Paul Scheerbart
Glasarchitektur
Abschnitte I - XXX
BRUNO TAUT gewidmet
Hony soit qui mal y pense
I
Das Milieu und sein Einfluß auf die Entwicklung der
Kultur
Wir leben zumeist in geschlossenen Räumen. Diese bilden
das Milieu, aus dem unsre Kultur herauswächst. Unsre
Kultur ist gewissermaßen ein Produkt unsrer Architektur.
Wollen wir unsre Kultur auf ein höheres Niveau bringen, so
sind wir wohl oder übel gezwungen, unsre Architektur
umzuwandeln. Und dieses wird uns nur dann möglich sein,
wenn wir den Räumen, in denen wir leben, das Geschlossene
nehmen. Das aber können wir nur durch Einführung der
Glasarchitektur, die das Sonnenlicht und das Licht des
Mondes und der Sterne nicht nur durch ein paar Fenster in
die Räume läßt — sondern gleich durch möglichst viele
Wände, die ganz aus Glas sind — aus farbigen Gläsern. Das
neue Milieu, das wir uns dadurch schaffen, muß uns eine
neue Kultur bringen.
II
Die Veranda
Es ist selbstverständlich, daß man zunächst das rasch
Erreichbare im Auge behält. Und da wird man zunächst eine
Umwandlung der Veranda vornehmen. Sie ist leicht zu
vergrößern und zunächst auf drei Seiten mit doppelten
Glaswänden zu umgeben. Beide Wände sind farbig zu
ornamentieren. Und wenn das Licht zwischen den Wänden
angebracht ist, so wird die Veranda des Abends innerlich
und äußerlich sehr imposant wirken. Soll noch ein Blick in
den Garten gewährt werden, so ist dieses ja bequem durch
durchsichtige Fensterscheiben zu erreichen. Man tut aber
gut, diese Scheiben nicht »fensterartig« einzufügen. Die Luft
wird besser durch Ventilatoren eingeführt.
Für bescheidene Ansprüche ist somit jedem Villenbesitzer
sehr leicht möglich, zu einer Glasarchitektur zu gelangen. Der
erste Schritt ist sehr leicht und bequem.
III
Der Botanische Garten zu Dahlem
Eine Glasarchitektur besitzen wir bereits — und zwar in den
botanischen Gärten. Der Botanische Garten zu Dahlem bei
Berlin zeigt, daß bereits ganz imposante Glaspaläste
aufgeführt sind. Allerdings — es fehlt die Farbe. Aber in der
Abendsonne wirkt das Palmenhaus und das Kalthaus so
herrlich, daß man wohl einen Begriff bekommt, was zu erzielen
ist, wenn die Farben auch am Tage da sind. Das Palmenhaus
ist besonders interessant: außen die freitragende
Eisenkonstruktion, das das Glas haltende Holzsprossenwerk
innen, sodaß kein Rostwasser entsteht und das Eisen immer
wieder frisch angestrichen werden kann. Das Holz ist
natürlich seiner Vergänglichkeit wegen k e i n imponierendes
Baumaterial. Das Schlimmste jedoch ist, daß die Glaswände
einfach und nicht doppelt da sind; dadurch ist der
Heizaufwand im Winter einfach ein enormer.
Die Direktion erzählt in einem ihrer »Führer« mit
unberechtigtem Stolze, daß im Winter bei -10 ° Celsius des
Morgens um 8 Uhr an einem einzigen Tage ein Waggon mit
300 Centnern bester schlesischer Steinkohle verheizt wird.
Man wird zugeben, daß das ein wenig viel ist und nicht mit
Stolz betont werden dürfte. Einem derartigen Heizaufwande
hätte mit doppelten Glaswänden begegnet werden müssen.
IV
Die doppelten Glaswände, Licht, Heizung
und Kühlung
Da die Luft einer der schlechtesten Wärmeleiter ist, so ist die
doppelte Glaswand für die ganze Glasarchitektur Bedingung.
Die Wände können einen Meter voneinander entfernt sein —
auch noch einen größeren Zwischenraum haben. Das Licht
zwischen diesen Wänden leuchtet nach außen und nach
innen. Sowohl die äußeren wie die inneren Wände können
farbig ornamentiert sein. Wenn dabei zu viel Licht durch die
Farbe verschluckt wird, so ist die Außenwand auch ganz hell
zu lassen; dann empfiehlt es sich nur, das Licht zwischen den
Wänden nach außen mit einem farbigen Glasschirm zu
versehen, damit das Wandlicht des Abends auf der
Außenseite nicht einfach grell erscheint.
Heiz- und Glühkörper zwischen die Wände zu bringen, wird
sich in den meisten Fällen nicht empfehlen, da dadurch zu
viel Wärme oder Kälte an die Außenluft abgegeben wird.
Wohl aber kann man Heiz- und Kühlkörper in Ampelform im
Innenraume unterbringen, da ja dort alle Lichtampeln zum
Teil überflüssig sind, wenn die Wände das Licht spenden.
Selbstverständlich empfiehlt es sich, zunächst nur in der
gemäßigten Zone Glashäuser zu bauen und nicht gleich in
Äquatorial- und Polargegenden; in der wärmeren Zone wird
man wohl ohne weiß gehaltenes Eisenbetondach nicht
auskommen, doch in der gemäßigten Zone kommt das weiße
Eisenbetondach nicht als Notwendigkeit in Betracht.
Für die Heizung sind auch elektrische Heizteppiche zu
empfehlen, die auch den Boden bedecken können.
V
Die Eisengerippe und die Eisenbetongerippe
Die Eisengerippe sind natürlich für die Glasarchitektur
unentbehrlich. Ein außerordentlicher Aufschwung der
Schwerindustrie muß dadurch herbeigeführt werden.
Wie nun das Eisen gegen Rost zu schützen ist, das ist noch
nicht in zufriedenstellender Art gelöst. Es gibt sehr viele
Mittel, dem Roste zu begegnen. Welches Mittel das beste ist,
wissen wir noch nicht. Der einfache Anstrich in der bislang
üblichen Weise läßt in ästhetischer Hinsicht soviel zu
wünschen übrig, daß der Glasarchitekt wohl darauf bedacht
sein muß, Besseres zu bieten. Dieses können wir aber ruhig
der Entwicklung überlassen.
Ist man bereit, dem Gerippe größere Dimensionen
einzuräumen, womit man sich ja ohne weiteres einverstanden
erklären kann, da ja nicht jeder Zoll des Glashauses aus Glas
zu sein braucht, so wird man das Eisenbetongerippe wohl in
Erwägung ziehen dürfen.
Der Eisenbeton hat sich ja als Baumaterial so vortrefflich
bewährt, daß zu seinen Gunsten hier garnicht weiteres zu
sagen ist.
Der Eisenbeton ist auch künstlerisch umzubilden —
entweder farbig zu machen oder durch Meißelarbeit
ästhetisch wirkend auszugestalten.
VI
Die innere Umrahmung der Glasflächen
Das Eisen- oder Eisenbetongerippe umrahmt das Glas im
großen und ganzen, aber die Glasflächen müssen noch eine
innere kleinere fensterartige Umrahmung haben. Für diese
wurde im Botanischen Garten zu Dahlem, wie schon erwähnt,
vergängliches Holz verwertet. Für das Holz muß nun ein
haltbareres Material gefunden werden. Das Eisen ist wohl
haltbarer, muß jedoch gegen Rost geschützt werden. Das ist
durch Vernickelung oder Anstrich zu erreichen. Letzter ist,
wie schon gesagt, ästhetisch nicht einwandfrei, muß auch
sehr oft erneuert werden. Vielleicht ist der Eisenbeton auch
hier ein ideales Baumaterial, er nimmt wohl nicht zu viel
Fläche in Anspruch.
Es kämen noch verschiedene neue Baumaterialien in
Betracht, diese sind aber noch nicht so geprüft, daß hier
näher auf die neuen, für Umrahmung der Glasflächen
geeigneten Materialien eingegangen werden könnte. Das ist
auch Sache des Fachmannes, der schon das Richtige finden
wird. Jedenfalls kommen nur sehr feste und rostfreie
Materialien in Betracht; das Holz ist nicht haltbar und darf in
Eisenkonstruktionen nur als Notbehelf Verwendung finden.
Auch in Brücken, die ganz aus Eisen und Eisenbeton
konstruiert sind, findet das Holz keine Verwendung mehr. Die
Glasarchitektur ist aber zur Hälfte ebenfalls Eisenarchitektur;
die Schwerindustrie hat dadurch ein ganz neues
Absatzgebiet gewonnen, das den Konsum des Eisens
mindestens um das Zehnfache steigern muß.
VII
Die Vermeidung des Holzes im Mobiliar
und in der Innendekoration
Das Holz ist aber auch im Innern des Glashauses zu
vermeiden; es paßt eben einfach nicht mehr in die Situation.
Schränke, Tische, Stühle usw. werden auch aus Stahl und
Glas hergestellt werden müssen, wenn das ganze Milieu
einheitlich wirken soll. Das wird natürlich der Holzindustrie
einen empfindlichen Stoß versetzen. Man wird natürlich den
vernickelten Stahl mit Email und Niello verzieren müssen,
damit das Mobiliar ästhetisch so stark wirken kann — wie die
durchaus verehrungswürdige Holzschnitzerei und die
Holzschränke mit eingelegten anderen Holzarten usw.
usw.
Das Holz ist seiner Vergänglichkeit wegen zu vermeiden. Die
Verwertung des Eisens im Eisenglasbau liegt aber einfach in
der Entwicklungslinie.
VIII
Das Mobiliar in der Mitte des Zimmers
Daß das Mobiliar im Glashause nicht an die kostbaren, farbig
ornamentierten Glaswände gestellt werden darf, wird wohl
»selbstverständlich« erscheinen. Diese Revolution im Milieu
ist beim besten Willen nicht zu vermeiden. Die Bilder an den
Wänden sind natürlich total unmöglich.
Da wird die Glasarchitektur einen schweren Kampf
auszufechten haben. Doch die Macht der Gewohnheit muß
überwunden werden. Und die associativen Vorstellungen
aus der Zeit der Großväter dürfen nicht mehr
ausschlaggebend im neuen Milieu mitwirken.
Alles Neue hat eben mit dem eingewurzelten Alten einen
schweren Kampf auszufechten; es geht nicht anders, wenn
das Neue sich durchsetzen will.
IX
Die größere Veranda und ihre Unabhängigkeit
vom Hauptgebäude
Wer seine Veranda auf drei Seiten mit farbig ornamentiertem
Glase versehen hat, wird sehr bald mehr von der
Glasarchitektur haben wollen. Das eine ergibt das andere,
und ein Stillstand in der Entwicklung ist nicht denkbar. Und
so wird denn die Veranda immer größer werden und sich
schließlich ganz vom Hauptgebäude emanzipieren und selber
Hauptgebäude sein mögen.
Diese Entwicklung der Veranda zu fördern, wird
Hauptaufgabe jedes Glasarchitekten sein.
X
Gartenhäuser und Kioske
Die alten Araber lebten viel mehr in ihren Gärten als in ihren
Schlössern. Darum entwickelten sich bei ihnen die
Gartenhäuser und Kioske sehr rasch. Leider ist, da man
immer wieder das vergängliche Holz als Baumaterial
verwandte, von dieser arabischen Gartenarchitektur nichts
übrig geblieben.
Aufgabe des modernen Architekten ist daher, für
Gartenhäuser und Kioske nur das beste Eisen- und
Eisenbetonmaterial zu verwenden und die doppelten, farbig
ornamentierten Glaswände überall im Garten zu befürworten.
Vom Garten aus wird sich die Glasarchitektur am besten
einführen lassen; jeder Besitzer eines größeren Gartens wird
wohl geneigt sein, ein Gartenhaus aus Glas zu besitzen.
XI
Die Steinfliesen und Majoliken auf den Gartenwegen
Die Araber hatten in allen ihren Gärten Steinparkett und auch
wohl solches aus Majolika; sie versetzten dadurch den
Teppichgeschmack in den Garten.
Die Holländer haben das den Arabern nachgemacht.
Und es wird sich wohl empfehlen, daß die modernen
Glasarchitekten auch ihre Gartenwege mit Stein- und
Majolikafliesen belegen und dadurch die Pracht der
Glaspaläste würdig umrahmen.
XII
Steinholz und der beste Bodenbelag im Hause
Es läßt sich nun kaum vermeiden, auf viele neue
Baumaterialien einzugehen. Doch das soll nur
andeutungsweise geschehen. So wird fugenloser
Steinholzfußboden sehr empfohlen; ob er auch für das Haus
mit seinen bunten, farbigen Glaswänden geeignet ist, läßt
sich ja nicht so leicht entscheiden. Jedenfalls kommt als
bester Bodenbelag natürlich noch mancher andere Stoff in
Frage — auch Steinparkett, das mosaikartig nur aus Steinen
besteht. Aber Steinholz soll sehr beständig sein. Deshalb ist
es gut. Man wird wohl auch im Hause auf dem Bodenbelag
mit den Farben sparsam sein müssen, um eine
Kontrastwirkung den Wänden gegenüber zu erzielen.
XIII
Der »Sachstil«
Der verehrliche Leser dürfte vielleicht die Empfindung
haben, daß die Glasarchitektur ein wenig kühl ist.
Aber — in der warmen Jahreszeit ist das I(ühle doch ganz
angenehm.
Jedenfalls möchte ich behaupten, daß auch die Farben im
Glase sehr glühend wirken können; vielleicht strömen sie
eine »neue« Wärme aus.
Damit das bislang Gesagte eine etwas wärmere Atmosphäre
bekommt, möchte ich hier in der hitzigsten Weise den
ornamentlosen, sogenannten »Sachstil« bekämpfen, da er
unkünstlerisch ist.
Es ist das schon oftmals von anderer Seite geschehen. Es
geschehe hiermit aber noch einmal.
Als Übergangsperiode erscheint mir der »Sachstil« wohl
akzeptabel, jedenfalls hat er der Nachahmung der älteren
Stile den Garaus gemacht. Diese älteren Stile sind ja Produkte
der Backsteinarchitektur und der Holzmöbel.
Die Ornamentik im Glashause wird sich also wohl ganz
selbständig entwickeln — die Ornamentik des Orients, der
Teppiche und Majoliken so umbilden, daß von Nachahmung
in der Glasarchitektur hoffentlich niemals gesprochen
werden dürfte.
Hoffen wir's!
XIV
Die Verkleidung des Baumaterials und ihre
Berechtigung
Eine Hausfront mit vergänglicher Stuckplastik zu umkleiden,
ist natürlich verwerflich, auch der einfache Farbenanstrich,
der der Witterung nicht Stand hält, verbietet sich von selbst.
Die Architekten haben deshalb »jede« Verkleidung für
unberechtigt erklärt und zeigen deshalb auch die
Backsteinfront ganz nackt. Ein scheußlicher Anblick!
Backstein wirkt nur, wenn er verwittert ist und
Ruinencharakter zeigt — dann wirkt er eben wie eine Ruine.
Die alten Ägypter umkleideten ihre Backsteinpyramiden mit
glatten Granitflächen. Die sind nicht zugrunde gerichtet,
sondern gestohlen worden. Wenn letztes geschieht, ist eine
Erhaltung natürlich ausgeschlossen.
Die Verkleidung eines minderwertigen Materials ist nach
meinem Dafürhalten durchaus berechtigt.
Da man nun sehr viele Nutzbauten hat, die nicht durch
Glasbauten von heute bis morgen zu ersetzen sind, so kann
man sehr wohl an eine dauerhafte Umkleidung dieser
Nutzbauten (Fabriken, Hafenanlagen usw.) denken.
Emailplatten auf Eisen und Majoliken eignen sich durchaus.
Alte Mauern, Zäune aus Backstein, Stallungen usw. können
ebenso umkleidet werden.
Auch lassen sich Häuser durch Dachgärten einen passablen
Anstrich verleihen, wenn in diesen Dachgärten Glaspavillons
in größerer Zahl aufgerichtet werden.
XV
Die Politur des Eisenbetons und dessen plastische
Bearbeitung
Der Eisenbeton ist ein Baumaterial, das sehr fest und
wetterbeständig ist. Mit Recht hat also der Architekt den
Eisenbeton für ein ideales Baumaterial erklärt. Es ist nur
bedauerlich, daß es nicht durchsichtig ist. Das ist allein das
Glas.
Aber — der Eisenbeton ist nicht ansehnlich, wenn er im
natürlichen Zustande bleibt. Deshalb ist die Politur des
Eisenbetons, die ausgeführt werden kann, sehr zu
empfehlen; der Politur soll sich auch wetterbeständige Farbe
zufügen lassen.
Außerdem ist der Eisenbeton auch mit plastischem
Ornament zu versehen; er ist ebenso leicht mit dem Meißel
zu bearbeiten wie Granit. Granit ist ja nicht grade »leicht« zu
bearbeiten, aber es geht doch.
XVI
Email und Niello in Lamellen auf Eisenbeton
Da sich Lamellen aus Metall beim Guß des Eisenbetons in
dessen Oberfläche pressen lassen, so läßt sich diese mit
Email — eventuell mit durchsichtigem Email cloisonné
ausfüllen.
Bei Ausmeißelung kleiner Flächen sind diese auch mit Niello
zu versehen. Lackniello wird sich nur im Innern des Raumes
anbringen lassen. Im Äußern würde Metallniello sehr gut
wirken; es sollten aber nur edle Metalle Verwendung finden;
die Patina der Bronze käme ebenfalls in Frage.
Glasmosaik ist natürlich auch möglich.
XVII
Die Glashaare im Kunstgewerbe
Daß sich Glas auch zu spinnbaren Haaren ausbilden läßt, ist
von vielen vergessen worden.
Die Geschichte ist aber über vierzig Jahre alt. Vielleicht noch älter.
Ich weiß es nicht.
Diese Glashaare könnten im Kunstgewerbe eine ganz neue
Industrie erzeugen; Diwandecken, Sessellehnen usw. sind
aus Glashaaren möglich.
XVIII
Die Schönheit der Erde, wenn die Glasarchitektur
überall da ist
Die Erdoberfläche würde sich sehr verändern, wenn überall
die Backsteinarchitektur von der Glasarchitektur verdrängt
würde.
Es wäre so, als umkleidete sich die Erde mit einem Brillanten-
und Emailschmuck.
Die Herrlichkeit ist garnicht auszudenken.
Und wir hätten dann auf der Erde überall Köstlicheres als die
Gärten aus tausend und einer Nacht.
Wir hätten dann ein Paradies auf der Erde und brauchten
nicht sehnsüchtig nach dem Paradiese im Himmel
auszuschauen.
XIX
Die gotischen Dome und Burgen
Die Glasarchitektur ist nicht ohne die Gotik zu denken.
Damals, als die gotischen Dome und Burgen entstanden,
hatte man auch eine Glasarchitektur gewollt. Sie kam nur
nicht ganz zur Ausführung, weil man noch nicht das
unerläßliche Eisenmaterial zur Verfügung hatte. Dieses erst
gestattet, den ganzen Glastraum zu realisieren.
Zur Zeit der Gotik war das Glas in den meisten Privathäusern
noch ganz unbekannt. Heute ist das Glas in jedem Hause
bereits ein Hauptfaktor der Architektur. Allerdings: ihm fehlt
noch die Farbe.
Aber auch die Farbe wird kommen . . .
XX
Hellas ohne Glas, Orient mit Ampeln und
Majolikafliesen
Im alten Hellas war das Glas ziemlich unbekannt. Doch schon
vor der hellenischen Kultur gab es in den Ländern am
Euphrat und Tigris viele bunte Glasampeln und glänzende
Majolikafliesen. Schon um 1000 vor Christus. Der
vorderasiatische Orient ist also die sogenannte Wiege der
Glaskultur.
XXI
Glas, Email, Majolika und Porcellan
Alle Baumaterialien, die haltbar und in wetterbeständigen
Farben zu erhalten sind, haben Existenzberechtigung. Der
zerbröckelnde Backstein und das brennbare Holz haben k e i n e
Existenzberechtigung; ein Backsteinbau ist auch leicht zu
zertrümmern durch Sprengstoffe, die immer gleich dem
ganzen Gebäude gefährlich werden, während dieses beim
Glaseisenbau nicht der Fall ist; in diesem kann immer nur
eine partielle Zerstörung durch Sprengstoffe herbeigeführt
werden.
Wo die Verwendung des Glases nicht möglich ist, läßt sich
Email, Majolika und Porcellan verwenden, die wenigstens
haltbare Farbe zeigen können, wenn sie auch nicht
lichtdurchlassend sind wie das Glas.
XXII
Die Tiffany-Effekte
Der berühmte Amerikaner Tiffany, der das sogenannte
Tiffany-Glas einführte, hat dadurch die Glasindustrie sehr
gefördert; er führte die F a r b e n w o l k e n in das Glas.
Durch diese Wolken sind die herrlichsten Effekte möglich —
und die Wände erhalten dadurch ganz neue Reize, die
allerdings die Ornamentik in den Hintergrund bringen, sie
aber an besonderen Stellen nicht unmöglich machen.
XXIII
Die Vermeidung der Quecksilberspiegeleffekte
Wenn die Gefährlichkeit der Tiffany-Effekte auch nicht ganz
geleugnet werden darf — sie sind im übrigen nur in
unkünstlerischen Händen gefährlich — so sollte man doch
den Quecksilberspiegeleffekten nur im Ankleideraum ein
Nützlichkeitsdasein gestatten.
In den andern Räumen des Hauses sind die Spiegeleffekte,
die ihre Umgebung immer wieder in andrer Beleuchtung
widerspiegeln, für die architektonische Gesamtwirkung
störend, da sie nicht Bleibendes haben.
Wo Kaleidoskopeffekte gewünscht werden, sind sie wohl
berechtigt — sonst aber tut man gut, dem
Quecksilberspiegel aus dem Wege zu gehen; er ist
gefährlich — wie ein Gift.
XXIV
Die Vermeidung des Figürlichen in der Architektur
Wenn Architektur Raumkunst ist, so ist das Figürliche n i c h t
Raumkunst und paßt daher in die Architektur nicht hinein.
Der tierische und menschliche Körper ist für die Bewegung
geschaffen, die Baukunst ist n i c h t für die Bewegung
geschaffen, ist deshalb auf das Stilisierte und das Ornament
angewiesen.
Nur sollte man das Pflanzen- und Steinreich der Erde
stilisieren — oder besser das ganz frei Erfundene — nicht
aber an Stilisierung des Tier- und Menschenkörpers denken.
Daß dieses die alten Ägypter taten, rechtfertigt die Sache
heute durchaus nicht; u n s r e Götter bringen wir mit dem
Tier- und Menschenkörper nicht mehr zusammen.
XXV
Der Gartenarchitekt und die Baum- und
Pflanzenwelt zur Rokokozeit
Zur Rokokozeit ging man mit den Bäumen und Pflanzen so
um, als wenns ein knetbarer Lehm wäre; die Bäume wurden
der perspektivischen Wirkung wegen zu Wänden
geschnitten, die Taxushecken zu geometrischen Figuren.
Jedenfalls beherrschte der Architekt den Garten. Er sollte es
heute auch tun. Aber die mühselige Behandlung des
pflanzlichen und baumartigen Materials lohnt doch wohl
nicht — schon der verschiedenen Jahreszeiten und der
Vergänglichkeit wegen nicht.
Mehr Glaswände im Garten würden diesem ein ganz anderes
Ansehen geben, den Garten der Hausarchitektur angliedern,
wenn diese Hausarchitektur Glasarchitektur ist. Es ist
garnicht auszudenken, welch wundervolle Wirkungen
dadurch erzielt werden könnten. In der Nähe von Teichen
ließe sich wohl auch gelegentlich eine Spiegelwand denken.
Nur ist mit ihr sehr sparsam umzugehen.
XXVI
Die Türe
In unsrer technischen Zeit ist die Entwicklung sehr rasch
gekommen; das vergessen wir oft. Es ist nicht einzusehen,
warum die Entwicklung plötzlich langsamer gehen soll. Vor 50
Jahren hatte noch keine einzige Stadt in Deutschland
Wasserleitung und Kanalisation. 50 Jahre später wird man
sich eine Wohnung ohne Vacuumstaubsauger nicht mehr
denken können. Und vieles andre wird da sein, was uns
heute noch immer utopisch vorkommt, obgleich doch die
Dinge, die ausgeführt werden können wie die Glasarchitektur,
nie und nimmer utopisch genannt werden dürfen.
Und so wird auch die Türe im Glashause eine andre sein als
die Türen, die heute noch in den Backsteinhäusern zumeist
üblich sind.
Die sich selbst schließenden Türen sind heute Gemeingut.
Aber die sich selber öffnenden Türen können ebenfalls
demnächst Gemeingut sein. Es ist nicht nötig, daß sich die
äußeren Türen von selber öffnen, aber wenn sich die inneren
Türen von selber öffnen, so ist das wie ein freundliches
Entgegenkommen des Hausbesitzers, obgleich er gar keine
Handbewegung dazu beizutragen braucht.
Der Mechanismus ist durch Auftreten auf eine weiche Platte
ganz leicht herzustellen, existiert bereits in berliner Lokalen,
ist durchaus erfunden und patentiert.
Die Sache läßt sich noch erweitern; man kann gleichzeitig in
den Türen Kristallkörper in Drehung versetzen — man kann
auch Scheinwerfer aufblitzen lassen; das ist ein
freundlicherer Empfang als der durch einen gelangweilten
Livreediener.
Die Türen können aus durchsichtigem Glase mit
Kristalleffekten und auch aus farbig ornamentierten Gläsern
bestehen. Jedenfalls ist wohl jedem Zimmer eine Art
von Entree zu geben — das macht den Eintritt doch ein
wenig feierlicher.
Und auch die Außentüren können aus Glas sein.
Die Großstädte sind in der jetzigen Form noch nicht fünfzig
Jahre alt. Sie können ebenso schnell verschwinden, wie sie
gekommen sind. Auch die Schienenwege der
Dampfeisenbahn sind nicht unsterblich.
XXVII
Der Stuhl
Das komplizierteste Kapitel des ganzen Kunstgewerbes ist
der Stuhl. Der Stuhl aus Stahl scheint eine ästhetische
Unmöglichkeit. Und doch läßt sich Stahl durch Email und
Niello so herrlich ausgestalten, daß er den Vergleich mit der
besten venetianischen Schnitzarbeit nicht zu scheuen
braucht. Die Preise der Email- und Niellostühle werden sich
keineswegs höher stellen als die geschnitzten Holzstühle,
denn für diese werden sehr gern 4 - 500 M gezahlt. Die
Emailarbeiten sind so billig, daß sich die Stühle mit Email sehr
wohl für 100 M pro Stück herstellen lassen.
Freilich: man wird von einer Industrie, die schockweise ganz
gleiche Stühle herstellt, ganz absehen müssen. Von einer
Industrie, die künstlerischen Ansprüchen genügen will, kann
man wohl verlangen, daß sie ganz gleiche Stücke nach
Schema F nicht mehr verzapft.
Die Zukunftsstuhlindustrie, die ja leider, wie mir sehr wohl
bekannt ist, momentan noch nicht besteht, sei lebhaft auch
auf die Glashaare hingewiesen. Dann sollten nur noch
feuersichre imprägnierte Stoffe verwendet werden — auch im
Diwan und im Bodenbelag. Auch hier werden die Glashaare
das wichtigste Material sein.
XXVIII
Das Metall in der Kunst und im Kunstgewerbe
Mir scheint die Gewohnheit auch in der Kunst und im
Kunstgewerbe ein schweres konservatives Bleigewicht zu
sein. Weil man zu Großvaters Zeiten aus Holz die meisten
Möbel und Kunstgegenstände herstellte, deshalb solls so
weiter gehen.
Es soll aber eben nicht so weiter gehen, wenn es weiter
gehen soll.
Die Glasarchitektur ist zwingend auch für das Kunstgewerbe
und für die Kunst: man wird gezwungen sein, das Metall
überall zu bevorzugen.
Die Ästhetiker werden natürlich versuchen, dem
entgegenzuwirken; von den bedrohten Holzindustrieen
werden die Ästhetiker schon mobil gemacht werden.
Und man wird sehr viel von den wertvollen associativen
Vorstellungen reden, die dem Holze innewohnen.
Ich glaube aber, daß all die associativen Vorstellungen, die
im Holz stecken, auch in das Metall übertragen werden
können — durch künstlerische Ausgestaltung des
Metalls — wie ich das ja schon mehrfach angedeutet habe.
Metall soll kalt sein. Holz soll warm sein. Das sind aber
Gewohnheitsvorstellungen. Die glasierten Kacheln
empfanden wir, als der Kachelofen noch nicht existierte,
auch als kalt. Erst durch den Kachelofen wurden uns die
Majoliken warm.
Mit dem Metall kanns uns ebenso gehen.
XXIX
Hohle Glaskörper in allen möglichen Farben
und Formen als Wandmalerei (die sogenannten
Glassteine)
Die sogenannten Glassteine bilden auch ein Wandmaterial,
das wohl zu einer interessanten Specialität der
Glasarchitektur werden kann.
Es haben sich bereits große Industrieen gebildet, die wohl
eine große Zukunft in allernächster Zeit haben könnten.
Ästhetisch ist alles berechtigt als Wandmaterial, was
feuersicher und Licht durchlassend ist. Die Glassteine
dürften viel Eisengerippe überflüssig machen.
XXX
Aschingers Bauten in Berlin 1893
Ideen müssen, wenn sie wirksam werden wollen, eigentlich
»in der Luft liegen«; es müssen die Ideen in sehr vielen
Köpfen zu gleicher Zeit da sein — wenn auch in verzerrter
Gestalt. Dieses wurde mir im Jahre 1893 oder etwas später
klar. Franz Evers redigierte die theosophische »Sphinx« und
wurde infolgedessen mit theosophischen, spiritistischen und
anderen Schriften überschüttet; in diesem Wuste fand sich
vieles, das zum Lachen zwang. So erklärte auch ein Herr,
dessen Namen ich nicht behalten habe, daß alles Heil im
Glase enthalten sei, man müßte immer einen Glaskristall
neben sich auf dem Schreibtisch haben, in Spiegelzimmern
schlafen usw. usw.
Das hörte sich alles ganz verdreht an. Aber — Aschingers
Bierhallen mit den fürchterlichen Spiegeln erschienen mir
bald als ein Echo jener theosophischen Schrift von den
Spiegelschlafzimmern. Jedenfalls liegt hier ein telepathischer
Kontakt vor.
Jede vernünftige Idee wird nach meiner festen Überzeugung
in vielen Köpfen immer zu gleicher Zeit erscheinen und auch
in der krausesten Verzerrung; man sollte sich also nicht so
sorglos über das Verdrehte und Verrückte aussprechen; es
ist zumeist ein Echo von ganz Vernünftigem.
Im Orient wird der Verrückte und auch der Wahnsinnige auf
freiem Fuß belassen und im Volke als Prophet verehrt.
Doch dieses nur nebenbei!
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