Das Raubgut auf Schloß Haichenbach

Eine halbverfallene Ruine, die selten eines Menschen Fuß betritt, ist alles, was von der stolzen Raubritterburg Haichenbach an der Donau übriggeblieben ist. Einst war sie der Schrecken der Umgebung, und mancher Kaufherr, der die Straße entlangzog, manches Handelsschiff, das die Donau hinauf- oder hinunterfuhr, hat ihr seinen Tribut entrichten müssen. Eine lange Kette sperrte den Strom und zwang die Schiffe anzuhalten, worauf der räuberische Burgherr mit seinen Scharen aus dem Hinterhalt hervorbrach und die Schiffe ausplünderte. Die geraubten Waren wurden auf die Burg gebracht und verhalfen dem Haichenbacher zu Reichtum und sorglosem Leben.

Vergebens versuchte man, dem wilden Ritter das Handwerk zu legen; seine Burg auf der Donauhöhe war uneinnehmbar. Hatte man aber erfahren, daß der Ritter auf Raub ausgeritten war, und wollte ihm den Rückzug verlegen, so erkannte man aus den Hufspuren, daß er schon heimgeritten sein mußte. Wenn dann die Achtsamkeit nachließ, geschah es nicht selten, daß der Burgherr unvermutet mit seinen Knechten auftauchte und seine Verfolger niedermachte. Er hatte den Pferden die Hufeisen verkehrt aufnageln lassen und durch diese List seine Feinde getäuscht.

Der Bischof von Passau, dem das Land rundherum untertan war und der unter den Gewalttaten des Raubritters nicht minder zu leiden hatte als bürgerliche Kaufleute, suchte dem Ritter ins Gewissen zu reden und drohte ihm mit irdischen und himmlischen Strafen. Aber der Ritter lachte höhnisch über alle Bekehrungsversuche und setzte sein räuberisches Handwerk unentwegt fort, bis er eines Tages bei einem wagemutigen Ritt zu Sturz kam und sich das Genick brach. Während er in der Halle seines Schlosses aufgebahrt lag, brach Feuer in der Burg aus und vernichtete den stolzen Bau, so daß nur mehr die Mauern zum Himmel ragten. Die Leute aber meinten, der Satan habe zuerst die Seele, dann aber auch den Leichnam des Ritters in die Hölle geholt.

Kurze Zeit darauf träumte der Bischof von Passau, er stehe am Rand eines feurigen Abgrundes und höre eine Stimme aus der Tiefe, die rief: "Herr Bischof, erbarmt Euch meiner! Ihr allein könnt mir in meiner Qual helfen. In meinem Schloß liegt noch das geraubte Gut, deswegen ich hier in glühendem Gold rösten muß. Ich bitte Euch, schickt einen Brief mit geweihtem Siegel nach Haichenbach und laßt das Raubgut von dort holen!" Der Bischof hielt den Traum für die Mahnung einer höheren Macht und schickte nach einigen Tagen eine Fähre die Donau hinunter, auf der der Bote mit Brief und Siegel stromabwärts fuhr.

Um Mitternacht legte die Fähre vor der Ruine Haichenbach an und wartete auf die kostbare Fracht, während der Bote zur Ruine hinanstieg. Kein Laut durchbrach die Stille der finsteren Nacht. Da bebte plötzlich die Erde, ein Krachen erklang, und die brandgeschwärzten Mauern der Burgruine schienen aufs neue in Glut und Flammen zu stehen. Aus dem Turm fuhren zwei glühendrote, gewaltige Truhen, auf denen zwei baumlange Teufel saßen. Schnell wie der Blitz fuhren die zwei Behälter mit ihren riesigen Wächtern den Berghang hinab und blieben knapp vor der Fähre stehen. Den Schiffern standen vor Grauen und Schrecken die Haare zu Berge. Die beiden Teufel aber faßten die Truhen, verluden sie eifrig auf der Fähre und setzten sich dann wieder darauf.

Unterdessen war auch der Bote wieder herangekommen und hatte das Fahrzeug bestiegen. Da stießen die Schiffsleute vom Land ab und riefen: "In Gottes Namen, fahren wir!" Als die beiden Teufel den Namen Gottes hörten, sprangen sie entsetzt auf und stürzten sich kopfüber in die fluten der Donau, die zischend und brausend, wie wenn ein Feuerbrand das Wasser berührt, über ihnen zusammenschlugen. Die Fähre aber trug ihre seltsame Fracht zum Bischof nach Passau.