Auf dem Monde wars Nacht.
Und die dicke Luft war ganz still.
Und die Goldkäfer saßen auf den dunklen Moosfeldern
und leuchteten - so wie die Sterne am schwarzen Himmel
leuchteten.
Von der Erde war nur ein Viertel als Halbkreis zu sehen.
Und fünf Mondmänner schwebten über den Moosfeldern
und leuchteten auch - aber so wie Kugeln von Phosphor.
Und der Mondmann, der voranflog, wurde plötzlich so rot
wie eine feurige Kohle, und da flogen die vier anderen
Mondmänner an seine Seite und wurden ganz allmählich
ebenfalls so rot.
Durch dieses Rotwerden sagten sich die Mondleute, daß
sie bereit wären, miteinander zu sprechen.
Und der Mondmann, der zuerst rot wurde, sprach jetzt
langsam und nachdenklich:
»Der Stern, mit dem wir leben, unser guter Mond, will ein
großes Auge haben - und wenns möglich wäre - schließlich
ein großes Auge sein - bloß noch ein einziges Auge sein -
ganz Auge sein.«
Die Mondleute hatten, wenn sie in der Luft schwebten,
unten Kugelgestalt, und aus der ragte oben ein kleiner
Brustrumpf mit einem Rübenkopf und zwei Armen heraus.
Und mit den siebenfingrigen Händen, die unten an den
Armen hingen, klatschte jetzt jeder der fünf Mondmänner
auf seinen Ballonbauch, daß es dumpf dröhnte - wie von
Pauken.
Mit diesen Tönen tat die Mondbevölkerung ihr
Wohlbehagen und ihre Heiterkeit kund.
Rasibéff, der Mondmann, der seiner feurigen Gesinnung
wegen seit Jahrhunderten bekannt war, rief nun hell in die
Nachtluft:
»Was der große Mafikâsu soeben gesagt hat- das gibt
unserm Streben das Rückgrat. Wir wollen, was unser Stern
will. Und wenn unser Wille der Wille unsres Sterns ist, so
muß dieser Wille alle Mondvölker mitreißen - und wir
müssen in unserm Monde ein Fernrohr bauen, wies der
Mond nicht größer haben kann - ein Fernrohr von der Größe
des Monddurchmessers.«
Wenn die Mondleute ihren Rumpf vorbeugten und über
ihren Ballonbauch rüber nach unten blickten, so kam ihnen
das Bild der dunklen Mondoberfläche fast ebenso wie das
Bild des Himmels mit den Sternen vor, da die Goldkäfer unten
auch so still leuchteten wie oben die großen Weltgestalten
im unendlichen Raum.
Die fünf Mondmänner beugten sich jetzt sämtlich vorne
über und flogen danach viel schneller als bisher mit dem
Rübenkopfe voran dem nächsten Krater zu.
Die Rübenköpfe hatten oben einen Kranz von Fühlhörnern,
die sich beim Fliegen nach allen Richtungen vorreckten und
dadurch kronenartig wirkten; die Fühlhörner witterten wie
feine Geruchsorgane alle Dinge, an denen man sich stoßen
kann.
Da sprach Zikáll, der Mann der Wissenschaft:
»Jedenfalls bezweifle ich, daß der Mond seinen Willen mit
unsrer Beihilfe durchsetzen möchte. Wenn der Mond
wirklich auf der anderen Seite ein Organ haben will, das
unsrem Auge entspricht, so braucht er dazu nicht die Beihilfe
der kleinen Mondleute. Wissenschaftlich nicht zu
begründende Aussprüche wie die vom Mondauge sollten
bei der Agitation nicht gebraucht werden. Wenn wir sagen,
daß wir ein großes Fernrohr haben wollen, dessen Länge die
des Monddurchmessers erreichen soll, so haben wir damit
nach meiner Meinung genug gesagt. Die großen Worte
haben immer einen kleinen Spaßgehalt in sich. Die großen
Worte sind der Tatenlust zuwider.«
Die Sterne des Himmels funkelten jetzt, und die beiden
hellblauen Augen des großen Mafikâsu, der zuerst
gesprochen hatte, funkelten ebenfalls, und er sagte nun,
während er langsamer flog:
»Jedenfalls freue ich mich, daß der große Zikáll die
Herstellung des großen Fernrohrs, das so lang wie der
Monddurchmesser werden soll, nicht für eine Unmöglichkeit
erklärt. Und da Zikáll nicht will, daß ich das Wort Mondauge gebrauche,
so will ich das Wort vermeiden, obschon ich doch bemerken
muß, daß die Sterne öfters grade die kleinsten Lebewesen zur
Durchführung ihrer großen astralen Absichten benutzen.«
Hierauf sagte der Zikáll sehr rasch:
»Es fragt sich übrigens, ob unser Stern, der Mond selber,
durch das große Fernrohr sieht - wenn wir, die Mondmänner,
da durchsehen.«
»Das«, versetzte Mafikâsu, »fragt sich wohl. Aber wir
wollen nicht vergessen, daß wir das große Fernrohr nur dann
durchdringen werden, wenns unserm Monde nicht
unbequem ist. Wir wollen nicht den Respekt vor dem Ganzen
vergessen.«
Nach diesen Worten hatten die fünf den Krater, dem sie
zuflogen, erreicht und ließen sich nun oben am Rande des
Kraters auf fünf freien Natursäulen nieder; die Mondmänner
setzten sich auf die Säulen, indem sie ihren Ballonbauch
zusammenzogen und daraus eine Art Raupenfuß machten;
die dicke gummiartige Hautmasse des Bauches umschloß
muskulös den ganzen Kopf der Säule, so daß das Sitzen
recht bequem war und auch so aussah.
Die Mondmänner glühten immer noch wie rote Kohlen, nur
die Rübenköpfe und die Hände phosphorescierten
silberartig, und die zehn Augen flimmerten in hellblauen
Farbtönen.
Nun ergriff der weitsichtige Loso das Wort:
»Ja!« rief er, »wir verstehen den großen Mafikâsu
vollkommen. Alles geht gegen die Erdbeobachtung. Die
Mondleute, die das große Fernrohr haben wollen, haben eine
große Abneigung gegen den Stern, der uns am nächsten
steht - gegen die große Erde. Wir sollen gezwungen werden,
die Erdbeobachtung aufzugeben. Wir sollen uns fürderhin
nur noch mit den weiterab befindlichen Sternen - mit dem
entfernteren Weltenraume - beschäftigen. Das ist es, worauf
alles hinausläuft.«
In der Ebene, die sich unten vor dem Krater weit ausdehnte
- da glitzerten jetzt die Goldkäfer - und oben am Himmel
glitzerten die goldenen Sterne; die Luft machte die
Lichteffekte oft anders.
Der heftige Rasibéff, der immer röter wurde als alle anderen,
sagte leise:
»Loso dürfte nicht so ganz unrecht haben.«
Der weitsichtige Loso sprach noch einmal - sehr
eindringlich - also:
»Auf der Mondseite, die stets der Erde zugekehrt ist,
haben wir heute im ganzen ungefähr zehntausend Fernrohre.
Unsre Krater haben sich doch recht brauchbar gezeigt; wenn
auch die Beweglichkeit des einzelnen Rohres nicht allzu groß
ist, so ergänzen sich doch die verschiedenen Krater
untereinander so gut, daß wir zufrieden sein können. Jedes
Fernrohr sitzt in seinem Krater so naturgemäß drinnen, daß
es uns beinahe schon unnatürlich erscheint, wenn wir einen
Krater erblicken, in dem sich kein Fernrohr befindet -
obschon wir wissen, daß auf zehn Krater nur einer mit
Fernrohr kommt, während neun noch ohne Fernrohr sind.
Wenn wir nun die Absicht hätten, unsre sämtlichen Krater
mit Fernrohren zu versehen, so würde ich diese Absicht nur
loben, denn die Arbeit, die uns dadurch aufgebürdet wäre,
müßten wir für klein ansehen gegen die Arbeit, die uns das
große Fernrohr, das Monddurchmesserlänge haben soll,
verursacht. Unsre Fabrikleiter sprechen da doch von einer
Arbeit, die Jahrhunderte in Anspruch nehmen könnte.
Demnach sage ich klar und deutlich: Lieber neunzigtausend
großartige Kraterfernrohre als das eine einzige
Riesenteleskop mit einer Monddurchmesserlänge! Das ist
meine Meinung! Und von der werde ich vorläufig nicht
abgehen!«
Uber die Ebene schwebten jetzt große Scharen silbern
phosphorescierender Mondleute vorüber, die verglichen mit
den Goldkäfern in der Tiefe Silberkäfern nicht unähnlich
sahen. Wie silberne Sterne zogen die Mondleute in der
Ferne vorüber; runde Ballonbäuche hatten alle Mondleute
ohne Ausnahme - und auch alle Mondkäfer.
Zikáll, der Mann der Wissenschaft, sagte leise:
»Was mehr Arbeit machen würde - das eine große oder
neunzigtausend kleine Teleskope - das dürfte wohl schwer
zu entscheiden sein. Es käme doch nebenbei noch darauf an,
welche Größe die kleinen Teleskope erreichen sollen. Wir
haben in den letzten Jahrhunderten jedes neue Fernrohr
immer ein wenig größer gebaut als das vordem
fertiggestellte; wenn wir also die Größe bei den neuen
neunzigtausend so weiter steigern, so könnte das letzte
vielleicht viel größer werden als das eine große, das die
Länge des Monddurchmessers doch nicht überragen darf.«
Jetzt lachte Rasibéff.
Und die anderen lachten ebenfalls.
Aber der fünfte Mondmann, der bislang geschwiegen
hatte und Knéppara hieß, sprach nun folgendermaßen:
»Das kommt davon, wenn man über eine Sache mit
Leidenschaft redet. Man schweift ab und gibt schließlich nur
Gelegenheit zum Lachen. Das Wichtigste wird dabei
regelmäßig vergessen. Ihr denkt gar nicht mehr daran,
welchen Umfang die Beobachtung der Erde erreicht hat. Das
ist doch die Hauptsache! Ich leite die Beobachtung an
neunhundert Teleskopen, und der liebe Loso leitet die
Beobachtung an vierhundertunddreißig Teleskopen. Und
diese dreizehnhundertunddreißig Teleskope sind nur auf die
Erde gerichtet - seit Jahrhunderten! Und viele hundert andrer
Teleskope sind ebenfalls nur auf die Erde gerichtet, so daß
man wohl sagen kann: Die Hälfte der Mondbevölkerung
beschäftigt sich ausschließlich nur mit der Erde.«
»Die Rechnung stimmt nicht«, rief da heftig der Rasibéff,
»mehr als zwei Drittel der Mondbevölkerung beschäftigt
sich mit der Erde.«
»Nun - wenns so ist«, fuhr der mächtige Knéppara fort,
»dann spricht ja das noch besser für uns. Dann begreife ich
aber nicht, wie Ihr die Erdfreunde dazu bestimmen wollt, ihre
Tätigkeit, die ihnen Jahrhunderte lang so viel Freude
bereitete, plötzlich an den Nagel zu hängen. Die Mehrzahl ist
doch gegen Euch. Es war doch wahrlich keine Kleinigkeit,
das Leben der Erdbewohner genauer kennenzulernen. Wir sind
doch schon in der Lage, das zu lesen, was sie drucken
lassen. Das hat Mühe gekostet - denn wir haben ihre
Sprache mit dem Ohre niemals vernommen. Wir sehen,
welche Anstrengungen die Erdleute machen, nach allen
Seiten weiterzukommen. Wir sehen, wie sie den ganzen
Erdball mit eisernen Schienen umspannen und alles
außerdem noch mit Drahtnetzen umspinnen. Die
Beobachtung dieser energischen Völkerscharen sollen wir
plötzlich aufgeben, um nach den entferntesten Sternen zu
greifen? Ich muß feierlich erklären, daß ich die
himmelstürmenden Ziele für himmelschreienden Leichtsinn
halte - und werde, solange ich noch Einfluß besitze, die
Weltfreunde bekämpfen und mit allen Mitteln die Arbeiten
der Erdfreunde zu schützen wissen.«
Loso hatte während dieser Rede seine rote Farbe verloren,
Knéppara verlor sie jetzt auch - und dadurch deuteten die
beiden an, daß sie das Gespräch abzubrechen wünschten.
Mafikâsu sagte nur noch ernst, während er noch röter
wurde:
»Ich weiß, daß Knéppara und Loso unsre mächtigsten
Gegner sind. Und die Weltfreunde wissen, daß sie keinen
kleinen Kampf zu kämpfen haben - und daß sie den nicht
mehr vermeiden können.«
Zikáll, der Mann der Wissenschaft, hatte nur noch rote
Punkte auf seinem Phosphorleibe.
Und als die beiden Erdfreunde, Knéppara und Loso,
fragten, ob Zikáll mitkäme - zum Zackenkrater- da zergingen
die roten Punkte auf Zikálls Haut.
Und Zikáll begleitete die beiden Erdfreunde.
Die drei Herren wünschten den Zurückbleibenden
freundlich: »Guten Abend!«
Und gleich nach der Erwiderung dieses Grußes war der
große Mafikâsu mit seinem Apostel Rasibéff allein.
»Glaubst Du«, fragte hastig der Apostel, »daß der Zikáll
den Erdfreunden treu bleiben wird?«
»Das glaube ich keineswegs!« versetzte der große
Mafikâsu gelassen.
Jetzt schwebten in nächster Nähe viele andere Mondleute
vorüber.
Und nach einigen Augenblicken gesellten sich drei von
diesen zu den beiden glühenden Weltfreunden.
Diese drei sagten ebenfalls freundlich: »Guten Abend!«
Und dabei setzten sie sich auf die Säulen, auf denen noch
vor kurzem die drei anderen saßen.
»Pflastermann!« rief Mafikâsu lächelnd, »wo willst Du
hin?«
Der Pflastermann erwiderte ebenfalls lächelnd:
»Die Herren Nadûke und Klámbatsch, die hier neben mir
sitzen, wollen ihrem Leben ein Ende machen, da sie müde geworden
sind. Wir wollen morgen in den Todesgrotten sein.«
Ich spreche«, sagte Mafikâsu rasch, »den beiden Herren
meinen herzlichsten Glückwunsch aus. Ich würde mich sehr
freuen, wenn ich die Herren begleiten dürfte.«
»Bist Du«, fragte der Pflastermann, »auch schon müde
geworden?«
»Das nicht«, versetzte Mafikâsu, »aber ich hoffe, in den
Todesgrotten neue Freunde zu finden.«
»Aha!« rief Nadûke, »er hat seine Idee vom großen Fernrohr
noch nicht aufgegeben.«
»Ich gab niemals«, erwiderteMafi, »das, was ich anfing,
auf. Wir haben übrigens ein neues Agitationsmittel gefunden.«
»Laß hören!« sagte Klámbatsch darauf.
Die Müden wurden aber nicht rot - auch der Pflastermann
wurde nicht rot.
Aber das wirkte nach dem Gesagten nicht abstoßend.
Mafikâsu glühte jetzt noch heftiger als bisher- so wie
glühendes Eisen.
Und er sprach leise und eindringlich:
»Ihr wißt, es gibt drüben auf der anderen Seite des
Mondes, die von der Erde und von uns niemals gesehen
wurde, keine Luft. Wir können da nicht fliegen. Wir können
schon hier nicht sehr hoch steigen - dort aber könnten wir
nicht einmal auf den Händen kriechen. Nun ist es aber ein par Freunden
der Weltsache gelungen, am Rande ein paar kurze Strecken
mit Luftschläuchen auf Schienen in dem unbekannten Lande
vorzudringen. Und da haben die Mutigen gefunden, daß dort
der Boden überall aus durchsichtigen Glassteinen besteht.
Und von diesen Glassteinen haben sie etliche mitgebracht.
Und Rasibéff trägt nun immer welche bei sich. Daß die ganze
andre Mondseite sich nur aus solchen durchsichtigen
Glassteinen zusammensetzt - daran glaube ich. Nun besteht
unsre Mondhälte fast nur aus großen und kleinen Grotten -
darum dürften in der anderen Mondhälfte auch Grotten sein.
Die müssen aber infolge der durchsichtigen Glasoberfläche
Licht von außen bekommen. Da müssen eben wundervolle
bunte Lichtgrotten sein - mit vollem Sonnenlicht. Ist das
nicht großartig? Schon allein dieser Lichtgrotten wegen
müssen wir den alten Mond im Mittelpunkte durchbohren.
Vom Mittelpunkte aus müssen wir ja ganz bequem in die
sonnigen Lichtgrotten hineinkommen; diese könnten auch in
der Nacht sehr seltsam wirken. Wenn das große Teleskop
nicht mehr ziehen will, so ziehen vielleicht die Glassteine.«
»Und hier sind die Glassteine!« rief der ebenfalls glühende
Rasibéff.
Während dieser aus seinem Rucksacke kleine bunte
leuchtende und funkelnde und glitzernde Steine hervorholte,
liefen die beiden Müden und der Pflastermann rosarot an.
Die Steine gingen von Hand zu Hand, und verschiedene
funkelten im Sternenlicht- wie Brillanten.
Und Rasibéff sagte erklärend:
»Es sind auch wirkliche Brillanten unter den Steinen -
daher das Funkeln - das bleibt auch im Dunkeln.«
Nachdem die drei die Steine vielfach untersucht und
bewundert hatten, verabschiedete sich der Rasibéff und flog
rasch davon; er hatte noch viel vor.
Indessen stiegen die vier andern, während sie lebhaft über
die Existenz und über die Bewohnbarkeit der Lichtgrotten
ihre Meinungen äußerten, langsam mit ihrem Ballonleibe,
der sich durch einen Atemzug wieder füllte, empor - und
schwebten über den Kraterrand.
Im Krater wars dunkel.
Und oben zogen die vier ihren Ballonleib wieder zusammen
- und stürzten sich kopfüber in die Tiefe.
Die Mondleute brauchten keine leuchtenden Wegweiser,
denn sie waren ja selber fliegende Lampions, die alles hell
machten.
Und mit ihren Fühlhörnern, die jetzt steif wie ein
Hörnerschmuck aus ihrem Rübenkopfe herausragten,
konnten sie noch besser als mit den Augen alles Hindernde
von ferne bemerken.
Und sie sausten - hinab.