85   Schneiderburg

Von A. v. Platen. – Schneiderburg oder Krempelstein auf österr. Boden, doch ganz nahe Passau am rechten Donauufer. Auch von I. N. Vogl besungen.

        Ein Schneider flink mit der Ziege sein
Behauste den Krempelstein,
Sah oft von der felsigen Schwelle
Hinab zu der Donauwelle,
In reißenden Strudel hinein.

So saß er oft, und so sang er dabei:
»Wie leb' ich sorgenfrei!
Meine Ziege, die nährt und letzt mich,
Manch Liedchen klingt und ergötzt mich,
Fährt unten ein Schiffer vorbei!«

Doch ach, die Ziege, sie starb, und ihr
Rief er nach: »Wehe mir!
So wirst du mich nicht mehr laben,
So muß ich dich hier begraben
Im Bette der Donau hier?«

Doch als er sie schleudere will hinein,
Verwickelt – o Todespein! –
Ihr Horn sich ihm in die Kleider;
Nun liegen Zieg' und Schneider
Tief unter dem Krempelstein.


Vorige Seite Titelseite Nächste Seite