5.
Nadel und Kamm.
Hareth Ben Hemmam erzählt:
Das Seltsamste, was ich auf Reisen sah, – war, was in Mearret Elnoman geschah, –
wo sich stellte dem Richter dar – ein streitendes Paar, – ein Alter mit gestumpftem
Zahne – und ein Jüngling, frisch wie ein Zweig der Myrobalane. – Der Alte sprach:
Walte Gottes Gnad' hie, – halt und erhalte den Kadi, – daß er recht walte –
und gerecht verwalte, – sich recht verhalte – und das Recht erhalte! – Ich hatte
eine feine – allerliebste kleine, – glatte, nette, niedliche, – spitzige, doch
friedliche, – schlanke, blanke, flinke, unermüdliche, – eine dienstfertige Dirne,
– die sich lenken ließ an einem Zwirne; – zierlich, manierlich, – behend,
hantierlich, – aus und ein schlüpfend, – hin und her hüpfend, – alles
mit Fleiß verknüpfend; – die überall säumte, – doch nichts
versäumte, – die überall steckte und stickte, – und der alles fleckte, was sie
flickte. – Daß ihr Herz war stählern, – rechnete ich ihr nicht zu den
Fehlern, – noch daß sie liebte Fehden – und führte Stichelreden. – Denn
zwar unbiegsam, – war sie mir doch schmiegsam; – spitzzüngig wie ein
Schlängelchen, – doch still und fromm wie ein Engelchen. – Sie hätte nur
wandeln sollen auf Seiden – und an geblümten Borten weiden; – doch sie erging sich,
vergnügt und bescheiden, – auf meiner Armut kahlen Heiden. – Nackt blieb sie, um
Nacktheit zu bekleiden; – doch wo sie zog durch die Steppe, – da zog sie hinter sich her
eine lange Schleppe. – Dieser Jüngling nun hat sich nach ihr gesehnt, – und ich
habe sie ihm gelehnt, – sie sich zu nutz zu machen, – doch zu schonen der Schwachen
– und keine Unbilligkeit – zuzumuten ihrer Willigkeit, – sie nicht anzustrengen
über ihre Kräfte – und sie nicht zu mißbrauchen im Geschäfte. – Da
bringt er sie zurück mir itzt, – und sie ist geschlitzt; – und vom Ersatz, den er
mir bietet, – wird mein Schaden nicht gegütet.
Der Jüngling sprach: Es ist gegründet, – was der Alte verkündet. – Doch
schlecht hat sie sich aufgeführt; – ich hatte nur schief sie angerührt, – und
mein Finger war ohne Hut, – da biß sie mich drein und leckte mein Blut. – Doch er
hat von mir im Versatz – einen Schatz, – ein barsches Bürschchen, – als wie
ein Hirschchen, – mit Zinken und Zacken – und elfenbeinblinkendem Nacken; –
mutwillig und eitel, – will jedem über die Scheitel, – Jungen die Locken krausen,
– Alten die Borsten zausen. – Er liebt Putzen und Zieren, – durch Wälder zu
spazieren, – und fürchtet nicht den Weg zu verlieren, – bricht durch dünn und
dicht, – und was sich sträubt, das macht er schlicht. – Den gab ich zum Unterpfande
dem Alten, – doch der hat ihn nicht wohl gehalten; – ich weiß nicht, was mein
Bürschlein hat verbrochen, – er hat einen Zahn ihm ausgebrochen.
Da sprach der Richter: Erkläret euch näher ihr Streiter, – oder scheret euch weiter.
– Und der Jüngling sprang auf und
sang:1)
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Eine Nadel, abgestumpft und abgenutzt,
Schwarz gerostet und von keinem Nutze,
Lieh er mir zu übler Kleider Besserung,
Daß sie alte Lappen neu aufstutze.
Brach sie aus Gebrechlichkeit, so ist kein Grund,
Daß er ein Verbrechen mir aufmutze.
Doch er hält dafür in seiner Haft zurück
Meinen Kamm,2)
der mir gedient zum Putze.
Sieh des Alten schmutz'gen Geiz, durch dessen Schuld
Liegen muß mein junges Haar im Schmutze!
Und daraus schließ auf den großen Druck der Not,
Die Erleichtrung hofft von deinem Schutze.
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Da sprach der Kadi zum Alten: – Rück heraus ohne Umschweif' und Falten. – und er
hob an:
Bei der Wallfahrt und der Anhöh' Chaif
Mina,3)
Wo der Frommen Herr den Satan steinigt!
Wäre nicht das Glück mir karg, ich hätte wohl
Meine Großmut an dem Feind bescheinigt,
Hätt', ohn' auf Ersatz der Nadel zu bestehn,
Seines Kamms Herausgab' ihm beschleunigt.
Doch vom Bogen des Geschicks fliegt Pfeil um Pfeil,
Einer trifft, die Furcht des andern peinigt.
Beide, die wir hier als Widersacher stehn,
Durch der Armut Band sind wir vereinigt:
Er, aus Dürftigkeit, kann nicht befrein sein Pfand,
Ich, aus Mangel, kann es lassen frei nicht.
Dieser Schicksalsknoten ist dir vorgelegt;
Löse mild, und hau ihn streng entzwei nicht.
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Als der Kadi das angehört, – ward er ganz verstört, – und als wie
bethört, – warf er ihnen hin einen Dinar. – Den erschnappte der Alte wie ein Aar;
– und als er seinen Raub verschlungen, – sprach er zum Jungen: – Die eine
Hälfte ist mein Anteil am Schatz, – die andere Hälfte nehm' ich an deinem Platz,
– als Schadenersatz – für die zerbrochene Nadel, – so behalt' ich das Ganze
ohne Tadel; – komm nun und nimm in Empfang deinen Kamm, – auf daß bestehe des
Rechtes Stamm. – Da stand der Junge wie ein verkauftes Lamm. – Doch der Kadi, den sein
Thaler verdroß, – gab seinem Mitleid noch einen Stoß – und warf, um den
Jungen zu trösten, – ihm ein paar Münzen hin, nicht von den größten.
– Dann sprach er: Nun geht und vertraget euch – und solcher Fehden entschlaget euch.
– Ein Richter hat nicht dazu die Kassen, – um von den Parteien sie leeren zu lassen.
– Darauf gingen sie bedächtiglich – miteinander einträchtiglich, – laut
preisend des Richters Gütigkeit, – Großmut und Edelmütigkeit. – Er aber
konnte noch nicht verschmerzen – den Thaler, der ihm gerissen war von dem Herzen; – er
ächzte beweglich – und krächzte kläglich, – als steck' ihm die Brust voll
Dolche, – und sprach zu seinem Gefolge: – Es ahnet mir – und gemahnet mir, –
daß die beiden nicht zwei Parteien, – sondern eine, und zwei Betrüger seien.
– Wer kann ein Licht mir zünden, – ihre Heimlichkeit zu ergründen? – Da
sprach sein Hauptspürer – und Obermeuteführer: – Es giebt kein besseres
Verständnis, – als ihr eigenes Geständnis – und kein sichreres Erkenntnis,
– als ihr eigenes Bekenntnis. – Da ward ein Häscher, einer von den raschen, –
gesandt, sie einzuhaschen. – Und als sie wieder vor dem Kadi erschienen, – sprach er zu
ihnen mit ernsten Mienen: – Nun schenket mir reinen Wein aus dem Krug ein, – und
geschenkt soll euch euer Betrug sein! – Da prallte zurück der Junge, – doch der
Alte trat vor mit kühner Zunge:
Ich bin der Seruger, und das ist mein Sohn.
Es artet in Zeiten der Welf nach dem Leuen.
In unserem Schatz ist nicht Nadel noch Kamm,
In unserem Haus nichts zu kau'n noch zu käuen.
Den Kummer der Armut, der Dürftigkeit Schutt
Verwenden wir kunstreich zu Dichtungsgebäuen.
Wir locken die Gab' aus geschlossener Hand,
So gut wie aus offner, die Geben mag freuen.
Wir tauschen Geschenk' ein für Täuschung mit Lust,
Daß selbst nicht den Tausch die Getäuschten bereuen.
Und wen, so wie uns, Not im Rücken bedroht,
Der scheut nicht Gefahr, die ins Antlitz mag dräuen.
Der Tod ist das Ende der Mühsal, und wen
Er heut trifft, der braucht ihn nicht morgen zu scheuen.
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Da rief der Kadi: Gottes Segen dem Wohlduft, den deine Rede haucht, – und Heil dir, wäre
dein Sinn nicht in Trug getaucht. – Doch ich werde vor dir mich wahren – und warne dich
selber vor Gefahren. – Laß künftig die Richter ohne Beschwerden; – mancher
verträgt es nicht, gefoppt zu werden. – Denke des zeitlichen und des ewigen Verderbes
– und befleißige dich redlichen Gewerbes! – Das versprach ihm der Alte und schied,
– und die Tücke saß ihm auf dem Augenlid.
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Es verdient bemerkt zu werden, daß Hariri hier und in ähnlichen
Fällen gerade da mit den Versen anhebt, wo die Poesie des Gegenstandes zu Ende geht, gleichsam
um durch die neue und höhere Form der Darstellung einen neuen und höheren Schwung zu
geben. Ohne diesen Kunstgriff würde die folgende Auflösung des Rätselstreites
höchst langweilig geworden sein, statt daß sie uns jetzt durch das komische Pathos, womit
die Bettlerlumpen aufgestutzt werden, gar anmutig vorkommt.
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Statt des Kammes ist im Original ein Gegenstand, dem die erforderliche
doppelsinnige Beschreibung auf eine für uns anschauliche Weise nicht abzugewinnen war,
nämlich der Augensalbestift, Mil genannt, d. i. dasjenige Instrument, womit
die im Orient gebräuchliche schwarze Schminke an die Wimpern und Augenränder gebracht
wird; ein ebenso notwendiges Toilettenstück jener Gegenden, wie bei uns der Kamm. Der Kamm ist
nun freilich nicht ganz im Kostüm, wenigstens der Männer, die dort glatt geschoren sind
und nichts zu kämmen haben. Doch bliebe auch bei diesen etwa noch eine Zuflucht für den
Kamm der Bart. Aber unser Kamm gehört einem jungen Bürschchen zu, und diese tragen dort
allerdings auch langes Haar, wie die Mädchen; zumal die von der Klasse der verrufenen Lieblinge
halten ganz besonders auf diese weibliche Zierde.
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Diese Anhöhe Mina, unweit Mekka, worauf ein Bethaus oder
Mesgid errichtet ist, nimmt auf der Wallfahrtsscene eine Hauptstelle ein. Hier wird der
Teufel gesteinigt, das Opfer geschlachtet und zuletzt das Haar geschoren, das während der
Wallfahrt hat wachsen müssen. Doch wir haben es hier nur mit dem ersten Gebrauch zu thun.
Nachdem das Pilgerheer zwei Tage vor dem Opferfeste feierlich aus Mekka ausgezogen ist, die erste
folgende Nacht schon in Mina zugebracht hat, sodann, nach dem Betstand auf Arafat, die
zweite Nacht in Musdelife, zieht es am dritten Tag, am ersten selbst des Festes, wieder nach
Mina, und hier dann, beim Weggehen von der Station, ist es, wo jeder Pilger gegen eine Stelle
hin, die Gemret elakaba, d. i. der kleine Kiesel des beschwerlichen Aufstieges,
heißt, sieben Steine wirft mit den Worten: Im Namen Gottes! Gott ist groß! Zum
Verdruß des Teufels und seiner Engel! u. s. w. Dieser Gebrauch ist eingesetzt zum
Gedächtnis an den Stifter der Wallfahrt, Abraham, der, als er über diese Örter ging,
um seinen Sohn zu opfern, den Teufel, der ihm eingab, Gott nicht zu gehorchen, mit Steinwürfen
abtrieb. Die Steine aber, die der Pilger wirft, sollen nicht größer als eine Bohne sein,
um durch das schwache Geschoß mehr Verachtung gegen den Feind zu bezeigen und auch um den
Schaden zu verhüten, der bei der großen Menge der Pilgrime entstehen könnte. Man
legt den Stein auf die innere Fläche des Daumens und schleudert ihn mit dem kleinen Finger. Man
darf statt der Steine nichts anderes werfen, nicht etwa goldene oder silberne Münzen, um nicht
die Gläubigen zu versuchen, sie aufzulesen. Nach diesem Steinwerfen kann der Pilger sein Opfer
schlachten, sich scheren lassen, und nach Mekka zurückkehren, um dort andere Gebräuche zu
verrichten. Aber am folgenden Tage, dem zweiten des Festes, muß er wieder nach Mina
gehen und, wann sich die Sonne geneigt hat, das Steinwerfen erneuern, und zwar muß er dann
dreimal sieben Steine werfen, je sieben an jeder der drei Stellen, die den gemeinschaftlichen Namen
Gemret führen, zuletzt bei der Hauptstelle Gemret elakaba. Am dritten Tage wird
dies wiederholt, und ebenso am vierten, dem letzten des Festes, nur diesmal früher, ehe der Tag
sich neigt. An diesen vier Tagen wirft also jeder Pilgrim siebzig Steine, nämlich sieben am
ersten Tag, und an jedem folgenden einundzwanzig. Man glaubt, daß alle Steinchen, die ein
Gläubiger, der seine Wallfahrt würdig vollbringt, geworfen hat, sogleich von Engeln
aufgehoben werden; und ohne dieses beständige Wunder wäre aus den Gemren gar nicht
mehr fortzukommen, vor der Menge von Steinen, von den Pilgern seit so vielen Jahrhunderten dahin
geworfen.