alles Daseins? Und nicht viel mehr eine verächtliche Sache?
264. Und wenn du das Dasein rechtfertigen willst, so mußt du nicht nur des Teufels Anwalt, sondern auch Gottes Anwalt vor dem Teufel sein.
265. Rede an den Felsen. Ich liebe es, daß du nicht sprichst. Deine Schweigsamkeit hat Würde. (Alles moralisch empfinden in der Natur: aller Werth liegt darin)
Rede an einen König.
266. Die Welt steht fertig da – eine goldne Schale des Guten. Aber der Schaffende Geist will auch das Fertige noch schaffen: da erfand er die Zeit – und nun rollte die Welt auseinander und rollt wieder in großen Ringen in sich zusammen, als das Werden des Guten durch das Böse, als die Gebärerin der Zwecke aus dem Zufalle.
267. Es giebt genug, die nichts Besseres wissen auf Erden als mit einem Weibe zusammen zu liegen. Was wissen die vom Glück!
Mit unsichtbaren Fäden wird man am festesten gebunden.
268. Wenn ich ein Gefühl ehre, so wächst die Ehre in das Gefühl hinein.
269. Was liegt an eurer Tugend, wenn ihr nicht den Moment erlebt habt, wo ihr den Menschen in euch tief verachtetet, aus Liebe zu dem Übermenschen? Und eure Tugend mit verachtetet?
270. In der Geschichte der Menschheit sind die großen Verachtungen die Ereignisse: als die Quelle der großen Begehrung nach dem Übermenschen. Laßt euch nicht betrügen – ehemals wollte man denn wohl in das Jenseits oder Nichts oder mit Gott eins werden!? Alle diese bunten Worte dienten um auszudrücken, daß der Mensch seiner satt sei – nicht seiner Leiden, sondern seiner gewöhnlichen Art zu empfinden.
271. Die Stunde der großen Verachtung erwarten: das ist die Auszeichnung. Die Anderen dienen nur zur Bildung des letzten Menschen.
272. Der Gedanke ist nur ein Zeichen, wie das Wort nur ein Zeichen für den Gedanken ist.
273. Einstmals war das Ich in der Heerde versteckt: und jetzt ist im Ich noch die Heerde versteckt.
5 [2]
Zweierlei lehre ich euch; ihr sollt den Menschen überwinden, und ihr sollt wissen, wenn ihr ihn überwunden habt: ich lehre euch den Krieg und den Sieg. (Cap<itel>)
5 [3]
Es ist kühl, die Wiese liegt im Schatten, die Sonne gieng. Ist es nicht ungereimt zu leben?
Müßte man nicht mehr Vernunft haben, um aus dem Leben eine Vernunft zu machen?
Meine Brüder, verzeiht der Seele Zarathustra's, daß es Abend ist.
5 [4]
Verwerfe ich denn eure Tugenden? Ich verwerfe eure Tugendhaften.
5 [5]
Ich erkläre auch eure Tugenden aus dem Zukünftigen.
5 [6]
So bald in der Heerde das Gefühl wächst und schwillt, nähert es sich der Heerde.
Zuerst wurde das „Für Alle" heilig, dann das „Für den Anderen" endlich das „für meinen Gott".
5 [7]
Ich liebe die verschwenderischen Seelen: sie geben nicht zurück und wollen auch keinen Dank – denn sie schenken immer.
5 [8]
Ich lehre euch den Übermenschen: wo ist mein Bruder, der ihn die große Verachtung lehrt?
5 [9]
Sie werfen die Bilder um und sagen: es giebt nichts Hohes und Anbetungswürdiges – weil sie selber kein Bild und keinen Gott schaffen können.
Erbarmt euch ihrer! Hört doch die Verachtung aus ihrer Wuth gegen die Bilder – die große Verachtung gegen sich selber!
5 [10]
(cap<itel>) „die Bruderschaft der Rechtfertiger."
5 [11]
Es ist furchtbar, im Meere vor Durst zu sterben: müßt ihr denn eure Weisheit so salzen, daß sie nicht wie gutes Wasser schmeckt?
5 [12]
Schwanger geht die Menschheit, wunderlich sind ihre Schmerzen.
5 [13]
Unsere Verachtung des Menschen trieb uns hinter die Sterne und ließ uns nach einem Gotte herumsuchen.
5 [14]
Der Gelehrte soll ein Büßer des Geistes sein
5 [15]
Sie sagten „laßt uns der Welt absterben", sie suchten ihr Heil
hinter den Sternen, sie fanden das Wort nicht vom Übermenschen.
5 [16]
Dein Leben sei ein hundertfältiger Versuch: dein Mißlingen und Gelingen sei ein Beweis: und sorge dafür, daß man wisse, was du versucht und bewiesen hast.
5 [17]
Ich liebe den, der die Zukünftigen rechtfertigt und die Vergangenen erlöst: während er an den Gegenwärtigen zu Grunde geht.
Ich liebe den, der aus seiner Tugend seine Pflicht und sein Verhängniß macht.
Ich liebe den, der nicht einen Tropfen Geist übrig behält und ganz der Geist seiner Tugend ist:
Ich liebe den, der seine Seele verschwendet, der nicht Dank haben will und nicht zurückgiebt, weil er immer schenkt.
Ich liebe den, der das Unrecht solcher auf sich nimmt, die es nicht tragen können
Ich liebe den, der lebt, damit er erkenne und der erkennen will, damit der Übermensch lebe.
Ich liebe den, welcher der Welt nicht absterben will und nicht hinter den Sternen sein Heil sucht: den der das Wort vom Übermenschen verstanden hat.
Ich liebe den, dessen Seele tief ist auch in der Verwundung und der an einem kleinen Erlebnisse zu Grunde gehen kann.
Ich liebe den, der zu voll ist, so daß er sich selber vergißt, und alle Dinge in ihm sind: aber er wird zu Grunde gehen.
Ich liebe den, der freien Geistes ist, wie er auch freien Herzens ist: und der Kopf sei ihm nur das Eingeweide des Herzens.
Ich liebe den, der so mitleidig !ist, daß er aus der Härte seine Tugend und seinen Gott macht.
Ich liebe den, der goldne Worte seinen Thaten vorauswirft und immer noch mehr hält als er verspricht.
Ich liebe den, welcher sich schämt, daß die Würfel immer zu seinen Gunsten fallen und welcher sich fragt: bin ich denn ein falscher Spieler?
Ich liebe den, welcher seinem Gegner nicht nur seine Fehlgriffe verzeiht, sondern auch seinen Sieg.
Ich liebe den, welcher seinen Gott züchtigt, weil er seinen Gott liebt.
Ich liebe den, welcher nicht Lohn, sondern Strafe und Untergang von seiner Tugend erwartet.
Ich liebe den, welcher im Nächsten den leidenden Gott sieht, der in ihm versteckt ist und sich des Thiers schämt, welches an ihm sichtbar war.
5 [18]
Ihr sollt nicht zu viele Tugenden haben wollen. Eine Tugend ist schon viel Tugend: und man muß reich genug sein auch nur für Eine Tugend. Damit sie lebe, sollt ihr zu Grunde gehen.
5 [19]
Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden: Giftmischer sind es und Verächter des Lebens: ob sie es wissen oder nicht Absterbende sind es und Selbst-Vergiftete.
Einst war der Frevel an Gott der größte Frevel: aber Gott starb, und damit starben auch diese Frevelhaften. An der Erde zu freveln ist jetzt das Furchtbarste, und die Eingeweide der unerforschlichen Dinge höher zu achten als den Sinn der Erde.
5 [20]
Dein Leben sei ein hundertfältiger Versuch: dein Mißlingen und Gelingen sei ein Beweis; und sorge dafür, daß man wisse, was du versucht und bewiesen hast.
5 [21]
Es giebt Wollüstlinge des Geistes – es giebt Büßer des Geistes.
5 [22]
Nicht wo das Auge aufhört zu erkennen, sondern schon dort wo eure Redlichkeit aufhört, da sieht das Auge nichts mehr.
5 [23]
Diese wollen Würfel spielen und jene wollen zählen und rechnen, und diese dort wollen tanzen sehen: sie nennen's Wissenschaft und schwitzen dabei
Aber es sind Kinder, die ihr Spiel wollen, – und wahrlich, es ist eine schöne Kinderei, und etwas Lachen würde den Spielenden lieblich zu Gesichte stehn.
5 [24]
Wenn ihr den Zweck denkt, müßt ihr auch den Zufall und die Thorheit denken.
5 [25]
Der Einwand, das Mißtrauen, der Seitensprung sind Zeichen des gesunden Geistes. Alles Unbedingte verräth den Kranken.
5 [26]
Als ich die Lust an der Wahrheit haben wollte, da erfand ich die Lüge und den Schein, das Nahe und das Ferne, das Vergangene und das Künftige; da legte ich in mich selber den Trug und die Dämmerung.
5 [27]
Ich war in der Wüste, ich lebte nur als Erkennender. Dem Erkennenden reinigte sich die Seele, und der Durst nach Macht und alle Begierde wurden ihm heilig. Als Erkennender stieg ich weit über mich hinaus in der Heiligkeit und Tugend.
5 [28]
Unheimlich ist das menschliche Sein und immer noch ohne Sinn: ein Hanswurst kann ihm zum Verhängniß werden.
Wozu lebt dieser? Wozu stirbt jener? Niemand kann es wissen, denn es giebt kein Wozu darin.
Ehedem hielt man die Hand auf, wenn der Tod kam, und sagte „ein Geschenk von Oben".
Es gab diesen Geber gar nicht, ein Ziegelstein vom Dach war das Geschenk. Unwissenheit war alle Vernunft im Sterben.
Ich will die Menschen den Sinn ihres Lebens lehren: welches ist der Übermensch.
5 [29]
Liebe und Gerechtigkeit gegen die Dinge sei eure Schule.
5 [30]
Ihr verhüllt eure Seele: Nacktheit wäre Schande für eure Seele. Oh daß ihr lerntet, warum ein Gott nackt ist! Er hat sich nicht zu schämen. Er ist mächtiger nackt!
Der Körper ist etwas Böses, die Schönheit ist eine Teufelei; mager, gräßlich, verhungert, schwarz, schmutzig, so soll der Leib aussehen
Am Leibe zu freveln das gilt mir als ein Freveln an der Erde und am Sinn der Erde. Wehe dem Unseligen, dem der Leib böse und die Schönheit teuflisch scheint!
5 [31]
Hinter deinen Gedanken und Gefühlen steht dein Leib und dein Selbst im Leibe: die terra incognita. Wozu hast du diese Gedanken und diese Gefühle? Dein Selbst im Leibe will etwas damit.
5 [32]
Der Ascetismus des Geistes (an die Geistigsten)
der Freund (der ideale Umgang)
die Einsamkeit
der Leib philosophirt
der Schaffende
Gefahr in der Predigt des Leidens
Gegen die Geringschätzung des Lebens
im Erkennen heiligen sich die Triebe
das Ziel der Menschheit fehlt bisher
Rechtfertigung aller Vergangenheit
der Mittheilende als Bruchstück
der Liebende als Bruchstück
der Erkennende als Bruchstück
die gegenwärtige Cultur nicht zu hoch taxiren!
die Leidenschaften einmal als Gesundheit
die Keuschheit
Ruhe lehren und innere Arbeit. Gegen die „Arbeit".
der Verbrecher.
Vergeltung sittliche Empörung und Vergebung.
der Lobende
das Weib
Mittel der Selbst-Überwindung
die Wissenschaftlichen
der Tod
die Wiederkunft
Heerde und Ich
der langsame Ruhm
Kritik der Moral und ihr Sinn
das Urtheil in der Lust
Widerspruch in euren Idealen
wir müssen auch unser Gegenstück wollen den Pharisäer.
der versteckte Mensch
der letzte Mensch
Rede an einen König.
der Übermensch
Erfindung von Festen
Büßer des Geistes – als Reiniger von ihren Affekten
Große Entscheidung zwischen Tod und Leben
Schauspieler und Schaffende.
die neue Kunst als 1000 Arten zu leben (zuerst Unabhängigkeit! ein Gedanke, der sich seine Freien erzwingt)
das Leben ein Versuch des Erkennenden
das Gemeine, Nächste, Irdische adeln! (Kost Küche)
Einsamkeit und Leben – Schlaf und Wachen (Leben als Wille zum Leiden (- Schaffen –)
die höchste Erkenntniß: der neue Schätzer.
der langsame Ruhm
Kritik der Moral und ihr Sinn: wir wollen uns über Lob und Tadel erheben!
Wahnsinn als Vorzeichen.
Vergeltung – ihr wollt Lohn?
Heimatlos.
die Bescheidenheit zum Stolze machen.
neue Kriege.
ob es schon Übermenschen gab?
5 [33]
Es genügt nicht, etwas wieder gut zu machen: man muß sich selber wieder gut machen, sich selber wieder gut werden, z. B. durch eine kleine überflüssige Bosheit oder Wohlthat. Bevor man vergeben kann, muß man erst erleben, was einem angethan ist. Und bei tiefen Menschen dauern alle Erlebnisse lange. Es ist leichter seinem Feinde zu vergeben als seinem Freunde.
Ich soll vergeben? Aber ich mache dir nicht zum Vorwurfe, was du dir vorwirfst: wie könnte ich also vergeben?
Nicht daß du mich belogst, sondern daß ich dir nicht mehr glaubte hat mich erschüttert.
Aus seiner Erbitterung gegen einen Menschen macht man sich seine moralische Empörung zurecht – und bewundert sich dabei; und aus dem Müdewerden seines Hasses macht man sich die Vergebung zurecht – und bewundert sich noch einmal.
Er that mir Unrecht, das ist schlimm. Aber daß er nun gar noch sein Unrecht von mir abbitten will, das ist schlimmer, das ist zum Aus-der-Haut-fahren.
Hütet euch, den Einsiedler zu beleidigen! Der vergiebt nie! Der Einsiedler ist wie ein tiefer Brunnen – es ist leicht, einen Stein in ihn zu werfen. Wie aber willst du den Stein wieder herausholen, wenn er erst auf den Grund fiel?
5 [34]
Alle Ziele sind vernichtet: die Werthschätzungen kehren sich gegen einander, man nennt den gut, der seinem Herzen folgt, aber auch den, der nur auf seine Pflicht hört
man nennt den milden, versöhnlichen gut, aber auch den tapferen unbeugsamen strengen.
man nennt den gut, der ohne Zwang gegen sich ist, aber auch den Helden der Selbstüberwindung
man nennt den unbedingten Freund des Wahren gut, aber auch den Menschen der Pietät, den Verklärer der Dinge
man nennt den sich selber gehorchenden gut, aber auch den frommen
man nennt den Vornehmen, Edlen gut, aber auch den, der nicht verachtet und herabblickt
man nennt den gutmüthigen, dem Kampfe ausweichenden gut, aber auch den Kampf- und Siegbegierigen
man nennt den, der immer der erste sein will, gut, aber auch den, der nichts vor irgend Einem voraus haben will.
5 [35]
ich begreife nicht, wozu man nöthig hat, zu verleumden. Will man jemandem schaden, so braucht man ja nur über ihn irgend eine Wahrheit zu sagen.
Man weiß von Jedermann immer zu viel.
Wir loben nur was nach unserem Geschmack ist d. h. wir loben nur unseren Geschmack.
die geistreichste Leidenschaft
Antipathie gegen eine Person sich zur Tugend machen
In der Flam<me> der Eifer<sucht> wendet man den vergifteten Stachel gegen sich selber, gleich dem Skorpion – doch ohne S<einen> Erfolg
Wenn ich merke daß jemand mich belügt, so erzürnt mich nicht, daß er mich belügt, sondern daß er lügt.
[Dokument: Manuskript]
[Winter 1882-83]
6 [1]
Ascetism: nur die Vernunft ausbilden
sich die kleinen Freuden eingestehen, welche die Erkenntniß macht – alle anderen von sich abwehren.
Grausamkeit, sich die schmutzige Entstehung aller der höchsten Dinge einzugestehn
Versuch, vom Menschen abzusehn und ihn als Punkt im Werden zu fassen – nicht alles auf ihn hin zu construiren.
zu Gunsten der kleinen festen harten Wahrheiten – soldatische Strenge Schlichtheit
Hohn gegen das Beseligende in den „Wahrheiten" ebenso gegen die schöne Form. Religion Moral und Kunst zur Oberfläche der Dinge
Metaphysik als im Zusammenhang mit Geister- und Gespensterglauben: auch mit der schlechten Interpretation
der Gesichtspunkt des Glücks als schädlich für die Wissenschaft.
woher der Werth der Metaphysik stammt? Aus Irrthümern und Leidenschaften.
Nicht vom Ungewissesten sich abhängen lassen
sich die Schwäche unseres Schließens eingestehn: der Traum.
das starke Gefühl beweist nichts für die Wahrheit des Geglaubten.
Versuch einer Betrachtungsart, in der Substanz und Freiheit des Willens Irrthümer sind: auch das Ich als geworden gedacht. Die Welt als Irrthum.
Mißtrauen gegen die metaphysische Welt wegen der Schwierigkeit der Probleme.
Es hört mit dem Glauben an ewige Grundwahrheiten alle Ruhe auf, man sorgt nicht mehr über seine Zukunft hinaus, weil andere Dinge dann nöthig sein werden.
Zeitalter der Vergleichung: ein Auswählen aus den Sittlichkeiten. Untergang der niederen Sittlichkeit.
Cultus des Irrthums – er hat den Menschen so zart, tief, erfinderisch gemacht. Die Welt als Irrthum ist so bedeutungsreich und wundervoll.
wir sind von vorn herein unlogische und ungerechte Wesen – ohne dies giebt es kein Leben.
alle Ansätze über den Werth des Lebens falsch. Letzte Ziellosigkeit. Vergeudung.
allgemeine Verzichtleistung: immer besser erkennen, über den Schätzungen schweben einziger Trost.
Resultat: ich brauche an Nichts zu glauben
Die Dinge sind unerkennbar.
Ich brauche nicht an meiner Ungerechtigkeit zu leiden.
Verzweiflung durch Skepsis beseitigt
Ich erwarb mir das Recht zu schaffen das Recht gut zu heißen das Recht, nicht anzuknüpfen an das Vergangene
zuletzt: in dem ganzen Treiben entdeckte ich lebendige Moral, treibende Kraft. Ich hatte nur gewähnt, jenseits von gut und böse zu sein.
Die Freigeisterei selber war moralische Handlung
2) als Tapferkeit
3) als Gerechtigkeit
4) als Liebe
ich behielt mich übrig als Werthansetzenden
ich that nichts als die bisherige Praxis der Moral zu kritisiren. Das Aufstellen der moralischen Urtheile selber ist ein Stück dieser Praxis.
das Ansetzen von Zwecken als eine Existenzbedingung als Bedingung davon, daß eine Existenz in die andere übergeht.
Heerde – Individuum.
6 [2]
1. Ascetismus – Versuch ohne Moral zu leben.
2. Resultat: wir haben selber Moral getrieben, weiter getrieben – das Leben in uns hat uns genöthigt.
3. Der Schaffende und der Werthansetzende. Heerde und Individuum. Alles was geschieht, entspricht nicht dem Urtheile des Werthes.
4. Versuch eines Standpunkts jenseits von Gut und Böse.
6 [3]
Ascetism: Versuch sich von der Moral zu befreien
Wechsel, ja Gegensatz der moralischen Urtheile (keine ewige Norm) es hat gar keine moralischen Handlungen gegeben: wenn man sie als freie und als unegoistische bezeichnet.
das, was uns böse gilt (Ungerechigkeit) ist eine Bedingung zu existiren.
bei der Kritik unserer besten Handlungen finden wir Elemente, die dem Bösen zugehören, ganz nothwendig.
alle Moralsysteme sind widerlegt: und jedenfalls ist ihr Werth abhängig von der Wahrheit ihrer letzten Behauptungen: diese sind unsicher.
In unseren Schätzungen selber sind eine Menge entgegengesetzter moralischer Systeme erhalten.
(unsere Urtheile hinter den Empfindungen sind widersprechend.)
Es giebt zuletzt kein Ziel mehr: die Moral ist nicht mehr der Weg zum Himmel: auch nicht mehr zum Himmel auf Erden Qual der Gewissensbisse) Sie steht und fällt nicht mehr mit Staaten und Völkern.
Furchtbarer Rückblick auf die Qual der Menschheit. Sie war nahe daran, das Leben aus moralischer Unbefriedigung aufzugeben.
6 [4]
1) Ascetischer Versuch sich von der Moral zu befreien: warum? praktische Consequenz zunächst: soldatische Armut, Nähe des Todes. Freigeist.
2) Aber jetzt erkennen wir die Freigeisterei selber als Moral.
In wiefern.
Alle Empfindungen sind moralisch gefärbt. Was wir thaten, war eine Kur, ein Mittel zum Leben. Moral erschien als eine Existenzbedingung.
3) der neue freiere Blick für Moral als Existenz- und Förderungsbedingung des Lebens.
Heerde Entwicklung des Ichs. Keine Vergeltung usw.
4) Versuch eines jenseits von Gut und Böse.
[Dokument: Manuskript]
[Frühjahr - Sommer 1883]
7 [1]
Zur Einleitung.
Absolute Ehrlichkeit – bis jetzt fehlend bei Moralisten. Jede Schwäche des Charakters wird sich an der Untersuchung kundgeben.
Sodann historischer Sinn.
Tapferkeit gegen die eigenen Neigungen zur Werthschätzung.
Altes Ziel: die Erzeugung höherer Menschen, die Verwendung der Menschenmassen als Mittel dazu.
Zum Plane.
Jede objektive Verbindlichkeit fehlt. Die Übereinstimmung Aller ein lebensfeindliches Princip.
Es sind Befehle von Individuen: eine unbewußte Sklaverei
es ist eine Forderung der Ehrlichkeit, was man der Nützlichkeit wegen thut, auch als solche zu bezeichnen.
Motive der Ehrlichkeit usw. liegen in den Antrieben der Mächtigen: in derselben Sphäre wächst auch die Emancipation von der Moral.
Unverantwortlichkeit positiv wenden: wir wollen unser Bild vom Menschen durchsetzen. Daß man's kann! – ist die Sache! Wer sich unterworfen fühlt, gehört in die niedere Ordnung. Es muß „Sklaven" geben.
Man übersah bisher das Individuelle als schöpferisch: man sah nur Verbrecher usw. man übersah den Haupt-Verbrecher
Homer Michel Angelo.
Möglichste Verschiedenheit der Individuen! Entfesselung des Kampfes!
Man will zu einer Ethik: und weil man vom Egoismus aus sie nicht glaubt finden zu können, flüchtet man zur Autorität, zum Herkommen.
der sittliche Geschmack ist eine Sache ohne Gründe – aber er ist entstanden einmal als Zwang, in Folge von anderen Trieben, welche ein bestimmtes Urtheil und Werthschätzen aufnöthigten.
Wo wir unsre Gefühle nicht mehr wegen ihrer Complizirtheit der Entstehung abzuleiten wissen, da setzen wir sie an als etwas Anderes: so sind die aesthetischen ethischen moralischen metaphysischen Triebe zu verstehen.
Wir empfinden einen Namen und meinen, ihm entspreche etwas Neues.
NB. Die moral<ische> Denkweise folgt unsrer Handlungsweise, aber führt sie nicht!
Wo kein Trieb zum Gehorchen da ist, da hat ein „du sollst" keinen Sinn.
So wie wir sind – so werden wir widerspenstig bei einem „du sollst". Unsere Moral muß heißen „ich will".
7 [2]
Der Egoism des Einzelnen greift thatsächlich so weit als er kann und Kraft hat –: es ist Unsinn, sich zu fürchten vor den Folgen des Egoist<ischen> Princips. Niemand wird durch Principien in Schranken gehalten!
7 [3]
Zu schreiben und nicht zu fragen, welche Dauer jetzt alles Geschriebene hat, wäre sehr oberflächlich!
7 [4]
Die Sicherheit unsrer Handlungsweise ist außer allem Verhältniß zur Güte unsrer Gründe, so und so zu handeln!
7 [5]
von Sokrates an die Tugend ohne Scham (in Concurrenz) und als Gegenstand der Klugheit hat sie Scham nicht nöthig! Eine Art Selbst-Erniedrigung der Tugend. –
7 [6]
Kritik des „Guten", ja des Besten ! Skepsis sehr berechtigt!
Meine Gesamtrichtung geht nicht auf Moral – was ehedem Sünden-Bewußtsein, das wende ich auch gegen den Intellekt, die Tugend, das Glück, die Kraft des Menschen.
Aus einer wesentlich außermoralischen Betrachtungsweise kam ich zur Betrachtung der Moral aus der Ferne.
Die Bedingungen zu errathen, unter denen die zukünftigen Menschen leben – weil ein solches Errathen und Vorwegnehmen die Kraft eines Motivs hat: die Zukunft als das, was wir wollen, wirkt auf unser Jetzt.
Die Unmoralität unserer Zeit in ihrem Besten (z.B. dem Mangel an Pietät gegen Natur)
7 [7]
Reden an meine Freunde.
Ich habe mich immer darum bemüht, die Unschuld des Werdens mir zu beweisen: und wahrscheinlich wollte ich so das Gefühl der völligen „Unverantwortlichkeit" gewinnen – mich unabhängig machen von Lob und Tadel, von allem Heute und Ehedem: um Ziele zu verfolgen, die sich auf die Zukunft der Menschheit beziehen.
Die erste Lösung war mir die aesthetische Rechtfertigung des Daseins. Indessen: „rechtfertigen" selber sollte nicht nöthig sein! Moral gehört in's Reich der Erscheinung.
Die zweite Lösung war mir die objektive Werthlosigkeit aller Schuld-Begriffe und die Einsicht in den subjektiven, nothwendig ungerechten und unlogischen Charakter alles Lebens.
Die dritte Lösung war mir die Leugnung aller Zwecke und die Einsicht in die Unerkennbarkeit der Causalitäten.
die Erlösung durch den Schein: das principium individuationis mit aller Moral für das Individuum eine erlösende Vision.
Moral Mittel, innerhalb der Individuation zu bleiben und nicht in das Urleiden zurückverschlungen zu werden.
die Kunst als die „eigentlich metaphysische Thätigkeit des Menschen".
daß das „Leben im Grunde der Dinge trotz allem Wechsel der Erscheinungen unzerstörbar mächtig und lustvoll sei" p. 54. als Trost der Tragödie.
Ihn rettet die Kunst (vor einer Verneinung des Willens:) und durch die Kunst rettet ihn sich das Leben.
Ein Protest gegen den Pessimismus: vom Standpunkte der Griechen aus. Der „tiefsinnige" und zum zartesten und schwersten Leiden einzig befähigte Grieche.
Die Musik als die bei weitem lebendigste Kunst.
Die Aufgabe der Musik in einem zerdachten Zeitalter, das denkmüde ist:
p.82 Die Wissenschaft immer wieder an ihre Grenzen geführt muß in Kunst umschlagen – das, was sie führt, ist der Wahn, sie könne das Dasein corrigiren.
Sokrates durch Wissen und Gründe der Todesfurcht enthoben.
die Bestimmung der Wissenschaft, das Dasein als begreiflich und damit als gerechtfertigt erscheinen zu machen: wozu zuletzt, wenn die Gründe nicht reichen, auch der Mythus dienen muß – auf den ist es abgesehen im Grunde!
Wäre jene Summe von Kraft nicht auf Erkenntniß verwendet worden, sondern auf die praktischen Ziele der Völker und Menschen, so wäre die Lust am Leben so abgeschwächt, daß eine Ethik der Vernichtung aus Mitleid hätte entstehen können (Die Inder zu schwach und passiv selbst in ihrem Mitleiden)
die tragische Erkenntniß braucht die Kunst, „die in's Unaufhellbare starrt"
Die Kunst als abhängig dargestellt von der Entwicklung der Erkenntniß: sie bricht dort heraus, wo die Erkenntniß sich selber verzehrt.
Wir sollen die Lust nicht in den Erscheinungen, sondern hinter ihnen suchen.
p. 92 Quintessenz.
p. 102. die Selbstvernichtung der Erkenntniß und Einsicht in ihre letzten Grenzen war das, was mich für Kant und Schopenhauer begeisterte. Aus dieser Unbefriedigung glaubte ich an die Kunst.
Ich meinte, ein neues Zeitalter für die Kunst sei gekommen. Ich empfand das Resultat der Philosophie als ein tragisches Ereigniß: wie aushalten!
Mir schien W<agner> ein Mittel, die D<eutschen> dem Christenthum zu entfremden
sein altersmüdes Werk Parsifal spricht auch nicht dagegen noch weniger die blindwüthigen Verehrer mit ihren geschundenen Knien und Gehirnen.
Glaube an die Wiedergeburt der griechischen Welt p. 117.
„ein anderer Sinn und eine höhere Lust, zu denen sich der kämpfende Held nicht durch seine Siege, sondern durch seinen Untergang vorbereitet" p. 120.
„Erst ein mit Mythen umstellter Horizont schließt eine ganze Culturbewegung zur Einheit ab" p. 132.
p. 136 antichristlich – in diesem Sinne,
p. 142 „ „ „ deutsche Hoffnung
7 [8]
Das ganze 18te Jahrhundert hatte die tiefste Verachtung gegen die gothische Baukunst Lecky I 199.
Dieses Jahrhundert hatte seinen Geschmack. Der Mailänder Dom als Gegenstand des Spottes.
Unser Jahrhundert muß viele jener Empfindungen wieder gewonnnen haben, aus denen jene Kirchen entstanden sind –
Die Verkennung Homers s. bei – – –
die Beurtheilung des Laokoon bei Winckelmann.
7 [9]
Mitleiden. Zunächst Nachbilden eines fremden Schmerzes. Darauf muß nun eine Reaktion erfolgen
entweder gewaltsames Sich-aus-dem-Sinne-schlagen, Davon-laufen (wie beim Anblick einer ekelhaften Wunde
oder positives Beseitigen und Vernichten des uns Wehethuenden, also mit Eingriff in die Sphäre des Leidenden, von ihm als Hülfe usw. interpretirt.
Über jedes Leiden sind wir empört, wenn es sinnlos ist, „unverdient" ist (unsre Gewohnheit zu tadeln und strafen wirkt hier als verletzter Trieb: das Bild des Leidenden ist ein Angriff auf die Grundlagen dieses Triebs) Wir reagiren gegen diese Empörung mit „Hülfe" usw.
Sodann: – wir schaudern, wir selber fühlen die Gefährlichkeit, Unsicherheit Plötzlichkeit des Unglücks „es ist unglaublich!" – unser Sinn für das Harmonische und Logische ist empört.
wo wir fühlen helfen zu können, erwacht unser Machtgefühl, daher der Pflichteifer, die Anspannung, der Heroismus bei dem Retten von Verunglückten; die Lust an einer Gelegenheit, tapfer zu sein usw.
Liebe, Zärtlichkeit sind nicht nothwendig dabei!
7 [10]
Hartmann p.776. die Souveränität des Individuums fällt bei ihm mit egoistischen Klugheitsrücksichten, welche der Willkür Schranken setzen, zusammen! Das charakterisirt!!
7 [11]
Der Nächste als unser Erzeugniß
die Züge ihm gegeben, auf welche unsre Triebe reagiren. Das ganze Bild ein uns nützliches Erzeugniß: das uns Wohlthätige, Schädliche usw. Ist herausgekehrt – zum Zwecke der Assimilation oder der Flucht.
Was ist also „Nächstenliebe"?
Der Nächste an sich unerkennbar, sondern nur nach uns zu erschließen, und dies gemäß unsrer Feinheit und Grobheit von Beobachtung: unserer Übereiltheit im Schließen (Sache der Furcht oder der Sehnsucht) usw.
Wir bekämpfen in unseren Feinden das uns Schädlich-Scheinende: was unserem Wachsthum, unserem Fortleben hinderlich ist, was uns die Luft verdirbt: wir bekämpfen also unsre Triebe des Mißtrauens, der Spannung – d. h. eine Art Triebe beseitigt eine andre.
7 [12]
Die Juden durch die aegyptische Gefangenschaft verdorben.
7 [13]
Die Architektur: das Ferne nahe zu bringen (Peterskirche)
anderes Princip: möglichstes Streben in die Ferne.
7 [14]
Man haßt den am meisten, der uns zu Empfindungen zurückverführt, über die wir mit größter Anstrengung Sieger wurden: der uns nach dem Siege an unsre Feinde verräth: wie es dem geht, der noch zur Rache verführt wird, nachdem er vergeben hat.
7 [15]
das Gewissen verändert <sich> nach der Umgebung, in der wir leben; insofern das Gefühl der Nicht-Übereinstimmung der Werthschätzung bei uns den Trieb der Furcht, Skepsis, des Verschweigens, der Verstohlenheit usw. erzeugt: diese Triebe entladen sich allmählich sofort bei unseren Regungen und verwandeln unser Gewissen in ein böses Gewissen.
7 [16]
Wagner hat viele Wohlthaten von seinen Zeitgenossen empfangen: aber er meinte, die grundsätzliche Ungerechtigkeit gegen Wohlthäter gehöre zum „großen Stile": er lebte immer als Schauspieler und im Wahne der Bildung, wie sie Schauspieler zu haben pflegen. Ich selber bin vielleicht sein größter Wohlthäter gewesen. Es ist möglich, daß in diesem Falle das Bild länger lebt als der, welchen es abschilderte: das liegt darin, daß in meinem Bilde noch Raum ist für eine ganze Anzahl wirkliche Wagners: und vor Allem für viel reicher begabte und reiner wollende.
7 [17]
Wer unter Deutschen lebt, muß sich schon glücklich schätzen, Einen zu finden, der von jener idealistischen Selbst-Belügnerei und Farbenblindheit sich freihält, welche die Deutschen lieben und beinahe als Tugend selber verehren. (Die Franzosen mit ihrem Montaigne La Rochefoucauld Pascal Chamfort Stendhal sind eine viel reinlichere Nation des Geistes) Dies war meine Freude, als ich Rée kennen lernte: er redete von der Moral, so weit er von ihr wußte, und ohne sich Etwas auf seine Moral-Triebe einzubilden. Freilich: er wußte von ihr nicht viel und dies fast nur aus Hören-sagen: und er meinte zuletzt am Ende, Moral selber sei Hören-sagen.
7 [18]
Seit Kant ist alles Reden von Kunst, Schönheit, Erkenntniß, Weisheit vermanscht und beschmutzt durch den Begriff „ohne Interesse".
Mir gilt als schön (historisch betrachtet): was an den verehrtesten Menschen einer Zeit sichtbar wird, als Ausdruck des Verehrungs-Würdigsten.
7 [19]
Es war ein Verdienst des Helvétius, eine Sache der Bravheit, sich der Lust (intérêt) anzunehmen (so Socrates mit dem Nutzen) . ganz wie Epicur (im Gegensatz zu der Lust am Paradoxen, wie bei Mandeville): und es war vielleicht plaisir zu sagen, wie Stendhal wünschte, ihm doch schon zu verletzend (für den moralischen Geschmack, aus dem er selber erwuchs)
7 [20]
Wie die Optik hinter dem Sehen herhinkt, so die Moralistik hinter der Moralität.
Die Einzelbeobachtungen sind bei weitem das Werthvollste.
Eine moral<ische> Grundfehler-Theorie ist meist der Ursprung der großen philosophischen Systeme: es soll etwas bewiesen werden, wozu die Praxis des Philosophen stimmt (Spinoza z. B.) (Schopenhauer Ausnahme – noblesse darin)
7 [21]
Meine Forderung: Wesen hervorzubringen, welche über der ganzen Gattung „Mensch" erhaben dastehen: und diesem Ziele sich und „die Nächsten" zu opfern.
Die bisherige Moral hatte ihre Grenze innerhalb der Gattung: alle bisherigen Moralen waren nützlich, um der Gattung zuerst unbedingte Haltbarkeit zu geben: wenn diese erreicht ist, kann das Ziel höher genommen werden.
Die eine Bewegung ist unbedingt: die Nivellirung der Menschheit, große Ameisen-Bauten usw. (Dühring zu charakterisiren als außerordentlich ärmlich und typisch-gering, trotz seinen pathetischen Worten)
Die andere Bewegung: meine Bewegung: ist umgekehrt die Verschärfung aller Gegensätze und Klüfte, Beseitigung der Gleichheit, das Schaffen Über-Mächtiger.
Jene erzeugt den letzten Menschen. Meine Bewegung den Übermenschen.
Es ist durchaus nicht das Ziel, die letzteren als die Herren der Ersteren aufzufassen: sondern: es sollen zwei Arten neben einander bestehen – möglichst getrennt; die eine wie die epikurischen Götter, sich um die andere nicht kümmernd.
Grundsätze: es hat keine moralischen Handlungen gegeben. Und es ist jede Moral unmöglich: ebenso wie jede moralische Handlung.
Aber Geschichte dessen, was bisher als moralische Handlung gegolten hat: und wahre Bedeutung desselben. Und Geschichte der Entstehung dieser Geltungen.
Sie gehen alle vom Glauben aus, daß die Moralität selber da sei, mindestens als bewußter Maaßstab (wie bei Kant), daß es bekannt sei, was gut und böse ist.
Die wesentliche Unerkennbarkeit.
Es wird nothwendig Etwas erreicht: aber schon ein Wissen darum ist unmöglich, also auch ein Vorherwissen!
Wichtigster Gesichtspunkt: die Unschuld des Werdens zu gewinnen, dadurch daß man die Zwecke ausschließt. Nothwendigkeit, Causalität – nichts mehr! Und alles das als Verlogenheit zu bezeichnen, dort von „Zweck" zu reden, wo immer ein nothwendiges Resultat vorliegt! Die Geschichte kann niemals „die Zwecke" beweisen: denn allein klar ist, daß, was Völker und Einzelne gewollt haben, immer etwas wesentlich Anderes war als das, was erreicht wurde – kurz, daß alles Erreichte dem Gewollten absolut incongruent ist (z.B. Kauen als „Absicht" und „Aktion")
Geschichte der „Absichten" ist etwas Anderes als Geschichte der „Thatsachen": – in der Moral. Es ist das gemeinste Vorurtheil, welches von der Handlung nicht mehr sieht als was an ihr sich mit dem Beabsichtigten Zwecke deckt. Es ist dieses Augenmerk auf Zwecke ein Zeichen der tiefen Stufe des Intellekts – alles Wesentliche, die Handlung selber und das Resultat werden übersehen!
7 [22]
Bei meiner Wanderung durch die vielen feineren und gröberen Moralen, fand ich gewisse Züge regelmäßig immer mit einander wiederkehrend und an einander geknüpft: so daß sich mir endlich zwei Grundtypen verriethen: es giebt Herren-Moral und Sklaven-Moral. Ich füge hinzu, daß in Zeiten höherer Cultur Versuche der Verurtheilung beider Moralen zum Vorschein kommen, noch öfter ein Durcheinander derselben, ja bisweilen ein hartes Nebeneinander – sogar im selben Menschen, innerhalb Einer Seele.
Erste Frage: wo sind die moralischen Werthschätzungen entstanden? Im Allgemeinen unter Aristokraten, unter einer herrschenden Art, welche sich ihres Unterschieds gegen eine beherrschte bewußt wird.
Im Allgemeinen bedeutet das moralische Werthschätzen, daß sich eine höhere Art Mensch gegen eine niedrigere als höhere bewußt wird.
Die Nöthigung, sie zu bilden, bestand einmal im Verhältniß zu den Unterworfenen, dann im Verhältniß zur Tugend. Im ersten Falle wird an den Eigenschaften das Auszeichnende, Seltene, Edle, Abhebende hervorgehoben, im anderen Falle das Schwere in der Erlangung und Festhaltung des vornehmen Typus, kurz in der Arbeit zur Tugend.
Zweite Frage. Was folgt im Allgemeinen aus der Thatsache, daß die Herrschenden es sind, welche den Begriff „gut" bestimmen?
Es giebt in der That eine Menge von Zügen, die bei den verschiedensten Moralen wiederkehren: der Grund liegt darin, daß die Züge des Mächtigen darin sind.
Der Unmoralische ist im Allgemeinen der Verächtliche (nicht der „Böse").
Dies geht bis in die letzte Consequenz: selbst der, welcher, gleich mir, die moralischen Werthschätzungen selber unter einander abschätzt, will sich damit als einen höheren Menschen abscheiden von denen, welche unter hergebrachten Werthschätzungen es aushalten zu leben.
Es sind die erhobenen stolzeren Zustände, welche als „gut" bezeichnet werden:
Verachtung des Feigen, Ängstlichen
Verachtung des an enge Nützlichkeit Denkenden, Kleinlichen
Verachtung des Mißtrauischen, der Schwüre haben will
Verachtung des Armen, Bettelnden, Sich-Erniedrigenden, Sklaven- und Hunde-Art, welche sich mißhandeln läßt.
Ehre dagegen dem Gefühl der Fülle und des Überströmens. reich genug, um dem Unglücklichen zu helfen,
Ehre für den, welcher Macht über sich selber hat, zu reden und zu schweigen versteht, zu befehlen und zu gehorchen versteht
Ehre der Weisheit, welche den langen Nutzen ins Auge zu fassen versteht und lange Beschlüsse festhalten kann
Ehre dessen, der nicht gefallen will, weil er sich gefällt: des Stolzen.
Ehrerbietung gegen die Älteren
gegen das Herkommen
die Ehrerbietung gegen die Frauen ist modern: es fehlt etwas die Achtung vor dem Alter.
amuneoJ ai
„Abwehr" in der Rache.Fähigkeit zur langen Dankbarkeit und Rache.
Wiedervergeltung als Wahn der Gerechtigkeit. –
wer gleichgültig gegen eine schwere Kränkung bleibt, ist verächtlich ...... aber: „der ist der beste Mann, der die meisten Beleidigungen zu ertragen weiß" Menander.
aber nicht nachzutragen geneigt! –
vollkommene Verschiedenheit in der Beurtheilung von Handlungen gegen Gleiche und gegen die Wesen niedrigen Ranges.
der Freund
Der Feind gilt nicht als verächtlich: deshalb haben die bösen Handlungen als Feindes-Handlungen eine andere Schätzung.
In sofern Feindschaft noth thut, muß auch der Sinn dazu erhalten bleiben, also in gewissem Sinn gepflegt werden.
(so die Lüge bei den Spartanern)
die Härte, Grausamkeit usw.
Man muß Feinde haben als Abzugsgräben solcher Affekte, wie Neid, Streitsucht – um gut Freund sein zu können.
der Mächtige urtheilt: wer mir schadet, ist an sich schädlich. Er ist der höchste Werthbestimmer.
Das Logische, die Zeit, der Raum müßten von uns produzirt sein: Unsinn! Wenn der Geist ihren Gesetzen sich fügt, so ist es, weil sie thatsächlich wahr sind, wahr an sich! Daß wir an diese Wahrheit glauben, absolut, das ist die Folge davon, daß die Abnormen aussterben: der Fehler an diesen Wahrheiten rächt sich.
7 [23]
Wie müßte das Gleichartige in der Moral aussehen, wenn die Schwächeren, Beherrschten und Gedrückten moralisiren?
Wenn die Vergewaltigten, Gedrückten, Leidenden, Unfreien, ihrer-selber-Ungewissen, Müden moralisiren: was wird das Gleichartige ihrer moralischen Unterscheidungen sein? Wahrscheinlich wird ein Argwohn zum Ausdruck kommen; vielleicht eine Verurtheilung des Menschen mitsammt seiner Lage.
Ein abgünstiger Blick für die Tugenden der Mächtigeren: feine Skepsis und Mißtrauen gegen alles „Gute" wird dort geehrt und Verkleinerung des Glücks der Mächtigen und des Lebens.
Hervorkehrung der Eigenschaften, vermöge deren sich Leidende das Leben erleichtern: Ruhm des Mitleidens, aber aus anderen Gründen, als wenn die Mächtigen es rühmen (die Nützlichkeit ist der Grund)
Ruhm der Demuth und Verfeinerung dieses Gesichtspunktes in allgemeiner Unterwerfung unter die Gesetze des Daseins: Vorliebe für „Unfreiheit des Willens" – der Mensch durch und durch abhängig.
Eine Art Rache liegt in der Hervorkehrung der entgegengesetzten Tugenden: so wird gelobt Abstinenz, willkürliche Peinigung, Einsamkeit, geistige Armut: und mit der Zukunft verbindet man die Apathie.
Diese ganze Moral-Wendung ist in Europa jüdisch.
Gesetzt, eine solche Gesinnung kommt allmählich zur Herrschaft und Menschen mit ihr werden die Herrschenden: so ist die Folge eine ungeheure moralische Verlogenheit (oder Schamlosigkeit).
(das Plebejische in den griechischen Moralisten Socrates)
Dies geschah im europäischen Priesterthum. Im englischen Utilitarism, in Kant, Schopenhauer.
(Werth der Franzosen-. Ihr Takt hinsichtlich der Scham)
Nun ist eine zweite Wendung möglich: die der Schamlosigkeit: die allgemeine Lust an der Bestie Mensch, an der Thatsache der Illusionen
Unter den Beherrschten wird das Böse „schlecht".
Vorstellung einer großen Rache (Tertullian)
7 [24]
Da Rée von dem Grundsatze ausgeht, gut sei allein das, was Einer nicht um seiner selber willen thue: so hat er sich in der lächerlichsten Weise selber die Schnur um den Hals gelegt, wenn er der Gesellschaft das Recht geben will, von dem Satze „der Zweck heiligt das Mittel" Gebrauch zu machen. Denn mit allem Strafen von Verbrechen will die Gesellschaft ihre Erhaltung und Förderung – das ist kein Zweifel. Folglich ist ihr Zweck kein guter, kein heiliger: folglich kann ihr Zweck nicht ihre bösen Mittel heiligen.
Wer an „gut" und „böse" hängen bleibt, kann nicht strafen: ebenso wer an „verdient" und „nicht verdient" glaubt: alledem gegenüber muß man die absolute Kausalität aufstellen. – Nur wenn man als höhere Art Mensch sich die Macht nimmt, die geringere zu unterdrücken, in Zaum zu halten, jedenfalls ihr auf alle Weise Feindschaft zu machen: verstehe ich alles „Strafen". Es ist Unterdrückung – mit dem Worte Recht treibt man Pharisäismus. Ich wüßte nicht, woher es abzuleiten wäre, daß das Stärkere, Höhere seine Macht gegen das Geringere ausüben dürfte: noch weniger, warum es das nicht dürfte.
Überall, wo das Höhere nicht das Mächtigere ist, fehlt etwas am Höheren selber: es ist nur ein Stück und Schatten erst.
7 [25]
Schmerz und Lust sind nur Begleiterscheinungen.
Der Hunger hat nicht als Ziel Befriedigung des Appetits: sondern der Prozeß, dessen Merkmal für uns Hunger heißt, ist überhaupt kein Trieb und kein Zustand der Empfindung: es ist ein chemischer Zustand, in dem die Affinität zu anderen Dingen vielleicht größer ist.
Wie armselig steht es mit unserer Einsicht in alles Wirkliche, wenn wir an Lust und Unlust als die einzige Sprache desselben gebunden sind!
„Trieb" ist nur eine Übersetzung in die Sprache des Gefühls aus dem Nichtfühlenden:
„Wille": das ist das, was in Folge jenes Vorgangs unserem Gefühle sich mittheilt – also bereits eine Wirkung, und nicht der Anfang und die Ursache.
Unser Sprechen ist ein Mischmasch zweier Sphären.
„Zweck und Mittel" – ist nur aus der Sprache des Gefühls genommen.
Also sämmtliche Funktionen gehen ihren Gang: aber wie wenig merken wir davon! – Und doch meinen wir, mit „Zwecken", mit Glückseligkeits-Streben unser Handeln zu erklären!
7 [26]
Nicht „das Glück folgt der Tugend" – sondern der Mächtigere bestimmt seinen glücklichen Zustand erst als Tugend.
Die bösen Handlungen gehören zu den Mächtigen und Tugendhaften: die schlechten niedrigen zu den Unterworfenen.
Der mächtigste Mensch müßte der böseste sein, insofern er sein Ideal an allen Menschen durchsetzt gegen alle ihre Ideale und sie zu seinem Bilde umschafft – der Schaffende.
Böse heißt hier: hart schmerzhaft aufgezwungen
7 [27]
Solche Menschen wie Napoleon müssen immer wieder kommen und den Glauben an die Selbstherrlichkeit des Einzelnen befestigen: er selber aber war durch die Mittel, die er anwenden mußte, corrumpirt worden und hatte die noblesse des Charakters verloren. Unter einer anderen Art Menschen sich, durchsetzend hätte er andere Mittel anwenden können und so wäre es nicht nothwendig, daß ein Cäsar schlecht werden müßte.
7 [28]
Der gemeinen Masse zur Herrschaft zu verhelfen ist natürlich das einzige Mittel, ihre Art zu veredeln: aber erst als herrschende, nicht im Kampfe um die Herrschaft dürfte man darauf hoffen. Der Kampf entfesselt vielmehr ihre tiefste Gemeinheit.
So ist eine zeitweilige Herrschaft der Juden das einzige Mittel, sie zu veredeln.
7 [29]
„Wir handeln nach Zwecken" (nach Vorstellungen zu erwartender angenehmer Gefühle) – so sagen wir. In Wahrheit geschieht etwas ganz Anderes, Unbewußtes und Unwißbares: den kleinsten Theil dessen, was geschieht, fassen wir in's Auge beim Worte „Zweck und Mittel" – und auch den legen wir erst aus als Zweck und Mittel.
Wir reden so als ob die Gefühle Ursachen wären und Ursachen sein könnten im Reich des Nicht-Fühlenden.
Die Bilder und Reflexe eines Prozesses werden von uns als Prozeß selber verstanden und ausgedeutet.
Das ist unser größter Irrthum, zu meinen, die Wirklichkeit eines Vorgangs werde durch Lust und Schmerz bewiesen, hier gehe es am realsten zu.
Die Gefühle als Begleit-Erscheinungen können uns wohl die Folge der Vorgänge lehren, von denen sie Bilder sind: aber nicht die Causalität dieser Folge.
7 [30]
Wer Anderen nützt, warum soll der besser sein als wenn er sich nützt? Doch nur, wenn der Nutzen, den er Anderen erweist, in einem absoluten Sinn höherer Nutzen ist als der welchen er sich erweist. Sind die Anderen weniger werth, so wird er, wenn er sich nützt, selbst auf Unkosten der Anderen, Recht handeln.
Alles Gerede von „Nutzen" setzt schon voraus, daß das, was den Menschen nützlich ist, definirt sei: mit anderen Worten, Nützlich wozu! d.h. der Zweck des Menschen ist schon voraus genommen. Erhaltung, Glücklich-machen usw. wenn das Zwecke sind: so sind doch auch unter Umständen die Gegentheile die höheren Zwecke z. B. bei einer pessimistischen Ansicht vom Leben und Leiden.
Also ein Glaube ist schon vorausgesetzt – beim Lobe des Uneigennützigen: daß das ego nicht verdiene, dem ego Anderer vorgezogen zu werden? Dem widerstreitet aber die höhere Taxation des Uneigennützigen: gerade es wird ja angenommen, daß er eine seltnere Art sei. Weshalb soll nun der seltnere höhere Mensch sich aus dem Auge verlieren? – Er soll's gar nicht, es ist eine Dummheit, aber er thut's: und die Anderen haben den Vortheil davon und sind ihm dafür dankbar: sie loben ihn. – Also die Egoisten loben den Unegoistischen, weil er so dumm ist, ihren Vortheil seinem Vortheile voranzustellen: weil er so handelt, wie sie nicht handeln würden – aber zu ihren Gunsten.
7 [31]
Nach Spinoza: „sofern der Mensch die Vernunft anwendet, hält er nur das für nützlich, was zum Erkennen führt".
7 [32]
Der Alleinherrscher und der Sklave (ersterer zum Gotte geschraubt, letzterer in eben dem Maaße sinkend)
7 [33]
Daß in allen „Sinnes-Eindrücken" wir nicht nur passiv, sondern sehr aktiv sind, auswählend, verbindend, ausfüllend, auslegend – es handelt sich um die Ernährung wie bei der Zelle: um Assimilation und Umstellung des Ungleichartigen.
7 [34]
die engen Mittel der Erkenntniß „der ist beruhigt, bezähmt, entsagend, geduldig, gesammlet" die näheren: Vedastudium, Opfer, Almosen, Büßen, Fasten – ein Mittel zur Erreichung der Erkenntniß.
7 [35]
Spinoza nahm mit seiner Ethik Rache am jüdischen Gesetz: das Individuum kann thun, was es will ähnlich wie Paulus.
7 [36]
Kant suchte die äußerste Gebärde des moralischen Stolzes als er allen Eudämonismus verwarf: das absolute Gehorchen: das Ideal eines Unterworfenen und Gedrückten, der allen Werth dorthinein setzt, wozu die Gehorchenden die beste Vorübung haben – und nur ja keine „Lust"!
7 [37]
„Illusionen sind nöthig, nicht nur zum Glück, sondern zur Erhaltung und Erhöhung des Menschen: insonderheit ist gar kein Handeln möglich ohne Illusion. Selbst jeder Fortschritt der Erkenntniß ist durch die Illusion erst möglich: folglich muß der Quell der Illusion unterhalten werden, falls wir erkennen, gut handeln und wachsen wollen" – so dachte ich einst.
Gäbe es eine absolute Moral, so würde sie verlangen, daß unbedingt der Wahrheit gefolgt werde: folglich, daß ich und die Menschen an ihr zu Grunde gehen. – Dies mein Interesse an der Vernichtung der Moral. Um leben und höher werden zu können – um den Willen zur Macht zu befriedigen, müßte jedes absolute Gebot beseitigt werden. Für den mächtigsten Menschen ist auch die Lüge ein erlaubtes Mittel, beim Schaffen: ganz so verfährt die Natur.
7 [38]
Die Moral der Klugheit bei unterdrückten Naturen ausgebildet: bis dahin, daß das Verbrechen, welches verborgen bleibt und wohlthätige Folgen für den Thäter hat, tugendhaft sei.
Das Erstreben der Lust als Ziel der Moral ist schon charakteristisch für unterdrückte und leidende Naturen.
Die vorhandene Lust schätzt die Dinge ab bei den Mächtigen: das hohe Gefühl wird da intellektuell.
Eudämonism Hedonism Utilitarianism als Zeichen der Unfreiheit, ebenso alle Klugheits-Moral.
Heroism als Zeichen der Freiheit. „Fingerzeige einer heroischen Philosophie."
Zum Heroism gehört dann auch der herzliche Antheil am Kleinen, Idyllischen.
7 [39]
Man muß die Moral nicht bei den Schriftstellern über Moral suchen (noch weniger die Moralität!), die Moralisten sind in der großen Mehrheit Gedrückte Leidende Ohnmächtige Rachsüchtige – ihre Tendenz ist ein Bischen Glück: Kranke, welche meinen, Genesung sei Alles.
7 [40]
Aus La Rochefoucauld schimmert eine sehr noble Denkart der damaligen Gesellschaft hindurch: er selber ist ein enttäuschter Idealist, der nach Anleitung des Christenthums die häßlichen Namen der damaligen Triebfedern hervorsucht.
7 [41]
Die moralische Complizirtheit der Seele durch Christenthum und Ritterlichkeit gehört mit zum Charakter Louis XIV und seiner Zeit: die Griechen (Homer) erscheinen zu schlicht und einfältig, auch ihren Seelen nach.
7 [42]
Bei der Freizügigkeit des Verkehrs können Gruppen gleichartiger Menschen sich zusammenthun und Gemeinwesen gründen. Überwindung der Nationen.
Die Raubthiere und der Urwald beweisen, daß die Bosheit sehr gesund sein kann und den Leib prachtvoll entwickelt. Wäre das Raubthierartige mit innerer Qual behaftet, so wäre es längst verkümmert und entartet.
Der Hund (der so viel klagt und winselt) ist ein entartetes Raubthier, ebenso die Katze. Eine Unzahl gutmüthiger gedrückter Menschen beweisen, daß die Gutartigkeit mit einem Herunterkommen der Kräfte verbunden ist: die ängstlichen Empfindungen überwiegen! und bestimmen den Organismus.
Man muß also das Böse, welches als Überfeinerung und Stimulans, als Folge physischer Entartung auftritt (Grausamkeits-Wollust usw.) und den moralischen Stumpfsinn bei moral insanity nicht in den Vordergrund stellen!
Das Gute zu betrachten, wie es als Zeichen der Entartung auftritt – als religiöser Wahnsinn z. B. als Philanthropie usw.: überall wo der gesunde Egoismus nachläßt und Apathie oder Ascese erstrebt werden. Der „Heilige" als Ideal leiblicher Verkümmerung, auch die ganze Brahman-Philosophie ein Zeichen der Entartung.
a) Die höhere Art: – – –
b) Die niedrigere Art: – – –
c) Die Entartenden: ihr „Gutes"
ihr „Böses".
7 [43]
Stendhal citirt als Sprüchwort der Coulissen: „Telle trouve à se vendre, qui n'eût pas trouvé à se donner."
„Niemand will sie geschenkt: so muß sie sich schon verkaufen!" – sagte ich
7 [44]
Ich betrachte die griechische Moralität als die höchste bisherige; was mir bewiesen damit ist, daß sie <es> mit ihrem leiblichen Ausdruck auf das Höchste bisher gebracht hat.
Dabei aber meine ich die thatsächliche Volks-Moralität, – nicht die von den Philosophen vertretene: mit Socrates beginnt der Niedergang der Moral: es sind lauter Einseitigkeiten in den verschiedenen Systemen, die ehemals Glieder eines Ganzen waren – es ist das auseinandergefallene ältere Ideal. Dazu kommt der vorherrschend plebejische Charakter, es sind Menschen ohne Macht, bei Seite Gestellte, Gedrückte usw.
In der neueren Zeit hat die italienische Renaissance den Menschen am höchsten gebracht: „der Florentiner" – aus ähnlichen Gründen. Man sieht auch da die einzelnen Bedingungen, neben den vollkommenen und ganzen Menschen, wie Bruchstücke: z.B. „der Tyrann" ist ein solches Bruchstück: der Kunstliebhaber.
Vielleicht war der Provençale schon ein solcher Höhepunkt in Europa – sehr reiche, vielartige, doch von sich beherrschte Menschen, die sich ihrer Triebe nicht schämten.
7 [45]
Luther verräth in der Art, wie er Feind ist, seine bäurische Abkunft und Gemeinheit, Mangel an Vornehmheit.
7 [46]
Napoleon corrumpirt im Kampf um die Macht, wie Bismarck. Ich hoffe auf kleine „Tyrannen" für's nächste Jahrhundert.
7 [47]
„Moral als Zeichensprache."
7 [48]
Die Anfänge des moralischen Urtheilens (also der Moral welches spät, vielleicht um Jahrtausende später gekommen ist als die Moralität, kann man sich gewiß nicht leicht ärmlich genug denken: daher hatte ich Vergnügen, zu sehen, wie R<ée> auf ein paar Klugheiten, ein paar Irrthümer, ein paar Vergeßlichkeiten das ganze wundervolle gothische Bauwerk der Moral aufzubauen unternahm! ich selber hatte andere Grundlagen: aber die Tendenz, daß es möglichst schlechte sein müßten, hatten wir gemeinsam.
7 [49]
Wie vernagelt und unwissenschaftlich da noch alles zugeht – siehe die erste Seite Lecky!
7 [50]
Kriegstüchtig und gebärtüchtig: das entscheidet zunächst und zuhöchst.
7 [51]
Es ist die Forderung der noblesse, daß Gleiches mit Gleichem vergolten wird, auch in der Rache: die Sache eines Solchen, der auch im Affekte sich noch Grenzen setzt – ebenso noch in der Dankbarkeit. Aber was hat der Staat mit dieser noblesse zu schaffen!
7 [52]
Die freieste Handlung ist die, wo unsre eigenste stärkste feinstens eingeübte Natur hervorspringt und so, daß zugleich unser Intellekt seine dirigirende Hand zeigt. – Also die willkürlichste und doch vernünftigste Handlung!
7 [53]
das Argument gegen die Rache aus dem unfreien Willen wäre auch ein Argument gegen die Dankbarkeit: man vergilt Wohlthaten nicht, weil der Thäter unfrei war.
7 [54]
Lohn und Strafe verderben den Blick für die natürlichen Folgen jeder Handlung.
7 [55]
Wie kann der Staat Rache übernehmen! Erstens ist er kalt und handelt nicht im Affekt: was der Rache-Übende thut. Dann ist er keine Person, am wenigsten eine noble Person: kann also auch nicht im Maßhalten (im „Gleiches mit Gleichem") seine noblesse und Selbstzucht beweisen. Drittens nimmt er gerade das weg an der Rache, was zur Wiederherstellung der verletzten Ehre dient: das freiwillige Preisgeben des Lebens, die Gefährlichkeit um der Ehre willen. Er würde also nur dem unnobel denkenden Verletzten eine Genugthuung bieten, dem Nobleren im Gegentheil die Wiederherstellung seiner Ehre rauben. – Endlich: er setzt Schamlosigkeit des Verletzten voraus: der von seiner Verletzung öffentlich reden muß! Die „Klage" ist ja eine Forderung, die der Staat macht! Aber der edle Mensch leidet schweigend. – Also nur die gemeinen Naturen können im Staate das Werkzeug der Vergeltung sehen. Daher der erbitterte Kampf für die Blutrache gegen den Staat. – Pasquale Paoli mußte deshalb die Hingebung an das Ganze als das Noblere – als ein Opfer! – hinstellen und das Verzichtleisten auf die Blutrache fordern, als eine höhere Selbstüberwindung: deshalb setzte er Beschimpfung auf den, der sich rächt.
Der Staat gewährt Schutz dem Schwächeren, der sich selber gegen den Übelthäter nicht schützen kann: also Strafen sind zuerst Sicherheitsmaßregeln, auch insofern sie abschrecken. Er will nicht, daß man sich selber wehrt – er fürchtet nicht die Rache, sondern die souveräne Gesinnung!
Also: die Unterordnung unter die Gerechtigkeit des Staates ist eine Aufopferung, nicht eine Nützlichkeit für edlere Menschen. Somit muß der Staat selber als eine höhere Empfindung gewirkt haben: kurz, älter als die Einordnung unter die Gerechtigkeits-Übung des Staates muß der Glaube an die Heiligkeit (Ehrwürdigkeit) des Staates sein: älter und stärker! In Bezug auf Kinder und Sklaven hält der Vornehme lange seine Hoheit fest: seine Souverainetät also. – Nicht Gesichts-Punkte der Klugheit, sondern Impulse des Heroismus sind in der Entstehung des Staates mächtig gewesen: der Glaube, daß es etwas Höheres giebt als Souverainetät des Einzelnen. Da wirkt die Ehrfurcht vor dem Geschlechte und den Ältesten des Geschlechts: ihm bringt der Jüngere sein Opfer. Die Ehrfurcht vor den Todten und den überlieferten Satzungen der Vorfahren: ihnen bringt der Gegenwärtige sein Opfer. – Da wirkt die Huldigung vor einem geistig Überlegenen und Siegreichen: das Entzücken, seinem Musterbilde leibhaft zu begegnen: da entstehen Gelöbnisse der Treue. – Es ist nicht der Zwang, und nicht die Klugheit, welche die älteren Staatsformen aufrecht erhält: sondern das Fortströmen nobler Regungen. Der Zwang würde gar nicht auszuüben sein, und die Klugheit ist vielleicht noch zuwenig individuell entwickelt. – Eine gemeinsame Gefahr giebt vielleicht den Anlaß zum Zusammenkommen: und das Gefühl der neuen gemeinsamen Macht hat etwas Hinreißendes und ist eine Quelle nobler Entschließungen.
7 [56]
Einstmals hatte man die Theorie vom Staat als einer berechnenden Nützlichkeit: jetzt hat man die Praxis dazu! – Die Zeit der Könige ist vorbei, weil die Völker ihrer nicht mehr würdig sind: sie wollen nicht das Urbild ihres Ideals im Könige sehen, sondern ein Mittel ihres Nutzens. – Das ist die ganze Wahrheit!
7 [57]
Der Mensch möchte gern etwas haben, wie höchsten Zweck, letztes Ziel, absolute Pflicht, <absolutes> Soll: das Verlangen darnach ist die Ursache der vielen Moralen. Aber was ist die Ursache dieses Verlangens? Wohl Vielerlei z.B. – jeder einzelne Trieb des Menschen hat wohl das Verlangen, wenn er sich des Intellekts bemächtigt hat, als letzter Herr und Zwecksetzer aller menschlichen Dinge zu gelten. In den Moralen haben sich die verschiedensten Triebe ihre Denkmäler gesetzt.
7 [58]
Es giebt Moralen, welche ihren Urheber vor Anderen rechtfertigen sollen: andere sollen ihn beruhigen und zufrieden machen; mit anderen will er sich selber an's Kreuz schlagen; mit anderen will er an den Anderen Rache üben; mit anderen will er sich verstecken; mit anderen will er sich verklären, sei es vor sich oder anderen; mit anderen will er sich empor und vorwärts bringen; mit anderen will er an der Menschheit Macht und Schöpferkraft ausüben; mit anderen will er gehorchen, mit anderen herrschen und demüthigen. Mit anderen will er vergessen oder sich vergessen machen. Genug, die Moralen sind auch nur eine Zeichensprache der Affekte.
7 [59]
nicht die Absicht, sondern gerade das Unabsichtliche daran macht den Werth oder Unwerth einer Handlung aus.
7 [60]
Die Moralen als Zeichensprache der Affekte: die Affekte selber aber eine Zeichensprache der Funktionen alles Organischen.
7 [61]
Ganz abgesehen vom Werthe solcher Behauptungen: wie „es giebt einen kategorischen Imperativ!" kann man immer noch fragen: was sagt eine solche Behauptung von dem Behauptenden aus.
7 [62]
Jetzt erst dämmert es den Menschen auf, daß die Musik eine Zeichensprache der Affekte ist: und später wird man lernen, das Trieb-system eines Musikers aus seiner Musik deutlich zu erkennen. Er meinte wahrlich nicht, daß er sich damit verrathen habe. Das ist die Unschuld dieser Selbstbekenntnisse, im Gegensatz zu allen geschriebenen Werken.
Aber es giebt auch bei den großen Philosophen diese Unschuld: sie sind sich nicht bewußt, daß sie von sich reden – sie meinen, es handle sich „um die Wahrheit" – aber es handelt sich im Grunde um sie. Oder vielmehr: der in ihnen gewaltigste Trieb bringt sich an's Licht, mit der größten Schamlosigkeit und Unschuld eines Grundtriebes – er will Herr sein und womöglich der Zweck aller Dinge, alles Geschehens! Der Philosoph ist nur eine Art Gelegenheit und Ermöglichung dafür, daß der Trieb einmal zum Reden kommt.
Es giebt viel mehr Sprachen als man denkt: und der Mensch verräth sich viel öfter als er wünscht. Was redet nicht! – aber es giebt der Hörenden immer noch Wenige, so daß der Mensch seine Bekenntnisse gleichsam in den leeren Raum hinein plaudert: er ist ein Vergeuder mit seinen „Wahrheiten", wie die Sonne es mit ihrem Lichte ist. – Ist es nicht Schade, daß der leere Raum keine Ohren hat?
Es giebt Ansichten, da empfindet der Mensch: „das ist allein wahr und richtig und wahrhaft menschlich; wer anders denkt, irrt" – das nennt man religiöse und sittliche Ansichten. Es ist klar, daß hier der souveräne Trieb redet, der stärker ist als der Mensch. Jedesmal glaubt hier der Trieb, die Wahrheit und den höchsten Begriff „Mensch" zu haben.
Es giebt wohl viele M<enschen>, in denen ein Trieb nicht souverän geworden ist: in denen giebt es keine Überzeugungen. Dies ist also das erste Characteristicum: jedes geschlossene System eines Philosophen beweist, daß in ihm Ein Trieb Regent ist, daß eine feste Rangordnung besteht. Das heißt sich dann: „Wahrheit". – Die Empfindung ist dabei: mit dieser Wahrheit bin ich auf der Höhe „Mensch": der Andere ist niedrigerer Art als ich, mindestens als Erkennender.
Bei rohen und naiven Menschen herrscht die Überzeugung auch in Betreff ihrer Sitten, ja ihrer Geschmäcker: es ist der bestmögliche. Bei Culturvölkern herrscht eine Toleranz hierin: aber um so strenger hält man fest an seinem höchsten Maßstab für Gut und Böse: darin will man nicht nur den feinsten Geschmack haben, sondern den allein berechtigten.
Dies ist die allgemein herrschende Form der Barbarei, daß man noch nicht weiß, Moral ist Geschmacks-Sache.
Im Übrigen wird in diesem Bereiche am meisten gelogen und geschwindelt: die moralistische Litteratur und die religiöse ist die verlogenste. Der herrschende Trieb, er mag sein welcher er wolle, handhabt List und Lüge gegen die anderen Triebe, um sich oben zu erhalten.
Neben den Religionskriegen her geht fortwährend der Moral-Krieg: d.h. Ein Trieb will die Menschheit sich unterwerfen; und je mehr die Religionen aussterben, um so blutiger und sichtbarer wird dies Ringen werden. Wir sind im Anfange!
7 [63]
Die Apperzeption ist zuerst nur Thätigkeit („willkürliche" Bewegungen!)
7 [64]
Meine Theorie: in jeder Handlung eines Menschen wird die ganze Entwicklung des psychischen Lebens durchgemacht
schon die Sinneswahrnehmungen sind Handlungen: damit etwas wahrgenommen werden kann, muß eine aktive Kraft bereits fungiren, welche den Reiz annimmt, wirken läßt und als solchen Reiz sich anpaßt und modifizirt.
Es ist eine Thatsache, daß sich immerfort etwas absolut Neues erzeugt. „Ursache und Wirkung" ist nur die populäre Verallgemeinerung von „Mittel und Zweck" d. h. einer noch populäreren logischen Funktion, der Nichts in der Wirklichkeit entspricht. Es giebt keine Enderscheinungen, außer für ein Wesen, welches schon Anfang und Ende geschaffen hat.
Es erzeugt sich auch in der geistigen Entwicklung immer etwas Neues. Die Empfindung und die Vorstellung sind absolut nicht aus einander ableitbar. Gedanke und Gefühl!
7 [65]
Die „willkürliche" Bewegung der niedersten Organismen ist – – –
7 [66]
Erstens: wie macht man den Menschen herrschend über sich?
zweitens: wie – – –
7 [67]
Es ist durchaus nicht das Wünschenswertheste, alles verdauen zu können, was die Vergangenheit hervorbrachte: so wünschte ich, Dante gienge uns gründlich wider Geschmack und Magen.
7 [68]
Hamlet für eine Spitze des menschlichen Geistes anzusehen – das heiße ich bescheiden über Geist und Spitzen urtheilen. Vor allem ist es ein mißrathenes Werk: sein Urheber würde es mir wohl lachend eingestehen, wenn ich‘s ihm ins Gesicht sagte.
7 [69]
Warum hat sich neben dem Straf-Recht nicht auch ein Lohn-Recht entwickelt? Warum übernahm der Staat nicht auch die Dankbarkeit der Einzelnen gegen die Anderen?
„Recht", nach Jhering, die Sicherung der Lebensbedingungen der Gesellschaft in der Form des Zwanges.
Nicht an sich ist eine Handlung böse, sondern insofern usw.
z. B. der Friedlose kann bußlos getödtet werden das Martern und Foltern von Seiten des Staates das Stehlen bei Aegyptern
Collectiv-Gewissen und -Verantwortlichkeit.
Nicht die Schuld wird gestraft.
Das Verbrechen als Mißgeschick.
Schlecht (verächtlich) und böse zu unterscheiden.
Die Moral bei den Mächtigen und den Unterworfenen.
Ungeheure Complizirtheit der Entstehung der gegenwärtigen moralischen Werthbestimmung: aber Einheit als Gefühl.
Wer nicht strafen will wegen Freiheit des Willens, darf auch nicht loben, danken, zürnen: der Grundglaube aller Affekte im Verkehre ist – – –
7 [70]
Rachegefühl ist Bewußtsein des Geschädigtseins, einmal thatsächlich, zweitens in seinem Glauben an seine Macht (Vernunft, Furchtbarkeit usw.) Beides will einen Gegenakt, also: 1) Abwehr, 2) Ersatz, und 3) Herstellung des Machtgefühls: ganz abgesehen noch vom Glauben an die Schuld des Thäters. Das Rachegefühl hat mit dem Glauben an Freiheit des Willens nichts zu thun.
7 [71]
Organisch – moralisch.
Freiheit des Willens.
Böse als die Vorstufe einer Güte.
7 [72]
„Was für mich gut ist, ist an sich gut" ist nur das Urtheil des Mächtigen, der gewohnt ist, Werth zu geben.
7 [73]
Daß überhaupt moralisirt wird, ist vielleicht noch nie als Problem gefaßt worden. Ist es nothwendig, daß die Menschen immer moralisiren werden? Oder könnte nicht Moral aussterben, wie das astrologische und das alchemistische Nachdenken ausgestorben sind oder aussterben? Nothwendig wofür? Für das Leben? Aber daß man ohne moralisches Urtheilen leben könne, beweisen die Pflanzen und die Thiere. Oder für das Glücklich-leben? Die ebengenannten Thiere beweisen, daß man jedenfalls glücklicher leben könne als Mensch – auch ohne Moral. Also kann die Moral weder nothwendig sein für das Leben überhaupt, noch für das Glücklicher-werden: um nicht schon so weit zu gehen, die Moral verantwortlich zu machen dafür, daß der Mensch mehr leidet als das Thier: – das Mehr-leiden könnte ja andere Gründe haben und die Moral vielleicht ein Mittel sein, das sehr-viel-mehr-Leiden zu verhüten. Aber sicher ist, daß wenn Glücklicher- und Leidloser-werden das Ziel wäre, das wir uns zu stecken hätten: die langsame Verthierung rationell wäre: wozu jedenfalls auch das Ablassen von den moralischen Urtheilen gehörte. Wenn der Mensch also nicht nur leben und nicht glücklicher leben will: was will er denn? Nun sagt die Moral: so und so soll gehandelt werden – warum „soll"? Also die Moral muß es wissen: dies Warum, dies Ziel, welches weder Leben überhaupt noch Glücklicher-werden ist. – Aber sie weiß es nicht! sie widerspricht sich! Sie befiehlt, aber sie vermag sich nicht zu rechtfertigen. – Das Befehlen ist das Wesentliche daran!
Also wozu Moral? Weg mit allem „du sollst"!
7 [74]
Das Gefühl der „Schlechtigkeit" ist ganz anders auf jener Stufe, wo die Schuld nicht eigentlich an die Absicht geknüpft wird: Oedipus (mehr Befleckung und Unglück)
Eigentlich giebt es bei der vornehmen Moral kein „Schlechtes": „das Böse" aber hat immer noch etwas Ehrfurcht oder Mitgefühl-Einflößendes.
7 [75]
Handlungen z. B. Stehlen werden mit ganz anderen Gefühls- und Urtheilsgruppen begleitet, wenn sie als erlaubt gelten.
Man kann durch Vergleichung der Völker beweisen, daß dies hier als gut und dort als schlecht empfunden wird: aber der Gegensatz selbst von „gut" und „schlecht" ist überall vorhanden: nur daß die Handlungen anders einrubrizirt werden. – Doch giebt es auch Verschiedenheiten des Gesammt-Urtheils gut und schlecht!
7 [76]
Die Thiere folgen ihren Trieben und Affekten: wir sind Thiere. Thun wir etwas Anderes? Vielleicht ist es nur ein Schein, wenn wir der Moral folgen? In Wahrheit folgen wir unseren Trieben, und die Moral ist nur eine Zeichensprache unsrer Triebe? Was ist „Pflicht" „Recht" das „Gute", das „Gesetz" – welches Triebleben entspricht diesen abstrakten Zeichen?
Wenn die Moral sagt: „du sollst besser werden" – warum „besser"? – Es läßt sich weder aus dem Leben noch dem Glücklicherleben beweisen. Folglich der unbeweisbare Imperativ der Befehl ohne Zweck – das wäre Moral?
Aber „besser" – ist ohne Zweck gar nicht zu denken.
7 [77]
Woraus wird gehandelt? Das ist meine Frage. Das wozu? wohin? ist etwas Zweites. Entweder aus Lust (überströmendem Kraftgefühl, welches sich austhun muß) oder aus Unlust (Hemmung des Machtgefühls, welches sich befreien oder entschädigen muß) Die Frage: wie soll gehandelt werden? wird gestellt: als ob mit dem Handeln erst etwas erreicht werden solle: aber das Nächste ist das Handeln selber als der Erfolg, das Erreichte, abgesehen von den Folgen das Handelns.
Also nicht um des Glücks wegen oder Nutzens wegen oder um Unlust abzuwehren handelt der Mensch: sondern eine gewisse Kraftmenge giebt sich aus, ergreift etwas, woran sie sich auslassen kann. Das, was man „Ziel", „Zweck" nennt, ist in Wahrheit das Mittel für diesen unwillkürlichen Explosions-Vorgang.
Und Ein und dieselbe Kraftgefühls-Menge kann sich auf tausend Weisen entladen: dies ist „Freiheit des Willens" – das Gefühl, daß im Verhältniß zu der nothwendigen Explosion hundert von Handlungen gleich gut dienen. Das Gefühl einer gewissen Beliebigkeit der Handlung in Betreff dieser Spannungs-Erleichterung.
Meine Lösung: der Grad des Kraftgefühls befruchtet den Geist; der führt viele Ziele vor, wählt sich ein Ziel aus, dessen Folgen für das Gefühl ausspannend sind: also giebt es eine doppelte Entladung: einmal in der Vorwegnahme eines ausspannenden Ziels, sodann im Handeln selber.
„wenn ich Jenes thäte, so würde ich mich verachten, so würde ich unglücklich sein." Dies wäre also: eine That nicht thun wegen der Folgen für meine Empfindung.
Helvétius meint, wir fragen im Grunde, wenn uns die Möglichkeit einer Handlung aufsteigt, „was werden die Folgen dieser Handlung für meine Empfindung sein?"
Stendhal sur l'amour v. p. 252.
Aber das erste Faktum ist, daß ihm diese Möglichkeit auftaucht: der Edle sieht Etwas, wovon eine gemeine Seele keine Idee hat.
Ein überströmendes geladenes Kraftgefühl ist da: das vorgestellte Ziel der Handlung giebt eine Vorwegnahme der Ausspannung und reizt dadurch noch mehr zur Entladung; die folgende Handlung giebt die eigentliche Ausspannung.
So ist es! Das vorgestellte Ziel steigert die Begierde der Entladung auf's Höchste.
Also: das Glück, „le plaisir" als Ziel des Handelns ist nur ein Steigerungsmittel der Spannung: es darf nicht verwechselt werden mit dem Glück, das in der Action selber liegt. Das finale Glück ist sehr bestimmt; das Glück in der Action würde durch hundert solche bestimmte Glücksbilder zu bezeichnen sein.
Also: das „damit" ist eine Illusion: „ich thue dies, um davon das Glück einzuernten". So steht es nicht. Der Handelnde vergißt die eigentliche treibende Kraft und sieht nur das „Motiv".
„Das Glück im erreichten Ziele" ist selber eine Ausgeburt der Kraft-Spannung: ein gleichnißweises Vorwegnehmen und sich-selber-Steigern. Der Eudämonismus ist also eine Folge ungenauer Beobachtung. Man handelt nicht um des Vergnügens willen: das ist aber die Illusion des Handelnden.
7 [78]
Dühring Cursus p. 147, „der mechanische Zustand des Körpers ein Theilzustand der kosmischen Mechanik"
7 [79]
„Ich darf nicht strafen – denn er kann nichts dafür" – dies „ich darf nicht" heißt: ich würde unvernünftig handeln, wie als ob ich einen Baum strafen wollte, der jemanden getödtet hat.
7 [80]
Die Furchtsamen, mit starker Phantasie, welche bereit wären, sich selbst zu unterwerfen und sehr leicht zu versöhnen – treiben aus Furcht und aus Phantasie der Furcht den Gedanken ihrer Gefährdung immer weiter und nehmen deshalb leicht eine übermäßige, vernichtende Rache – die Rache für ein zum größten Theil nur gefürchtetes Leiden.
7 [81]
Das organische Wesen hat 1) die Kraft, chemisch sich anzueignen 2) gewisse Explosionen, welche diese chemischen Prozesse reguliren. Wenn sich zufällig dies Beides zu einander findet, daß das zeitliche Eintreten und <die> Kraft dieser Explosionen wirkt als Regulativ der aneignenden und ausscheidenden Prozesse, so entsteht ein organisches Wesen. Dies ist also die Folge von jenen älteren Arten von Wesen: solchen regelmäßig Explodirenden und solchen Wachsthums-Prozessen.
7 [82]
Der Klagende will sich nicht eingestehen, wie nützlich ihm der Schmerz war. Darin zeigt sich sein Rachetrieb: er will mit Worten dem wehethun und an dem seine Macht auslassen, was ihn verwundete.
7 [83]
Wie viel mehr wir im Wohlgefühle leben, verräth sich darin daß der Schmerz so viel stärker empfunden wird als die einzelne Lust.
7 [84]
Wahrheit und Muth nur bei Freien. (Wahrheit eine Art von Muth)
Der Übelthäter als ein Unglücklicher: Form der Humanität.
Knechtschaft macht schlecht.
auf die meisten Verletzungen reagirt man nicht, sondern unterwirft sich. (Fehlt bei Dühring!)
7 [85]
vornehm – gut
Eigenschaften von Personen – später auf die Handlungen übertragen.
7 [86]
1) Kampf der Theile um Raum um Nahrung sei es mit oder ohne Reizeinwirkung
2) direkter Kampf mit Zerstörung oder Assimilation des schwächeren.
3) die kräftigeren liefern mehr Nachkommen als die schwächeren
den Vorsprung haben immer die, welche bei leichterer Affinität sich leichter regeneriren und weniger verbrauchen
bessere Fähigkeit, sich zu ernähren und geringerer Verbrauch für die eigenen Bedürfnisse – moralisch zu wenden! – günstige Vorbedingungen des Wachsthums und somit der Alleinherrschaft.
Bei Nahrungsmangel werden die am ersten aussterben und verhungern, die am meisten Nahrung verbrauchen.
Vorsprung bei denen, welche bei der Reizeinwirkung am wenigsten rasch sich verzehren, vielmehr wo die Assimilation der Nahrung und Regeneration dadurch gestärkt werden, ja durch den Reiz bis zur Übercompensation gekräftigt werden.
Moralisch: der Werth des Schmerzes, der Verletzung Widerstandsfähigkeit gegen Druck giebt Vorrang
7 [87]
Muth, Scham, Zorn haben nichts an sich mit Begriffen zu thun
physiologische Thatsachen, deren Name und seelischer Begriff nur Symbol ist
Was sagt die Sprache aus von den Namen der Affekte ?
ira
Was heißt es: einen Menschen umändern durch Moral? also physiologisch durch häufige Furcht oder hohe Wallungen Ermattung
Die Einwirkungen der Krankheiten auf die Affekte zu studiren.
7 [88]
meine Aufgabe: die guten Triebe so zu stellen, daß sie Hunger bekommen und sich bethätigen müssen.
7 [89]
über das Vorhandensein höchst vollkommener Anpassungs-Mechanismen Roux p. 43 Übergang der Thiere aus dem Wasser
7 [90]
Erst im Manne wird das Familien-Typische völlig sichtbar; am wenigsten bei leicht erregbaren, anregbaren Jünglingen. Es muß erst Stille eingetreten sein und die Zahl der Einwirkungen von außen her kleiner: oder andrerseits die Anregbarkeit bedeutend nachgelassen haben. – So sind altwerdende Völker beredt über ihr Typisches und geben es deutlicher zu erkennen als in ihrer Jugendblüthe.
7 [91]
Der Kampf führt zum Übrigbleiben der Besten.
7 [92]
Wetteifer der Staatsbürger unter einander, immer die Tüchtigsten gelangen zu einem durchgreifenden Einflusse: so besteht der Staat.
Relative Selbständigkeit der Theile selbst in den höchsten Organismen Roux p 65.
7 [93]
Über die thatsächliche vorhandene Ungleichheit Roux. 69.
7 [94]
Wie Zelle neben Zelle physiologisch steht, so Trieb neben Trieb. Das allgemeinste Bild unseres Wesens ist eine Vergesellschaftung von Trieben, mit fortwährender Rivalität und Einzelbündnissen unter einander. Der Intellekt Objekt des Wettbewerbes.
7 [95]
Wenn eine Qualität der Zelle chemisch so beschaffen ist, die Assimilation die Zersetzung übersteigt, also Übercompensation des Verbrauchten, Wachsthum eintritt: so begründet diese wichtige Eigenschaft die Herrschaft über die anderen Q<ualitäten>.
Wir kennen keinen Organism, keine Zelle, welche nicht in einem Stadium ihres Lebens diese Kraft hätte: ohne sie könnte sich das Leben nicht ausbreiten.
Der Kampf um Nahrung und Raum findet in der Zelle statt, sobald eine Ungleichheit in den Bestandtheilen ist.
Prozesse, die durch Zufuhr von Reizen in ihrer Lebensfähigkeit erhöht werden, in der Assimilation namentlich: wo also der Reiz eine trophische, die Ernährung hebende Wirkung hat – Grundbedingung bei den Pflanzen, deren Ernährung ganz von Sonnenlicht und Wärme abhängt (auch das elektrische Licht bringt rasche Entfaltung und Fruktifikation.
Also Einfluß der Reize auf die schnellere Assimilation – in der Moral: Vermehrung der Macht da, wo eine Fülle feinster Verletzungen vorkommen und dadurch das Bedürfniß der Aneignung gesteigert wird. (Vielmehr mit fremden ausländischen Vorstellungen – Griechen.)
Die leichter erregbare Substanz nimmt mehr Reiz auf.
7 [96]
Recht – der Wille ein jeweiliges Machtverhältniß zu verewigen. Zufriedenheit damit ist die Voraussetzung. Alles, was ehrwürdig ist, wird hinzugezogen, das Recht als das Ewige erscheinen zu lassen.
7 [97]
Praktische Consequenz. Umänderung der Charactere. Züchtung an Stelle des Moralisirens.
mit direkter Einwirkung auf den Organism zu arbeiten statt mit der indirekten der ethischen Zucht. Eine andere Leiblichkeit schafft sich dann schon eine andere Seele und Sitte. Also Umdrehen!
das plebejische Mißtrauen gegen die Affeckte bei Socrates: sie sind häßlich, wild – also zu unterdrücken – deshalb hat Epicur die Vornehmheit voraus, vor den Stoikern. Diese aber sind populärer verständlich.
Ebenso ist der christliche Heilige ein plebejisches Ideal.
7 [98]
Es entstehen Prozesse, wo der Reiz nothwendig wird, zum Lebensreiz wird: sonst tritt Schwinden und Verfall ein.
Es sind die höchsten Prozesse.
Alles dies geschieht ohne den Kampf der Individuen.
Das Auslesen im Kampf der Individuen wird diejenigen Eigenschaften zur dauernden Erhaltung auswählen, welche sich für das ganze Individuum nützlich erweisen.
Also: es müssen viele Arten Moral entstehen – der Kampf ihrer Träger und der Sieg bringt die Art Moral zu dauernder Erhaltung, welche dem Mächtigsten zum Leben nützlich und unentbehrlich ist.
Unzählige Ansätze zu moralischen Werthschätzungen müssen gemacht worden sein, je nach der Ausbildung einzelner starker Grundgefühle.
Absolute Forderung, daß die beste Moral mit den mächtigsten Individuen verbunden sein muß: wer sind diese?
Alle Staaten und Gemeinden sind etwas Niedrigeres als das Individuum, aber nothwendige Arten seiner Höherbildung.
7 [99]
Die „höhere Vernunft" in der Klage ist, daß der Mensch einen Schmerz immer noch vertieft: daß er nicht zu schnell ihn fahren läßt – um so höhere Kräfte zieht er dann heran, der plastische Bildner seiner selber!
7 [100]
Fein wissen, was uns wehethut und wie leicht ein Anderer uns wehethut, und gleichsam seine Gedanken vorherbestimmen, daß er auf keine uns schmerzhaften Wege geräth: dies ist bei vielen Liebenswürdigen die Hauptsache: sie machen Freude und lassen den Anderen Freude ausströmen – weil sie sehr den Schmerz fürchten. „Zartgefühl" heißt man's. – Wer eine abweichende härtere Natur hat, hat keine Nöthigung, sich dergestalt in den Anderen zu versetzen und thut ihm öfter wehe; er setzt diese leichte Schmerzfähigkeit nicht voraus.
7 [101]
das aristokratische Princip sich selber steigernd erfindet immer eine höhere Art unter den Höheren. Der Mächtige wird immer mehr zu dem Seiner-selber-Mächtigen, Kraftausströmenden: man sieht, daß die Vornehmheit viele Grade hat – und etwas im Einzelnen Menschen selbst Wachsendes ist.
7 [102]
Die Macht in der Vorstellung derer, die sie zu fürchten hatten.
7 [103]
Die Lust an Seines-Gleichen, als seinen Vervielfältigungen, ist nur möglich, wenn man an sich selber Lust hat. Je mehr dies aber der Fall ist, um so mehr geht das Fremde uns wider den Geschmack: der Haß und Ekel am Fremden ist gleich groß wie die Lust an sich.
Aus diesem Haß und Ekel ergiebt sich, daß man vernichtet und kalt bleibt gegen alles Fremde.
Hat man aber an sich selber Unlust, so kann dies als Brücke zu einem allgemeinen Menschen-Mitleid und Annäherung benutzt werden 1) man verlangt nach dem Anderen, daß wir uns über ihm vergessen: Geselligkeit bei Vielen 2) man vermuthet, daß der Andere auch Unlust an sich habe: und nimmt man es wahr, so erregt er nicht mehr Neid „wir sind gleich" 3) wie wir uns ertragen, trotz der Unlust an uns, so gewöhnen wir uns, auch „unsersgleichen" zu ertragen. Wir verachten nicht mehr; Haß und Ekel nehmen ab: Annäherung. So ist auf die Lehre der allgemeinen Sündhaftigkeit und Verwerflichkeit der Mensch sich näher gerückt. Selbst die thatsächlich Mächtigen werden mit anderer Phantasie angesehen: „es sind arme elende Menschen im Grunde".
7 [104]
Menschen, die wandelnde Gesetzgebungen sind
7 [105]
als Geschmack tritt das Urtheil „gut" in uns auf: so tyrannisch und sicher, wie ein Geschmack für saure Gurken oder wie ich es in der Nähe eines spuckenden Menschen nicht aushalte.
7 [106]
nicht den Affekt der Distance verlieren!
7 [107]
Erobern – ist die natürliche Consequenz einer überschüssigen Macht: es ist dasselbe wie das Schaffen und Zeugen, also das Einverleiben seines eigenen Bildes in fremden Stoff. Deshalb muß der höhere Mensch schaffen d.h. sein Höhersein Anderen aufdrücken, sei es als Lehrer, sei es auch als Künstler. Denn der Künstler will sich mittheilen und zwar seinen Geschmack: ein Künstler für sich ist ein Widerspruch. Ebenso steht es mit den Philosophen: sie wollen ihren Geschmack an der Welt herrschend machen – deshalb lehren und schreiben sie. Überall wo überschüssige Macht da ist, will sie erobern: dieser Trieb wird häufig Liebe genannt, Liebe zu dem, an welchem sich der erobernde Instinkt auslassen möchte. – Der Eitle will gefallen, er will nach dem Geschmack Anderer sein: darin zeigt sich der Mangel an schaffender Kraft – er ist „leer". Der Unwahre der Heuchler fürchtet sich vor dem Geschmack Anderer, selbst der Kluge, Vorsichtige: ein Mangel an überschüssiger Kraft ist hier die Voraussetzung. Während das Unbedenkliche Übermüthige Trotzige Unbesorgte Aufrichtige Übereilte Unvorsichtige leicht bei der Menge der Kraft sind, welche die Spannung zu groß macht und die Handlungen schnell heraustreibt – wider die Nützlichkeit. Hieraus erklärt sich auch, warum die Klugheits-Rücksicht nicht in gutem Rufe bei den Mächtigen steht: es ist leicht ein Anzeichen von Kraft-Mangel, klug zu sein. Andrerseits ist die unkluge Handlung unter Umständen nobel: und daher vielleicht auch das Lob des Uneigennützigen: der Uneigennützige d. h. der welcher nicht klug und vorsichtig handelt, sondern wie Einer, der überströmt – was liegt ihm daran, wohin? Der Berechnende wird verachtet: aber der, welcher für das Ganze der Gemeinde berechnet, um so mehr bewundert. Denn man nimmt an, daß man nicht überflüssiger Weise „klug" ist: denken gilt als schwer.---
So entsteht das Lob der Weisheit: als das Lob dessen, der viel gut und leicht denkt, rechnet, abwägt, und nicht aus Klugheit um des Nutzens willen, sondern aus Liebe zur Gemeinde, zur Verewigung ihrer Gedanken und Institutionen. Es ist etwas Seltenes!
7 [108]
Die Furcht vor der Macht als produktive Gewalt. Hier ist das Reich der Religion. Andererseits erscheint es als höchstes Streben des Menschen, mit dem Mächtigsten, was es giebt, Eins zu werden. Dies ist der Ursprung z.B. des Brahmanismus: erzeugt innerhalb der Kaste der Herrschenden, als phantastische Weiterbildung des Machtbedürfnisses, wahrscheinlich, weil seine Entladung in Kriegen fehlt.
Die Verschmelzung mit der Gottheit kann Gier nach der höchsten Wollust sein (weiblich-hysterisch bei manchen Heiligen) oder Gier nach höchster Ungestörtheit und Stille und Geistigkeit (Spinoza) oder Gier nach Macht usw. Oder selbst die Consequenz der rathlosesten Furchtsamkeit: es ist die einzige Rettung und Flucht, sich in Gott zu flüchten. Das Raffinirteste ist wohl „Überwindung der Gnade" bei den Mystikern.
7 [109]
Das bewußte Beabsichtigen wird bei einer schädlichen Handlung in's Auge gefaßt, an sich nicht als „böse", sondern insofem es die Gefährlichkeit des Fremden, des Feindes viel größer erscheinen läßt. „Er will mir böse", oder „er will böse".
So lange der Feind empfunden wird, fehlt noch das Merkmal des Schmählichen Verächtlichen in der bösen Handlung. Erst wenn der Übelthäter zugleich sich als schädlich und erbärmlich beweist, wird eine Handlung moralisch verworfen. Die Moral beginnt also mit der Verachtung.
7 [110]
Der, welcher viel und mit Bewußtsein lügt, und in Lagen lebt, wo es gefährlich und schwer ist zu lügen, ist eben deshalb auch in einem außerordentlichen Grade verfeinert für die Wahrheit: während Idealisten und Alltags-Gute fortwährend in einem Nebel über sich und ihr Wollen leben und im Grunde niemals die Wahrheit sagen können: – ihr „Geschmack" ist nicht fein genug dazu.
7 [111]
Wer als Dichter mit baarem Golde zahlen will, muß mit seinen Erlebnissen zahlen: deshalb verbittet sich aber der Dichter seine nächsten Freunde als Interpreten – sie errathen, indem sie zurückrathen. Aber sie sollten bewundern, wohinaus einer kommt, auf dem Wege seiner Leiden – sie sollten vorwärts und hinauf blicken lernen und nicht zurück, hinab. –
7 [112]
Gesetzt, daß die Strafen proportional wehe thun sollen der Größe des Verbrechens, müßten sie auch proportional der Empfindlichkeit für Schmerz jedem Verbrecher zugemessen werden d.h. es dürfte eine vorherige Bestimmung der Strafe für ein Vergehen gar nicht geben!
7 [113]
„Der Gute" entsteht nur am Gefühl eines Gegensatzes: das ist der zugleich ihm Schädliche und doch Verächtliche. Das Bemühen der Gesetzgeber ist, vielen Handlungen diesen Charakter zu verleihen, daß sie verächtlich erscheinen, mit Schmach verbunden sind: daß in Einem Gefühl eine Handlung und die an sie geknüpfte Schmach erscheint. – Bei uns ist im Ganzen das gesamte Verbrecherthum so empfunden. Anders ist es, wo der Verbrecher bewundert wird oder durch großen Heroismus und Verachtung von Gefahr einen Überschuß zu seinen Gunsten gewinnt. Der Ketzer z. B. und alle Sektirer erwerben sich oft Achtung, gegen die Verachtung, welche ihnen zuerst entgegenkommt. Man sieht: man hat mit einer Macht zu thun.
7 [114]
Die Gemeinsucht ist älter als die Selbstsucht, jedenfalls lange Zeit stärker. Die Verschiedenheit der Gesinnung war in der That nicht groß: und so rechnete man bei dem Werthe der Handlungen gar nicht nach Gesinnungen, sondern nach Folgen. Die Art glaubte an sich und ihre Gesinnung wie an eine Naturthatsache: man setzte sich ohne Weiteres bei jedem Nächsten voraus – man dachte über Handlungen gar nicht weiter nach, „sie verstanden sich alle von selber".
7 [115]
Die Menschen handeln ganz anders als sie reden: auch die Moralisten machen es so. Wozu Moralisiren? Seid doch ehrlich! Die Hauptsache ist, daß wir es müssen. Alle „wozu's" sind Spiegelfechterei und Hinzugelogenes.
7 [116]
„stellvertretende Tugend"
7 [117]
Die Natur will nichts, aber sie erreicht immer Etwas: wir wollen Etwas und erreichen immer etwas Anderes. Unsre „Absichten" sind nur „Zufälle". –
7 [118]
Wenn die Menschen Alles thun für ihr Glück und doch thatsächlich wenig Geist darauf verwenden, was ihnen Glück bringt: so ergiebt sich, daß ihnen Nachdenken eine große Unlust ist.
7 [119]
Große Menschen wie Cäsar Napoleon sind lebendige Arten! Alles Andere Regieren ist nachgemacht.
7 [120]
39) Unsre Handlungen formen uns um: in jeder Handlung werden gewisse Kräfte geübt, andre nicht geübt, zeitweilig also vernachlässigt: ein Affekt bejaht sich immer auf Unkosten der anderen Affekte, denen er Kraft wegnimmt. Die Handlungen, die wir am meisten thun, sind schließlich wie ein festes Gehäuse um uns: sie nehmen ohne Weiteres die Kraft in Anspruch, es würde anderen Absichten schwer werden, sich durchzusetzen. – Eben so formt ein regelmäßiges Unterlassen den Menschen um: man wird es endlich Jedem ansehn, ob er sich jedes Tags ein paarmal überwunden hat oder immer hat gehn lassen. – Dies ist die erste Folge jeder Handlung, sie baut an uns fort – natürlich auch leiblich.
40) Zu jeder Handlung gehört nun auch eine Meinung bei uns über uns in Bezug auf diese Handlungen. Unsre Meinung über uns ist ebenso eine Folge jeder Handlung – sie baut an der Gesammtschätzung, die wir von uns haben, ob schwach, stark usw. lobenswerth tadelnswerth, ob wir das Urtheil Anderer zu scheuen haben, ob wir uns in jedem Lichte zeigen können. Vielleicht gewöhnt man sich, sich selber zu belügen: die Folge davon, die absichtlich fehlerhafte Taxation und die Verrenkung des Auges, das Falschsehen, muß sich natürlich zuletzt wieder in den Handlungen zeigen. Die Falschheit gegen uns, der Mangel an Vertrauen gegen uns, die Furcht vor uns, die Verachtung von uns – alle die Affekte der ohnmächtigen Naturen verändern fortwährend auch den Leib. Das Bewußtsein des Mangels an Selbst-Beherrschung, der unnoble Ausdruck kommt hinein – und selbst wenn Einer allein auf einer Insel lebte.
7 [121]
38) Vollkommen abgesehen von allen Mitmenschen giebt es eine fortwährende Veränderung im Werthe des Menschen, ein Besser- oder Schlechterwerden:
1) weil jede Handlung an seinem Affekt-Systeme baut
2) weil die mit jeder Handlung verbundene Taxation an ihm baut und wieder die Ursache der späteren Handlungen wird.
Das Gemeine, Unnoble wächst – oder nimmt ab usw.
Der Gemeinheit entspricht ein vollkommnes leibliches Substrat, und wahrlich nicht bloß in Gesichtszügen!
7 [122]
NB. Absurdität alles Lebens und Tadelns
7 [123]
der Stolz der Schwachen ist so fein, weil sie fürchten, man glaubt nicht an ihre Energie und Kraft.
7 [124]
Wie kurz ist das her, daß Kant allen Ernstes vorschlug, man solle nur Handlungen thun usw.!
7 [125]
Ich habe mich für meine eigene Person daran gewöhnt, in allem moralischen Urtheilen eine stümperhafte Art Zeichensprache zu sehen, vermöge deren sich gewisse physiologische Thatsachen des Leibes mittheilen möchten: an solche, welche dafür Ohren haben. Aber wer hatte bisher dafür Ohren!
Daß nun in der That bisher die Ohren dafür fehlten oder falsche Ohren und Falsche Auslegungen <da waren>, und das Bewußtsein sich Jahrtausende vergeblich bemüht hat und sich selber auslegte – dies ist ein Beweis dafür.
Und so glaube ich, daß es eine Zukunft für das Verständniß der Moral giebt, und daß an dieses bessere Verstehen sich Hoffnungen für die Verbesserung des menschlichen Leibes anhängen dürften.
7 [126]
37) Wer einigermaßen sich vom Leibe eine Vorstellung geschaffen hat – wie viele Systeme da zugleich arbeiten, wie viel für einander und gegen einander gethan wird, wie viel Feinheit in der Ausgleichung usw. da ist: der wird urtheilen, daß alles Bewußtsein dagegen gerechnet Etwas Armes und Enges ist: daß kein Geist nur annähernd ausreicht für das, was vom Geiste hier zu leisten wäre und vielleicht auch daß der weiseste Sittenlehrer und Gesetzgeber sich plump und anfängerhaft inmitten dieses Getriebes von Krieg der Pflichten und Rechte fühlen müßte. Wie wenig wird uns bewußt! Wie sehr führt dies Wenige zum Irrthum und zur Verwechslung! Das Bewußtsein ist eben ein Werkzeug: und in Anbetracht, wie viel und Großes ohne Bewußtsein geleistet wird, nicht das nöthigste, noch das bewunderungswürdigste. Im Gegentheil: vielleicht giebt es kein so schlecht entwickeltes Organ, kein so vielfach fehlerhaftes, fehlerhaft arbeitendes: es ist eben das letzt-entstandene Organ, und also noch ein Kind – verzeihen wir ihm seine Kindereien! Zu diesen gehört außer vielem Anderen die Moral, als die Summe der bisherigen Werthurtheile über Handlungen und Gesinnungen der Menschen.
Also müssen wir die Rangordnung umdrehen: alles Bewußte ist nur das Zweit-Wichtige: daß es uns näher und intimer ist, wäre kein Grund, wenigstens kein moralischer Grund, es anders zu taxiren. Daß wir das Nächste für das Wichtigste nehmen, ist eben das alte Vorurtheil. – Also umlernen! in der Hauptschätzung! Das Geistige ist als Zeichensprache des Leibes festzuhalten!
7 [127]
Moralität ein Versuch der Affekte, sich einander bewußt zu werden.
7 [128]
34) Die Schätzung der Autorität nimmt zu im Verhältniß der Abnahme schaffender Kräfte
7 [129]
35) Die falschen Gegensätze. Alle Stufen sind noch neben einander vorhanden (oder viele) – aber die höhere will nicht die niedere Stufe als Weg und Mittel anerkennen – sie soll ihr Gegensatz sein! Dies ist der Affekt der Distanz! Wer ihn nicht besitzt oder zeigt, erregt die größten Verwechslungen z. B. Epicur.
7 [130]
36) Dasselbe z. B. Selbstbeherrschung eines Menschen erweckt bei dem Einen den Gedanken „vor dem mußt du dich vorsehen, der denkt kalt an Nutzen und Hinternutzen" – und ein Anderer denkt dabei „vor dem darfst du dich gehen lassen und dich zeigen, wie du bist – er wird nicht maßlos werden" Mehrdeutigkeit aller Eigenschaften, je nach Klugheits- oder Schönheits-Hoheits-Rücksichten.
7 [131]
Die Zukunft der Moral-Wissenschaft
Indem ich für einige Zeit Abschied von den moralischen Problemen nehme, will ich, um der Gefahr willen, daß ich selber nicht mehr Zeit finde, auf dieses Gebiet zurückzukommen, denen einige Winke geben usw.
7 [132]
ob sich denn die höhere Art nicht besser und schneller erreichen lasse als durch das furchtbare Spiel von Völkerkriegen und Revolutionen? –
ob nicht mit Ernährung
Züchtung
Ausscheidung bestimmter Versuchs-Gruppen
7 [133]
Unser Leib ist etwas viel Höheres Feineres Complicirteres Vollkommneres Moralischeres als alle uns bekannten menschlichen Verbindungen und Gemeinwesen: die Kleinheit seiner Werkzeuge und Diener ist kein billiges Argument dagegen! Was Schönheit betrifft, so steht seine Leistung am höchsten: und unsre Kunstwerke sind Schatten an der Wand gegen diese nicht nur scheinende, sondern lebendige Schönheit!
7 [134]
Die Expansion im Zustande der Lust (bei Mainländer, p. 64). Es will „seinen Zustand zeigen und sich Anderen – wenn es gienge der ganzen Welt – enthüllen" Umarmen, Hüpfen, Tanzen, Springen, Lachen, Schreien, Jauchzen, Singen, Sprechen – Ich sehe eine überschüssige Kraft, die sich ausgeben will
In der Unlust circa so: „der Glanz der Augen erlöscht, die Mienen werden weiß, die Glieder regungslos oder ziehen sich zusammen. Die Stirnhaut runzelt sich, die Augen schließen sich, der Mund wird stumm, die Hände ballen sich, der Mensch kauert, fällt in sich ein."
Die Temperatur verändert sich: die Extremitäten werden kalt: in Lust und im Zorne heißer.
7 [135]
Cardinale Fragen: lassen sich die Temperamente verändern?
33) Die Willensqualitäten sind „Einritzungen zu vergleichen, in welche der Wille beim geringsten Anlaß fließt: sie haben sich zu Kanälen erweitert" „Aber schon der Säugling zeigt, unter bloßen Einritzungen, große Vertiefungen: Charakter (seine Form der Temperamente)"
7 [136]
Willensqualitäten.
Neid Wohlwollen
Habgier Freigebigkeit
Grausamkeit Barmherzigkeit
Geiz Verschwendungssucht
Falschheit Treue
Hoffahrt Demuth
Trotz Verzagtheit
Herrschsucht Milde
Unbescheidenheit Bescheidenheit
Gemeinheit Edelmuth
Starrheit Geschmeidigkeit
Feigheit Kühnheit
Ungerechtigkeit Gerechtigkeit
Verstecktheit Offenheit
Heimtücke Biederkeit
Frechheit Schamhaftigkeit
Wollüstigkeit Mäßigkeit
Niederträchtigkeit Ehrbegierde
Eitelkeit Heiligkeit.
„Stimmungen"
Zustände des Willens
„gefühlte Bewegungen"
Lebensgefühl (Gleichmuth) – seine Modifikationen
Freude
Muth
Hoffnung
Liebe
Haß
Verzweiflung
Furcht
Trauer.
Doppelbewegungen
Zorn, Wuth (der Wille strömt erst zurück, concentrirt sich (Haß), und strömt plötzlich dann nach der Peripherie, um zu zerstören)
7 [137]
30)Der Ausgangspunkt des Lobens und Tadelns : der schwache Mensch lobt und tadelt, weil so und so gelobt und getadelt wird: der starke legt sich als Maaßstab an. Ebenso spricht es für die Moralisten und ihr eigenes Gefühl von Macht – ob sie Gesetzgeber sich fühlen oder als Lehrer von gegebenen Gesetzen. Bei dem Utilitarier-Kampf sind beide Parteien einmüthig Bentham fühlt sich als Gesetzgeber, Rée als Beherrschter.
7 [138]
„Der Zustand unsrer Muskeln bestimmt in weiterer Ausdehnung unser Gemeingefühl der Gesundheit und Kraft, der Müdigkeit, Krankheit und Schwäche – bei allen Bewegungen unseres Körpers wissen wir mit erstaunlicher Genauigkeit (wie beim Sehakt) die Größe der Contraktion, zu welcher wir unsre Muskeln zwingen, zu schätzen. Wir kennen auch die verschiedenen Lagen der Muskeln, selbst wenn sie in Ruhe sind: das ermüdete und besonders das gelähmte Glied fühlen wir schwer."
7 [139]
Kalte Gegenstände scheinen schwerer zu wiegen als warme vom selben Gewicht (nach Weber)
Wenn 2 Empfindungen in hinreichend kürzerem Zwischenraum auf derselben Stelle folgen, so werden sie mit einander verschmolzen: ebenso wenn Empfindungen an zu nahe aneinandergelegenen Stellen der Haut entstehen.
7 [140]
Liebe: das kräftigste Ausströmen, der Wille möchte seine Sphäre durchbrechen, zur ganzen Welt werden.
Liebe auf Grund der Willensqualität Herrschsucht
auf Grund des Herzens
auf Grund der Qualität Ruhmbegierde (als Lustgefühl geistiger Überlegenheit)
auf Grund der Treue (als Freundschaft)
7 [141]
Die fehlerhaften Vereinfachungen: z. B. als Mittel Etwas sehen, wobei man 100 dabei übersieht.
7 [142]
NB. ein moralisches Gefühl etwas sehr Complicirtes. Darin liegt es, daß es so anders wirkt, „gut" zu sagen als „nützlich", weil so 50 Ingredienzien noch eingemischt sind.
7 [143]
Das Unbedingte ist nur logisch gezogen aus dem Bedingten, wie das Nichts aus dem Sein. – Als „unbedingend" –
7 [144]
27) Die ganze Ehrfurcht, die wir bisher in die Natur gelegt haben, müssen wir auch empfinden lernen bei der Betrachtung des Leibes: es ist erbärmlich, sich von „groß" und „klein" so tyrannisiren zu lassen! Was der Wald, das Gebirge uns zu sagen hätten – und die fernen Himmelskörper „die uns in die Einsamkeit rufen" (Emerson) – „diese Entzückungen sind heilsam, sie machen uns nüchtern".
7 [145]
28) Der Sinn unsrer Gärten und Palläste (und insofern auch der Sinn alles Begehrens nach Reichthümern) ist, die Unordnung und Gemeinheit aus dem Auge sich zu schaffen und dem Adel der Seele eine Heimat zu bauen.
Die Meisten freilich glauben, sie werden höhere Naturen, wenn jene schönen ruhigen Gegenstände auf sie eingewirkt haben: daher die Jagd nach Italien und Reisen usw.
alles Lesen und Theater-besuchen. Sie wollen sich formen lassen – das ist der Sinn ihrer Cultur-Arbeit!
Aber die Starken Mächtigen wollen formen und nichts Fremdes mehr um sich haben!
29) So gehen auch die Menschen in die große Natur, nicht um sich zu finden, sondern um sich in ihr zu verlieren und vergessen. Das „Außer-sich-sein „ als Wunsch aller Schwachen und Mit-sich-Unzufriedenen.
7 [146]
Vortheil der kalten Naturen: sie folgen ihrem Interesse als einer kälteren Sache.
7 [147]
Nichts annehmen, wogegen wir nichts zurück zu geben haben und die Scham und Lust bei allem Guten, das wir erfahren – ist vornehm. „Sich lieben lassen" ist gemein.
7 [148]
Das Mitleiden der Mutter mit dem Kinde ist fast das mit uns selber: so fühlt der Künstler mit seinem Werke und dessen Schicksalen. Da giebt es nichts Vornehmes: es giebt auch Mitleiden mit uns selber – es ist etwas vollkommen Verschiedenes vom Leide selber!
7 [149]
Mit „Zwecken und Mitteln" redet man eine Zeichensprache: man bezeichnet aber nur das Nebensächliche der Handlung damit (ihr Verhältniß zu den Begleit-Erscheinungen Lust und Schmerz)
7 [150]
24) Die Verachtung des Körpers ist die Folge der Unzufriedenheit mit ihm: und die Überschätzung des Geistes und der moralischen Gesetze ist der Zustand solcher, welche gern etwas Höheres werden wollen und im Wandeln unter „ewigen Werthen" glauben, größer zu werden. Alles dies Verlangen nach Unvergänglichem ist die Folge der Unzufriedenheit – hier ist der Wille zur Cultur, als ein Verlangen des „Unzufriedenen mit sich".
7 [151]
25) Schönheit des Leibes – das ist von den Künstlern zu oberflächlich gefaßt worden: dieser Oberflächen-Schönheit müßte eine Schönheit im ganzen Getriebe des Organismus nach folgen – insofern reizen die höchsten Bildner zur Erschaffung schöner Menschen: das ist der Sinn der Kunst – sie macht unzufrieden, wer sich vor ihr beschämt fühlt, und Schaffenslustig, wer Kraft genug hat. Die Folge eines Dramas ist: „so will ich auch sein, wie dieser Held" – Anregung der schöpferischen, auf uns selber gewendeten Kraft!
Epicur verhält sich zur Stoa, wie Schönheit zur Erhabenheit: aber man müßte mindestens Stoiker sein, um diese Schönheit überhaupt erst erblicken zu können! um auf sie neidisch sein zu können!
7 [152]
26) Unsre Zeit mit ihrem Streben, den zufälligen Nöthen abzuhelfen, vorzubeugen und die unangenehmen Möglichkeiten vorweg zu bekriegen, ist eine Zeit der Armen. Unsere „Reichen" – das sind die Ärmsten! Der eigentliche Zweck alles Reichthums ist vergessen
7 [153]
Teichmüller p. 204 das Ich vergleicht seinen ideellen Vorstellungsinhalt und findet das Bewußtsein des Vorher (oder eines in der Erinnerung gegebenen Inhaltes)
Also bei allen Zeitempfindungen ist das Ich thätig. „Die aktive Erinnerung Empfindung und Erwartung unzeitlich zusammenfassen und vergleichen – das ist Thätigkeit des Ich."
7 [154]
Gegen Kant. Natürlich bin ich auch mit dem Schönen, das mir gefällt, durch ein Interesse verbunden. Aber es liegt nicht nackt vor. Der Ausdruck von Glück Vollkommenheit Stille, selbst das Schweigende, Sich-Beurtheilen-Lassende des Kunstwerks – redet alles zu unsren Trieben. – Zuletzt empfinde ich nur als „Schön", was einem Ideal („dem Glücklichen") meiner eigenen Triebe entspricht z. B. Reichthum, Glanz, Frömmigkeit, Machtausströmung, Ergebung kann verschiedenen Völkern zum Gefühle „Schön" werden.
7 [155]
20) Groß genug, um das Verachtete zu vergolden: geistig genug, um den Leib als das Höhere zu begreifen – das ist die Zukunft der Moral!
Wir müssen die Erhabenheit, vor der wir uns in der Natur beugen, in unsern Absichten und Willen begehren – wir sollen die Erlöser der Natur und nicht ihre Vergöttlicher sein! „Vergöttlichung der Natur" – das ist die Folge der Armut, Scham, Angst, Thorheit!
Unsre Handlungen sollen falsch verstanden werden, wie Epicur Falsch verstanden wird! Es charakterisirt jeden Propheten, daß er bald verstanden wurde – es setzt ihn herab! Wir müssen erst Menschen haben, deren Bedeutung nach Jahrhunderten sichtbar wird – unser „Ruhm" bisher war etwas armseliges! – Ich will lange nicht verstanden sein.
Andrerseits müssen wir es tragen, falsch zu verstehen und mehr zu sehen als da ist: oh ihr, die ihr nicht mehr thut als den „großen Menschen" zu verstehen! Eure Kraft sollte die sein, noch hundert Meilen höhere Wesen über ihm zu sehen! Und das nenne ich Idealität: einen Sonnenaufgang zu sehen, wo – eine Kerze angezündet wird!
Das wäre der höchste Glanz auf dem Tode, daß er uns weiter führt in die andre Welt, und daß wir Lust haben an allem Werdenden und darum auch an unsrem Vergehen!
7 [156]
21) Die vornehme Empfindung ist es, welche verbietet, daß wir nur Genießende des Daseins sind: sie empört sich gegen den Hedonismus – wir wollen etwas dagegen leisten! Aber der Grundglaube der Masse ist es, daß für Nichts man leben müsse – das ist ihre Gemeinheit.
7 [157]
Das Urtheil über den Menschen vom Standpunkt des Thieres aus! Sind wir nicht ihm Parasiten?
7 [158]
22) Das Parasitische als Grundkern der gemeinen Gesinnung.
das Gefühl, nichts zu empfangen, ohne zurückzugeben oder damit etwas zurückzuempfangen, ist die vornehme Gesinnung. Nichts umsonst! Keine „Gnaden"! Aber auch keine Leiden, keine – – –
7 [159]
23) „Für den Weisen verwandelt sich die Natur in ein ungeheures Versprechen" Emerson. Nun, du selber bist Natur und versprichst mit ihr das Ungeheure und hütest dich wohl, dein eignes Geheimniß vorschnell auszukundschaften!
7 [160]
18) Die Götter als Ursache des Bösen (Sünde und Leid) I 232 Woher kam denn das Schlechte bei „den Guten"? Aus einer Verdunkelung der Einsicht – und diese häufig Werk der Götter.
7 [161]
19) Aidos ist die Regung und Scheu, nicht Götter, Menschen und ewige Gesetze zu verletzen: also der Instinkt der Ehrfurcht als habituell bei dem Guten. Eine Art Ekel vor der Verletzung des Ehrwürdigen.
Die griechische Abneigung gegen das Übermaß, in dem freudigen I<nstinkt der> Hybris, <gegen> die Überschreitung seiner Grenzen, ist sehr vornehm – und altadelig! Es ist die Verletzung des Aidos ein schrecklicher Anblick für den, welcher an Aidos gewöhnt ist.
coooz
= uboiz Übersättigung, Berauschtsein vom Glück Hybris und Zorn schließen sich aus (Eudem. Ethik 1146 b), denn Hybris setzt eine freudige, Zorn eine schmerzliche Beschaffenheit voraus.Die Freien, Mässigen erfanden den Wettkampf als die immer wachsende Verfeinerung jenes Macht-Äußerungsbedürfnisses: durch den Wettkampf wurde der Hybris vorgebeugt: welche durch lange Unbefriedig<ung> des Machtgelüstes entsteht.
Neid – der Schmerz über das gegenwärtige oder vergangene Glück der Freunde: ganz griechisch gedacht!
Wenn Zorn „süßer als Honig" ist – süßer als Zorn – – –
7 [162]
Wer sehr leidet, auf den wird der Teufel neidisch und weist ihn hinaus in den Himmel.
7 [163]
14) Wenn Sclaven Philosophie treiben
Was sind sklavische Naturen? Solche die nicht wissen, was gut und gerecht ist, sagt Sokrates. Nach Theognis ist einen Freien verrathen Zeichen einer sklavenhaften Gesinnung.
Ihre Abhängigkeit macht es ihnen unmöglich, wahrhaft zu sein I, 266
7 [164]
Sehr merkwürdig. Plato, Timaeus p. 86 usw. (1281) die Krankheiten der Seele durch fehlerhafte Beschaffenheit des Körpers veranlaßt: Aufgabe der Erzieher und Staaten sei, hier zu heilen. Wenn die Heilung nicht rechtzeitig bewirkt werde, seien die Erzieher und Staaten und nicht die Kranken verantwortlich zu machen.---
7 [165]
„Krankhafte Neigung zum Tempelraube" griechisch.
7 [166]
Wie wenig Phantasie haben wir für das Leid, das wir Anderen anthun!
7 [167]
16)Die Sklaverei in der Gegenwart: eine Barbarei! Wo sind die, für welche sie arbeiten? – Man muß nicht immer Gleichzeitigkeit der beiden sich complementirenden Kasten erwarten.
Der Nutzen und das Vergnügen sind Sklaven-Theorien vom Leben: der „Segen der Arbeit" ist eine Verherrlichung ihrer selber. – Unfähigkeit zum Otium.
7 [168]
15) Greisenhafte Denkungsart: nach Aristoteles Mißtrauen, Mangel an Stärke der Empfindung, Furchtsamkeit, bei allem nach dem Nutzen und nicht nach der moralischen Würdigkeit zu fragen.
Die wahre Freude des Alters besteht in dem Geehrtwerden sagt Pericles. (Simonides meinte in der Lust am Gewinn.)
7 [169]
Die Herkunft der Moral.
Die Moralisten selber gehören unter die Thatsachen der Moralität.
Wenn Vornehme Moral treiben
Wenn Sklaven und Weiber Vergeltung
Wenn Greise
Wenn Kranke und Entartende
Wenn Thatlose
Wachsthum und Untergang einer Moral, Bedingungen
Moral<ischer> Instinkt.
organische Funktion des Guten und Bösen
Gewissen
7 [170]
Kampf der verschiedenen Moralen ein Mittel ihrer Ausbildung. Stehenbleibende Moralen (chinesische)
7 [171]
12) Mitleid: von mir zurückgeführt auf unwillkürliche Nachahmung der Zeichen, die man sieht.
7 [172]
13) Die Handlungen, welche das Wohl der Gemeinde, des Organismus constituiren, sind nicht um dieses Zweckes willen entstanden: alle moralischen Gewohnheiten haben eine Vorgeschichte – jede Art Handlung hat ursprünglich einen anderen Zweck und Sinn.- Wie das Sehen nicht die Absicht bei der Entstehung des Auges war, und wie das Auge wieder benutzt worden ist zum Ausdruck des Gefühls
7 [173]
Mittel, sich auszudrücken, sich mitzutheilen – ursprünglich aber war nicht die Absicht da, sich mitzutheilen, sondern alles Mittheilen ist eigentlich ein Annehmen-Wollen, ein Fassen und Aneignen-wollen (mechanisch). Den Anderen sich einverleiben – später den Willen des Andern sich einverleiben, sich aneignen, es handelt sich um Eroberung des Andern. Sich mittheilen, ist also ursprünglich seine Gewalt über den Anderen ausdehnen: diesem Trieb ist eine alte Zeichensprache zu Grunde liegend – das Zeichen ist das (oft schmerzhafte) Einprägen eines Willens auf einen anderen Willen
sich zu verstehen geben durch Stöße (Ameisen)
NB. Auch die Verletzungen des Anderen sind Zeichensprache des Stärkeren
So ist Verstehen ursprünglich eine Leidempfindung und Anerkennen einer fremden Macht. Schnell, leicht verstehen wird aber sehr rathsam (um möglichst wenig Püffe zu bekommen)
das schnellste gegenseitige Verständniß ist das wenigst schmerzhafte Verhältniß zu einander: deshalb wird es erstrebt (
negative Sympathie – ursprünglich die Schöpferin der Heerde.
7 [174]
8) Moralische Betrachtungsweise der Handlungen – die organischen Funktionen der Individuen, bei welchen nicht das I<ndividuum> Zweck ist, sondern ein höheres Princip (das höhere Princip kann eine Gemeinde sein): oder vielmehr: Versuch einer Umbildung in organische Funktionen. Fortwährend, wo Lebendiges zusammenkommt, entsteht das Einwirken auf einander und ein Zusammentreten mit dem Versuche, ob da ein Organismus sich bilden kann. So M<ensch> zu M<ensch>.
Man soll aber auch die schlechten Handlungen auf diese Funktions-Eigenschaft ansehen! ihre Nützlichkeit in diesem außerindividuellen Sinne! Der Organismus besteht durch Kampf!
10) NB. Die Begleit-Erscheinungen haben sich vielfach verwandelt: manches ist jetzt mit Unlust verbunden, ehedem mit Lust. Auch die großen Einfälle der Klugheit mögen ehemals den Eindruck der Inspiration gemacht haben: ganz andere Taxation der Klugheit, als dämonisch.
11) Die Lust im Schaden-Thun; Bosheit, Verleumdung, Verfeindung aus Passion. Mord-Lust. Unter welchen Umständen natürlich? Wann pathologisch? Atavismus?
7 [175]
9) Sind denn die Gesetze gegen die Bösewichter gemacht? Gegen die Neuerer und nicht gegen die Bösewichter und Schlechten!
Der „Schlechte" ist erst das Contrast-Erzeugniß des Guten.
So ist auch das moralische Gewissen etwas Spätes, gleichzeitig mit dem schlechten Gewissen das gute (beständiges Wohlgefühl an seinen Impulsen) also aktiv!
7 [176]
Das Streben nach Glück wird alberner Weise von den Menschen als Streben nach Genuß interpretirt; und die erlahmende Genußfähigkeit gilt als Argument gegen den Egoismus. Hartmann p 501.
7 [177]
Complicirtheit des jetzigen Moral<ischen> Gefühls. Im jetzigen Gefühl: „sittlich" ist vorhanden: der verehrende Trieb, der hülfreiche, der vornehme, der ergebene, der muthige, der fromme, der Trieb zum Nützlichen Zweckmäßigen, zum Gemeinnützlichen
7 [178]
4) Vom moralischen Instincte. Am größten bei sehr alten unveränderten Völkern.
Wir erben nicht die Kenntnisse unsrer Vorfahren, wie die Thiere: in Folge großen Wechsels der Lebensweise Roux 37 – aber bei allen stehenbleibenden Völkern ist doch Etwas derart vorhanden, gerade die moralischen Instinkte sind Resultate vieler gleichartiger Erfahrungen, innerhalb von wenig bewegten Völkern. Geht die große Bewegung los, so gehen die Instinkte bald flöten. Es sind eine Anzahl erprobter Verhaltungsmaßregeln (Haltungen und Gebärden zunächst, wie der Vertheidigung, Ehrfurcht usw.), auf die man instinktiv geräth.
7 [179]
Epicurische Theorie. Schmerz tritt ein, wenn ein Begehren, ein Wunsch in seiner Befriedigung gehemmt wird. Lust, die Wegräumung des Hindernisses – negativ. Lust suchen – wäre Unsinn, etwas Negatives suchen! Sondern nicht-leiden wäre das Ziel! Wo Lust ist, ist eine frühere Unlust vorauszusetzen.
7 [180]
6) Wo die Machtmittel nicht groß genug sind, tritt die Einschüchterung auf, Terrorismus: insofern ist alles Strafen um der Abschreckung willen ein Zeichen, daß die positive ausströmende Tugend der Mächtigen nicht groß genug ist: ein Zeichen der Scepsis an der eigenen Macht.
7) Eine Macht muß fest auf den Füßen stehen und ihren Schwerpunkt haben. Gegenstück dazu: Schmidt, II 269. Dem entspricht eine Art Moralität. –
7 [181]
5) Thatlosigkeit: Aufathmen ist schon das Höchste! Otium besten Falls – nicht Schaffen!
7 [182]
NB. Der Egoismus ist kein Moralprincip, kein „Du sollst!" denn es ist das einzige „Du mußt".
7 [183]
Das Problem vom Kampfe verschiedener Moralen: der hellenische Gedanke im Kampfe mit dem athenischen. Die Gemeinde und die Großmacht. II p. 273.
1) Kampf der Moralen
Die Mannhaftigkeit der Nation geht unter p. 274: wie sich das in der Cultur ausdrückt. Epicur.
7 [184]
Die Schönheit theilt der anschauenden Seele die Schwungkraft mit, die zur Erzeugung edler Gedanken befähigt. Plato.
7 [185]
II 353 es ist schimpflich, nach Socrates, wenn man Gutes nicht vergelten könne. Es giebt also „kein harmloses Hinnehmen" in der griechischen Freundschaft. Seine Freundschaften durch Erweisen von Gutem gründen! Pericles – Athen. wichtig!
2) Macht-Moral.
7 [186]
Es giebt eine fortlaufende Kette von Verletzung aus Verletzung, auch im Kleinen: in Kriegen weiß man nicht mehr, wer der Übelthäter ist. Blutrache ist nur der stärkste Ausdruck aller solchen Vorgänge unter Gleichen.
3 Vergeltung
7 [187]
Über das Leiden der Feinde sich freuen ist nicht ungerecht – Socrates II p. 357.
7 [188]
Diogenes: man bedürfe zur Tugend entweder tüchtiger Freunde oder heftiger Feinde.
7 [189]
Der Haß moralisch, der Neid nicht.
Das Glück in der Schädigung der Feinde p 362.
7 [190]
Kampf der Gewebe muß zum Gleichgewicht zwischen den Theilen führen, oder das Ganze geht zu Grunde.
Gewebe welche zu lebenskräftig sind, auch wenn sie noch so nützlich wären, richten das Ganze zu Grunde. Die Geschwülste z. B. sind solche mit abnormer Lebenskraft ausgestattete Gewebe: sie entfalten sich auf Kosten der Nahrung und des Raumes der Anderen und zerstören das Ganze.
Schon durch abnorme Schwächung des einen Gewebes kann das andere das Übergewicht erhalten.
Mangel an Gleichgewicht zwischen den Geweben führt rasch zum Tode der Individuen und zur Elimination derselben und ihrer nachtheilhaften Qualität aus der Reihe der Lebenden: bloß Zustände des Gleichgewichts bleiben übrig: so würde eine harmonische Einheit des ganzen Organism gezüchtet durch Selbst-Elimination des Abweichenden.
Der Kampf der Gewebe wird zu einem regulirenden Princip : Princip der funktionellen Selbstgestaltung der zweckmäßigsten Größenverhältnisse.
7 [191]
Zu den mächtigsten Faktoren des Fortschritts eines Staates gehört nicht nur der Kampf mit Nachbarvölkern und die Entwicklung zur Wehrfähigkeit: sondern auch die Concurrenz der Mitglieder eines Standes und die Concurrenz der Stände selber
7 [192]
Das Stille-werden vor dem Schönen ist ein tiefes Erwarten, ein Hören-wollen auf die feinsten, fernsten Töne – wir benehmen uns einem Menschen ähnlich, der ganz Ohr und Auge wird: die Schönheit hat uns etwas zu sagen, deshalb werden wir stille und denken an nichts, an was wir sonst denken. Die Stille, jenes Beschauliche, Geduldige ist also eine Vorbereitung, nicht mehr! So steht es mit aller Contemplation: –
Aber die Ruhe darin, das Wohlgefühl, die Freiheit von Spannung? Offenbar findet ein sehr gleichmäßiges Ausströmen von unserer Kraft dabei statt: wir passen uns dabei gleichsam den hohen Säulengängen an, in denen wir gehen, und geben unsrer Seele solche Bewegungen, welche durch Ruhe und Anmuth Nachahmungen dessen sind, was wir sehen. So wie uns eine edle Gesellschaft Inspiration zu edlen Gebärden giebt.
7 [193]
Zuerst Assimilation an das Werk, später Assimilation an dessen Schöpfer, der nur in Zeichen redete!
7 [194]
„Bisher hat man alle guten Eigenschaften eines Organismus bloß aus der Auslese im Kampf ums Dasein unter den Individuen abgeleitet!"
7 [195]
Die Abwehr des Fremden, den Reiz nicht gestaltend wirken lassen – sondern eine harte Haut, ein feindseliges Gefühl dagegen stellen: für die Meisten eine Nothdurft zur Erhaltung. Aber der reichste Heilige lebt unter Verbrechern wie in seinem Elemente.
– die Freisinnigkeit der Moral hat also ihre Grenze dort, wo einer den Reiz des Fremden nur schädigend empfindet, nicht anregend.
Wer reich ist in seiner Heiligkeit, der ist unter den Bösesten gut zu Hause: und alles Neinsagen gehört den Armen.
7 [196]
der aktiven quantitativen und qualitativen Nahrungs-Auswahl der Zellen, welche die ganze Entwicklung bestimmen, entspricht, daß der Mensch sich auch die Ereignisse und Reize auswählt, also aktiv verfährt unter all dem zufällig auf ihn Eindringenden – gegen Vieles also abwehrt. Roux p. 149.
7 [197]
Der Parasit zwingt den Wirth, ihn mit einem Capillarnetz und zugehörigen größeren Gefäß zu umspinnen p. 151.
7 [198]
Triebe sind höhere Organe, wie ich's verstehe: Handlungen Empfindungen und Gefühlszustände in einander verwachsen, sich organisirend, ernährend – – –
7 [199]
Die Bösen als rudimentär Schneider p 29.
7 [200]
Eitelkeit und Trieb zur Auszeichnung entgegengesetzten Ursprungs.
Wie das Wort als congruent galt mit dem Dinge, so galt auch das, was man redet von einem Menschen, für congruent mit ihm: man zweifelte nicht an der absoluten Erkenntniß (Erkanntheit) eines Menschen. Deshalb war die Meinung über Einen absolut bestimmend: und Eitelkeit ist jetzt nur ein Atavismus: ursprünglich war der Trieb noch nicht so erniedrigt (der Eitle ist jetzt gegen sich selber skeptisch) Ehemals gab es den Gedanken nicht, daß einer einen Werth für sich, einen verborgenen Werth haben könne. Sich um die gute Meinung bemühen – war identisch mit „gut sein". – Der Eitle ordnet sich unter und will gefallen; der nach Auszeichnung Trachtende will als sich überordnend empfunden werden, er will bewundert werden.
7 [201]
Moral für Moralisten.
Die bisherigen Moralisten lassen sich nach ihrem vorwiegenden Hange so von einander unterscheiden: die Einen haben ihr Augenmerk darauf, wie unter Menschen gehandelt wird; die Andern, wie gehandelt werden soll. Aber was diesen beiden Arten gemeinsam ist erkennt man, sobald man das Wörtchen wie? sich von ihnen Allen erklären läßt. „Nach welchen Motiven wird gehandelt? Das fragen wir": so sagen die Einen. „Nach welchen Motiven soll gehandelt werden: das fragen wir" so sagen die Andern. Daß nach Motiven gehandelt wird, wo überhaupt gehandelt wird, das ist ihre gemeinsame Voraussetzung: das ist ihr gemeinsamer Irrthum. Sie Alle haben den Vordergrund der ganzen moralischen Landschaft am schlechtesten beobachtet ja übersehen – die Thatsache, daß gehandelt wird, und werden muß, und daß die sogenannten Motive nicht dafür die Erklärung abgeben.
7 [202]
Die thatsächliche Moralität ist unendlich feiner, complicirter, geistiger, als die theoretische; letztere steht noch plump und verlegen in den Anfängen.
7 [203]
Alle erhaltenden Mächte haben Jesuitism an sich: sie glauben, die Wahrheit ist da, es darf nicht gesucht werden. „Das Recht" z. B. soll da sein!!
7 [204]
Die Nützlichkeit ein sehr hohes Princip! Ja nicht zu unterschätzen! Aber sie bezieht sich auf die Mittel („Unterzwecke") – die Werthschätzung und die Gütertafel muß schon da sein!
7 [205]
Aus Hunger ein vergiftetes Brod lieber essen als nicht essen!
7 [206]
Wille als Streben nach Lust: setzt voraus, daß Wollen selber nach seinem Ende begehrt. Hartmann.
7 [207]
Das, was durch eine Handlung erreicht wird, wird ins Auge gefaßt: das Motiv soll liegen in der Vorstellung vom Resultat der Handlung (z.B. einem erreichten Gemüthszustand)
7 [208]
„Was der Mensch ohne Reflexion ohne Weiteres will, ist Lust: ,Glück‘ eine vielseitige, erschöpfende und andauernde Lust." (Hartmann).
7 [209]
Bei Epicur kommt alles auf das richtige Abwägen von Lust gegen Unlust an: folglich ist joonhsiz die Haupttugend, das Fundament: Klugheits-Moral.
Die Bedeutung der sinnlichen Lust ist, uns von Begierden und Bedürfnissen zu befreien, welche die ataoaxia der Seele stören.
Glückseligkeit als Endzweck des Einzellebens. Aristoteles und Alle!
Also es ist die Herrschaft des Zweckbegriffs, die alle Moralisten bisher verdorben hat. „Es muß doch ein ,Wozu?‘ des Lebens geben!"
Daß auch das vernünftige bewußte Leben hinein gehört in die Entwicklung des zwecklosen Lebens – ego.
7 [210]
Die eigentliche Schätzung des Lebens hängt von den überwiegend herrschenden Stimmungen ab: die Arier, als sie nach dem asiatischen Süden kamen, empfanden alles Handeln als Leiden und alle Gefühle ebenso: tiefe Ruhe im Schatten höchster Balsam. Es ist eine fehlerhafte Entscheidung über den Wohnort bis ins höchste verfeinert und zur Entscheidung über den Werth des Lebens gemacht. (Selbst die Entstehung des Staats eine Sache der Ermüdung!)
7 [211]
Es bilden sich auf Grund der Triebe höhere Organe aus und diese Organe kämpfen mit einander um die Nahrung, die Reize – – –
Die Hand des Klavierspielers, die Leitung dorthin und ein Bezirk des Gehirns bilden zusammen ein Organ (welches sich abschließen muß, um sich stark contrahiren zu können). Getrennte Theile des Körpers telegraphisch verbunden – d.h. Trieb.
Schopenhauer hat noch den unbewußten Zweck dazu gebracht!
7 [212]
Das Wesentliche an allem Handeln ist zwecklos oder indifferent gegen eine Vielheit von Zwecken.
7 [213]
Verzicht auf irdische Glückseligkeit zu Gunsten der himmlischen tausendfach größeren ist ein gutes Geschäft. Christenthum und seine Klugheit!
gut bei Hartmann p 26.
Lohn und Strafe bei Christus.
Es ist eine Thorheit, nicht das Christenthum anzunehmen.
7 [214]
Man soll Gutes im Verborgenen thun, damit es nicht hier belohnt werde Lucas 14 (12-14) – es könnte einem sonst der himmlische Lohn entschlüpfen.
7 [215]
Je hoffnungsloser und wilder die irdischen Zustände, um so besser wird an die jenseitige Vergeltung geglaubt: da einer auf irdisches Glück nicht rechnen kann. Je abergläubischer das Volk, um so besser wird an die Hölle geglaubt.
7 [216]
Strafe bei Unfreiheit des Willens unsinnig? Aber dann dürften wir auch nichts versprechen, uns zu nichts verpflichten usw. nichts thun. Daß wir mit Sicherheit von uns viel versprechen können, darauf hin giebt man uns Rechte d. h. Vortheile. Man giebt uns Nachtheile, wenn wir nicht halten, was wir versprachen: oder man compensirt die früher darauf hin gegebenen Vortheile nachträglich. (Strafe hier als nachträgliche Compensation der uns erwiesenen Vortheile, ein Zurücknehmen der gesellschaftlichen Sicherheit usw., Versetzung in den Zustand der Feindschaft. Die Gesellschaft ist bei ihrer Rechnung betrogen: sie nimmt so viel als sie nehmen kann von der Macht des Frevlers zum Entgelt, z.B. Zwangsarbeit usw.)
7 [217]
Ich sagte heute „oh das ist ein guter Mensch!" Dabei hatte ich das Gefühl als ob ich einen schönen reifen vollen Apfel mit sanfter Haut in der Hand hätte: ein Gefühl der Zärtlichkeit, wie als ob es mich zu ihm zöge: ein Gefühl der Sicherheit, wie als ob ich hier unter einem Baume ruhen dürfe: ein Gefühl der Verehrung, als ob ein Gegenstand da sei, den man nur mit den saubersten Händen fassen dürfe: ein Gefühl von Sattwerden, wie als ob ich aus einer Unbefriedigung mit Einem Male erlöst werde. Also entsprach dein moralischen Urtheile „gut" ein Zustand an mir, welcher beim Denken an einen gewissen Menschen eintrat. Es ist dasselbe, wie wenn ich einen Stein „hart" nenne.
7 [218]
Wenn Glückseligkeit unmöglich ist (Hegesias), so ist das Ziel des Lebens Leidlosigkeit: ohne Zweck konnte man's nicht fassen!
7 [219]
Gemeinsam das Streben aller antiken Philos<ophen> nach Geistesfreiheit und Abbrechen jeder Sklavenkette. Es ist der Atavism der Vornehmheit der Müssigen, die nichts mehr zu thun haben und sich selber zersetzen.
7 [220]
Den Ursachen des Schmerzes bis zur letzten Consequenz ausweichen – das ist die Praxis. Da behält man das ganz leere Leben übrig und das Denken darüber. Da fragt sich: dann giebt es keine Erlösung vom Leben?
7 [221]
Dieser Glaube an Zwecke führt zum Pessimismus.
Umdrehung: der Zweck ist, sich nicht glücklich zu fühlen; der Mensch wird von den Irrwegen des Lebens zurückgeführt; je mehr man leidet, wird der wahre Zweck erreicht „ein Anstrich von Absichtlichkeit ist hierin nicht zu erkennen" Schopenhauer. Hartmann p. 42 „Moralität ein Palliativ vor der Entschließung zur Radicalkur" p. 43 „die bösen Handlungen an uns eigentlich eine Wohlthat".
7 [222]
Die Werthlosigkeit des Lebens ist erkannt im Cynismus, aber hat sich noch nicht gegen das Leben gewendet.
Nein: viel kleine Überwindungen und ein loses Maul befriedigen da!
7 [223]
Teichmüller: die Gefühle der Lust oder Unlust sind Zeichen für die Stellung, welche das Ich als Ganzes der einzelnen Thätigkeit gegenüber einnimmt: alles dies ist Wille, so fern wir auf das Ich als den Einen Beziehungspunkt hinblicken: die beiden gegensätzlichen Grundformen: das Begehren und das Verabscheuen. Blicken wir auf den Anderen Beziehungspunkt hin, so bleibt die Thätigkeit selber als solche unbewußt, ihr zugehöriges Was wird aber jedesmal bewußt, und so wird dies Was zum Zeichen für das, was wir bezeichnen wollen. Entsprechend dem Verabscheuen und Begehren nennen wir den zugehörigen ideellen Beziehungspunkt ein Übel oder ein Gut und bezeichnen ihn durch den Inhalt der zugehörigen Empfindungen oder Anschauungen. Alle Bilder unsrer Anschauung und alle unsere Thätigkeiten stehen in gewissen regelmässigen Beziehungen z.B. das Anschauungsbild der Rose und die Empfindung des Duftes. So bezeichnet schon das Kind das Eine als Mittel, das Andere als Erfolg.
7 [224]
Erster Unsinn: alles Leben ist Wollen eines Zweckes der Egoism ist Wille zum eigenen Glücke
Zweiter Unsinn: Moralisch ist, einem fremden Willen dienen und Selbstverläugnung.
also der Zweck des Lebens liegt nicht im Glücke: erste Einsicht!
der Zweck des sittlichen Lebens soll im Willen eines Anderen liegen.
Aber was ist denn dieser Wille des Anderen wieder als ein Wille zur Befriedigung?
Meine Ansicht: die Absichten Wünsche Zwecke sind sekundär – „das Streben nach Glück" ist thatsächlich gar nicht allgemein da aber gar ein Streben nach fremdem Glück und Nicht streben nach eigenem („Verläugnung") ist erst gar nicht möglich, während ein theilweises Streben nach eigenem Glück möglich ist.
Bei allem Handeln kommt Viel heraus auch für die Andern!
Der einzelne Wille verfolgt den Zweck: Glück – unmöglich, es zu finden!
Also hat der einzelne Wille einen anderen Willen sich als Zweck vorzusetzen, er ist Mittel für einen Zweck eines Anderen –
Aber, Herr von Hartmann! Sofern er einen Willen überhaupt fördert, sei es den des Nächsten oder des Weltprozesses – so arbeitet er ja an der Verlängerung des Elends : und zwar nachdem er begriffen hat, daß aller Wille wesentlich elend ist! Somit ist seine Förderung entweder Wahnsinn oder Bosheit.
Hier ist aber der zweite Unsinn vorausgesetzt, daß ein unegoistisches Handeln möglich ist.
Der erste Unsinn: alles Handeln ist ein Wollen von Befriedigungen
der zweite Unsinn: es giebt ein unegoistisches Handeln ein Handeln als Nichtwollen des eigenen Selbst, aber Wollen eines fremden Selbst!
7 [225]
Das Ziel – setzen selber ist eine Lust – eine Masse Kraft des Intellektes giebt sich aus im Mittel-Zweck-denken!
7 [226]
Wollen ein drängendes Gefühl sehr angenehm! Es ist die Begleit-Erscheinung alles Ausströmens von Kraft.
ebenso schon alles Wünschen an sich (ganz abgesehen vom Erreichen)
7 [227]
Man verkenne doch ja nicht den tiefen Mangel an noblesse
des Gefühls in Christus, sein Jüdisches, das gute Geschäft und den Ärger über die Dummheit, es sich entgehen zu lassen! Die Europäer haben so viel edlere Gefühle hinein gelegt
7 [228]
Wir wählen die facta aus, wir interpretiren sie – unbewußt. Die Wünsche, die an uns hängen bleiben –
Gegen unsre Zwecke gerechnet und gegen alles bewußte Wollen, giebt es eine gewisse größere Vernunft, in unserem ganzen Handeln, viel mehr Harmonie und Feinheit als wir bewußt uns zutrauen.
7 [229]
Wir haben uns von der logischen Mania der Alten noch nicht freigemacht, sie schätzten nichts mehr als die Dialectik – so auch „Absichten" „Zwecke".
7 [230]
Die meisten Menschen sind gar keiner Erlebnisse fähig: sie lebten nicht genug in der Einsamkeit – das Ereigniß wird durch Neues gleich fortgespült. Der tiefe Schmerz ist selten und eine Auszeichnung. Im gewöhnlichen Leben steckt mehr Klugheit als im Stoicismus. – Die Abwehr des Schmerzes.
7 [231]
alle unsere Zwecke nehmen sich, aus einer gewissen Ferne gesehen, als Versuche und Würfe aus – es wird experimentirt.
Wir müssen am Willkürlichen Unlogischen in unseren besten Zwecken festhalten!
Wir würden nie handeln, wenn wir alle Folgen uns vorstellten.
7 [232]
Willens-Schwäche als Folge der Desorganisation und Zeichen des Verfalls.
7 [233]
Kant sagt: diese Sätze des Grafen Verri (1781 sull'indole del piacere e del dolore) unterschreibe ich mit voller Überzeugung
il solo principio motore dell'uomo è il dolore. Il dolore precede ogni piacere
il piacere non è un essere positivo.
7 [234]
„Sein Leben fühlen, sich vergnügen – sich continuirlich getrieben fühlen aus dem gegenwärtigen Zustand herauszugehen, der also ein ebenso oft wiederkehrender Schmerz sein muß.-
7 [235]
„Der vernünftige Wille darf nur Schmerz vermindern und Bedürfnisse unterdrücken." –
7 [236]
Cardanus schloß, man müsse soviel als möglich Leiden aufsuchen, um durch ihre Beseitigung sich eine größere Summe von Lust zu schaffen.
7 [237]
„Alle Handlungen der Larven kurz vor der Verpuppung gehen nicht auf die eigene Erhaltung, sondern auf die des fertigen Insektes hinaus, sie entsprechen nicht den Bedürfnissen des Larvenstadiums, sondern denen des vollständig entwickelten Thiers" usw. Schneider I p. 58
7 [238]
Der höchste Gesichtspunkt des Jesuitismus auch des socialistischen:
Beherrschung der Menschheit zum Zweck ihrer Beglückung
Beglückung der Menschheit durch Aufrechterhaltung der Illusion, des Glaubens
Dazu meine Gegenbewegung: –
Beherrschung der Menschheit zum Zweck ihrer Überwindung.
Überwindung durch Lehren, an denen sie zu Grunde geht, ausgenommen die welche sie aushalten
Grundirrthum bisher: „alle Handlungen des Menschen sind zweckbewußt."
„der Zweck des Menschen ist die Arterhaltung und nur in sofern auch die Erhaltung seiner Person" – jetzige Theorie.
So steht es auch bei sehr individuellen Menschen wir sorgen für unsere zukünftigen Bedürfnisse!
7 [239]
Urform aller Schutzbewegungen, bei unangenehmer Berührung sich zusammen zu ziehen, alle Theile an sich zu ziehen. Was entspricht dem psychologisch? Die Sammlung: der Schmerz concentrirt uns.
Der Trieb, etwas zu verstecken ist Scham, ein Schutztrieb: auch sich verstecken wollen, wo Colibri z.B. roth werden dabei (ist Wirkung der Angst!)
Der Mensch wird durch seine Instinkte geleitet: die Zwecke sind nur im Dienste der Instinkte gewählt. Instinkte aber sind alte Gewohnheiten des Handelns, Arten, seine vorhandene Kraft auszugeben.
Man soll das Resultat, was ein Instinkt erreicht, nicht „Zweck" nennen!
Seinen Trieben völlig freien Lauf lassen: häufig aber widerstreben sie sich. Das thatsächliche Leben ist ein Ringen der Instinkte, ein Wachsen der Einen, ein Abnehmen der Anderen.
„Verbrauch der aufgespeicherten Nervenkraft."
„Welche Vorstellung führt zur Aktion? Die, welche den stärksten Trieb erweckt. Welche ist das? Die, welche die größten Annehmlichkeiten verspricht, die angenehmste. Das ist nicht eine Regel, die Ausnahmen zuläßt, sondern ein Gesetz, und hierin beruht die Abhängigkeit des menschlichen Willens" Schineider p. 75
!!Aber der Trieb selber rief erst diese Vorstellung hervor! – sage ich.
Also: die Triebe entscheiden über die Verwendung der aufgehäuften Kraft, nicht darüber, daß überhaupt gehandelt wird. Das wie? ist Sache der Triebe.
Also: wenn der Trieb ins Bewußtsein tritt, so verspricht er Lust. Die versprochene Lust als Ursache der Handlung? - Nicht des Handelns überhaupt, sondern nur der bestimmten Richtung des Handelnden! So auch Stendhal.
Also: wo Vorstellungen zur Aktion führen, da muß der Mensch der Vorstellung folgen, welche am meisten Lust verspricht: der stärkste Trieb entscheidet über die Wahl.
Demnach ist die Moral zu verändern 1) es muß zuerst die Kraftvermehrung ins Auge gefaßt werden 2.) zu zweit die Kraft-Verwendung, das Wie?
Der erste Gesichtspunkt bisher übersehen.
7 [240]
Erste Thatsache: die Gesellschaft tödtet, foltert, beraubt der Freiheit, des Vermögens: übt Gewalt durch Beschränkung der Erziehung; durch Schulen; lügt, trügt, stellt nach (als Polizei) – alles dies kann also nicht an sich als schlecht gelten. – Sie will ihre Erhaltung und Förderung – das ist kein heiliger Zweck: sie kämpft darum gegen andere Gesellschaften. – Also um des Nutzens willen geschieht dies Alles. Aber toll! Gerade diese Handlungen sollen mit besonderer Würde und Ehrerbietung angesehen werden: als „Recht", Sittlichkeit, Erhaltung und Pflege des Guten. Daß hier Vieler Nutzen über den Weniger gesetzt wird, das hätte nur Sinn bei der Voraussetzung, daß der Einzelne nicht mehr Werth haben könne als die ganze Gesellschaft! Von vornherein ist aber hier die Absicht, solche Einzelne gar nicht entstehen zu machen: das Bild des Menschen ist schon da, welches man als Maaßstab für die Erhaltung des gemeinen Nutzens nimmt. Die Voraussetzung der Gesellschaft muß sein, daß sie den höchsten Typus „Mensch" repräsentire und daraus ihr Recht ableitet, alles ihr Feindliche als das an sich Feindliche zu bekämpfen. – Ohne diesen Glauben an sich ist die Gesellschaft „unmoralisch" in jedem Sinne. Im Glauben aber bestimmt sie erst, was moralisch sein soll, – so hat es Sinn!
7 [241]
(Zweck heiligt das Mittel.)
Es giebt Handlungen, die wir niemals uns erlauben werden, auch nicht als Mittel zum höchsten Zweck z.B. Verrath eines Freundes.
Lieber zu Grunde gehen und einiges Vertrauen haben, daß es günstigere Lagen giebt, unseren höchsten Zweck durchzuführen. – Nun aber was ist denn das für ein höchster Zweck, eine Gemeinde, einen Staat zu erhalten! Die Handlung eines Menschen, der den Staat opfert, um nicht Verräther an seinem Ideal zu sein, kann die höchste Leistung sein, derentwegen die ganze Existenz dieses Staates erst für die Nachwelt in Betracht kommt!
7 [242]
Voraussetzung des bisherigen Staates: „der Mensch soll sich nicht entwickeln, das Maaß ist da!" Die katholische Kirche (die älteste aller Staatsformen in Europa) repräsentirt den alten Staat jetzt am besten!
7 [243]
Zum Handel gehört Patriziat : also ein Gegengewicht.
7 [244]
Beseitigung der parasitischen Menschen ist Sinn der Strafe.
Vögel, welche einem Büffel die Parasiten abwehren, davon leben, – dankbar dadurch, daß sie ihm die Ankunft eines Feindes anzeigen. – Bedeutung der Polizei. Espinas p. 159.
7 [245]
Ohne Unterlaß beschäftigt auf einander zu hören und zu achten und dabei das Gefühl der Sicherheit – p 162.
7 [246]
Zuneigung die Folge eines dringenden Bedürfnisses
7 [247]
Strafen auf den Krieg zurückzuführen in ihrer Art und Wesen oder auf Opferkulte (Menschenopfer)
In einem Fall ist Rückkehr zum Vor-Gemeindezustand, im anderen die Verhöhnung der Götter der Grundgedanke der Strafe. Post I, 201
Eine Strafe, welche Unfreie trifft, wird dadurch entehrend z. B. Prügelst<rafe>. Die, welche Freie trifft, wird dadurch lange geadelt. Post I, 214.
7 [248]
„ – die einzige direkte Werthschätzung, welche man voraussetzt, ist die des sinnlichen Wohlbefindens, und alles Andere glaubt man bloß durch Anknüpfung an diesen direkten Willen indirekt zur Effektivität zu bringen. Befolgung des Rechtes, der Moral, der Religion soll durch Hinweis auf diesseitige oder jenseitige Wohlfahrt hervorgebracht werden" Baumann p. 32.
Allgemeiner Glaube an den Werth des sinnlichen Wohlbefindens: alles Handeln soll ein Weg und Umweg dahin sein.
7 [249]
Die Verbote der Gesetze haben nur Sinn, wenn es überflüssig ist, etwas auf diesem Wege, der verboten ist zu erreichen: also wenn es einen anderen Weg giebt, – d. h. zu allen Verboten gehören ganz bestimmte Versprechungen und Gewährungen.
7 [250]
Das Schwergewicht verschiebt sich im Wort, im Gebrauch, im Respekt –
7 [251]
„das Wohl Aller mit Ausschluß des eigenen." Hartmann P 405 erbärmliche Hypokrisie!
7 [252]
Daß zwischen einem Schurken und einem Ehrenmanne der Unterschied nicht nur in ein paar verschieden gedrillten Gehirnbewegungen besteht –
7 [253]
Charakter-Stärke. Sehr viel Reize annehmen und sie tief wirken lassen, sehr viel sich bei Seite ziehen zu lassen, fast bis zum Verlieren, sehr viel leiden und – trotzdem seine Gesammtrichtung durchsetzen.
Die gewöhnlichen Charakter-Starken sind kalt, flach und ohne Mitempfindung: sie nehmen auch keinen Menschen in Besitz. Plastische Kraft.
7 [254]
Unsere Willkür ist da am größten, wo unsere Übung und unsere spontane Kraft am größten ist: es ist die schnellste Folgsamkeit und Gewandtheit des Gehorchenden (freier Wille am stärksten empfunden, wo wir am schöpferisch-unbedingtesten sind) Baumann p. 18.
7 [255]
Ein Sentenzen- und Citaten-Buch
ein Anekdoten-Buch.
Ein Thatsachen-Buch.
Scherze.
7 [256]
Egoismus ist kein Princip, sondern die Eine Thatsache.
7 [257]
Vom Zwecke aus gesehen ist bei jeder Handlung so viel verschwendet wie bei der Sonnenhitze, die in das Weltall strahlt.
7 [258]
Das Individuum als Frucht des Gemeinwesens, nicht immer als Mittel.
7 [259]
Jeder Zustand erlaubt eine Betrachtung, als ob er Zweck gewesen sei, oder als Mittel oder als Irrweg beim Experiment.
7 [260]
Befriedigung des Triebes ist nicht im Resultat der Thätigkeit, sondern im Thun zu suchen.
Glück wäre das Gleichgewicht der auslösenden Thätigkeiten aller Triebe.
7 [261]
Experiment als wirklicher Charakter unseres Lebens und jeder Moral: etwas Willkürliches muß daran sein!
7 [262]
Ursprung des Christenthums unter Armen-Vereinen. Baumann p. 22 göttliche Hülfe und gegenseitige Unterstützung.
7 [263]
Die Vorstellung eines freudigen nützlichen Resultats der Handlung wirkt freudig, anregend, das Blut strömt lebhafter. Insofern hat der Zweck einer Thätigkeit noch eine anregende, lusterregende Kraft während des Handelns.
Also: die Thätigkeit des Triebes ist mit Lust verknüpft. Das Ziel der Thätigkeit wird vorgestellt und wirkt ebenfalls Lust, auch Vermehrung der Thätigkeit (das Ziel ist die Thätigkeit eines anderen Triebes). Aber der Trieb selber will nicht ein Resultat seines Thuns. Unser Verstandes-Trieb freilich hat im Setzen des Zwecks seine Lust – das ist seine Thätigkeit; ebenfalls in dem Ausdenken der Mittel – logische Lust in allem Handeln.
In jeder Handlung sind viele Triebe thätig.
Mindestens
1) der im Thun sich befriedigt
2) der im Setzen von Zweck und Mittel sich befriedigt
3) der im Vorwegnehmen des Erfolgs sich befriedigt.
Der Trieb befriedigt sich d.h. er ist thätig, indem er sich der Reize bemächtigt und sie umbildet. Um sich ihrer zu bemächtigen, muß er kämpfen: d. h. einen anderen Trieb zurückhalten, dämpfen. In Wahrheit besteht er immer als Thätiger: aber seine Ernährung bringt größere Kraftmengen mit sich, so daß auch seine Kraftleistung verschieden sein muß. Der Trieb selber ist aber nichts Anderes als ein bestimmtes Thätig sein: eine Personification.
7 [264]
Wirkung von Lohn und Strafe p. 31 Baumann.
7 [265]
Der Reiz ist an sich weder Lust noch Unlust, wohl aber kann er von Lust oder Unlust begleitet sein ein Mittleres das nicht Lust und nicht Unlust wäre kann es nicht geben! – was „nicht Lust" ist ist dann eben nicht Lust
7 [266]
Wille als das Gestaltende?
7 [267]
Befriedigung: das Wort setzt Unfrieden voraus und erweckt ein Vorurtheil.
7 [268]
1. Unschuld des Werdens: ohne Zweck.
2. Handlung, Trieb, Lust, freier Wille.
der Haushalt unsrer Triebe geht einstweilen weit über unsre Einsicht.
die wesentlich fehlerhafte Selbstbeobachtung bei allen Handelnden ist in die Moral übergegangen.
3. Der Typus der Moral unter Mächtigen.
4. Der Typus der Moral unter Unfreien.
5. Das individuum und die Gemeinde. „Individuum als Resultat". Collektiv-Gewissen.
6. Strafe, Rache, die Verantwortlichkeit. (Zweck heiligt Mittel)
7. Die zwei Bewegungen in der Zukunft. Moral als Zeichen-Sprache des Leibes.
8. Die Aneignung der Geschichte unter der Leitung der Reize und der Triebe – es giebt keine „objektive Historie".
9. Böse eine Vorstufe des Guten: das Schöpferische und Schaffende: die neue Werthschätzung und ihre Geschichte. Die organische Funktion des Bösen. (Die Menschheit als Kraftmasse, welche wächst und sich ausgeben muß)
10. „Das Leben für Andere" und das „Unegoistische"
7 [269]
Viel weniger Absicht in unseren Thaten als wir vorgeben (Eitelkeit in der Annahme von Zwecken!). Emerson, p. 99.
7 [270]
Die Zukunft der Menschlichkeit nicht jener zärtliche Begriff. Dagegen p. 599.
7 [271]
Mit einem „um zu" bringt man die Handlung um ihren Werth.
7 [272]
Hartmann, p. 593. „Gut" „schlecht" entspricht Zuständen des Urtheilenden.
7 [273]
Das Individuum als Vielheit.
7 [274]
Ausgang: die Leugnung der moralischen Bedeutsamkeit – Geburt der Tragödie.
[Dokument: Mappe mit losen Blättern]
[Sommer 1883]
8 [1]
Die Tonga-Insulaner schneiden die kleinen Finger ab, als Opfer. 2
Im Orient bedeckt eine Frau, im Bade überrascht, das Gesicht – so ist es dezent!
Die Scham verbietet in China der Frau den Fuß zu zeigen, unter den Hottentotten muß sie nur den Nacken verhüllen.
Weiß ist in China Trauerfarbe.
Die alten Culturvölker Amerikas kannten den Gebrauch der Milch nicht.
Der Chinese ißt sehr viel Gerichte in sehr kleinen Portionen.
Nr. 29.
Man will sich nicht die Fehler eines Thiers aneignen z. B. die Feigheit des Hirsches (auf Borneo) – Weiber und Kinder dürfen davon essen.
Auch Fledermäuse Kröten Würmer Larven Raupen werden gegessen. Gemästete Ratten Leckerbissen der Chinesen. „Das Tigerherz zu essen macht trutzig" (Java) Hundeleber macht klug.
Unsinnige Massen Reis ißt z. B. der Siamese.
8 [2]
– wie der weißköpfige Adler stolz und ruhig über dem Sturze des Niagara sitzt und oft in seine wilden Nebel hineintaucht
– wie der Albatros auf Wochen hin dem Meere sich anvertraut: der König der Vögel
– wie der Condor der Anden in der lautlosen Höhe (der über eine Stunde ohne mit den Flügeln zu schlagen durch die Luft segeln kann)
Ruhe des Fliegenden
8 [3]
Welche Verschiedenheit sehen wir im Gehen Schwimmen und Fliegen. Und doch ist es ein und dieselbe Bewegung: nur ist die Tragkraft der Erde eine andere als die des Wassers, und die des Wassers eine andere als die der Luft! So sollen wir auch als Denker fliegen lernen – und nicht vermeinen, damit Phantasten zu werden!
8 [4]
Die Autorität des Junkers Christoph bei Shakespeare: „ich bin ein großer Rindfleischesser, und ich glaube, das thut meinem Witz Schaden!"
8 [5]
Strafen bei den Germanen: einen Mühlstein auf's Haupt fallen lassen (mythisch), das Viertheilen durch Pferde, Zertreten durch Pferde; in Oel oder Wein gesotten (14. und 15. Jahrhundert) werden; ebenso im Mittelalter Lebendigbegraben, Vermauern, Verhungern. Das Rädern (rein germanisch), das Schinden (Riemenschneiden aus der Haut). Mit Honig bestreichen und den Fliegen und der heißen Sonne übergeben. Das rechte Bein und den linken Arm abhauen. Nase, Ohren, Lippen, Zunge, Zähne, Augen, Geschlechtstheile.
8 [6]
Weiber-Verwandtschaft: Kinder gehören nicht in die Familie des Vaters, sondern des Bruders ihrer Mutter. Der Vater gehört zu einer anderen Familie: Vater und Sohn in feindseligem Verhältniß. Der Vater heirathet in eine fremde Familie hinein und in ihr ist er lediglich Erzeuger, und kaum mehr als ein Sklave. – Die Vaterschaft nichts Selbstverständliches, sondern ein spät erreichtes Rechtsinstitut. Das sittliche Band zwischen Vater und Kind fehlt! Der Vater gilt nicht als blutverwandt mit seinen Kindern. Die Nabelschnur ist das Band der Familie.
In den Verbänden von Blutverwandten giebt es weder ein individuelles Verbrechen, noch individuelles Eigenthum, noch Ehe. Nur das Geschlecht hat Rechte und Pflichten. Weiber sind wie Kinder Gemeingut. Ja es giebt Zustände, wo es keine Verwandtschaft von Person zu Person giebt, sondern Gruppen verwandt sind. – Gruppen-Ehen.
Rechtsubjekte sind jetzt die sogenannten „natürlichen Personen", die Einzelnen: sie sind die Träger von Rechten und Pflichten.
Ein alter Chinese sagte, er habe gehört, wenn Reiche zu Grunde gehen sollen, so hätten sie viele Gesetze.
Die Ehe mit schlechtem Gewissen: das Weib muß, bevor es heirathet, eine Zeit des Hetärism durchmachen, es muß entjungfert sein. Es muß sich den Stammesgenossen preisgeben, bevor es Einem Manne gehört. Letzter Rest das jus primae noctis der Häuptlinge oder auch Priester (wie bei den Buddhisten in Cambodja)
Die Hetäre steht in manchen Theilen Afrika's, in Indien und in Java in hohem Ansehen, sie ist den Volksgöttern treu geblieben. –
Hier erhält der Mann mit der Frau zugleich sämmtliche Schwestern, dort haben sämmtliche Brüder Eine Frau.
Bei den Thieren sind die Weibchen nicht geschmückt, die Schönheit gehört den Männchen zu – die Begehrenden und Kämpfenden werden schön.
das Weib macht bei uns „Eroberungen"
Die höhere Schönheit der Weiber unter Menschen beweist, daß die Weiber hier die kämpfenden und begehrenden sind; sie verstehen sich leicht darauf, den Mann zu erobern. Bei den Thieren nimmt die männliche Intelligenz zu durch den Geschlechtstrieb. –
In Athen waren die Männer schöner als die Frauen – nach Cicero: dies ist aber wohl eine Folge der großen Arbeit an der Schönheit, unter Einwirkung der Päderastie.
Mit der Entstehung der individuellen Ehe entsteht die neue Pflicht, nach der Brüder und Schwestern, Schwiegervater und Schwiegertochter, Schwiegermutter und Schwiegersohn, Schwager und Schwägerin nicht mit einander sprechen, essen, ja sich nicht ansehen dürfen. – Früher hat man oft Mutter und Tochter zusammen geheirathet. – Feindseligkeit und Kälte gehört zu den Pflichten überall, wo individuelle Pflichten entstehen. Mit der Liebe tritt immer die Abneigung zugleich auf. Menschenliebe im Allgemeinen ist bisher nicht ohne einen ungeheuren Haß dagewesen.
Eheliche Treue erscheint lange als unmoralisch.
Das Weib ein Eigenthum, welches der Stärkere jederzeit dem Schwächeren nehmen kann. Wettkampf der Stärke entscheidet. Nur die Häuptlinge und Priester haben die schönen Frauen. Junge Leute müssen sich mit alten Weiblein begnügen. – Der Raub die regelmäßige Form zu einem Weib zu gelangen.
der Verlobungsring der Rest der Kette, mit der die Geraubte weggeschleppt wurde
Zwischen Ehegatten ursprünglich die höchste „Kälte und Indifferenz". Das Weib ist gekauft oder geraubt. Dazu der geheime Gewissensvorwurf, daß die Ehe etwas Naturwidriges und Unsittliches ist: die Gatten leben wesentlich getrennt, nicht Gemeinschaft von Tisch und Bett. Trennung der Geschlechter Grundgedanke der chinesischen Ehe. Das Haus <hat> zwei Theile: im äußeren wohnt der Mann, im inneren die Frau. Die Thür soll sorgfältig verschlossen werden. Jeder soll allein sterben. Es ist die durchgeführte separatio quoad thronum et mensam.
Höhere Verbände von Geschlechtstgenossenschaften: Viele kleine Gemeinwesen ohne alle Verbindung mit einander, oft durch große Wälder getrennt, einem Fürsten Gehorsam und Abgaben leistend, der in die innere Verwaltung der kleinen Gemeinden nicht eingreift (Indien und Sumatra heute noch). Nach innen möglichst fest geschlossen ist so ein Gemeinwesen: die griechische toliz.
Älteste Scheidung der Stände nach dem Alter: Pietät.
Die Tupinambazes mästeten ihre Kriegsgefangenen an langen Seilen und versahen sie mit Beischläferinnen, bis sie fett genug zum Fraße waren.
8 [7]
Der Scherz und Übermuth an anderen Personen trug ehedem einen für uns schauderhaften Charakter: namentlich an Kriegsgefangenen. An Verrückten: noch der Don Quixote! Das Lachen ist ursprünglich die Äußerung der Grausamkeit.
8 [8]
Eine Person ursprünglich: Priester Zauberer Arzt Richter Häuptling. Regen Friede gut Wetter gute Erndte fette Kälber – aber auch Mißwachs Seuche Mißerfolg im Kriege oder auf der Jagd, schlechtes Wetter.
Verachtung des Greisenalters wegen der Schwäche für Krieg und Jagd.
Tödtung von Zwillingen, wenigstens von Einem. Man sucht in Zwillingen den Beweis vom Ehebruche (z. B. bei den Cariben) Auch die Germanen dachten so. – Diese Vielheit gilt als thierähnlich, gleich Ratten und Hündinnen.
Hier und da da gilt es als Schande, Töchter zu gebären.
Altgermanisch: das Kind liegt auf dem Boden, bis der Vater erklärt, ob er es leben lassen will oder nicht, Hebt er es nicht auf, so wird es ausgesetzt – ganz wie bei den Fidschi-insulanern
Die Häuptlinge haften für die Handlungen der Weiber und Kinder, für den Schaden, den Sklaven und Thiere verrichten. Für ein von den Seinen verwirktes Blutgeld; er muß Schulden derselben bezahlen. Verlobungsgelder. Ein ganz andres Gewissen entsteht bei solchen Personen. Auch jetzt noch bei Fürsten und Staatsmännern.
Die Verantwortlichkeit lange getrennt vom Gewissen!
8 [9]
Typus der primitiven Geschlechtsgenossenschaft: eine Gruppe von Verwandten, von der gleichen Stammmutter her, in vollständiger Weiber-, Kinder- und Vermögensgemeinschaft lebend, so daß jede individuelle Ehe, jede individuelle Vater- und Elternschaft fehlt; alle Genossen gleich nahe verwandt, alles Eigenthum, bewegliches und unbewegliches als gemeinsam, alle Arbeit gemeinsam; aller Erlös gemeinsam verzehrt, alle Schulden gemeinsame Schulden der Genossenschaft, alle Blutsfreunde für jeden Blutrache übend und von der Blutschuld eines Blutfreundes mitgetroffen. Fremde durch Adoption aufgenommen.
Über den Geschlechtern stehen Geschlechterverbände und Stämme. Die Hausverwandtschaft grundverschieden davon als Vereinigungen von Abkömmlingen desselben Stammvaters. Schwerlich ein primitives Gebilde: Corporation Gruppe von Männern und Weibern, Kindern und Sklaven, vereinigt unter der patriarchalischen Gewalt eines Häuptlings oder Hausvaters. Mit eigenen Göttern, Recht Regierung, unveräußerlichem Boden. Nicht an die Existenz der einzelnen Genossen gebunden, Forterhaltung der Hausgemeinschaft erste Pflicht: und Zwang sich von einem unfruchtbaren Weibe zu scheiden: Strafbarkeit des Coelibats: bei Impotenz des Mannes war die Frau verpflichtet, sich von einem Verwandten des Mannes ein Kind zu schaffen.
Überall wo die Organisation auf dem Blutbande beruht, giebt es Blutrache: das Gesammtleben des Verbandes kommt zum Ausdruck, als unverständliche und über das Individuum hinausreichende Kraft, Gegenstand religiöser Verehrung. Grundtendenz: zwischen zwei Geschlechtern wird das Gleichgewicht wiederhergestellt; das Verschulden des Einzelnen ist gleichgültig, es ist Krieg zwischen Geschlechtern. Mit dem sich bildenden Staatswesen schmilzt die Blutrache zu einem Racheakt gegen den Thäter zusammen.
Voraussetzung der Blutrache ist zunächst, daß sie eine Familien-Angelegenheit ist: die Gaugenossenschaft oder der Staat mischt sich zunächst nicht ein. Aber sie setzt die höhere Organisation schon voraus: es ist Zweikampf zwischen Gleichgeordneten, Einem Ganzen Zugehörigen. Die Feindschaft gegen die Familie des Blutschuldigen ist grundverschieden von der Feindschaft gegen alles, was nicht zur höheren gemeinsamen Organisation gehört. Es fehlt die Verachtung, der Glaube an die tiefere Rasse des Feindes: in der Blutrache ist Ehre und Gleichberechtigung.
Friedloslegung: ein Genosse wird aus der Friedensgenossenschaft ausgestoßen; er ist jetzt vollkommen rechtlos. Leben und Gut können <ihm> von Jedermann genommen werden. Der Übelthäter kann bußlos von Jedermann erschlagen werden. Grundgefühl: tiefste Verachtung, Unwürdigkeit z.B. noch im moslemischen Recht bei Ketzerei oder Schmähung des Propheten: während es bei Mord und Körperverletzung lediglich Blutrache und friedensgenossenschaftliche Bußen kennt. Es ist Ächtung: Haus und Hof wird zerstört, Weiber und Kinder und wer im Hause wohnt, wird vernichtet, z. B. Im peruanischen Inkareiche, wenn eine Sonnen-Jungfrau sich mit einem Manne vergieng, mußte ihre ganze Verwandtschaft es mit dem Leben büßen, das Haus ihrer Eltern wurde dem Erdboden gleichgemacht usw. Ebenso in China, wenn ein Sohn den Vater tödtet.
Also: Vergehen, welche die Existenz der Gemeinde aufs Spiel setzen, fordern die Friedloslegung heraus: der verdorbene Sproß wird ausgetilgt. Was als eine solche heillose und grundverächtliche Handlung angesehen wird, richtet sich nach dem, was als Existenz-Bedingung der Gemeinde gilt – und kann folglich bei verschiedenen Gemeinden sehr verschieden sein.
In der Praxis entstehen Milderungen aller Art, z. B. man läßt ihm Zeit, sich durch die Flucht zu entziehn. Verbannung und Vermögensconfiskation sind die letzten Ausläufer. Namentlich die beschimpfenden Strafen haben hier ihren Ursprung.
Friedensgenossenschaft: Schutz- und Trutzverbände, in denen sich die Genossen gegenseitig Leben und Gut verbürgen, in denen der Fried<ens>brecher aus dem Frieden ausgestoßen wird, in denen Kinder, Weiber, Gut und Schuld gemeinsam sind – älteste Form.
Staatliche Bildung: ein von der Basis der Blutverwandtschaft gelöstes Königthum, ein öffentliches Staatsrecht, individuelles Eigenthum, individuelle Verhaftung für Verbrechen und Schulden – späteste Form. –
Je bestimmter eine organische Einheit z. B. eine Gemeinde Heerde sich zum Bewußtsein kommt, um so stärker ist ihr Haß gegen das Fremde. Die Sympathie mit dem Zugehörigen und der Haß gegen das Fremde wachsen mit einander.
In Hinsicht auf die Continuität des gemeinschaftlichen Lebens und die Menge Gedanken, welche es in Anspruch nimmt: wie gering ist der Umfang, den die auf das Einzelwesen selbst bezüglichen Zwecke und Bilder in ihm einnehmen! Die socialen Triebe überwiegen bei weitem die individuellen. Die Thiere führen zu ihrem eignen Schaden Handlungen aus, die der Gruppe nützen.
Die thierische Gesellschaft beruht, um uns der jetzigen moralischen Sprache zu bedienen (aber grundverschiedenen Empfindungen entsprechend), auf Liebe, Beständigkeit der Zuneigungen, Erziehung der Jungen, Arbeit, Sparsamkeit, Muth, Gehorsam bei den Schwachen, Besorgniß bei den Starken, Aufopferung bei Allen. Keine Gesellschaft kann sich erhalten, ohne solche Eigenschaften, und in der erhaltenen werden diese Triebe vererbt: sie würden bei einem Grad von Stärke die Gesellschaft matt machen: aber es entwickeln sich antagonistische Kräfte innerhalb, in dem Grade als nach außerhalb Sicherheit eintritt. Und im vollendeten Zustand der Ruhe nach außen löst sich die Gesellschaft in Individuen auf: es bildet sich die Spannung, die früher zwischen Gemeinde und Gemeinde war. Damit erst giebt es Mitleid – als Empfindung zwischen Individuen, die sich als solche fühlen. (Die altruistischen Handlungen jener einheitlichen Urgesellschaften haben ein Ichgefühl zur Voraussetzung, aber ein Collektiv-Ich und sind grundverschieden vom Mitleiden.) Vielleicht empfand ein Geschlecht zu einem anderen Geschlecht innerhalb eines größeren Verbandes zuerst etwas wie Mitleid und Achtung, also nicht gegen Individuen. Hier ist der Ursprung des Mitleidens. Ich meine: die Blutrache ist die älteste Form dieser Achtung vor einem anderen Geschlecht: als Gegensatz zum absoluten Gefühl der Feindschaft.
8 [10]
Auch die „Wilden" sind unsäglich hochentwickelte Menschen, gegen die längsten Zeiten gerechnet.
8 [11]
Der Mensch mehr als jedes Thier ursprünglich altruistisch – daher seine langsame Entwicklung (Kind) und hohe Ausbildung, daher auch die außerordentliche letzte Art von Egoism. – Die Raubthiere sind viel individueller.
8 [12]
Atavism: wonnevolles Gefühl, einmal unbedingt gehorchen zu können.
„Du sollst dich ausbeuten, bestehlen, belügen lassen" – Grundgefühl des katholischen Priesterstaats, speziell vollkommen im Jesuitism. sacrificio dell'intelletto uralt und ursprünglich – doch nicht als Opfer empfunden, sondern das Gegentheil als Qual
8 [13]
Ja die Philosophie des Rechts! Das ist Eine Wissenschaft welche, wie alle moralischen Wissenschaften, noch nicht einmal in den Windeln liegt! Man verkennt z.B. Immer noch, auch unter frei sich denkenden Juristen, die älteste Bedeutung der Strafe – man kennt sie gar nicht: und so lange die Rechtswissenschaft sich nicht auf einen neuen Boden stellt, nämlich auf Historie und Völker-Vergleichung, wird es bei dem unseligen Kampfe von grundfalschen Abstraktionen verbleiben, welche heute sich als „Philosophie des Rechts" vorstellen und die sämtlich vom gegenwärtigen M<enschen> abgezogen sind. Dieser gegenwärtige M<ensch> ist aber ein so verwickeltes Geschlecht, auch in Bezug auf seine rechtl<ichen> Werthschätzungen, daß er die verschiedensten Ausdeutungen erlaubt.
8 [14]
Meine erste Lösung: die dionysische Weisheit.
Dionysisch: zeitweilige Identification mit dem Princip des Lebens (Wollust des Märtyrers einbegriffen).
Lust an der Vernichtung des Edelsten und am Anblick, wie er schrittweise in's Verderben geräth
als Lust am Kommenden Zukünftigen, welches triumphirt über das Vorhandene noch so Gute
8 [15]
Die Griechen als Menschenkenner.
Das Vereinfachen, die Abneigung gegen das Complizirte, und die kleinen Details
Das Logisiren, das Voraussetzen des logisch-Begreiflichen auch im Charakter
Das Idealisiren („schön und jung"), die Abneigung gegen das Nicht-Typische, das unbewußte Lügen (es fehlt das Partei-Nehmen gegen sich selber, eine gewisse Großmuth)
Die politische Nöthigung, sich gemeinverständlich zu geben: der Mangel an versteckten Individuen II 398, an verhaltenen Gefühlen (die als thatenscheu Verrufenen II 401).
Der Wettkampf. Empfindung, mit der jeder Philosoph seine Gegner niederkämpfen wollte – durch den praktischen Beweis, daß er der Glücklichste sei. „Tugend ist Glück" – das hat von Sokrates an alle psychologische Beobachtung gefälscht; sie vertheidigen sich (der „Thatsachen-Sinn" ist nur als Reaktion im Agon mit dem mythischen Sinne gewachsen, nicht als ursprüngliche Kraft).
(Sie sind vielleicht einfacher gewesen? – Aber die ungeheure Fülle von verschiedenen Individuen.)
Die Vornehmheit (gennaioz so viel wie „naiv"!): das instinktive Handeln und Urtheilen gehört zur guten Art; das Sich-selber-Annagen und -Zersetzen ist unnobel.
Ihr Wille zum „Allgemein-Menschlichen", auch zunächst allgemein Griechischen – ihr Gegensatz-Gefühl zum Barbaren
Der böse Mensch genießt theils Verehrung, theils Mitleid; er ist sich selber noch nicht von Würmern zerfressen – die ganze zerstörende aufwühlende Selbst-Verachtung fehlt.
Die „unnütze" Kraftvergeudung (im Agon jeder Art) als Ideal, auf welches der Staat hinstrebt (gegen die Römer); sie verstehn die Antriebe aus gedrückten Lagen wenig während der Inder (Brahmane) durch den Mangel an Initiative empfindet „alles Handeln ist Leiden".
Stoicism wäre in einer moralistisch aufgeklärten Welt gar nicht möglich gewesen. – jedes Wort von B. Grazian oder La Rochefoucauld oder Pascal hat den ganzen griechischen Geschmack gegen sich.
sie schimpfen und lassen sich's dabei wohl sein (Homer's Sophocles' Epicur's Pessimismus – das „Ausweichen" als „göttlich" empfunden).
also: sie leiden im höchsten Grade, aber sie reagiren dagegen mit um so höherem Selbstgenuß im Schaffen und auch im Reden von Dingen, die wohl thun.
es ist das für Schmerz empfindlichste Volk, aber ihre plastische Kraft in der Benutzung des Schmerzes ist außerordentlich: dazu gehört auch eine Mäßigung in der Rache am Schmerz, im Wühlen im Schmerz: eine Nöthigung zur siegreichen Attitüde, als Kur. Folglich sind sie geneigt, unredlich zu sein gegen das Leiden: und so ist „ihr Gemüth" weniger sichtbar geworden, um so mehr die überwindenden Affekte, die helle Geistigkeit und die Tapferkeit. Die Schmähsucht nöthigte, die Leidenschaften zu verbergen.
Thukydides als höchstes Beispiel des Beiseite-Tretens von der nationalen Abneigung gegen die anatomische Behandlung.
In der Zeit der höchsten Produktivität an Gestalten, Gegensätzen (wie dionysisch-apollinisch) fehlt noch die Reflexion: die Thatsachen stehen da.
Die bildende Kunst kommt viel später. Man kann die Philosophie von Socrates an hinzu rechnen – ein Trieb aus der Vielheit zu wenig Typen zurückzukehren.
leibhafte Darstellung des höchsten Menschen Ziel der Philosophen.
Absoluter Mangel einer Geschichte der moralischen Werthschätzungen bei den Philosophen.
Widerwille gegen das Geltenlassen eines anderen Typus.
(man sehe Plato: er verneint alles andere Große! Homer, die bildenden Künste, die Prosa, Perikles – und um Sokrates zu ertragen, bildet er ihn um!)
Allgemeiner Eindruck: eine gewisse Oberflächlichkeit des Psychologischen (gegen Shakespeare und Dante und Goethe, gegen alle Franzosen von Montaigne bis Balzac, gegen Grazian (die christliche Scepsis) Italiäner J<acob> B<urckhardt> auch die Inder sind tiefer in der Analyse des leidenden Menschen).
Aber vielleicht waren sie noch einfachere Menschen? Diese Vorstellung paßt zur „Jugend der Menschheit" usw.
Hier gerade ist die Gefahr eines Hauptirrthums und Fehlschlusses. Gesetzt, die bildenden Künste der Griechen wären untergegangen und wir wären auf die Urtheile der Philosophen beschränkt: welcher Fehlschluß!
Und ebenso: all ihr aesthetisches Urtheilen ist tief unter dem Niveau ihres Schaffens.
Es wäre also eine Diskrepanz möglich: daß die Menschenkenntniß der Griechen äußerst zurücksteht gegen den thatsächlichen Reichthum an Typen und Individuen: daß sich ihre „Menschlichkeit" nur wenig zum Bewußtsein gekommen ist.
Wahrscheinlich haben niemals so viel verschiedene Individuen auf einem so kleinen Raum zusammengesteckt und sich eine solche wetteifernde Vollendung ihrer Eigenthümlichkeiten erlaubt.
Betrachten wir aber die nationalen Eigenthümlichkeiten ihres Intellekts: so wird es wahrscheinlich, daß die Kenntniß der Menschen bei ihnen gehemmt geblieben ist.
Alle ihre größten Kräfte wirkten hierin hemmend. Dies ist mein Thema.
Plato's freie Art, mit Socrates zu verfahren (wie sein Kopf in Neapel)
Die freie Art, sich Socrates zurecht zu machen (Xenophon ebenso)
das Untergehn des Individuums in Typen (Homer Orpheus usw.)
Widerwille gegen das Exakte. Poesie viel höher als Geschichte : jene behandle den Menschen im Allgemeinen, diese seine Einzelheiten. Darum Poesie mehr geeignet den Menschen kennen zu lernen. „Die wesentlichen Dinge wiederholen sich, es giebt nichts Neues, es giebt keine Entwicklung" – ist ächtgriechisch. Es fehlt alles Nachdenken über die verschiedenen Zukünfte. Was liegt an Anachronismen! an große Personen fliegen hundert Züge an und bleiben kleben.
Schluß. Das ganze hellenische Wesen ist tiefer zu nehmen. Mit Zeugnissen ist wenig zu machen. Die historischen Thatsachen, die Handlungen sind wichtiger z.B. für ihre Ethik, als alle ihre Worte. Wir müssen das hellenische Wesen erst noch errathen: es ist noch wesentlich fremd.
wir giengen ihnen gegen den Geschmack
unsre Menschenkenntniß schamlos
unsre Technik uboiz gegen die Natur
unsre Wissenschaft kleinlich-krämerisch
unwahrhaftig, weil so Vieles bei uns nicht Sichtbarkeit hat II 399.
allgemeines Leiden der Modernen: „Selbstverkleinerung" p. 399.
Einleitung
Triebe ihres 1) Das Vereinfachen (sie sind so begreiflich ), Lust am Übersehen der
Intellekts Nebenzüge, Energie Einen Zug zum Schwerpunkte zu machen
und ihrer Sinne.
2) Das Logisiren: eine Art Bezauberung (Dialektik als etwas Göttliches. Vers der Antigone).
3) Das Idealisiren („schön und jung") das Gefühl das wir in der großen Natur befriedigen, befriedigen sie vor dem Menschen.
Triebe und 4) Das Gefühl der Vornehmheit man traute sich die richtige
Gefühle Selbstschätzung zu II 397
aus der Unbillig gegen die Bescheidenen. Nemesis: sich großer Dinge für politischen Sphäre würdig halten, deren andere nicht würdig sind.
5) Die politische helle Luft, die Nöthigung, gemeinverständlich sich zu geben.
der am besten 6) Das agonale Gefühl, welches vor einem Publikum siegen will und entwickelte diesem Publikum verständlich sein muß. (Weshalb noch so
Instinkt ihrer verschiedene Individuen das „Allgemein Menschliche" an sich
gesammten Moralität übermäßig bekennen.
Beurtheilung des erwachenden „Thatsachen-Sinnes" als Consequenz selbst des Agons. Lob des Thukydides.
Im Munde eines Griechen ist es eine Paradoxie, wenn er in der Kugel die Spitze des Vollkommenen sehen wollte, sie mögen Wölbung und Rundung nicht.
Ihr Naturgefühl ist dem religiösen viel verwandter als das unsrige. Bei uns ist immer die Hauptsache, daß wir vom Menschen erlöst sind – wir suchen nach Gefühlen, die wir unter Menschen nicht haben.
Ich habe das Griechenthum entdeckt: sie glaubten an die ewige Wiederkunft! Das ist der Mysterien-Glaube!
(Stelle des Cratylus)
Plato meint, die Todten im Hades seien rechte Philosophen, vom Leibe erlöst.
gnwJ i oauton
, aber nicht den Menschenmit Hintergedanken lesen.
toosJ e Platwn otiJ en Platwn messh te Cimaioa
.Zwecke.
Ihre Schwäche deutet auf ihre Stärke hin.
Es sind Schauspieler. Wollen und Sein fällt zusammen für ihren Intellekt.
8 [16]
Der höhere Mensch,
seine Selbst-Erlösung und Selbst-Erhaltung.
8 [17]
der Sinn für Wahrheit bei Mächtigen (bei Unterdrückten als Rache, Rechtfertigung – Spinoza).
Selbst-Überwindung der Moral.
8 [18]
die Arterhaltung als Moralprincip umgemünzt!
8[19]
Die absolute Nothwendigkeit ganz von Zwecken zu befreien: sonst dürfen wir auch nicht versuchen und uns opfern und gehen lassen! Erst die Unschuld des Werdens giebt uns den größten Muth und die größte Freiheit
8 [20]
Ich schreibe für mich selber: und welchen Sinn hätte Schreiben in diesem zerschriebenen Zeitalter? wenig: denn abgesehen von den Gelehrten versteht Niemand mehr zu lesen, und auch die Gelehrten – – –
8 [21]
Unser Zeitalter hat sich neue Augen eingesetzt, um überall das Leiden zu sehen: und mit einer ungeheuren hypnotischen Starrheit des Blicks, die nur Einmal in der Geschichte bisher ihres Gleichen hatte, und das Auge der Beschauer in die gleiche Richtung zwingt – – –
Als ich jung war, gehörte ich im Grunde zu den Welt-Verleumdern und Pessimisten; wie es billig und verzeihlich in einem Zeitalter ist, das dazu gemacht scheint, gerade Jünglinge zum Verzweifeln zu bringen. Der Jüngling, je mehr er an seinem eigenen Werden leidet, will in's Ganze, Volle und Fertige; er will vor Allem Sicherheit, Halt: dies Zeitalter aber ist durch Gedanken aller Zeiten zerdacht, mißtrauisch, mit einem Mißtrauen, das unter Menschen noch nicht da war, und daher oft denkmüde, oft mißtrauensmüde, oft greisenhaft und „vorläufig" in seinem ja und in seinem Nein: es denkt nämlich in jedem Falle e<in> ja, wo – – –
Da wirkt denn der entschlossene Protest eines Einzelnen wie Schopenhauers gegen das ganze Dasein als eine Erlösung: es vereinfacht
8 [22]
Jeder Mensch, dem wir begegnen, erregt gewisse Triebe bei uns (Furcht Zutrauen usw.) Ununterbrochene Bewegung unsres Trieblebens durch die Außenwelt (Natur).- ganz abgesehn noch von dem ununterbrochenen Auf- und Einnehmen elektrischer atmosphärischer Wirkungen.
8 [23]
die Guten
Da jeder Trieb unintelligent ist, so ist „Nützlichkeit" gar kein Gesichtspunkt für ihn. Jeder Trieb, indem er thätig ist, opfert Kraft und andere Triebe: er wird endlich gehemmt; sonst würde er Alles zu Grunde richten, durch Verschwendung. Also: das „Unegoistische" Aufopfernde Unkluge ist nichts Besondres – es ist allen Trieben gemeinsam – sie denken nicht an den Nutzen des ganzen ego (weil sie nicht denken!) sie handeln „wider unseren Nutzen", gegen das ego und oft für das ego – unschuldig in Beidem!
8 [24]
Man sucht das Bild der Welt in der Philosophie, bei der es uns am freiesten zu Muthe wird; d. h. bei der unser mächtigster Trieb sich frei fühlt zu seiner Thätigkeit. So wird es auch bei mir stehn!
8 [25]
Unsinn aller Metaphysik als einer Ableitung des Bedingten aus dem Unbedingten.
Zur Natur des Denkens gehört es, daß es zu dem Bedingten das Unbedingte hinzudenkt, hinzuerfindet: wie es das „Ich" zur Vielheit seiner Vorgänge hinzudenkt, hinzuerfindet: es mißt die Welt an lauter von ihm selbst gesetzten Größen: an seinen Grund-Fiktionen wie „Unbedingtes", „Zweck und Mittel", Dinge, „Substanzen", an logischen Gesetzen, an Zahlen und Gestalten.
Es gäbe nichts, was Erkenntniß zu nennen wäre, wenn nicht erst das Denken sich die Welt dergestalt umschüfe zu „Dingen", Sich-selbst-Gleichem.
Erst vermöge des Denkens giebt es Unwahrheit.
Das Denken ist unableitbar, ebenso die Empfindungen: aber damit ist es noch lange nicht als ursprünglich oder „an sich seiend" bewiesen! sondern nur festgestellt, daß wir nicht dahinter können, weil wir nichts als Denken und Empfinden haben.
8 [26]
Die Unschuld des Werdens.
Ein Wegweiser zur Erlösung von der Moral.
Von
Friedrich Nietzsche.
Einleitung.
I. Die Grundirrthümer der Moral.
II. Moralität als Zeichensprache.
III. Die Überwindung der Moral und ihr Ersatz.
8 [27]
Wer die Vernünftigkeit vorwärts stößt, treibt damit die entgegengesetzte Macht auch wieder zu neuer Kraft, die Mystik und Narrheit aller Art.
In jeder Bewegung zu unterscheiden
1) daß sie theilweise Ermüdung ist von einer vorhergegangenen Bewegung (Sattheit daran, Bosheit der Schwäche gegen sie, Krankheit
2) daß sie theilweise eine neu aufgewachte, lange schlummernde, aufgehäufte Kraft ist, freudig, übermüthig, gewaltthätig: Gesundheit.
[Dokument: Heft]
[Mai - Juni 1883]
9 [1]
Zu heftig strömt dein Quell; er leert zugleich den Becher, indem er ihn füllen will.
Gräten und Muscheln und was sonst an spaßhaften Dingen vom Tisch des Lebens abfällt
Deine Wohlthaten sollen fallen wie der Thau auf das Gras, dann, wenn die Nacht am verschwiegensten ist.
Gerade von dir, dem ich alles Böse zutraue, erwarte und will ich das Gute
Du sollst Nutzen und Nothdurft heißen, was Nothdurft und Nutzen ist und den Namen der Tugend heilig halten.
Nicht Grund, noch Zweck deines Handelns macht dein Handeln gut, sondern ob deine Seele dabei zittert und erglänzt.
Was wäre eine Gnade üben, wenn es nicht hieße: eine Ungerechtigkeit auf sich nehmen?
Sind deine Schultern stark genug dazu, wohlan, so nimm fremdes Unrecht zu dem deinen hinzu: und man soll deine Gnade preisen.
Erkennen: das heißt: alle Dinge zu unserem Besten verstehen!
„Ich will", „du sollst", „er muß" – also verstehen sie Ich Du und Er.
Herrisch tritt das Erlebniß auf mich zu: aber kaum ist es erlebt, so liegt es auch schon auf den Knien.
Fühlst du den Durst und den heißen Athem der Sonne? Sie will am Meere saugen. Siehst du die Begierde des Meeres sich heben mit tausend Busen? Es will geküßt und gesaugt sein vom Durste der Sonne
9 [2]
Um an den Schopenhauerschen Willen zu glauben – dazu gehört ein sehr guter Wille zum Glauben!
9 [3]
Helle der Mitternacht war um mich, Einsamkeit sah mich mit trunknem müdem Auge an.
– schrie meine Stimme aus mir –
Todtenstille schlief und röchelte im Schlafen.
Da lag die Schlaflosigkeit und die Mitternacht mit trunknem Auge.
Da lag die Einsamkeit und neben ihr die Todtenstille: beide schliefen und röchelten.
9 [4]
Gott Lückenbüßer.
Hin zur Unsterblichkeit
9 [5]
Von der Scham des Schenkenden.
Über Gerechtigkeit (Proletarier).
Vom Rausche.
Die neueren Klöster usw.
Historische Bildung – „ich spreche frei".
Redlichkeit der Erbärmlichen.
Genie's!
„Strafen" als Feindschaft gegen die Feinde unseres Ideals.
„Ehe" auf Zeit –
9 [6]
die Thür zu werfen
wie lächerlich wäre es, wenn ihr euch zu mir bekehren wolltet!
Ihr kommt zu mir, und ich will euch nicht: aber wie ich geben muß, so müßt ihr nehmen!
„Mensch der Partei" – will ich zum Schimpfe machen.
Ein weißer Stier will ich sein und die Pflugschaar ziehn: wo ich liege, soll Ruhe sein und die Erde nach Erde riechen.
Wild schlägt der Adler seine Flügel: aber seine Brandung bricht sich an meinem Willen.
Sie erleben nichts mehr: ihre Haut wird nur geritzt. Wie Mücken sitzen auf ihrer Haut die Ereignisse. – So bleibt der M<ensch> jetzt schwer und sich gleich, wie ein Stein in der Sonne.
Kirche: verfälschtes Licht, versüßter Ernst des Weihrauchs, Verführung zu falschen Ängsten, ich mag die Seele nicht, die zu ihrem Gotte hinauf – kniet.
Wie in ein Auge, sah ich in das Leben.
Mönch im Monde, feuchtwangiger! Nimmer nenne ich dich den „Mann" im Monde! Lüstern schleichst du von Fenster zu Fenster um alle dunkeln Ecken! du eifersüchtigster aller Kater: eifersüchtig auf alle Liebenden grinsest du hinein ins Fenster.
9 [7]
Sie wollen mit ihren Tugenden ihren Feinden die Augen auskratzen.
Sie lästern, weil sie nicht Schaffen können.
Sie – – –
9 [8]
Die Tänze Zarathustra's.
9 [9]
Ich wollte der Philosoph der unangenehmen Wahrheiten sein – 6 Jahre lang!
9 [10]
Zu lange gehörte ich der Einsamkeit: so verlernte ich das Schweigen.
Mund bin ich worden ganz und gar und Brausen eines Bachs aus hohen Felsen: hinab will ich meine Rede stürzen in die Thäler.
Verhaßt sind mir alle Nacht- und Grabwächter und wer sonst in düstere Hörner tutet.
Ich sehne mich und schaue – und nun kommst du, mein Adler: hast du Niemanden gesehen, – – –
Ich lache eures freien Willens, und auch eures unfreien: keinen Willen giebt es. Aus Schmerz und Gedanken gebiert sich ein Wahn – den nennen wir „Wille".
9 [11]
Ich blicke hinab in das Meer: still steht es und tückisch blickt mir aus ihm ein Bild entgegen.
Ein kostbares Bild mit weißen Brüsten hält es in seinen Armen: träge und tückisch schleicht es über den Sand, daß – – –
also locken mich Meer und Bild der Zukunft
Träge und tückisch wich das Meer von seinen weißen Brüsten.
Halb begrub es der Sand und halb die Eifersucht der Welle.
9 [12]
Determinimus ist so zu beseitigen:
Ich will mich dem Urtheile bestimmter M<enschen> unterwerfen: es soll meine Erziehung sein, mich anspornen und abschrecken – alles als Mittel, ein Ideal durchzusetzen und zur Herrschaft zu bringen.
Organisch = moralisch ist die Lösung des moralischen Problems.
Man ehrt erst einen Einzelnen, insofern er einen Typus ausdrückt: z. B. „der Priester", „der Held" usw. – später erst, insofern er „er allein" ist.
Moral giebt es, welche Tugend dahin stellt, daß einer nicht Individuum, sondern Typus werde! daß er schließlich für die Empfindung zusammenfällt mit einem verehrten Typus des Volkes.
9 [13]
Des Ringes Durst, sich wieder zu erreichen – ihn dürste ich.
9 [14]
Noch war euch der Geist keine Sorge und Herzeleid: noch ist euer Brod des Lebens nicht vom Gedanken durchsäuert.
Als Jäger zog Zarathustra aus, häßliche Wahrheiten zu jagen.
Der Zeiger rückte und die Uhr meines L<ebens> holte Athem: dann sprach sie: nun kam die Stunde, Erlösung zu predigen von Erlösern.
9 [15]
Wie ich alles Menschliche zu verstehen suchte, auch die Erbärmlichen und Mittelmäßigen einst
Hier und da wird auch der Erbärmliche redlich: da soll man auf seine Stimme hören und in seinen Sumpf steigen.
Und auch ich setzte mich einst ins Schilfrohr und hörte den Frosch der Erbärmlichkeit seine Bekenntnisse machen.
Von besserem Stoffe wollt ihr sein? Ich sage euch, ihr versteht euch nur besser zu belügen.
Er kam zu uns, er lebte unter uns – wir selber waren seine Unterwelt.
Glaube es mir, Z<arathustra> starb und ist nicht mehr. Ein Stern erlosch in oedem Raum: aber sein Licht – – –
9 [16]
Zerbrecht mir diese göttlichen grinsenden Larven! war ich der Narr eines göttlichen Grinsens und vergaß <ich> die Eingeweide mit denen die Larven gestopft waren?
Zerreißt mir die Häute, auf denen die Seele eines Gottes zu spielen schien!
Schlangen-Eingeweide und -Unflath vergeht aus dem versteckten Leib der Eidechse: der gethürmte geringelte übelriechende
In eines Gottes Larve verkroch sich ein greulicher Ringelwurm.
heilige Gelächter
9 [17]
Ihr seht nur meine Funken: aber ihr seht den Ambos nicht, der ich bin.
Und lieber will ich auf Ochsenhäuten schlafen als auf dem Bett eurer Bequemlichkeit und Liebe, – – –
Werkzeuge und Uhren seid ihr mir: so will ich euch mit meinem Spotte aufziehen, und ihr sollt mir dabei schnurren.
Nicht mit schlangenhaarigem Schrecken will ich euch in Steine verwandeln: durch mein Schild „Schönheit" schütze ich mich vor euch. Am Bild des Schönsten sollt ihr mir stumm werden.
Mit dem Drachen der Zukunft kämpfe ich: und ihr Kleinen, ihr sollt mit Regenwürmern kämpfen.
9 [18]
Ihr seid geschickt und habt kluge Finger: aber ihr versteht es nicht, eine Faust zu machen!
Erst wenn sich eure klugen Finger in die Faust verkriechen, will ich an eure Kraft glauben.
Golden blitzt sein Auge: ein goldener Kahn schwimmt darin auf dunklen Gewässern:
In seinen Augen senkt und hebt <er> sich wieder beim Tanzen und ihr, die ihn tragen – – –
Dürres Gras und Steppe seid ihr mir: aber ich will laufende Feuer aus euch machen und Verkünder mit Flammenzungen.
Als dieser Mond aufgieng, meinte ich, daß er eine Sonne gebären wolle: so breit und trächtig lag er am Horizonte.
Aber ein Lügner ist er mir, dieser Unfruchtbare, mit seiner Schwangerschaft und weder ein Weib ist er, noch Mann.
9 [19]
ein fremder Hahn, nach dem die Hennen beißen
wie ein Mond gieng er auf, aber faul blieb er liegen am Horizonte.
Wer sich aufs Pferd versteht, versteht sich auch auf den Sattel.
9 [20]
That ich euch am wehsten, als ich mir am liebsten that?
Ich that Buße für meine Ungerechtigkeit: ungerechter noch war mein Verehren als mein Verachten.
Ich that Buße mit Nachtwachen für 1000 Lügen des Verehrenden und den Willen seines Auges zur Blindheit.
Mit 1000 Bosheiten nahm ich Rache an aller Verschönerei und Schwarmgeisterei.
Weit verhaßter seid ihr unbewußte Lügner mir als mir die wissenden Lügner sind.
Weil ihr über das, was ist, lügt, darum entsteht euch nicht der Durst nach dem, was werden soll.
9 [21]
sie erstickten an ihrem Nichts: ich gab ihnen ihr Nichts zu fressen.
Sie verdarben an ihrem eigenen Anblick: ich hielt ihrer Häßlichkeit meinen Spiegel vor
Als sie an ihrem Nichts untergiengen und ihr Bild nicht ertrugen, hatten sie ihren höchsten Augenblick.
Und um euch zu vergiften bedürfte ich gläserner Handschuhe
9 [22]
La vie est une tragédie pour ceux qui sentent, et une comédie pour ceux, qui pensent. Horace Walpole.
9 [23]
Ihr wollt nichts davon hören, daß Einer über euren Köpfen wandelt. Und so legt ihr Holz und Erde und Unrath über eure Köpfe: so dämpft ihr die Rede meiner Schritte. Aller Menschen Fehl und Dumpfheit legt ihr zwischen mich und euch: Fehlboden heißt ihr das in euren Häusern. Aber trotzdem wandle ich über euren Gedanken, und sie sollen selber auf meinen Fehlern wandeln.
Ihr beschämt euch durch breite Treppen für göttlich Steigende: und so wie über euch sich hier die Bogen brechen und wider einander spielen – – –
Ihr legtet eure Sehnsucht dem fernen Monde in den Mund: auch über die Worte sehntet ihr euch hinweg und hinauf!
Jene nannten Gott, was ihnen widersprach: ihre Heldenart, den Menschen in sich also zu brechen: aber die Zeit ist um, daß der Mensch sich selber ans Kreuz schlug.
Alle die welche Schaffen, suchen nach neuen Sprachen: müde wurden sie einer abgelaufenen dünnen Zunge: zu lange schon wandelte der Geist auf diesen Sohlen.
Wenn Schönheit nicht zu eurer Nothdurft gehört, was ist mir eure Sucht zum Schönen!
Nicht die Sattheit, sondern die Schönheit soll das Ende des Verlangens sein
So wie ihr seid, seid ihr nur als Ruinen erträglich: und das was euch zu Grunde richtet, Blitz und Tropfenfall und Unkraut: euer Unglück und Ungemach Rechtfertigt euer Dasein,.
Mit Bergen sollt ihr bauen lernen: es ist noch wenig, Berge bloß zu versetzen.
Eure Sprüche „kleine Wahrheiten" in der Nähe des Sumpfes: und irgend ein kalter Frosch sitzt darin.
9 [24]
Mag immerhin mein Adler eine Gefahr für kleine weiße Schafe sein und Raubvogel heißen!
Kennt ihr den Schrecken des Einschlafenden? Bis in die Zehn hinein erschrickt er, darob, daß der Traum beginnt – und oft wacht er vom Schrecken auf.
Dem soll eure Tugend dienen und frommen, um dessentwillen ihr euch am meisten verachtet. Dies allein soll der Dienst und Nutzen eurer Tugend sein!
Was sind mir eure Vater- und Mutterländer? Ich liebe allein meiner Kinder Land, an ihnen will ich gut machen daß ich meiner Väter Kind bin.
Einen Fisch wollte ich fangen und warf ein Netz ins Meer – aber ich zog einen Götter-Kopf herauf: einen Stein gab das Meer mir dem Hungrigen.
eine göttliche Mummerei ist die Natur.
Asche und Gluth weht mich an
laufende Feuer
trocknes Gras
Geknister
9 [25]
Vieles muß zu einer moralischen Handlung zusammenkommen
1) eine starke Spontaneität
2) die äußerste Spannung des Ich-willens
es ist die höchste Gattung organischer Funktionen.
9 [26]
Ich verlange auch noch Anmuth von dem Großgesinnten.
9 [27]
das Dionysische als die mir zugänglichste Seite des Alterthums.
9 [28]
Genie und Stümperei
9 [29]
Corsica und Italien.
Demokratie als Verfall des Staats.
Den Juden ihr Geld nehmen und ihnen eine andere Richtung geben.
das Dionysische als Zugang zu den Griechen.
eine ungeheure Masse hoher Empfindungen, zu denen noch die Gedanken fehlen und die Ziele
den Menschen über sich hinaus steigern, gleich den Griechen, nicht unleibliche Phantasmata.
9 [30]
Noch drückt eure Sünden-Fluth die Erde
Ich komme daher wie ein starker Wind: und also rathe ich meinen Verächtern: hütet euch gegen den Wind zu – speien.
Kaum erhob sich das leibliche Ungethüm aus düsterem Schlamme
Bad und Weihung der Erde heiße ich dies Fest
sich selber sein einziger Zeitgenoß!
Ihr wollt die Krankheit entkräften und entkräftet mir dazu den Kranken, ihr Afterärzte und Heilande!
Wenn der, welcher befehlen könnte, überredet und seine königlichen Hände unter dem Mantel birgt: Höflichkeit heiße ich dies.
Meine wilde Weisheit wurde trächtig auf einsamen Bergen: auf rauhem Gestein gebar sie ihr Junges. Nun läuft sie närrisch durch die harte Wüste und sucht für ihr Jüngstes nach sanftem Rasen, meine alte wilde Weisheit.
9 [31]
Ich glaubte der Reichste zu sein: nun verschenkte ich mich selber.
Ich berühre nicht einmal ihre Haut der Seele!
Immer einsamer und verbannter: immer heißer an Liebe und Hinwollen zu den Menschen.
Die 7 Einsamkeiten.
Alle typischen Leiden das Reformators; und seine Tröstungen.
1) Trost: auf das nächste Jahrtausend lege ich meine Hand.
2) Ich lebe wie in anderen Zeiten: meine Höhe giebt mir Verkehr mit Einsamen und Verkannten aller Zeit<en>
3) Ich hasse nicht ich wehre mich mit der Schönheit.
9 [32]
Mit vielen kleinen Pulvern kann man den Muthigen zum Feigling machen: aber auch den Feigling zum Muthigen.
Kosmische Abhängigkeit
Geh still und mit schlafendem Schwerte an diesen Feinden vorüber: wer sie angreift, der besudelt sich.
Dem Büffel gleich nahe dem Meere und näher noch dem Walde lebe ich.
9 [33]
Triebe hat man so lange wie möglich zu leugnen – Grundsatz der moral-physiolog<ischen> Forschung.
Was jetzt macht, daß wir einen Menschen schätzen, hat es immer gemacht. Erst M<enschen> dann erst Handlungen zu Ehren gekommen
9 [34]
Wie ertrüg ich es, wenn ich nicht den Übermenschen mehr liebte als euch?
Wozu gab ich euch den 100fältigen Spiegel?
Ich überwand auch die Liebe zu euch mit der Liebe zum Übermenschen.
Und wie ich euch ertrage, so müßt ihr euch ertragen, aus Liebe zu dem Ü<bermenschen>.
Ihr seid mir der Stein, in dem das erhabenste aller Bildwerke schläft
Und wie mein Hammer nach euch schlägt, so sollt ihr mir selber nach euch schlagen: der Hammerruf soll das schlafende Bild aufwecken.
Menschen, die sich verbergen wollten und sich des reinen Himmels schämten, schufen sich diese süß riechenden Höhlen.
Und erst wenn Gras und rother Mohn auf zerstörten Mauern wuchert, will ich diesen Stätten wieder mein Herz zuwenden.
9 [35]
Grabgesänge am Vulkan
Die Stille der Natur – der Donner.
Goldener Sarg.
9 [36]
§ Erlösung von Erlösern lehrt Zarathustra.
§ großmüthig gegen die Erde? nein, gerecht.
§ „Ich spreche frei: denn ich hätte auch so gehandelt" – historische Bildung, mir gräßlich! es heißt: „ich dulde mich selber – folglich!"
„Du sollst? Ich will"
9 [37]
Jedesmal, daß ich eine scharfe Brille aufsetze, wundere ich mich, wie häßlich die M<enschen> sind und wie man es unter ihnen aushält.
9 [38]
Der Sinn der Causalität wird immer schwächer, nach rückwärts (z. B. Mythen) Folglich müssen die Conceptionen über das Innere besonders wenig vernünftig sein.
Die ältesten Annahmen müssen die dümmsten sein
9 [39]
„Wille" ist ein Begriff, um alle unsere Leidenschaften zu vereinigen.
Leidenschaften sind Gefühle, um gewisse körperliche Zustände, die wir nicht dem Körper zuschreiben, zu bezeichnen.
„Gemeingefühle"
Moralische Gefühle sind Leidenschaften von Werthurtheilen umgewandelt.
Einfluß des Urtheils auf das Gefühl (selbst bei Lust und Schmerz)
Lust und Schmerz sind Werthurtheile
9 [40]
Wie oberflächlich und arm ist alles Innere:
z.B. Zweck (Bild des Kauens und wirkliches Kauen)
z.B. ein Begriff vom Pferd im Vergleich zu einem Pferde,
z.B. das Gefühl der Wärme im Vergleich zu dem, was geschieht
z.B. das Ich im Vergleich zum „Selbst"
z. B. Sehen im Vergleich zur Mechanik des Sehens,
z. B. Gefühl des Herzschlags im Vergleich zu seiner Mechanik
9 [41]
Es giebt nur leibliche Zustände: die geistigen sind Folgen und Symbolik.
Äußere und innere Welt zu trennen wie die Metaphysiker thun, ist schon ein Sinnen-Urtheil.
Auge Ohr sind auch „äußere Welt".
Gefühle sind uns gegeben und die äußere Welt: und selbst die Gefühle lokalisirt in dieser.
Alle Sinnes-Eindrücke nenne ich „Reize".
„Schein" hat nur Sinn für das Auge.
„Die Metaphysik der Metaphysik" zeigen!
Das Sein der Dinge wird erschlossen: folglich müssen wir schon eine Meinung haben was Sein ist. Die kann ein Irrthum sein! z.B. Ich.
9 [42]
Das Alberne der Moral in ihrer Werthabschätzung nach der Schwierigkeit.
Die „innere Welt" ist viel dünner und kürzer als die mechanische. Überschätzung!
Die unegoistische Handlung eine Selbsttäuschung und Kurzsichtigkeit. „Abkürzung"
Reinigung der inneren Welt.
Es muß irgendwann religiöse ästhetische und moralische Auffassung eins gewesen sein.
Bezeichnung und Werthschätzung unserer leiblichen Zustände – wie?
9 [43]
Ich mußte die Moral aufheben, um meinen moralischen Willen durchzusetzen.
Gesetzt, es gilt die Moral, so darf ich nicht den Nächsten durch mein Richterthum vergewaltigen. Dann auch nicht terrorisiren (abschrecken)
Ja, er ist unschuldig
Ringen um die Macht! Mein Ideal durchsetzen, auf die Weise, die aus meinem Ideal folgt!
Die Handlungen eines Menschen sind schlechterdings nicht aus seinen Motiven zu erklären.
Die Individuen wirken fort in den Antrieben.
Der höhere Geist an einem schwächlichen nervösen Charakter gebunden – ist zu beseitigen.
Die Verachtung des Machtgewinns und -Einflusses ist wider das Princip des Organischen.
9 [44]
1. Leidenschaften = Tugenden und Laster.
2. Die Wertmaaße (das wissenschaftliche Werthmaß fehlte bisher)
Heerde und Einzelne.
Furcht oder Hoffnung treten zu einem Schmerz- oder Lustgefühl hinzu – so bei allen Leidenschaften.
Zorn (und alle Affekte) zuerst ein Zustand des Körpers: der interpretirt wird. Später erzeugt die Interpret<ation> frei den Zustand.
9 [45]
nicht nöthig und nicht einmal überflüssig
sie nehmen den Mund voll; man soll meinen, das Herz geht ihnen über.
Ein Stern gieng unter und verschwand – aber sein Licht ist noch unterwegs, und wann wird es aufhören, unterwegs zu sein?
Bist du ein Stern? So mußt du auch wandern und heimatlos sein.
§ die Gottes-Mord-Büßer und ihr Fest
Euch muß erst der Hunger nach eurer Erkenntniß gelehrt werden.
In der Zehe trägt der Tänzer sein Ohr.
Sich widerstreben ist auch süß und das Haar buschlicher Gefühle zurückzukämmen.
§ den M<enschen> das Gefühl „Strafe" und „Schuld" verleiden
9 [46]
Man muß alles Organische überwinden. Wenig und oft!
Wie wollte ich leben, wenn ich nicht voraus schaute – über euch hinweg!
Fürchtet den Zurückgezogenen! Zum Springen bereitet sich der Tiger!
Verehren ist selber eine Leidenschaft: ebenso wie das Beschimpfen. Durch Verehren wurden die „Leidenschaften" zu Tugenden.
Ein unbedingtes „Soll" kann ich mir nur selten zurufen: also keine Autorität! Der „moralische Sinn" Kants ist nichts! Das ist die Eitelkeit welche will, daß ein „Soll" Aller Welt „Soll" ist!
9 [47]
Körperschaften – abseits vom Staate.
Unsere Gedanken kommen als Reize irgend woher. (Nichts mit „angenehm" und „unangenehm" zu thun.)
An den Schwachen taxire ich das Gute und das Schlimme gleich.
Der Stärkere als der Edlere.
Für die Einzelerziehung.
Die Arbeiter sollen einmal leben wie jetzt die Bürger: aber über ihnen die höhere Kaste, sich auszeichnend durch Bedürfnißlosigkeit! also ärmer und einfacher, doch im Besitz der Macht.
Recht, seinen eigenen ganz individuellen Straf-Ansatz zu machen.
Willst du dein Eigenstes das individuum nicht vertreten, sondern widersprichst du ihm, so gehört der Widerspruch in die individuelle „Verantwortlichkeit" –
9 [48]
Die einflußreichsten Menschen sind die verborgensten.
Cultur ist nur ein dünnes Apfelhäutchen über einem glühenden Chaos.
Die Menschen nicht gleich: so spricht die Gerechtigkeit.
Nicht das Nützliche, sondern das Schwere bestimmt den Werth: der Edle ist das Resultat vieler Arbeit.
Individuum est aliquid novum: man hat keine Handlung mit jemandem gemeinsam.
Wille ein Wahn.
Die Wahrheit thut weh, weil sie einen Glauben zerstört: nicht an sich.
Erfinder neuer Zustände der Seele sind die eigentlichen Erfinder: man sucht diese Zustände nachzuahmen
Dühring: niemand wünscht sich eine solche geifervolle Seele. Deshalb zieht seine Philosophie nicht an.
Machtgefühl. – Glück ist nicht das Ziel: sondern eine ungeheure Kraft im Menschen und in der Menschheit will sich ausgeben, will schaffen, es ist eine fortwährende Kette von Explosionen, die keineswegs das Glück zum Ziel haben.
Wollt ihr denn bezahlt sein?
„wie ein süßer Geruch" – aber sie mußte sterben.
9 [49]
Reinigung von der Rache ist meine Moral. §
„Wann loderte je solche Flamme? (wie Zarathustra)
Ich hasse den, der vor uns her humpelt.
Wer vorwärts geht und den Kopf rücklings dreht –
Das Meer, das seinen Pfauenschweif sich zur Lust auf dem weichen Sande aufrollt.
9 [50]
§ der Proletarier („Dühring")
§ Rausch. Seine gemeine Form im Bußkrampf. Warnen vor Dionysus!
9 [51]
Wir finden bei den verschiedenen Menschen dieselbe Zahl von Leidenschaften: diese aber verschieden genannt, geschätzt und dadurch verschieden gerichtet. Gut und Böse unterscheiden sich durch die verschiedene Rangordnung der Leidenschaften unter einander und die Herrschaft der Ziele.
9 [52]
Ihr meint, Alles sei das wilde Spiel von Riesen? Aber ein Wort, das auf Taubenflügeln kommt, leitet den Willen dieser Wilden: Die stille Quelle
9 [53]
Nacht ist es – nun reden
lauter alle springenden Brunnen
– und auch du, meine Seele
bist ein springender Brunnen.
Nacht ist es – nun erst erwachen
alle Lieder der Liebenden.
Und auch du, meine Seele, bist
das Lied eines Liebenden.
9 [54]
Weihrauch einer Verbrennung.
9 [55]
Das allerbeste Wissen reicht kaum aus zum Glauben.
9 [56]
– der Traum
– der Proletarier
– Rausch. Seine gemeinste Form der Gewissenskrampf
– Erlösung von Erlösern
– „ich spreche frei: denn ich hätte auch so gehandelt."
– großmüthig gegen die Erde? nein, gerecht!
– Wollt ihr bezahlt sein?
– Vernichtung und Auferstehung der Moral.
9 [57]
Daniel Darc, bréviaire du Parisien (Ollendorf éditeur)
Brehm
Moldenhauer
9 [58]
Sammlung erhabener Zustände und Gegenstände.
9 [59]
Nr 343 V<ermischte> M<einungen> und Sp<rüche>
[Dokument: Heft]
[Juni - Juli 1883]
10 [1]
in dem ich emporstrebte gegen meine Last, verjüngte ich mich: und gerade als ich härter in mir wurde, lernte ich noch die Anmuth.
erfinderisch in den kleinen Schlauheiten und lüstern nach Käufern warteten sie: mit abgemagerten Seelen und arm an Hoffnungen.
10 [2]
Wild warf sich mein Strom in Irrnisse und unwegsame Schluchten: aber wie sollte es zugehen, daß ein Strom nicht zum Meere käme?
Einen See fand ich, einen Einsiedler und Selbstgenügsamen: aber mein Strom warf sich in diesen See (und) riß ihn mit sich zum Meere.
10 [3]
wie Cäsar. unbeweglich.
Ihr kennt mich nicht
Ich gab euch die schwerste Last – daß die Schwächlinge daran zu Grunde gehen – zur Züchtung.
Nicht Mitleiden!
Ich will mich und euch formen und verwandeln
wie ertrüge ich's sonst!
als mein Ich euch träumte
10 [4]
Wehe dem Menschen und Übermenschen, der nicht eine Höhe hat, welche auch noch über dem Mitleiden ist!
Die kleinste Kluft steht zwischen mir und dir: aber wer schlug je Brücken über die kleinsten Klüfte!
Gespräch mit dem Höllenhund. (Vulkan)
Auf Asche schreite ich empor den Aschenberg gen Abend: lang und länger wird mein Schatten.
Im veilchenblauen Meer liegt fern ein Kahn: der Schiffer kreuzt sich, der mich schreiten sieht
Jetzt fährt zur Hölle Zarathustra – sagt er schaudernd: lange schon rieth ich auf dies Ende!
Du irrst, Fischer, ganz und gar! Der Teufel holt mich nicht: doch Zarathustra holt sich jetzt den Teufel.
10 [5]
deine Knie beten an, aber das Herz weiß nichts davon.
Erlösung zu bringen
Dort ist die Gräberinsel, dort sind auch die Gräber meiner Jugend: dahin will ich einen immergrünen Kranz des Lebens tragen.
Meiner Jugend gedachte ich heute ich gieng meine Gräberstraße auf Trümmern saß ich zwischen rothem Mohn und Gras – auf meinen eigenen Trümmern.
zur Insel der Abgeschiedenen fahrend auf schlafendem Meere
Noch lebst du, altes geduldiges Eisenherz: und in dir lebt auch noch das Unerlöste, Ungeredete meiner Jugend.
10 [6]
Jesus – wie ein süßer Geruch.
Die Erhaltung des Geschlechts ist garantirt aber was liegt daran!
Erlöser
Philosophen.
Erkennende.
Wissenschaftler.
Genius
Freigeister.
Romantiker.
Künstler.
Eroberer „starker Wille" verhöhnt
Staatsmänner
Heilige:
Treue
Wahrhaftigkeit
Mitleid.
Gerechtigkeit.
Tapferkeit
Gehorsam.
Und wenn du kein Vogel bist, so hüte dich, dich über einem Abgrunde zu lagern.
Ich kann nicht mehr abwärts zu euch: mein Auge selber schwindelt und blindet, den Weg zu sehen, den ich aufwärts ging.
10 [7]
Schwarz und schwärzend ist die Kunst der Tarantel: Taranteln aber heiße ich die Lehrer der „schlimmsten Welt"
10 [8]
Dem Leben hatte ich abgesagt: zum Nacht- und Grabwächter war ich worden auf der Bergburg des Todes.
Da droben hütete ich seine Särge in dumpfen Gewölben: voll standen sie von solchen Siegeszeichen: aus gläsernen Särgen blickte mich das überwundene Leben an.
Ich selber bin der Wind der die Thore aus einander bricht zu Todtenkammern. Ich selber bin der Sarg voller bunter Bosheiten und Engel<s>fratzen, ich selber bin das Gelächter des Lebens in mitternächtlicher Todtenkammer.
10 [9]
dieser jauchzt darob, daß Rache noch in der Gerechtigkeit geübt ist: und jener daß in der Rache noch Gerechtigkeit geübt werde. (Dühring und der Corse)
Wenn es Götter gäbe: wie hielte ich es aus, kein Gott zu sein! Aber es giebt keine Götter.
10 [10]
So geschah mir einst: ich träumte meinen schwersten Traum, und ich dichtete träumend mein düsterstes Räthsel.
Aber siehe, mein Leben selber deutete diesen Traum. Siehe, mein Heute erlöste mein Sonst und den in ihm gefangenen Sinn.
Und so geschah's zuletzt auch: dreimal scholl Donner durch die Nacht zu mir, es heulten drei Mal die Gewölbe.
Alpa, rief ich, Alpa, Alpa. W<er> t<rägt> <seine> A<sche> z<u> B<erge>? Welch überwundenes Leben kommt zu mir, dem Nacht- und Gräber<Hüter?>
Als ich euch träumte, tr<äumte> ich meinen schwersten Traum.
Also will ich euer Schrecken sein – eure Ohnmacht und euer Wachwerden.
10 [11]
Preis der Kühlen Vernunft
der Schaffende preist Armut des Geistes und Skepsis
süßer Geruch
Hochsommer
Der Muth zum Fordern des Außerord<entlichen> ist seltener als der Muth, es zu leisten.
Stärke und Länge des Entschlusses und Genügsamkeit (Einsicht in die irdische Unvollk<ommenheit>
10 [12]
Süß und matt wie der Geruch alter Mädchen ihr Gelehrten.
Ihr Erlöser, was versteht ihr denn vom Menschen!
Und warum wollt ihr nicht euch – zu mir ködern?
Aber keine Stimme antwortete.
Ach, ihr wißt nicht wie ich Einsamer den Stimmen gut bin. Trunken bin ich worden noch über häßliche Stimmen.
Alpa! schrie ich, so rede doch Stimme. Alpa! schrie meine Furcht und Sehnsucht aus mir.
<Eine Stimme> Die von Menschen her ein Wind oder ein Vogel d<avon> zu mir trug.
10 [13]
Wie leicht nimmt man die Last einer Entschuldig<ung> auf sich, so lange man nichts zu verantworten hat.
Aber ich bin verantwortlich.
10 [14]
Ihr Mitleidigen, wenn ihr euch aus der Höhe zu den Menschen herabwerft, was darf euch an gebrochenen Gliedmaßen gelegen sein!
10 [15]
Aber es schwieg, furchtbar und doppelt schwieg es. Ach, ihr kennt sie nicht, die doppelte Stille, die Herzverschnürende!
Alpa! schrie ich. Alpa! Alpa! Die Furcht vor der doppelten Stille schrie aus mir.
10 [16]
Gebückt im dumpfen dunklen Schachte arbeiten, das ist den Gefangenen das härteste Loos.
10 [17]
Wohin er gieng? Wer weiß es?
Aber gewiß ist's daß er untergieng.
Ein Stern erlosch im oeden Raum.
Das Unvergängliche – das ist nur ein Gleichniß, und die Dichter lügen zu viel.
Sie wissen auch zu wenig und sind schlechte Lerner: so müssen sie schon lügen.
Und am liebsten ist ihnen das Reich der Wolken: da setzen sie ihre bunten Bälge darauf und heißen sie Götter,
Und wenn sie in einem Garten liegen unter Bäumen oder an einem Felsenhang vor den Blumen einsam reden, so meinen sie ihre zärtl<iche> Empf<indung> sei Erkenntniß.
Sie glauben alle daß die Natur in sie verliebt sei und horche immer herum auf ihre Schmeichelreden.
10 [18]
Wagt doch euch selber zu glauben! Wie soll man euch sonst glauben! Wer sich selber nicht gl<aubt> lügt immer!
Wollen befreit! – so lehre ich euch F<reihet> d<es> W<illen>s
10 [19]
Dies Lachen zerbrach mich, und zerriß mir die Eingeweide, und schlitzte mir das Herz auf.
Starker Wille? Einen langen Willen brauche ich, ein herzenshartes ewiges Entschlossensein.
10 [20]
Alles Schaffen ist Umschaffen – und wo Schaffende Hände wirken, da ist viel Sterben und Untergehen.
Und nur das ist Sterben und in Stücke gehen: ohne Erbarmen schlägt der Bildner auf den Marmor.
Daß er das schlafende Bild aus dem Stein erlöse, darum muß er ohne Erbarmen sein: – darum müssen wir Alle leiden und sterben und Staub werden.
Aber wir selbst sind die Bildner auch in dem Dienst seines Auges: oft erzittern wir selber vor der Schaffenden Wildheit unserer Hände.
10 [21]
Wer von euch Dichtern hat nicht seinen Wein verfälscht? Manch giftiger Mischmasch birgt sich in euren Kellern.
Wollt ihr den Regenbogen sehen und die Brücke des Übermenschen? Eben jetzt ist es Zeit.
Noch rauscht die Wetterwolke, aber schon scheint die Sonne wieder.
10 [22]
Prophezeiung.
Einst werde ich meinen Sommer haben: und es wird ein Sommer sein, wie in hohen Bergen.
Ein Sommer, nahe dem Schnee, nahe dem Adler, nahe dem Tode.
10 [23]
Das ist dein Unverzeihlichstes: du hast die Macht und willst nicht herrschen.
Siehst du denn nicht, wessen sie alle am meisten bedürfen. Das ist der, welcher befehlen kann.
Wille – – –
10 [24]
Ihr seid hungrigen Geistes: so nehmt mir diese Wahrheit flugs zum Imbiß: das Unvergängliche – das ist nur ein Gleichniß.
10 [25]
der Übermensch völlig über die bisherige Tugend hinaus, hart aus Mitleid, – der Schaffende, der ohne Schonung seinen Marmor schlägt.
Zur letzten Rede Zarathustra's.
10 [26]
Das große Spiel zu spielen – die Existenz der Menschheit dransetzen, um viell<eicht> Etwas Höheres zu erreichen als die Erhaltung der Gattung.
Z<ur> l<etzten> Red<e>
10 [27]
ich erreiche euch spät – wie die griechischen Künstler erst jetzt.
Aesch<ylus>
10 [28]
Gespräch mit dem Feuer-Hund
Hohn über sein Pathos
gegen die Revolution
10 [29]
Hohn über Revolutionen und Vesuve. Etwas von der Oberfläche
10 [30]
Euch treibt noch kein starker Wind und Wille
Zu steif seid ihr mir noch und zu gerade im Rücken
Ach, daß ihr erst gebläht und rund wie ein Segel über die See gienget, zitternd im Ungestüm eures Willens!
Dann sollt ihr mir schön heißen und recht gerüstet!
10 [31]
Nun ist die Zeit erhitzt, Brand ist ihre Luft – nun gehen alle nackend, Gute und Böse! ein Fest des Erkennenden ist diese Welt ohne Kleider.
Staaten zerbersten
Erdbeben
alles wird sichtbar
Taine
Was macht die Erde beben: die stillen Worte der Heiligen
Sturm-Bosheit.
Jauchzen, daß alles sichtbar wird und birst.
Es wird mir so wohl!
Ende aller Sitten und Heimlichkeiten.
Götterdämmer –
Es giebt nichts Ewiges!
10 [32]
Kalt strömt tiefe Erkenntniß, eiskalt sind ihre tiefsten Brunnen: so ist es Labsal heißen Händen und Handelnden.
10 [33]
Ich liebe das Brausen des schlechten Rufes, wie das Schiff die von ihm aufgeregte Welle. Ich gehe leichter, wenn um mein Kiel der Weg – – –
10 [34]
Aber wie ich von euch aufwachte und zu mir kam, also sollt auch ihr von euch aufwachen – und zu mir kommen!
Erlöser? Binder und Bändiger nenne ich euch!
mit bescheidener Hand dem Quell zu nahen
10 [35]
Wahrlich, ich sage euch: nur wo Gräber sind, da waren auch immer Auferstehungen!
Rede dein Wort und zerbrich an ihm. Was liegt an dir!
10 [36]
Allen Reinlichen bin ich hold:
euch, den Mittlern und Mischern, euch Halb- und Halben sage ich das: ihr seid nicht reinlich
wie könnt' ich euch Versöhnern hold sein!
10 [37]
Noch gab es keine Übermenschen. Nackt sah ich Beide, den größten und den kleinsten Menschen: und Beide fand ich noch – allzumenschlich!
10 [38]
Ihr spielt, und ihr wollt, daß man eurem Spiele zuschaut – euch Alle heiße ich Schauspieler.
Ob ihr euch Dichter oder Tänzer oder Diener des öffentlichen Nutzens und des Volkes Stimme nennt –
Ob ihr lehrt oder malt oder tönt oder „Schwarz auf Weiß" spielt: – einen Namen wollt ihr euch machen.
Mutter Eitelkeit
Der Gegensatz solcher, die ihren Namen auswischen und ihren Kopf verstecken möchten – daß ihre Aufgabe sie nicht sehe und an ihnen vorüberlaufe.
10 [39]
und nur wenn ich mir zur Last bin, fallt ihr mir schwer.
10 [40]
1 Gelächter über sittliche Weltordnung. „bezahlt"
2 Tanzlied
3 Traum.
4 Feuerhund
5 Mittler.
6 Preis der kühlen Vernunft
7 Büßer des Geistes.
8 Viele Gesellschaften (an die Eroberer Gründer)
9 Dichter Genies Schauspieler
10 Gelehrte
11 unter Stücken wandeln!
12 Philosophen
13 Gleichheits-Socialisten
14 Freisprecher
15 Pessimisten
10 [41]
Von den Krämern
den Neugierigen
Genügsamen (Mystikern)
von der Eitelkeit der Reinlichen
Von den Götzen-Bildnern.
Von den Schwarzkünstlern
Freisprechern.
Versöhnern. Mittlern
Es gab noch keine Übermenschen.
10 [42]
Lust des Windes Mistral
der Pflugschaar
der Höhe des Lebens des Jahreszeitenwechsels (Ring) Organisch
des Stroms
der Morgenröthe
des reinen Himmels Elektrizität.
Lust als Mutter der Schmerzen.
10 [43]
Hauptlehre: die Natur ist wie der Mensch: irrt usw. Vermenschlichung der Natur.
10 [44]
Also, schließe ich, ist der Glaube an die Zeit, gut für die Gesundheit. (Pessimisten zuletzt)
Drei Einsamkeiten giebt es: die des Schaffenden, des Wartenden und die der Scham.
Ich weiß das Wort und Zeichen des Übermenschen: aber ich zeige es nicht, ich zeige es mir selber nicht.
Was thatet ihr? („Fest des Lebens") „So ist es aus dem Geiste Zarathustra's"
Die Lehre zuerst vom Gesindel gut geheißen, zuletzt von den höchsten Menschen.
Wir wollen wie Z<arathustra> leben, in Scham vor einer großen Wahrheit.
10 [45]
I Act. Die Versuchungen. Er hält sich nicht für reif. (Ausgewähltes Volk)
Einsamkeit aus Scham vor sich
II Act. Zarathustra incognito dem „großen Mittage" beiwohnend
Wird erkannt
III. Act. Katastrophe: alle fallen ab nach seiner Rede. Er stirbt vor Schmerz.
IV Act. Leichenfeier „Wir tödteten ihn"
überredet die Gründe
10 [46]
Zu 1). Er weigert sich. Endlich durch die Kinderchöre in Thränen.
Ein Narr!
2 Könige führen den Esel.
Zu 2) Als der Zug nicht weiß, wohin sich wenden, kommen die Gesandten aus der Peststadt. Entscheidung. Wie im Wald. Feuer auf dem Markte symbol<ische> Reinigung.
Vernichtung der Großstadt das Ende
ich will die Frommen verführen.
10[47]
Zarathustra auf den Ruinen einer Kirche sitzend Act 4
der Mildeste muß der Härteste werden – und daran zu Grunde gehen.
Mild gegen den Menschen, hart um des Übermenschen willen Collision.
anscheinende Schwäche.
er prophezeit ihnen: die Lehre der Wiederkehr ist das Zeichen.
Er vergißt sich und lehrt aus dem Übermenschen heraus die Wiederkehr: der Übermensch hält sie aus und züchtigt damit.
Bei der Rückkehr aus der Vision stirbt er daran
[Dokument: Heft]
[Juni - Juli 1883]
11 [1]
schlafloser Qual blutend
11 [2]
Von den Gelehrten.
Vom Lande der Bildung.
Vom Gesindel.
Die Todtenfeier.
11 [3]
Wer von uns Beiden ist der größere Narr?
Zarathustra antwortete: der von uns, welcher den Anderen dafür hält.
Welches ist die fruchtbarste Mutter der Trauerspiele?
Die verletzte Eitelkeit.
Wer von uns Beiden ist der Glücklichste?
<Der> dem sein Unglück am besten mißrathen ist.
Das ist mein Abgrund und meine Gefahr, daß ich in diese Höhe stürze – und wahrlich nicht in eure Tiefe!
11 [4]
Laßt sehen, ob nicht die Löwin zärtlich brüllen lernt! –
Ach, daß ich's verstünde, euch mit Hirtenflöten zu mir zurück zu locken! Ach, daß die Löwin zärtlich brüllen lernte!
11 [5]
Der Ärger darob, daß die Nothwendigkeit ehern ist und daß uns der rückwirkende Wille versagt ist:
Ingrimm darob, daß die Zeit in die Zukunft abfließt und nicht zur Mühle des Vergangenen sich zwingen läßt!
Daß Etwas leidet, erquickt uns –: das ist unsere älteste Thorheit.
11 [6]
W<agner> wendet sich an die, welche man mit Gründen mißtrauisch macht, aber mit erhabenen Gebärden überzeugt.
11 [7]
Es ist mir niemals völlig ernst mit den Menschen. Ich lache zu !bald wieder über einen Feind, als daß er sehr viel bei mir gutzumachen hätte. Aber ich könnte leicht im Affekt tödten.
11 [8]
Es ist etwas Fundamental-Fehlerhaftes im Menschen – er muß überwunden werden. Versuche!
11 [9]
Dühring. Es ist ihm genug, wenn er ein Paar gereizte und gespreizte Worte hinzugefügt hatte: das hält er für „geistreich"
11 [10]
III Zarathustra kommen vor:
der Büßer des Geistes
Der Gottesmörder.
die Müden
Die Bienenstöcke
11 [11]
Wenn das Haus brennt, vergißt man sogar das Mittagessen – sagte der Feuerhund.
Ja, und holt es nachher auf der Asche nach.
11 [12]
Dies ist wahre Tugend, die nichts um sich selber weiß – so lehrtet ihr mich die Lehre.
seitdem fand ich die wahre Bescheidenheit auf Heiden und Hecken und überall:
überall gleich der Heidelbeere wächst sie, wo sonst nichts Gutes wächst.
11 [13]
a Die Todtenfeier
b Vom Feuerhunde
c die stillste Stunde
11 [14]
Bei jeder Handlung wird viel erreicht, woran wir nicht denken.
11 [15]
Zu stolz und scheu ist noch dein Wille. Willst du gut haben –
Bienenstöcke werden sie bauen wie Thürme von Babel.
11 [16]
Und mag Alles, was an unseren Wahrheiten zerbrechen kann, zerbrechen! Es giebt noch manche Welt zu bauen!
11 [17]
Vom Gesindel
Von den Taranteln
der Wahr<sager>
Die Todtenfeier
11 [18]
Unmuth des Schenkenden
Von Gut und Böse.
Gespräch mit dem Könige
Von großen Ereignissen
Die stillste Stunde
11 [19]
Sieg über den Geist der Schwere
11 [20]
ein Baustil für diese Seele
11[21]
einzelne absonderliche Heilige kommen auch, auch ein Narr.
[Dokument: Heft]
[Sommer 1883]
12 [1]
„Böse Weisheit."
Sprüche und Sprüchwörtliches
von
Friedrich Nietzsche.
Pfeile.
Sprüche und Sprüchwörtliches
von
Friedrich Nietzsche.
1. Öffentliche Meinungen – private Faulheiten.
2. Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen.
3. Viele sind hartnäckig in Bezug auf den einmal eingeschlagenen Weg, Wenige in Bezug auf das Ziel.
4. Erst muß die Schlange zum Drachen geworden sein, damit Einer an ihr zum Helden werden könne.
5. Gar nicht von sich reden ist eine sehr vornehme – Heuchelei.
6. Nicht wenn es gefährlich ist, die Wahrheit zu sagen, findet sie am seltensten Vertreter –, sondern wenn es langweilig ist.
7. Wir sind so gern in der freien Natur, weil diese keine Meinung über uns hat.
8. Die Unvernunft einer Sache ist kein Grund gegen ihr Dasein, vielmehr eine Bedingung desselben.
9. Die eherne Nothwendigkeit, von der die Menschen reden, ist gewöhnlich weder ehern, noch nothwendig.
10. Wenn man viel hineinzustecken hat, hat ein Tag hundert Taschen.
11. Wer schlecht hört, hört immer noch Einiges dazu.
12. Man ist am meisten in Gefahr, überfahren zu werden, wenn man eben einem Wagen ausgewichen ist.
13. Warten macht unmoralisch.
14. Der Jünger eines Märtyrers leidet mehr als der Märtyrer.
15. Der Vortheil des schlechten Gedächtnisses ist, daß man dieselben guten Dinge mehr mal zum ersten Male genießt.
16. Ein Beruf ist das Rückgrat des Lebens.
17. Die Güte einer Ehe bewährt sich dadurch, daß sie einmal eine Ausnahme verträgt.
18. Wenn man keinen guten Vater hat, so soll man sich einen anschaffen.
19. Man empfindet die Langeweile nicht, wenn man niemals ordentlich arbeiten gelernt hat.
20. Einige Männer haben über die Entführung ihrer Frauen geseufzt, viele darüber, daß Niemand sie ihnen entführen wollte.
21. Es ist zu bezweifeln, ob ein Vielgereister irgendwo in der Welt häßlichere Gegenden gefunden hat als im menschlichen Gesichte .
22. Muthige Leute überredet man dadurch zu einer Handlung, daß man dieselbe gefährlicher darstellt als sie ist.
23. Das beste Mittel, verlegenen Leuten zu Hülfe zu kommen, ist, daß man sie entschieden lobt.
24. Man kann höchst passend reden und doch so, daß alle Welt über das Gegentheil schreit: nämlich dann, wenn man nicht zu aller Welt redet.
25. Der Phantast verleugnet die Wahrheit vor sich, der Lügner nur vor Anderen.
26. Jeder Genießende meint, dem Baume habe es an der Frucht gelegen; aber ihm lag am Samen.
27. Wer jemandes Ideal geschaut hat, ist dessen unerbittlicher Richter und gleichsam sein böses Gewissen.
28. Die Anhänger eines großen Mannes pflegen sich zu blenden, um sein Lob besser singen zu können: arme Singvögel!
29. Was ist Genie? Ein hohes Ziel und die Mittel dazu wollen.
30. Das Schlechte gewinnt durch die Nachahmung an Ansehen, das Gute verliert dabei, namentlich in der Kunst.
31. Man muß sein Licht zu verdunkeln verstehen, um die Mücken und Bewunderer loszuwerden.
32. Es ordnet dich tief unter jenen, daß du die Ausnahmen festzustellen suchst, jener aber die Regel.
33. Jeder Meister hat nur Einen Schüler: und der gerade wird ihm untreu. Denn er ist auch zur Meisterschaft bestimmt.
34. Es spricht nicht gegen die Reife eines Geistes, daß er einige Würmer hat.
35. In der Einsamkeit frißt sich der Einsame selbst auf, in der Vielsamkeit fressen ihn die Vielen. Nun wähle.
36. Anders liebt der Gesell, anders der Meister den Meister.
37. Man wird die Menge nicht eher zum Hosiannah-Rufen bringen, als bis man auf einem Esel in die Stadt einreitet.
38. Unsere Anhänger vergeben es uns nie, wenn wir gegen uns selber Partei ergreifen.
39. Das Weib ist der Müssiggang des Schöpfers an jedem siebenten Tage.
40. Man muß sich in Acht nehmen, nicht zu zeitig scharf zu werden, weil man damit zu zeitig – dünn wird.
41. Wen man lange im Vorzimmer seiner Gunst stehn läßt, der geräth in Gährung und wird sauer.
42. Die Eitelkeit ist am Stolzen die Maske der Höflichkeit.
43. Der Witz ist das Epigramm auf den Tod eines Gefühls.
44. Eine gute Sentenz ist zu hart selbst für den Zahn der Zeit.
45. Ein gutes Buch macht auch noch seine Gegner geistreich.
46. In der Kunst können heilige Mittel einen niederträchtigen Zweck heiligen.
47. Wenn dein Werk den Mund aufthut, sollst du selber das Maul halten.
48. Was man euch in Stücken geben muß, braucht deshalb noch nicht Stückwerk zu sein.
49. Gute Gedanken, die zu rasch auf einander folgen, verderben sich einander „die Aussicht".
50. Aufopferung ist bei jeder Handlung, bei der besten wie bei der schlechtesten.
51. Ob man einen Schlangenzahn habe, weiß man nicht eher, als bis jemand die Ferse auf uns gesetzt hat.
52. Findet Jemand in einem geschenkten Sack Vortheil auch nur ein Korn Demüthigung, so macht er doch noch eine böse Miene zum guten Spiel.
53. Man weiß von Jedermann etwas zu Viel.
54. Die Mutter der Ausschweifung ist nicht die Freude, sondern die Freudlosigkeit.
55. Besser noch, sich mit schmutzigem Wasser waschen als unrein bleiben.
56. Alles, was Gold ist, glänzt nicht: es ist zu mild dafür.
57. Man soll die Gerüste wegnehmen, wenn das Haus gebaut ist.
58. Etwas Gesundheit ab und zu ist das beste Heilmittel.
59. Der gefährlichste Anhänger ist der, dessen Abfall die ganze Partei vernichten würde – also der beste Anhänger.
60. Die größte Almosenspenderin ist die Feigheit.
61. Die Menschen drängen sich zum Lichte, nicht um besser zu sehen, sondern um besser zu glänzen.
62. Bevor man „den Menschen sucht", muß man die Laterne gefunden haben.
63. Jedes Wort ist ein Vorurtheil.
64. Für den Freund des gesuchten Stils ist der gefundene Stil eine Ohrenqual.
65. Wenn die Tugend geschlafen hat, wird sie frischer aufstehn.
66. Der Asket macht aus der Tugend eine Noth.
67. Unter den Verbrechern soll man nicht die Schufte suchen, sondern unter denen, die nichts „verbrechen".
68. Die witzigsten Autoren erzeugen ein unmerkliches Lächeln.
69. Die Antithese ist die enge Pforte, durch welche sich am liebsten der Irrthum zur Wahrheit schleicht.
70. Mit einem Talente mehr steht man unsicherer als mit einem weniger.
71. Man vergißt seine Schuld, wenn man sie einem Anderen gebeichtet hat.
72. „Soll das Band nicht reißen – mußt du mal drauf beißen."
73. Je höher wir uns erheben, um so kleiner erschienen wir denen, welche nicht fliegen können.
74. Wie gut klingen schlechte Musik und schlechte Gründe, wenn man auf einen Feind los marschirt!
75. Zur Meisterschaft eines Meisters gehört es, seine Schüler vor sich zu warnen.
76. Warum sieht der Mensch die Dinge nicht? Er steht sich selber im Wege; er verdeckt die Dinge.
77. Wer seinen Gegner tödten will, mag erwägen, ob er ihn nicht gerade dadurch bei sich verewigt.
78. Immer noch hilft gegen die Liebe in den meisten Fällen jenes alte Radikalmittel: die Gegenliebe.
79. Manche Menschen haben das beste Recht, so und so zu handeln. Aber wenn sie sich darob vertheidigen, glaubt man's nicht mehr.
80. Von allen Trostmitteln thut Trostbedürftigen nichts so wohl als die Behauptung, für ihren Fall gebe es keinen Trost.
81. Lebhafte Naturen lügen nur einen Augenblick: nachher haben sie sich selber belogen und sind überzeugt und rechtschaffen.
82. Sich mitten unter die Feinde werfen kann das Merkmal der Furcht und Feigheit sein.
83. Der Furchtsame weiß nicht, was Alleinsein ist: hinter seinem Stuhle steht immer ein Feind.
84. Wir wollen nicht mehr die Ursachen zu Sündern und die Folgen zu Henkern machen.
85. Man soll die Bettler abschaffen; denn man ärgert sich, ihnen zu geben, und ärgert sich, ihnen nicht zu geben.
86. Gelehrte: so nennt man heute sowohl die Soldaten des Geistes als – leider – auch die Strumpfwirker des Geistes.
87. Das Herz ist es, das begeistert: und der Geist ist es, der beherzt und kalt in der Gefahr macht. Oh die Sprache!
88. Man lügt mit der Zunge, aber mit dem Munde und Maule sagt man trotzdem die Wahrheit.
89. Der Mensch ist das Thier mit rothen Backen: der Mensch ist das Thier, welches sich oft hat schämen müssen.
90. Viel von sich reden ist auch ein Mittel sich zu verbergen.
91. Ihr glaubt, wie ihr sagt, an die Nothwendigkeit der Religion? Seid ehrlich! Ihr glaubt nur an die Nothwendigkeit der Polizei.
92. Die Frauen sind sinnlicher als die Männer, aber sie wissen weniger um ihre Sinnlichkeit.
93. Moral ist eine Wichtigthuerei des Menschen vor der Natur.
94. Wir loben, was nach unserem Geschmack ist: d. h., wir loben, wenn wir loben, unseren Geschmack: geht das nicht wider allen guten Geschmack?
95. Es giebt gar keine M<enschen>: denn es gab keinen ersten M<enschen> – so schließen die Thiere.
96. Auch Gott hat seine Hölle, sagte der Teufel: das ist seine Liebe zu den Menschen.
97. Wer sein Ideal erreicht, kommt ebendamit über dasselbe – hinaus.
98. Mancher Pfau versteckt vor Aller Augen seinen Pfauenschweif und nennt das – seinen Stolz.
99. Mitunter siegt endlich die Wahrheit, es ist kein Zweifel: irgend ein Irrthum hat für sie gekämpft.
100. Der Erkennende fühlt sich als die Thierwerdung – Gottes.
101. Ich horchte auf Widerhall, und ich hörte nur – Lob.
Mancher wird erst nach seinem Tode groß – durch den Widerhall.
102. Arme Künstler! ihr wolltet sie erbauen, und dies Gesindel will gerade – umgeworfen werden!
103. Der Glaube macht selig, zumal der Glaube an uns.
104. „Unser Nächster ist nicht unser Nachbar, sondern dessen Nachbar" so denken alle Völker.
105. Große Verbindlichkeiten machen nicht dankbar, sondern rachsüchtig.
106. Wer zu weit geht, legt sich zuletzt aus Müdigkeit gar auf Schnee schlafen: gleich dem Skeptiker.
107. Gewissensbisse erziehen zum Beißen.
108. Im Lobe ist viel mehr Zudringlichkeit als im Tadel.
109. Den kalten Menschen glaubt man ihre Dummheiten nicht.
110. Der Erkennende lebt unter Menschen nicht wie unter Thieren, sondern – als unter Thieren.
111. Wir vergeben unseren Gegnern von Grund aus nur – ihre Fehlgriffe.
112. Aus den Augen aller Richtenden blickt der Henker.
113. Die Folgen unserer Handlungen fassen uns am Schopfe, sehr gleichgültig dagegen, daß wir uns inzwischen „gebessert" haben.
114. „Aber wie konntest du so handeln? Es war eine Dummheit!" – „Es ist mir auch schwer genug geworden."
115. Wehe! Du hast sein Ideal geschaut! Nun wirst du an ihm selber fürderhin nur seine Carikatur sehen.
116. Der Mensch würde sich für einen Gott halten, wenn er keinen Unterleib hätte.
117. Mitleiden mit der Menschheit – das wäre Tyrannei gegen jeden Einzelnen.
118. Von sich absehen ist nöthig um gut – zu sehen.
119. „Die Menschen sind nicht gleich!" – So spricht die Gerechtigkeit.
120. Wer das Hohe eines Menschen nicht sieht, sieht dessen Niedriges aus allzugroßer Nähe.
121. Wenn das Talent eines Menschen sich verdunkelt, werden seine moralischen Eigenschaften sichtbarer: und nicht immer sind es Sterne, die dabei sichtbar werden.
122. In der Ermüdung werden wir auch von längst überwundenen Begriffen angefallen.
123. Daß es ein Vergessen giebt, ist noch nie bewiesen worden: sondern nur daß uns Mancherlei nicht einfällt, wenn wir wollen.
124. Der Glaube an Ursache und Wirkung hat seinen Sitz im stärksten der Instinkte, in dem der Rache.
125. Daß uns Jemand bequem fällt, rechnen wir seiner Moralität zu Gute.
126. In dem Bestreben, sich selber nicht zu erkennen, sind auch die gewöhnlichen Geister noch sehr fein.
127. Sehen und doch nicht glauben – ist die erste Tugend des Erkennenden; der Augenschein ist sein größter Versucher.
128. Was ist „Kirche"? – Eine von Grund aus verlogene Art des Staates.
129. Sein Gold ungemünzt bei sich tragen ist unbequem; so thut der Denker, der keine Formeln hat.
130. Wer es redlich mit den Menschen meint, ist geizig selbst noch mit seiner Höflichkeit.
131. „Der Held ist heiter" - das entgieng bisher den Tragödiendichtern.
132. Das utile ist nur ein Mittel; sein Zweck ist immer irgend ein dulce – seid doch ehrlich, meine Herren Dulciarier!
133. Unsre schlimmen Eigenschaften lassen es uns entgelten, wenn sie sich von der Tugend haben überwinden lassen.
134. „Jetzt bin ich gerecht" – „jetzt bin ich gerächt": das klingt gleich und klingt oft nicht nur gleich. –
135. Man hat nie: denn man ist nie. Man gewinnt oder verliert beständig.
136. Besser noch bös gethan als klein gedacht!
137. Die Schweine der Circe beten die Keuschheit an.
138. Man kann im Meere vor Durst verschmachten, und ebenso inmitten allzu gesalzener Wahrheiten.
139. Zum Verdauen gehört, von Gesundheitswegen, eine Art Faulheit. Auch zum Verdauen eines Erlebnisses.
140. Stehlen ist oft seliger als nehmen.
141. In jeder Klage ist Rache.
142. Nicht daß du mich belogst, sondern daß ich dir nicht mehr glaube, hat mich erschüttert.
143. Über Gut und Böse glaubt sich Jedermann „Kenner", und irrt sich.
144. Der Lobende stellt sich meistens als gäbe er zurück: in Wahrheit will er beschenkt werden.
145. Es entkindlicht die Weiber, daß sie sich mit Kindern immer als deren Erzieher abgeben.
146. Man liebt von Grund aus nur sein Kind oder sein Werk.
147. Wer uns nicht fruchtbar macht, wird uns sicher gleichgültig.
148. „Man handelt wohl für seinen Nächsten, aber man schafft nicht für ihn": so denken alle Schaffenden.
149. Der Zorn enthüllt nicht den Menschen, sondern den Zorn.
150. Wer von seiner Zeit angefeindet wird, ist noch nicht weit genug über sie hinaus – oder hinter ihr zurück.
151. „Wo giebt es noch ein Meer, in dem man ertrinken könnte!" – dieser Schrei geht durch unsre Zeit.
152. Es giebt viele Grausame, die nur zu feige zur Grausamkeit sind.
153. Man muß auch seine Jugend überwinden, wenn man wieder Kind werden will.
154. „Nur die Heißen kennen die Entzückungen der Kälte": so sprach ein Freigeist.
155. Nicht gegen das, was uns zuwider ist, sondern gegen das was uns gar nichts angeht, sind wir am unbilligsten.
156. An einer Theorie ist es wahrlich nicht ihr geringster Reiz, daß sie – widerlegbar ist.
157. „Gut und böse sind die Vorurtheile Gottes" – sagte die Schlange.
158. Man soll nur da Götter befragen, wo allein Götter antworten können.
159. Mancher findet sein Herz nicht eher, als bis er – seinen Kopf verliert.
160. Die Dinge: das sind nur die Grenzen des Menschen.
161. Manches wird uns durchsichtig: aber deshalb können wir noch lange nicht – hindurch.
162. Das Befehlen ist schwerer zu erlernen als das Gehorchen.
163. Nicht unsere Handlungen, sondern unsere und Andrer Meinungen über unsere Handlungen – machen aus uns gute oder böse Menschen.
164. Daß die Wahrheit einfach ist, behauptet der Irrthum. error veritate simplicior
165. Ubi pater sum, ibi patria.
166. Man darf eher noch eine Bitte als einen Dank abweisen.
167. Bei uns beschmutzt die Strafe noch mehr als das Verbrechen.
168. An sich ist die Wahrheit keine Macht: wenn sie sich nicht auf die Seite der Macht schlägt, geht sie gewiß zu Grunde.
169. Das zeigt den Meister, daß er sich weder vergreift, noch zögert.
170. Was hat den M<enschen> so verstört? Nicht die Dinge, nicht die Meinungen über die Dinge – sondern die Meinungen über Dinge, die es gar nicht giebt!
171. Das Unvergängliche ist nur ein Gleichniß.
172. Es giebt eine Härte, welche als Stärke verstanden werden möchte .
173. Wenn der Mensch eben sehr geehrt worden ist und gut gegessen hat, ist er am mildthätigsten.
174. Wir beobachten feiner, ob Andere unsere Schwächen wahrnehmen als wir selbst die Schwächen Anderer beobachten.
175. Erst der Träger macht die Tracht.
176. Den Stil verbessern – das heißt den Gedanken verbessern – und gar nichts weiter!
177. Die schwächste Seite an einem klassischen Buche ist, daß es zu sehr in der Muttersprache seines Urhebers geschrieben ist.
178. Wir legen erst dann besonderen Werth auf den Besitz einer Tugend, wenn wir deren Abwesenheit bei unserem Gegner bemerkt haben.
179. Alles kleine Glück soll man benutzen wie ein Kranker das Bett: zur Genesung – und sonst gar nicht.
180. Das Vergnügen an kleinen boshaften Gedanken erspart den Menschen viele große böse Handlungen.
181. Lange und große Schmerzen machen tyrannisch.
182. Wenn man seinen Teufel nicht groß zieht, macht einen die kleine Teufelei – klein.
183. Seinem Freunde soll man eine Ruhestätte sein, aber ein hartes Bett, ein Feldbett.
184. Mißlingt etwas, so soll man seinem Mithelfer die Hülfe doppelt bezahlen.
185. Sei spröde im Annehmen! Zeichne aus damit, daß du annimmst!
186. Wer immer giebt, wird dabei leicht schamlos.
187. Wann sah je ein großer Mensch so dick und brav wie ein guter Mensch aus!
188. „Ich vergebe es dir, was du mir thatest: aber daß du es dir thatest, wie könnte ich das vergeben!" – so sprach ein Liebender.
189. Du sagst „das gefällt mir" und meinst mich damit zu loben. Aber du gefällst mir nicht –!
190. Liebe zu sich selber ist ein Merkmal der Schwangerschaft.
191. Für den sehr Einsamen ist schon Lärm ein Trost.
192. Um den Halbgott herum wird auch noch der Held ein Ding zum Lachen.
193. „Wie viel Jahrzehnte dauert es, bis er zum Leuchten kommt?" Mit dieser Frage mißt man die Ferne und Höhe eines Menschen.
194. Die ungeheure Erwartung in Betreff der Liebe verdirbt den Frauen den Blick für alle anderen – Fernen.
195. „Man ist nur für das eigne Kind Schwanger": so spricht die Selbstsucht aller Schaffenden.
196. Er hat noch die volle Unschuld der Bewunderung: d. h. er dachte noch nicht daran, daß er selber einmal bewundert werden könnte.
197. Manches Dasein hat keinen Sinn, es sei denn den, ein anderes Dasein vergessen zu machen. Und ebenso giebt es opiatische Handlungen.
198. Ein Einsamer sprach: „ich ging wohl zu den Menschen, aber ich langte niemals an!"
199. Wer das Dasein rechtfertigen will, muß auch Gottes Anwalt vor dem Teufel sein können.
200. Wer weder der Liebe, noch der Freundschaft fähig ist, der findet am sichersten seine Rechnung – bei der Ehe.
12 [2]
Oft hängt sich die Dummheit einen schöneren Namen um und nennt sich Nothwendigkeit.
12 [3]
In dem, was ihr Natur heißt, ist viel Thorheit und plumpes Tasten: euer Geist aber gehört wahrlich zu dieser „Natur".
12 [4]
Alles Fühlende leidet und ist in Gefängnissen: aber das Wollende kommt als Befreier und Freudebringer – also lehre ich euch „Freiheit des Willens".
12 [5]
Schon dort, wo eure Redlichkeit aufhört, sieht euer Auge nichts mehr: oh ich kenne euren Willen zur Blindheit!
12 [6]
Willst du alles Gerade krumm dir machen: so denke, die Zeit sei hinweg und die Vergänglichkeit sei eine Lüge.
Dies zu denken ist der schlimmste Wahnsinn: ein Wirbel wird es selbst deinen Gebeinen sein und Erbrechen deinem Magen.
12 [7]
Sie wollen Würfel spielen mit den kleinsten Würfelchen oder tanzen sehn, was schwer zu sehn ist: die Zwerge des Daseins, die lustigen Urkörperchen: aber sie nennen's Wissenschaft und schwitzen dabei.
Aber Kinder sind es mir, die ihr Spiel wollen: und wenn etwas Lachen bei ihrem Spiele wäre, so wollte ich ihre „fröhliche Wissenschaft" gutheißen.
12 [8]
Verknotete straffgezogene Gefühle, die euch nicht mehr als Knoten gelten: und oft Wiederkehrendes, an dessen ewige Wiederkunft ihr glaubt: das ist euer „Wirkliches", euer bester Aberglaube.
Erst als ich an der Wahrheit die Lust erfand, erfand ich auch Trug und Schein: aus solcher Lust her legte ich Nahe und Ferne in die Dinge.
12 [9]
Alle Schätzungen sind geschaffen: jede Schätzung vernichtet. Aber das Schätzen selber, wie könnte dies vernichtet werden! Ist doch das Leben selber – Schätzen!
Schätzen ist Schmecken.
Über den Geschmack sei nicht zu streiten? Oh die Thoren, alles Leben ist Schmecken und Geschmack und Streit um Geschmack und Schmecken!
12 [10]
Ihr wähnt frei zu sein: aber ihr dreht euch nach unseren Drähten. Werthe und Meinungen hausen über und in euch: von uns den Schätzenden seid ihr aufgezogen worden, ihr Uhrwerke!
12 [11]
Und wenn ihr frei werden wollt, so müßt ihr nicht nur die lästigen Ketten von euch werfen: die Stunde muß kommen, wo ihr vor euren Liebsten flieht.
Dein Weib mußt du verlassen können, dein Land, deinen Nutzen, deinen werthesten Glauben: und eine Zeitlang soll die Sonne deines Lebens dir untergehen.
12 [12]
Und wer der Erfinder seiner selber ist, der gilt lange als ein Verlorener.
12 [13]
Der Schlaf ohne Traum – das wäre mir das höchste Böse. Und alles letzte Wissen heiße ich meine höchste Gefahr.
12 [14]
Erkennen: das ist mir Begehren und Durst und Schätzen und Kampf der Werthe. Als ein Schaffen muß aber alles Erkennen auch ein Nicht-Erkennen sein.
Durchschauen, durch das vergängliche Netz und den letzten Schleier – das wäre die große Müdigkeit und aller Schaffenden Ende.
Aber glaubt es mir, meine Freunde: es giebt nichts Unvergängliches: es ist nur ein Gleichniß!
12 [15]
Wunsch sein von Grund aus und als ein Adler nach fernen Küsten schweben: das heiße ich Glück.
12 [16]
Zwei Wege giebt es, vom Leid euch zu erlösen: den schnellen Tod und die lange Liebe.
12[17]
Als ich den Übermenschen geschaffen hatte, ordnete ich um ihn den großen Schleier des Werdens und ließ die Sonne über ihm stehen im Mittage.
12 [18]
Werde hell! Werde heil! Werde nothwendig!
12 [19]
Der Trieb zur Zeugung, zum Zwecke, zur Zukunft, zum Höheren – das ist die Freiheit in allem Wollen. Nur im Schaffen giebt es Freiheit.
12 [20]
Ihr Wissenden, sorgt nur, daß es euch nicht an der Scham gebreche! Denn zum guten Apfel gehört auch der Flaum.
12 [21]
Den Älteren von uns schien es gottlos, in den Eingeweiden der Erde nach Schätzen zu wühlen: nun giebt es neue Unersättliche!
12 [22]
Als du beim Schädlichen Grauen fühltest, da sagtest du: das ist „Böse": aber als du Ekel fühltest, da entstand „das Schlechte".
12 [23]
Tugend als das schließliche Resultat vieler aufgewendeten Arbeit und Bemühung; doch zumeist erst an späteren Individuen hervortretend. „Begabung" ist dasselbe – ein gut eingeübter Mechanismus.
12 [24]
Urtheilen: das ist eine Empfindung bejahen – d. h. eine Empfindung wiedererkennen (was Vergleichen und Gedächtniß voraussetzt).
12 [25]
Die innere Welt aufräumen! Da giebt es noch viele falsche Wesen! Mir genügen Empfindung und Denken. Das „Wollen" als etwas Drittes ist eine Einbildung. Überhaupt alle Triebe, Verlangen, Verabscheuen usw. sind keine „Einheiten", sondern anscheinende „einfache Zustände." Hunger: das ist ein Unlustgefühl und ein Wissen um das Mittel seiner Beendigung. Es kann auch ohne Wissen sich eine Folge von Bewegungen des Organismus ausgebildet haben, welche zweckmäßig zur Beseitigung des Hungers sind: die Anregung dieses Mechanismus wird beim Hunger mitgefühlt.
12 [26]
Das Bild vor einer Handlung ist kein Begriff derselben, sondern ein Ideal – – – –
12 [27]
Wie sich die Organe aus einem Organ mehrfach ausbilden, z. B. aus der Haut das Nervensystem und Gehirn: so muß auch alles Fühlen und Vorstellen und Denken ursprünglich eins gewesen sein: also die Sinnesempfindung eine späte Einzel-Erscheinung. Im Unorganischen muß diese Einheit vorhanden sein: denn das Organische beginnt mit der Trennung bereits. Die Wirkung des Unorganischen auf einander ist zu studiren (sie ist immer eine Wirkung in die Ferne, also ein „Erkennen" ist nothwendig allem Wirken vorher: das Ferne muß percipirt werden. Der Tast- und Muskelsinn muß sein Analogon haben:)
12 [28]
Die Bewegungen des Fußes beim Gehen und Ausgleiten – sind sie wirklich Folgen bewußter zweckmäßiger Setzungen so und so? Aber selbst alle bewußte Übung ist nicht das, was man glaubt. Die meisten Bewegungen im Einüben sind Versuche, und der Intellekt bejaht die gelungenen, er erzeugt sie nicht. Diese Bejahung ist sehr oberflächlich, weil sein Bild des Vorganges sehr vag ist. – Damit erklären sich die unzähligen Feinheiten nicht: die eingeübt, versucht und bejaht sein müßten von einem unendlich feineren Intellekt und von ganz anderen Sinnesorganen gesehen sein müßten als wir sie haben. – Somit erklärt der Intellekt nicht jene Zweckmäßigkeiten; ebensowenig „Übung".
12 [29]
Alle Moral ist eigentlich nur eine Verfeinerung der Maaßregeln, welche alles Organische nimmt, um sich anzupassen und doch zu ernähren und Macht zu gewinnen. Das Verhältniß eines Menschen zu einem anderen ist eines mechanischen Ausdrucks fähig, als einer Veränderung der Bewegungs-Kurve seines Wesens.
Auch die feinsten Bewußtseins-Veränderungen müssen erst mechanisch möglich sein, ehe sie eintreten können. Somit ist auch die Willensäußerung abhängig von der mechanischen Vorbedingung.
12 [30]
Bleiben wir doch stehen beim Willens-Gefühl! Was wird uns als „Wille" bewußt? Da erkennen wir, daß Wille nur eine Hypothese ist. Sie könnte wahr sein – oder auch nicht.
Es giebt nicht mehr „Wille" als was uns davon bewußt wird. D. h. zu gewissen Erscheinungen des Bewußtseins haben wir den Willen hinzugedichtet: wie „Materie" zu anderen.
12[31]
Alles Organische unterscheidet sich vom Anorganischen <dadurch>, daß es Erfahrungen aufsammelt: und niemals sich selber gleich ist, in seinem Prozesse. – Um das Wesen des Organischen zu verstehen, darf man nicht seine kleinste Form für die primitivste halten: vielmehr ist jede kleinste Zelle jetzt Erbe der ganzen organischen Vergangenheit.
12 [32]
Die Menge der Ausgleichungseinrichtungen im Körper
p. 195.
12 [33]
Das Bewußtsein lokalisirt auf der Oberfläche der beiden Hemisphären. – Jede gemachte „Erfahrung" ist eine mechanische und chemische Thatsache, die nicht stillstehen kann, sondern „lebt" nur wissen wir nichts davon!
12 [34]
Wo wir Leben haben, da setzen wir „Geist" voraus: aber der uns bekannte Geist ist völlig unvermögend, irgend etwas zu thun. Wie armselig ist jedes Bewußtseins-Bild! Es wird wohl selber nur Wirkung sein von einer Veränderung, welche nun eine weitere Veränderung (Handlung) nach sich zieht. Jede Handlung, die wir „wollen", ist ja durchaus nur als Schein der Erscheinung, von uns vorgestellt. –
Alles Bewußtsein nur eine Nebenäußerung des Intellekts (?) Das, was uns bewußt wird, kann zu Nichts die Ursache abgeben.
Man vergleiche nur Verdauung und das, was wir davon empfinden!
12 [35]
Wille ist uns nur bekannt als etwas Bewußtes. Jene plötzlichen Explosionen aber werden damit verdunkelt und unklar gemacht wenn man sie mit einer solchen „Innenwelt" versieht.
12 [36]
Cherubini von Gluck und Haydn, Spontini von Gluck, Beethoven, als Dramatiker, von Cherubini abhängig: Gluck von Lully und Rameau. Wagner von Euryanthe (während er Gluck vorgiebt).
12 [37]
Unser Intellekt kann durchaus nicht die Mannichfaltigkeit eines klugen Zusammenspiels fassen, geschweige hervorbringen, das z. B. der Verdauungsprozeß ist. Es ist das Zusammenspiel sehr vieler Intellekte! Überall, wo ich Leben finde, finde ich schon dies Zusammenspielen! Und auch ein Herrscher ist in den vielen Intellekten da. – Sobald wir aber uns die organischen Handlungen als mit Hülfe vieler Intellekte ausgeführt denken: werden sie uns ganz unverständlich. Vielmehr müssen wir den Intellekt selber als eine letzte Consequenz jenes Organischen denken.
12 [38]
Das Wesen der Vererbung ist uns ganz dunkel. Warum wird eine Handlung beim zweiten Male „leichter"? Und „wer" empfindet diese Erleichterung? Und hat diese Empfindung irgend etwas damit zu thun, daß beim zweiten Male die Handlung ebenso gethan wird? Da müßte ja die Empfindung verschiedener möglicher Handlungen vor dem Thun vorgestellt werden!
12 [39]
Das mächtige organische Princip imponirt mir so, gerade in der Leichtigkeit, mit der es unorganische Stoffe sich einverleibt. Ich weiß nicht, wie diese Zweckmäßigkeit einfach durch Steigerung zu erklären ist. Eher würde ich glauben, es gäbe ewig organische Wesen. –
12 [40]
Höre mich eine kleine Weile, oh Zarathustra – sagte eines Tages ein Schüler – es geht mir Etwas im Kopfe herum; oder fast möchte ich glauben, mein Kopf gehe um Etwas herum, also daß er sich im Kreise dreht.
Was ist denn das, unser Nächster? Etwas an uns, Veränderungen an uns, die uns bewußt geworden sind: ein Bild ist unser Nächster.
Aber was sind wir selber? Sind wir selber nicht auch nur Bild? Ein Etwas an uns, Veränderungen an uns, die uns bewußt geworden sind?
Unser Selbst, von dem wir wissen: ist nicht auch das nur ein Bild, ein Außer-uns, Äußeres, Äußerliches? Immer rühren wir nur an das Bild, und nicht an uns selber.
Sind wir uns selber nicht eben so fremd und eben so nah als der Nächste?
Wahrlich, wir haben ein Bild vom Menschen – das machten wir aus uns. Und nun wenden wir's auf uns selber an, – uns zu verstehen! Ach ja, verstehen!
Schlimm, zum Schlimmsten steht es mit unsrem Selbst-verständniß!
Unsre stärksten Gefühle: so weit es Gefühle sind, sind sie ein Äußeres, Äußerliches, Bildliches: Gleichnisse sind sie.
Und was wir innere Welt sonst nannten: Ach, arm und trügerisch und hohl und dichterisch ist sie am meisten!
12 [41]
des Glücks der Tugend und der Vernunft der Menschen bin ich müde: ihrer großen Menschen, ihrer Erlöser, Befreier, Dichter, Weisen, ihrer Gerechten Guten Mitleidigen Stillen Versöhnlichen Begeisterten.
12 [42]
Die Wissenschaftlichen
Ascetismus des Geistes – an die Geistigsten. „Büßer"
Heerde und Ich. Verantwortlichkeit.
der Pharisäer.
Erfinder von Festen.
das Nächste adeln
Kritik der Moral: um uns unabhängig von Lob und Tadel zu machen
Vergeltung im jenseits? Ihr wollt bezahlt sein?
Heimatlos.
Reinigung von der Rache meine Moral.
Die Einflußreichsten lebten am verborgensten.
Cultur – das dünne Apfelhäutchen! Die Menschen nicht gleich!
der Edle das Resultat vieler Arbeit
Erfinder neuer Zustände der Seele die eigentlichen Erfinder.
Man ahmt sie nach.
Macht will sich ausgeben: nicht Glück.
„wie ein süßer Geruch"
die Schwachen sind die Gefahr
die höhere Kaste, mächtiger aber ärmer.
Unser Ideal durchsetzen – Ringen um die Macht, auf die Weise, wie es aus dem Ideale folgt.
Die Individuen leben fort in den Antrieben. Ruhm.
Reinigung der inneren Welt und Lernen nöthig!
Die Gottes-Mord-Büßer und ihr Fest.
Den Menschen das Gefühl „Schuld" und „Strafe" verleiden!
12 [43]
Ich will nicht vermischt und verwechselt sein
Es giebt solche, die predigen meine Lehre vom Leben: aber zugleich sind sie Prediger der Gleichheit: mit denen will ich nicht vermischt und verwechselt sein
Die Menschen sind nicht gleich: so redet die Gerechtigkeit. Solches sage ich euch zum andern Male.
Das Leben aber, als es mir sein Gesetz im Geheimsten kündete, das fügte hinzu: „und die Menschen sollen auch nicht gleich sein!"
Immer ungleicher sollen sich die Menschen werden – um des Übermenschen willen! – also will es meine Liebe selber!
Wovon der Vater schwieg, das kommt im Sohn zur Rede. Und oft ist der Sohn nur die enthüllte Seele des Vaters.
Ein vergrämter Dünkel, ein verhaltener Neid: im Sohn kommt's als Flamme heraus und Wahnsinn der Rache.
Das heiße mir Gerechtigkeit – so sagt dieser Wahnsinn – daß ich Rache übe und Beschimpfung an Allen, die mir nicht gleich sind.
Und „Wille zur Gleichheit" – das soll der Name für Tugend werden: mein Tugend-Geschrei erhebe sich gegen Alles, was Macht hat!
Er predigt Leben, um denen wehezuthun, die sich selber vom Leben abkehren: denn sie sind mächtiger als er und reineren Herzens.
Aber vom Leben abgekehrt sitzt er selber in seiner Höhle:
und nicht heiße ich‘s Leben, der Spinne gleich Netze stricken und Fliegen fressen.
Zu heftig strömt immer sein Quell der Rache: und er leert immer zugleich den Becher, indem er ihn füllen will.
Diese Höflichkeit soll auch noch in der Rede sein: der, welcher befehlen könnte, birgt seine königlichen Hände unter dem Mantel, er überredet durch seine Schönheit, statt zu befehlen.
„Alles an der Welt mißfällt mir: so denkt er – am meisten aber, daß ich Allen mißfalle". Darum redet er von der Zukunft.
Zuletzt:
Er geht wider meinen Geschmack: dies ist mein bester Grund, mit dem ich gegen ihn streite.
Über den Geschmack sei nicht zu streiten? Oh ihr Thoren, alles Leben ist Streit um Schmecken und Geschmack und muß es sein.
Und ich selber, meine thörichten Freunde! – was bin ich denn, wenn ich nicht das bin, worüber zu streiten ist: ein Geschmack!
Im Bauche des Wallfisches sitzt dieser Verkünder des Lebens: der Wallfisch, gegen den er predigt, der hält ihn verschluckt.
Ich will seine Heimlichkeiten ans Licht bringen: dann lache ich ihm ins neidische Antlitz mein Gelächter der Höhe.
Nicht mit schlangenhaarigem Schrecken will ich mich gegen eure Lehre wehren, ihr Prediger der Gleichheit: allein durch mein Schild Schönheit schütze ich mich vor euch!
Das liebe ich am Winde, daß er unsichtbar ist: und so nur möchte ich sichtbar werden, wie eine Flamme an den Masten sichtbar wird: – mit Staunen sehen einsame Schiffende das gute Zeichen
Er möchte, daß man ihn für einen Gott hielte: aber dazu müßte er sein Gesicht verbergen und sich in den Schleier der Isis hüllen.
Aber ich sage euch: wer von seiner Zeit angefeindet wird, der ist noch nicht genug über sie hinaus.
Der Tyrannen-Wille schreit aus ihm nach Gleichheit: eine Tyrannen-Lüge und Verführung ist sein Wort „Gleichheit"
Daß der Mensch erlöst werde von der Rache – das, wahrlich, ist der Regenbogen des Übermenschen und eine Brücke zur höchsten Hoffnung.
12 [44]
„Wir haben Bären das Tanzen zu lehren: aber muß man dazu selber ein Tanzbär sein?"
Damit wollt ihr mir sagen, ihr Lehrer: „wir wollen Erzieher sein: aber wir selber sind nicht Erzogene."
Daß ich nicht eure Eitelkeit verletze, ihr Lehrer! Zu viel Trauerspiel sah ich schon wachsen aus verletzter Eitelkeit.
12 [45]
Wettstreit der Affekte.
12 [46]
Geschichte der Werthurtheile über Lebensmittel.
Welchen Werth hat es, daß so und so gehandelt (gegessen) worden ist – und nicht anders?
12 [47]
Gelehrte.
Dichter.
Große Ereignisse.
Wahrsager.
Von der Erlösung.
Menschen-Klugheit.
stillste Stunde.
12 [48]
Es handelt sich gar nicht um ein Recht des Stärkeren, sondern Stärkere und Schwächere sind alle darin gleich, sie dehnen ihre Macht aus, so weit sie k<önnen>
12[49]
Höhere M<enschen> als Napoleon
Affekte und ihre gegenseitige Taxation.
Mitleid und Gemeinsinn
[Dokument: Heft]
[Sommer 1883]
13 [1]
Zarathustra's
Heilige Gelächter.
Der Zeiger rückte, die Uhr meines Lebens holte Athem: nie hörte ich solche Stille um mich: also daß ich erschrak.
Dann sprach es ohne Sprache zu mir: die Stunde kam dir, Erlösung zu predigen von Erlösern.
Noch war euch der Geist keine Sorge und Herzeleid: sauer wohl war eures Lebens Brod, aber noch nicht von Gedanken durchsäuert.
Als Jäger zog Zarathustra aus, häßliche Wahrheiten zu jagen: finster kam er oft aus dem Walde heim.
Dein Erkennen, o Mensch, das ist: dir zum Besten alle Dinge drehen und deuten. Deuter und Dreher seid ihr mir alle, ihr Erkennenden!
Herrisch kam das Erlebniß, aber mein Wille sprach zu ihm: da lag es schon bittend auf den Knien.
Fühlst du den Durst und den heißen Athem der Sonne nicht? Am Meere will sie saugen und seine Tiefe zu sich in die Höhe trinken.
Und nun hebt sich die Begierde des Meers mit tausend Brüsten. Geküßt und gesaugt will es sein vom Durste der Sonne: Luft will es werden und Höhe und Fußpfad des Lichtes. Also, der Sonne gleich, liebt der Erkennende das Leben: das Tiefste will er hinauf zu seiner Höhe tragen.
Trägt nicht der Tänzer sein Ohr in der Zehe?
Bist du ein Stern? So mußt du auch wandern wollen, du Unstäter, und ohne Heimat sein.
Still ist der Grund meines Meeres: wer erriethe wohl, daß er scherzhafte Ungeheuer birgt!
Unerschütterlich ist meine Tiefe: aber sie glänzt von schimmernden Räthseln und Gelächtern.
Siehe, wie das Weib sich selber widerstrebt und wie sie den Kamm wider ihres goldenen Haares Trotz und Willen führt!
Sie nehmen den Mund voll: und nun sollen wir wähnen, daß ihnen das Herz übergehe.
Euch, ihr Gegenwärtigen, nehme ich nicht zu ernst: dünn und durchsichtig seid ihr mir: zerrissene Schleier, durch welche die Ewigkeit blickt. Und wie wollte ich unter euch leben, wenn ich nicht schaute, was hinter und vor euch ist!
Nöthig fand ich euch nicht: nicht einmal überflüssig dünkt ihr mir. Wahrlich, wenig ist an euch zum Überfließen.
Ein Stern gieng unter und verschwand: aber sein Licht ist noch unterwegs. Und sagt mir doch: wann wird es nicht mehr unterwegs sein?
Ist nicht das Meer der Pfau der Pfauen? Auf weichem Sand rollte es sich den silbernen Schweif auf, den Spitzenfächer von Silber und Seide: wann wird es seiner müde werden? Also liebt sich selber das Leben.
Mitternacht sah mich mit trunknen Augen an: Einsamkeit kauerte neben ihr und röchelnde Todtenstille, die Schlimmste meiner Freundinnen.
Und ewig gleich des Ringes Durst, ist auch mein Durst nach mir: sich wieder zu erreichen, dreht und ringt sich jeder Ring.
Zum Lachen seid ihr mir, ihr Humpelnden! Doch hütet euch vor dem, der Eile und Willen hat: daß ihr nicht seine Ferse erfahrt!
Willst du allen Schreitenden zum Anstoß werden? So geh ihnen entgegen und drehe dabei noch den Kopf nach deinem Rücken!
Fürchtet den Zurückgezognen! Fürchtet den Tiger, der sich zum Sprunge bereitet!
Zu heftig strömte bisher dein Quell: er leerte immer zugleich den Becher, dadurch daß er ihn füllen wollte.
Stille. Bescheidenheit in der Höhe.
Zum Schmuck will ich mir das machen, was vom Tisch des Lebens abfällt: und mit Gräten und Muscheln und Stachelblättern will ich geschmückter sein als ihr!
Deine Wohlthaten sollen fallen, wie der Thau auf das Gras, dann, wenn die Nacht am verschwiegensten ist.
Alles Böse traue ich mir zu: darum will ich gerade von mir das Gute!
Ob ihr euch selber als Dichter preist oder als Tänzer: ob ihr des Volkes Stimme euch nennt und die Diener der gemeinen Wohlfahrt.
Ob ihr lehrt oder malt oder tönt oder das Spiel „Schwarz auf Weiß" spielt:
Kinder seid ihr mir Alle Einer Satzung und Gier: die spricht „du sollst dir einen Namen – machen".
Aber Andere giebt es, Seltenere, die haben einen Namen: aber sie möchten ihn verlieren und aus allen Tafeln löschen.
Ihren Kopf verstecken sie in Gebüsche und Höhlen oder sie taufen sich mit Lügennamen: daß ihre furchtbare Herrin sie verkenne und zornig an ihnen vorübereile.
Welches ist die furchtbare Herrin, von der sie <nicht> gefunden sein wollen?
Das heiße ich Gnade und gnädigen Sinn, fremdes Unrecht auf seine Schulter heben und unter einer doppelten Last keuchen.
Nicht Grund und Zweck deines Handelns machte dein Handeln gut: sondern daß dabei deine Seele zittert und glänzt und überwallt.
„der Gelehrte"
Nun stehst du da, so mager in den Rippen, daß du dich über dich selber wunderst.
Und also sprichst du: hat wohl da ein Gott, als ich schlief, mir heimlich Etwas entwendet? Wahrlich, genug entwendete er mir, sich ein Weibchen daraus zu bilden.
Wundersam ist die Armut meiner Rippen!
Seht ihn, wie er schwillt und überschwillt von Mitleiden mit allem, was Mensch heißt: ganz schon ist sein Geist ertrunken in seinem Mitleiden; bald wird er große Thorheiten thun.
Ich komme daher wie ein starker Wind; und solchen Rath rathe ich meinen Verächtern: hütet euch gegen den Wind zu – speien!
Die Krankheit wolltet ihr entkräften und ihr habt mir den Kranken entkräftet, ihr Afterärzte und Heilande!
Zu hoch und steil wohne ich über euch: auf dem Baume Zukunft baute ich mein Nest, mir selber mein einziger Zeitgenosse.
Wenn der, welcher befehlen könnte, überredet und seine königlichen Hände unter dem Mantel birgt: Höflichkeit heiße ich das.
Meine wilde Weisheit wurde trächtig auf einsamen Bergen: auf rauhen Steinen gebar sie ihr Junges, Jüngstes.
Nun läuft sie närrisch durch die harte Wüste und sucht und sucht nach sanftem Rasen – meine alte wilde Weisheit.
Auf eurer Herzen sanften Rasen, meine Freunde! – auf eure Liebe möchte sie ihr Liebstes betten! Doch wie geschieht mir?
Was Alle wissen, wird von Allen vergessen; und gäbe es keine Nacht, wer wüßte noch, was Licht wäre!
Wahrlich ich sage euch: Das Unvergängliche ist nur ein Gleichniß. (Des Rings Durst
Wir verachten alles, was sich erklären läßt. Irgend eine Dummheit hat sich überraschen lassen und stand nackend da vor ihrem Erklärer.
Saht ihr wirklich je einen Menschen, der that, was ihm nützlich ist?
Ein Gott, der uns liebte, hätte um unsertwillen einige Thorheiten thun müssen! Was ist mir euer Lob der „Weisheit" eures Gottes!
Dein Glück ist noch jung: habe Geduld mit ihm!
Es ist schlechte Luft um euch: das machen die Gedanken, die jetzt in der Luft liegen.
Ein Bild sah ich jüngst im Meere, einer Göttin Bild: träge und tückisch schlich die Welle um ihre weißen Brüste.
Halb begrub sie der Sand und halb die Eifersucht der Welle.
Zu lange gehörte ich der Einsamkeit: so verlernte ich das Schweigen.
Mund bin ich worden ganz und gar und Brausen eines Bachs aus hohen Felsen: hinab will ich meine Rede stürzen in die Thäler.
Verhaßt seid ihr mir Alle, ihr Nacht- und Grabwächter und wer nur immer in düstre Hörner tutet.
Ich lache eures freien Willens und auch eures unfreien: Wahn ist mir das, was ihr Willen heißt, es giebt keinen Willen.
Aus Schmerzen und Gedanken gebar sich dieser Wahn, den ihr Wille heißt. Und weil kein Wille ist, so ist auch kein Müssen.
Wohl zog ich den Schluß: nun aber zieht er mich!
Das härteste Fell hat die Demuth.
Auch, was wir unterließen, webt am Gewebe aller Zukunft: auch das Nichts selber ist aller Weber Webemeister.
Mancher wird seiner selber müde: und nun erst beginnt sein Glück.
Wenn du gut fahren willst, so spanne noch ein Eselein vor dem Rosse deines Willens!
Verwundet bin ich von meinem Glücke: alle Leidenden sollen mir Ärzte sein!
Wer sich selber nicht glaubt, lügt immer.
Wenn dein Haß und deine Eifersucht einmal faul werden und ihre Glieder strecken: wird deine Gerechtigkeit munter und reibt sich die verschlafnen Augen.
„der Erkennende"
Mit abgemagerten Tugenden und brüchig an der Seele saß er allzulange im Schatten: also – verhungerte er an seinen Erwartungen.
„der Große"
Als ich mich von mir selber abwandte, da erst sprang ich über meinen eignen Schatten: und wahrlich, meine Freunde, mitten hinein in meine Sonne!
Bin ich nicht ein Bescheidener? Am Fuße wohne ich meiner Höhe und niemals noch sah ich meine Gipfel: unüberredbar ist meine Demuth. Aller Geist kommt zu – mir: ich liebe ihn, daß er mein Geist sein will.
Man raubte mir, was ich von Grund aus liebte: nun fließt meine Liebe über in Strömen, abwärts nach Abend und Morgen; aus schweigsamem Gebirge und Gewittern des Schmerzes rauscht meine Seele in die Thäler.
("Erkennende")
Mit dem Geiste selber habt ihr geschachert, mit Schacher habt ihr euer Blut vergiftet: verblutend nur könnt ihr euch von eurem Gifte heilen!
„Genie" Lebte je ein Übermensch?
In eines Gottes Larve verkroch sich ein greulicher Ringelwurm: allzulang war ich der Narr von göttlichen Häuten: Schlangengeringel war das Eingeweide, mit denen sie gestopft waren!
Und ich meinte eines Gottes Seele spielen zu sehen: Schlangen-Unflath und schlimmen Geruch verbarg mir die Maske. Einer Eidechse List schlich mit göttlicher Larve herum!
Das Gelächter zu heiligen und wie ein buntes Gezelt über die Welt zu ziehn – dazu kam ich: einen neuen Himmel mit Sternen zu Schaffen und neue Nacht-Herrlichkeiten, und wenn ich schwärzere Nächte euch Schaffen mußte, so brachte ich mich euch.
Ich sehne mich und schaue in die Ferne: auf dich, mein Adler, lege ich die Hand, nun sage mir, was das Fernste war, das Adler-Augen sahen!
„Es giebt sich" sagt ihr mir? Nein, meine Brüder, es nimmt sich und wird immer mehr sich nehmen!
(Gegenwärtige)
Und wer Berge zu versetzen weiß, versetzt auch die Thäler und Niederungen.
Niesen sollt ihr mir ob meines Getränks, und meine schäumenden Weine sollen eure Nasen kitzeln und wollüstig machen.
Vorüber rauschte die Welle, und das Kind weint, weil sie sein Spielwerk in den Abgrund riß: aber dieselbe Welle schüttete ihm hundert andere Spielwerke aus im weichen Sande. Also weint mir nicht, meine Brüder, ob meinem Vorübergehen.
Über den Geschmack sei nicht zu streiten? Oh ihr Thoren, alles Leben ist Streit um Schmecken und Geschmack und soll es sein!
Ich rieche den Geruch eures Staubes, eure Seelen wurden lange nicht gelüftet.
Nicht an eure Ohren: an eure Hände richte ich meine Lehre. Thut gleich mir: nur der Thäter lernt: und nur als Thäter werde ich auch euer Lehrer sein. Besser, ihr macht mir schlecht nach, als daß ihr die Hände ruhen laßt und anbetet!
Wahrlich ich liebe die schwülen Geister so wenig als die erkälteten: kommen sie aber zusammen, so entsteht, was – ich liebe, ein brausender Windzug.
Auf einem Eilande glaubte ich zu landen: aber ein Ungethüm war es, welches schlief.
Noch sah ich keinen Untergang, der nicht Zeugung und Empfängniß war.
Daß ein Blitz in eure Speisen schlüge, und eure Mäuler Feuer fressen müßten! –
Noch schritt ich nicht durch Feuer für meine Lehre: aber meine Lehre schritt heraus aus meinem Feuer.
Der Mensch war es, der zwei Jahrtausende am Kreuze hieng: und ein gräßlicher Gott trieb seine Grausamkeit und nannte sie Liebe.
„Alles an der Welt mißfiel mir: am meisten aber mißfiel mir mein Mißfallen an Allem."
Manchen Abschied nahm ich schon: aber ich warf nicht die Thüre zu – und so hörten eure stumpfen Ohren nichts davon.
Wie lächerlich ist mir Jeder, der Jemanden zu sich bekehren will!
Ihr kommt zu mir, ob ich euch will oder nicht: aber wie ich euch geben muß, so müßt ihr von mir nehmen – mich nehmen!
Ein weißer Stier will ich sein und schnaubend und brüllend der Pflugschaar vorangehn: und wie meine Ruhe sich in die Sonne legt, soll mein Glück nach Erde riechen.
Wild schlägt mein Adler seine Flügel gegen meinen Willen: aber seine Brandung bricht sich an diesem Felsen.
Was ist ihnen noch „Erleben"? Wie Mücken sitzen die Ereignisse auf ihnen, ihre Haut wird noch zerstochen, aber ihr Herz weiß nichts mehr davon.
Ich mag diesen blassen fetten Mond nicht: wahrlich, ich fand ihn noch immer nicht den „Mann" im Monde. Ein Mönch ist er mir nur, ein feuchtwangiger, ein lüsterner: lüstern schleicht er um alle dunklen Ecken und blickt in halb geschlossene Fenster – er, der eifersüchtigste aller Kater, die Nachts über Dächer wandeln! Auf alle Liebenden ist er eifersüchtig, der blasse fette Mönch im Monde!
Nacht ist's: wieder über den Dächern
Wandelt des Mondes feistes Antlitz.
Er, der eifersüchtigste aller Kater,
Allen Liebenden blickt er eifersüchtig
Dieser blasse fette „Mann im Monde".
Lüstern schleicht er um alle dunklen Ecken,
Lehnt sich breit an halbverschlossene Fenster,
Einem lüsternen fetten Mönche gleich, geht
Frech er Nachts auf verbotenen Wegen.
Oh über dies verfälschte Licht, diese versüßte dumpfe Luft! Hier wo die Seele nicht fliegen darf, sondern nur hinauf zur Höhe – knien soll.
Oh Leben! Wie in ein Auge blicke ich in dich.
Was ich von dir sehe, das ist, daß du mich ansiehst: was ich von dir errathe, das ist, daß du mich errathen hast!
Winter ist es, heut will ich tanzen. Ich habe Gluth genug für diesen Schnee; auf den Berg will ich steigen, da mag meine Gluth mit dem kalten Winde ringen.
Bin ich nicht die Wetterscheide? Kommen alle Winde nicht zu mir und fragen mich nach meinem Willen? Auf alles Kommende werde ich meine Hand legen.
Ihr meint, Alles das sei wildes Spiel von Riesen und Ungeschick von Riesenfäusten? Aber ein Wort, das auf Taubenfüßen kommt, lenkt den Willen dieser Wilden – ein Wort vom Werthe: und von dem Stillsten her kommen solche Worte gegangen.
Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen; und auch meine Seele ist ein springender Brunnen.
Nacht ist es, nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden: und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden.
Brand und Verbrennung ist mein Leben: und länger als das Opfer lebt der Weihrauch seiner Opferung. Weit über das Meer fliegt sein Duft: er erschüttert den einsam Schiffenden.
Hier ist Herbst und Ernte und Überfluß und Nachmittag und ferne Meere: aber jetzt gerade muß ich Vogel sein und über euch fort nach Mittag fliegen: aus eurem Herbste heraus wahrsage ich euch euren Winter und eure eisige Armut.
Seid redlich: ich errieth, woran ihr am besten glaubt. Nun will ich, daß all euer Erkennen diesem besten Glauben diene!
Zu langsam läuft meine Rede. In deinen Wagen springe ich, Sturm, und auch dich will ich noch peitschen mit meiner Bosheit: wie ein Schrei und ein jauchzen wollen wir über weite Meere hin fahren.
Voraus wirft die Vollendung ihren Schatten: Schönheit heiße ich diesen Schatten – das Leichteste und Stillste aller Dinge kam zu mir als Schatten des Übermenschen.
Dem Rüssel gleich des Ebers soll mein Wort den Grund eurer Seelen aufwühlen: Pflugschaar will ich heißen.
Was geschieht mir? Meine Brunnen versiegten und mein Meer wich zurück: will mein Grund zerreißen und mich in die eigene Tiefe hinunterschlingen?
– Hin zur Unsterblichkeit! Via Appia.
Und wo euer Verstand eine Lücke hat, da stellt ihr flugs den ärmsten aller Lückenbüßer hinein: „Gott" ist sein Name.
Im dunklen Gewitter will ich verschwinden: und für meinen letzten Augenblick will ich Mensch zugleich und Blitz sein.
Mein süßestes Wort wird euch jetzt zum Sauerteige: ihr gährt mir von Rache: und erst wenn ihr mir ganz durchsäuert seid und übergeschwollen und aufgegangen von eurer Bosheit und Rache, will ich euch schmackhaft finden.
Ich will eure Heimlichkeiten ans Licht bringen: darum lache ich euch ins Antlitz mein Gelächter der Höhe.
Dunkel ist mir euer Antlitz, ihr Handelnden: eurer Hände Schatten spielt auf ihm, versteckt ist mir der Sinn eures Auges.
Ein Gedanke, der im Granit verschlafen auf seinen Erwecker wartet.
Im Bauche des Wallfisches werde ich zum Verkünder des Lebens.
Ich sah euch Alle nackt: und was scheidet mir noch euch Gute und euch Böse!
Meine Seligkeit kommt wie ein Sturmwind: und ohne es zu wollen, schleudert sie den Ungeschickten, der vor ihr nicht zu fliehn weiß, an harte Mauern.
Er sinkt, und seine Teufel ziehn ihn: und jemehr er sinkt, umso glühender leuchtet sein Auge und die Begierde zu seinem Gotte.
Gegenwärtige
Ihr rauscht gegen mich auf, denn ich schlage euch mit meinem Ruder – und doch müßt ihr auch meinen Nachen in die Unsterblichkeit tragen.
Das Leben ist es, das auch ins Leben schneidet: an der eignen Qual mehrt es sich das eigne Wissen.
Ein Kind soll mir den Spiegel halten, auf dem die Welt geschrieben steht.
Er löst seine Räthsel, aber erlöst sie nicht: sie fliegen nicht empor zu himmlischen Kindern verwandelt.
Meine Gedanken sind Farben: meine Farben sind Gesänge.
Meine Knie zitterten mir zum ersten Male, als ich meinen Weg fand und gieng: und wer es sah, sagte mir: du verlerntest den Weg, nun verlerntest du auch das Gehen.
Nun verlernte ich auch den Willen: gewohnt zu steigen werde ich gehoben und von dem Aether hinaufgezogen an goldenen Fäden.
Schlief ich je auf meinem Ruhm ein? Wie ein Bett von Stacheln war mir jeder Ruhm.
Hinweg über euch Menschen lockt mich alle Schönheit: fort von allen Göttern lockt mich alle Schönheit: so warf ich Anker auf offenem Meere und sagte: „hier sei einst die Insel des Übermenschen!"
Und wenn eure Schönheit nicht selber Buße predigt, was wird euer Wort vermögen!
Mit dem Nacken eines Stiers – und den Augen eines Engels will ich euch!
Blind wurde ich.
Meine Blindheit und das Tappen und Tasten des Blinden, mag euch noch von der Macht der Sonne erzählen, die ich sah.
Daß einst die Erkenntniß gelernt habe, still zu lächeln und ohne Eifersucht ob der Schönheit
Frei standet ihr allem Geiste, eine Frei- und Freudestätte des Geistes. Nun aber will ich's so: nicht nur besetzen – besitzen soll eure Stadt meine Tugend; Besessene sollt ihr werden meiner Tugend.
Ungeduldig ertrug ich den Winter: nun spielt gar des Aprils Bosheit mit meiner Ungeduld, und oft schäume ich über bei seiner zögernden Trübsal und seinen – spöttischen Schneeflocken.
Zum ersten Male brachte ich wieder den Gerechten, den Helden, den Dichter, den Erkennenden, den Wahrsager, den Führer zusammen. über den Völkern stellte ich mein Gewölbe hin: Säulen, auf denen auch ein Himmel ruht – stark genug, einen Himmel zu tragen. (So soll der Übermensch sprechen!)
Die Gerechtigkeit trat vor mich hin: da zerbrach ich meine Götzen und schämte mich. Einer Buße unterwarf ich mich und zwang mein Auge dorthin zu sehn, wohin es ungern sah: und Liebe dorthin zu tragen.
die höchste Art der Leidenschaft, die stillgewordene strömende
(Schluß) – und jeder, der einst leiden soll, fühlte vorher schon einmal sich gesalbt und durch Thränen geweiht zum Opferthier. Ihr nennt es mein „Glück" –
Aus der Fülle der Einfalt strömt ihm seine Macht. „Wehe, soll ich denn ein Gott werden?" – sprach er.
dem Wasserfall gleich, der noch im Sturze zögert –
mit Menschlichem wollen wir die Natur durchdringen und sie von göttlicher Mummerei erlösen. Wir wollen aus ihr nehmen, was wir brauchen, um über den Menschen hinaus zu träumen. Etwas, das großartiger ist als Sturm und Gebirge und Meer soll noch entstehen – aber als Menschensohn!
Schwer und knarrend kommt ihr daher gleich Wägen, die Steine abwärts fahren: aber mit aller eurer Würde verrathet ihr, daß es bergab geht mit euch – die Tiefe zieht euch zu sich!
mit einer abgelaufenen spitzgewordenen Zunge
Einen Fisch wollte ich fangen und warf mein Netz ins Meer – aber da zog ich eines alten Gottes Kopf herauf: also gab mir dem Hungrigen das Meer einen Stein.
Was sind mir eure Vater- und Mutterländer! Ich liebe allein meiner Kinder Land, das unentdeckte, nach dem ich meine Segel übers Meer laufen und suchen heiße: also will ich an meinen Kindern gut machen, daß ich meiner Väter Kind bin.
Nur dem allein soll eure Tugend nützlich werden, um dessentwillen ihr euch und euren Nutzen verachtet. Sonst sei Verachtung der Nützlichkeit im Blick eurer Tugend.
Ein reißender Räuber und Raubvogel ist mein Adler: mag er allen weißen kleinen Schafen eine Gefahr heißen!
Kennt ihr den Schrecken des Einschlafenden? Bis in die Zehe hinein erschrickt er, darüber daß der Boden weicht und der Traum beginnt – und oft wacht er wieder von diesem Schrecken auf.
Eure Sprüche und kleinen Wahrheiten wuchsen wohl in der Nähe der Sümpfe? Immer doch höre ich aus ihnen einen kalten Frosch quaken.
Mit Bergen sollt ihr neu bauen lernen: es ist noch wenig, daß ihr Berge versetzen könnt, ihr Erkennenden! Und wer Berge versetzt, versetzt auch die Niederungen.
Wie wärt ihr zu ertragen, wenn eure kalte Nothdurft und Ohnmacht nicht vom Blitz zerbrochen, und vom bunten Unkraut verhüllt wäre! Als Trümmer und Opfer eurer Unglücke sollt ihr ein Recht haben im Dasein!
Nicht ein Geschmack, sondern ein Hunger soll euch Schönheit sein: Eure Nothdurft soll euch Schönheit heißen: oder ich will euch nicht.
Nicht in der Sattheit soll euer Verlangen schweigen und untertauchen, sondern in der Schönheit –: der Schatten kommender Götter soll euch stille machen.
Was suchen doch alle Schaffenden? Neue Sprachen suchen sie Alle: müde wurden sie immer der alten Zungen: nicht mehr will ihnen der Geist auf diesen allzu abgelaufenen dünnen Sohlen einhergehen.
Euer Blick nach fernen Meeren, eure Begierde, den Felsen und seine Spitze zu betasten – eine Sprache ist es nur für eure Sehnsucht. Menschen sucht nur euer Blick und eure Begierde, und das, was mehr ist als Mensch!
Jene nannten Gott, was ihnen widersprach und wehe that: so war es die Art dieser Helden. Und nicht anders wußten sie ihren Gott zu lieben, als indem sie den Menschen ans Kreuz schlugen.
Und also laßt uns Feinde sein, meine Freunde! So wie über euch sich die Bogen der Gewölbe brechen und wider einander spielen:
wie Lichter und Schatten über euch göttlich sicher und schön sind in ihrer Feindschaft: also sollen eure und eurer Freunde Gedanken göttlich sicher und schön sein in ihrer Feindschaft.
Ihr wollt nichts davon hören, daß Einer über euren Köpfen wandelt. Und so legt ihr Holz und Erde und Unrath zwischen ihn und eure Köpfe – also dämpft ihr die Rede seiner Schiritte.
Aller Menschen Fehl und Schwäche legt ihr zwischen mich und euch: Fehlboden heißt ihr das in euren Häusern.
Aber trotzdem wandle ich mit meinen Gedanken über euren Köpfen: und selbst wenn ich auf meinen eignen Fehlern und Fehlböden wandeln wollte, würde ich noch über euch sein und euren Köpfen!
Und nun glüht auch noch das Eis und die Unschuld meiner Gipfel.
Ihr Umstürzer, begreift ihr noch nicht, was Umstürzen thut? Im Schlamm eurer Verachtung lag die umgestürzte Bildsäule: – und gerade aus eurer Verachtung erwachte ihr plötzlich das Leben wieder und lebendige Schönheiten.
Mit göttlicheren Zügen und leidend-verführerisch stand sie auf, ihr Umstürzer der Bildsäule! – und sie dankte euch noch für ihre Vergöttlichung!
Dionysos auf einem Tiger: der Schädel einer Ziege: ein Panther. Ariadne träumend: „vom Helden verlassen träume ich den Über-Helden". Dionysos ganz zu verschweigen!
Der Auslegung bedarf jede That: allen Räthselrathern winkt sie. Neue Worte und Weisen gab ich den Auslegern: daß sie die Wetterzeichen des Menschen besser reden machen.
Ich bin ein Seher: aber unerbittlich folgt meinem Schauen das Gewissen: also bin ich auch der Deuter meiner Gesichte.
Schwarze Teiche, aus denen heraus der süße Trübsinn der Unke singt: das seid ihr mir, ihr Priester. Wer von euch vertrüge es, sich nackt zu zeigen!
Ihr thut gut, euren Leichnam schwarz auszuschlagen, und aus euren Reden klingt mir die übel gewürzte Dumpfheit von Todtenkammern.
Wie hasse ich den verlogenen Krampf eurer Demuth! Eurem Kniefall sehe ich die Gewohnheiten der Sklaven an, ihr Speichellecker eures Gottes!
Als gestern der Mond aufgieng, wähnte ich, daß er eine Sonne gebären wolle: so breit und trächtig lag er am Horizonte.
Aber ein Lügner war er mit seiner Schwangerschaft: und weder an den Mann im Monde glaube ich mehr noch wahrlich auch an das Weib im Monde. – Dies Gleichniß gebe ich euch, den Schwärmern und Mondhaften.
Unfruchtbar und vergilbt kam er empor, und immer kleiner wurde er, immer bleicher und Falscher blickte er im Steigen. Wahrlich sein schlechtes Gewissen blickte aus ihm, dem Lüsternen.
Nach dieser Erde ist er lüstern, und schämt sich noch dieser Lüsternheit, gern möchte er seinen Blicken Heiligkeit und Entsagung geben.
Und wenn ihr auch breit und trächtig am Horizonte liegt: wahrlich, ihr werdet mir keine Sonne gebären! (Romantiker)
Lüstern nach der Erde: doch euer schlechtes Gewissen beißt euch in eurer Lüsternheit: so wählt ihr die Wehmuth.
Dürres Gras und Steppe seid ihr mir: aber ich will laufende Feuer aus euch machen und Verkünder mit Flammenzungen.
Wie in ein Auge, schaue ich in dich, Leben!
Gold blitzt aus seinem Auge: ein goldener Kahn schwimmt darin auf dunklen Gewässern. Seht mir doch: es hebt und senkt sich der Tanz dieses Goldes!
Ihr seid geschickt und habt kluge Finger. Aber ihr versteht es nicht, eine Faust zu machen.
Erst wenn sich eure klugen Finger in eine Faust verkrochen haben, will ich an eure Kraft glauben.
Das Gewürm, mit dem ich kämpfe, das habe ich mir zum Drachen erst geschaffen: so jung und klein war es noch und so kämpfe ich den Kampf mit eurer Zukunft.
Aber, wenn ihr kämpfen und siegen wolltet, so müßte ich euch erst die Drachen von heute in Regenwürmer verwandeln!
Werkzeuge und Uhren seid ihr mir und nichts mehr: so will ich euch mit meinem Spotte aufziehn, und ihr sollt mir dabei schnurren!
Und lieber noch will ich auf Ochsenhäuten schlafen als auf dem Bette eurer Bequemlichkeit und Liebe.
Ihr seht nur meine Funken: aber ihr seht den Ambos nicht, der ich bin, ihr errathet nicht die Grausamkeit meines Hammers.
Nicht mit schlangenhaarigem Schrecken will ich euch zu Steinen und Stummen verwandeln: allein durch mein Schild „Schönheit" schütze ich mich vor euch.
Hört ihr Schall und Gelächter dieses Schildes? Der Schönheit heiliges Gelächter ist es: an ihm sollt ihr mir stummwerden!
Ich weiß euch zu reiten: und wer sich gut aufs Pferd versteht, versteht sich wohl auch auf den Sattel.
Noch gleiche ich dem Hahn auf fremdem Gehöfte, nach dem die Hennen beißen.
Ein Brand und eine Gefahr will ich heißen allen trockenen Seelen: glühende Asche soll vor mir herstäuben.
Einsam bin ich wieder und verbannt. Durch meine Freunde bin ich verbannt in meine Einsamkeit und durch die, welche mich lieben. So will ich denn zu meinen Feinden reden.
Zu denen will ich reden, die mich hassen: ob ich sie vielleicht besser zu mir überrede, als meine Freunde.
Und also gelüstet mich heute nach meinen Feinden, wie mich einst nach aller Wahrheit gelüstete. Wahrheit hieß ich einst Alles das, was mir weh und am wehsten that.
Alle Bosheiten meiner Seele will ich ausgießen gegen meine Freunde: ob ich so vielleicht meine Feinde zu dem verführe, was mich führt.
Auf eure Liebe? Ach, nun kommt's mir zurück, das gräßliche Wissen – wer war's, der mich in die Wildniß trieb und zum Wilde machte?
Umsonst! Umsonst! Ihr selber triebt ja den Wilden hinaus: zum Höhlenbär machte mich ja der Freunde Wille.
Ach, wer war's, der mich einsam machte und wild und zum Höhlenbär der Wildniß?
Ach, wer verbannte mich unter lieblose Steine und Unwetter
Riefen nicht Nein! drei Donner und drei schlagende Blitze zur Mitternacht?
Und wenn ich in mein Bilderbuch sehe, sollen Hund und Kind mir über die Achsel sehen.
Die Anmuth gehört zur Großmuth des Großgesinnten.
Den Büffeln gleich achte ich euch, nahe dem Sande, näher noch dem Gestrüpp, am nächsten aber dem Sumpfe.
Mit vielen kleinen Pulvern kann man den Muthigen zum Feigling kuriren.
An diesem Feinde sollst du still und mit schlafendem Schwerte vorübergehen. Hüte dich ihn anzugreifen! denn wer ihn angreift, der besudelt sich.
Die Krankheiten der Sonne erlebe ich, der Erdgeborene, als eigene Verfinsterung und der eigenen Seele Sündfluth.
Ich glaubte der Reichste zu sein und glaube es noch: aber Niemand nimmt von mir. Also leide ich am Wahnsinn des Gebenden.
Ich rühre nicht an ihre Seele: und bald werde ich nicht einmal mehr ihre Haut erreichen. Die letzte kleinste Kluft ist am schwersten zu überbrücken. That ich nicht euch am wehsten, als ich mir am liebsten that?
Meine Liebe und mein Heißhunger nach ihnen wächst mit meiner Verbannung, und selbst mein Wahnsinn von Liebe macht mich noch ihnen ferner und unverständlicher.
Aber ich bin ein Verbannter: sie haben die Augen von mir gewendet. Und ich rühre selbst nicht mehr an die Haut ihrer Seele.
Ach, und nun wächst mein Hunger nach ihnen, seit ich der Verbannte heiße: und dieser Wahnsinn von Liebe macht mich noch fremder und fürchterlicher.
Meine Redelust. Gegen die Schweigsamen.
Mit erhobener Brust und denen gleich, welche den Athem an sich halten: also seid ihr, ihr Erhabenen! schweigsam.
Schönheit heiße ich die Offenbarung des Guten für die Sinne: meines Guten! für meine – Sinne! Und was Geist war, wird jetzt mir nur gleichsam Geist!
Nun ist mir meine Hoffnung übersatt geworden: da hörte sie auf zu hoffen (nicht mehr gehöre ich zu den Hoffenden).
Zu weit hinein flog ich in die Zukunft, ein Grauen überfiel mich. Als ich endlich um mich sah, siehe, da war die Zeit mein einziger Zeitgenosse. So sehnte ich mich nach euch, den Gegenwärtigen.
Und auch wer für sich selber Gift bereiten will, muß Handschuhe von Glas anziehen.
Ich gab ihnen ihr Nichts zu fressen; da erstickten sie an ihrem Nichtse.
Ich hielt ihrer Häßlichkeit den Spiegel vor: da ertrugen sie ihren eigenen Anblick nicht: an dem bösen Blick ihres Auges kamen sie selber zu Schaden.
Ich that Buße für alle diese Ungerechtigkeit; ungerechter noch war mein Verehren als mein Verachten.
So blind ihr schon seid: größer fand ich in euren Augen den Willen zur Blindheit.
Ach, ich kenne die blauen Abend-Fernen eurer Falschheit: lieber noch als eure Lüge wahrlich ist mir die Lüge dessen, der um sein Lügen weiß!
Und schwerer noch als meinen Stolz würdet ihr meine Bescheidenheit ertragen, wenn sie einmal reden wollte.
Zwischen zwei Gefahren läuft mein schmaler Weg: eine Höhe ist meine Gefahr, die heißt „Über-Muth", ein Abgrund ist meine Gefahr, die heißt „Mitleiden".
„Wie will ich Athem holen und die Glieder strecken, wenn ich meine Last auf die letzte Höhe getragen haben werde!" – so dachte oft der Held unterwegs. Aber als er oben war und die Last niederwarf, da that er nicht so – da bezwang er auch noch seine Müdigkeit: und hierbei lief ihm ein göttlicher Schauer über den Leib.
Allzugroß und -lang war die Spannung meiner Wolke: zwischen Blitz und Donner warf sie endlich Eis und Hagelschauer in die Tiefe: gewaltig hob sich da ihre Brust, gewaltig blies sie über die Berge ihren Sturm hin – so kam ihr Erleichterung.
Wahrlich, einem Sturm gleich kommt mein Glück und meine Freiheit: Aber ihr meint, der Böse selber rase über euren Häuptern!
Den Arm über das Haupt gelegt: so ruht der Held aus, so überwindet er noch sein Ausruhen.
Heute will ich meine Sklaven freigeben und selber ihr Diener und ihre Kurzweil sein: das Getränk der Freiheit soll ihnen zu Kopf und Herz steigen.
Ihr Gegenwärtigen, ihr liegt mir nun einmal im Vordergrunde: wenn ihr mir nicht Ruinen bedeuten wollt, wie wollte ich euch auf meinem Bilde ertragen! Und das Beste an euch ist mir euer Unkraut!
Die Feigen fallen vom Baume: sie sind süß und gut. Und indem sie fallen, reißt ihnen die rothe Haut. Ein Nordwind bin ich reifen Feigen.
Fürchtet ihr euch vor der Inbrunst der Töne, ihr Harfner und Dichter? Gespenster-Hauch und -Huschen ist mir all euer Harfen-Klingklang: mit dürren Händen rührt ihr in dürre Saiten, aber wann hättet ihr je ein Herz mitgerissen? – wenn es nicht das Erbarmen mit eurer Armut mitriß!
Daß ihr mir nicht des Weibes Bildniß verwischt und verwascht, ihr Zeitgemäßen!
Wie hoch ich wohne? Niemals noch – wenn ich stieg – zählte ich die Treppen bis zu mir: – doch soviel weiß ich von meiner Höhe: mein Dach und Fach beginnt da, wo alle Treppen aufhören.
– den man noch an den Haaren in den Himmel ziehen muß!
Gleich Mehlsäcken staubt ihr um euch, ihr Gelehrten, und unfreiwillig! Doch wer erriethe, daß euer Staub her vom Korne stammt und von der gelben Wonne der Sommerfelder?
Dem Helden ist das Schöne aller Dinge Schwerstes: gerade dem Helden ist das Schöne unerringbar und unerreichbar.
Ein wenig mehr, ein wenig weniger: dies gerade ist hier Viel, das gerade ist hier das Meiste.
Mit Donnerschlägen und himmlischen Feuerwerken muß man zu schlaffen und schlafenden Sinnen reden: aber der Schönheit Lichter reden leise, sie schleichen sich nur in die aufgewecktesten Seelen.
Von besserem Stoffe dünkt ihr euch, ihr Schwärmerischen? Aber ich sage euch, ihr versteht euch nur besser auf Kleider und Verkleidung, ihr wißt schlechten Stoff gut zu bemänteln!
Hier und da wird auch der Erbärmliche redlich: selten genug geschieht's! – Da soll man auf seine Stimme hören und in seinen Sumpf steigen.
Und auch ich setzte mich einst ins Schilfrohr und also hörte ich den Frosch der Erbärmlichkeit seine Bekenntnisse machen.
Und im Stolz über eine Handvoll Gerechtigkeit begeht ihr Frevel an allen Dingen und ertränkt die Welt mit den Wässern eurer Ungerechtigkeit.
Stundenlang stehen sie auf der Straße und sehen die Leute an, die vorübergehen: und Andere ihrer Art sitzen müßig auf ihren Stuben und sehen die Gedanken an, die an ihnen vorübergehen. Ich lache über diese Beschaulichen.
Sagt ihnen Nein und speit dabei aus: so werden sie schnell sich zu Boden werfen und eure Speichel lecken. Aber unter Bescheidenen wird jeder Priester frech: seine Demüthigung nimmt Rache an allen Demüthigen. Niemand ist rachgieriger als die Demuth des Priesters.
Mit lässigen Muskeln und schön, wie es einem Gnadenreichen zukommt: und wahrlich: was ist Schönheit, wenn es nicht das Sichtbarwerden der Gnade ist?
Wenn die Übermacht gnädig wird und ihre Gnade herabkommt ins Sichtbare: Schönheit heiße ich solches Herabkommen.
Über dem trüben Meere eurer Seele ist nie die Sonne aufgegangen: und noch weniger kennt ihr ihre Seligkeit im Untergange.
Mein Mitleiden ist zum Mörder geworden: und als ich den Menschen am meisten liebte, habe ich den Menschen an's Kreuz geschlagen.
Ärmer bin ich jetzt als irgend ein Mensch: der Becher ward leer. Meine Reichthümer sind dahin: nun wahrlich, Mensch bin ich selber wieder geworden.
Ich erlöste sie von ihren Erlösern. – Aber wie könnte es der Übermensch ertragen, die Menschen zu verstehen! So muß man die Menschen überreden, ihn zu Schaffen und um seinetwillen zu Grunde zu gehen: daß er leben könne?
Die Gefahr des Übermenschen ist das Mitleiden. Hüten wir uns, ihm das Mitleiden mitzugeben! – Aber meine Seligkeit ist es jetzt, unterzugehen. (Aus der letzten Rede)
Mit ihren Tugenden wollen sie ihren Feinden die Augen auskratzen. Sie erheben sich, weil sie Andre erniedrigen wollen.
Ich will nur am Gewaltigen die Sanftmuth als seine Selbstüberwältigung, und lache des Schwächlings, der sich „gut" glaubt, weil er lahme Tatzen hat.
Wann war je ein großer Mensch sein eigener Anhänger und Liebhaber? Trat er doch von sich selber beiseite, als er auf die Seite der Größe trat!
Eine Macht wohl will ich sein, aber kein grober Treiber und Dränger: aber wo ein Wind hin zieht, will ich in ihm mitziehn: und bin ich sonst unsichtbar, so will ich an den Masten einsamer Schiffender und Entdecker als Flamme sichtbar werden.
Der Säule gleich sollst du in die Höhe wachsen, zarter und schlanker, aber innerlich härter und mit angehaltnem Athem: also strebt die Säule aufwärts.
„So will ich gerne sterben! Und abermals sterben! Und leben, um also zu sterben!" Und noch indem sie starb, lächelte sie: denn sie liebte Zarathustra.
Ein Gewitter murrte vom Himmel, unsichtbar noch.
Da erscholl ein Donner: und darauf kam eine Stille – wie mit furchtbaren Ringeln umwand und band uns diese Stille: die Welt stand still.
Dann verkündet das Weib das Kommen von Adler und Schlange. Das Zeichen. Allgemeine Flucht. Die Pest.
Sie zog den Arm Zarathustras an ihre Brust.
Und wiederum geschah das Athmen des Abgrundes: er stöhnte und brüllte sein Feuer herauf.
Hier ist der Tarantel Höhle: willst du sie sehn? So summe das Gesumme einer Fliege. Hier hängt ihr Netz: rühre daran, daß es erzittert.
Tanzen will ich dich lehren verzückte Tänze: denn du bist mir aller Menschen Schwermüthigster worden. Durch Wahnsinn will ich deinen Schwersinn heilen.
Er stellte ein nacktes Bild eines Gottes hin: also sehnt sich auch der Südlichste noch nach einem (zweiten) Süden.
Du bist mir eine Tarantel: und schwarz sitzt auf deinem Rücken der Tarantel Dreieck und Wahrzeichen. Beiße mir diese Oberflächlichen mit deinem giftigen Bisse, daß ihre Seelen mir erst Tiefe und Schwermuth und schwarzen Schorf erhalten.
An die Lehrer des Pessimismus.
13 [2]
1 Act. Zarathustra unter Thieren. Die Höhle.
Das Kind mit dem Spiegel. (Es ist Zeit!)
Die verschiedenen Anfragen, sich steigernd. Zuletzt verführen ihn die Kinder mit Gesang.
2 Act. Die Stadt, Ausbruch der Pest. Aufzug Zarathustra's, Heilung des Weibes. Frühling.
3 Act. Mittag und Ewigkeit.
4 Act. Die Schiffer.
Scene am Vulkan, Zarathustra unter Kindern sterbend.
Todtenfeier.
Vorzeichen.
zu 3.) Zarathustra sah und hörte nichts, er war entzückt.
Dann schrittweise zurück in das furchtbarste Wissen. Die Empörung der Jünger, Fortgehen der Liebsten, Zarathustra sucht sie zu halten. Die Schlange züngelt nach ihm. Er widerruft, Übermaß des Mitleidens, der Adler flieht. Jetzt die Scene des Weibes, an dem wieder die Pest ausbricht. Aus Mitleid tödtet er. Er umarmt den Leichnam.
Darauf das Schiff und die Erscheinung am Vulkan. „Zarathustra geht zur Hölle? Oder will er nun die Unterwelt erlösen?" – So verbreitet sich das Gerücht, er sei auch der Böse.
Letzte Scene am Vulkan. Volle Seligkeit. Vergessen. Vision des Weibes (oder des Kindes mit dem Spiegel) Die Jünger schauen in das tiefe Grab. (Oder Zarathustra unter Kindern an Tempelresten.)
Die größte aller Todtenfeiern macht den Schluß. Goldener Sarg in den Vulkan gestürzt.
13 [3]
Setzt einen Heiligen auf ein Schiff: das Meer selber wird vor ihm flüchten und brüllen vor Furcht. Also bringt der Ruhigste der Menschen den Sturm: und wer Wind war und Welle, wird mit eiligen Füßen vor mir davonlaufen.
Wohl bin ich ein Wald und eine Nacht von Cypressen: aber wer sich vor meinem Dunkel nicht scheut, der findet auch Rosenhänge unter meinen Cypressen.
Helle Augen will ich euch geben und Grausen vor dem Wirklichen: so sollt ihr lernen mir nachzuschweben in ferne Zukünfte.
Und zürnt mir nicht, wenn ich diesen kleinen Gott ein wenig peitsche: er schlief mir hier am Brunnen ein, der Tagedieb; er haschte wohl zu viel nach Schmetterlingen?
„Wohl brach ich die Ehe: aber zuerst brach mich die Ehe" sagte das Weib.
„Nun wurde ich zum See mit weißen Rosen: die Winde der Höhe spielen mit mir und lachen gleich Kindern. Was vergaß ich nicht! Wer vergaß mich nicht! Und oft noch vergesse ich sogar meine Vergessenheit." Zarathustra unter Kindern.
Der ferne Fels wirft mir mein Wort zurück und spottet also meines Vergessens – schon vergaß ich's ja, was ich etwa in die Ferne rief. Ach, was vergaß ich nicht!
„Er war schon in der Unterwelt?" –
„Gewißlich war er das: war er doch unter uns! Der Mensch, der Mensch allein ist die Unterwelt!"
„Zarathustra ist todt? Ihr wißt nicht, was ihr sagt! Sehen wir ihn nicht schreiten! Wahrlich, er will noch die Unterwelt erlösen und ans Licht bringen." – „Er geht zur Hölle, der Teufel holt ihn!" „Glaubt mir es auf mein Wort, der Teufel holt ihn nicht – wie vermöchte er das!, aber er holt sich noch den Teufel!" – Die Schiffer. Schluß.
„In eine Grube von Schnee warf ich meinen Geist."
Und wenn dir nicht die Sterne vom Himmel fallen wollen, so wirf deine Sterne nach dem Himmel: das sei deine ganze Bosheit.
„Ich rede: denn ich sah. Nun muß ich ganz Mund sein: denn jüngst war ich ganz Auge und Unschuld des Spiegels" So spricht der Künstler.
„Du weißt es doch, Pana mein Kind, mein Sternlein, mein Goldohr – du weißt es doch, daß auch ich dich lieb habe?"
Die Liebe zu mir hat dich überredet, ich sehe es: aber noch verstehe ich den Willen deiner Liebe nicht, Pana! –
Als er aber seine Schlange gegen sich züngeln sah, da verwandelte sich langsam, langsam sein Gesicht: widerwillig sprang ihm das Thor der Erkenntniß auf: wie ein Blitz flog es hinein in die Tiefen seines Auges und wieder wie ein Blitz: es fehlte noch ein Augenblick, und er hätte gewußt – – Als das Weib diese Verwandlung sah, schrie es auf wie aus der höchsten Noth. „Stirb Zarathustra" –
Mit seiner Linken drängte er den Adler zurück, der gegen ihn mit dem Ungestüm seiner Flügel schlug: er schrie, wie einer der zur Flucht räth; gern hätte er ihn davon getragen. Zu seiner Rechten auf dem Tische die Felsplatte
Wer nur Zuschauer des Lebens sein will, der mag sich hüten, dort zu sitzen, wo die Sonne auf die Stufen brennt: es sei denn, daß er blind werden wolle.
„Und was soll ich mit deinem Messer thun, Pana? Soll ich die gelben Trauben vom Weinstock schneiden? Siehe, welche Fülle um mich ist!"
Und auch die Nächte soll er euch nicht untergehen, sondern blutroth, gleich einer Mitternachtsonne, am Horizonte bleiben.
Menschen, die sich verbergen wollten und sich des reinen Himmels zu schämen hatten, schufen sich diese süß duftenden Höhlen.
Und erst wenn Gras und rother Mohn auf den Mauern wuchert und der Himmel durch zerbrochne Decken blickt, will ich diesen Stätten eures Gottes mein Herz zuwenden.
Wie hätte ich es ertragen, wenn ich nicht den Übermenschen mehr liebte als euch!
Wozu gab ich euch doch den hundertfältigen Spiegel? Und die ewigen Blicke?
Ich überwand auch die Liebe zu euch mit der Liebe zum Übermenschen.
Und wie ich euch ertrage, so müßt ihr euch selber ertragen, aus Liebe zum Übermenschen.
Ihr seid mir der Stein, in dem das erhabenste aller Bildwerke schläft: es giebt keinen anderen Stein.
Und wie mein Hammer nach euch schlägt, so sollt ihr mir selber nach euch schlagen! Der Hammerruf soll das schlafende Bild aufwecken!
Und wenn ich auf mein wildestes Roß steigen will, so hilft mir mein Speer am besten hinauf: der ist meines Fußes bereitester Diener.
Die beste Maske, die wir tragen, ist unser eigenes Gesicht.
Gräberstraßen: dorthin zu führen, wo es am schönsten heitersten und hellsten ist. Nicht an düstre Orte.
Und wenn ich meiner eignen Schönheit den Spiegel vorhalte, schaudert meine Seele vor göttlichen Begierden: und Anbetung ist noch in meiner Eitelkeit.
Und Könige sollen noch den Esel meiner Weisheit führen.
Und als ich im Schlafe lag, da fraß ein Schaf an dem Epheukranze meines Hauptes!
Indem ich emporstrebte wider meine Last, verjüngte ich mich: und gerade als ich härter wurde in mir, lernte ich auch noch die Anmuth.
Erfinderisch in kleinen Schlauheiten und lüstern nach solchen, deren Klugheit auf lahmen Füßen geht: so stehen und warten sie vor ihrem Krame, diese Krämer!
Wehe allen Liebenden, die nicht auch eine Höhe haben, welche auch über Liebe und Mitleiden ist.
Auf Asche schreit' ich empor den Aschenberg, gen Abend: lang und länger wird mein Schatten.
Im veilchenblauen Meere zur Tiefe liegt ein Kahn: sein Schiffer starrt nach mir hinauf die Hand am Auge.
Jetzt fährt zur Hölle Zarathustra – so sagt der Fährmann schaudernd und schlägt sein Kreuz.
Laß mir das Kreuz, du irrtest! Noch holt mich nicht der Teufel, Fährmann! vielleicht daß ich mir den Teufel hole!
Zum mindesten soll sein Höllenhund mir Rede stehen: eine Antwort will ich aus dem Abgrunde seines Rachens.
Feuer und Asche soll er herauf mir stöhnen und brüllen: so mag ich's gerne, daß mir Unthiere antworten.
Wenige verstehen es, vornehm zu bleiben auch in der Verwesung: und lieber noch sehe ich den Schamlosen und seine Unschuld als die verrenkten Augen eurer Andacht und Huldigung!
Nun steht nur noch die kleinste Kluft zwischen mir und dir: aber wehe! Wer schlug je eine Brücke über die kleinsten Klüfte?
Deine Knie beten an und deine Hände sind Lobpreisung: aber dein Herz weiß nichts davon.
In die Höhe warf ich mich einst mit gebenden Händen: aber als ich niederfiel, fiengen drei Lanzen mich auf – also gieng ich als Opfer meinen Weg zur Erde aus der Höhe.
in den Unterkiefer des Wolfs setzte ich meinen Fuß: so riß ich ihm den Rachen auf.
lachend sterben die Könige des Nordens –
ein Band gewoben aus dem Barthaar einer Jungfrau und dem Schalle eines Katzentritts –
Wer hält mir die Schale vor das Antlitz, daß das Gift der Natter hinein träufe?
Ich will nicht, daß aus der Weisheit ein Kranken- und Armenhaus für schlechte Dichter werde.
Als ob es nur Einen Steg zur Zukunft gäbe: gleich Schafen drängen sie sich über ihren Steg.
„der Erkennende zum Schaffenden gemacht"!
Und was schiert es euch, wenn sich mein Strom in Irrnisse wirft und unwegsame Schluchten: denn wie sollte ein Strom nicht zum Meere den Weg finden?
Wohl fand ich in mir einen See: ein Einsiedler ist der und ein Selbstgenügsamer: in den warf sich mein Strom der Liebe: und nun reißt er den See mit sich fort zum Meere!
„Wir haben gar keine Meinung, wenn man uns nicht eine Meinung giebt: und man giebt sie uns.
Wir haben gar keine Stärke, wenn man uns nicht stark wähnt: und Jedermann wähnt uns stark" – die Erbärmlichen Gegenwärtigen.
Ich ertrage und trage euch, noch fand ich euch immer leichtgewichtig. Und selbst wenn ich unter meiner eigenen Last keuche, beladen mit mir selber, was thut es, daß ihr Käfer und Flügelwürmer euch noch auf mein Bündel setzt!
gegen die „Moral"
Und als ich statt des reinen „ich will" aus plumpen Mäulern mir „du sollst" entgegenrufen hörte, da begann meine Gefahr: ich haßte mein reines „ich will" aus plumpen Mäulern –
Ich vernichtete euer Gut und Böse, ich zerriß diese Stricke: so allein lernte ich die Liebe zu meinem Guten.
Schwarz und schwärzend ist die Kunst aller Taranteln: Taranteln aber heiße ich die Schwarzkünstler des Geistes, welche die Lehrer „der schlechtesten Welt" heißen.
Wenn es Götter gäbe, wie hielt ich's aus, kein Gott zu sein? Aber es giebt keine Götter.
Seine Seele jauchzt im Verborgenen darob, daß Rache noch in aller Gerechtigkeit geübt wird: und die meine darob, daß noch in aller Rache ein Funken vom Ambos der Gerechtigkeit abspringt.
In große Worte seid ihr verliebt wie in bunte Bälge: und auf Teppichen von Lügen versteht euer Fuß sich ein Fest zu machen, ihr Weichlinge! (Idealisten)
Ihr Mitleidigen, wenn ihr euch von der Höhe zu den Menschen herabwerft, was darf euch an gebrochnen Gliedmaßen gelegen sein!
Aber es schwieg: finster und doppelt schwieg es. Ach, ihr kennt sie nicht, die doppelte Stille, die Herzzerschnürende.
Alpa! schrie ich Die Furcht und Sehnsucht schrie aus mir: eine Stimme wollte ich wieder hören
Eine Stimme von Menschen her, wie sie ein Wind oder ein Vogel davon trägt.
Starker Wille? Das ist viel, doch nicht genug. Einen langen starken Willen brauche ich, ein herzenshartes ewiges Entschlossensein.
Wie dies Lachen mir die Fenster brach! Wie es mir die Eingeweide zerriß und das Herz aufschlitzte!
Das ist dein Unverzeihlichstes: du hast die Macht, und du willst nicht herrschen.
Siehst du denn nicht, wessen sie alle am meisten bedürfen? Das ist der, welcher befehlen kann.
Sie wollen Alle die Last nicht tragen des Unbefohlenen, aber das Schwerste leisten sie, wenn du ihnen befiehlst.
Selten ist der Wille, der Ungeheures fordert: leichter findest du den, welcher es thut.
Euch treibt noch kein starker Wind und Wille: zu steif steht ihr mir noch da und zu geraden Rückens.
Ach, daß ihr erst gerundet und gebläht über das Meer giengt, dem Segel gleich, und zitternd vor dem Ungestüm und Athem eines Willens!
Nun ist alle Luft erhitzt, Brand ist der Athem der Erde. Nun geht ihr Alle nackend, ihr Guten und Bösen! So hat der Erkennende sein Fest.
Ja, das ist die Welt ohne Kleider. Was hat die Erde beben gemacht? Sind es nicht die stillsten Worte eines Heiligen?
Kalt strömt jede tiefe Erkenntniß, eiskalt sind die innersten Brunnen: und also ist es Labsal allen heißen Händen und Handelnden.
Ich liebe das Brausen des schlechten Rufs: wie das Schiff den Widerspruch der Welle gern hört, durch den sein Kiel sich bricht. Leichter ist mir mein Weg, wenn um mich der Widerstand schäumt.
Aber wie ich von euch aufwachte und zu mir kam, so heiße ich auch euch wach zu werden und von euch aufzuwachen.
Und warum wolltet ihr nicht, auch – meine Brüder – „zu mir kommen?"
Nahe dem Quelle mit bescheidener Hand: so füllt er sie dir am leichtesten.
Erlöser? Binder waret ihr und Bändiger: das soll man euch zu Ehren sagen.
Heut bin ich Menschen-müde, heut sollen mir die Thiere lieb sein. Und händevoll Liebe habe ich heute an sie wegzuwerfen.
Ach, daß ich ein Säemann und Gärtner unter Thieren sein könnte! Wohl fände ich da noch Erdreich, auf dem Stolzeres wüchse als das Wesen, deß ich müde wurde.
Rede dein Wort nur! Zerbrich an ihm! Was liegt an dir und deiner Bescheidenheit!
Unberedbar ist meine Bescheidenheit.
Ihr wolltet beweisen, daß euer Großvater Recht hatte und daß die Wahrheit immer bei den Großvätern war.
Mehr Volk ist nämlich der Großvater stets als irgend ein Enkel.
Ihr blickt zurück, auch wenn ihr vorwärts geht: und oft muß man euch wider den Leib rennen.
Gern wohl baut ihr an der Stadt der Zukunft: aber dazu bestellt ihr die Grabmäler und Würden vergangener Welten.
13 [4]
„Tödte ihn, wenn du die Macht dazu hast" – rief Zarathustra auf eine furchtbare Weise abermals; und sein Blick durchbohrte die Gedanken des Königs.
Ich erkenne Zarathustra, sagte der König mit Lächeln: wer verstünde wohl gleich Zarathustra auf eine stolze Weise sich zu erniedrigen? Aber das, was du aufhobst, war ein Todesurtheil.
– und <er> las langsam daraus und mit halber Stimme, wie als ob er mit sich allein sei: des Todes schuldig – Zarathustra, des Volks Verführer.
– trat er nachsinnend einige Schritte zurück, bis hinein in die Nische des Fensters; er sprach kein Wort und sah auch Zarathustra nicht an. Endlich wendete er sich zum Fenster.
Du hast es gesagt, König: das Bild, das vor dem Volke hergeht, das Bild, an dem sie Alle zu Bildnern werden: das Bild soll dem Volke der König sein!
Es ist nicht mehr die Zeit für Könige: die Völker sind es nicht mehr werth, Könige zu haben.
Vernichten, vernichten sollst du, oh König, die Menschen, vor denen kein Bild herläuft: das sind aller Menschheit schlimmste Feinde!
Zertritt das Gewürm, das den Schaffenden –
Und sind die Könige selber solche, so vernichte oh König, die Könige, so du es vermagst!
Meine Richter und Fürsprecher des Rechts sind überein gekommen, einen schädlichen Menschen zu vernichten; sie fragen mich, ob ich dem Rechte seinen Lauf lassen wolle oder die Gnade vor dem Rechte.
Was ist das Schwerere zu wählen für einen König, die Gnade oder das Recht?
Das Recht, antwortete der König; denn er war milden Sinns.
So wähle das Recht und laß die Gnade den Gewaltmenschen, als ihre eigene Überwältigung!
Als er aber zum Fenster hinausblickte, da sahe er etwas, darob die Farbe seines Angesichtes sich verwandelte.
Zarathustra, sagte er mit der Höflichkeit eines Königs, vergieb, daß ich dir nicht gleich antwortete. Du gabst mir einen Rath: und wahrhaftig, ich hörte gern schon auf ihn! – Aber er kommt zu spät! – Mit diesen Worten zerriß er das Pergament und warf es auf den Boden. Schweigend giengen sie voneinander.
Was der König aber von seinem Fenster aus gesehen hatte, das war das Volk: das Volk wartete auf Zarathustra.
13 [5]
Nicht um das Recht kämpft ihr Alle, ihr Gerechten, sondern darum, daß eure Bild<er> vom Menschen siegen.
Und daß an meinem Bild vom Übermenschen alle eure Bilder vom Menschen zerbrechen: siehe, das ist Zarathustra's Wille zum Rechte.
13 [6]
An die Lehrer der Gleichheit.
Ihr wollt nichts davon hören, daß Einer über euren Köpfen wandelt. Und so legt ihr Holz und Erde und Unrath zwischen ihn und eure Köpfe.
Also dämpft ihr die Rede meiner Schritte.
Aller Menschen Fehl und Schwäche legt ihr zwischen mich und euch: Fehlboden heißt ihr das in euren Häusern
Aber trotzdem wandle ich mit meinen Gedanken über euren Köpfen: und selbst wenn ich auf meinen eignen Fehlern wandeln wollte, würde ich noch über euch sein und euren Köpfen.
Denn die Menschen sind nicht gleich – so spricht die Gerechtigkeit. Und was ich will, dürftet ihr nicht wollen.
Mit ihren Tugenden wollen sie ihren Feinden die Augen auskratzen: sie erheben sich, weil sie Andere erniedrigen wollen.
„Jetzt bin ich gerecht" „jetzt bin ich gerächt" – das klingt gleich und klingt oft nicht nur gleich!
Seine schlimmen Eigenschaften lassen es ihn entgelten, wenn sie sich haben von der Tugend überwinden lassen
In jeder seiner Klagen ist Rache.
Ich will alle eure Heimlichkeiten ans Licht bringen: darum lache ich euch ins Angesicht mein Gelächter der Höhe.
Mein süßestes Wort soll euch zum Sauerteig werden: ihr sollt mir gähren von Rache.
Und erst wenn ihr übergegangen über den Topf und aufgegangen seid in meine Bosheit, will ich euch schmecken und schmackhaft finden.
13 [7]
Die Götzen-Bildner.
Wenn euer Haß und eure Eifersucht einmal faul werden und ihre Glieder strecken: dann erst wird eure Gerechtigkeit munter und reibt sich die verschlafnen Augen.
Niesen sollt ihr mir ob meines Getränks: mein schäumender Wein soll eure Nase kitzeln und wollüstig machen.
Das Gelächter zu heiligen und wie ein buntes Gezelt über die Welt zu ziehn – und wenn ich euch schwärzere Nächte schaffen mußte, so brachte ich euch auch neue Sterne und neue Nachtherrlichkeiten.
Dem Rüssel gleich des Ebers soll mein Wort den Grund eurer Seelen aufwühlen: Pflugschaar will ich heißen.
So blind ihr schon seid: größer fand ich in euren Augen ihren Willen zur Blindheit.
Ach, ich kenne die blauen Fernen eurer Falschheit: und lieber als eure Lüge ist mir noch die Lüge dessen, der um sein Lügen weiß.
Schon dort, wo eure Redlichkeit aufhört, sieht euer Auge nichts mehr.
Die beste Maske, die wir tragen, ist unser eigen Gesicht.
Was ist es damit, daß sie die Götter nackt bildeten? – So sehnt sich der Südlichste noch nach neuen Süden.
13 [8]
Die Büßer des Geistes.
Bist du ein Stern? So mußt du auch wandern wollen und ohne Heimat sein, du Unstäter!
Nun steht er da, so mager in den Rippen, daß er sich über sich selber wundert.
Und also spricht er: „Hat wohl da ein Gott, als ich schlief, mir heimlich Etwas entwendet?
Wahrlich, genug entwendete er mir, sich ein Weibchen daraus zu bilden. Wundersam ist die Armut meiner Rippen."
Die Gerechtigkeit trat vor mich hin: da zerbrach ich meine Götzen und schämte mich
Einer Buße unterwarf ich mich: ich zwang mein Auge dorthin zu sehen, wohin es ungern sah – und Liebe dorthin zu tragen.
Und wer für sich selber Gift bereiten will, muß Handschuhe von Glas anziehn.
Ungerechter noch war mein Verehren als mein Verachten.
Die Feigen fallen von den Bäumen: sie sind gut und süß. Und indem sie fallen, reißt ihnen die rothe Haut. Ein Nordwind bin ich reifen Feigen.
Und im Stolz über eine Handvoll Gerechtigkeit begingt ihr Frevel an allen Dingen, und ertränktet die Welt mit den Wässern eurer Ungerechtigkeit.
Und was mir Geist einst hieß, ist mir nur noch gleichsam Geist.
Man kann im Meere vor Durst verschmachten und ebenso inmitten allzugesalzener Wahrheiten.
Wer zu weit geht, legt sich zuletzt sogar auf Schnee schlafen – aus Müdigkeit.
Gewissensbisse erziehn zum Beißen.
Mitunter siegt wirklich die Wahrheit: irgend ein Irrthum hat für sie gekämpft.
Der Mensch ist das Thier mit rothen Backen: der Mensch ist das Thier, welches sich zu oft hat schämen müssen.
Lüstlinge giebt es des Geistes: es giebt auch Büßer des Geistes.
13 [9]
Der kürzeste Sommer.
Zu heftig strömte bisher mein Quell: er leerte immer zugleich den Becher, dadurch daß er ihn füllen wollte.
Dies Alles ist noch April und Mai und Juni: und wie ich bin, nahe dem Schnee, nahe den Adlern, nahe dem Tode werde ich einen Sommer haben, kurz, heiß, schwermüthig und überselig.
Ach über die zögernde Trübsal meines Frühlings! Ach über die Bosheit meiner Schneeflocken im Juni!
Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele ist ein springender Brunnen.
Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden.
Wenn ich dunkel wäre und nächtig, wie wollte ich nach Licht dürsten und Licht trinken!
Ich würde euch segnen, ihr kleinen Funkelsterne und Lichtwürmer und hinunterschlucken.
Aber nun bin ich ganz vom Licht umgürtet und verschwende es um mich: Ach, ich kenne die Lust des Nehmens nicht.
Und oft sagte ich mir „Stehlen ist wohl noch seliger als nehmen?" – so redete ich aus großer Ferne.
13 [10]
Wo ich Leben sah, fand ich Willen zur Macht: und auch noch im Willen des Dienenden fand ich Willen zur Macht.
Man unterwirft sich dem Großen, um über Kleine Herr zu sein: diese Lust überredet uns zur Unterwerfung.
Was nicht ist, das kann nicht wollen! Was aber Dasein hat – wie könnte dies noch – „zum Dasein wollen!"
Ihr meint, die Dinge zu kennen und alle Dinge: so setzt ihr Werthe an und Gütertafeln. Dies ist der Aberglaube aller Schätzenden
Ihr seid mir nur ein Fluß, auf dem ein Nachen weiterschwimmt: im Nachen aber sitzen die vermummten Werthschätzungen, die feierlichen.
So beginnt die ehrliche Wissenschaft: sie fragt: was ist? und nicht: was ist es werth?
Was für den Menschen da ist, so daß der Mensch erhalten bleibt: das ist unsre Grenze.
Auch dein Ideal ist noch nicht deine Grenze: weiter reicht deine Kraft als die Sehnsucht deines Auges.
Die Sonne gieng lange schon hinunter, die Wiese ist feucht, von den Wäldern her kommt Kühle: ein Unbekanntes ist um mich und blickt nachdenklich auf mich hin. Wie, du lebst noch! Warum lebst du noch?
Was uns von innen her bewegt, das staunen wir an, als unbegreiflich: nun erfinden wir Ton und Wort dafür – und nun meinen wir, auch, es sei begreiflich worden. Dieser Aberglaube ist in Allem, was tönt: der Wahn des Ohres.
Wille zur Wahrheit? Oh meine weisesten Brüder, das ist ein Wille zur Denkbarkeit der Welt!
Sichtbar werden soll auch die Welt im Kleinsten noch: dann meint ihr zu begreifen: das ist die Thorheit des Auges.
Reden wir davon: ob es gleich schlimm ist; davon schweigen ist fürchterlich!
Andere Meere sah ich, unglaubwürdig schien mir ihr Blau, eine Schminke schien es mir auf zottigen Häuten: grau und gräßlich floß das Blut darunter. Aber hier ist das Blut des Meeres – blau.
Nichts ist kostspieliger als ein Falscher Wahn über Gut und Böse!
„Der gute Mensch ist unmöglich: im Leben selber ist Ungüte Wahn und Ungerechtigkeit. Und dies wäre der letzte Wille zur Güte, alles Leben zu verneinen!"
Mit eurem Gut und Böse habt ihr euch das Leben verleidet, euren Willen müde gemacht; und euer Schätzen selber war das Zeichen des absteigenden Willens, der zum Tode sich sehnt.
13 [11]
Der Weg durch viele Seelen.
Ich komme daher wie ein starker Wind: und diesen Rath rathe ich meinen Feinden: hütet euch gegen den Wind – zu spein!
Durch hundert Seelen ging ich meinen Weg, manchen Abschied nahm ich schon, ich kenne die herzbrechenden letzten Stunden.
So aber will es mein Schicksal. Oder daß ich euch redlich rede: solch Schicksal will – mein Wille!
Wer ein Finder seiner selber werden will, muß lange als ein Verlorener gelten.
Wann war je ein großer Mensch sein eigner Anhänger und Liebhaber? trat er doch eben von sich bei Seite, als er auf die Seite – der Größe trat!
In dunkle Gewitter will ich verschwinden: und für den letzten Augenblick will ich Mensch zugleich und Blitz sein!
Wohl zog ich den Schluß: nun zieht er mich.
Vorüber rauschte die Welle: das Kind weint, weil sie sein Spielzeug mit in die Tiefe riß.
Aber dieselbe Welle schüttet ihm hundert neue Spielwerke aus im weißen Sande. Also weint mir nicht ob meinem Vorübergehen!
Und ewig, gleich des Ringes Durst, ist auch mein Durst nach mir: sich wieder zu erreichen, ringt und dreht sich jeder Ring.
Herrisch kam das Erlebniß: aber mein Wille sprach: da lag es schon bittend auf den Knien.
Manchen Abschied nahm ich schon, aber ich warf nicht die Thüre zu: so hörten eure stumpfen Ohren nichts davon.
13 [12]
Von den Freisprechenden.
Daß ein Blitz in eure Speisen schlüge und eure Mäuler eine Zeitlang Feuer fressen müßten!
Einen Fisch wolltet ihr fangen, und warft euer Netz ins Meer. Aber da zogt ihr eines alten Gottes Kopf herauf.
Also gab euch den Hungrigen das Meer einen Stein: da ließt ihr davon.
Da liegt immer die Göttin: träge und tückisch schleicht die Welle um ihre weißen Brüste.
Halb begrub sie der Sand und halb die Ehrfurcht der Welle.
Eure Sprüche und kleine Wahrheiten wuchsen wohl in der Nähe der Sümpfe? Immer doch höre ich aus ihnen einen Frosch quacken!
Ihr seid geschickt und habt kluge Finger: aber ihr versteht es nicht, eine Faust zu machen.
Erst wenn sich eure klugen Finger in eure Faust verkrochen haben, will ich an eure Kraft glauben.
Werkzeuge und Uhren seid ihr mir und nicht mehr! So will ich euch mit meinem Spotte aufziehn und ihr sollt mir dabei schnurren.
„So war es immer! So wird es immer sein!"
Und lieber noch will ich auf Ochsenhäuten schlafen als auf den Betten eurer Bequemlichkeit.
Man weiß von Jedermann Etwas zuviel.
13 [13]
Gegen die Mittler.
Allem Reinlichen bin ich hold: wie könnte ich euch Versöhnern hold sein!
All ihr Mittler und Mischer, ihr Halb- und Halben, ihr hochgespannten Versöhner – ihr seid nicht reinlich!
Wie sich göttlich hier die Gewölbe und Bogen brechen, im Ringkampfe: wie mit Licht und Schatten sie wider einander spielen, die göttlich Spielenden:
Also sicher und schön laßt uns auch Feinde sein, meine Freunde! Göttlich – wollen wir wider einander spielen!
Ihr Verdunkeler, ihr fragt, was aus euch wird, wenn ihr die Wahrheit sagt –
aber die Wahrheit soll die Welt zerbrechen, damit die Welt gebaut werde!
Man soll sein Herz erziehen: dadurch daß man es bezwingt.
Wer sein Herz gehen läßt, dem geht bald der Kopf durch.
Es ist vornehm, sich seiner besten Dinge zu Schämen, weil wir sie allein haben.
„Ich ärgere mich: denn du hast Unrecht" – so denkt der Liebende.
Ich liebe das Leben: ich verachte den Menschen. Aber um des Lebens willen will ich ihn vernichten.
13 [14]
Gesellen und Gesellschaften.
Euch, ihr Gegenwärtigen, nehme ich nicht zu ernst: dünn und durchsichtig seid ihr mir!
Zerrissene Schleier, durch welche die Zukunft blickt; halboffene Thüren, an denen Todtengräber warten!
Und wie wollte ich unter euch leben, wenn ich nicht schaute, was vor euch ist!
Nöthig fand ich euch nicht, nicht einmal überflüssig dünkt ihr mir: wenig ist an euch – zum Überfließen!
Ihr rauscht gegen mich auf, denn ich schlage euch mit meinem Ruder: und doch müßt ihr meinen Nachen in die Unsterblichkeit tragen.
Und manches Weib sprach zu mir: „Wohl brach ich die Ehe: aber zuerst brach mich die Ehe."
Und wenn ich euch von Grund aus lieben soll, so müßt ihr mein Kind oder Werk sein.
Wer uns nicht fruchtbar macht, wird uns sicher gleichgültig.
Man handelt wohl für seinen Nächsten, aber man schafft nicht für ihn.
Zu stolz und scheu ist noch dein Wille! wenn du gut fahren willst, so spanne dir ein Eselein vor die Rosse deines Willens!
Bienenstöcke werden sie bauen gleich Thürmen von Babel
13 [15]
Neue Lebensweisen.
Was sind mir eure Vater- und Mutterländer? Ich liebe allein meiner Kinder Land, das unentdeckte, nach dem ich meine Segel übers Meer laufen und suchen heiße.
An meinen Kindern will ich gut machen, daß ich meiner Väter Kind bin: und also die Vergangen<heit> erlösen.
Wunsch sein von Grund aus und ein Vogel nach fernen Küsten: das ist mir Glück.
Ob die Wahrheit euch oder mir nützt oder schadet – was gehts mich an! Laßt uns Menschen schaffen, denen die Wahrheit nützt!
13 [16]
Von den Schauspielern.
Ist nicht das Meer der Pfau der Pfauen? Noch vor dem häßlichsten aller Büffel rollt es seinen Schweif hin, nimmer wird es seines Spitzenfächers von Silber und Seide müde.
Trutzig blickt der Büffel dazu, dem Sande nahe in seiner Seele, näher noch dem Dickicht, am nächsten aber dem Sumpfe: was ist ihm Schönheit und Meer und Pfauenzierath!
Dieses Gleichniß gebe ich euch den Schauspielern. Wahrlich, euer Geist selber ist der Pfau der Pfauen und ein Meer von Eitelkeit.
Zuschauer will euer Geist: solltens auch Büffel sein!
Ihr spielt: und wollt, daß euren Spielen zugeschaut werde – euch Alle heiße ich Schauspieler.
Ob ihr euch selber als Dichter preist oder als Tänzer, ob ihr des Volkes Stimme euch nennt und die Diener der gemeinen Wohlfahrt:
Ob ihr lehrt oder malt oder tönt oder das Spiel „Schwarz auf Weiß" spielt, das armselige:
Eine Satzung und Gier spricht aus all eurem Thun: „ich will mir einen Namen machen! – so spricht sie.
Der Glaube macht selig – so sagt ihr Alle – zumal der Glaube an uns!
Ich horchte auf Wiederhall, aber ich hörte nur Lob.
Ich wollte sie bauen und aufbauen – aber das Gesindel will gerade umgeworfen werden!
Viel von sich reden ist auch ein Mittel sich zu verbergen.
13 [17]
Von den Taranteln.
Hier ist der Tarantel Höhle: willst du sie sehn? So summe das Gesumm einer Fliege.
Hier hängt ihr Netz: rühre daran, daß es erzittert.
Du bist mir eine Tarantel: und schwarz sitzt auf deinem Rücken dein Dreieck und Wahrzeichen.
Beiße mir diese Oberflächlichen mit deinem giftigsten Bisse, daß ihre Seele erst Tiefe und Schwermuth und schwarzen Schorf erhalte.
Zu weit hinein flog ich in die Zukunft, ein Grauen überfiel mich.
Und als ich um mich sah, siehe, da war die Zeit mein einziger Zeitgenoß. Da sehnte ich mich nach euch, den Gegenwärtigen!
Schwarz und schwärzend ist die Kunst aller Taranteln: also heiße ich die Schwarzkünstler des Geistes, welche die Lehrer „der schlechtesten Welt" sind.
Willst du alles Gerade dir krumm machen? So denke, die Zeit sei hinweg und die Vergangenheit sei eine Lüge.
Dies zu denken ist der schlimmste Wahnsinn, und Tarantel-Gift. Ein Wirbel wird es selbst deinem Gebein sein und ein Erbrechen deinem Magen.
13 [18]
Von den Dichtern.
Das Unvergängliche – das ist nur ein Gleichniß; und die Dichter lügen zuviel.
Sie wissen auch zu wenig und sind schlechte Lerner: so müssen sie schön lügen.
Und am liebsten sind ihnen Wolken: darauf setzen sie ihre bunten Bälge und heißen sie Götter.
Und wenn sie im Grase liegen unter Bäumen, und ihnen zärtliche Regungen kommen: so meinen sie immer, die Natur selber sei in sie verliebt.
Und sie komme, ihnen Heimliches zu sagen und Schmeichelreden; ja die Dichter blähen und brüsten sich ob solcher Vertraulichkeit vor allen Sterblichen.
Er sinkt und seine Teufel ziehn ihn: aber je mehr er sinkt, um so glühender leuchtet sein Auge und die Begierde zu seinen Göttern.
Ich weiß euch zu reiten und neue Sättel aufzulegen. Und wer sich auf das Pferd versteht, versteht sich wohl auch auf den Sattel.
Ihr Harfner und Dichter, was wußtet ihr bisher von der Inbrunst der Töne!
Gespenster-Hauch und -Huschen ist mir all euer Harfenkling-klang: mit dürren Händen rißt ihr in dürre Saiten!
Und wenn euch nicht die Sterne vom Himmel fallen wollen, so werft eure Sterne an den Himmel: und das sei eure ganze Bosheit!
Wir loben nur, was nach unserem Geschmack ist: d. h. wir loben, wenn wir loben, immer unseren Geschmack: was doch wider allen guten Geschmack ist!
Sie meinten kühn zu sein, wenn sie sagten: „es ist nichts mit allem Wissen".
hitzig nach Dingen, die sich alte Weiber erzählen
„Gelobt sei der Nichtswissende und geistig Arme!"
was nicht mehr in eurem Hörer ist, darnach macht ihr ihm Sehnsüchte und Gewissensbisse: aber ich sage euch: ihr solltet ihm nach dem „Noch-Nicht" Durst machen!
Wer schafft, liebt sich selber darin; so muß er sich auch am tiefsten hassen – er ist ausschweifend in diesem Hasse.
„Gelobt seien die geistig Armen, sonderlich wenn es junge Weibchen sind!"
Wer von euch Dichtern hätte nicht seinen Wein verfälscht? Manch giftiger Mischmasch geschah in euren Kellern.
13 [19]
Unter Krüppeln.
Und leben will ich noch unter Krüppeln lieber als unter diesen vermeintlichen Ganzen. Voraus wirft die Vollendung ihren Schatten: Schönheit heiße ich diesen Schatten. Das Leichteste und Stillste aller Dinge kam zu mir als Schatten des Übermenschen. Auch Gott hat seine Hölle – sagte der Teufel: das ist seine Liebe zu den Menschen.
13 [20]
Von der Scham des Schenkenden.
Von dem Geschrei nach Gleichheit, gegen die Umstürzer
Von dem Rausche (Bußkrämpfe) Priester. Vom Freisprechen („historische Bildung")
Von der Redlichkeit der Erbärmlichen. Von den Genie's.
Von der Ehe auf Zeit. Ehebrecherin Von neuen Gesellschaften und Klöstern.
Vom Strafen als dem Feindsein gegen die Feinde.
Wollt ihr denn bezahlt sein?
Vernichtung der Moral.
Der Traum.
Kosmische Abhängigkeit. Vermenschlichung der Natur.
Erlösung von Erlösern.
Ihr müßt erst lernen, nach der Erkenntniß zu hungern.
Die Gottes-Mord-Büßer und ihr Fest.
Reinigung von der Rache.
Von der Indiskretion der Priester.
Jagd auf die häßlichen Wahrheiten.
Größte Todtenfeier – hin zur Unsterblichkeit
Die Entsagung vom Metaphysischen als Forderung der Tugend – als Aufopferung.
Die glückseligen Inseln. „Südlich".
Von der Bescheidenheit.
Werth der Pessimisten.
Wahnsinn des Gebenden.
Die Gelehrten.
Die Gegenwärtigen.
Gelächter der Höhe. Glück des Säemanns.
Stille des Heiligen.
Die Verführungen (Kind mit Spiegel)
Schönheit.
Mitleiden.
Idealisten.
die Frommen verführen
(Stirb Zarathustra!)
der Scheiterhaufen (Groß-Stadt)
13 [21]
Die typischen Leiden des Reformators und auch seine Tröstungen. – Die sieben Einsamkeiten.
Er lebt wie über den Zeiten: seine Höhe giebt ihm Verkehr mit den Einsamen und Verkannten aller Zeiten.
Er wehrt sich nur noch mit seiner Schönheit.
Er legt seine Hand auf das nächste Jahrtausend.
Seine Liebe nimmt zu und die Unmöglichkeit, mit ihr wohlzuthun.
13 [22]
1. Vorrede und erste Reden Zarathustras. Noch drei Theile:
2. Die Gelächter der Höhe. (Glück des Säemanns.)
3. Zarathustra sucht seine Verlorenen. (oder die 7 Einsamkeiten)
4. Mittag und Ewigkeit.
13 [23]
Die Eigenschaften des Übermenschen schrittweise sichtbarer werdend.
Die Gelächter der Höhe – die Höhlen S.A.'s.
Zur letzten Scene die Erscheinung bei Stromboli.
Rede des Weibes. „Wie gut du heilst, Heiland!"
Immer zehn Jahre dazwischen. Einsamkeit.
Beim Beginn des letzten Buchs erscheint ein Kind mit einem Spiegel in der Höhle Zarathustra's, als erstes Zeichen seines Siegs.
13 [24]
Lob der Vernunft und ihrer Kühle.
Als Schaffender es loben, daß unsre Weisheit als Thorheit, unser Reichthum als Armut entdeckt ist.
Durst! Wenn ich satt wäre, wozu sollte ich schaffen!
Rechtfertigung des Leidens.
Hochsommer im Gebirge.
süßer Geruch, Schwermuth, auf einen plötzlichen Tod,
Abend im Walde, wo Elfen laufen.
der große Mensch „fiel"
Hymnus auf das Organische. Zarathustra fühlt sich Allem Lebendigen verwandt in seinem Willen, tiefstes Verstehen der Natur und des Moralischen.
Zarathustra sagt „ich bin die Lust"
des Windes Mistral
der Elektrizität
der Höhe
des Jahreszeitenwechsels (Ring)
des reinen Himmels
der Morgenröthe
des Stromes
des organischen Lebens
Durst der Sonne nach <dem> Meere
Pflugschaar
(als Überredung)
Lebensweise: so sich zu nähren, daß wir uns nach unserem Bilde Schaffen. Die Wollüstigen Hassenden mögen Pflanzen essen.
13 [25]
Zuerst: Gelächter der Höhe. Traum. Nachspiel.
Gelächter über Erlöser und Mitleidige Mittler Versöhner sittliche Weltordnung („bezahlt") Idealisten „Götzen-Bildner" Umstürzer – Verneiner. Gespräch mit dem Feuerhund.
Dichter
Genies. Von den Pfauen.
Gelehrte
Gebildete
Freisprechende
Gleichheits-Socialisten
Pessimisten Tarantel „Schwarzkünstler des Geistes".
Metaphysiker
Erkennende – „Strom"
(„ich bin der Sarg voller Bosheiten und Larven des Lebens")
Gesellschaft
gegen „langes Leben auf Erden" – „Hochsommer" – „reiner Himmel"
Priester und Kirchen
Erhabene (für die Schönheit)
Krämer
Genügsame (Natur-Mystiker)
Eitelkeit der Reinlichen
Neugierige
Romantiker (Mond). „Wehmüthige" durch rasende Tänze zu heilen, Scham abwerfen und hinterher die Brücken zur Verstellung abgebrochen finden.
13 [26]
Es gab noch keine Übermenschen!
13 [27]
Schauspieler.
Taranteln.
Feuerhund.
Der Traum.
Freisprechende.
Büßer des Geistes
„Bezahlt"
Sommer im Gebirge.
neue Gesellschaft.
Lebensweise.
Durch viele Seelen
unter Stücken wandeln
die kühle Vernunft
Organisch – moralisch
Mittler.
Auf einen großen Todten.
13 [28]
Die Todtenfeier.
Von den Beschaulichen.
Von den Schauspielern.
Erlösung von den Erlösern.
Der Traum.
Von den berühmten Weisen.
Die Helden und die Schönheit.
Von den Taranteln. Hochsommer.
Gespräch mit dem Feuerhund.
13 [29]
Feuerhund.
Von den Taranteln.
Die Büßer des Geistes.
Unter Krüppeln.
Von den Freisprechenden.
Von den Predigern der Gleichheit.
Neue Lebensweisen.
Gesellen und Gesellschaften.
13 [30]
Das Kind mit dem Spiegel.
Das Nachtlied.
Das Tanzlied.
Der Wahrsager.
Die Todtenfeier.
Von den Göttern.
Von den berühmten Weisen.
Von den Erhabenen.
Von den Gegenwärtigen.
Von den Gelehrten.
Von den Beschaulichen.
Von Gut und Böse.
Die stillste Stunde.
Von den Priestern.
Von den Dichtern.
Von den Mitleidigen.
Vom Gesindel.
Von den Tugendhaften.
Von großen Ereignissen
Von der Menschen-Klugheit
13 [31]
Von den Taranteln.
Gespräch mit dem Könige.
Unter Krüppeln.
13 [32]
Von den Dichtern.
Von den Beschaulichen.
Die Todtenfeier.
Von der Menschen-Klugheit.
Vom Lande der Bildung.
Von den Gelehrten.
Von den Erhabenen.
Das Tanzlied.
Der Wahrsager.
Von Gut und Böse.
Unter Krüppeln.
Gespräch mit dem Könige.
Die stillste Stunde.
13 [33]
Von den glückseligen Inseln
Vom Gesindel.
Von den Taranteln.
Von den berühmten Weisen.
das Nachtlied.
das Tanzlied
das Grablied.
Von <der> Selbst-Überwindung.
Erhabene.
<Vom>Lande der Bildung.
unbefleckte Erkenntniß.
Gelehrte.
Dichter.
große Ereignisse.
Wahrsager
Erlösung.
M<enschen->Klugheit.
St<illste> Stunde.
13 [34]
Von den Beschaulichen.
Von den Gelehrten.
Von den Erhabenen.
Vom Lande der Bildung.
Von den Dichtern.
Von der Menschen-Klugheit.
Der Wahrsager.
Von der Erlösung.
Die stillste Stunde.
13 [35]
Von der unbefleckten Erkenntniß.
Von den Gelehrten.
Von den Dichtern.
Der Wahrsager.
Von großen Ereignissen.
Von der Menschen-Klugheit.
Von der Erlösung.
13 [36]
Das Kind mit dem Spiegel.
Von den Erhabenen.
Von den Beschaulichen.
Von den Priestern.
Von den berühmten Weisen.
Das Tanzlied.
Die Todtenfeier.
Die stillste Stunde.
[Dokument: Manuskript]
[Sommer 1883]
14 [1]
Philosophie der Zukunft.
Von der Unschuld des Werdens.
Leib und Geist.
Moralisch und Organisch.
Ein Jahrtausend der Versuche.
Kunst.
Die Freien und die Unfreien.
Erziehung und Ernährung.
Mann und Weib.
Der freie Tod.
Die neue Rangordnung.
Die Griechen als Menschenkenner.
Die Musik und die Philosophie.
usw. usw.
lauter Vorträge und Reden.
14 [2]
Vom Bösen: d. h. die niederen Wesen wollen ein Übergewicht über die höheren ausüben, dadurch daß sie die einzelne Eigenschaft des Höheren (z. B. sein Vertrauen) mißbrauchen. Das Böse ist: Mißbrauch der Tugend anderer Wesen, die höher geartet sind (Schmarotzerthum).
Eine organisirende Gewalt ersten Ranges z. B. Napoleon muß im Verhältniß zu der Art sein, welche organisirt werden soll (d. h. es kommt wenig darauf an, ob er „noble" Gefühle hat: genug daß er das, was an den Vielen das Stärkste und Bestimmendste ist, ganz und voll schätzt.)
Mißbrauch der zurückgebliebenen Eigenschaften des Anderen, im Ganzen Edleren – Schmarotzer. (Weiber)
Die Menschheit hat zur Natur im Ganzen das Verhältniß berechnender Nützlichkeit: aber was empört uns, wenn der einzelne Mensch den Anderen für sich ausbeutet? – Die Voraussetzung ist, daß er nicht werthvoll genug ist. Gesetzt aber, er gilt als werthvoll genug (z. B. als Fürst), so wird er zu ertragen sein und giebt eine Art Glück („Gottergebenheit")
Man wehrt sich gegen die Ausbeutung durch niedrigere Wesen als man selber ist.
So wehre ich mich gegen den heutigen Staat, Bildung usw.
Böse ist ein Urtheil über andere Wesen zunächst: nennen wir etwas an uns böse, so ist es ein Gleichniß – wir wollen einen von uns niedriger taxirten Trieb nicht den Herrn spielen sehn, – es ist noch lange nicht nöthig ihn zu negiren, aber er soll seinen untergeordneten Platz behaupten und nicht mehr!
14 [3]
An der Spitze der Staaten soll der höhere Mensch stehn: alle anderen Formen sind Versuche, einen Ersatz seiner sich selber beweisenden Autorität zu geben. (Das alte Gesetz bekommt erst seine Heiligkeit, wenn es an gesetzgeberischen Kräften fehlt.)
Alle niedrigeren Triebe müssen da sein und in einer frischen Kraft, wenn die höchsten bestehen und in Fülle bestehen wollen: nur muß die Herrschaft über das Ganze in fester Hand sein! sonst ist die Gefahr zu groß! – Im Hinblick auf diese Gefahr hat man die niedrigen Eigenschaften ganz tödten wollen (aber sich dabei betrogen: der Christ behielt seine Affekte bei, aber wendete sie anders, wie der Cyniker sein Schimpfmaul beibehielt)
oder sie „sanft" klug machen wollen und darum die höchsten impetus nicht mehr gutheißen mögen z. B. Epicuräer.
14 [4]
Die Menschheit hat noch viel mehr vor sich – wie könnte sich aus der Vergangenheit das Ideal überhaupt mehr nehmen lassen! Vielleicht immer noch im Verhältniß zum Jetzt, das vielleicht eine Niederung ist.
14 [5]
Der Mißbrauch der Macht durch die römischen Kaiser hat für Europa die Moralbegriffe verrückt: die Moral der Ohnmächtigen ist zum Siege gelangt: – Folge, eine ungeheure Falschmünzerei.
Die wahre Quelle hoher Empfindungen ist in der Seele der Mächtigen. Selbstzeugniß der Freude an sich und seinem Thun ist der Ursprung aller Werthschätzungen – Glaube an sich.
[Dokument: Heft]
[Sommer - Herbst 1883]
15 [1]
Nun, heitre Himmel der Ewigkeit berücken meine Sinne, der Tropfen Thau
Beschwörung des Gegners.
Werth des Menschen
1) die Fülle, Vielheit
2) die Gesammt-Macht
3) die Mittheilungs-Kraft
15 [2]
Ich hasse die Menschen, die nicht zu vergeben wissen.
15 [3]
Wenn nur Ein Augenblick der Welt wiederkehrte, – sagte der Blitz – so müßten alle wiederkehren
absolute Nothwendigkeit als Schild mit Bildwerken geschaut!
(cap<itel>) astronomisches Bild der Welt
(cap<itel>) Jenseits der Mitte des Lebens – das Leben ist geopfert.
15 [4]
Zarathustra's Consequenz ist daß der Mensch, um den Gedanken nicht zu fühlen, zum Thier zurück sich bilden muß.
Oder zum Übermenschen (Züchtung durch Wahl des Ortes Geschlechter Nahrung usw.) Bruch mit der Vergangenheit (unhistorische Denkweise nothwendig für ihn eine Art „Volk" bilden
den Irrthum nicht loswerden! als Lebensbedingung!
NB. Tragödien im Leben aufführen und sie genießen
15 [5]
Auflösung des „freien Willens" und der Verantwortlichkeit in ein Vorhersagen und einen Grad von Wahrscheinlichkeit nach unserer Kenntniß von uns selber.
Mein Grauen über den „Schuldigen" ist Grauen, mich als Vorhersager getäuscht zu haben.
15[6]
Zarathustra will keine Vergangenheit der Menschheit verlieren, alles in den Guß werfen. Verwandlung der Kraft.
15 [7]
Zarathustra III. A) plötzlich über sich hellsichtig. Was schenken! Was die Menschen glücklich machen! Was Freunde! Was Liebe! Stolz ist es, daß er Wahrheit redet! Seine große Verachtung kommt.
1(cap<itel>) er sucht seine Thiere und findet sie nicht mehr. Verzweiflung des Einsamen. Kann nicht mehr zurück!
2(cap<itel>) Versuchung des Selbstmordes
3(cap<itel>) Reue. Vergessen der Vergangenheit. Befehlen als Versuch und Würfelspiel.
In der letzten Rede muß sich auch das Grablied erfüllen! – z. B. die gute Stunde
sich den Schaffenden Erntenden Feiernden zugesellen das geschieht in dem Ausrufe: was habt ihr gethan ?
4 cap<itel> Gewitter Regenbogen Löwin – Tauben
Zuletzt: Willst du?
„Nicht ich – aber ich möchte schaffen den, der sagt: Ja."
Zuletzt kommen die Thiere am Himmel (Stolz und Klugheit kehren zurück)
(cap<itel>) IV Festordnung, aus dem ganzen System der Weltbetrachtung her
Jedes Capitel in <Zarathustra> 3 schließen: „Zarathustra, willst du dies noch einmal?"
15 [8]
Moldenhauer
Scott Noster-Abt
Haller altspan.
Pindar
Coleridge.
Zinzendorf
v<on> d<er> Goltz
Meister E<c>kart und Mystiker
Swedenborg
15 [9]
Zarathustra 3 als vulkanischer Ausbruch.
Zarathustra 4 „ich bin Einer, dem man Schwüre schwört."
Der Mensch ist etwas Flüssiges und Bildsames – man kann aus ihm machen, was man will.
30 Jahre fest bleiben.
Zarathustra 4. der Sonne gleich sollt ihr sein – und was thut nicht die Sonne!
15 [10]
Typus des Gesetzgebers.
seine Entwicklung und seine Leiden.
Welchen Sinn hat es Gesetze geben?
der allgemeine Typus des G<esetzgebers>, der vielen Gesetzgebern der Herold ist.
Hauptlehre: auf jeder Stufe es zur Vollkommenheit und zum Wohlgefühl bringen – nicht springen!
Erst die Gesetzgebung. Nach der Aussicht auf den Übermenschen auf schauerliche Weise die Lehre der Wiederkunft: jetzt erträglich!
15 [11]
im Geistigen fehlt Ursache und Wirkung (Spiegel)
15 [12]
Jeden tiefen Sonnenglanz und Behagen als Gleichniß und Vorzeichen zu genießen – nicht an sich!
weil wir ein Wesen Schaffen sollen, an dem alles sich erblindet.
15 [13]
(cap<itel> Feste anordnen
Fest der kosmischen Bezeichnungen
Erdefest
Freundschaftsfest
gr<oßer> Mittag.
Grabe, Wurm!
Oh, wie wollte ich dem fluchen, wenn er irgend einem Menschen – ähnlich wäre!
Aber nicht einmal die Erleichterung des Fluches!
Hohn über „Vertrauen zum Leben"!
15 [14]
Zarathustra 4 Lehre der Mitfreude.
Zarathustra 3. Anfang. Mein vorzeitiges Glück schuf mir Wolken und Schatten
15 [15]
Ich will Apostel und noch keine stillen Winkel und Gemeinden.
15 [16]
Brause Wind, Brause! Nimm alles Behagen von mir!
15 [17]
gefoltert von meinem Glück – es ist sonst gleich wieder vorbei!
Ich werfe die Angel über mein Haupt, weit hinaus ins Meer der Zukunft
Zarathustra 3. gegen die Behaglichkeit des Weisen – gegen die „fröhliche Wissenschaft"
Der Untergang der glückseligen Inseln weckt ihn! Glück
In seinem Mißerfolge. Größtes Leid bei der Einsicht, den bisherigen Ertrag des Lebens verloren zu haben: der ganz große Mißerfolg! – Endlich beschließt er seine Lehre hundertfach zu lehren!
15 [18]
Du hast dir das Menschliche verleidet? Aber um des Menschen willen nein!
Nun bin ich hellsichtig, mein diamantnes Schwert zerhaut jede Finsterniß. Zu lange war ich hellsüchtig.
Ein unendlicher Prozeß kann gar nicht anders gedacht werden als periodisch
3. Warum triebst du sie nicht auseinander? Sie hatten sich gefunden, nun, es war an der Zeit Andere zu suchen.
Gute Tage müssen auf guten Füßen gehn.
15 [19]
Gesetze als Rückgrat – an ihnen arbeitend und fortschaffend
Zarathustra giebt das Muster wie man sich zum Gesetze zu verhalten hat, indem er das Gesetz der Gesetze die Moral aufhebt durch höhere
die Erfüllbarkeit größer als vorher (dem Individuum die Deutung zugänglich)
NB. es muß erfüllbar sein <und> aus der Erfüllung muß ein höheres Ideal und dessen Gesetz wachsen!
15 [20]
Sobald ihr glaubt, es gäbe neben der absoluten Causalität noch einen Gott oder einen Zweck – so ist der Gedanke an die Necessität unerträglich.
15 [21]
Zarathustra 3. Der böse Dämon aus Güte ist die Consequenz jeder Teleologie.
Zarathustra 3
– Hym<nus> Bescheidenheit
– Hym<nus> Einsamkeit
Erfolglosigkeit und ihr Trost.
zum Schluß.
Zarathustra ist selber der Weise geworden, der sich seiner Thorheit freut und der Arme, der sich seines Reichthums freut.
der Thor und der glückliche Arme – als Besitzer der ungeheuren Seligkeit der Hoffenden und Sehnenden und Wahrsagenden
Zarathustra 3. Ich verbarg den schlimmsten Einwand gegen das Leben: es ist, auf die Dauer, langweilig
der neue Heilige die Natur heiligend
der neue Künstler.
Die Erlösung der Bösen
Zarathustra 3.
Herrschen? gräßlich! Ich will nicht meinen Typus aufnöthigen. Mein Glück ist die Vielheit
Problem!
Zum agon aufrufen! gerade die, welche sich gern verstecken möchten, die Stillen, Frommen, – Bewerbung um Herrschaft!
Einsamkeit nur Mittel der Erziehung!
gegen alle bloß Genießenden!
Auch die Einsamkeit fällt unter diesen Gesichtspunkt!
Selbstüberwindung und alle Tugend hat gar keinen Sinn außer als Mittel zur Ausbildung der herrschenden Kraft.
15 [22]
Zarathustra 3 zur Verführung der Herrschsüchtigen, Vornehmen – tiefste Verachtung der Bequemen Ruhesüchtigen
15 [23]
Mein Freund, du bist wie der Kork, gemacht für das Licht und für die Oberfläche aller Meere – man hieß dich einen Glücklichen
15 [24]
Zarathustra 3 ja, wenn du das könntest! Z<arathustra> –
Zarathustra 3. er preist die Umfänglichkeit der Seele – er hat an allen guten und bösen Dingen geleckt.
15 [25]
Ich liebe mich mit einer schlechten und wankelmüthigen Liebe – und mitunter denke ich, ich verdiene wohl eine bessere Liebe, als ich sie mir schenke.
15 [26]
Eure falsche Liebe zur Vergangenheit ist ein Raub an der Zukunft (göttliche Herkunft der Werthe)
15 [27]
Zarathustra 3. wenn du auch nur dein Ideal willst, mußt du alle Welt dazu zwingen.
du erniedrigst deine Handlung, wenn sie nur um eines Zwecks Willen gethan wird
Die Masse muß man zu ihrer Vernunft zwingen und selbst zu ihrem Nutzen noch peitschen
Zarathustra – ich verlernte das Mitgefühl mit mir.
das Selbst vergessen. Emerson p. 237.
Zarathustra 3
der Schenkende der Schaffende der Lehrende – das sind Vorspiele des Herrschenden.
Welchem Unglück bin ich nicht gewachsen? Man erlebt immer nur sein Unglück.
Zarathustra 3 . gegen die Autorität. Als keine Stimme mehr redete, machtet ihr ein Gesetz daraus.
Zarathustra 4. Eine Kraft, die du denken kannst, muß endlich sein und bestimmt – aber unvergänglich.
15 [28]
Man soll seine Feinde nicht segnen: aber es kommt die Zeit, wo man keine Freunde mehr hat, und dann segnet man noch, daß man ihnen nicht fluchte !
15 [29]
Jeder Gedanke, wie die flüssige Lava, baut um sich selber eine Burg und erdrückt sich mit „Gesetzen".
15 [30]
Nicht mein Meer fällt, mein Land wächst, meine neue Gluth hebt es empor.
Selig der, welcher über seinen Erfolg hinauf wächst.
An diesem Gedanken ziehe ich die Zukunft hinter mir her.
Aus alten Sternen-Trümmern einen neuen bilden.
15 [31]
Nicht den Menschen wohlzuthun – das Dasein selber zu vollenden, mich als Vollender zu schauen
3. Der grösste Schmerz: die nutzlose Vergeudung Zarathustra's als ewig wiederholt.
Lösung: noch einmal versuchen!
Nicht ihre Sünden und Schwächen, sondern alle ihre Vollkommenheiten trug ich, als ich am meisten von allen Menschen litt.
15 [32]
(cap<itel>) Vom Glück des Weisen an seiner Thorheit (das Nichtwissen der letzten Ergebnisse –)
(cap<itel>) Vom Reichthum des Armen (die ewige Sehnsucht)
15 [33]
Egoism und Individualism
Egoismus fälschlich nach Berechnung, Calcül und den Altruismus als unberechnend bezeichnend aber den kalten Calcül auf Seiten des Staatsmannes auch!
15 [34]
der mich mit unsichtbaren Blitzen anbläst.
Du wolltest schenken aus deinem Überflusse: aber wie du ein Schaffender sein mußt, mußt du auch dich selber wegschenken.
Und wahrlich, du selber bist das Beste aus deinem Überflüssigen
Da liegt ein solcher, der sich sein Recht <zu> nehmen weiß – wer wäre da, der es dem geben könnte!
Wie könnte ich den Menschen um des Menschen willen lieben!
15 [35]
3. Zarathustra meine Sünden bringe ich dir zum Opfer und werfe es auf dich (erschüttert)
an den Gedanken – Gott – Hammer
Stehst du hoch genug, so mußt du erziehen, zu Dir hinauf ziehen!
Hinrichtung der Götter.
(cap<itel>) Lob der urbestimmten Natur
15 [36]
Wo Gefahr ist, bin ich dabei und wachse aus der Erde.
Unter dem Feuer der Geschütze exerciren, die nach einem fernen Ziele hinwegschießen.
„Ein Reisender in Waffen, ungeduldig, daß ihn jemand aufhalten könne."
Man soll weder den Sieger noch den Besiegten ausruhen lassen, als Feldherr
gelassen werden, wenn die große Gefahr kommt.
„ich will es thun oder sterben"
„Ohne Zorn siegt man in nichts" Aristoteles.
schön und furchtbar anzusehen Zarathustra 4 Schluß.
Hinter den Heeren ein vernünftiges Schreckensregiment.
„die Irrthümer, die aus Gutmüthigkeit entstehen, sind in gefährlichen Dingen die schlimmsten" Clausewitz
Muth aus Ehrgefühl und Eigenliebe nicht zu verwechseln mit dem organischen Muth: ein Zwang, bei dem man viel von seiner Fähigkeit einbüßt.
„List besser als Gewalt".
„Wie klein ist diese Erde für einen großen Ehrgeiz!"
„Liebe zum Ruhm das wahre Verdienst eines Fürsten" Friedrich.
15 [37]
„Ich vertheile all mein Haben – nun habe ich nichts als die große Hoffnung übrig" Zarathustra 4
Zarathustra 4. Bedarf ich denn ihrer? Aber sie bedürfen meiner!
15 [38]
Gebräuche, die das Blut in Wallung halten und hart gegen den Anblick von Leiden machen, nöthig zur Erziehung.
Vernichtungstrieb, unerbittlich hart
15 [39]
Den Glauben der Menge achten und sie mit ihm gängeln – selber skeptisch man muß auch den Glauben beherrschen.
Vorsicht und Mißtrauen bezüglich der Sicherheit der eigenen Person schließt Todesverachtung nicht aus.
„wo sich's um's Leben handelt soll man nicht einmal seiner Mutter trauen"
Dies ist mein heimliches Panzerhemd.
„Täuschen ist Alles im Kriege" die Haut der Füchse.
„die Meinung ist die Hälfte der Wirklichkeit" Nap<oleon>.
Wo es sich um ein großes Wohl handelt, dazu soll man seinen Ruf aufsparen.
Adel List Kühnheit Tapferkeit Entschlossenheit Voraussicht Beharrlichkeit tiefe Überlegung
Absichtlichkeit des Wahns, Günstlinge der Götter zu sein, um auf die Massen zu wirken
Den Göttern zu Hülfe kommen!
„Die Menschen sind zu aufgeklärt, man kann nichts Großes mehr vollbringen" Nap<oleon>.
Vorherbestimmung aller Ereignisse. „Alle großen Dinge hängen an Einem Haar" Nap<oleon>
Ihr Temperament wirft sie aus der Passivität des Fatalismus hinaus „zu Pferde, den Säbel in der Hand, selbst zum Schicksal zu werden".
15 [40]
Mit „um zu" hat man einen Zwang geschaffen und die Freiheit vernichtet. Zur Erlösung von den Zwecken.
15 [41]
Der Vollkommene nützt so wenig mit Absicht als er mit Absicht schadet.
15 [42]
Ideal des Arztes
das Leben geopfert. Wie ein Ringkämpfer auf alles Andere verzichtet und nicht einmal des Sieges sicher ist
das epikurische Glück als das des Genesenden
15 [43]
Ich will meine Ereignisse haben, und sollte ich ihnen Gewalt anthun.
Sie wollen geliebt sein, diese Schwachen!
Nicht daß du den Götzen umwarfst, sondern den Götzendiener in dir –
Und muß ich schuldig sein, so will ich, daß alle meine Tugenden noch vor meiner Schuld auf den Knien liegen
Es liegt ein Glück im Schooß der Dinge, daß all mein Glück Schatten um seine Lichter wirft.
15 [44]
Schluß 3. Gefühl der Vergeudetheit und Resignation – „du bist zu früh"
Zarathustra 4. allgemeiner Ausbruch des moral<ischen> Sinnes, vulkanisch – man bedarf Zarathustra's
15 [45]
Zarathustra kocht in seinem eigenen Safte.
Seine Entschließung als größte Entscheidung über das Loos der Menschheit empfunden.
„das All zum Einklang zur Versöhnung und zur Erkenntniß bringen" die menschliche Seele das größte Kunstwerk darin.
Größtes Bewußtsein der Wichtigkeit!
das All sucht nicht seine Erlösung, aber es findet sie.
15 [46]
Zarathustra 3. Vorwärts, Lahmfuß Schleichhändler – oder ich springe usw.
so schrie es mich an.
Das Leben selber schuf diesen für das Leben schwersten Gedanken, es will über sein höchstes Hinderniß hinweg
Der Narr.
Der König. kommen als große Menschen in Verzweiflung
Das Weib.
15 [47]
das Volk wie das Kind kann nur glauben: was es glauben soll –
dieser gute Realismus der Betrachtung auch bei Rée in Betreff der Moral.
15 [48]
Zarathustra 4 die neue Rangordnung der Menschen
die schlechten (starken
usw. (schwachen
die vielfachen, mit dem Willen zum Leiden und Verirren und Versuchen, aus ihrer Bahn weichend, zurückkehrend – den ungeheuersten Weg nicht fürchtend
den Himmel frei zu machen.
Heitere Tiefe, wo selbst der Stern zum Flecken wird.
3 Problem: Mein Wille wohlzuthun (auch mir!) zwingt mich ganz zu schweigen.
Aber mein Wille zum Übermenschen heißt mich reden und selbst die Freunde zu opfern.
Zarathustra 4. Was uns schlecht gilt, ausbeuten der Schwachen, den Edlen verleiten zur That, der er sich schämen muß. Großer Fluch gegen die Freunde!
Ich lag im Sonnenschein: da kam eine schwärzeste Wolke. Wie ein Trichter lag sie über mir, aufgestützt gegen die Sonne.
Die Sonne selber war es, – – –
Dieser Gedanke springt über mich hinweg!
Zarathustra 3. Nach einigen Capiteln der Angst und Unschlüssigkeit Heraufbeschwörung des großen Gedankens.
Schluß: Ich habe den Hammer! – Glückseligkeit!
Und wenn das Gewürm euch Ekel macht, daß ihr einen Schritt seinetwegen schneller emporsteigt – – – so soll es zu Recht bestehen!
15 [49]
der kalte Egoismus – ausbeuten der Schwachen: warum geht es wider die Empfindung?
dieselbe Person wird von unseren verschiedenen Trieben verschieden empfunden
15 [50]
Erkennen, ein Wahn.
Auch die Naturgesetze nur lange Angewohnheiten.
Vorausgesetzt, daß einer einen starken Willen hat, so ist eine skeptische Philosophie die beste, um seinen Willen so gut als möglich zur That zu bringen.
Lauter Schnellzüge!
die Reichen zu warm gekleidet
Moralität der Schwachen als mimicry – „einnehmen" wollen.
15 [51]
die Mittel nicht um des Zwecks willen allein wollen!
Gewissen ist das Gefühl, in dem uns die Rangordnung unsrer Triebe zum Bewußtsein kommt.
15 [52]
Unbewußtes Gedächtniß
Behaglichkeit (als möglichst andauerndes Glück der alten Philosophen)
Gegen alle Metaphysik genügt Scepsis
15 [53]
Alle Seligkeit in die Scepsis (der Zweifel am Pessimismus) zu legen
15 [54]
(cap<itel>) der Un-Bequemliche als Lebensprincip (Eine Tugend!)
15 [55]
Beschränktheit des moral<ischen> Gesichtspunkts –
Jedes Individuum wirkt am ganzen kosmischen Wesen mit – ob wir es wissen oder nicht – ob wir es wollen oder nicht!
15 [56]
(cap<itel>) Schmelz- und Umschmelzprozeß des Frommen Priesters.
15 [57]
(cap<itel>) der Herolds-Aufruf an die Einzelnen (und ihre Ideale)
15 [58]
Gesetz für Gesetzgeber
Aus Betenden müssen wir Segnende werden!
15 [59]
die Herrschsüchtigen die – – –
15 [60]
Hartmann V<ermischte>
Schr<iften>
Ranke Päpste
Wellhausen
V<on> d<er> Goltz
Dreher
Moldenhauer
Zinzendorf
Bentham-Benecke
Der Buddhism von Kern
Leipzig Otto Schulze
[Dokument: Heft]
[Herbst 1883]
16 [1]
Die Natur muß nach Analogie des Menschen vorgestellt werden, als irrend, versuchend, gut und böse – als kämpfend und sich überwindend.
16 [2]
Drei Einsamkeiten giebt es, die des Schaffenden, die des Wartenden, die der Scham. – Ich weiß das Wort und Zeichen des Übermenschen; aber ich sage es nicht, ich verhehle es vor mir selber. – In Scham vor einer großen Wahrheit leben.
16 [3]
In Act II kommen die verschiedenen Gruppen und bringen ihr Geschenk. „Was thatet ihr?" – Sie sagen es. – „So ist es aus dem Geiste Zarathustras gethan."
Die Lehre der Wiederkunft wird zuerst das Gesindel anlächeln, das kalt und ohne viel innere Noth ist. Der gemeinste Lebenstrieb giebt zuerst seine Zustimmung. Eine große Wahrheit gewinnt sich zuallerletzt die höchsten Menschen: dies ist das Leiden der Wahrhaftigen.
Act I. Einsamkeit aus Scham vor sich: Ein unausgesprochener Gedanke, dem er sich zu schwach fühlt (zu wenig hart) Die Versuchungen, ihn darüber zu täuschen. Die Boten des ausgewählten Volks laden ihn zum Feste des Lebens.
Act II. Er wohnt incognito dem Feste bei. Er verräth sich, als er sich zu geehrt findet.
Act III. Im Glück verkündet er den Übermenschen und dessen Lehre. Alle fallen ab. Er stirbt, als die Vision ihn verläßt, vor Schmerz darüber, welches Leid er geschaffen.
Todtenfeier. „Wir tödteten ihn" – Mittag und Ewigkeit.
16 [4]
Der Mildeste muß der Härteste werden: und daran zu Grunde gehn. Dies das psychologische Problem.
Herrisch kam das Erlebniß: aber mein Wille sprach zu ihm – da lag es schon bittend auf den Knien.
Trägt nicht der Tänzer sein Ohr in den Zehen?
Noch lebt uns Zarathustra's Tugend! Ein Stern gieng unter im oeden Raume: aber sein Licht ist noch unterwegs und wandelt – und wann wird es nicht mehr unterwegs sein?
Willst du den Schreitenden zum Anstoß werden? So humple vor dem her, der Eile hat.
Auch was wir unterließen, webt am Gewebe aller Zukunft: auch das Nichts selber ist Weber und Webemeister.
Mancher wird seiner selber müde: und nun erst beginnt sein Glück, das ihm aufgespart war.
Niesen sollt ihr mir noch ob meines Getränkes, und meine schäumenden Weine sollen eure Nase kitzeln und wollüstig machen.
„Es giebt sich": sagt eure Bequemlichkeit? Nein, es nimmt sich und wird immer mehr sich nehmen.
16 [5]
Die tiefe Unfruchtbarkeit des 19. Jahrhunderts. Ich bin keinem Menschen begegnet, der wirklich ein neues Ideal gebracht hätte. Am längsten hat mich der Charakter der deutschen Musik zu hoffen verleitet. Ein stärkerer Typus, in dem unsere Kräfte synthetisch gebunden sind – mein Glaube. Anscheinend ist Alles décadence. Man muß dies Zu-Grunde-gehen so leiten, daß es den Stärksten eine neue Existenzform ermöglicht.
[1888 entstanden]
16 [6]
Keine Ungeduld! Der Übermensch ist unsre nächste Stufe! Dazu, zu dieser Beschränkung, gehört Mäßigkeit und Männlichkeit.
16 [7]
Thut gleich mir: nur der Thäter lernt – nur als Thäter werde ich auch euer Lehrer sein.
Daß ein Blitz in eure Speisen schlüge und eure Mäuler Feuer fressen lernten!
Mit seinen Flügeln peitscht der Stolz meines Adlers meinen Willen: aber an diesem Felsen bricht sich auch des Stolzes Brandung.
Bin ich nicht die Wetterscheide? Kommen alle Winde nicht zu mir und künden mir ihren Willen?
Im dunklen Gewitter will ich verschwinden: und für meinen letzten Augenblick will ich Mensch zugleich und Blitz sein.
Ihr rauscht gegen mich auf – aber was thut es! Ich schlage euch mit meinem Ruder: ihr müßt mir doch den Nachen zur Unsterblichkeit tragen!
Schlief ich je auf meinem Ruhm ein? Wie ein Bett von Stacheln war mir jeder Ruhm.
Vielleicht als Zarathustra III: Dies ist das Buch der sieben Einsamkeiten.
„Und nun glüht auch noch das Eis und die Unschuld meiner Gipfel."
Dürres Gras und Steppe seid ihr mir: aber ich will laufende Feuer aus euch machen und Verkünder mit Feuerzungen.
Gold blitzt ihm im dunklen Auge: ein goldner Kahn schwimmt drin auf schwarzen Gewässern.
Ihr seid klug und habt kluge Finger: aber erst wenn sich eure Finger in eure Faust verkrochen haben, will ich auch an eure Kraft glauben.
Ich weiß euch meine bunten Decken aufzulegen: und wer sich aufs Pferd versteht, versteht sich wohl auch auf den Sattel.
Noch gleiche ich dem Hahn auf fremdem Gehöfte, nach dem auch die Hennen beißen.
Es ist mehr Ungerechtigkeit im Verehren als im Verachten.
Wie hoch ich wohne? Niemals noch zählte ich, wenn ich stieg, die Treppen bis zu mir: wo alle Treppen aufhören, da beginnt mein Dach und Fach.
Man wird dich noch an den Haaren in deinen Himmel ziehn müssen!
Von besserem Stoffe dünkt ihr euch, ihr Schwärmerischen? Daß ihr euch nur nicht bloß besser auf Kleider und Verkleidung versteht! Ihr wißt euren Stoff besser zu bemänteln!
Bin ich sonst unsichtbar, so will ich doch an den Masten einsamer Schiffer und Entdecker sichtbar werden – als Flamme und Zeichen der Hoffnung.
Stand nicht die Welt still? Wie mit furchtbaren Ringeln umwand und band mich diese Stille!
Das Weib sagte: „wohl brach ich die Ehe. Aber zuerst brach mich die Ehe!"
Den, der uns liebt, zu verführen, daß er thut, worüber er Scham leidet vor sich und uns – das ist das Grausamste der Grausamen.
Und wenn dir nicht die Sterne vom Himmel fallen wollen, so wirf deinen Stern nach dem Himmel – das sei deine ganze Bosheit.
Und wer sich aus der Höhe zu den Menschen herabwirft: was darf dem an gebrochenen Gliedmaßen gelegen sein?
Ihr blickt zurück auch, wenn ihr vorwärts geht: und oft muß man euch wider den Leib rennen.
Ich horchte auf Wiederhall, aber ich hörte nur Lob.
Viel von sich reden ist auch ein Mittel sich zu verbergen.
Wer uns nicht fruchtbar macht, wird uns sicher gleichgültig.
Man handelt wohl für seinen Nächsten, aber man schafft nicht für ihn.
Mitunter siegt wirklich die Wahrheit: irgend ein Irrthum hat für sie gekämpft.
Schon dort, wo eure Redlichkeit aufhört, sieht euer Auge nichts mehr.
Seine schlimmen Eigenschaften lassen es ihn entgelten, wenn sie sich haben von der Tugend überwinden lassen.
Er überredet so, daß er die Gründe selber überredet, ihm nachzulaufen.
16 [8]
Daß Zarathustra die höchste Noth erreicht und damit erst sein höchstes Glück: er wird schrittweise unglückseliger und glücklicher. Im Augenblick, wo Beides aufs Furchtbarste contrastirt, geht er zu Grunde. Zum Plane.
16 [9]
„Dies sind die Reden Zarathustra's von den sieben Einsamkeiten" –: darin soll dargestellt werden, wie die Noth parallel wächst mit dem Glücke. Das Schenken, so wie das Schaffen
zeigt sein andres Gesicht. Die Härte in der Tugend: die Qual in Mitleid und Gerechtigkeit: die Vereinsamung und Heimatlosigkeit für den Freund der Kommenden: das Schaffen als ein Zaubern bringt eine Entzauberung mit sich in Bezug auf alles, was da ist: die Unlust an den höchsten Exemplaren entfremdet uns denen, an welchen doch gearbeitet werden muß: usw.
16 [10]
Mir die ganze Immoralität des Künstlers in Hinsicht auf meinen Stoff (Menschheit) zu erobern: dies war die Arbeit meiner letzten Jahre.
Die geistige Freiheit und Freudigkeit mir zu erobern, um Schaffen zu können und nicht durch fremde Ideale tyrannisirt zu werden. (Im Grunde kommt wenig darauf an, wovon ich mich loszumachen hatte: meine Lieblings-Form der Losmachung aber war die künstlerische: d.h. Ich entwarf ein Bild dessen, was mich bis dahin gefesselt hatte: so Schopenhauer, Wagner, die Griechen (Genie, der Heilige, die Metaphysik, alle bisherigen Ideale, die höchste Moralität) – zugleich ein Tribut der Dankbarkeit.
16 [11]
Es that Noth, mich von dem Wahne zu erlösen, daß die Natur verlernen müsse, Ziele zu haben.
Lösung von der Weltmüdigkeit: Dafür jetzt meine Lehre von der Erlösung des Menschen von sich selber.
„sie haben erkannt, und es ekelt sie zu handeln p. 35 Geburt der Tragödie. „sie rettet die Kunst – und durch die Kunst rettet sie sich das Leben." Grundgedanke. Mein weiteres Leben ist die Consequenz.
Künstler (Schaffender), Heiliger (Liebender) und Philosoph (Erkennender) in Einer Person zu werden: – mein praktisches Ziel!
Die Bescheidung: um Raum und Kraft und Muth zum Schaffen zu finden. (Begrenzung auf das Menschliche, im Gegensatz zu „Weltprozeß" und „Hinterwelt")
Um mir Freiheit von den alten Idealen zu schlaffen: wandte ich mich mit Wohlwollen hin nach den entgegengesetzten Idealen : ich suchte das Beste auch an dieser Zeit heraus.
Ich machte mich los: von der Bildung, von der bisherigen Art der Gelehrten
„Pessimist des Intellekts."
„intellektuales Gewissen" Entstehung: „das Wahre ursprünglich nützlicher und ehrebringender. Vermischte Meinungen und Sprüche p. 13.
Mein Hohn gegen die Weltprozeßler-Unbescheidenheit, mein Unglaube an einen „Trieb nach Erkenntniß in sich", ich ließ den historischen Sinn nur aus drei Trieben entstehen. – War alles schon vorhanden.
Haß gegen den Kantischen Obscurantismus, gegen die Kantische Lehre vom interesselosen Wohlgefallen und Schweigen des Willens.
16 [12]
Danke dem, der da nimmt!
16 [13]
Habe Mitleiden mit deinem Fuße, daß er nicht auf Moorast trete: Den, der seinen Freund verräth, sollst du nicht einmal mit dem Fuße treten.
16 [14]
Zur Überwindung der bisherigen Ideale (Philosoph, Künstler, Heiliger) that eine Entstehungs-Geschichte noth.
An Stelle des Heiligen-Liebenden stellte ich den, der alle Phasen der Cultur liebevoll-gerecht nachempfindet: den historischen Menschen der höchsten Pietät.
An Stelle des Genies setzte ich den Menschen, der über sich selber den Menschen hinausschafft (neuer Begriff der Kunst (gegen die Kunst der Kunstwerke)
An Stelle des Philosophen setzte ich den freien Geist, der dem Gelehrten, Forscher, Kritiker überlegen ist und über vielen Idealen noch leben bleibt: der ohne Jesuit zu werden, trotzdem die unlogische Beschaffenheit des Daseins ergründet: der Erlöser von der Moral.
Schopenhauer als Erzieher p. 60 „Erst, wenn wir in der jetzigen oder in einer kommenden Geburt, selber in jenen erhabenen Orden der Philosophen, der Künstler und der Heiligen aufgenommen sind, wird uns auch ein neues Ziel unserer Liebe und unseres Hasses gesteckt sein – einstweilen haben wir unsere Aufgabe."
Der Werth des Irrthums (Wahns)
des Vergessens
endlich der Werth des Bösen
der Feindschaft
16 [15]
Meine Differenzen mit Rée: Grundgegensatz Gebundenheit an ein Herkommen und Lösung davon – nicht „Egoistisch" und „Unegoistisch"
Es fehlt ihm der historische Blick für die außerordentliche Verschiedenheit in den Werthtafeln des Guten.
M<enschliches,> A<llzumenschliches> p. 79.
Andere Ableitung des Gerechtigkeitsgefühls und der Eitelkeit.
Ich bekämpfe den Gedanken, daß der Egoismus schädlich und verwerflich ist: ich will dem Egoism das gute Gewissen schaffen.
Ich behaupte, daß der Heerden-Instinkt das ursprünglich Stärkere und Mächtigere ist: daß das Individuell-Handeln (das Nicht-nach-dem-Herkommen-handeln) als böse empfunden worden ist.
sie sagen: nur als Gewohnheit etwas verwerflich finden – – –
Rée meint, der Nutzen sei etwas Geringeres: seine ganze Betrachtungsart steht unter dem moralischen Vorurtheil.
p. 47 „wenn bei den Strafen nichts daran erinnert, daß sie ein Abschreckungsmittel sind, so muß der Schein entstehn, als ob sie eine Vergeltung sind." Warum? Was ist denn Vergeltung? Er meint, das Gerechtigkeitsgefühl entstehe, weil etwas Vergeltung scheint. Aber der Begriff Vergeltung ist nicht untersucht. Auch, daß alle Strafe aus der Rache entsteht, übersehen.
„Handlungen, die nothwendig sind, können nicht vergolten werden" p. 49 Gewiß können sie das! Er meint, sie sollten es nicht, es wäre unbillig! d. h. er steht selber unter den moralischen Voraussetzungen.
Gerechtigkeits-Gefühl d. h. verlangen, daß ein vergeltendes Leid geschehe. – Nach Rée die Folge von 2 Irrthümern: 1) daß die Strafe Vergeltung scheint 2) daß man den Willen für frei hält.
Er meint, man würde nicht vergelten, wenn man den Nächsten für unfrei hielte. Nun denke man, was hier vergelten ist: zunächst hindern, hemmen, daß das Schädigen fortgeht. Man vergilt einem fallenden Steine nicht. – Er hat Recht.
Fehlerhaft ist bei Rée, das Gerechtigkeitsgefühl aus dem Strafen und nach dem Strafen entstehn zu lassen: während die Strafen aus ihm entstanden sind.
Unserem Schädiger muß vergolten werden, weil er das Bewußtsein unserer Macht gemindert hat: es ist ein Verbrechen an unserer Selbst-Schätzung.
Es genügt durchaus nicht: einen moralisch guten Zweck haben nur die das Wohl Anderer ihrer selber wegen wollen, sondern was für ein Wohl.
Ihn interessirt nur die Entstehung der Urtheile „gut" und „böse" – aber die bestimmte Beschaffenheit dieser Handlungen, ihre wirkliche Nützlichkeit (im Verhältniß zu der vermeinten) interessirt mich.
Moral zuerst Selbstverherrlichung des Mächtigen und der herrschenden Kaste.
Lust-Unlust sind Begleit-Erscheinungen, keine Zwecke.
16 [16]
Irrlicht auf einem Sumpfe.
16 [17]
Ersatz der Rache : sobald man begriffen hat, daß der Eingriff in unser Machtgefühl es war, was uns so kränkte, soll man darüber nachdenken, wie man sich eine Steigerung des Machtgefühls schafft. Es ist eine Geistes-Armut, dabei stehn zu bleiben, daß man den Schädiger selber schädigt und mehr schädigt. Dies ist aber noch der Fall bei unserem Strafrecht. Hier ist das Gemeinde-Machtgefühl beleidigt, wenn jemand das Gesetz bricht: eine kühne Unternehmung, eine noble Handlung zum Besten des Gemeinwesens könnte recht wohl dagegen gerechnet werden! Es sollten Einzelne einen Schaden so wieder gut machen, den andere Einzelne stiften: gleichsam als überschüssige Gutthäter. – Ist aber der Einzelne beleidigt, so soll er sich eine Stufe höher begeben und so sein Machtgefühl herstellen und erweitern. Die ganze Gemeinheit der Elenden soll ein Sporn und eine Leiter der Edlen werden. – Aber man soll nicht einzelne Handlungen vergelten: Handlungen sind Symptome des ganzen Wesens – es giebt keine einmaligen Handlungen. Sobald ich erkenne: „ein Mensch ist dessen fähig" – so ist meine Gesammt-Stellung zu ihm verändert: von jetzt ab gilt er mir als Feind und ich will ihn nicht nur bekämpfen, sondern vernichten. – „Er gehört nicht mehr zu uns" ist unsere Maßregel.
Mein Programm: Beseitigung der Strafe: für uns. Unsinn in der Wiedervergeltung. (Ist etwas Böse, so thut ja der Wiedervergelter ebenfalls das Böse.) Nicht abschreckend ist der Zweck, sondern sich schützen vor weiterem Schaden (nebst Ärger darüber, daß wir zu arglos waren)
16 [18]
Gegen Rée: wo Leid ist, da ist etwas gethan worden, was wider den Nutzen war – in der Natur, etwas Zweckwidriges.
16 [19]
Wenn es wahr ist, daß der Gesichtspunkt der Gemeinde Nützlichkeit den Werth des Uneigennützigen bestimmt hat: so bleibt jetzt noch zu fragen: ist das Urtheil wahr, berechtigt? Ist der Wohlwollende nützlich?
16 [20]
Wo Lebendiges ist, da giebt es plötzliche Explosionen von Kraft: das subjektive Gefühl ist „freier Wille" dabei. Die Zahl und die Mächtigkeit dieser Explosionen bestimmt zunächst den Werth eines Lebendigen: dann die diesen Explosionen gegebene Richtung. Wenn wir von „Motiven zum Handeln" reden, meinen wir immer nur „die Motive zur Richtung".
16 [21]
Ziel: Höherbildung des ganzen Leibes und nicht nur des Gehirns!
16 [22]
Über die Massen müssen wir so rücksichtslos denken wie die Natur: sie erhalten die Art.
16 [23]
Hinter meiner ersten Periode grinst das Gesicht des Jesuitismus: ich meine: das bewußte Festhalten an der Illusion und zwangsweise Einverleibung derselben als Basis der Cultur. Oder aber: Buddhismus und Verlangen in's Nichts (der Schopenhauerische Widerspruch zwischen Theorie und Praxis unhaltbar). Der ersten Gefahr ist W<agner> erlegen.
16 [24]
NB! Geschichte des höheren Menschen. Die Züchtung der besseren Menschen ist ungeheuer viel schmerzhafter. Ideal der dabei nöthigen Opfer bei Zarathustra zu demonstriren: Verlassen von Heimat, Familie, Vaterland. Leben unter der Verachtung der herrschenden Sittlichkeit (verachtet). Qual der Versuche und Fehlgriffe. Lösung von allen den Genüssen, welche die älteren Ideale boten (man empfindet sie theils feindlich, theils fremd auf der Zunge)
16 [25]
Der Genuß im Wehethun, weil es eine Steigerung des Machtgefühls mit sich bringt. am größten, wenn eine Verminderung vorherging – also in der Rache.
Der Genuß im Wohlthun ist auf ganz gleicher Basis erwachsen – und Großmuth ist eine sublimirte Rache und daher ein sehr großer Genuß.
16 [26]
Jedes Lebendige greift so weit um sich mit seiner Kraft, als es kann und unterwirft sich das Schwächere: so hat es seinen Genuß an sich. Die zunehmende „Vermenschlichung" in dieser Tendenz besteht darin, daß immer feiner empfunden wird, wie schwer der Andere wirklich einzuverleiben ist: wie die grobe Schädigung zwar unsere Macht über ihn zeigt, zugleich aber seinen Willen uns noch mehr entfremdet – also ihn weniger unterwerfbar macht.
16 [27]
Die moralische Werthschätzung bezieht sich zuerst auf die Unterscheidung von höheren und niederen Menschen (oder Kasten) Moral ist zuerst Selbst-Verherrlichung der Mächtigen: und in Hinsicht auf die Unmächtigen Verachtung. Nicht „gut" und „böse", sondern „edel" und „gemein" ist die ursprüngliche Empfindung. Dann erst werden die unterscheidenden Handlungen und Eigenschaften edel genannt, und die ihnen entgegengesetzten gemein.
16 [28]
Der Dieb handelt nicht, um den Genuß einer Macht zu haben, er versetzt sich nicht in die Wirkung hinein, die seine Handlung im Anderen hervorbringt. Ebenso wenig der Räuber, oder wer den Anderen tödtet, um ihm Etwas zu nehmen. Aber sie verrathen, daß sie sich vor uns fürchten, deshalb – – –
16 [29]
In wie fern ist Verletzung Unrecht? – Es entsteht bei der Verletzung das Bedürfniß nach Vergeltung: was ist das? Nicht zu verwechseln, das Gefühl, einen Feind erkannt zu haben, dem wir das weitere Schädigen unmöglich machen. Oder die Absicht, das uns Genommene zurückzuerhalten oder ein Äquivalent. Eine Erbitterung ist noch dabei. An sich wird der Feind nicht als schlecht empfunden: aber fast immer ist bei dem Verletzten ein Selbst-Vorwurf: wir waren zu sorglos, unsere Waffen waren nicht in Ordnung, wir hätten uns längst für gewarnt halten können usw. Dieser Verdruß über uns selber – also eine geringere Achtung vor uns – ist der Hauptgrund der Erbitterung in der Rache: und auch der Anlaß zur Feinheit in der Ausführung der Rache.
Daß Alles bezahlt wird und für jedes Ding ein Aquivalent existirt, hat die Phantasie dazu geführt, auch ein Aquivalent von Schaden zu erdenken: und von Vergeltung zu reden. Aber im Grunde ist es auf etwas Andres abgesehn, auf viel mehr als eine Abzahlung. Vergeltung ist nur eine Heuchelei und Schönfärberei des sich Rächenden. „Schuld".
Das Gefühl der Rachelust hört auf, wenn der Verletzer sich demüthigt, den Schaden gut macht: damit ist er besiegt.
Das Absichtliche im Schädigen ist ursprünglich nicht in's Auge gefaßt: sondern daß man beschädigt ist und um wie viel. Die Strafe folgt darauf. Das Schädigen wird vergolten – ist die älteste Form, nicht die feindselige Gesinnung. Die Empörung entsteht über die Schädigung also über den Erfolg des Feindes, nicht über die Feindseligkeit. Es ist das Gefühl des Besiegten – das Verlangen nach Vergeltung: nicht das Gefühl, daß Unrecht geschehn sei.
Rache, das Verlangen nach Vergeltung ist nicht das Gefühl, daß Unrecht geschehn sei, sondern daß ich besiegt bin – und daß ich mit allen Mitteln jetzt meine Geltung wieder herstellen muß.
Unrecht entsteht erst, wo ein Vertrag gebrochen ist, wo also Friede und Treue verletzt wird. Dies ist die Empörung über eine unwürdige Handlung, unwürdig der vorausgesetzten Gleichheit der Empfindungen. Also etwas Gemeines, Verächtliches muß daran sein, das auf eine niedrigere Stufe weist. Die Gegen-Absicht kann nur die sein, das unwürdige Wesen auf diese tiefere Stufe zu setzen: also ihn von uns zu trennen, auszustoßen, zu erniedrigen, Schmach anzuthun. Sinn der Strafe.
Der Sinn der Strafe ist nicht abzuschrecken, sondern in der gesellschaftlichen Ordnung Jemanden niedriger zu setzen: er gehört nicht mehr zu den uns Gleichen.
Jede Maßregel, die dies bewirkt, ist ausreichend. „Ächtung". In dieser Richtung muß sich das Strafwesen entwickeln!
16 [30]
Zarathustra 3: Die Anderen dürfen gehorchen: und ihre Eitelkeit verlangt, daß sie nicht abhängig von großen Menschen, sondern von „Principien „ erscheinen.
16 [31]
Die Erbitterung über uns selber, bei der Rache, setzt sich bei geringeren Naturen sehr schnell um in Empörung gegen den Feind und den Wunsch, ihn etwas Verächtlichen zu beschuldigen
16 [32]
Die Vergewaltigung und der Übermuth des Mächtigen in Hinsicht auf den Unterworfenen: die Entwicklung der Klugheit und der Vermenschlichung geht dahin, diese Vergewaltigung und diesen Übermuth immer geistiger werden zu lassen. Aber wie sollte die Macht sich nicht selber genießen wollen!
Das höchste Verhältniß bleibt das des Schaffenden zu seinem Material: das ist die letzte Form des Übermuths und der Übermacht. So erst ist die organische Form zu Ende gebracht: also gleich wie der Leib abhängig ist von den Willens-Impulsen und dabei sich selber genießt, wenn er am besten beherrscht wird.
16 [33]
Die Erlösung von der Moral.
Organisch-moralisch (Wettstreit der Affekte und Überherrschaft eines Affektes über den Intellekt)
Rache, Unrecht, Strafe.
Wer an gut und böse glaubt, der kann niemals das Böse als Mittel zum Guten behandeln; und jede teleologische Weltbetrachtung, die nicht mit der Sittlichkeit absolut bricht, ist verloren.
Es könnte eine Geschichte der Werthurtheile über Lebensmittel geben: dabei bestünde vollkommen noch die Frage: welchen Werth hat es daß so und so gegessen worden ist? – So bleibt die Frage: welchen Werth hat es, daß so und so zeither gehandelt worden ist?, getrennt von der Frage: was hat man bisher den Handlungen für Werthe zugemessen? – Die Geschichte der bisherigen Werthschätzungen und ihrer Gründe ist etwas anderes als die Schätzung selber.
Kein Mensch wird sagen: daß der Stein falle, das sei Moral. Nun denn! der Mensch steigt – und das ist auch nicht Moral!
Das Collectiv-Gewissen. Der Atavismus in der Schätzung des Unegoistischen.
16 [34]
Der Schwächere giebt nach und unterwirft sich, wenn die Rache Unsinn ist.
16 [35]
„Was Zarathustra bestimmt hat, wird geschehen: wie sollte seine große Seele ihren Entschluß ändern können!"
16 [36]
Halten wir fest, daß der Mensch das Raubthier aller Raubthiere ist! Man sagt, er liebe sich selber: aber das ist herzlich wenig Liebe!
16 [37]
Zarathustra erkennt, daß er auch nicht für seine Freunde da ist „Wer sind meine Freunde!" Weder fürs Volk, noch für Einzelne! Weder für Viele noch für Wenige! Die Freundschaft zu überwinden! Zeichen seiner Selbst-Überwindung im Anfang von III
Emerson p. 426 Schilderung des Weisen.
16 [38]
Als er Pana erräth, stirbt Zarathustra vor Mitleid mit ihrem Mitleid. Vorher der Augenblick der großen Verachtung (höchste Seligkeit!)
Alles muß in Erfüllung gehn, namentlich alles aus der Vorrede.
16 [39]
Der letzte Verhalt, das feinste Stillschweigen verhindert allen großen Erfolg: sobald der M<ensch> vollkommen der Wahrheit ist, bewegt er die ganze Natur. III Theil Zarathustra
16 [40]
Es handelt sich um mehr als Schenken:. um Schaffen, um Vergewaltigen! Grundgedanke der zweiten Einsamkeit (Beginn vom III.)
Unsere „Geschenke" sind gefährlich!
16 [41]
Beherrschung der Menschheit zum Zweck ihrer Überwindung
Überwindung durch Lehren, an denen sie zu Grunde geht, ausgenommen die, welche sie aushalten.
16 [42]
Zuerst wenden sich Alle von Zarathustra ab (dies schrittweise zu schildern!). Zarathustra entzückt, merkt nichts. Pana will ihn tödten. Im Augenblick, wo sie den Dolch führt, versteht Zarathustra alles und stirbt am Schmerz über dieses Mitleiden. Dies ist deutlich zu machen!
16 [43]
Die „Wahrheit", die „Vernichtung der Illusionen", „auch der moralischen Illusion" – als das große Mittel der Überwältigung der Menschheit (ihrer Selbstzerstörung!) III Theil.
NB. Alle hier an Zarathustra dargestellten Leiden der Entwicklung sind viel mehr als Leiden des höheren Menschen an seinen Besuchern darzustellen.
16 [44]
„Aus Liebe that ich das größte Leid: nun schmelze ich weg an dem Leide das ich that –
16 [45]
Als alle fort sind, streckt Zarathustra nach der Schlange die Hand aus: „was räth mir meine Klugheit?" – sie sticht ihn. Der Adler zerreißt sie, der Löwe stürzt sich über den Adler. Als Zarathustra den Kampf seiner Thiere sah, starb er.
16 [46]
Man hat keine Zeit für mich? Gut, so werde ich warten. Was liegt an einer Zeit, die „keine Zeit hat"!
16 [47]
Zarathustra's Dankgebet eines Genesenden.
16 [48]
Zarathustra als „Herbst", als „Pflugschar" usw. – verschiedene Melodien!
16 [49]
Rede auf die Unschuld des Werdens. Seligpreisung sub specie aeterni.
Die Weihung des Kleinsten.
Die Gelobenden.
Die neuen Könige.
Das Zerbrechen der Tafeln. (Aus Theil 4 Anfang von Scene 3)
Der große Mensch als Rival mit der großen Natur.
Die zwei Bewegungen (zum letzten Menschen und zum Übermenschen).
Die Erlösung der Bösen.
Eine viel längere Jugend, in vielen Ländern und Gewerben und Künsten umher, als Kind.
Die neuen Lehrer als Vorstufe der höchsten Bildner (ihren Typus aufdrückend)
Die schwerste Erkenntniß als Hammer.
Lob der Barmherzigkeit (zu Gunsten der Kommenden)
Heraufbeschwören der Feinde! (wir haben sie um unseres Ideals willen nöthig!
Unsere ebenbürtigen Feinde in Götter verwandeln und so uns heben und verwandeln!
Einheit des Schaffenden, Liebenden, Erkennenden in der Macht.
Der Wille zum Leiden – zum Tiefnehmen des Leidens, als Mittel der Verwandlung.
Der Parasit als der Schlechte. Wir dürfen nicht nur Genießende des Daseins sein – unvornehm.
Das frohlockende Gewissen: als Gebet.
Gegen Lob und Tadel. Nach Jahrhunderten leuchten; Vorausbestimm<ung> der Zukunft.
Die Überwältigung der Vergangenheit: und dann das heilende Vergessen, der göttliche Umkreis.
Das heilige Lachen.
Das Trost-Lied (nach meiner Musik).
Die Lehre der Wiederkehr ist der Wendepunkt der Geschichte.
16 [50]
Einsamkeit für eine Zeit nothwendig, damit das Wesen ganz und durchdrungen werde – ausgeheilt und hart.
Neue Form der Gemeinschaft: sich kriegerisch behauptend. Sonst wird der Geist matt. Keine „Gärten", und bloßes Ausweichen vor den Massen". Krieg (aber ohne Pulver!) zwischen verschiedenen Gedanken! und deren Heeren!
Neuer Adel, durch Züchtung. Die Gründungs-Feste von Familien.
Der Tag neu eingetheilt; die körperlichen Übungen für alle Lebensalter. Der Wettkampf als Princip.
Die Geschlechts-Liebe als Wettkampf um das Princip im Werdenden, Kommenden. – Das „Herrschen" wird gelehrt, geübt, die Härte ebenso wie die Milde. Sobald ein Zustand meisterlich gekonnt wird, muß ein neuer erstrebt werden.
Sich durch die Bösen belehren lassen und auch ihnen Gelegenheit geben zu Wettkämpfen. Die Entartenden zu benutzen. – Das soll das Recht der Strafe sein, daß der Frevler benutzt werden darf, als Experiment-Objekt (zu neuer Ernährung): dies ist die Weihe der Strafe, daß hier zum höchsten Nutzen der Kommenden einer verbraucht wird.
Wir schonen unsere neue Gemeinde, weil sie die Brücke zu unserem Ideale der Zukunft ist. Und für sie arbeiten wir und lassen die Anderen arbeiten.
Wohnorte.
Art der Gemeinschaft.
Kriege.
Der neue Adel.
Die Versuche (Strafen usw.)
Das Weib im Weibe erlösen.
Die vielen Seelen-Wanderungen des Einzelnen. Lange Jugend.
Die Zeit zur Einsamkeit.
Die Wahl der Wohn-Orte neu (jeder als warnendes Beispiel!)
Das Weib im Weibe erlösen!
Die körperliche Stärke soll auf der Seite des größten Gedankens sein – so lange muß Krieg sein zwischen den verschiedenen Gedanken!
16 [51]
Plan zu III Zarathustra.
Zarathustra 3: der Übergang vom Freigeist und Einsiedler zum Herrschen-Müssen: das Schenken verwandelt sich – aus dem Geben entstand der Wille, Zwang-zum-Nehmen zu üben. Die Tyrannei des Künstlers zuerst als Selbst-Bezwingung und – Verhärtung!
Psychologie des Herrschenden. (Das Verlangen nach den Freunden entpuppt sich als Verlangen nach Werkzeugen des Künstlers!)
Zarathustra 3: zuerst Flucht vor der „unaussprechlichen Wahrheit" Skepsis, Verhöhnung seiner selber, willkürliche Blindheit, zunehmendes Elend, Schwächegefühl. Die 7 Einsamkeiten – Versuch, irgendwo in einer vergangenen Welt-Betrachtung unterzukommen, auszuruhen. Die Einwände gegen seine Lehre präsentiren sich. Die Verführer auch. (Einzuschieben: „das Trost-Lied".)
Das schwerste Leid ist, nicht um seiner Willen, sondern daß seine Liebsten an seiner Lehre verbluten. – Aber zugleich erhebt sich Zarathustra nach diesem Erlebniß zur größten Härte gegen sich und die Nächsten und denkt nur noch an die „Zukunft".
Zuletzt der Löwe als drittes Thier Zarathustra's – Symbol seiner Reife und Mürbe.
„Dankgebet des Genesenden": Damit schließt Theil 3.
16 [52]
Die Liebe zu den Freunden möchte Zarathustra zwingen, seine große Wahrheit zurückzuhalten: auch nachdem er sie sich selber eingestanden hat. – Das ist das Problem des Herrschenden: er opfert die, welche er liebt, seinem Ideale.
16 [53]
Der Bund der sich Opfernden auf Zarathustra's Grabe. Vorher sind sie geflohen: jetzt, als sie ihn gestorben finden, werden sie die Erben seiner Seele und heben sich auf seine Höhe. (Dies die letzte Scene im Zarathustra 4 – „der große Mittag" – heiter – tiefer Himmel)
16 [54]
Alles warnt Zarathustra, weiter zu reden: Vorzeichen. Er wird unterbrochen. Einer tödtet sich, einer wird wahnsinnig. Stimmung eines göttlichen Übermuths im Künstler –: es muß an's Licht. Als er zugleich die Wahrheit der Wiederkehr und den Übermenschen gezeigt hat, überwältigt ihn das Mitleiden.
Bei ihm zunehmende Erhebung (bei dieser Erhebung macht er alle Stufen des Bösen durch – aber um seines Zieles willen. Er ist da der Lehrer des Bösen, der Härte usw.) und „Alpenglühen" – bei seinen Zuhörern zunehmende Verdüsterung. Zuletzt Regen usw.
16 [55]
Plan zum 4. Zarathustra.
1. Der Sieges-Zug, die Pest-Stadt, der symbolische Scheiterhaufen. 30
2. Die Verkündungen der Zukunft: seine Schüler erzählen ihre Thaten. 30
3. Die letzte Rede mit Vorzeichen, Unterbrechungen, Regen, Tod. 30
4. Der Bund auf seinem Grabe – die Gelobenden – der große Mittag – ahnungsvoll-heiter und schauerlich. 30
16 [56]
„Willst du dies noch einmal?"
Hellsichtig über sein Schenken und Lehren, über die Liebe zu seinen Freunden.
Die höchste Verantwortlichkeit fühlt er auf sich liegen.
Was Glück!
Wille zum Leiden und Charakter-Stärke des Wegs (die Kalten, Harten, Parasitischen).
Ein Experiment jedes wirkliche Leben!
Die Moral bisher aus Schwäche: man wollte Autorität und erdichtete sich die Rückenlehnen.
Der Widerspruch der Güte und des Schöpferischen: das ist das Problem der Weisheit.
16 [57]
Auch die Triebe der zukünftigen Menschheit sind schon da und verlangen ihre Befriedigung – ob wir sie gleich noch nicht bewußt kennen. So giebt es auch im großen Individuum eine anscheinende Sorge für noch nicht vorhandene Bedürfnisse.
16 [58]
Dies sind die Reden von den sieben Einsamkeiten, welche Zarathustra zu seinem Herzen redete, als er seine Freunde verlassen hatte und auch seine Thiere; und damals hätte er gerne sich selber verlassen.
16 [59]
Man soll das Weib im Weibe freigeben!
16 [60]
Es ist nicht genug, eine Lehre zu bringen: man muß auch noch die Menschen gewaltsam verändern, daß sie dieselbe annehmen! – Das begreift endlich Zarathustra.
16 [61]
Die Vergangenheit in uns zu überwinden: die Triebe neu combiniren und alle zusammen richten auf Ein Ziel: – sehr schwer! Es sind durchaus nicht nur die bösen Triebe, welche zu überwinden sind – auch die sogenannten guten Triebe müssen überwältigt werden und neu geweiht!
Die Versuchungen:
auszuruhen in der vergangenen Welt-Betrachtung.
Die spöttische Skepsis und Selbst-Zersetzung: was könntest du denn „schaffen"!
„du bist nicht stark genug! Überlaß es Stärkeren!" Genieße deine Müdigkeit selber! Bewundre dich!
überrede dich, daß dein Mitleiden die Tugend ist und daß du dem Glück Anderer deine Erkenntniß opferst.
Gesteh dir doch ein, was dieser Wille zum Schaffen ist – Herrschsucht, welche sich nicht auf dem nächsten Weg befriedigen kann. „Freunde?" Du willst Werkzeuge haben!
Und warum denn diese Wahrheit reden! Selbst wenn du glauben dürftest, daß es Wahrheit ist! Es giebt ja keine Verbindlichkeit mehr für dich! Keine „Pflicht zur Wahrheit"!
Du verleidest Allen den Genuß des Vorhandenen, du bist der Lehrer der großen Müdigkeit selber!
du entkräftest die Tugend und machst sie weniger gelobt, also weniger begehrt. Du selber raubst der Menschheit die Kraft, mit der sie nach dem Ziele laufen könnte!
16 [62]
Der Grad von psychologischer Feinheit entscheidet, ob einer seine Handlungen gut oder böse auslegt. Und nicht nur Feinheit, sondern seine Rachsucht, Verstimmung, Gutartigkeit, Leichtsinnigkeit usw.
16 [63]
NB. Der Gedanke selber wird im dritten Theil nicht ausgesprochen: nur vorbereitet. Zuerst: Kritik alles bisher Gelehrten.
Welche Trostmittel ihm abhanden gekommen sind.
der Glaube und das Zutrauen zu einer höchsten Weisheit und Güte
der Glaube an das Gute, die Stimme der Pflicht usw.
Das böse Gewissen (an das beste Gewissen setzt sich Furcht Selbst-Mißtrauen, Skepsis, Verschweigen-Müssen, Verstellung an usw.)
Das Lied des Fliegenden.
Der Mensch als Rival der großen Natur.
Furcht vor den Folgen der Lehre: die besten Naturen gehen vielleicht daran zu Grunde? Die schlechtesten nehmen sie an?
Lösung Zarathustra III: du mußt dich über die Moral erheben, du hast sie durchschaut – deine ganze Trübsal war ihre Folge.
es giebt kein andres Mittel, wie der Mensch sich selber überwindet.
Das geringste Verschweigen lähmt seine ganze Kraft: er fühlt, daß er einem Gedanken bisher ausgewichen ist, – der stürzt nun mit ganzer Kraft über ihn her! Es ist ein Ringkampf: wer ist stark genug, Zarathustra oder der Gedanke?
Wozu Wahrheit? – Es ist der stärkste Trieb geworden, der Wille zur Wahrheit! Zarathustra kann nicht anders!
– und ob ich von jetzt an rückwärts zähle oder vorwärts: ich halte den Streifen der Unendlichkeit in der Hand und – – –
Die Thoren sagen: „aber da wäre ja eine Unendlichkeit schon vollendet": doch man soll reinlich sein im Scheiden der Worte und nicht einmal Anfang nennen, was man das andere Mal Ende nennt.
Seine Beruhigung: es läßt sich die Wirkung nicht voraussehn!
der größte Gedanke wirkt am langsamsten und spätesten!
seine nächste Wirkung ist ein Ersatz für den Unsterblichkeitsglauben: er mehrt den guten Willen zum Leben?
Vielleicht ist er nicht wahr – mögen Andere mit ihm ringen!
16 [64]
1. Die Einsamkeit in Scham und Schwäche und Schweigen vor einem großen Gedanken.
Wozu Wahrheit!
2. Die Einsamkeit, der alle alten Trostgründe abhanden gekommen sind.
3. Die Einsamkeit mit den Versuchungen.
4. Die Einsamkeit ohne Freunde, ja mit dem Bewußtsein, die Freunde zu opfern.
5. Die Einsamkeit der höchsten Verantwortlichkeit.
6. Die Einsamkeit in der Ewigkeit, jenseits der Moral: der Schöpferische und die Güte. Es giebt keine Lösung als ein anderes Wesen zu schaffen, das nicht so leidet wie wir.
Determinism: „Ich bin für alles Kommende ein fatum" – ist meine Antwort auf Determinismus!
7. Die Einsamkeit des Kranken. Trostlied. Müdewerden, Stillwerden. Geheiligt durch Leiden.
13 S<eiten> jede. Jedes Mal der überwindende Gedanke am Schluß.
NB. Alle Bedenken sind Zeichen des Willens zum Leiden, ein Vertiefen des Schmerzes: als der Schmerz am höchsten ist, wirft ihn Zarathustra ab:
größter Schluß-Moment (der Löwe): ich will !!!
Hymnus am Ende: der Siegreiche. (10 Seiten)
16 [65]
Der dritte Theil ist die Selbst-Überwindung Zarathustras, als Vorbild der Selbst-Überwindung der Menschheit – zu Gunsten des Übermenschen.
Dazu ist die Überwindung der Moral nöthig.
Du opferst deine Freunde – sie sind tief genug, um dran zu Grunde zu gehen: und sie haben den Gedanken nicht geschaffen (was mich noch hält!)
Dies als letztes Gegen-Argument, welches sich Zarathustra entgegenstellt – der stärkste Feind. Jetzt wird Zarathustra reif.
Im Theil 4 stirbt Zarathustra, als er den Schmerz seiner Freunde merkt: und sie ihn verlassen. – Aber nach seinem Tode kommt sein Geist über sie.
Die Institutionen als Nachwirkungen großer Einzelner und als Mittel, die großen Einzelnen einzusenken und einzuwurzeln – bis endlich Früchte entstehen.
16 [66]
Ringkampf um die Verwendung der Macht, welche die Menschheit repräsentirt! Zarathustra ruft zu diesem Ringkampfe auf. (4 Th<eil> Reden Zarathustra's)
16 [67]
Die eudämon<istisch->socialen Ideale führen die Menschen zurück – sie erzielen vielleicht eine sehr nützliche Arbeiter-Spezies – sie erfinden den idealen Sklaven der Zukunft – die niedere Kaste, die nicht fehlen darf!
Das Glück der Erkennenden. und ihre bisherige Stumpfheit gegen die Ergebnisse der Erkenntniß – Spottlied.
16 [68]
Die kurze Triebkraft der Künstler – sie bleiben bei dem Abbilde ihres Ideals stehn und folgen dem Ideale nicht selber mehr nach – Spottlied. Und gar die Empfänger! Es sollten Lehrer sein – diese Künstler!
16 [69]
Wie viel opfert der Feldherr, Fürst, der Sich-selber-Verantwortliche – das ist hoch zu ehren!
16 [70]
Thatsächlich versuchen die Menschen immer, den großen Einzelnen sich entbehrlich zu machen durch Körperschaften usw. Aber sie hängen ganz ab von jenen Vorbildern.
16 [71]
Der Conflikt des Herrschenden ist die Liebe zu den Fernen in ihrem Kampf mit der Liebe zu den Nächsten.
Schöpfer-sein und Güte sind nicht Gegensätze, sondern Ein- und dasselbe aber mit fernen oder nahen Perspektiven.
16 [72]
Die Schwachen müssen gehorchen.
16 [73]
Maaß und Mitte zu finden im Streben über die Menschheit hinaus: es muß die höchste und kraftvollste Art des Menschen gefunden werden! Die höchste Tendenz fortwährend im Kleinen darstellen – Vollkommenheit, Reife, rothbäckige Gesundheit, mildes Ausströmen von Macht. Wie ein Künstler an dem Tagewerk arbeiten, an jedem Werke uns zur Vollkommenheit bringen, der beste Bruder sein. Die Ehrlichkeit in dem Motive-Sich-Eingestehn, wie es dem Mächtigen geziemt.
NB. mit Wahnsinn der Sehnsucht ist alles zu verderben!
16 [74]
NB. Die inneren Schwierigkeiten des 3 . Theils müssen zuletzt als gar nicht nöthig dastehn: sie selber müssen sich aufheben vor der General-Einsicht.
16 [75]
Jedes Opfer, das der Herrschende bringt, wird hundertfach aufgewogen.
16 [76]
General-Einsicht vielleicht: das Organische selber ist das Gesetz, wir können gar nicht anders – Determinism absolut. Die vielen Möglichkeiten, die wir sehen, verwirren uns.
16 [77]
Die größte Masse Kraft des Einzelnen ist so verschwendet, wie die der Sonne. Oder?
16 [78]
Ein Faktum, ein Werk ist für jede Zeit und jede neue Art von Mensch von neuer Beredsamkeit. Die Geschichte redet immer neue Wahrheiten.
16 [79]
Zarathustra 3. Diese ganze Noth, im Widerwillen gegen das Leiden, kam aus dem Gefühl, daß die Kraft noch nicht zureichte – ein Instinkt der schwäche, der zunächst am Handeln hinderte (selbst das Aussprechen des Gedankens hinderte!) – Der Wille zum Leiden ist sofort da, wenn die Macht groß genug ist.
„Die stillste Stunde" war eine Versucherin.
16 [80]
NB. Die Stimmung Zarathustra's nicht wahnsinnig-ungeduldig nach dem Übermenschen!
sie hat Ruhe, kann warten, aber alles Thun hat Sinn bekommen, als Weg und Mittel dorthin – und muß gut und vollkommen gethan werden.
Ruhe des großen Stroms!!! Weihung des Kleinsten!!! alle Unruhe, heftiges Sehnen, aller Ekel ist im Theil 3 darzustellen und zu überwinden!
(Sanftmuth, Milde des 1 und 2 Theils), usw. alles Zeichen der noch nicht ihrer selber sicheren Kraft!)
Mit der Genesung Zarathustra's steht Cäsar da, unerbittlich, gütig – zwischen Schöpfer-sein, Güte und Weisheit ist die Kluft vernichtet. Helle, Ruhe, keine übertriebene Sehnsucht, Glück im recht angewendeten, verewigten Augenblick!
16 [81]
Jenseits der Mitte des Lebens – unwiederruflich geopfert – nicht mehr zurück!
16 [82]
(4) Reden: die große Ehrlichkeit in Betreff der Moral – wie es dem Mächtigen gemäß ist
Sammlung ergreifender Dinge des Lebens
16 [83]
(Zarathustra 3.)
Recapitulation: der Übermensch auf alle Weise zu Schaffen. Aber du verliebst dich in deine Freunde und dich selber! Der Gedanke brachte uns eine Last.
1 . Die Hellsichtigkeit.
auf dem Meere herumgeschlagen
2. Heraufbeschwörung der Wahrheit.
3. Jenseits der Mitte des Lebens – unwiederruflich geopfert.
4. Hohnlied auf die Pessimisten.
5. Ich als fatum.
6. Die große Natur und der Mensch.
7. Lied des Fliegenden.
8. Was Freunde! Lob der Freunde (die untergiengen) der stillen Schaffenden Weltverschönerer Preis der Hoffnung – jetzt erst!
9. Jenseits von Gut und Böse
10. Hohn auf die, welche Vertrauen gegen das Leben haben.
11. Hohn auf die Künstler.
12. Mitgefühl mit den Herrschenden und ihren Leiden.
13. Die Skepsis als Versuchung.
14. Wahrheit – Lüge.
15. Oh daß der da wäre, dem ich fluchen könnte!
16. Gespräch mit dem Blitze. Ich selber der Wahrsager
17. Einsicht, daß das Gefühl der Schwäche seinen Geist führt.
18. Er Sucht, im Verlangen nach Mitgefühl, seine Thiere auf und findet die Höhle zerstört.
19. Zarathustra's „große Verachtung".
20. Versuchung zum Selbstmord. Die Schlange im Hochgebirge.
21. Krankheit. Vergessen.
22. Regenbogen. Löwin mit Taubenschwarm. Lob der urbestimmten Natur, die sich alles zum Glücke macht.
gegen die Einsiedelei
16 [84]
(Zarathustra 4.)
1. Die Einladung.
2. Der Siegeszug.
3. Danklied der Genesenden.
4. Der große Mittag.
5. Die neue Gemeinschaft. Ich fand den Menschen niedrig geworden, kleine Tugenden, kleine Schlechtigkeiten.
6. Wohin? (Die Wohnorte)
7. Der neue Adel und seine Erziehung. (Vielheit und Einheit) (Mächtige und die Kleinen)
8. Das Weib im Weibe.
9. Die Bienenstöcke und die Arbeiter. Die Kleinen und ihre Tugenden
10. Eintheilung der Zeit und des Tages. Einsamkeit. Die Nahrungssimplicität. „Arm und Reich" überbrückt.
11. Die neuen Kriege (gegen die bloß Genießenden).
12. Strafe und die Bösen. Die neue Barmherzigkeit zu Gunsten der Kommenden. Die Bösen als Zerstörer ehrwürdig, denn Zerstören ist nöthig. Dann als Quelle von Kraft.
13. Das Leben als Versuch: das Glück im Errathen oder Versuchen (Scepsis). Der Tod und die Lust, sich selber als Hemmniß des Lebens weichen zu sehn.
14. Das Zerbrechen der Tafeln. Der idealische „Gesetzgeber". Heroldsruf.
15. Das Ich geheiligt. „Selbst-sucht und Herrsch-Sucht" vor Allem. Teichm<üller> p. 131. Alle Triebe, bisher verketzert, weil zu stark an falscher Stelle, rehabilitirt.
16. Die Erlösung der Vergangenen. Der große Mittag vollgestopft mit vereinigten Gegensätzen.
17. Lob der kühlen dialektischen Vernunft, als königlich stark dem Gefühl. Das dankbare Auge. Abwehr des Ungeheuren.
18. Die Heiligung des Lachens und des Tanzes. (der Leib als Zeuge des Wachsens)
19. Die Ordnung der Feste.
20. Die Unschuld des Werdens. Der Kampf mit dem Zufalle. die neue „Unsterblichkeit" „Wille zum Leiden"
21. Die große Frage.
22. Die Gelobenden.
16 [85]
Zur Genesung des Zarathustra im Schlusse des dritten Theils.
Zarathustra wie ein Gott darüber sinnend, ob er seinen
Gedanken den Menschen mittheilt. Welche Motive empfindet
ein Gott gegen Menschen?
Die Religion umzudeuten von diesem Standpunkte: der Gott
In seiner Beziehung zu den Menschen.
Zarathustra 3 – „Ich selber bin glücklich" – als er die Menschen verlassen hat, kehrt er zu sich zurück. Wie eine Wolke weicht es von ihm. Typus, wie der Übermensch leben muß, wie ein Epicurischer Gott.
ein göttliches Leiden ist der Inhalt des 3. Zarathustra.
der menschliche Zustand des Gesetzgebers wird nur herangezogen zum Beispiel
seine heftige Liebe zu seinen Freunden erscheint ihm als Krankheit – er ist wieder ruhig.
Als die Einladungen kommen, weicht er milde aus.
Hauptlehre: In unserer Macht steht die Zurechtlegung des Leides zu einem Segen, des Giftes zu einer Nahrung. Wille zum Leiden.
Das Menschliche flog mich an, ihr Schatten lag um mich, da fühlte ich Schwäche.
16 [86]
Herrschen? Meinen Typus Andern aufnöthigen? Gräßlich! Ist mein Glück nicht gerade das Anschauen vieler Anderer? Problem.
Gerade jene zum Wettkampfe um Macht aufrufen, welche sich gerne verstecken und für sich leben möchten – auch die Weisen, Frommen, Stillen im Lande! Hohn über ihre genießende Einsamkeit!
Alle schöpferischen Naturen ringen um Einfluß, auch wenn sie allein leben – „Nachruhm" ist nur ein falscher Ausdruck für das, was sie wollen.
Die ungeheure Aufgabe des Herrschenden, der sich selber erzieht – die Art Menschen und Volk, über welche er herrschen will, muß in ihm vorgebildet sein: da muß er erst Herr geworden sein!
Alle Tugend und Selbstüberwindung hat nur Sinn als Vorbereitung des Herrschenden!
Gegen alle bloß Genießenden! Auch die Einsamkeit als Selbstgenuß, selbst die des Selbstquälers.
Ein diamantenes Schwert zerhaut mir jede Finsterniß: nun bin ich hellsichtig worden – war ich doch allzu lange ein Hellsüchtiger!
Gute Tage wollen auf guten Füßen gehen.
Forderung: das neue Gesetz muß erfüllbar sein und aus der Erfüllung muß die Überwindung und das höhere Gesetz wachsen. Zarathustra giebt die Stellung zum Gesetz, indem er das „Gesetz der Gesetze", die Moral aufhebt.
Gesetze als Rückgrat.
an ihnen arbeiten und schaffen, indem man sie vollzieht. Bisheriger Sklavensinn vor dem Gesetze!
Zarathustra ist selber der Weise geworden, der sich seiner Thorheit freut und der Arme, der sich seines Reichthums freut. Scene: der Narr und der Arme in 4.
Nicht Ein Ideal des Weisen, sondern hundert Ideale des Thoren will ich aufstellen! Zarathustra 4.
Gegen die bärbeißige schauspielerische stoische Herrlichkeit des „Weisen".
Typus des Gesetzgebers, seine Entwicklung und sein Leiden.
Welchen Sinn hat es überhaupt, Gesetze zu geben?
Zarathustra ist der Herold, der viele Gesetzgeber aufruft.
(Zu 4) Erst die Gesetzgebung. Dann, nachdem durch dieselbe die Aussicht auf Erzeugung des Übermenschen gegeben ist – großer schauerlicher Augenblick! Zarathustra verkündet die Lehre der Wiederkunft – die jetzt erst erträglich ist, ihm selber zum ersten Male!
16 [87]
Wenn die Mitmenschen nur eine Art von unseren Empfindungen sind: so ist folglich Herrschaft nur eine Art von Selbst-Beherrschung: und der Wille, Herr zu sein, ist = der höchsten Besiegung von eigener Furcht und Mitleid und Verwandlung des Anderen in unsere Funktion – also Herstellung eines Organismus.
16 [88]
Die Rechte, die ich mir erobert habe, werde ich <dem> Anderen nicht geben: sondern er soll sie sich rauben! gleich mir – und mag sie nehmen und mir abzwingen! Insofern muß ein Gesetz da sein, welches von mir ausgeht, als ob es Alle zu meinem Ebenbilde machen wolle: damit der Einzelne sich im Widerspruch mit ihm entdecke und stärke.
Neue Taxation des Menschen: voran die Frage:
wie viel Macht ist in ihm?
wie viel Vielheit von Trieben?
wie viel Fähigkeit mitzutheilen und aufzunehmen?
Der Herrschende als höchster Typus.
Die Vergangenheit befruchten und die Zukunft zeugen – das sei mir Gegenwart!
Zarathustra selber der Possenreißer, der über den armen Seiltänzer hinwegspringt – zu 3) Hohn gegen sich.
Erste Scene von 3) vielleicht „der Wanderer" und ein Gespräch mit dem Blitze, der plötzlich aufhellt: so hellt sich ihm plötzlich sein Wille auf.
Hohn gegen die sklavenhafte Unterwerfung in der Moral (unter das alte Gesetz irgend eines Menschen)
Ein langdauerndes Individuum bilden (ein Volk), um seine Gedanken in Fleisch Blut und Wille zu übersetzen
Wer ein Recht sich nimmt, wird dies Recht dem Anderen nicht geben sondern ihm Gegner sein, indem er es sich nimmt: die Liebe des Vaters, der dem Sohn widerstrebt.
Der große Erzieher wie die Natur: er muß Hindernisse thürmen, damit sie überwunden werden.
Gegen alle Genießenden: – unvornehm, sich zum Leben nur so zu stellen! Alles Genießen als Ausruhen hinzunehmen! So erst wahrer Genuß!
Wir werden am härtesten für unsere Tugenden bestraft.
Der Mensch macht eine Handlung werthvoll: aber wie sollte die Handlung den Menschen werthvoll machen!
Es ist kühl, der Mond scheint, keine Wolke steht am Himmel, – es lohnt sich nicht zu leben.
16 [89]
Zarathustra 3 Anfang. Recapitulation. Du willst den Übermenschen lehren – aber du hast dich in deine Freunde und dich selber verliebt und aus dem Leben ein Labsal gemacht. Die glückseligen Inseln verweichlichen dich – nun wirst du trübe und leidenschaftlich und schiltst auf deine Feinde. Anzeichen der Schwäche: du weichst einem Gedanken aus.
Aber du sollst die Welt überreden und den Menschen überreden, sich zu zertrümmern.
(Der Reformator in seiner eigenen Gemeinde erschlaffend: seine Feinde sind nicht stark genug. So muß sein größter Feind entstehn, ein Gedanke.
Der Gedanke als Einwand gegen das Leben und Fortleben)
16 [90]
Reue: das ist Rache an sich selber.
und diesen Rath rathe ich meinen Feinden und allen Spuckern und Speiern:
als der Lehrer der großen Verachtung (Im Vorletzten)
Wie ertrüge ichs sonst, euch die große Verachtung zu lehren? –
[Dokument: Heft]
[Herbst 1883]
17 [1]
Und wenn du das Leben einst nicht aushalten kannst, mußt du suchen, es lieb zu gewinnen – solches nämlich war immer der Kunstgriff der Weisesten.
Wahrlich ihrer Kunst kühnster Griff war es, gerade dann an einen Gott zu glauben, wenn sie den Teufel sich zu nahe spürten.
Sie lernten die Namen tauschen: und so täuschten sie sich über die Dinge – siehe da die ganze Kunst der Weisesten!
Zum Eigennutz sind die Meisten zu wahnsinnig – ihr Glück macht sie alle wahnsinnig.
Sie opfern Alles für Eins – das ist irgend eine Liebe; dieser Eigensinn und Eigen-Hang hängt über Allen.
Aus ihrer Liebe quillt ihr heißer Wahnsinn – der aber ist ein schlechter Rechner und verachtet die Krämer-Tugenden.
Die Krämer-Tugend aber und des Krämers geldklebrige Finger und kaltes Auge – das ist noch unter der Würde des Thieres.
Alles was bezahlt werden kann ist wenig werth: diese Lehre speie ich den Krämern ins Gesicht.
Es giebt Dinge, ob es schon die Krämer nicht wissen – in deren Nähe Geld wie eine Schamlosigkeit klingt.
Geld geht durch alle Finger: darum lerne mit Handschuhen Geld angreifen.
Gelobt sei die kleine Armut: denn alle Krämer trachten nach großem Reichthum.
17 [2]
Die Krämer
Die Lehrer sie sind alle einander werth
Die Werkzeuge
Die Fürsten. 1
Von den Bösen (den Herrschsüchtigen – das ist das Merkmal des Bösen)
17 [3]
Wer sich stets viel geschont hat, der kränkelt zuletzt noch an seiner vielen Schonung.
Er redet rauh – aber nicht aus rauher Seele: jeder Windzug macht ihn heiser reden, diesen Zärtling!
Das beste fruchtbarste Land zuletzt (von den Bösen)
17 [4]
Zarathustra macht sich lustig über die bisherigen Angriffe auf die Bösen und Selbstsüchtigen, Leidenschaftlichen (zu Gunsten der Schwächlinge)
17 [5]
Und oft lehrt man den Verzweifelnden nicht anders Stärke, als indem man ihm von seiner Schwäche redet.
Vielfraße die Einen, die Anderen Schmeckerlinge – verächtlich Beide!
Zeuger und Züchter
17 [6]
Gegen den Lärm
Durch Nahrung kannst du die Seele gestalten und umgestalten
mit Salzen Bädern und Bewegungen – wie solltest du nicht kranken Seelen Heilung bringen?
Einst machte man über dem Mörser noch Schwüre und Beschwörungen
Um die Seele zu ändern, muß man den Leib ändern.
Heilige Eisenspäne und Knochensplitter, ägyptische Nächte in Kästen verschlossen,
die Kohlen aufs Feuer geworfen, haben es völlig erstickt: es war schon zu klein
17 [7]
O diese engen dumpfen Krämer-Seelen! Wenn das Geld in den Kasten springt, springt der Krämer mit hinein.
Wessen Seele eine Geldkatze und wessen Glück schmutzige Papiere waren – wie möchte dessen Blut je rein werden?
Bis ins zehnte Geschlecht noch fließt es matt und giftig und faulig riechend.
matt und schaumicht
17 [8]
Man hat es verlernt: es giebt keine Tugend für Alle, es giebt höhere und niedere Menschen: gleich Rechte für Alle ist die ausbündigste Ungerechtigkeit.
17 [9]
Von den Krämern.
Von den Eintags-Lehrern.
Von den Fürsten.
Von den Gesetzen.
Von den Frommen.
Von der Schnelligkeit.
Der große Fluch.
Die Stadt.
– Von der Wissenschaft – Besuch des Narren. – Höhnisch.
– Zarathustra sucht die Höhle. Symbol.
– Einsiedler. – Rede.
17 [10]
Und wenn ich nicht leben kann, wie ich Lust habe, so habe ich keine Lust zu leben – so denkt noch der Heiligste.
Will denn ein Trieb befriedigt sein? Will er von sich selber Freiheit und Frieden? Wollte irgend ein Wille jemals Nicht-wollen?
Daß erschaffe, das ist aller Triebe Treiben: und wohl auch daß er eine Weile sich ausschlafe – (um) sich Schaffend auszuwachen!
Aber ihr mißkehrtet des Willens Wesen zum Widerwillen und Wider-Sich-wollen
Ihr mißdeutet<et> des müden Willens Stimme
Ist denn der Schlaf eine Erfindung zum Tode? Und wer schlafen will, wäre ein Sterbens-Müder? Schnaufen und schnarchen kann der Lebendigste.
Schreib- und Schreihälse, heftige Müssiggänger, dampfende Ehrgeizige, Aufdringlinge und Unverschämte.
„Die Alltags-Tugend genügt" – man muß Bescheidenheit lernen auch in der Tugend
17 [11]
Von der Verkleinerung.
Die große Stadt. als ein Scheiterhaufen auf dem verbrannt wird:
1) der tiefe Gedanke usw.
unbehülflich wie ein Leichnam
17 [12]
Hütet euch, ihr Reichsten: eure kleine Wohlthätigkeit macht ungeduldig und empört mehr als aller Geiz: ihr tröpfelt gleich bauchichten Flaschen mit allzuengen Hälsen – oft brach man schon solchen Flaschen die Hälse.
Dieser Nachbar und seine kleine Noth, diese Stadt und sein kleines Glück – das bröckelt dir langsam deine Stärke ab: du verlernst es, großes Wehe zu machen.
17 [13]
Vergnügte Säue oder sterbende Fechter – giebt es denn keine andere Wahl?
Ein lüsternes Auge über eine gallichte Seele
Wenn man das Todte aufgräbt, wird immer viel Lebendiges krank; unter dem Schutte wohnen Krankheiten und schlimme Dünste.
Die Todtengräber graben sich Krankheiten an, – – –
Wir fangen als Nachahmer an und enden damit uns nachzuahmen – dies ist die letzte Kindheit.
Das Mitleiden des Größten ist hart, gleich dem Händedruck des Riesen.
Ich wollte ihnen ein Licht sein, aber ich habe sie blind gemacht; so klagt jede Sonne, sie sticht die Augen aus.
Wie komme ich durch das Stadtthor? sagte Zarathustra – ich verlernte es, Zwerg zu sein.
Das Größte an dem Großen ist das Mütterliche: der Vater ist nur ein Zufall.
Daß sie gebären müssen, heißt ihnen Zukunft; sie verstehen nicht, was ihr Glück wird – sie brüsten sich keiner „Freiheit".
Von meinen Schnee-Gipfeln abwärts finde ich jede Blume, ich bin Allzu-Mensch, ich bin auch noch Fast-Thier.
Meine Raserei noch ist mir gehorsam
und nicht immer kommen die Kindlein zu dem, der sie kommen läßt.
Ihr hustet, aber das ist kein Einwand gegen starke Winde.
Euer Maul brüllt: Essen und Trinken! Euer Bauch brüllt dazu, Viel! Euer lüsternes Auge: gut!
Ach, sagte Zarathustra, ich kann mir die Hölle nicht erlassen – die Unterwelt, wo alles Todte wider mich aufsteht, und auch die Schatten noch reden: Leben ist Folterung.
Eure Krankheiten treten gegen euch auf und verklagen euch ob der Tugenden, deren ihr euch brüstet: und was euch nicht auf den Leib paßt, wie sollte das ein – – –
An euren öffentlichen Meinungen seid ihr kränker noch als an euren öffentlichen Mädchen: und das gerade sind eure heimlichsten Krankheiten.
Es ist eine große Heuchelei unter euch: die welche befehlen, heucheln die Tugenden der Gehorchenden.
Zum Herrschen geboren, aber wo hätte ich einen Lehrer finden sollen des Herrschens? So suche ich zu überreden, wo ich befehlen sollte!
überreden aber ist die Schmeichelei des Höheren gegen den Niederen und des Herrn gegen – – –
Und erst wenn Alles nach unserem Willen geht, geht auch Alles nach unserem Wunsche.
Es windet sich wie vor einer Marter: es redet nicht, es thut sich die Marter an, stumm zu sein.
Oh Zarathustra Fürsprecher des Lebens! Du mußt auch Fürsprecher des Leidens sein!
Die Menschen müssen böser werden. Zarathustra 4 dies ist mir das größte Leid – ich muß sie böser machen!
und wo ich die langen Finger des Krämers sehe, ziehe ich's vor, den Kürzeren zu ziehen.
Die schwarze traurige See liegt vor dir – auch darüber mußt du hinweg!
unter Zwergen zu leben
Eingedrückte Häuser sehe ich – ein Kind nahm sie wohl aus der Schachtel. Ein<ge>drückte Seelen
Im Dunkeln fühlt man die Zeit anders als im Hellen.
verdorben durch viele kleine Erfolge – er hat immer leichtes Spiel gehabt – vertraulich und offenherzig, aber niedrig gleich einer Thür, durch die ein Großer nicht hineingeht.
Die weise Vergeßlichkeit und die Kunst, mit jedem Wind zu segeln – zwei neue Tugenden.
Erst wer nach seinem Ziele fährt, hat Fahrwinde.
Den Zufall überlisten und an der Hand führen lasset den Zufall zu mir kommen, er ist unschuldig wie ein Kindlein.
Die Lehre vom Leben Zarathustra 4 furchtbar-dithyrambisch
Samen des Lebens ausgeworfen von Stern zu Stern.
Schönheit verhüllt den Mann
– glatt und hart zu werden muß man seine heimliche Einsamkeit mit unter das Gedränge bringen.
„es thut weh, also ist es schlecht" – dies ist der älteste und jüngste Schluß und aller gemeinen Dinge Gemeinstes.
Seit ich diesen Ursprung des Schlechten verstand, lache ich über alles Geschwätz um Gut und Schlecht.
Jenseits des Guten und des Schlechten
Ich ehre die Tugend, wenn sie die Vorsicht des Schwangeren ist: aber was geht mich die Tugend der Unfruchtbaren an!
17 [14]
die Schonung unser selber, die weise Vergeßlichkeit, die Seligkeit des Hoffenden, die Milde dessen, der auch noch sein Alleinsein verbirgt, – – –
Die Furcht hat die Menschen zahm gemacht: ihre Schwäche wuchs aus der Furcht vor ihrem Ungeheuer „Selbst- und Herrschsucht".
Was heulst du denn also durch die Nacht, du Ungeheuer? Du windest dich, du quälst dich, was könnte dir Trost bringen?
Einen schlechten Schlaf schläfst du, ein böser Traum kam dir, du stöhnst unter bösen Gedanken.
Ihr meint es gut mit euch und selbst noch mit mir, nun – was soll ich euch mit meinen Schmerzen wehethun!
An euch wäre durch mich viel zu verderben und wenig gut zu machen: laßt mich schweigen!
Ich bin traurig mit dir und mir gram um deinetwillen: ach daß ich <nicht> stark genug bin, dich von bösen Träumen zu erlösen!
Die Augen stehen dir offen, schlafende, halbtodte, traurige Augen: der Mund steht dir offen, ein gurgelnder erstickender Ton
die Furcht vor dir hatte sie gelähmt – die Ehrfurcht läßt ihre Füße wieder gehen
warmer Athem, die Glieder gestreckt
schlaftrunken – ein offenes Auge und doch kein Blick darin, er – sich selber verloren – etwas suchend, verdrießlich
Ich traue dir mehr noch im Sturme
deine unzähligen Rachen und gefletschten Zähne
So liegt mein Schicksal vor mir dem Meere gleich, in dunkler Traurigkeit, verdrossen, vergreist, noch schlaftrunken, mit offenem Munde, träumend.
Ach das Auge offen, und noch kein Blick darin, warm athmend, [– –]
17 [15]
Da ist die schwarze traurige See, gleich meinem Schicksale liegt sie vor mir – ein offenes Auge, aber noch schlafsüchtig und noch kein Blick nach mir darin.
Ach, mit warmem Athem athmet das Meer, gleich meinem Schicksale, es windet sich auf seinem Klippen-Kopfkissen, und stöhnt vor bösen Erwartungen.
Ich bin traurig mit dir, du dunkles Ungeheuer und mir selber noch gram um deinetwillen. Ach, daß ich nicht Stärke genug habe, dich von bösen Träumen zu lösen!
– Was thust du, Zarathustra? Willst du dem Meere Trost singen? Wurdest du schon deiner eignen Zukunft ein mitleidender Zuschauer?
Ach, du bist ein liebreicher Narr und Vertrauens-Überreicher! selbst zu allem Furchtbaren! Zu jedem Ungethüm kommst <du> noch es zu streicheln!
Ein Hauch von warmem Athem, ein wenig weiches Gezottel um die Tatze: und schon quellen Locktöne aus deiner Flöte – sehnsüchtig bist <du> wahrlich nach allem Lebendigen!
Besser, du traust deinem Schicksale, du Vertrauens-seliger, wenn es wie ein Meer aus tausend Mäulern brüllt – besser sein Zähnefletschen gegen dich im Sturme, als solche schwarze nächtliche Verdrossenheit!
Deine Zärtlichkeit zu allem Lebenden ist deine Gefahr, oh Zarathustra! Und wehe dir, wenn du keinen Schaffenden Willen hättest!
Aber Schaffende müssen harte Hämmer werden! Heran zu mir, du furchtbarster Schmied, der den Hammer selber hart schmiedet.
17 [16]
Nun ist Alles wohlgethan! Denn die Krämer tragen Säbel und Schnauzbärte, und selber das Regiment ist bei den Krummbeinigen.
Nun ist Alles wohltgethan!
Die besten Regenten ohne Principien, als Beglückung Vieler – und meine besten Freunde unter ihnen
Es gelüstete ihn nicht nach Verbrechen, sein Geschmack war zu heil und hell zu solchen Gelüsten.
Aber er schonte sich auch nicht und verbrach Verbrechen, nun nämlich gieng er die kürzesten Wege.
Und wenn die gerade Linie gar kein Weg ist, so muß der kürzeste Weg schon die ungerade sein
Ein Schiffbruch erst speit ihn an sein Land der Verheißung
Die größte Gefahr liegt hinter uns – dort hinaus wo die glückseligen Inseln sind
Ich halte nichts von Beten, mehr noch von Fluchen: und jetzt heiße ich euch, alle feigen Teufel fluchen, die winseln und Hände falten und beten wollen.
das Meer ist toll geworden – ein schneeweißes Unget<hüm> ist gerade noch Schnee genug, um sich selber voll und toll zu trinken.
Nun redet ihr mir vom Beten
Ziegen Gänse und andere Kreuzfahrer, geführt vom heiligen Geiste
man wird dich aufschlitzen, man glaubt du habest Gold verschluckt
Ich bin Zarathustra der Gottlose: wer ist gottloser als ich?
das Erzählen um das Feuer am Abend (statt der Lehre)
sich selber die Krone aufs Haupt setzend
mit einer Stimme wie ein Schieferstift.
sie kriechen überall hin gleich den Läusen
das Gelüste liebt das Zwielicht: das Abenteuer giebt den Tag billig.
Wehe, wer wollte ihnen Unterhaltung Schaffen, wenn diese nicht mehr ihr Unterhalt wäre! Sie müssen mit dem wilden Thier Hunger kämpfen, sonst wäre ihre Unterhaltung die von wilden Thieren an – uns.
Es giebt Anstellige und Angestellte, es giebt Selbständige – die müssen sich selber stellen.
Also lobe ich mich selber für mein Theil. Nun kam an euch die Reihe, mich zu loben.
die Siechen und Süchtigen
vergrünt und vergrämt
was um euch wohnt, dessen seid ihr bald angewöhnt: und wo man lange sitzt, da wachsen Sitten.
und immer werde ich bei euch sein wie Oel bei Wasser obenauf, es sei denn, daß man uns arg durcheinander schüttelt.
knechtisch und geknickt
Ihr nennt es Stelzen – aber es sind die starken Füße des Stolzes
Er geht auf und schwillt über alle Ränder: hat sein Schicksal ihn wohl angesäuert?
der Widerspänstige ist sich selber ein schlecht Gespons
„von Ohngefähr" das ist kein guter Adel, ob er schon der älteste ist
Trompeter und andere Schmetterlinge
17 [17]
Bei Allem, was leicht und stark und gut ist
ein „schöpferisches Wehe ist Weisheit" Güte
ein Mittel und Werkzeug, gleich – – –
Nächst jedem Kaufladen sah ich einen Saufladen
da suchen sie Wein
Und wer Wärme nicht bei gebranntem Wein findet, sucht sie bei brennenden Weibern.
Ein Schiffbruch spie ihn ans Land.
17 [18]
In Zarathustra 4 kein „Ich"!
17 [19]
Was lästerst du gegen dich selber?
17 [20]
eine kleine verkrochene Gemeinde, und ihr übel verkleideter Dünkel
Z<arathustra> der Gottlose?
Man verfolgt dich, man hat einen Preis auf deinen Kopf gesetzt
Wohlan, man mag uns gut verfolgen: bisher war immer der Erfolg bei gut Ver<folgten>
17 [21]
Woher kommt uns Zarathustra? Wer sind ihm Vater und Mutter? Schicksal und Lachen sind Zarathustras V<ater> und Mutter: das grause Schicksal und das liebliche Lachen erzeugten sich solchen Sprößling.
Heiterkeit als der heimliche Vorgenuß des Todes.
„ich suche Zarathustra. Zarathustra ist mir verloren gegangen.
17 [22]
der Wille zum Bösen wie er heller und schöner wird
von den Widerspänstigen
Ursprung von Tugend
Kam ich, auf das Laster zu lästern und vor Taschendieben zu warnen?
17 [23]
Der Himmel steht in Flammen und das Meer speit nach mir
17 [24]
gemein und gering genug für die geringsten Vortheile, lesen sie noch den Kehricht ihres Glückes aus. Reich sind sie: aber ihre Augen bleiben Diebes-Augen.
steckt sie in gute Kleider – nun sind es vermummte Lumpensammler und Aasvögel.
Fluch – die Brüderschaft von Haß und Blitzstrahl
Ich gieng den Ursprüngen nach – das entfremdete mich allen Verehrungen: und es wurde fremd um mich und einsam.
Aber endlich heimlich schlug das Verehrende selber wieder aus – und siehe! es erwuchs mir mein Baum der Zukunft –:
Nun sitze ich in seinem Schatten.
17 [25]
gut verfolgt, schlecht erwischt!
faulichtes, lauichtes, schaumichtes Blut
Ihr wolltet den Menschen entwildern, aber ihr habt ihn schwach gemacht
den Wolf machtet ihr zum Hunde und den Menschen selber zu des Menschen bestem Hausthier.
17 [26]
Von den Schreib- und Schreihälsen
17 [27]
die höchste Spannung der Vielheit von Gegensätzen zur Einheit zu bringen – Ziel.
die einzelnen Triebe verketzern und tödten für den, der sie nicht zur schönen Einheit bringen kann – niedrigere Moralen – ihr Werth.
die höchste Dialektik und, ihr ganz gewachsen, die Stärke des Gefühls.
das Furchtbarste: Herrschsucht und Selbstsucht Heiligen
17 [28]
Chor der Narren waren einst Weise „
17 [29]
die stürmische Bewegung – und Ein Ziel und Ruhe auf jeder Stelle der Bahn
Zarathustra fand die Menschen niedrig geworden vor.
der Böse als Zerstörer ehrwürdig – das Zerstören ist nothwendig.
Selbst-Liebe und Selbstverachtung – Synthese.
„Wer ist von uns Versucher?" sagte Zarathustra und lächelte – denn es kam ihm eine Erinnerung.
den großen Mittag mit gelösten Gegensätzen vollstopfen.
Es ist die Zeit der kleinen Leute
17 [30]
Es giebt Schauspieler wider Wissen und Schauspieler wider Willen.
Einige wollen: aber die Meisten werden nur gewollt.
In der linksten Zehe noch mehr Sinn für das Rechte haben als sie in ihrem Kopfe.
So lange die Selbstsucht von Grund aus für böse gilt, werdet ihr ehrlicher Weise nie Etwas Gutes aus ihr ableiten können – und ehrlicher Weise müßt ihr Alles aus ihr ableiten. Daher habe ich das Organisch-Moralische.
17 [31]
Zarathustra 4 zuletzt: Erfüllungen
Zarathustra 1 Vorrede: die Armen (Geringen überflüssigen) als die Reichen, die Weisen froh zeitweilig sich unwissend und thöricht zu fühlen (Narren zu werden – Narrenfest)
Chöre der Armen
der Narren
Zarathustra 3, 1 Vorgefühl, daß Furchtbares geschieht.
3, 2 tiefste Schein-Ruhe des Wanderers
die schmerzlichsten Dinge sammeln
17 [32]
nicht für seinen Glauben, aber für seinen Zweifel verbrannt werden!
Du reitest schnell zum Ziele; aber dein lahmer Fuß wird zu gleicher Zeit mit dir anlangen!
Moral sei, dem Nächsten Gutes zu thun? Aber da müßtest du schon wissen, was ihm gut ist!
17 [33]
Von den Dienern
a) die Reichen
b) die Könige
Priester und Kaufleute herrschen jetzt.
17 [34]
Es giebt eine geheime Einsicht: man hat die großen Verbrechen nicht mehr nöthig – aber viele kleine.
ich will gar nicht „das Glück der Anderen"! – ihr Unbehagen und Verzweifeln unter Umständen viel eher noch!
Was! „Wahrheit" sagen! Ich will mein Gefühl ausdrücken und mich nicht verbergen. Sp<encer> D<ata of> Eth<ics> p. 269.
Egoismus kein Widerspruch mit der heroischen Denkweise!
Großmüthigkeit, wie viel fremde und feindselige Gedankenkreise ihr über euch Gewalt bekommen laßt, ihr Denker!
eingefangen in ihr enges Herz
17 [35]
Tief mißtrauisch gegen das Schicksal, bereit zu plötzlichen Entschlüssen, schlecht regiert
Liebe ich die Menschen? Liebe ich mich? Aber sie gehören zu meinem Vorhaben, gleich mir.
17 [36]
Zarathustra 3 Von der Langen-Weile.
17 [37]
Viel Altruismus habe ich nöthig, um meines ego willen und seine Lust zu haben.
acoasia
!!17 [38]
Dies ist die Wahl, vor die ich mich gestellt habe: was ich nicht vorher gewollt habe, das muß ich nachher wollen (gut-machen, einfügen – eindämmen – aber zusehen, ob ich's kann!
17 [39]
§ den Armen reich machen Emerson p. 383
§ Seligkeit im größten Umfang der Seele, größte Leiter auf und nieder
gegen den steifen „Weisen" erlösend.
Die Welt – eines Gottes Ausgelassenheit
Sünde als Selbst-Aufhebungs-Genuß.
17 [40]
Ihr überseht, welch Ungeheures jeder organische Vorgang schon ist, welche Einheit von Gegensätzen.
Sich wieder in die Gegensätze stürzen, nach einem trunknen Augenblick der Versöhnung.
die umfänglichste Seele, die sich am weitesten in sich verirren kann
der Weiseste, der sich in das Meer der Thorheit stürzt
der Nothwendigste, der sich in die Zufälle stürzt
der Seiende, der im Werden
der Habende, der will
sich immer wieder annähern und immer wieder fliehen
die Seele, der Alles Spiel ist
17 [41]
§<Zarathustra> 4 Was ist schlecht?
§<Zarathustra> 4 die höchste Seele Schilderung des Übermenschen
Seht ihr nicht, wie Zeit nur ein Übermuth und Raum eine Ausgelassenheit ist? Und welcher Muthwille von Freiheit kann muthwilliger sein als mein rollendes Rad von Grund und Folge?
sie wollen daß ihnen Niemand wehe thue: so kommen sie ihm zuvor und thun ihm wohl – diese Feiglinge!
17 [42]
Epictet als Gegensatz
17 [43]
11245 Reclus.
17 [44]
Der Warner: Zarathustra! Es ist Alles bereit zu Grunde zu gehn. Rede den Deinen zu, sich zu retten und ihre selbstgenugsame Einsamkeit aufzugeben.
Zarathustra: Man versammle mir die Meinen und lasse Herolde rufen, daß sie kommen zum großen Mittage.
17 [45]
Recept zur Genüßlichkeit
Thut, was ihr wollt, aber hütet euch damit anzustoßen,
Thut, was ihr könnt, aber hütet euch, damit aufzufallen.
17 [46]
sie wollen spielen lernen, und haben noch nicht einmal den Ernst gelernt.
Man könnte schon fliegen – aber erst mußt du wissen, wie ein Engel zu tanzen.
In der Tugend keine Sprünge! Aber für jeden einen anderen Weg! Doch nicht zum Höchsten Jeder! Wohl aber kann Jeder eine Brücke und Lehre sein für die Anderen!
17 [47]
Vielleicht ist so über den Sinn und Werth der Kunst und Künstler zu denken, wie ich hier thue, gerade jetzt nicht erlaubt: vielleicht so darüber zu schreiben wie ich schreibe – noch weniger: vielleicht habe ich manches zu büßen.
17 [48]
Ein kleines Licht, aber doch ein großer Trost
das tiefe Mißtrauen (gegen die Natur) nöthig
die Erzeugung starker Menschen.
Thut, was ihr wollt – vorausgesetzt daß ihr solche seid, die wollen könnt und nicht gewollt werden.
Liebt euren Nächsten gleich euch selber, vorausgesetzt daß ihr euch selber liebt
17 [49]
Der jetzige Durchschnittsmensch ist mein größter Feind ich verdanke es Rée daß ich ihn kennen lernte.
Er hatte keinen Ch<arakter>: was hilft's? So mußte er sich einen stehlen.
17 [50]
Nicht an Gott glauben.
Folglich gehen die Dinge nicht, wie Gott will. (Gegen die feige Ergebenheit, die die Menschen schwach gemacht hat: dagegen lehre ich ein tiefes Mißtrauen.)
17 [51]
Zarathustra 3, Er wundert sich: was hat denn die Menschen so klein gemacht?
Gegensatz zu seinen Freunden
die moralischen Worte als Schauspieler-Mittel sich zu vergrößern.
sein Ekel nimmt immer zu
wie selig <bin> ich, daß ich meine Freunde habe und mein Gedanke in ihnen lebt!
vernarren
Das Glück will nicht gesucht, sondern gefunden sein.
Was man hat, soll man nicht noch suchen.
Wer nichts zu thun hat, dem macht ein Nichts zu Schaffen.
Was ich euch thun will, das könntet ihr mir nicht thun! Und was ich nicht will, daß ihr mir thut, warum sollte ich dies euch nicht thun?
17 [52]
§ gegen die Bedenklichkeit der Gerechtigkeit
§ gegen die Milde, als ob man die überflüssigen schonen müßte! „Ach, wie nothwendig ist all das Überflüssige!" sagt ihr mir
§ gegen die Schwäche, hervorgebracht durch Vertrauen. Ich lehre tiefes Mißtrauen.
§ gegen die Ängstlichkeit vor Blutvergießen
kurz: gegen alle Moral als schwächend.
§ gegen die Gemeinden à la Herrenhuter – Christen.
Zu Zarathustra 4. Erst müßt ihr als Zerstörer Kraft gewinnen!
17 [53]
sie werden immer schwächer – seit ich sie nicht sah.
Hohn auf meine seligen Inseln, wohin Einige geflüchtet sind – auf die Dauer gleichgültig!
Zu Zarathustra 4) Es ist höchste Zeit, die Flamme wieder aufzuschüren.
Gott auf zugeben ist jetzt nöthig : die Menschheit würde sonst zu matt.
17 [54]
Trotz in der Selbst-Erniedrigung, soweit gehend, bis er tödtliche Rache am Zeugen verlangt
darum muß Gott sterben!
Auch die Thiere neu: so will ich selber noch einmal, von neuem.
Zarathustra 4. Allgemeine Revolution – das Versinken der Inseln als Vorzeichen.
17 [55]
Zarathustra 3. Der Trost des Heiligen empört Zarathustra, er erkennt, woher die Schwäche.
Wohlan! Noch Ein Mal!
Der Heilige: Du willst das Alles noch einmal? und geht.
Darauf beschwört Zarathustra den schwersten Gedanken.
<Zarathustra> 3. Schwäche deine Gefahr!
<Zarathustra> 3. Eines Teufels Fratze.
<Zarathustra> 3. War die Reise nöthig?
Das Glück läuft mir nach: das kommt davon, daß ich nicht den Weibern nachlaufe – und das Glück ist ein Weib.
17 [56]
Es ist noch zu früh für Zarathustra: bisher war ich noch mein eigener Vorläufer
Um die Mitte der Bahn ensteht der Übermensch.
der Erfolg aller gut verfolgten Dinge
Meine Gräber öffneten sich: mein lebendig begrabener Schmerz stand wieder auf – unter Leichengewändern hatte er sich ausgeschlafen, um sich nun auszuwachen.
nicht durch fremden Schlamm waten
<Zarathustra> 4 Höchster Moment: im Namen alles Seins noch ein Mal!
17 [57]
Der Gedanke, daß die Moral den Gesetzgebern ihren Ursprung verdankt und daß – – –
17 [58]
Hütet euch vor allem halben Wollen: seid entschlossen zur Trägheit und zur That. Und wer Blitz sein will, muß lange Wolke sein.
Das lange Schweigen müßt ihr lernen: und Niemand soll euch in den Grund sehen. Aber nicht weil euer Wasser trübe ist und euer Antlitz verschlossen ist, sondern weil euer Grund zu tief ist.
17 [59]
Und wer um die Tugenden der Starken wirbt, soll auf die Tugenden der Schwachen verzichten: und in eurem Verzicht sei kein Verachten.
Wie willst du tanzen lernen, wenn du nicht einmal gehen lerntest! Und über dem Tanzenden ist noch der Fliegende und seine Seligkeit
Schon fühle ich daß ich träume: so bin ich wohl nahe am Aufwachen?
Man soll nur stehlen, wo man nicht rauben kann: so redet das Gesetz der Ehre unter Schelmen.
17 [60]
Recept
1) den Willen kräftigen
2) keine Lüsternheit
3) schweigen lernen
4) Einsamkeit lernen
5) das tiefe Mißtrauen und das tiefe Vertrauen
6) seinen Feind suchen, seinen Freund aber finden.
17 [61]
Ich will daß du kein Ding thust mit „um" und „weil" und „damit" sondern jedes Ding um des Dinges selber willen und ihm zuliebe.
Der Zweck ist es, der jedes Ding und Thun entheiligt: denn was zum Mittel werden muß, wird entheiligt
17 [62] Pflanze dich ein – als neue Pflicht
Lob des Zufalls, als er seine Freunde sucht
Lehre vom langen Willen an Stelle des Glücks
Die alten Werthe vernichtet
17 [63]
So viel Güte, so viel Schwäche! Es ist noch nicht Zeit, gütig zu sein.
§ Von der Gemeinschaft der Feiglinge
Dein Stein wird mürbe!
dem Willen ein Rückgrat Schaffen
§ Unsere Würde als ein ewiger Typus
§ die Wissenschaft lehrt ihn nichts als ihre Flüchtigkeit und Vergänglichkeit
17 [64]
Selbst in Gefängnisse verflog sich meiner Freiheit Neubegierde.
17 [65]
Fluch darüber, daß die Besten sich zurückzogen, ohne Kinder.
17 [66]
Zarathustra 3 Ein Zögern ist in dir: dies schuf – – –
Bescheiden ein kleines Glück umarmen und dabei schon bescheiden nach einem anderen kleinen Glücke schielen.
Wehe, du wolltest ihn kaufen, aber du botest zu wenig und so hast du seine Tugend stärker gemacht!
17 [67]
Mein Glück stand heiß über mir im Mittage <und> sog durstig an meinem Meere, ich liebe die starken Winde und weiß auch, wohin sie gehen und woher sie brausen. Bald werde ich ein starker Sturm sein
seinen Willen einpflanzen, daß er ein langer Wille werde, und ein hoher Baum mit breiten Asten.
§ ich will nicht, daß die Tugenden der Starken verwechselt werden.
17 [68]
Rede Napoleon's – Verachtung der M<enschen>, er treibt seine Nation ins Höchste und erweckt den Gedanken wieder, daß ein Volk nur leben dürfe, wenn es den Glauben an sein höheres Recht zu finden habe.
hart machen statt mild
lang statt flüchtig
stolz statt bescheiden
Gewissen
Pfeil geritzt –
Redet mir nicht von Ereignissen! Es wird sich euch nie etwas ereignen als ihr euch selber
17 [69]
§ <Zarathustra> 4 die große Verachtung Angesichts der Ewigkeit des Individuums.
Darauf erlösend: seht! ich lehre euch den Übermenschen
§ <Zarathustra> 3 sie haben Alle keinen Glauben an ihr höheres Recht – Völker Weise usw.
Schluß von Zarathustra 3 Herauf abgründlicher Gedanke! Jetzt bin ich dir gewachsen! „Stein-hart-machen. Du bist mein Hammer! –
Seligkeit der urbestimmten Natur – Hymnus.
<Zarathustra> 3 Anfang. Du hast Vieles schon gelassen –
Lange Grabrede mit Hohn zuletzt
Ehre den Herrschsüchtigen die ihre Verachtung ausließen an den schwachen Menschen.
17 [70]
Und wer die Menschen bisher am meisten verachtete – war er nicht dadurch immer ihr größter Wohlthäter?
Nehmt das Kind weg – sein Blick tödtet!
17 [71]
In eine schwarze Wolke gewickelt – bringe ich euch die Pest?
die ewige Zufriedenheit warf sich in ihren Gegensatz
17 [72]
die Journalisten als Leichenräuber den Halbtodten und Todten etwas abnehmend
Zarathustra 4 „laß sie zu mir kommen!"
„Du bringst gute Botschaft: der Sumpf bewegt sich"
Wenn nicht der höchste M<ensch> Herr des Volkes ist, werden die Krämer Herr sein.
Sprich früh und abends: ich verachte die Krämer, ich will ihre Finger zerbrechen.
Lieber noch Händel als Händler!
gegen die Lehrer, die keine Vorbilder sind
Schluß
Siehe, das ist die Sel<igkeit> wider Willen
17 [73]
A. Blanqui
l'éternité par les astres
Paris 1872.
17 [74]
die Leiden des Höheren an der Unvollkommenheit der Niederen
<das Leiden> Gottes an der M<ensch>h<eit>
Ihr habt verstanden, bei ihnen den Ehrgeiz zu erdrosseln: unter euch die letzten zu sein – deß gelüstete sie mehr als die ersten
Das Leiden des höheren Menschen ist nicht sein Niederes, sondern daß es noch Höheres giebt
17 [75]
Zarathustra 3. einsam gottlos furchtbar fürchterlich soll Zarathustra dem Einsiedler erscheinen der raubende Löwe der Wahn und Willkür im Heiligsten findet
17 [76]
Feinde sich Schaffen immer geistigere – oder alles wird matt
Bin ich denn gekommen die Menschen glücklich zu machen?
Wer Lust sucht, wird wenig finden – sei es auch für Andere
Die Lust ist ein Weib: sie läuft dem nach, der sie verschmäht.
17 [77]
Zarathustra 3 Anfang. <Zarathustra> ist zufrieden – die Saat steht gut.
Er hat viel vor mit seinen Jüngern: erst müssen sie reifen.
17 [78]
ihr rechnet das Glück aus und vergeßt dabei alle Zukünftigen
Falsche Rechnung in Betreff des Glückes – man muß das Unglück wollen.
das Glück der Gegenwärtigen zum Opfer bringen für die zukünftigen Menschen.
Fragt die Frauen: man gebiert nicht, weil es einem Vergnügen macht.
17 [79]
Es wird Eigenschaften an unserem Intellekte geben, die ihm als einem Intellekte zukommen, und andere, die ihm als einem menschlichen Intellekte zukommen: das ist jetzt die eigentliche Streitigkeit, und man darf da nicht müde thun, sondern trennen zweifeln und zu lernen geben
17 [80]
nicht den Werth der Dinge nach Begleit-Erscheinungen abschätzen z.B. das Gebären nach den Schmerzen! Da wäre es ja schlecht!
„Da ist Etwas, das mir befehlen will. Warum ringen wir mit einander, laßt sehen, wer der Stärkere ist!" so entsteht der Böse.
Ach meine Schwermuth! Und wenn ich es doch noch zum Lächeln bringe – die Engel sollen schmelzen in Thränen, wenn sie dies Lächeln sehen. Nachmittags, wenn alles Licht stille wird.
Nun lebt Keiner mehr, der mich liebt; wie sollte ich noch das Leben lieben!
dieser Gedanke! wenn er mich nur mit seinen Fingerspitzen berührt, so zittere ich und erröthe – und das Herz schlägt mir bis zur Kehle hinauf.
ich weiß es nun und bin glücklich und müde darin geworden – nun „sei's genug!" – So ihr – ich aber will thun, was ich euch denken hieß
Künstler
ihr Herz war höflich auch gegen arge Zufälle – sie nahmen es als eine Weisheit für Igel, gegen das Schicksal stachlicht zu sein.
Hier ist Etwas, das befiehlt – und nicht einmal eine lebendige Seele mit Augen und Augen-Blitzen, sondern – – –
Wenn die Stunden leichten Fußes über uns hinweg laufen, des Nachmittags, da wo auch alles Licht stiller wird –
Das Meer liegt lang da und hingestreckt: und ohne Scham in blauer Nacktheit?
Und wenn mir die Leiter fehlt, so steige ich auf meinen eignen Kopf
Zarathustra, sagte der Steuermann, das gefällt mir nicht!
Die Losreißung an meiner Trennung von W<agner> zu schildern.
Es ward mir so still – dies erst ist Stille: <wenn> Niemand an mich denkt und alle von mir sprechen.
Er ist unerschütterlich: und wenn er klagt, so ist es mehr eine Nachsicht gegen euch und ein Mantel, den er um seine Härte schlägt.
Ach, mein Joch ist schwer! das Joch der höchsten Sucht.
Ich suchte immer nur mein Heim, das ist meine schwerste Heimsuchung.
17 [81]
Es ist fehlerhaft, im Altruismus eine Verfeinerung des Egoismus zu sehen. Dies hieße es zu hoch stellen.
Die Triebe, deren Wirken am stärksten selbstsüchtig genannt wird, sind es am wenigsten, z. B. die Begierden des Essens Geschlechtes und Reichthums. Hier ist an Ein Selbst noch nicht gedacht, sondern nur an die Erhaltung eines Exemplars „Mensch".
Die Beschränkung dieser Begierden (oder eine Erschwerung ihrer Befriedigung!) ist eine Folge der Sucht nach Selbst, des Gefühls von Selbst.
die gemeinen Triebe wollen zuerst und allein befriedigt sein auf Kosten der anderen.
17 [82]
– wie die Töne der Glocke auf weichen Schuhen laufen –
Und wenn der Frost unsere Seelen knacken und knirschen macht, so frohlocken wir: und wir loben das Land nicht, wo Butter und Honig – fließt.
In einem Leib von Eis geborgen ein kostbarer Tropfen süßen scharfen Weins – das ist mir das Glück – ja wenn es Götter gäbe, sie wären mir auf diesen Tropfen neidisch!
Und wenn Einer sich gar in unsere Sonne legen will, so lachen wir voller Zweifel und fragen uns: sind wir gemacht, glücklich zu machen!
Glück ist uns die große Ausnahme und Verwunderung: wir fürchten uns vor ihm und uns in ihm, wir stoßen es zärtlich vor uns her, gleich einem mißtrauischen Liebenden.
17 [83]
listig gleich Thüren die heimlich aufgehen, daß ein diebischer Wind hindurch husche
17 [84]
Seht doch diesen reinen Himmel an! Hat er nicht alle Sterne in sich hinein geschluckt und aufgetrunken – und doch hat er seine Unschuld wieder gefunden.
Mein Glück stieg einst zu Thale, daß es sich eine Unterkunft suchte, mein süßes brennendes Eigen-Glück, da fand ich diese reinen Seelen aufgethan, gleich gastfreundlichen Thoren.
Wehe, da rührt er sich und wurmt mich, mein alberner Wurm und Abgrund von Gedanken!
17 [85]
Zarathustra, sagte der E<insiedler>, ich hielt dich bisher für einen Weisen, aber was mich über Alles an dir verwundert, ich sehe nun, daß du auch klug bist. Das Schlimmste liegt hinter uns – du aber bist entkommen.
und sah ihn mit einem schielenden Auge an.
tölpelhafte Tugenden
17 [86]
Wenn ich mich erst dessen überwunden habe, wer wird mich denn noch überwinden? Also wird dieser Sieg meiner Vollendung Siegel sein!
wie könnte ich‘s wagen dich aufzurufen und anzuschauen!
17 [87]
Dann erst wenn Zarathustra seines größten Schmerzes Meister wurde, wird er um Sieg mit seinem größten Drachen kämpfen.
Flüchtlinge und Schiffbrüchige waren es, die neue Länder entdeckten: Halbzerstörte waren von je die Eroberer.
Zarathustra, wenn wir deinethalben nicht zu Grunde gehen, so werden wir deinethalben davonkommen. Aber so schlimme Dinge sah ich noch nie, das Schlimmste aber liegt hinter uns.
Der Steuermann aber der Zarathustra zuletzt hatte reden hören entblößte sein Haupt und sagte ehrerbietig – – –
17 [88]
La gaya scienza ist durchaus nöthig für einen, der so denkt wie ich und solches will.
17 [89]
Ehre und Vollendung dir oh Zarathustra!
[Dokument: Heft]
[Herbst 1883]
18 [1]
Wenn du nicht beten kannst, warum fluchst du nicht wenigstens? Siehst du nicht, daß wir ums Leben ringen?
Ich fürchte dich, weil du beißt, während wir um das Leben ringen: du siehst aus wie Einer, der seines Lebens gewiß ist.
Oder seines Sterbens – sagte Zarathustra.
Und wenn wir davon kommen, will ich sagen „es ist kein Gott – und Zarathustra hat mich's gelehrt."
Ich vergebe dir dein Mißtrauen ich gebe dir aber nichts für dein Vertrauen.
Ich fand einen Übermuth in allen Dingen, den hieß ich göttlich. Und weil ich diesen Übermuth auch in meiner Seele fand, heiße ich auch meine Seele göttl<ich.>
Du glaubst an Wunder und Wundermänner; die rechte Noth würde dich auch noch beten lehren. Die alten Falschmünzer des Geistes haben auch deinen Verstand Falsch gemünzt.
Er legt auf Jahrtausende die Hand.
18 [2]
Vom Getümmel.
4. Als Zarathustra einst durch einen Schiffbruch ans Land gespien wurde und einst auf einer Welle ritt, wunderte er sich: „wo bleibt mein Schicksal? Ich weiß nicht, wo hinaus ich soll. Ich verliere mich selber." Er wirft sich ins Getümmel. Dann von Ekel überwältigt sucht er etwas zum Trost – sich
18 [3]
der Fliegende (als Entdecker, der auf ein Jahrtausend seine Hand legt)
18 [4]
4. Von den Kleinen.
5. Krämer
usw.
18 [5]
Daß die Würfel gegen uns fallen können, ist dies ein Grund, nicht Würfel zu spielen? Vielmehr – hier ist der Pfeffer.
18 [6]
Zarathustra prüft mit schmerzlicher Erregung den Gewaltigen, den Narren, den Fliegenden, darauf ob er sich darin wieder findet – umsonst!
Erst nachdem er vom Tod der Freunde weiß
In keinem Menschen findet er sich – so sucht er die Thiere.
§ großer Hohn auf sich als Fürsprecher des Lebens
3. Erzählung des Steuermanns. Entsetzliche Nacht Zarathustras.
4. Heiterkeit.
18 [7]
Ich mag die düstern Duckmäuser und Molche nicht. Auf Irrlichter bin ich gram und alles, was vom Sumpfe stammt.
Ist denn das Leben ein Sumpf?
18 [8]
Ein kleines Lied, aber ein großer Trost für den der es singen kann: und wahrlich ein guter Singvogel muß es sein!
18 [9]
Ein Überfluß an Leid war in ihm: das brach heraus und strömte hin nach einem Meer des Väterlichen.
Das Meer alles Väterlichen hieß er Gott – rechte Männer nannten ihn drob Gottesläster<er.>
18 [10]
Ach, meine Seele, wie wurdest du so hart gegen den der dich überreich geliebt hat!
18 [11]
selbstherrlich selbsthörig und Held zugleich
18 [12]
Wenn Gold klingelt, da blinzelt die Hure. Und es giebt mehr Huren als Goldstücke. Wer käuflich ist, den heiße ich Hure. Und es giebt mehr Käufliche als Goldstücke.
18 [13]
Ich verachte das Leben am besten: und ich liebe das Leben am meisten: darin ist kein Widersinn – Widerspruch.
Herzensqual
18 [14]
§ Mein Kopf ist närrisch, aber mein Herz ist weise.
§ Alles geht und vergeht – alles kommt zurück.
– und das Gehen und Vergehen kommt selber zurück
Dieses jetzt da war schon – ungezählte Mal war es schon
Diese Lehre ward noch nie gelehrt. Wie? Ungezählte Male ward sie schon gelehrt – ungezählte Male lehrte sie Zarathustra.
18 [15]
Der Schmerz lehrt Hühner und Künstler gackern. Fragt die Weiber: man gebiert nicht, weil es Vergnügen macht.
Einen Scheiterhaufen sah ich gethürmt: mürbe und gedrückt wartete er des Funkens: seine eigene Schwere drückte ihn
Den Knaben blies er sein Verlangen zu: mit trockenem Gaumen röchelte er sein Wort, aber die Knaben hörten ihn nicht
Zu Knaben muß man schreien: mit Gewalt immer ihrer Ohren und Augen Thür aufreißen
18 [16]
In der dümmsten Welt hat schon eine kleine Vernunft unsägliches Vergnügen.
Ich weiß oft nicht mehr, was ich von mir weisen soll; ich stürze mich lieber hinein und Versuche mich.
Die Kraft, in mich zu verwandeln, immer im Wachsen. Gesetzt, es gäbe einen Gott, so könnte die Welt gar nicht dumm genug für ihn gedacht werden.
18 [17]
großmüthig den Schmerz betrachten – oft wird das dritte Geschlecht erst mit unserem Schmerze fertig d. h. eine neue Kraft wuchs ihm.
großmüthig in Hinsicht auf die Zukünftigen – und das ist der Großmuth des Schaffenden, der sein Werk mehr liebt als sein Heute.
die Zufriedenen am meisten gefährlich (zufrieden mit den gegebenen Idealen) gar die zufriedenen Düsterlinge.
18 [18]
Kam ich denn, auf Laster zu lästern? Und vor Taschen- und Tagesdieben zu warnen?
Kam ich nicht, sie meine Reichthümer zu lehren und alle Übersehnsucht meiner Fülle
18 [19] .
Von den Fürsten.
Von den Lehrern.
Von den Bösen.
Vom Ruhm.
Gespräch mit dem Blitze
18 [20]
Von der großen Sehnsucht.
Von göttlichen Begierden.
Von der Schwangerschaft.
18 [21]
meine Feinde hinter ihr Thor zu drängen und Blässe auf ihres Thores Wange zu malen
Der Weg durch alle 7 Einsamkeiten: endlich die Schlange
18 [22]
Lehrte ich dich nicht – den Übermenschen?
18 [23]
Was wißt ihr von der Wollust! Was könntet ihr von der Wollust wissen!
Ein Andres ist Wollust ein Andres ist Gebären. Fragt die Weiber: man gebiert nicht weil es V<ergnügen> macht
Der Schmerz macht Künstler und Hühner gackern. Die Wollust schweigt – nun hört mein Wort vom Ruhm.
so wartet gesegneten Leibes, zufreud- und zufrieden, die Schwangere.
18 [24]
Hast du deine Tugend in den Ohren, so sieh zu wie du das lärmende Leben aushältst. Wir werden am meisten für unsere Tugenden bestraft.
18 [25]
Mein Schicksal, hüte mich vor allen kleinen Siegen! Spare mich auf, daß ich Einmal siege – groß wie das Schicksal.
Mit dir rede ich, Schickung meiner Seele, Schicksal
daß ich überrasche und nie erwartet werde, wie ein Geist erscheint
daß ich die Furcht nicht begreife, sondern der größten Gefahr bedarf um des Ekels loszuwerden, den das Leben einflößt.
18 [26]
Wie viel Höhlen hat das Leben!
Unsere Gewohnheit an Höhlen, unsere Sehnsucht darnach – ein Gang durch finstere Schläuche
18 [27]
Du Blitz, schneidender Demant, Gold-Zickzack! Antworte mir, daß ich sehe, ob du nur zum Schein schneidend und scharf bist.
Für einen Denker nahm ich dich oft – weil, gleich dir, der Gedanke durch Wolken geht: und gleich dir weckt der Gedanke den Donner auf, der hinter Wolken schläft und grollt.
18 [28]
Am wachen Tage lernte ich das Gehen: auf festen Füßen leicht durch den wachen Tag gehen.
Im Schlafen und Träumen – sag mir, was lernte ich, daß mir wohl zu Muthe ist auch im Schlafen und Träumen?
18 [29]
NB wenn ich hinauf die Joche ging
ein Herold aller Mittags-Brüder
18 [30]
Duckmäuser, Mausefallen
– Bin ich denn ein listiger Geld-Krämer und Klingelbeutel?
Auch in der alten guten Zeit brachte jeder Tag mir eine schlimme Zeitung
Diesen Übermuth der Weisheit fand ich in allen Dingen: daß sie allen Dingen auf den Füßen der Narren gehen heißt.
So wenig Vernunft als möglich: mehr nimmt sie nicht mit ihrem Schnappsack, diese übermüthige Weisheit, wenn sie tagsüber ihr Feld bestellt und über Land geht.
So w<enig> V<ernunft> a<ls> m<öglich> – das ist, artiger geredet: Zufall. Auf den Füßen des Zufalls laufen alle Dinge hinweg und zurück – – –
Glück und Unschuld sind die schamhaftesten Dinge auf Erden: beide wollen nicht gesucht sein. Man soll sie haben – man soll nicht einmal wissen, daß man sie hat.
Ihre Gedanken stellen sich mir entgegen: ihr Sinn ist ein Wider-Sinn, ihr Witz ein Doch- und Aber-Witz – aber stehen und gehen sie nicht – – –
Alles redet, alles verräth, und was heute noch röchelndes Gespenst ist, ist morgen schon ein Trompeter-Stück auf Märkten
Mein Fuß ist ein Pferdefuß: und ich trabe und trapple damit über Stock und Stein, bei Tag und Nacht kreuz- und querfeldein und bin des Teufels bei allem schnellen Laufen und [–]
Meine Hand ist eine Narrenhand: wehe allen Tischen und Wänden und wo sonst ein Platz gelassen ist für Narren – [–]
Mein Mundwerk ist des Volkes: fremd rede ich allen Federfüchsen und Tintenfischen
18 [31]
Vom Willen zum Leiden
Von der Seligkeit wider Willen.
Vor Sonnen-Aufgang
Von der Selbstverkleinerung.
Das Winterlied Vom Vorübergehen
Die Heimkehr des Einsamen.
Das andere Tanzlied.
18 [32]
Selbstsucht: ein Schmutz- und Schmähwort für die Art alles Lebendigen, – daß es wachsen und über sich hinaus schaffen will
daß jedwedes Ding Schwanger geht mit seiner Zukunft – das Gelüst der Schwangeren wird sich selber oft ein Widersinn. Gelüst ist – – –
18 [33]
Sein Glück heißt der Mächtige Tugend – sein strömendes überströmendes Glück, sein herrschendes Schenken.
18 [34]
Alles redet, alles wird zerredet; und was heute noch zu hart für den Zahn der Zeit scheint, wird morgen schon zerschabt und zerschunden aus hundert Mäulern hängen.
Alles redet, alles wird überhört; man mag seine Weisheit mit Glocken einläuten, die Krämer auf dem Markte werden sie mit Pfennigen überklingeln.
Alles redet, Niemand will zuhören. Alle Wasser rauschen zum Meere, jeder Bach hört nur sein eignes Rauschen.
Alles redet, Niemand will verstehen. Alles fällt ins Wasser, Nichts aber fällt in tiefe Brunnen.
Alles redet, alles richtet zu recht. Unrecht wird verfolgt – gut verfolgt, aber schlecht erwischt.
Alles redet, nicht<s> geräth, alles gackert, aber Niemand will Eier legen.
Oh meine Brüder! Daß ihr nicht Stille von mir lernt! Und Einsamkeit!
Alles redet, Niemand weiß zu sagen. Alles läuft, Niemand lernt mehr gehen.
Alles redet, Niemand hört mich singen: Oh daß ihr Stille von mir lerntet! Und das Leiden der Einsamkeit!
18 [35]
Mit den Göttern ist es lange schon zu Ende: sie haben sich selber todt – gelacht.
Dies geschah, als das gottloseste Wort von einem Gott selber ausgieng – das Wort: du sollst keinen anderen Gott haben neben mir: ein alter Grimmbart von Gott vergaß sich also.
So ärmlich war nie ein Gott in seiner Eifersucht, daß er gebot: „du sollst keinen anderen Gott haben neben mir!"
Und alle Götter lachten damals und wackelten auf ihren Stühlen und riefen: „Ist das nicht eben Göttlichkeit, daß es Götter, aber keinen Gott giebt?"
Du Schalksnarr Zarathustra, wie göttlich hast du zu dem letzten Menschen geredet, der noch an Gott glaubt!
18 [36]
Und als ich mein Schwerstes that und selig und müde meiner Überwindung Siege feierte, da schrien sie – unversehens hätte ich ihrer Eitelkeit auf die Zehen getreten.
Sie wollen Alle aus sich eine Satzung machen: und wer nur klettern kann, der gebeut: „du sollst nicht fliegen".
Ich bin hart gegen mich: und oft nehme ich noch Rache für diese Härte, damit daß ich das Unrecht Anderer schone – ihr U<nrecht> gegen mich!
Und wenn es auch eure Schuld ist: ich nehme es auf mich und heiße es meine Schuldigkeit.
18 [37]
Und wie könnte ich das deinem Willen ausreden, du Löwen-Williger! Denn ich lese all dein Wollen in deinen Augen.
18 [38]
Ich segne dich, oh Zarathustra, wie als ob du mit mir Eines Gottes und ein Kind gleicher Hoffnung wärest.
So wie ich dich sehe – wie könntest du Übles wollen? Ob ich gleich nicht deine Sprache verstehe
Das ist nun deine Sprache: und es nimmt mich Wunder, solltest du mit solcher Rede jemanden zu dir überreden – es sei denn Leichname und Possenreißer
Und eher glaube ich noch, daß du die Thiere zu dir überredest als die Menschen: sonderlich deine eigenen Thiere! diese häßliche Schlange da und den rauschenden Vogel!
Also sprach der Einsiedler, denn er fürchtete sich vor den Thieren Zarathustras: und als die Schlange eben ein wenig den Kopf hervorstreckte, siehe, da machte er einen Sprung und entfloh.
Also schieden sie von einander wie 2 K<naben> lachen<d.>
18 [39]
Dies ist mein Wort das mich erwürgen wollt!!
Dies ist meine Schlange, die mir in den Schlund schlich
18 [40]
Mein Schwerstes lernte ich im Verborgenen thun: wer hatte Augen dafür, als ich allein in furchtbare neue Meere mich einschiffte?
Und als ich allen geliebten Götzen den Rücken wandte, wer sah mich gehn! Ungesehen schritt ich hinaus in den Brand der Wüsten.
18 [41]
Die Besiegelung
18 [42]
Und immer, wenn ich meiner Einsamkeit gedachte, immer war es doch, wenn ich aus der Ferne sprach „oh gute Einsamkeit!"
18 [43]
„Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muß": das klingt meinen Ohren wie eine lachende tanzende Weisheit. Aber sie meinen, ich heiße sie, – zum Kreuze kriechen!
Freilich: bevor man tanzen lernt, muß man gehen lernen.
18 [44]
Um der Zukunft willen leben §
das Zerbrechen der Tafeln
18 [45]
Erlösung! Aus spie ich den Schlangenkopf!
Erlösung! Den Willen lehrte ich das Zurückwollen stillste Stunde Zarathustra du bist reif – Löwin Tauben
Jedes Mal die Mitte wenn der Wille zur Zukunft entsteht:
das größte Ereigniß steht bevor!
Fülle und Liebsal
Oh Liebsal meines Herzens!
18 [46]
Oder fürchteten sie sich vor meinem Fluchen? – denn mein Fluch ist die Brüderschaft von Haß und Blitzstrahl
Kleine Vortheile haben sie klein gemacht – und nun lesen sie noch gar den Kehricht guter Zufälle aus!
Kaum hatte sie das Schicksal ein wenig angesäuert – da giengen sie auf und schwollen über alle Ränder
Dieser in kleiner verkrochner Gemeinde, Dunst und Dünkel aller Betbruderei
weich flüchtig bescheiden
18 [47]
Daß ich eine gute Handvoll Muth zum Leben habe: das macht, ich habe einen kleinen Schlüssel bei mir – der führt zum Nichts.
Daß ich eine gute Handvoll Muth zum Nichts habe – das macht: ich weiß, daß alles Nichts – – –
Die Handvoll Kraft, mein Ich – der Spott vom All der Kräfte!
Was ich will? – Muth machen zum kleinen Schlüssel für die Mißrathenen
Muth den Wenigen, ihren Willen gegen die Viel zu Vielen durchzusetzen
Höheres zu dichten und Schaffen als der Mensch bisher war
völlig ohne Verantwortung, in das Sein zu schiffen, die Seligkeit zu lehren, welche sagt: ich will das noch Ein Mal um dieses Augenblickes <willen.>
18 [48]
Ring der Ringe
I wenn ich je träumte, die Mitte und Mittag der Menschheit zu sein.
II wenn ich wie Alpenglühen alles Vergangene-Große zurückholte und zum Leuchten brachte.
III wenn ich wie Wachs die Zukunft formte.
IV wenn ich die Tafeln brach und den Berg hinab warf.
V wenn ich je hinaus fuhr – Übermuth Scepsis.
18 [49]
Der Mensch ist Etwas das überwunden werden muß: das ist die Lehre vom Leben als der großen Selbst-Überwindung.
18 [50]
Ich bin ein Gesetzgeber, ich schreibe Neues auf meine Tafeln. den Gesetzgebern selber bin ich Gesetz und Tafel und Herolds Aufruf.
18 [51]
Bin ich der Fürsprecher des Lebens – nun, so muß ich auch noch seiner ewigen Wende Nicht-Fürsprecher sein! –
Eine Wiederkehr des Größten und Kleinsten und des ganzen Knäuels und Knotens von Grund und Folge.
18 [52]
Meine Klugheit gieng weg von mir, diese spröde Katze: mein Stolz rauschte in die Lüfte! der sucht sich Abenteuer.
Da sitze ich nun mit meiner Thorheit – die Welt still wie ein Garten, die Luft müde vor vielen Wohlgerüchen.
Welche liebe Noth macht mir meine Thorheit: sie will gar nicht stille sitzen und purzelt immer vom Stuhle – wird sie je ihrer selber müde werden?
Sie wird auch ihres Singens nicht müde: die Weise aber hat sie von den Kindern gelernt, Abends, wenn die purpurne Seligkeit am Himmel hängt.
Ich vergebe ihr, denn sie weiß nicht, was sie singt: und weil ich so allein bin, singe ich ihren Unsinn mit – verzweifelnd, wie oft sie dabei vom Stuhle fällt.
18 [53]
Ich fand auf meinem Gange
seine langen Esels-Ohren –
Ich fand auch meine Schlange,
die hatte den Kopf verloren.
18 [54]
aufgespart hattest du alle deine purpurnen und smaragdnen Seligkeiten
Wetterleuchten meines Glückes
18 [55]
Dühring – ein M<ensch> der durch sich selber von seiner Denkweise abschreckt und als ewig kläffender und beißlustiger Kettenhund vor seine Philosophie sich hingelegt hat.
18 [56]
der überwundene Mensch selber war der Vater des Übermenschen.
Also lehre ich und werde deß nicht müde: der Mensch ist Etwas, das überwunden werden muß: denn siehe, ich weiß es, daß er überwunden werden kann – ich schaute ihn, den Übermenschen.
18 [57]
„Habe ich Zeit, auf meine Thiere zu warten? Wenn es meine Thiere sind, so werden sie mich zu finden wissen" Zarathustras Schweigen
„bei mir dem Einsiedler sucht ihr Worte der letzten Ruhe: die letzte Ruhe der tiefen Welt – Ach, ist sie eines Einsiedlers Höhe?
Und wenn mir ihr Wort durch Ohr und Mark und Bein geht, sucht und findet sie also noch Freunde?"
Oh Zarathustra – sprach darauf der Einsiedler – das ist nur deine Sprache: die verstehe ich nicht: – und damit wirst du eher noch die Thiere überreden als die Menschen.
18 [58]
Wie viel Wärme verstehen wir – zurückzuhalten
18 [59]
Eins! Mitternacht hebt an – herauf aus tiefer Welt geht ihr Lied durch Ohr und Mark und Bein.
Zwei! Tief ist alles Weh, doch tiefer noch die Lust und legt <sie> die Hand dir auf die Brust – das geht durch Mark und Bein.
18 [60]
Denn welche Sonnen wären hinuntergegangen, die einst dir noch glühten auf der Höhe und der Unschuld deiner Gipfel!
18 [61]
Was dem Weinstock und dem Sturm gemeinsam ist, ein Unaussprechliches – darin sollst auch du Weinstock und Sturm sein.
18 [62]
verhungert [–] an seinen Erwartungen,
auf dunklen Pfaden, über welchen mir die Hoffnung wetterleuchtet
18 [63]
3.
Ende
[Dokument: Heft]
[Herbst 1883]
19 [1]
Trost 1) daß so Vieles nicht zu errathen ist
2) daß so Viel gut zu machen ist.
Liebe fürsprechend für einen Bösen Leidenden.
Meer-Pfade
alte Tafeln zerbrechen
19 [2]
§ Weißt du noch oh Zarathustra wie du zum ersten Mal unter M<enschen> warst im Walde, wie die Vögel über dir schrien, wie du die große Verlassenheit fühltest
2) die große Verlassenheit unter Gefährten, als du des Schenkens müde wurdest
3) die große Verlassenheit der stillsten Stunde
Zum Unterschied von der Einsamkeit
19 [3]
Die Schwärmer und die Dämmerlinge und was Alles zwischen Abend und Nacht fliegt, kriecht und auf lahmen Beinen humpelt.
19 [4]
Kiesel-Kauer heiße ich die Allzufriedenen Allzufreundlichen:
Schweinemägen – so heiße ich diese Kieselkauer
und beten zu Allem als zu ihrem Gotte –
das ist Vielfraß-Geschmack, Allfraß-Geschmack –
19 [5]
Oh meine Brüder, um der Bosheit halber will ich es einmal wie kleine Hinterweltler treiben: seht, ich zeichne sie hier in den Sand! Mag Einer kommen und sie aus dem Sande auflesen!
Manchen macht schon irgend ein Glaube selig: wohlan, so greifen sie!
Oh meine Brüder. Es sind solche unter euch, die verstehen es, ein Ding zu nichte zu lachen – auszulachen! Und wahrlich, man tödtet gut durch Lachen!
Solche heiße ich nach meinem Beispiel thun: ihnen kam ich als ihr Vorspiel.
Und solchen, die durchaus keine Ruhe haben, es sei denn sie sehen endlich die Welt von hinten, rathe ich:
sollte die Welt nicht eines Gottes Ausgelassenheit sein?
19 [6]
Im Lachen nämlich werden alle bösen Triebe heilig: daß aber alles Schwere leicht werde –
19 [7]
Und jedes Mal daß der Löwe lachte, fühlte Zarathustra sich bewegt wie noch nie zuvor, so daß er nach seinem Herzen griff: denn es war ihm immer, als ob ein Stein ihm vom Herzen falle und noch ein Stein und wieder ein Stein.
19 [8]
Heimkehr.
Das andere Tanzlied.
Beschwörungen.
Der Genesende.
Die alten und neuen Tafeln.
Einsiedler.
19 [9]
Du regst dich, dehnst dich? – Du röchelst. Es giebt nichts Neues mehr – röchelst du – laß mich schlafen!
Das ist es: es giebt nichts Neues mehr, das bist du selber abgründiger Gedanke: jetzt bist du wach!
19 [10]
Ihr müßt auch siegen wollen; also es ist nicht genug, Kämpfer zu sein und Lanzknecht des Lebens:
Also sage ich Friesen oder Sachsen ins Ohr: daß ihr siegt, ihr müßt auch siegen wollen!
Das Leben warb euch einst zu seinen Lanzknechten – das ist wahr: nun aber rathe ich euch, das Leben euch zum Knecht zu werben.
19 [11]
Was man nicht hat, aber nöthig hat, das soll man nehmen: also nahm ich mir das gute Gewissen.
19 [12]
Ich bin unter ihnen wie der Diamant unter Küchen-Kohlen: sie glauben mir nicht, wenn ich sage: Oh meine Brüder! Wir sind so Nah-Verwandte!
19 [13]
Dem Meere hold und Allem, was Meeres-Art ist, wird er holder sein, wenn es uns gerade widerspricht –
19 [14]
Von neuen Königen.
„Ein Sturm kommt in Bälde herauf" – so spricht sich schüttelnd meine Seele, die Wahrsagerin: in ihr nämlich gehen schon die kommenden Stürme um.
(Städte und Reiche und Könige der großen Verachtung)
Und vor dem Sturme her hinkt die lange Dämmerung, die todesmüde, todestrunkene Traurigkeit, welche mit gähnendem Munde redet. „Alles ist gleich, Alles ist leer, Alles war" – so gähnt sie und schleppt den Fuß und kann nicht schlafen noch sterben vor Müdigkeit.
19 [15]
Oder wer ist es, den du liebst?
Dreh-Orgler!
segnen d. h. dem Zufall eine schöne Seele geben.
Wahl: vorher und nachher
gestaltende Kraft gegen das Vergangene
Ruhe des Wartenden
Muth des Wagenden
Rein d. h. ohne Zwecke.
19 [16]
Wald-Thiere
Von zukünftigen Gesängen
deine Sehnsucht [–]
[Dokument: Heft]
[Herbst 1883]
20 [1]
Du gehst den Weg der Größe: nun ist für dich Abgrund und – Gipfel in Einem beschlossen.
Schaue dich nicht um: das sei dein bester Muth, daß es hinter dir keinen Pfad mehr giebt.
Hier soll dir keiner nachschleichen: wo dein Fuß nur schritt, da ist der Weg ausgelöscht und darüber geschrieben „Unmöglichkeit".
Nun ist das deine letzte Zuflucht worden, was bisher deine letzte Gefahr war.
Die Zeit ist abgeflossen, wo du noch Wunsch sein durftest: was du jetzt noch bist, soll Hand und Wille und Griff des Wollens sein.
Einige wollen, aber die Meisten werden nur gewollt.
Und alles Gute sollst du dir gewähren als einem, der es sich auch versagen könnte.
Es giebt Schauspieler wider Wissen und Schauspieler wider Willen.
Daß wir unsere Unsterblichkeit ertragen könnten – das wäre das Höchste.
Bin ich dazu gekommen, die kleinen Leute ihre kleinen Tugenden zu lehren? Sie wissen sie schon selber zu finden und rechnen es mir hart an, daß mich ihr Fund nicht neidisch macht.
20 [2]
Auf dem Meere.
Rede auf seine Freunde. Ich wollte sie schonen, sie nicht als Apostel herumsenden, ich wurde zu liebevoll gegen sie – nun habe ich sie eben dadurch vernichtet.
Umsonst bisher!
Das Leben über die Mitte unwiederbringlich geopfert.
Der furchtbarste Gedanke einer ewigen Wiederkehr der Vergeudung.
Die vergeudete Menschheit (und alles Ringen und Grosse ein ewig zielloses Spiel) (Schlange und Hirt)
Die Seligkeit wider Willen (der Genesende und die Lust an der Oberfläche)
Sehen in der großen Natur.
Sucht seine Thiere, im Verlangen nach Mitgefühl.
Hellsichtigkeit über sein Schenken-wollen. Wanderer, Blitz.
Mitgefühl mit den Tyrannen und Volks-Schöpfern.
„Ich versuche es noch einmal" Lösung. – Scepsis gegen allen Pessimismus gewendet. – Vergessen, Neubeginn, wie bei allen prophetischen Menschen.
Jenseits von Gut und Böse (Schluss) zu Allem bereit.
20 [3]
Entwurf zu Zarathustra 3.
1. Auf dem Meere. „Blase Wind." Columbisch. Ahnungen, treibende Kräfte, wohin?
Unwiederbringlich geopfert. Der Wanderer. Spätherbst.
2. Die Raststätte. Das Glück des Freigeistes. Auch an seine Freunde nicht gebunden (du hast sie freigemacht!) Was ist Einer! Der „Wanderer". Zögere in deinem Glück! Stimmung der „fröhlichen Wissenschaft" und Kritik.
3. Die Todtenfeier und die Rede auf die Freunde. Das Zärtlichste des Einsamen.
4. Vertrieben, flüchtig, verachtet. Alles Elend der Religionsstifter, das von außen kommt, zusammenfassen.
5. Vergeudet! Nutzlos! Elend, das von innen kommt.
6. Hellsichtig über sein „Schenken" und seine „Liebe". – Das ist seine Selbstsucht, sich als goldene Kette und Schloß vieler Selbste zu fühlen – das verräth den Herrschenden. – Ziel: die Einheit des Vielfachsten, die Schönheit des Häßlichsten, die Nothwendigkeit des Zufälligsten persönlich darstellen. Der Staat als Mittel.
7. Es bleibt ihm nur übrig, sich selber zu tyrannisiren – mit einem unbeschränkten Willen zum Leiden. Hohn auf die bisherigen Pessimisten.
8. Die wehethuendste Wahrheit (Möglichkeit) heraufbeschworen. Wie, wenn du dies ewig wieder erlebtest!
9. Die große Natur und der Mensch.
10. Hohn auf die dem Leben Vertrauenden. Oh daß es einen gäbe, dem ich fluchen könnte!
11. Jenseits von „gut" und „böse" – die Tartüfferie der Schwachen. Spencer 2 p 110
12. Hohn auf die Künstler: die sich im Bilde, das sie schaffen, ausruhen. – Wahrer Sinn vom Ruhme: ich will ein Sporn sein und blutig ritzen alle Kommenden.
13. Hohn auf das Vergnügen der Erkennenden. „nüchtern und gemein"
14. Letzte Steigerung: die vergeudete Menschheit. Mitgefühl mit den Herrschenden und ihrer Noth, und Hohn über sie.
15. Er sucht seine Thiere. Höhle zerstört. Tiefste Vereinsamung.
16. Er zerreißt seine Schlange, der Hirt stirbt, er kämpft mit seinem Adler.
17. Krankheit. Fiebertraum „der Fliegende".
18. Der Einsiedler als Versucher.
19. Der Genesende. Von der Seligkeit wider Willen.
20. Der Wille: versuchen wir's noch einmal! Die Scepsis gegen den Pessimismus gewendet.
21. Die Erscheinungen: Regenbogen, Löwin mit Taubenschwarm, die Kinderchöre.
22. Hymnus auf die urbestimmte Natur. „ich als fatum."
20 [4]
So lange noch gehandelt werden soll, also befohlen wird: ist noch nicht die Synthesis (die Aufhebung des moralischen Menschen) da. Nicht anders können: Triebe und befehlende Vernunft über den Zweck hinaus: sich selber genießen im Thun. Teichmüller p. 55.
der Wille selber ist zu überwinden – alles Gefühl der Freiheit nicht aus dem Gegensatz des Zwangs mehr schöpfen!
Natur werden!
Irrthum des Aristoteles p 65
denn die Begierde bewegt nicht und die befehlende Vernunft bewegt nicht.
der Wille bewegt nicht, sondern er ist eine Begleit-Erscheinung.
20 [5]
Gegen die Epicur<äer> – sie haben sich befreit von einem Irrthum und genießen die Freiheit als ehemals Gefangene. Oder sie haben einen Gegner, auf den sie eifersüchtig waren, überwunden oder geglaubt zu überwinden, ohne Mitgefühl mit dem, welcher nicht sich gefangen sondern geborgen fühlte, noch auch mit dem Leide der überwundenen.
20 [6]
Die niedrigsten Menschen, abzuschätzen nach ihrer Wirkung auf die „großen Menschen".
1) die Schmarotzer – die welche sich in die Schwächen der Starken und Großen einnisten
2) die Wehseligen, welche gleich Mücken den Großen viel kleines Leid machen und sie so verkleinern – auch den heiteren Himmel durch ihr Jammern trüben.
3) die Gutmüthigen, welche nicht zu widerstehen wissen und ihn als Befehlenden verderben: sie machen ihn zu einem Verachtenden.
4) die Behaglichen: sie machen das Leben kleinlich in der Lust
20 [7]
„Tapfer ist, wer erduldet, fürchtet oder wagt, was man soll und weswegen man es soll und wie man es soll und wann man es soll" Arist<oteles>
Befreier vom Wahne „Gott" und noch mehr vom Wahne „Gott und Mensch".
Bescheidung als Erden-Bewohner
die ewige Bedeutung des Individuums. ego.
20 [8]
Nicht klagen à la Hamlet! NB.
Plan zu Zarathustra 3.
1 Zarathustra auf dem Meere.
2-10 Zarathustra hört vom Tod der seligen Inseln. Reden gegen seine wahren Feinde.
Die erschütternde Wirkung seines Lobes auf seine Freunde:
die Stadt umgeworfen, Zarathustra muß sich losreißen: er verachtet ihre Schwäche darin. fürchterlicher Ausbruch seiner Verachtung, und Lob der Tyrannen und der Bösesten
11-12 Z<arathustras>Einsamkeit. Umsonst! Es ist zu spät!
Tod des Knaben mit der Schlange. – Symbol.
13 Zarathustra sucht krank, entsetzt seine Höhle. Seine Thiere fliehn und erkennen ihn nicht, die Höhle ist zertrümmert.
14-20 Rede des Einsiedlers. Zarathustra sieht, daß im Gott-Vertrauen die letzte Quelle alles Schwachwerdens liegt. Noch Ein Mal! Entschluß.
21-22 Heraufbeschwörung des furchtbarsten abgründlichsten Gedankens. Die vorbestimmte Natur – Hymnus.
Seligkeit wider Willen (wie ein Eifersüchtiger das geliebte Weib vor sich her stößt und zärtlich noch in der Härte ist)
20 [9]
Zarathustra 3.
Mehrere Reden am „Grabe"
warum mußten sie fort von euch?
Zuletzt Mitgefühl mit allen Herrschern und Tyrannen, die an den schwachen Menschen ihre Verachtung ausließen (sie trieben ihren eigenen Willen ins Höchste)
sie (Volk, Weise, Gute) haben alle keinen Glauben mehr, ein Vorrecht auf höheres Menschenthum zu haben – ihren innersten Zweifel decke ich auf!
„ich will nicht, daß die Tugenden der Starken verwechselt werden mit denen der Schwachen."
Fluch, daß die Besten sich zurück ziehen müssen
Von der Herrschaft der Feiglinge.
zur Charakteristik der Freunde (rührendstes Lob zuletzt!
1. den Willen kräftigen
2. keine Lüsternheit
3. schweigen lernen
4. Einsamkeit
5. das tiefe Mißtrauen und das tiefe Vertrauen
6. seinen Feind suchen, seinen Freund aber finden.
20 [10]
Zarathustra 4.
Der König und der Narr geben einen Begriff, daß das Kommen Zarathustra's nöthig ist.
Zarathustra schließt immer engere Kreise: große Reden, worin er ausschließt. Immer kleinere Kreise, auf höheren Bergen.
Zunächst werden 1) die Schmarotzer, dann 2) die Heuchler 3) die Schwachen Gutmüthigen dann 4) die unbewußten Heuchler der Moral ausgeschlossen.
Letzte Scene: Schilderung der höchsten Seele, die am Tiefsten hinunter kann, der umfänglichsten, die sich am weitesten verirren kann, der nothwendigsten, die sich in Zufälle stürzt, der Seienden, die ins Werden sich verliebt; der Habenden, welche verlangt und will; der sich immer wieder Fliehenden und wieder Einholenden: ganz Selbst-Liebe und darum ganz in Allem: der alles Spiel ist; Weisheit, die sich ins Meer der Thorheit stürzt: Lachen und Tränen: die Welt, eines Gottes Ausgelassenheit: Erlösung von allen einmaligen steifen „weisen" usw. – Sünde selber als Genuß der Selbst-Aufhebung.
Alle Wesen nur Vorübungen in der Vereinigung Einverleibung von Gegensätzen.
Die Erlösung vom Zufalle: was ich habe geschehen lassen, das weiß ich hinterdrein mir gut machen: und deshalb hinterdrein wollen, was ich nicht vorher wollte.
ganz in sich Ziel
Darauf erzählt Zarathustra, aus dem Glück des Übermenschen heraus, das Geheimniß daß Alles wiederkehrt.
Wirkung. Pana will ihn tödten.
Er begreift endlich, macht alle Wandlungen durch, bis zur siegreichsten, als er aber sie zerbrochen liegen sieht – lacht. Steigt lachend aufwärts auf den Fels: aber dort angekommen stirbt er glücklich.
Hinreißende Wirkung des Todes: die Gelobenden.
20 [11]
Vom Einen Siege.
So wie ich ihn einst siegen und sterben sah: den Freund, der göttliche Augenblicke und Blitze in meine dunkle Jugend warf –
muthwillig und tief, voranstürmend zur Freude noch im Sturm der Schlacht, voranblutend im Leide, und wo der erwählten Fahne Feinde nahten, –
unter Sterbenden der Heiterste, unter Siegenden der Schwerste, nachdenklich-vordenklich auf seinem Schicksal stehend – erbebend darob, daß er siegte, lachend darob, daß er sterbend siegte –
befehlend, indem er starb: – und er befahl, daß man vernichte und nicht schone –
Oh du mein Wille, mein In-Mir, Über-mir! du meine Nothwendigkeit! Gieb, daß ich also siege – und spare mich auf zu diesem Einen Siege!
Bewahre und spare mich auf und hüte mich vor allen kleinen Siegen, du Schickung meiner Seele und Wende aller Noth, du meine Nothwendigkeit!
20 [12]
Kenne ich nicht, gleich dir, alle Heiterkeit – auch die Heiterkeit, die im Vorgenuß des nahen Todes ist: denn die große Bürde, die ich trug, ließ mich oft in großen Gefahren jauchzen
kleine verkrochne Gemeinde und Dunst und Dünkel aller Betbrüder – sie alle bedürfen der Stuben und Kämmerchen zu ihrem Beten!
Du bist gleich mir „von Ohngefähr" das ist der älteste Adel der Welt.
und nicht nach ihrem Lande der Verheißung will ich dem Geiste folgen, den sie heilig heißen: ich sah immer Ziegen und Gänse voran unter seinen Kreuzfahrern
vertraulich und offenherzig, aber gleich Thoren, durch die nur Niedriges eingeht.
20 [13]
Die feierlichen Schnurrpfeifer, die mit Tönen düstere Lehren und Lügen predigen.
Ich wollte, ich sähe schon die Feuersäule, in der sie verbrannt wird: denn solche Feuersäulen müssen dem großen Mittage vorangehn.
Wie viel Höhlen hat das Leben
Vor Sonnenaufgang.
20 [14]
Ich fand einen Übermuth in allen Dingen, den heiße ich göttlich. Ich fand diesen Übermuth auch in meiner Seele.
Diesen Übermuth der Weisheit, fand ich in allen Dingen, daß sie allen Dingen auf den Füßen von Narren gehen heißt.
So wenig Vernunft als möglich: mehr nimmt sie nicht mit in ihren Schnappsack, wenn sie über Land geht und Tagsüber ihr Feld bestellt.
Auf den Füßen des Zufalls laufen alle Dinge – hinweg und zurück und hinauf zur Weisheit,
– das ist ihre selige Sicherheit, daß sie alle Dinge nur mit dem Zufalle zu sich gängelt.
20 [15]
Von unschuldigen Dingen am liebsten genährt und von Wenigen, bereit und ungeduldig, davonzufliegen: wie sollte nicht Etwas an mir von Vogel-Art sein?
Dem Geist der Schwere todfeind auch noch mit dem Leibe: wohin folgte ihm nicht meine Feindschaft! Wohin flog und verflog sich nicht mein geflügelter Tod-Haß!
20 [16]
Wahrsager
Vernichter
Schaffender
Verbinder
Entdecker (Meer)
Tänzer – Lacher
Fliegender – Siegender
[Dokument: Mappe mit losen Blättern]
[Herbst 1883]
21 [1]
(Zu 3.)
Heraufbeschwörung der schwersten Wahrheit.
Hohnlied auf alle bisherigen Pessimisten.
Hohnlied auf die Religionen und ihre Fluchtversuche.
Hohnlied auf Socialisten Jesuiten und Epicureer.
Hohnlied auf die Künstler bisher.
Mitgefühl und Ehre vor allen großen Gesetzgebern Feldherren und Eroberern.
Was Freunde!
Überwindung der Natur durch die großen Menschen.
Lied des Fliegenden.
Trostlied des Kranken – Müde: still werden. Wille zum Leiden.
„ich bin das Fatum"
„jenseits der Moral", über alles Lob hinweg.
die Skepsis als Versuchung
der Selbstmord als Versuchung
Hymnus des Genesenden.
Das Land sich erobern, das wir verdienen sei es jetzt, in welchen Händen es wolle
21 [2]
Plan zu Zarathustra 3.
Die Einsamkeit in Scham und Schweigen vor dem größten Gedanken. Den Thieren ausweichend
<Die Einsamkeit> eines einzigen Willens, der vor Jedermann sich verbirgt, der aber Jedermann erhebt
Die Einsamkeit ohne Freunde, ja mit dem Gefühle, sie geopfert zu haben.
Die Einsamkeit, der alle Trost gründe abhanden gekommen sind, Hohnlied auf allen bisherigen Pessimismus (weit über alle bisherigen Denkweisen hinaus).
Die Einsamkeit und die Versuchungen. Hohnlied auf die bisherigen Fluchtversuche der Religion
Die Einsamkeit der höchsten Verantwortlichkeit. Hohnlied auf Socialisten und Jesuiten und Epicureer.
Die Einsamkeit jenseits der Moral, in den ewigen Perspektiven. Überwindung der großen Natur durch den Menschen. Lied des Fliegenden.
Die Einsamkeit des Kranken. Trostlied. Müde- und Stillwerden. Geheiligt durch Leiden. Der Wille zum Leiden und zur Vertiefung des Leidens.
„Ich will!" Hymnus des Genesenden und Siegreichen. Der lachende Löwe und der Taubenschwarm. (Ein Versuch – mehr nicht! Er selber und sein Gedanke) Die 4 Thiere (Stolz mit Klugheit – Macht mit Milde) kommen – sie nähern sich einander
21 [3]
Plan zu Zarathustra 4.
1. Die Einladung.
2. Der Siegeszug. Die Peststadt. Der Scheiterhaufen (die alte Cultur verbrannt).
3. Das Frühlingsfest mit Chören.
4. Rechenschaft vor Zarathustra: „was thatet ihr?" (erfandet ihr?)
Art der Gemeinschaft (wie in Corsica).
5. Wohn-Orte.
6. Kriege und Ringkämpfe.
7. der neue Adel.
8. die Versuche (mit den Bösen, „Strafen" usw.)
9. das Weib im Weibe erlösen
10. die Sklaven (Bienenstöcke) Ruhe ertragen lernen. Mehr Maschinen. Umgestaltung der Maschine in's Schöne
11. die Zeit zur Einsamkeit. Eintheilung des Tages.
12. die lange Jugend und die Verwandlungen.
Darauf die großen Reden Zarathustra's, gleich Gebeten.
einige absonderliche Heilige kommen auch als Jünger; auch ein Narr (Epicur?)
13. Die Heiligung des Lachens. Zukunft des Tanzes. Sieg über den Geist der Schwere.
14. Die Unschuld des Werdens.
15. Die Weihung des Kleinsten.
16. Das Zerbrechen der Tafeln. Lob der kühlen Vernunft!
17. Die Erlösung der Bösen und von den moralischen Richtern!
18. Das Heraufbeschwören des Feindes.
19. Die neuen Könige – als Vorbild-Lehrer.
20. Das ewige „Ich" und seine Heiligung. Determinismus und seine Lösung. Es giebt keine Moral und absolute Verantwortlichkeit, wir setzen sie für uns an
Seligsprechung der Triebe
21. Entscheidender Moment: Zarathustra fragt die ganze Masse am Feste: „wollt ihr das Alles noch einmal?" – alles sagt „Ja!"
Er stirbt vor Glück dabei.
(der Himmel heiter, tief)
(ahnungsvoll, heiter, schauerlich)
(tiefste Stille, die Thiere um Zarathustra, er hat das Haupt verhüllt, die Arme über die Felsplatte gebreitet – scheint zu schlafen)
der heulende Hund etwas Leuchtendes Furchtbares Stilles geht ihnen allen über ihre Gedanken weg
Den Schluß bilden die Reden der Gelobenden an seiner Leiche.
Die Gelobenden.
22. usw. Der große Mittag als Wendepunkt – die zwei Wege. Der Hammer zur Überwältigung des Menschen: höchste Entfaltung des Individuums, so daß es an sich zu Grunde gehen muß (und nicht, wie bisher, an Diätfehlern!) (wie der Tod in die Welt kam!)
Was Glück!
Der Schaffende als der Selbst-Vernichter. Schöpfer aus Güte und Weisheit. Alle bisherige Moral überboten!
Zuletzt die Gelöbnisse – furchtbare Schwüre!
21 [4]
Chor der Gottlosen (Überwindung der Kirchen)
Chor der Redlichen (Überwindung der moralischen Tartüfferie)
Chor der Büßer des Geistes (Überwindung der idealistischen Eitelkeit)
Der Orden vom Harten Herzen (Überwindung des Mitleidens)
Die Schalks-Narren.
1. Neue Rangordnung der Menschen und neue Vertheilung der Rechte .
2. Die Nothwendigkeit der Sklaven.
Besucher bei Zarathustra man ruft ihn um Hülfe
1) allgemeiner Sklaven-Aufstand
2) die Verweichlichung der Herzen, Schwäche
3) die Verdüsterung und die Verrücktheit
das Glück der Gemeinde (aber die Einsamen genießen es!)
das Glück der Wahrhaftigen (gegen all die Mühsal des Versteckspielens).
Die Vorzeichen.
der Brand der großen Stadt.
21 [5]
Endlich als Raum: unendlich als Zeit.
mit der Unzerstörbarkeit ist die Ewigkeit gegeben und die Anfangslosigkeit
mit der Bestimmtheit eine Grenze der Vielheit neuer Formen.
21 [6]
Der Mensch ist das, was überwunden werden muß. Hier halte ich den Hammer, der ihn überwindet! Dieser Gesichtspunkt beseligt Zarathustra am Schluß des III. Theiles
er wird dabei reif.
die bisherigen Ausflüchte und Fluchtversuche vor dem größten Gedanken:
Nirvana, der Gedanke an das Nichts beseligend.
die wunderbare Umschaffung im jenseits und dann ewiges Fortleben (im Christenthum) die Verthierung, als bien public – Consequenz der Eudämonisten Socialisten Jesuiten.
die absolute Skepsis an unserem Geiste und praktisches Sich-gehen-lassen. „Was weiß ich vom Handeln!"
Der Determinismus: ich selber bin das Fatum und bedinge seit Ewigkeiten das Dasein.
Viele Triebe kämpfen in mir um die Oberherrschaft.
darin bin ich ein Abbild alles Lebendigen und kann es mir erklären.
Plötzlich öffnet sich die furchtbare Kammer der Wahrheit. Es giebt eine unbewußte Selbstbehütung, Vorsicht, Verschleierung, Schutz vor der schwersten Erkenntniß: so lebte ich bis jetzt. Ich verschwieg mir Etwas; aber das rastlose Heraussagen und Wegwälzen von Steinen hat meinen Trieb übermächtig gemacht. Nun wälze ich den letzten Stein: die furchtbarste Wahrheit steht vor mir.
I. Beschwörung der Wahrheit aus dem Grabe.
Wir schufen sie, wir weckten sie auf: höchste Äußerung des Muthes und des Machtgefühls.
Hohn über allen bisherigen Pessimismus!
Wir ringen mit ihr – wir entdecken, daß unser einziges Mittel, sie zu ertragen das ist, ein Wesen zu schaffen, das sie erträgt: es sei denn, daß wir uns freiwillig wieder blendeten und blind gegen sie machten. Aber das vermögen wir nicht mehr!
der Schlange den Kopf abbeißen!
Wir schufen den schwersten Gedanken – nun laßt uns das Wesen schaffen, dem er leicht und selig ist!
Um schaffen zu können, müssen wir selber uns größere Freiheit geben als je uns gegeben wurde; dazu Befreiung von der Moral und Erleichterung durch Feste (Ahnungen der Zukunft! „die Zukunft feiern, nicht die Vergangenheit! Den Mythus der Zukunft dichten! In der Hoffnung leben!) Selige Augenblicke! Und dann wieder den Vorhang zuhängen und die Gedanken zu festen, nächsten Zielen wenden!
[Dokument: Heft]
[Ende 1883]
22 [1]
Allein mit mir und meinem frohlockenden Gewissen
Auf einem Inselchen hattest du deine Freunde bei einander und deine Feinde unter ihnen: wie süß ist es zu lieben und zu hassen!
Muß der Vater nicht dem Sohne auch noch in seinem Besten widerstreben? Und wer je sich ein Recht nahm, wird aus Liebe dies Recht auch dem eigenen Sohne nicht geben.
Wir werden am härtesten für unsere Tugenden bestraft. Und also lerne rathen, wo deine Tugend liegt: dort wo du am härtesten bestraft worden bist.
Einsame Tage wollen auf tapferen Füßen gehen.
Hellsichtig wurde ich: ein diamantenes Schwert zerhaut mir jede Finsterniß.
Der Widerglanz ihres Glücks flog wie Schatten über mich: und als sie sich stark fühlten und sicheren Fußes, schlich Mißtrauen an mich heran und sein Geschwister, die Schwäche.
Man soll das Weib im Weibe erlösen! Und nach dem Mann möge das Weib begehren, aber nicht nach dem Männlichen!
Noch hat man keine Zeit für mich. Aber was liegt an einer Zeit, die keine Zeit für Zarathustra hat!
Man sagt mir, der Mensch liebe sich selber? Ist dies wahr? Ich fand den Menschen auch gegen sich noch immer als das Raubthier aller Raubthiere.
„Was Zarathustra bestimmt hat, wird geschehen: wie sollte seine große Seele ihren Entschluß ändern können!"
Habe Mitleiden mit deinem Fuße, daß er nicht auf Morast trete: und also sollst du den, der seinen Freund verrieth, nicht einmal mit dem Fuße treten.
Daran erkenne ich den Überreichen: er dankt dem, welcher von ihm nimmt.
Das ist mir erst der wahre Redner und Über-Redner, der die Gründe selber überredet, daß sie ihm nachlaufen.
Schnell genug reitest du zu deinem Ziele: aber dein lahmer Fuß sitzt auch mit zu Pferde und wird zu gleicher Zeit mit dir anlangen.
Dies ist meine Furcht für dich: gerade wenn du auf deiner Höhe bist, wirst du stolpern!
Es giebt Schauspieler wider Wissen und Schauspieler wider Willen.
Einige wollen, aber die Meisten werden nur gewollt.
Die Zeit ist abgeflossen, wo du noch Wünsche haben durftest.
Die kleinen Tugenden sind nöthig für die kleinen Leute: aber wer überredet mich zu glauben, daß die kleinen Leute nöthig sind!
Du bist auf ihre Tugenden nicht neidisch – das vergeben sie dir niemals!
Du gehst den Weg der Größe: nun ist für dich Abgrund und Gipfel in Einem beschlossen.
Schaue dich nicht mehr um: das sei dein letzter Muth, daß es hinter dir keinen Weg mehr giebt.
Hier soll dir keiner nachschleichen: wo dein Fuß nur schritt, da ist der Weg ausgelöscht und darüber geschrieben: Unmöglichkeit.
Nun ist das deine letzte Zuflucht worden, was bisher dir deine letzte Gefahr hieß.
Dies ist seine Narrheit: er kann alle Warner und Vogelstimmen nicht aushalten – er läuft in seinen Abgrund, weil er vor ihm gewarnt wurde.
„Zufall" nennen es die Schwachen. Aber ich sage euch: was könnte zu mir fallen, was nicht meine Schwere zwänge und an sich zöge?
Seht doch, wie ich mir jeden Zufall erst in meinem Safte koche: und wenn er gar ist, heißt er mir „mein Wille und Schicksal".
Was meinem Leib und Willen fremd ist an meinem Zufalle, wie könnte ich ihm Gastfreundschaft bieten! Seht doch, nur Freunde kommen zum Freunde.
Aus meinem Glücke selber flogen warnende Vögel auf.
Herrisch kam das Erlebniß: aber mein Wille sprach zu ihm – da lag es schon bittend auf den Knien.
Willst du dem Schreitenden zum Anstoß werden? Willst du vor dem herhumpeln, der Eile hat?
Dem, der rückwärts schaut und vorwärts geht, soll man wider den Leib rennen: daß er seine Augen nicht mit seinen Füßen länger Lügen strafe.
„Es giebt sich" sagt ihr Bequemen: aber die Bequemlichkeit selber nimmt sich immer und wird immer mehr sich nehmen!
Auch was wir unterließen, webt am Gewebe aller Zukunft: auch unser Nichts ist Webemeister und Netzespinnerin.
Mancher ward seiner selber müde: und da erst holte ihn sein Glück ein, das ihm aufgespart war – aber er lief immer auf zu raschen Füßen!
Niesen sollt ihr mir noch ob meines Getränkes: meine schäumenden Weine sollen eure Nasen kitzeln und wollüstig machen.
Fragt meinen Fuß, ob mir eure Weise gefällt: trägt doch der Tänzer sein Ohr in der Zehe.
Dies ist meine letzte Menschlichkeit: ich der Mildeste bin zum Härtesten geworden –
Schlief ich je auf meinem Ruhm ein? Wie ein Bett von Stacheln war mir jeder Ruhm.
Bin ich nicht die Wetterscheide? Kommen alle Winde nicht zu mir und künden mir ihren Willen?
Und nun glüht auch noch das Eis und die Unschuld meiner Gipfel.
Noch gleiche ich dem Hahn auf fremdem Gehöfte, nach dem auch die Hennen beißen.
Es ist mehr Ungerechtigkeit in eurem Verehren als in eurem Verachten
Thut gleich mir: nur der Thäter lernt; und nur als Thäter will ich euer Lehrer sein.
Daß ein Blitz in eure Speisen schlüge! Daß eure Mäuler erst lernten, Feuer fressen!
Ihr rauscht gegen mich auf gleich Wellen: aber ich schlage euch mit meinem Ruder auf die Köpfe. Seht, ihr tragt meinen Nachen in die Unsterblichkeit.
Hier steht mein Wille: an ihm bricht sich noch meines Stolzes Brandung.
Laufende Feuer will ich aus euch machen und Verkünder mit Feuerzungen: aber bisher wart ihr nur dürres Gras und Steppe.
Im dunklen Auge blitzt ihm Gold: ein goldner Kahn schwimmt darin auf schwarzen Gewässern.
Schauspieler haben keine Zeit, auf Gerechtigkeit zu warten: und oft sah ich mir die Ungeduldigen darauf an, ob es nicht Schauspieler seien.
Sie Alle wollen bestehn – und nennen dies Gerechtigkeit. Und „ins Gleiche bringen" –
– zu viel schonen – das sind die Einen: zu viel nachgeben – die Anderen.
Man soll nur stehlen, wenn man nicht rauben kann: so redet die Stimme der Ehre unter Schelmen
Schon fühle ich, daß ich träume: so bin ich wohl nahe dem Aufwachen?
Wie willst du tanzen lernen, wenn du nicht erst gehen lerntest? Aber über dem Tanzenden ist noch der Fliegende und die Seligkeit des Oben und Unten.
Und wer um die Tugenden der Starken wirbt, muß nicht nach den Tugenden der Schwachen begehrlich blicken, sondern streng an diesen hübschen Mägden vorübergehen.
Ach, daß du glaubst verachten zu müssen, wo du nur verzichtetest!
Eines Tages merkte ich, daß ich meine Geduld verloren hatte: da gieng ich aus, sie zu suchen – und ich suchte gut. Aber glaubt ihr wohl, meine Freunde, daß ich sie wieder gefunden hätte? Im Gegentheil: doch fand ich so viel unterwegs auf meiner Reise, daß ich euch davon erzählen muß – und ich schwöre euch's zu, jetzt gleich bei unsrer ersten Ausfahrt, daß ihr dabei eure Geduld verlieren werdet. – Und meint ja nicht, daß ich's anders will: denn das Beste von dem Allen, was ich inzwischen lernte und fand, ist eben dies: „es ist für Viele an der Zeit, die Geduld zu verlieren".
Und zumal für Euch, meine Freunde!
Hütet euch vor allem Halben Wollen und seid entschlossen zur Trägheit wie zur That.
Und wer einst Blitze werfen will, muß lange als Wolke am Himmel hängen.
Das lange Schweigen müßt ihr lernen; und Niemand soll euch in den Grund sehen.
Und nicht das sind die besten Schweiger, die ihr Antlitz verschleiern und ihr Wasser trüben, daß man nicht hindurch schaue.
Sondern die Hellen, die Wackern, die Durchsichtigen sind die besten Schweiger, deren Grund so tief ist, daß er auch durch das hellste Wasser nicht verrathen wird.
An ihnen nämlich verräth sich das Schweigen nicht als Schweigen.
Es ist noch zu früh für mich: bisher war ich nur mein eigner Vorläufer und Herolds-Ruf.
Nicht sollst du durch fremden Schlamm waten: sondern hier ist es deine Kunst, flüchtig wie ein göttlicher Blick der Verachtung über sie weg zu laufen.
Alle gut verfolgten Dinge hatten bisher Erfolg.
Meine Gräber öffneten sich, mein lebendig begrabner Schmerz stand wieder auf. Unter Leichengewänder hatte er sich verborgen, um ganz sich auszuschlafen – um nun, wehe mir, sich ganz auszuwachen!
Mein Glück läuft mir nach, sagte Zarathustra – das kommt davon, daß ich nicht den Weibern nachlaufe: und das Glück ist ein Weib.
Und so weit erniedrigte sich der Mensch vor Gott und trieb seinen Trotz gegen sich, daß er jetzt eine tödtliche Rache haben will: und so mußte der, welcher alles schaute, sterben!
Die Rache am Zeugen – –
Das ist die Arglist in der Scham: sie will bei sich selber glauben, daß sie nur der Gewalt weicht; und was sie am liebsten möchte, soll nur ein Nachgeben sein und die Verzweiflung des Schwächeren.
Wer nichts zu thun hat, dem macht ein Nichts zu schaffen.
Was ich nicht will, daß ihr mir thut, warum sollte ich dies nicht euch thun dürfen? Und wahrlich, das, was ich euch thun muß, gerade das könntet ihr mir nicht thun!
Sie haben alle keinen Charakter: was half's! sie mußten sich einen stehlen.
Thut immerhin, was ihr wollt: aber seid erst solche, die wollen können!
Liebt immerhin euren Nächsten gleich euch selber: aber seid erst Solche, die sich selber lieben
Ein kleines Licht, aber doch ein großer Trost für den Schiffer, den die Nacht an das wilde Meer verrathen will.
Vergessen: das ist eine göttliche Fertigkeit. Und wer in die Höhe will und fliegen will, muß viel Schweres in die Tiefe werfen und sich leicht machen – das heiße ich göttliche Leicht-Fertigkeit.
Aus der Ferne denkt man übel von einander. Aber zwei Menschen beisammen – wie sollten sie sich nicht wohlwollen!
Die Einsamkeit reift: sie pflanzt nicht.
Wehe, du wolltest ihn kaufen, aber du hast zu wenig geboten, und nun hast du seine Tugend stärker gemacht, weil sie einmal Nein gesagt hat.
Bescheiden ein kleines Glück umarmen und dabei bescheiden schon nach einem neuen kleinen Glücke schielen –
Selbst in Gefängnisse verflog sich meine Freiheit und ihre Neubegierde.
So viel Güte, so viel Schwäche sehe ich: und ihr seid rechtlich und artig miteinander wie Sandkörnchen.
Der Zweck ist es, der jedes Ding und Thun entheiligt: denn was ist Heiligkeit, wenn sie nicht im Herzen und Gewissen des Dings und Thuns sitzt!
Ich will, daß du kein Ding thust mit „um" und „weil" und „damit" – sondern jedes Ding um des Dings Willen und ihm zu Liebe.
Und wenn Einer bisher die Menschen abgründlich verachtete – war er nicht eben dadurch immer ihr größter Wohlthäter?
„Was will diese düstere Wolke von Mensch? Will er uns die Pest bringen!"
„Nehmt die Kinder weg: solche Augen versengen junge Seelen."
Ihr redet falsch von Ereignissen und Zufällen! Es wird sich euch nie Etwas Andres ereignen, als ihr euch selber! Und was ihr Zufall heißt – ihr selber seid das, was euch zufällt und auf euch fällt!
Mein Glück stand heiß über mir im Mittage, meine Sonne trank durstig am Meere – nun kommt eine Nacht von Wolken daher und plötzliche Winde.
Wohl weiß ich, woher Winde kommen und wohin sie brausen
seinen Willen einpflanzen, daß er ein hoher Baum werde und ein Schattenbringer für ferne Geschlechter noch – ein langer Wille!
Was ist denn das, was ihr euer Gewissen nennt? Nicht ein Gesetz, sondern daß ihr ein Gesetz nöthig habt und einen Arm, der euch halte, ihr Trunkenen Stolperer!
„weich, flüchtig, bescheiden"
soll ich dastehn und über die Metze Glück schimpfen? Oder über die „Stiefmutter Natur"?
Mit Loben und Tadeln ziehst du einen Zaun um dich.
Und wenn du das Leben nicht aushalten kannst, mußt du suchen, es lieb zu gewinnen – solches nämlich war immer der Kunstgriff der Weisesten.
Ihrer Kunst kühnster Griff war es, wenn sie den Teufel sich zu nahe fühlten, an Gott zu glauben.
Sie lernten die Namen tauschen: und so täuschten sie sich über die Dinge. Siehe da die ganze Kunst der Weisesten!
Zum Eigennutz sind die Meisten zu wahnsinnig: ihr Glück macht sie alle wahnsinnig.
Sie opfern Alles für Eins – das ist irgend eine Liebe. Dieser Eigensinn und Eigen-Hang hängt über Allen.
Aus ihrer Liebe quillt ihnen ihr heißer Wahnsinn: der aber ist ein schlechter Rechner und verachtet die kalten Krämer-Tugenden.
Die Krämer-Tugend nämlich, des Krämers geldklebriger Finger und lüsternes Auge – das ist noch unter der Würde des Thieres.
Alles, was bezahlt werden kann, ist wenig werth: diese Lehre speie ich den Krämern ins Gesicht.
Geld geht durch alle Finger: darum lerne mit Handschuhen Geld angreifen und Wechsler.
Gelobt sei die kleine Armut: denn alle Krämer trachten nach großem Reichthum.
Wo Geld klingelt, da herrscht die Hure.
Wer sich stets viel geschont hat, der kränkelt zuletzt an seiner vielen Schonung.
Er redet rauh, aber nicht aus rauher Kehle; jeder Windzug macht ihn heiser reden, diesen Zärtling!
Und oft lehrt man den Verzweifelnden nicht anders Stärke als indem man ihm von seiner Schwäche spricht.
Vielfraße die Einen, die Andern Schmeckerlinge – verächtlich Beide.
Zeuger und Züchter.
Oh diese engen Krämer-Seelen! Wenn das Geld in den Kasten springt, springt des Krämers Seele mit hinein.
Wessen Seele eine Geldkatze und wessen Glück schmutzige Papiere waren – wie möchte dessen Blut je rein werden?
Bis ins zehnte Geschlecht noch wird es matt und faulicht fließen: der Krämer Nachkommen sind unanständig.
Von den Schreib- und Schreihälsen. Von den Eintags-Lehrern.
Weiche von mir, mein Versucher, sagte Zarathustra zu dem Alten und küßte ihm dabei die zitternde Hand; er lächelte bei seinen eignen Worten, denn ihm kam eine Erinnerung.
Es ist die Zeit der kleinen Leute.
In der linksten Zehe noch mehr Sinn für das Rechte haben als jene in ihrem Kopfe.
Chor der Narren d. h. der Weisen, die zeitweilig sich unwissend und thöricht fühlen
Chor der Armen d. h. der Geringen Überflüssigen, deren Joch leicht ist. – Emerson p. 283 –
Nicht für seinen Glauben, sondern für den Zweifel an seinem Glauben verbrannt werden –
Ich will nicht mehr verbergen, wie ich fühle: was redet ihr mir von Wahrheit!
Sein Geist ist eingefangen in den Käfig seines engen Herzens.
Liebe ich denn die Menschen? Aber sie gehören zu meinem Vorhaben – das aber ist meine ganze Liebe.
Mißtrauisch und geschwürig, bereit zu plötzlichem Willen, entschlossener Warter und Lauerer
Was ich nicht vorher gewollt habe, das muß ich nachher wollen – eine andere Wahl ist mir nicht gestellt worden.
Gegen die steifen Weisen, von ihnen erlösend – die Seele, der Alles Spiel wird.
Sie wollen, daß ihnen Niemand wehethue: so kommen sie jedem zuvor und thun ihm wohl – diese Feiglinge!
„Thut, was ihr wollt, aber hütet euch damit aufzufallen! Thut, was ihr könnt, aber hütet euch damit anzustoßen!" Recept zur Gewöhnlichkeit.
Es giebt in der Tugend keine Sprünge.
seinen Feind suchen, seinen Freund finden
Recept: lang wollen, keine Lüsternheit, schweigen lernen, Einsamkeit lernen, tiefes Mißtrauen lernen
der Stein wird mürbe
dem Willen ein Rückgrat schaffen – durch eine Organisation
Fluch darüber, daß die Besten sich zurückziehn ohne Kinder.
Dem Gottesmörder, dem Verführer der Besten, dem Freund der Bösen
Wer die Menschen bisher am meisten verachtete, war er nicht eben dadurch ihr größter Wohlthäter?
– Leichenräuber, die diesen Todten und Halbtodten noch Etwas abzustehlen wissen
Lieber noch Händel als Händler!
Sprich früh und Abends: „ich verachte den Krämer, ich will ihm die langen Finger zerbrechen".
Das Leiden des höheren Menschen ist nicht sein Niederes, sondern daß er weiß: „es giebt noch Höheres". In die Höhe gedrückt, gleich dem Balle – das nennen sie „steigen".
Ihr habt ihren Ehrgeiz erdrosselt! Unter euch die letzten zu sein gelüstete sie mehr als die ersten!
„Die Lust ist ein Weib, sie läuft dem nach, der sie verschmäht."
Ihr rechnet das Glück Aller aus und habt die Zukünftigen dabei vergessen – das Glück der Meisten!
Fragt doch die Weiber! Man gebiert nicht, weil es Vergnügen macht.
„Es will mir befehlen? Wohlan, ringen wir mit einander: vielleicht ist mein Wille der Stärkere!" – zur Entstehung der Bösen.
Nun lebt Keiner mehr, den ich liebe; wie sollte ich noch das Leben lieben!
Die Engel schmelzen in Thränen, wenn sie ihn lächeln sehn
Müde und glücklich, gleich jedem Schaffenden am siebenten Tage.
Mein Herz war höflich auch gegen arge Zufälle: gegen das Schicksal stachlicht zu sein dünkte mich eine Weisheit für Igel.
Schon laufen die Stunden leichten Fußes über unsere Herzen
Und wenn mir die Leiter fehlte, stieg ich immer auf meinen eigenen Kopf.
Das erst ist Stille: Niemand denkt an mich und Alle reden von mir.
Ich suchte mich und wo mein Ich heim sein dürfe – das war meine schwerste Heimsuchung.
Ich suchte mein schwerstes Joch: da fand ich meine Selbstsucht.
Er ist unerschütterlich, und wenn er klagt, so ist es mehr noch Nachsicht gegen euch und ein Mantel, den er um seine Härte breitet.
Ich lobe das Land nicht, wo Butter und Honig – fließt.
„Das Schlimmste liegt hinter uns"
„ich hielt dich für einen Weisen – was mich aber über Alles an dir verwundert, das ist deine Klugheit.
tölpelhafte Tugenden
„Ich will leben, wie ich Lust habe, oder ich habe keine Lust zu leben" – so denkt noch der Heiligste.
Wo ich immer fürchtete, werde ich endlich wünschen – oh abgründlicher Gedanke, jetzt lerne ich noch, den Abgrund lieben! –
Selbst- und Herrschsucht trieb die Lüge in die höchste Höhe.
Sieh<st> du doch das Gestein der höchsten Berge an? Hat es sich nicht unter den Meeren gebildet?
Hütet euch, ihr Reichsten: an euch empört die kleine Wohlthätigkeit mehr als der große Geiz. Ihr tröpfelt gleich bauchichten Flaschen mit allzu engen Hälsen – oft brach man solchen Flaschen schon die Hälse.
Dieser Nachbar und seine kleine Noth, diese Stadt und ihre kleine Luft – das bröckelt dir täglich deine Stärke ab. Wie wolltest du hier lernen, große Wesen zu machen!
Unbehülflich wie ein Leichnam
„Seien wir auch in der Tugend bescheiden! Mit Behagen verträgt sich nur die bescheidene Tugend" –
Schreib- und Schreihälse, dampfende Ehrgeizige, Aufdringlinge und Unverschämte –
Will denn ein Trieb, wie ihr lehrt, „befriedigt" sein? Will er frei von sich selber sein und Frieden haben? Wollte jemals ein Wille das Nicht-Wollen?
Daß er schaffe, das ist aller Triebe Treiben: und wenn er eine Weile schläft, so schläft er sich nur aus, um nachher – sich auszuwachen.
Man muß sich ausschlafen, um sich auszuwachen.
Aber ihr mißkehrtet des Willens Wesen zum Widerwillen und Wider-sich-wollen, ihr mißdeutetet immer des müden Willens Stimme und das Schnaufen und Schnarchen des schlafenden.
Ist denn Schlaf eine Erfindung zum Tode? Und wer schlafen will, wäre ein Sterbensmüder? Schnaufen und schnarchen kann auch der Lebendigste.
Gleiches Recht für Alle – das ist die ausbündigste Ungerechtigkeit; denn dabei kommen die höchsten Menschen zu kurz.
Immer wurde Gerechtigkeit am besten gelobt: sie hat das Lob der Meisten – derer, die gleiches Recht nicht haben durften!
Er brütet auf seinem Mißgeschick wie auf einem Ei.
Oh du Erkennender, auch du hast eine Zudringlichkeit! Und das soll dein Lohn sein, daß du immer aller Dinge Vordergrund siehst!
Sein Geist läßt nach – nun wird sein Gutes und Schlimmes sichtbarer: er wird dunkler – ach daß es nur neue Sterne wären, was jetzt sichtbarer wird!
22 [2]
Plan zu Zarathustra 3.
Am Meere (früh Nachts)
Von der Seligkeit wider Willen.
Von der verkleinernden Tugend.
Vom Scheiterhaufen.
Die Selbst-Erkenntniß Zarathustra's (als Verrath an den Freunden) Jetzt bricht das Unheil los. Erzählung.
Vertheidigung Zarathustra's:
1) von den Gesetzgebern und Fürsten
2) von den Krämern
3) von den Eintags-Lehrern
4) von den Frommen
der große Fluch
Erzählung.
Trost des Narren – von der Wissenschaft – alles Eins, gleich usw.
Zarathustra sucht das Letzte, was ihn liebt: umsonst.
Gespräch mit dem Blitze. Ewiges „Umsonst!"
Der Knabe und die Schlange
Zarathustra krank. Der Heilige
Z<arathustras> Antwort für den Heiligen.
Der Entschluß.
Lob der urbestimmten Natur als fatum.
Der Gang des Genesenden.
22 [3]
Es ist verrätherisch, nach Größe streben: wer sie hat, strebt nach Güte.
Die tiefste Liebe weiß nicht sich einen Namen zu geben und fragt sich wohl: „Bin ich nicht Haß?" – Wenn man einmal – – –
Machen wir es nicht im Wachen wie im Traume? Immer erfinden und erdichten wir erst den Menschen, mit dem wir verkehren – und einen Augenblick nachher schon haben wir das vergessen.
Wann werden Mann und Weib aufhören, sich mißzuverstehen? Ihre Leidenschaften gehen einen verschiedenen Schritt, – sie messen die Zeit nach anderem Maße.
Von sich absehen lernen ist nöthig, um weit zu sehen.
Und wer an sein Leben nach dem Tode glaubt, lernte gewiß auch, im Leben todt zu sein.
Der Gläubige haßt am besten nicht den freien Geist, sondern den neuen Geist, der einen neuen Glauben hat.
Schwere, schwermüthige Menschen werden durch Haß und Liebe leichter: sie kommen da an ihre Oberfläche.
Die Sache klärt sich auf: nun geht sie uns nichts mehr an. Hüte dich, daß du über dich selber nicht zu aufgeklärt wirst!
Mitleid mit dem ganzen Geschlecht – das führt zur Härte mit jedem Einzelnen.
Die fürchterlichen Erlebnisse suchen sich die Fürchterlichen.
Auch ich bin Erz vom ehernen Schicksale: so empfand ich immer, wenn ihr das Schicksal nanntet.
Er hat seinen eignen Gott für sich: aber seit ich den sah, fand ich in ihm nur den Affen seines Gottes.
Es giebt einen Grad von eingefleischter Verlogenheit, den nennt man „das gute Gewissen".
Sie laufen dem nach, der ihnen einredet, sie hätten den Weg verloren. Es schmeichelt sie, zu hören, daß sie einen Weg hatten.
Die großen Gedanken, die aus dem Herzen und die kleinen, die aus dem Kopfe kommen – schlecht gedacht sind sie Beide.
Du willst nach deinen Absichten bemessen sein und nicht nach deinen Wirkungen? Aber woher hast du denn deine Absichten? Aus deinen Wirkungen!
Wer den Weg zu seinem Ziele nicht zu finden wußte, lebt frecher und leichtsinniger als der, welcher gar kein Ziel hat: er will seinen Verlust verscherzen und verschmerzen.
Die Gefahr des Weisen ist, sich in die Thorheit zu vernarren.
Er opfert sich, aber nicht aus Mitleiden, sondern aus Reichthum: er giebt ab, er giebt sich ab!
Der Teufel, der ein Freund der Erkenntniß, hält sich von Gott fern: erst aus der Ferne hat man den Blick für Götter.
Die Liebe bringt Hohes und Seltenes, was in einem Menschen ist, ans Licht: insofern verschönert sie – sie täuscht über ihn (ihn selber am meisten!) Aber gieb Acht, was geschieht, wenn Einer sich geliebt weiß, aber nicht liebt: da verräth eine Seele selbst ihren Bodensatz.
Nicht nur die Heerde, auch der Hirt hat einen Leithammel nöthig.
Warum so abseits? – Ich finde Niemanden mehr, dem ich gehorchen könnte und Niemanden auch, dem ich befehlen möchte .
Ein Elephant, der versucht auf seinem Kopf zu stehen.
Ihr meint, Alles sei gethan, wenn ihr den Blitz unschädlich gemacht habt? Aber ich will, daß er für mich arbeite. – So denke ich über alles Böse in dir und mir.
Die Unschuld in der Lüge ist das Zeichen des guten Glaubens an eine Sache.
Man liebt immer nur seine Begierde und nicht das Begehrte.
Im Dunkeln fühlt man die Zeit anders als im Hellen.
Und wo ich der Krämer lange Finger sehe, ziehe ich's vor, den Kürzeren zu ziehn.
Da liegt die schwarze traurige See – auch darüber mußt du hinweg! Zarathustra 3.
Eingedrückte Häuser, blödsinnig gleich einem Kinder-Spielzeug: daß sie ein Kind doch wieder in die Schachtel steckte! – eingedrückte Seelen
Vertraulich und offensinnig, aber niedrig gleich Thüren, die nur Niederes einlassen.
Verdorben durch viele kleine Erfolge – immer hat er leichtes Spiel gehabt: er hat den besten Ernst nicht kennen gelernt.
Die Menschen müssen böser werden – dies ist das größte Leid des Erkennenden! Und wer höhere Menschen Schaffen will, muß sie auch böser machen – das ist das Leiden des Schaffenden und Gütigen!
Oh Zarathustra Fürsprecher des Lebens! Du mußt auch Fürsprecher des Leidens sein! Ich kann dir die Hölle nicht erlassen – die Unterwelt muß wider dich aufstehn, die Schatten müssen noch Zeugniß ablegen: „Leben ist Folterung".
Ein lüsternes Auge – die Zukost zu einer gallichten Seele
Wenn sich die große Stadt selber aufs Land trägt, so bringt sie nicht Dünger dem Lande, sondern Fäulniß und Greuel.
Wo hörte ich den belehrt und erzogen, der einst befehlen soll? Mit den Lehren des Gehorsams mußte er sich bei den Gehorchenden einschmeicheln und einheucheln.
Eure Tugenden passen euch nicht auf den Leib: eures Leibes Krankheiten verklagen eure Tugenden, deren ihr euch brüstet.
An öffentlichen Meinungen krank wie an öffentlichen Mädchen: und das gerade sind eure heimlichsten Krankheiten.
Es ist eine große Heuchelei unter euch: die welche befehlen, heucheln die Tugenden der Gehorchenden.
Ich suche zu überreden, wo ich befehlen sollte: das will meine schlechte Erziehung. Solch Überreden ist nicht besser als Schmeicheln – hier schmeichelt der Höhere dem Niederen.
Wenn Alles nach unserem Willen geht, geht es auch nach unserem Wunsche.
Alles Vergangene ist eine Schrift mit hundert Sinnen und Deutungen und wahrlich! ein Weg zu vielen Zukünften! wer aber der Zukunft Einen Sinn giebt, der bestimmt auch die Eine Deutung des Vergangenen.
„Es ist noch nicht Zeit für mich, Narr zu sein" sagt Zarathustra, als der Narr sagt: „Wirf Alles von dir, tanze und sei menschlich gegen dich und uns!"
Des Einen Einsamkeit ist die Flucht des Kranken, des Anderen Einsamkeit die Flucht vor dem Kranken.
Diese machen das Volk wahnsinnig und strotzend, so daß das Gefäß überläuft – sie dienen dem Tyrannen: und jene machen, daß der Tyrann strotzt und springt und platzt – so dienen sie dem Volke.
Dieser lacht wie ein Blitz – aber hinterdrein grollt er wie ein langer Donner.
Vergnügte Säue oder sterbende Fechter – habt ihr keine andere Wahl?
Die Todtengräber graben sich Krankheiten an; unter altem Schutte ruhn schlimme Dünste. Man soll den Morast nicht aufrühren.
Er ahmt sich selber nach – das ist seine zweite Kindheit.
Das Mitleiden des Größten ist hart, gleich dem Händedruck eines Riesen.
Klagt nicht die Sonne: ich wollte ihnen Licht sein, aber ich stach ihnen die Augen aus – ich habe sie geblendet!
„Wie komme ich durch das Stadtthor? Ich verlernte es, unter Zwergen zu leben."
Das Größte an den Großen ist das Mütterliche. – Der Vater – das ist immer nur ein Zufall.
Meine Raserei noch ist mir gehorsam.
Unterhalb meiner Gipfel und meines Schnees finde ich alle Gürtel des Lebendigen
und nicht immer kommen die Kindlein zu dem, der sie kommen läßt.
Ihr hustet und meint, das sei ein Einwand gegen starke Winde.
„Wir wollen essen" brüllt ihr: euer Bauch setzt dazu Viel!", euer lüsternes Auge: „Gut!"
Was ist aller gemeinen Dinge Gemeinstes? Ein Schluß, aller Schlüsse ältester und jüngster Schluß: „Es thut weh, also ist es schlecht".
Seit ich dies „also" verstand und diesen Ursprung des Schlechten, lache ich über all euer „Gut und Schlecht"! Jenseits eures „Gut und Schlecht" tönt mein Gelächter.
Den Mann versteckt die Schönheit.
Glatt und hart zu werden muß man in's Gedränge hinein, aber seine heimliche Einsamkeit mit nehmen.
Wie Samen des Lebens ausgeworfen von Stern zu Stern?
Furchtbarer Dithyramb des Lebens in Zarathustra 4.
Lasset den Zufall zu mir kommen! Er ist unschuldig wie ein Kindlein.
Den Zufall überlisten und an der Hand führen.
Nur wer weiß, wohin er fährt, weiß auch, was sein Fahrwind ist.
Zwei neue Tugenden – die weise Vergeßlichkeit und die Kunst, die Segel nach dem Wind zu stellen.
Die Weiber vermännlichen sich: es giebt der Männer zu wenig.
In der Leutseligkeit ist viel Menschenverachtung, aber nichts von Menschenhaß und -Liebe.
Wenn der Teufel sich häutet, fällt auch sein Name mit ab.
Der Gewissensbiß ein Gottesbiß und wenn dieser Gott ein Gott der Liebe ist – ein Biß aus Liebe?
Ich sehe ihren Stern, und bin entzückt: aber nun meinen sie gar, es sei mein Stern.
Hört nicht, was sie sagen – aber seht ihr Maulwerk an! Mit der Zunge lügen sie vielleicht, mit dem Munde sagen sie doch die Wahrheit!
Und wozu ist alle Natur geschaffen, wenn nicht dazu, daß ich Zeichen habe, mit denen ich zu den Seelen reden kann!
Nun ist Alles wohlgethan! Denn jetzt tragen die Krämer Säbel und Schnauzbärte, und selber das Regiment ist zu den Krummbeinigen kommen.
Das ist die schwarze traurige See, gleich meinem eignen Schicksale liegt sie vor mir –
Ach diese Schwangere nächtliche Verdrossenheit! Ein offenes Auge, aber noch schlaftrunken und fremd noch ist sein Blick nach mir darin.
Mit warmem Athem athmet das Meer mich an, gleich meinem Schicksale, und windet sich auf seinen Klippen-Kopfkissen, es stöhnt wie vor bösen Erwartungen –
Ich bin traurig mit dir, du dunkles Ungeheuer und mir selber noch gram um deinetwillen. Ach daß ich nicht Stärke genug habe, dich von bösen Träumen zu lösen! –
Was thust du Zarathustra? Willst du dem Meere Trost singen? Wurdest du schon deiner eigenen Zukunft ein mitleidiger Zu- und Vorschauer?
Was thust du, liebreicher Narr, du Vertrauensüberseliger? Aber immer kamst du vertraulich zu allem Furchtbaren, jedes Ungethüm wolltest du noch streicheln.
Ein Hauch warmen Athems, ein wenig weiches Gezottel an der Tatze: – und schon quollen Locktöne aus deiner Flöte, sehnsüchtig nahtest du immer allem Lebendigen!
Nun sollst du mir dies Ungeheuer kennen lernen!
Besser, du traust deinem Schicksale, wenn es wie ein Meer aus 1000 Mäulern brüllt, besser noch seine Zähne fletschen gegen dich im Sturme, als solche Schwangere nächtliche Verdrossenheit.
Nichts Böseres giebt es als ein schlafendes Meer und ein Schwangeres Schicksal: wie willst du über diese schwarze Fluth hinweg, wenn du nicht böser und schwärzer sein willst als sie?
Was dir auch nun noch begegne, das kommt dir als dein Schicksal: die Zeit ist abgelaufen, wo dir auch noch ein Zufall begegnen konnte!
Wenn du nicht beten kannst, warum fluchst du nicht wenigstens?
Ich fürchte dich, weil du lachst, während wir um das Leben ringen – du siehst aus, wie Einer, der seines Lebens gewiß ist.
Seines Lebens oder seines Sterbens – sagte Zarathustra.
Und wenn wir davonkommen, will ich sagen: „es ist kein Gott, und Zarathustra hat michs gelehrt".
Ich vergebe dir dein Mißtrauen, ich gebe dir aber keinen Heller für dein Zutrauen.
Du glaubst noch an Wunder und Wundermänner, die rechte Noth würde dich auch noch beten lehren. Die alten Falschmünzer des Geistes haben auch deinen Verstand Falsch gemünzt –
Es ekelt mich, noch bin ich kaum 3 Tage fern von – – –
Heiterkeit als der heimliche Vorgenuß des Todes – es enthebt uns der großen Bürde unserer Aufgabe.
Zarathustra: Woher kommt Zarathustra? Wer ist ihm Vater und Mutter? „Schicksal und Lachen sind Zarathustra's Vater und Mutter; das grause Schicksal und das liebliche Lachen erzeugten sich zusammen solchen Sprößling."
Der Himmel steht in Flammen, das Meer speit nach ihm
eine kleine verkrochne Gemeinde und Dunst und Dünkel aller Betbruderei
22 [4]
Scene auf dem Schiff.
Eindruck der Verkleinerung des Menschen. Seine Angst nimmt zu.
Tod und Untergang der Inseln.
Zarathustra sucht ich selber im Getümmel:
bei den Widerspänstigen (Bösen)
den Gewaltsamen
den Bildnern
den Entdeckern
den Narren
22 [5]
Kam ich denn, um vor Taschendieben zu warnen und auf die Laster zu lästern?
Man verfolgt dich
Wohlan: so verfolge man mich gut: bisher war der Erfolg nur bei Gut-Verfolgten.
Sie werden ihres Hassens und Wüthens satt und haben auf einsamer Straße Licht-Gesichte, die ihnen zureden: „Warum nicht endlich lieben!" –
Es giebt eine so süße Wuth der Liebe!"
Ein Schiffbruch spie ihn ans Land, auf dem Rücken einer Welle kam er geritten in sein Land der Verheißung.
Bei Allem, was licht und stark und gut ist – dieser Gott – – –
Nächst jedem Kaufladen sah ich einen Saufladen: ihre Seele fröstelt, sie möchten Wärme finden bei gebrannten Weinen oder auch bei brennenden Weibern.
Wisse, für den Schaffenden ist Weisheit und Güte keine Eigenschaft, sondern ein Mittel und Zustand
der Widerspänstige, sich selber ein schlechter – Ehegespons
„Von Ohngefähr" – kein guter Adel, ob es schon der älteste ist.
Trompeter und andere Schmetterlinge
„Dein Schicksal hat dich etwas angesäuert – nun gehst du auf und schwillst über alle Ränder" – sagt der Narr zu Zarathustra.
Ihr nennt es Stelzen – aber es sind die starken Füße des Stolzes – lange Füße!
Knechtisch und geknickt, anbrüchig und anrüchig, vergrünt und vergrämt
„wie sollte ich nicht unter euch sein, wie Oel bei Wasser – immer obenauf! – man müßte uns schon arg durcheinander schütteln, daß es anders stünde" sagt Zarathustra zum Kapitän, der sich über seine Heiterkeit wundert.
was um euch wohnt, das wohnt sich bald euch an: Gewöhnung wird daraus. Und wo man lange sitzt, da wachsen Sitten.
die Siechen und Süchtigen
„So lobe ich mich selber für meinen Theil, und es soll mir genügen. Nun kam an euch die Reihe, mich zu loben."
Es giebt Anstellige und Angestellte – aber es giebt auch Selbständige, die müssen sich selber stellen – oder sie fallen um.
– sie fallen über euch, gleich Bildsäulen von Halbgöttlichen!
Ich bin Zarathustra der Gottlose: der da spricht: wer ist gottloser denn ich? so will ich sein Jünger werden.
Immer mußte ein Solcher sich selber die Krone aufsetzen – immer fand er die Priester zu feig
Erzählen Abends um's Feuer
gegen den Lärm – er schlägt Gedanken todt
mit einer Stimme, wie ein Schieferstift
überall hin, wo es krank und grindig ist, kriechen sie, gleich den Läusen – warum sollte man sie nicht knacken!
die größte Gefahr liegt hinter uns – dort hinaus, wo die glückseligen Inseln sind. Wir sind noch zur rechten Zeit aufgebrochen. „Oder zu spät" sagte Zarathustra.
allen feigen Teufeln in euch fluchen, die gerne winseln und Hände falten und anbeten möchten.
Ziegen Gänse und andere Kreuzfahrer, geführt vom heiligen Geiste
„man wird dich noch aufschlitzen, Zarathustra: du siehst aus, wie einer, der Gold verschluckt hat"
Wehe, wer wollte ihnen Unterhaltung schaffen, wenn diese nicht mehr ihr Unterhalt wäre? Sie müssen gegen das wilde Thier Hunger kämpfen – sonst wäre ihre Unterhaltung die eines wilden Thiers an – uns.
Ihre Langeweile wäre die Bruthenne hier
Gemein und gering genug für die kleinsten Vortheile, lesen sie auch noch den Kehricht guter Zufälle aus
Reich sind sie – aber ihre Augen bleiben Diebesaugen. Lumpenhändler. Aasvögel.
Mein Fluch – die Brüderschaft vom Haß und Blitzstrahl.
Ich ging den Ursprüngen nach: da entfremdete ich mich allen Verehrungen – es wurde fremd um mich und einsam.
Aber das Verehrende selber in mir – heimlich schlug es aus; da erwuchs mir der Baum, in dessen Schatten ich sitze, der Baum der Zukunft.
„Ich bin der Verehrer der Zukunft"
gut verfolgt, schlecht erwischt
faulichtes lauichtes schaumichtes Blut
den Wolf machtet ihr zum Hunde und den Menschen selber zu des Menschen Hausthier
22 [6]
Ich ehre die Tugend, wenn sie die Vorsicht der Schwangeren ist: aber eure Tugenden sind die Tugenden solcher, die nie gebären werden.
Alle großen Dinge gehen krumm: aber man muß sie mit großen Augen sehn: das war ihr Muth, krumm nach Einem Ziele zu gehn.
Krumm gehen große Menschen und Ströme zu ihrem Ziele: krumm, aber zu ihrem Ziele. Das ist ihr bester Werth, daß sie sich noch vor dem Krummen fürchten.
22 [7]
kriegstüchtig, gebärtüchtig: so will ich Mann und Weib:
Es ist nicht der beste Geschmack, der Alles zu schmecken weiß: ich liebe die widerspänstigen wählerischen Magen und Zungen, die „Ich" sagen.
Niemand will sie geschenkt: so muß sie sich schon verkaufen!
Herrschen – und nicht mehr Knecht eines Gottes sein – dies Mittel blieb zurück den Menschen zu veredeln
22 [8]
Vom Willen zum Leide.
Vom Gesicht und Räthsel.
Von der Seligkeit wider Willen.
Vor Sonnen-Aufgang.
Von der verkleinernden Tugend.
Vom Vorübergehen.
Das Winterlied.
Von den Abtrünnigen.
Die Heimkehr.
Von den drei Bösen.
Vom Geist der Schwere.
Die Beschwörung.
Der Genesende.
Von der großen Sehnsucht.
Von alten und neuen Tafeln
Und noch ein Mal!
Das andre Tanzlied.
Vom Ring der Ringe.
[Dokument: Heft]
[Ende 1883]
23 [1]
Eine kleine unschuldige Geschichte, die aber viel Unfug gestiftet hat: ich erzähle sie euch, – den Unfug mögt ihr euch selber erzählen!
Es gab einmal einen Knaben, dem sagte man mit Blicken und Reden: „was dein Vater ist, das ist nicht dein rechter Vater!"
Das verdroß das Kind und machte es nachdenken; und endlich sagte es sich zu seinem Herzen, ganz heimlich: es giebt wohl nichts Schöneres in der Welt als einen rechten Vater?
Und als das Kind beten lernte, war seine erste Bitte „Gott, gieb mir doch einen rechten Vater!"
Das Kind aber wuchs und mit dem Kinde seine heimliche Liebe und sein Gebet: unter Frauen und Priestern erwuchs der Jüngling: –
Ein Jüngling, unter Frauen und Priestern tief geworden und scheu vor der Liebe und noch vor dem Worte „Liebe"
tief geworden und durstig nach dem Thau der Liebe, gleich dem Thymian in der Nacht –
durstig und zitternd vor seinem Durste und der Nacht freund, weil die Nacht voller Scham und duftenden Weihrauchs ist –
Nach dem Weihrauche der Priester duftete selber seine Seele und nach der Unschuld der Frauen: sie schämte sich aber dieses Duftes noch.
Und wie sonst ein Jüngling betend begehrt, daß ein Weib ihn liebe, so begehrte er betend nach der Liebe eines Vaters und schämte sich auch seines Gebetes noch.
Da geschah es, daß sein Gebet einst in lichte Wolken zerfloß und Worte aus lichten Wolken stiegen: „Siehe, das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe."
Ist dies möglich! sprach der Jüngling. Ich der liebe Sohn dessen, den ich eben um einen Vater bat? Gott mein Vater! Ist dies möglich?
Dieser alte allmächtige Stirnrunzler und Lippen-Aufwerfer von Judengotte – ist mein Vater! Kann das möglich sein?
Aber er sagt es selber und log noch nie: was kann ich thun! Ihm muß ich's glauben!
Bin ich aber sein Sohn, so bin ich Gott: bin ich aber Gott, wie bin ich Mensch? – Es ist nicht möglich – aber ihm muß ich's glauben!
Der Mensch an mir – das ist wohl nur seiner Liebe Nothdurft: denn wie ich nach dem Vater, so dürstete er wohl nach seinen Kindern.
Daß ich Mensch bin, das ist wohl der Menschen wegen: ich soll sie zu meinem Vater locken –
– sie zur Liebe locken: oh diese Thoren, die man zur Liebe erst noch locken muß!
Sie sollen Gott lieben: das ist eine leichte Lehre und ein Wohlgefallen – ein leichtes Joch wird uns Gottes-Kindern aufgelegt: wir sollen thun, was wir am liebsten thun.
Diese Lehre und Weisheit ist leicht zu fassen: auch die Armen im Geiste dürfen die Hände nach ihr ausstrecken
Manches am Menschen ist wenig göttlich: wenn man Koth läßt, wie soll man dabei Gott sein?
Aber schlimmer noch ist <es> mit dem anderen Kothe, der Sünde heißt: den wollen die Menschen gar noch bei sich behalten und nicht von sich lassen.
Nun aber muß ich's glauben: man kann Gott sein und doch Koth lassen: so lehre ich sie, ihren Koth lassen und Götter werden.
23 [2]
Eine alte Weisheit trank ich jüngst, einen unvordenklich alten starken Wein der Weisheit.
23 [3]
Vom Ruhme.
Ein Andres ist Wollust, ein Andres Gebären. Fragt die Weiber! Man gebiert nicht, weil es Vergnügen macht.
Der Schmerz macht Hühner und Künstler gackern. Die Wollust stammelt –: nun hört mich mein Wort vom Ruhme stammeln.
Wollust ist es, auf Jahrtausende seine Hand zu drücken wie auf Wachs. Wollust, auf den Willen von Jahrtausenden zu schreiben wie auf Erz.
Wollust ist es, Sterne der Zukunft im Becher seines Willens zu schmelzen; Wollust, Welten auf die Teppiche der Ewigkeit huldigend vor sich auszuschütten.
23 [4]
Eins! Mitternacht hebt an! Fern her geweht, herauf aus tiefer Welt – bei mir, dem Einsiedler sucht ihr Wort die letzte Ruhe?
Zwei! Die letzte Ruhe der tiefen Welt – ist sie denn eines Einsiedlers Höhe? Sucht sie, wenn mir ihr Klang durch Ohr und Mark und Bein geht – sucht und findet sie also noch ihren Frieden?
Drei!
23 [5]
Von den Wegen des Erkennenden.
„Wie kamst du, oh Zarathustra zu deiner Weisheit: hast du sie erflogen? – so fragt ihr mich – auf daß wir dir ablernen, wie wir zu unserer Weisheit fliegen möchten?"
Gut fragtet ihr: gut sollt ihr auch belehrt sein. Dem guten Frager ist schon halb geantwortet.
Auf vielerlei Weg und Weise kam ich zu meiner Wahrheit, nicht auf Einer Leiter und Treppe stieg ich zur Höhe, wo meine Augen in meine Ferne schweifen.
Und niemals fragte ich Menschen: ich fragte und versuchte die Wege selber. Ein Versuchen und Fragen war all mein Gehen.
Unter Menschen war ich immer der Gut-Verborgene: ob ich stieg oder flog oder stand und zögerte: sie sahen mich nicht mit ihren Augen.
Sie hörten mich nicht mit ihren Ohren: und oft horchte ich auf Wiederhall aber ich hörte nur – Lob.
Ich sagte es ihnen in's Ohr, als ich mich in neue furchtbare Meere einschiffte: also verbarg ich's? Nun aber, als ich vor ihren Augen in neue furchtbare Wüsten wanderte – wer sah mich wandern?
Und wenn ich mit Strickleitern in manches Fenster kletterte, mit hurtigen Beinen manchen Mast erritt: der Gut-Verborgene blieb ich ihnen auch mit meinen Bosheiten und Abenteuern.
Eine boshafte Seligkeit dünkte mich's oft, auf den höchsten Masten, gleich einer Flamme sitzen: ein kleines Licht zwar, aber doch ein großer Trost für verschlagene Schiffer und Schiffbrüchige.
Eine andere Seligkeit und Bosheit lernte ich, wenn mir ein Thauwind kam: daß mein Strom stieg und stieg und mein Eis sich thürmte – da jauchzte ich.
Genug fand ich der Schwachen und Zärtlichen – sie heißen sich gut und thun auch mit der Tugend zärtlich; genug auch der Heuchler, die den Namen der Gerechtigkeit mißbrauchen.
Die Selbst-Verlogenen hörte ich zu mir reden, denen die Lüge unschuldig auf Herz und Lippe sitzt; auch mancher Schmarotzer drängte sich lüstern an das Mahl meiner Weisheit.
23 [6]
Erst wenn ihr dürstet, sollt ihr trinken: und erst wenn der Geist euch treibt, sollt ihr tanzen. Und lernt erst lügen, damit ihr versteht, was Wahrheit-reden ist!
Der Hunger erst soll euch zur Wahrheit zurücktreiben: und wenn ihr voll seid der guten Weine der Wahrheit, werdet ihr auch tanzen wollen.
23 [7]
Vorspiel.
Oh meine Brüder! Daß ihr erst Stille von mir lerntet! Und Einsamkeit!
23 [8]
Vom letzten Troste.
Siehe, wie Alles zur Werkstatt für Schaffende Seelen hergerichtet ward: alles was Schaffenden Seelen unentbehrlich ist, ist im Überflusse da: so auch der Schmerz.
23 [9]
3. Von der Selbst-Verkleinerung
Das Winterlied.
Vom Vorübergehn.
Von den Herrschern.
Von den Genießenden.
Von den Bildnern.
Von den Bösen.
Von den Gesetzgebern
Von den Entdeckern.
Vor Sonnen-Aufgang (Gelöbniß)
Vom Gesicht des Einsamsten.
Das andere Tanzlied.
Von der Einsamkeit.
Von der großen Sehnsucht.
Vom Lachen und Fliegen.
Gespräch mit dem Blitze.
Von der Ewigkeit.
Vom freien Willen. (Hinab!)
1. Vom Willen zum Leiden
2. Von der Seligkeit wider Willen.
Vom Vorübergehen.
Vor Sonnen-Aufgang.
Ja! Und Amen!
Von der großen Sehnsucht.
Das andere Tanzlied.
Hinab!
Das Winterlied.
Von der Schwangerschaft.
Von der Einsamkeit.
Vom Ruhme.
Vom Herrscher.
Von (Lehrern) Bildnern.
Von den Bösen.
Gespräch mit dem Blitze.
Vom Gesicht des Einsamsten.
Vom Lachen (und dem Geist der Schwere).
Lied des Fliegenden.
Von den Gesetzgebern (Zerbrechen der Tafeln)
Von den Genießenden.
Von den Entdeckern (Zufall)
23 [10]
1. Vom Willen zum Leiden.
2. Vom geschauten Räthsel.
3. Von der Seligkeit wider Willen.
4. Vor Sonnen-Aufgang.
5. Von der verkleinernden Tugend („Mächtige").
6. Von den Abtrünnigen.
7. Vom Vorübergehen.
8. Vom Einen Siege.
9. Von den Wegen der Erkennenden.
10. Das Winterlied.
11. Von der großen Sehnsucht.
12. Die Heimkehr.
13. Von den drei Bösen.
14. Das andere Tanzlied.
15. Die neuen Tafeln.
16. Vom Geist der Schwere.
17. Von der Genesung.
(18-20 fehlt)
21. Und noch ein Mal!
22. Vom Ring der Ringe.
– Vom Willen zum Leiden.
Vom geschauten Räthsel.
– Von der Seligkeit wider Willen
– Vor Sonnen-Aufgang.
– Von der verkleinernden Tugend
– Von den Abtrünnigen.
– Vom Vorübergehn.
Vom Willen zum Siege.
– Das Winterlied.
Von der großen Sehnsucht.
– Die Heimkehr.
– Von den drei Bösen.
– Das andere Tanzlied.
– Die neuen Tafeln
– Vom Geist der Schwere.
– Der Genesende.
Und noch ein Mal!
Vom Ring der Ringe.
die Beschwörung
Vom Gesicht des Einsamsten.
Vom Willen zum Ringe.
Von der großen Sehnsucht.
Und noch Ein Mal!
Vom Ring der Ringe.
Vom Troste in der Großmuth („Schmerz")
Abschaffung der Sünde (weil kein Gott)
(Gleichniß allein)
Vom letzten Troste
Ohne Sünde.
Von Fürsten und Völkern –
[Dokument: Mappe mit losen Blättern]
[Winter 1883-1884]
24 [1]
Daß es schwer ist, den Griechen nahe zu kommen, daß man sich ihnen sogar ferner fühlt, wenn man sie lange betrachtet hat: dies ist der Satz und der ganz persönliche Seufzer, mit dem ich meine Betrachtung über die Griechen als Menschenkenner anheben will. Man kann eine gute Weile im entgegengesetzten Glauben mit ihnen leben und wir lernen, daß unser Befremden noch lehrreicher ist als unser Gefühl der Vertraulichkeit vielleicht würde ein Grieche in der Art, mit der wir zur Entdeckung des Menschen in die Tiefe gegraben haben, eine Unfrömmigkeit gegen die Natur, einen Mangel an Scham empfinden. Umgekehrt sind wir befremdet – gnwmh; zu hören „wenn das Wissen da ist, muß das Handeln folgen" und daß Tugend Glückseligkeit sein soll, das klingt uns so fremd und unglaubwürdig, daß wir hinsehen, ob es nicht nur zum Spaaß gesagt sei. Es ist als ob sie dem Intellekte noch eine Haut gegeben hätten.
24 [2]
philosophische Nachwirkung des Alterthums
– „Zweck"
– Gott und Mensch (der Standpunkt vor Copernicus)
– Lust als Motiv
– die Logik, die Überschätzung des Bewußtseins.
– die Seele
es giebt so wenig „Ding an sich" als es „absolute Erkenntniß" geben kann.
An Stelle der Grundwahrheiten stelle ich Grundwahrscheinlichkeiten – vorläufig angenommene Richtschnuren, nach denen gelebt und gedacht wird
diese Richtschnuren nicht willkürlich, sondern entsprechend einem Durchschnitt einer Gewöhnung.
Die Gewöhnung ist die Folge einer Auswahl, welche meine verschiedenen Affekte getroffen haben, welche sich alle dabei wohlbefinden und erhalten wollten.
24 [3]
die Schaffende Kraft zu betrachten wie viel sie aufopfert vom Organismus (oft zerstörend)
wie sie, Schwanger machend, einen anderen Organismus verwandelt und in größte Gefahr bringt.
Die Grade der schaffenden Kraft
1) der Schauspieler, eine Figur aus sich machend, z.B. la Faustin
2) der Dichter
der Bildner
der Maler
3) der Lehrer – Empedocles
4) der Eroberer
5) der Gesetzgeber (Philosoph)
überall ist erst der Typus noch zu finden, außer auf den niedrigsten Stufen: es ist noch nicht die Leidens- und Freudensgeschichte nachgewiesen. Die falschen Stellungen z. B. der Philosoph, sich außerhalb stellend – aber das ist nur ein zeitweiliger Zustand und nöthig für das Schwangersein.
24 [4]
Die ewige Wiederkunft.
Ein Buch der Prophezeiung.
1. Darstellung der Lehre und ihrer theoretischen Voraussetzungen und Folgen.
2. Beweis der Lehre.
3. Muthmaaßliche Folgen davon, daß sie geglaubt wird (sie bringt Alles zum Aufbrechen)
a) Mittel, sie zu ertragen
b) Mittel, sie zu beseitigen
4. Ihr Platz in der Geschichte, als eine Mitte.
Zeit der höchsten Gefahr.
Gründung einer Oligarchie über den Völkern und ihren Interessen: Erziehung zu einer allmenschlichen Politik.
Gegenstück des Jesuitismus.
24 [5]
Zur Entstehung der Logik
ursprüngliches Chaos der Vorstellungen
die Vorstellungen, die sich mit einander vertrugen, blieben übrig die größte Zahl gieng zu Grunde – und geht zu Grunde.
Schaffen – als Auswählen und Fertig-Machen des Gewählten. (Bei jedem Willens-akte ist dies das Wesentliche
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In Bezug auf deutsche Cultur habe ich das Gefühl des Niedergangs immer gehabt.
das hat mich oft unbillig gegen das ganze Phänomen der europäischen Cultur gemacht, daß ich eine niedergehende Art kennen lernte.
Kant<s> greisen- und chinesenhafte Musik ist Ausklingen,
Die Deutschen kommen immer spät hinterdrein: sie tragen etwas in die Tiefe, z.B.
Abhängigkeit vom Ausland (sehr polyphon!): z.B. Kant – Rousseau – Sensualisten Hume – Swedenborg
Schopenhauer – Inder und Romantik, Voltaire.
Wagner – französischer Cultus des Grässlichen und der grossen Oper, Paris und Flucht in Urzustände. (die Schwester-ehe
Gesetz der Nachzügler (Provinz nach Paris, Deutschland nach Frankreich,
wie so gerade Deutsche das Griechische entdeckten
je stärker man einen Trieb entwickelt, um so anziehender wird es, sich einmal in seinen Gegensatz zu stürzen.
Stil des Verfalls bei Wagner: die einzelne Wendung wird souverän, die Unterordnung und Einordnung wird zufällig. Bourget p 25.
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die beiden größten (von Deutschen gefundenen) philosophischen Gesichtspunkte
der des Werdens, der Entwicklung
der nach dem Werthe des Daseins (aber die erbärmliche Form des deutschen Pessimismus erst zu überwinden!
von mir in entscheidender Weise zusammengebracht
alles wird und kehrt ewig wieder
– entschlüpfen ist nicht möglich!
Gesetzt, wir könnten den Werth beurtheilen, was folgt daraus?
der Gedanke der Wieder<kunft> als auswählendes Princip, im Dienste der Kraft (und Barbarei!!)
Reife der Menschheit für diesen Gedanken.
Aufklärung darüber, daß es kein Ding an sich und
Die 1) keine Erkenntniß an sich giebt!
großen 2) kein Gut und Böse an sich!
Negationen. 3) kein Ziel und keine Herkunft!
Das Wesen des Organischen ist der unverfänglichste Begriff.
Die Zwecke als Begleit-Erscheinung der Bedürfnisse. Auch die Philosophien: unser Bedürfniß ist jetzt die Welt zu entmoralisiren: sonst könnte man nicht mehr leben. Die absolute „Unfreiheit des W<illens>" erregt, moralisch gedeutet, Widerwillen.
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Nach der Seite des Machtgefühls unterscheiden sich die Menschen in
A) Erbärmliche: solche, denen die kleinsten Befriedigungen schon genügen. Die Eiteln, auch die „Guten".
B) die Unbefriedigten, die von außen her die Befriedigung wollen
C) Die sich selber machtvoll Glaubenden
D) usw.
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Psychologie des Irrthums
Wenn wir etwas thun, so entsteht ein Kraftgefühl, oft schon vor dem Thun, bei der Vorstellung des zu Thuenden (wie beim Anblick eines Feindes, eines Hemmnisses, dem wir uns gewachsen glauben): immer begleitend. Wir meinen instinktiv, dies Kraftgefühl sei Ursache der Handlung, es sei „die Kraft". Unser Glaube an Kausalität ist der Glaube an Kraft und deren Wirkung; eine Übertragung unsres Erlebnisses; wobei wir Kraft und Kraftgefühl identificiren. – Nirgends aber bewegt die Kraft die Dinge, die empfundene Kraft „setzt nicht die Muskeln in Bewegung". „Wir haben von einem solchen Prozeß keine Vorstellung, keine Erfahrung." – „Wir erfahren ebensowenig, wie die Kraft als Bewegendes, die Nothwendigkeit einer Bewegung." Die Kraft soll das Zwingende sein! „Wir erfahren nur, daß eins auf das andere folgt – weder Zwang erfahren wir, noch Willkür, daß eins auf das andere folgt." Die Kausalität wird erst durch die Hineindenkung des Zwangs in den Folgevorgang geschaffen. Ein gewisses „Begreifen" entsteht dadurch d. h. wir haben uns den Vorgang angemenschlicht, „bekannter" gemacht: das Bekannte ist das Gewohnheitsbekannte des mit Kraftgefühl verbundenen menschlichen Erzwingens.
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„Nothwendigkeit kann freilich auch bedeuten jedesmal wenn A eintritt, wird B folgen. Grad von Wahrscheinlichkeit (Gewißheit), womit der Eintritt der Folge erwartet werden darf. Diese Gewißheit beruht auf der Erfahrung: immer ist B auf A gefolgt, niemals auf A ein non-B. Begriffliche Unterstützung dadurch, daß Folgevorgänge, die mit AB gleichartig sind, zur Herstellung der Gewißheit der Folge von A und B herbeigezogen werden."
„Die Kraftempfindung kann auch nicht aus Bewegung hervorgehen. Empfindung überhaupt kann nicht aus Bewegung hervorgehen.
Auch dafür spricht nur eine scheinbare Erfahrung: in einer Substanz (Gehirn) wird durch übertragene Bewegung (Reize) Empfindung erzeugt. Aber erzeugt? Wäre denn bewiesen, daß die Empfindung dort noch gar nicht existirt? so daß ihr Auftreten als Schöpfungsakt der eingetretenen Bewegung aufgefaßt werden müßte? Der empfindungslose Zustand dieser Substanz ist nur eine Hypothese! keine Erfahrung! – Empfindung also Eigenschaft der Substanz: es giebt empfindende Substanzen."
„Erfahren wir von gewissen Substanzen, daß sie Empfindung nicht haben? Nein, wir erfahren nur nicht, daß sie welche haben. Es ist unmöglich, die Empfindung aus der nicht empfindenden Substanz abzuleiten." – Oh der Übereilung!
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„Ich will gehen": aber 1) ich muß gehen, und das Wollen ist nur ein Nebenbei, welches durchaus keine Bewegung hervorbringt, ein Bild vorher. 2) Dies Bild ist unglaublich roh und unbestimmt im Vergleich zu dem, was geschieht, es ist begrifflich und ganz allgemein, so daß unzählige Wirklichkeiten sich darunter decken. Also kann es nicht Ursache des Geschehens sein. – Zwecke zu eliminiren.
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Wenn der Offizier befiehlt „präsentirt's Gewehr", thun es die Soldaten. Er befiehlt, sie wollen es nun. In Wirklichkeit ist das, was sie nun thun, bei jedem etwas Verschiedenes: aber für grobe Organe sieht es gleich aus. Wer nach Zwecken handelt, findet sie oft erfüllt: d. h. er sieht grob und kennt das wirkliche Geschehen gar nicht. Daß die Welt des Geschehens unserem unvollkommenen Bilde vom Geschehen entspricht, mit ihm sich deckt, ist der Glaube der Zwecklehrer. Je weniger Wissen, um so leichter erhält sich der Glaube.
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„Es mußte in der Ausbildung des Denkens der Punkt eintreten, wo es zum Bewußtsein kam, daß das, was man als Eigenschaften der Dinge bezeichnete, Empfindungen des empfindenden Subjekts seien: damit hörten die Eigenschaften auf, dem Dinge anzugehören. Es blieb „das Ding an sich" übrig. Die Unterscheidung zwischen Dinge an sich und des Dings für uns basirte auf der älteren naiven Wahrnehmung, die dem Dinge Energie beilegte: aber die Analyse ergab, daß auch die Kraft hineingedichtet worden ist, und ebenso – die Substanz. „Das Ding afficirt ein Subjekt?" Wurzel der Substanzvorstellung in der Sprache, nicht im Außer-uns-seienden! Das Ding an sich ist gar kein Problem!
Das Seiende wird als Empfindung zu denken sein, welcher nichts Empfindungsloses mehr zu Grunde liegt.
In der Bewegung ist kein neuer Inhalt der Empfindung gegeben. Das Seiende kann nicht inhaltlich Bewegung sein: also Form des Seins.
NB. Die Erklärung des Geschehens kann versucht werden einmal: durch Vorstellung von Bildern des Geschehens, die ihm voranlaufen (Zwecke) zweitens: durch Vorstellung von Bildern, die ihm nachlaufen (die mathematisch-physikalische Erklärung.
Beide soll man nicht durch einander werfen. Also: die physische Erklärung, welche die Verbildlichung der Welt ist aus Empfindung und Denken kann nicht selber wieder das Empfinden und Denken ableiten und entstehen machen: vielmehr muß die Physik auch die empfindende Welt consequent als ohne Empfindung und Zwecke construiren – bis hinauf zum höchsten Menschen. Und die teleologische ist nur eine Geschichte der Zwecke und nie physikalisch!
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Eine Vielheit von Kräften, verbunden durch einen gemeinsamen Ernährungs-Vorgang, heißen wir „Leben". Zu diesem Ernährungs-Vorgang, als Mittel seiner Ermöglichung, gehört alles sogenannte Fühlen, Vorstellen, Denken, d. h. 1) ein Widerstreben gegen alle anderen Kräfte 2) ein Zurechtmachen derselben nach Gestalten und Rhythmen 3) ein Abschätzen in Bezug auf Einverleibung oder Abscheidung.
1. Der Mensch ist ein formenbildendes Geschöpf.
Der Mensch glaubt an „Sein" und an Dinge, weil er ein formen- und rhythmenbildendes Geschöpf ist.
Die Gestalten und Formen, die wir sehen und in denen wir die Dinge zu haben glauben, sind alle nicht vorhanden. Wir vereinfachen uns und verbinden irgend welche „Eindrücke" durch Figuren, die wir schaffen.
Wer sein Auge zumacht, entdeckt, daß ein formenbildender Trieb fortwährend sich übt, und daß Unzähliges da versucht wird, dem keine Wirklichkeit entspricht.
2. Der Mensch ist ein rhythmen-bildendes Geschöpf. Er legt alles Geschehen in diese Rhythmen hinein, es ist eine Art, sich der „Eindrücke" zu bemächtigen.
3. Der Mensch ist eine widerstrebende Kraft: in Hinsicht auf alle anderen Kräfte
Sein Mittel, sich zu ernähren und die Dinge sich anzueignen, ist, sie in „Formen" und Rhythmen zu bringen: das Begreifen zuerst nur Schaffen der „Dinge". Erkenntniß ein Mittel der Ernährung.
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Die Wissenschaft fragt nicht, was uns zu diesem Wollen trieb: sie leugnet vielmehr, daß gewollt worden ist, und meint, daß etwas ganz Anderes geschehen sei – kurz daß der Glaube an Wille und Zwecke eine Illusion sei. Sie fragt nicht nach den Motiven der Handlung, als ob diese uns vor der Handlung im Bewußtsein gewesen wären: sondern sie zerlegt erst die Handlung in eine mechanische Gruppe von Erscheinungen und sucht die Vorgeschichte dieser mechanischen Bewegung – aber nicht im Fühlen Empfinden Denken. Daher kann sie nie die Erklärung nehmen: die Empfindung ist ja eben ihr Material, das erklärt werden soll. – Ihr Problem ist eben: die Welt zu erklären ohne zu Empfindungen als Ursachen zu greifen: denn das hieße ja: als Ursachen der Empfindungen die Empfindungen ansehen. Ihre Aufgabe ist schlechterdings nicht gelöst.
Also.- entweder kein Wille – die Hypothese der Wissenschaft – oder freier Wille. Letztere Annahme das herrschende Gefühl, von dem wir uns nicht losmachen können, auch wenn die Hypothese bewiesen wäre.
Der populäre Glaube an Ursache und Wirkung ist auf die Voraussetzung gebaut, daß der freie Wille Ursache ist von jeder Wirkung: erst hierher haben wir das Gefühl der Causalität. Also darin liegt auch das Gefühl, daß jede Ursache nicht Wirkung ist, sondern immer erst Ursache – wenn der Wille die Ursache ist. „Unsere Willensakte sind nicht nothwendig" – das liegt im Begriff „Wille". Nothwendig ist die Wirkung nach der Ursache – so fühlen wir. – Es ist eine Hypothese, daß auch unser Wollen in jedem Falle ein Müssen sei. Aber Wollen: = Zweck-Wollen. Zweck enthält eine Werthschätzung. Woher stammen die Werthschätzungen? Ist eine feste Norm von „angenehm und schmerzhaft" die Grundlage?
Aber in unzähligen Fällen machen wir erst eine Sache schmerzhaft dadurch daß wir unsere Werthschätzung hineinlegen.
Umfang der moralischen Werthschätzungen: sie sind fast in jedem Sinneseindruck mitspielend. Die Welt ist uns gefärbt dadurch.
Wir haben die Zwecke und die Werthe hineingelegt: wir haben eine ungeheure latente Kraftmasse dadurch in uns: aber in der Vergleichung der Werthe ergiebt sich, daß Entgegengesetztes <als> werthvoll galt, daß viele Gütertafeln existirten.
also nichts „an sich" werthvoll
bei der Analyse der einzelnen Gütertafeln ergab sich ihre Aufstellung als die Aufstellung von Existenzbedingungen beschränkter Gruppen (und oft irrthümlichen): zur Erhaltung.
bei der Betrachtung der jetzigen Menschen ergab sich, daß wir sehr verschiedene Werthurtheile handhaben, und daß keine schöpferische Kraft mehr darin ist – die Grundlage: „die Bedingung der Existenz" fehlt dem moralischen Urtheile jetzt. Es ist viel überflüssiger, es ist lange nicht so schmerzhaft. – Es wird willkürlich. Chaos.
Wer schafft das Ziel, das über der Menschheit stehen bleibt und auch über dem Einzelnen? Ehemals wollte man mit der Moral erhalten. Aber Niemand will jetzt mehr erhalten, es ist nichts dran zu erhalten. Also eine versuchende Moral, sich ein Ziel geben.
Art-Erhaltende
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Über die Herkunft unsrer
Werthschätzungen.
Wir können uns unsern Leib räumlich auseinanderlegen, und dann erhalten wir ganz dieselbe Vorstellung davon wie vom Sternensysteme, und der Unterschied von organisch und unorganisch fällt nicht mehr in die Augen
Hymnus auf die Werth-Schätzung.
Ehemals erklärte man die Sternbewegungen als Wirkungen zweckbewußter Wesen: man braucht dies nicht mehr, und auch in Betreff des leiblichen Bewegens und sich-Veränderns glaubt man lange nicht mehr mit dem zwecksetzenden Bewußtsein auszukommen. Die allergrößte Menge der Bewegungen hat gar nichts mit Bewußtsein zu thun: auch nicht mit Empfindung. Die Empfindungen und Gedanken sind etwas äußerst Geringes und Seltenes im Verhältniß zu dem zahllosen Geschehn in jedem Augenblick. Umgekehrt nehmen wir wahr, daß eine Zweckmäßigkeit im Kleinsten Geschehn herrscht, der unser bestes Wissen nicht gewachsen ist, eine Vorsorglichkeit, eine Auswahl, ein Zusammenbringen, Wieder-gut-Machen usw. Kurz, wir finden eine Thätigkeit vor, die einem ungeheuer viel höheren und überschauenden Intellekte zuzuschreiben wäre als der uns bewußte ist. Wir lernen von allem Bewußten geringer denken: wir verlernen uns für unser Selbst verantwortlich zu machen, da wir als bewußte, zwecksetzende Wesen nur der kleinste Theil davon sind. Von den zahlreichen Einwirkungen in jedem Augenblick z. B. Luft Elektrizität empfinden wir fast nichts: es könnte genug Kräfte geben, welche, obschon sie uns nie zur Empfindung kommen, uns fortwährend beeinflussen. Lust und Schmerz sind ganz seltene und spärliche Erscheinungen gegenüber den zahllosen Reizen, die eine Zelle, ein Organ auf eine andere Zelle, ein anderes Organ ausübt.
Es ist die Phase der Bescheidenheit des Bewußtseins. Zuletzt verstehen wir das Bewußte ich selber nur als ein Werkzeug im Dienste jenes höheren überschauenden Intellekts: und da können wir fragen, ob nicht alles bewußte Wollen, alle bewußten Zwecke, alle Werthschätzungen vielleicht nur Mittel sind, mit denen etwas wesentlich Verschiedenes erreicht werden soll, als innerhalb des Bewußtseins es scheint. Wir meinen: es handle sich um unsre Lust und Unlust – – – aber Lust und Unlust könnten Mittel sein, vermöge deren wir etwas zu leisten hätten, was außerhalb unseres Bewußtseins liegt – – – Es ist zu zeigen, wie sehr alles Bewußte auf der Oberfläche bleibt: wie Handlung und Bild der Handlung verschieden ist, wie wenig man von dem weiß, was einer Handlung vorhergeht: wie phantastisch unsere Gefühle „Freiheit des Willens" „Ursache und Wirkung" sind: wie Gedanken nur Bilder, wie Worte nur Zeichen von Gedanken sind: die Unergründlichkeit jeder Handlung: die Oberflächlichkeit alles Lobens und Tadelns: wie wesentlich Erfindung und Einbildung ist, worin wir bewußt leben, wie wir in allen unseren Worten von Erfindungen reden (Affekte auch), und wie die Verbindung der M<ensch>heit auf einem Überleiten und Fortdichten dieser Erfindungen beruht: während im Grunde die wirkliche Verbindung (durch Zeugung) ihren unbekannten Weg geht. Verändert wirklich dieser Glaube an die gemeinsamen Erfindungen die Menschen? Oder ist das ganze Ideen- und Werthschätzungswesen nur ein Ausdruck selber von unbekannten Veränderungen? Giebt es denn Willen, Zwecke, Gedanken, Werthe wirklich? Ist vielleicht das ganze bewußte Leben nur ein Spiegelbild? Und auch wenn die Werthschätzung einen Menschen zu bestimmen scheint, geschieht im Grunde etwas ganz Anderes? Kurz: gesetzt, es gelänge, das Zweckmäßige im Wirken der, Natur zu erklären ohne die Annahme eines zweckesetzenden Ich's: könnte zuletzt vielleicht auch unser Zweckesetzen unser Wollen usw. nur eine Zeichensprache sein für etwas Wesentlich-Anderes – nämlich Nicht-Wollendes und Unbewußtes? Nur der feinste Anschein jener natürlichen Zweckmäßigkeit des Organischen, aber nichts Verschiedenes davon?
Und kurz gesagt: es handelt sich vielleicht bei der ganzen Entwicklung des Geistes um den Leib: es ist die fühlbar werdende Geschichte davon, daß ein höherer Leib sich bildet. Das Organische steigt noch auf höhere Stufen. Unsere Gier nach Erkenntniß der Natur ist ein Mittel, wodurch der Leib sich vervollkommnen will. Oder vielmehr: es werden hunderttausende von Experimenten gemacht, die Ernährung, Wohnart, Lebensweise des Leibes zu verändern: das Bewußtsein und die Werthschätzungen in ihm, alle Arten von Lust und Unlust sind Anzeichen dieser Veränderungen und Experimente. Zuletzt handelt es sich gar nicht um den Menschen: er soll überwunden werden.
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Bei der Entstehung der Organismen denkt er sich zugegen: was ist bei diesem Vorgange mit Augen und Getast wahrzunehmen gewesen? Was ist in Zahlen zu bringen? Welche Regeln zeigen sich in den Bewegungen? Also: der Mensch will alles Geschehen sich als ein Geschehen für Auge und Getast zurechtlegen, folglich als Bewegungen: und will Formeln finden die ungeheure Masse dieser Erfahrungen zu vereinfachen. Reduktion alles Geschehens auf den Sinnenmenschen und Mathematiker.
Es handelt sich um ein Inventarium der menschlichen Erfahrungen: gesetzt, daß der Mensch, oder vielmehr das menschliche Auge und Begriffsvermögen, der ewige Zeuge aller Dinge gewesen sei.
24 [18]
Die Wissenschaft – das war bisher die Beseitigung der vollkommenen Verworrenheit der Dinge durch Hypothesen, welche alles „erklären" – also aus dem Widerwillen des Intellekts an dem Chaos. – Dieser selbe Widerwille ergreift mich bei Betrachtung meiner selber: die innere Welt möchte ich auch durch ein Schema mir bildlich vorstellen und über die intellektuelle Verworrenheit herauskommen. Die Moral war eine solche Vereinfachung: sie lehrte den Menschen als erkannt, als bekannt. – Nun haben wir die Moral vernichtet – wir selber sind uns wieder völlig dunkel geworden! Ich weiß, daß ich von mir nichts weiß. Die Physik ergiebt sich als eine Wohlthat für das Gemüth: die Wissenschaft (als der Weg zur Kenntniß) bekommt einen neuen Zauber nach der Beseitigung der Moral – und weil wir hier allein Consequenz finden, so müssen wir unser Leben darauf einrichten, sie uns zu erhalten. Dies ergiebt eine Art praktischen Nachdenkens über unsere Existenzbedingungen als Erkennende.
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Moral der Wahrhaftigkeit in der Heerde. „Du sollst erkennbar sein, dein Inneres durch deutliche und constante Zeichen ausdrücken – sonst bist du gefährlich: und wenn du böse bist, ist die Fähigkeit dich zu verstellen, das Schlimmste für die Heerde. Wir verachten den Heimlichen Unerkennbaren. – Folglich mußt du dich selber für erkennbar halten, du darfst dir nicht verborgen sein, du darfst nicht an deinen Wechsel glauben." Also: Die Forderung der Wahrhaftigkeit setzt die Erkennbarkeit und die Beharrlichkeit der Person voraus. Thatsächlich ist es Sache der Erziehung, das Heerden-Mitglied zu einem bestimmten Glauben über das Wesen des Menschen zu bringen: sie macht erst diesen Glauben und fordert dann darauf hin „Wahrhaftigkeit".
24 [20]
Der Glaube an „Affekte". Affekte sind eine Construktion des Intellekts, eine Erdichtung von Ursachen, die es nicht giebt. Alle körperlichen Gemeingefühle, die wir nicht verstehen, werden intellektuell ausgedeutet, d. h. ein Grund gesucht, um sich so oder so zu fühlen, in Personen, Erlebnissen usw. also etwas Nachtheiliges Gefährliches Fremdes wird gesetzt als wäre es die Ursache unserer Verstimmung: thatsächlich wird es zu der Verstimmung hinzugesucht, um der Denkbarkeit unseres Zustandes willen. – Häufige Blutzuströmungen zum Gehirn mit dem Gefühl des Erstickens werden als Zorn interpretirt: die Personen und Sachen, die uns zum Zorn reizen, sind Auslösungen für den physiologischen Zustand. – Nachträglich in langer Gewöhnung, sind gewisse Vorgänge und Gemeingefühle sich so regelmäßig verbunden, daß der Anblick gewisser Vorgänge jenen Zustand des Gemeingefühls hervorbringt und speziell irgend jene Blutstauung, Samenerregung usw. mit sich bringt: also durch die Nachbarschaft: „der Affekt wird erregt" sagen wir dann.
In „Lust" und „Unlust" stecken bereits Urtheile: die Reize werden unterschieden, ob sie dem Machtgefühl förderlich sind oder nicht.
24 [21]
Der Glaube an das Wollen. Es ist Wunder-Glaube, einen Gedanken als Ursache einer mechanischen Bewegung zu setzen. Die Consequenz der Wissenschaft verlangt, daß, nachdem wir die Welt in Bildchen uns denkbar gemacht haben, wir auch die Affekte Begehrungen Willen usw. uns denkbar machen d.h. sie leugnen und als Irrthümer des Intellekts behandeln.
24 [22]
Das Beschimpfende ist erst so in die Strafe gekommen, daß gewisse Bußen an verächtliche Menschen (Sklaven z. B.) geknüpft wurden. Die welche am meisten bestraft wurden, waren verächtliche Menschen, und schließlich lag im Strafen etwas Beschimpfendes. –
24 [23]
Wir finden als das Stärkste und fortwährend Geübte auf allen Stufen des Lebens das Denken, in jedem Percipiren und scheinbaren Erleiden auch noch! Offenbar wird es dadurch am mächtigsten und anspruchsvollsten und auf die Dauer tyrannisirt es alle anderen Kräfte. Es wird endlich „die Leidenschaft an sich".
24 [24]
– – – so wäre Selbstlosigkeit Förderung der Bosheit. Tugend wäre Thorheit und Selbstwidersprechen. Wer die Menschen besser machen wollte, könnte es nicht mit den Mitteln seiner Güte, sondern im Widerstreben gegen seine wohlwollenden Neigungen.
24 [25]
die höchste Billigkeit und Milde als Zustand der Schwächung (das neue Testament und die christliche Urgemeinde)
(als volle bêtise bei den Engländern Darwin, Wallace sich zeigend).
Eure Billigkeit, ihr höheren Naturen, treibt euch zum suffrage universel usw., eure „Menschlichkeit" zur Milde gegen Verbrechen und Dummheit. Auf die Dauer bringt ihr damit die Dummheit und die Unbedenklichen zum Siege.
(Behagen und Dummheit – Mitte) (z. B. Bismarck –
Äußerlich: Zeitalter ungeheurer Kriege, Umstürze, Explosionen
Innerlich: immer größere Schwäche der Menschen. Die Ereignisse als Excitantien. Der Pariser als das europäische Extrem.
Consequenz.
1) Die Barbaren,
zuerst natürlich unter der Form der bisherigen Cultur (z. B. Dühring)
2) Die souveränen Individuen (wo barbarische Kraft-Mengen und die Fessellosigkeit in Hinsicht auf alles Dagewesene sich kreuzen)
Zeitalter der größten Dummheit, Brutalität und Erbärmlichkeit der Massen und der höchsten Individuen.
24 [26]
Im Innersten: nicht wissen, wohinaus? Leere.
Versuch, mit Rausch darüber hinwegzukommen.
Rausch als Musik
Rausch als Grausamkeit im tragischen Genuß des Zugrundegehens des Edelsten.
Rausch als blinde Schwärmerei für einzelne Menschen (oder Zeiten) (als Haß usw.)
Versuch, besinnungslos zu arbeiten, als Werkzeug der Wissenschaft.
das Auge offen machen für die vielen kleinen Genüsse z. B. auch als Erkennender. Bescheidenheit gegen sich.
die Bescheidung über sich zu generalisiren, zu einem Pathos
die Mystik, der wollüstige Genuß der ewigen Leere.
die Kunst um ihrer selber willen „le fait", das „reine Erkennen" als Narcosen des Ekels an sich selber.
Irgendwelche beständige Arbeit, irgend ein kleiner dummer Fanatismus
das Durcheinander aller Mittel – Krankheit durch allgemeine Unmäßigkeit. (Die Ausschweifung tödtet das Vergnügen.)
1) Willensschwäche als Resultat.
2) extremer Stolz und die Demüthigung kleinlicher Schwäche im Contrast gefühlt.
24 [27]
Moral für Moralisten.
1 Wenig Wissen um unsere Wirkungen
falsche Voraussetzungen über unsere Beweggründe
2 Wechsel der moralischen Namen; das Nichtsehenwollen bei den Guten.
3 Motive der Moralisten, Selbst-Erkenner, Beichtiger usw.
4 Gesundheit und Krankheit und ihr Ausdruck bei Guten und Bösen. Der Leib als Lehrmeister. Die Moral als Zeichensprache.
5 Böse als organische Funktion. Die Guten als Entartung, Stehenbleiben usw. „Altruismus".
6 Gewissen der Gemeinde und des Einzelnen. Zuletzt der Einzelne als Mehrheit.
7 Die Zukunft der Moralität. Die Religionen.
24 [28]
Meine Neuerungen.
Weiter-Entwicklung des Pessimismus
der Pessimismus des Intellects.
die moral<ische> Kritik, Auflösung des letzten Trostes Erkenntniss der Zeichen des Verfalls umschleiert durch Wahn jedes starke Handeln die Cultur isolirt, ungerecht, dadurch stark
1.) Mein Anstreben gegen den Verfall und die zunehmende Schwäche der Persönlichkeit. Ich suchte ein neues Centrum.
2.) Unmöglichkeit dieses Strebens erkannt
3.) Darauf ging ich weiter in der Bahn der Auflösung, – darin fand ich für Einzelne neue Kraftquellen. Wir müssen Zerstörer sein! – –
ich erkannte, dass der Zustand der Auflösung, in der einzelne Wesen sich vollenden können wie nie – ein Abbild und Einzelfall des allgemeinen Daseins ist. Theorie des Zufalls, die Seele ein auslesendes und sich nährendes Wesen äusserst klug und schöpferisch fortwährend (diese schaffende Kraft gewöhnlich übersehn! nur als „passiv" begriffen) ich erkannte die active Kraft das Schaffende inmitten des Zufälligen
– Zufall ist selber nur das Aufeinanderstossen der schaffenden Impulse
Gegen die lähmende Empfindung der allgemeinen Auflösung und Unvollendung hielt ich die ewige Wiederkunft!
74 [29]
Furcht vor dem Tode als Europäische Krankheit.
Furcht leicht anzuzüchten,
sogar den dummen Fischen
Heerdenthiere hauptsächlich furchtsam,
fein im Hören von Noth-Signalen.
Moral-Urtheile (Furcht und Abneigung) sehr verschieden früh eingetrichtert. Die Art gegen andre Urtheile einzunehmen, allen Lehrern der Tugend gemeinsam.
24 [30]
Die Skepsis mit den heroischen Gefühlen verknüpfen Skepsis der Schwäche und die des Muthes
Einen Menschen ohne Moral imaginiren, der überall auch das entgegengesetzte Urtheil hervorruft
Napoleon.
24 [31]
Mitleid und Liebe zur Menschheit als Entwicklung des Geschlechtstriebes.
Gerechtigkeit als Entwicklung des Rachetriebes.
Tugend als Lust am Widerstande, Wille zur Macht.
Ehre als Anerkennung des Ähnlichen und Gleichmächtigen. der Widerwille gegen die berechnenden Frösche
Alle Tugenden physiologische Zustände namentlich die organischen Hauptfunktionen als nothwendig, als gut empfunden.
Alle Tugenden sind eigentlich verfeinerte Leidenschaften und erhöhte Zustände.
24 [32]
Unfreiheit oder Freiheit des Willens? Es giebt keinen Willen.
Das Individuum ist etwas ganz Neues und Neuschaffendes.
24 [33]
Das Individuum ist etwas Absolutes, alle Handlungen ganz sein eigen.
Die Werthe für seine Handlungen entnimmt er zuletzt doch sich selber: weil er auch die überlieferten Worte sich ganz individuell deuten muß. Die Auslegung der Formel ist mindestens persönlich, wenn er auch keine Formel schafft: als Ausleger ist er immer noch schaffend.
24 [34]
Alle Handlungen müssen erst mechanisch als möglich vorbereitet sein, bevor sie gewollt werden. Oder: der „Zweck" tritt im Gehirn zumeist erst auf, wenn alles vorbereitet ist zu seiner Ausführung. Der Zweck ein „innerer" „Reiz" – nicht mehr.
Es giebt keinen „Willen": das ist nur eine vereinfachende Conception des Verstandes, wie „Materie".
24 [35]
Unsre Sinnesorgane als Ursachen der Außenwelt? Aber sie selber sind ja auch erst Wirkungen unsrer „Sinne". – Unser Bild vom Auge ist ein Erzeugniß des Auges.
24 [36]
1) Es giebt keinen Stoff – kein Atom p. 53
2) Es giebt keinen Raum. (Das Vorurtheil der Leere von Stoff „ hat erst die Annahme von Räumen geschaffen.
3) Ursache und Wirkung giebt es auch nicht. Sondern: wenn hier eine Spannung eintritt, so muß in der ganzen übrigen Welt eine Entspannung eintreten. (Daß die Spannung eintritt, ist wieder die „Folge" einer Entspannung anderswo.) Aber unmöglich kann es ein Nacheinander sein: sondern zugleich nimmt hier die Spannung zu, und dort die Spannung ab. Die Vorgänge, die wirklich miteinander zusammenhängen, müssen absolut gleichzeitig verlaufen. Wir nehmen einen einzelnen Punkt heraus als „Wirkung" z. B. das Fallen eines Menschen bei einem Schusse. Aber das ist eine ungeheure Kette zusammenhängender „Wirkungen". Wenn Zeit nöthig wäre, zur „Wirkung", so gäbe es ein plus ohne das dazugehörige minus, mindestens für Augenblicke: d. h. die Kraft wäre bald mehr bald weniger
Vogt p. 654
wir haben einen lebendigen Rhythmus vorauszusetzen, nicht Ursache und Folge!
4) wir dürfen kein Erschaffen annehmen, weil mit diesem „Begriff" sich nichts begreifen läßt. Kraft, die nicht da ist, plötzlich aus dem Nichts schaffen: das ist gar keine Hypothese! (gegen Vogt S.2 usw.)
5) Wir können aus den „moralischen Trieben" des Menschen die Entstehung des Organismus erkennen, von diesem werdenden Vorgang zurückschließen auf das Werden der niedersten Organismen. Moral-Triebe sind die Geschichte von Selbstregulirung und Funktions-Bildung eines Ganzen (Staat Gemeinde): wie wird der Einzelne zum Gefühl der Funktion gebracht?
Das Individuum ist ein Ei. Colonie-Bildung ist die Aufgabe jedes Individuums
24 [37]
Omnia naturalia facienti sunt indifferentia, sed abstinenti vel neganti bona aut mala.