Das gefangene Wassermännchen von Freistadt

In einem Tümpel der Aist bei Freistadt, den man für grundlos hielt, hauste ein Wassermännchen. Niemand wagte es, dort zu baden; man fürchtete sich vor dem kleinen Wicht, obwohl das Männchen noch niemanden etwas zu leide getan hatte. Es war nicht größer als ein fünfjähriges Kind, aber auf dem kleinen Rumpf saß ein mächtiger Schädel, den dichtes weißblondes Haar wie ein Strahlenglanz umgab; große feuerrote Augen leuchteten aus dem gutmütigen Gesicht. Man traf es oft nahe beim Ufer schlafend an, wo es sich wohlig von der Sonne bescheinen ließ.

Als es wieder einmal am Randes des Tümpels schlief, ging gerade er Schloßherr von Weinberg vorüber. Erstaunt betrachtete er das seltsame Wesen, und weil er sich allerhand Kurzweil von ihm versprach, packte er es und nahm es mit sich auf das Schloß.

Der Schloßherr hielt den Kleinen wie sein eigenes Kind, und das Männchen wurde bald lustig und guter Dinge; es fing zu reden an, machte allerlei Späße, und unterhielt die Leute aufs beste. Manchmal erzählte es auch Dinge, die anderen verborgen waren.

Einmal nahm es sein Herr in die Kirche mit, wo es verwundert lauschend umherblickte. Aber plötzlich - es war gerade mitten unter der Wandlung, und in der Kirche herrschte andächtige Stille - schlug das Männchen zum Ärger aller Kirchenbesucher ein helles Gelächter auf. Als es sein Herr zornig fragte, warum es während der heiligen Handlung gelacht habe, sagte es fröhlich: „Wenn das aber so lustig war, was ich gesehen habe!"

„Und was hast du gesehen?" Fragte der Herr von Weinberg.
„Gerade hat der Teufel am Seitenaltar die Kuhhaut zerrissen", erwiderte der kleine Wicht, „und sich am Taufbecken daneben fürchterlich den Schädel angestoßen."
„Ja, was hat denn der Teufel in der Kirche mit einer Kuhhaut zu tun?" erkundigte sich verwundert der Weinberger.
„Nun", antwortete der Kleine, „er hat sich auf eine Kuhhaut die Namen aller Leute aufgeschrieben, die während der Messe nicht andächtig waren. Die Haut wurde ihm aber zu kurz, weil ihrer so viele waren; da hat er mit aller Macht daran gezogen, um sie zu dehnen, damit alle darauf Platz hätten. Dabei ist sie mitten auseinandergerissen, und er ist mit dem Schädel an den Stein gefahren, daß es einen ordentlichen Krach getan hat." Und er lachte neuerlich fröhlich auf.

Seit dieser Zeit unterließ es der Herr, das Wichtlein mit sich in die Kirche zu nehmen.

Ein anderes Mal sah er vor der Kirche ein Weib sitzen, das eine neue Schürze trug und eitel damit prunkte. „Wie würde sie erst stolz sein", sagte das Männchen, „wenn sie wüste, worauf sie sitzt!" Da grub man an dieser Stelle nach und fand einen Schatz, der ausreichte, eine stattliche Kirche davon zu erbauen.

Der kleine Wicht wäre gern wieder in seine nasse Behausung zurückgekehrt, fürchtete aber, zuviel von seinen Geheimnissen ausgeplaudert zu haben und dafür bestraft zu werden. Als ihm aber der Herr von Weinberg schließlich die Freiheit schenkte, nahm er freundlich Abschied von allen Bekannten und rief: „Geht nun mit mir zum Tümpel und schaut, wie es mir ergehen wird! Wenn das Wasser schwarz aufwallt, sobald ich hineingesprungen bin, dann steht es gut um mich; wenn es aber im Wasser rot aufsteigt, so ist es um mein Leben geschehen." Er sprang in den Tümpel, und wirklich stieg das Wasser blutrot auf. Da bedauerten alle den kleinen Mann; denn er war ihnen mit der Zeit recht ans Herz gewachsen.