315   Die Glocken zu Speyer

Von Max v. Oer. – Geissel, Kaiserdom, III., 235

            Zu Speyer im letzten Häuselein,
Da liegt ein Greis in Todespein,
Sein Kleid ist schlecht, sein Lager hart,
Viel Tränen rinnen in seinen Bart.

Es hilft ihm keiner in seiner Not,
Es hilft ihm nur der bittre Tod!
Und als der Tod ans Herze kam,
Da tönt's auf einmal wundersam.

Die Kaiserglocke, die lange verstummt,
Von selber dumpf und langsam summt,
Und all Glocken groß und klein
Mit vollem Klange fallen ein.

Da heißt's in Speyer und weit und breit:
»Der Kaiser ist gestorben heut'!
Der Kaiser starb! Der Kaiser starb!
Weiß keiner, wo der Kaiser starb?«

*
Zu Speyer, der alten Kaiserstadt,
Da liegt auf goldner Lagerstatt
Mit mattem Aug' und matter Hand
Der Kaiser Heinrich, der Fünfte genannt.

Die Diener laufen hin und her,
Der Kaiser röchelt tief und schwer;
Und als der Tod ans Herze kam
Da tönt's auf einmal wundersam.

Die kleine Glocke, die lange verstummt –
Die Armensünderglocke – summt;
Und keine Glocke stimmet ein,
Sie summet fort und fort allein.

Da heißt's in Speyer und weit und breit
»Wer wird denn wohl gerichtet heut'?
Wer mag der arme Sünder sein?
Sagt an, wo ist der Rabenstein?«


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