(Verwandelt sich in das Rath-Haus.)
Die Senatoren und Alcibiades.
1. Senator.
Milord, ihr habt meine Stimme dazu, das Verbrechen ist blutig,
er muß dafür sterben; nichts muntert die Sünden
mehr auf als Barmherzigkeit.
2. Senator.
Sehr richtig; das Gesez muß sie zerschmettern.
Alcibiades.
Heil, Ehre und Mitleiden dem Senat!
1. Senator.
Nun, Feldherr - -
Alcibiades.
Ich komme, Euern Herrlichkeiten eine demüthige Bitte vorzutragen.
Mitleiden ist der echte Geist der Geseze, und nur Tyrannen machen
einen grausamen Gebrauch davon. Zeit und Unglük verfolgen
einen von meinen Freunden, der in der Hize seines Blutes in das
Gesez gefallen ist, welches für diejenige, die unvorsichtiger
Weise hineinplätschern, eine bodenlose Tieffe zu seyn pflegt.
Er ist, dieses Vergehen bey Seite gesezt, ein Mann von Ehre und
Tugend, und dieses kauft seinen Fehler los. Auch ist seine That
mit keiner Niederträchtigkeit beflekt; sondern mit einer
edeln Wuth und einem ruhmwürdigen Stolz sezt' er sich seinem
Feind, der seiner Ehre eine tödtliche Wunde beygebracht hatte,
entgegen; nachdem er lange genug seinen Zorn zurük gehalten,
und sich mit einem so gemässigten Eifer vertheidigt hatte,
als ob er nur einen academischen Saz behauptete.
1. Senator.
Ihr übernehmt etwas allzu anstößiges, indem ihr
euch so viele Mühe gebt, einer häßlichen That
einen schönen Anstrich zu geben; ihr habt nicht anders gesprochen,
als ob ihr im Sinn hättet, den Menschen-Mord in Schwang zu
bringen, und Schlägereyen auf Rechnung der Dapferkeit zu
sezen, die doch bloß von einer unächten Dapferkeit
ihren Ursprung haben, und in die Welt kamen, eh noch bürgerliche
Geseze den neugebohrnen Factionen und Zerrüttungen Einhalt
gethan hatten. Der ist wahrhaftig dapfer, der das ärgste,
was ein Mensch athmen kan, weislich erträgt; und, anstatt
Beleidigungen bis zu seinem Herzen dringen, und es in gefährliches
Feuer sezen zu lassen, sie für Kletten ansieht, die nur an
seinen Kleidern hangen bleiben - -
Alcibiades.
Milord - -
1. Senator.
Ihr könnt schwarze Verbrechen nicht weiß waschen; Nicht
Rache, sondern Geduld ist Tapferkeit.
Alcibiades.
So vergebet mir dann, gnädige Herren, wenn ich wie ein Soldat
spreche. Warum sind denn die Leute so albern und wagen ihr Leben
in einem Treffen? Und warum erdulden sie nicht lieber alle Drohungen
des Feindes, schlaffen ruhig dabey ein, und lassen sich von den
Feinden, ohne Wiederstand, die Hälse abschneiden? Wenn im
Erdulden eine so grosse Tapferkeit ist, was machen wir im Felde?
So sind also unleugbar die Weiber, die zu Hause bleiben, tapfrer
als wir; so ist der Esel dapfrer als der Löwe; ja ein Kerl
der eine Last von Eisen auf dem Rüken trägt, ist weiser
dann ein Rathsherr, wenn im Tragen Weisheit ligt. O, Milords,
wie ihr groß seyd, so seyd auch gütig und mitleidig;
wer kan nicht bey kaltem Blut das Vergehen eines heissen Bluts
verdammen? Morden, ich gesteh es, ist das schwerste Verbrechen;
aber zu seiner Vertheidigung - - Bey allem was billig ist, dieses
macht es gerecht. Sich seinem Zorn überlassen, ist Sünde;
aber wo ist der Mann, der nicht zornig werden kan? Wägt das
Verbrechen nur nach diesem ab.
2. Senator.
Du verschwendest deinen Athem umsonst.
Alcibiades.
Umsonst? Die Dienste, die er zu Byzanz und Lacedämon geleistet,
sollten allein vermögend seyn, seine Begnadigung zu erbitten.
1. Senator.
Was ist das?
Alcibiades.
Ich sage, Milords, er hat gute Dienste gethan, und in der Schlacht
manchen von euern Feinden erschlagen. Wie dapfer hielt er sich
nur in dem lezten Treffen, und was für ergiebige Wunden macht'
er nicht!
2. Senator.
Er ist ein vollkommen lüderlicher Mensch; er hat noch eine
andre böse Gewohnheit, die seine Dapferkeit oft in Wein ertränkt;
wenn gleich keine Feinde wären, so wäre das allein genug,
ihn zu übermannen. Man weiß, daß er in dergleichen
viehischer Raserey die grösten Ausschweiffungen begangen,
und Tumult angefangen hat. Es ist uns geklagt worden, seine Tage
seyen unnüze, und seine im Trunk verbrausende Nächte
gefährlich.
1. Senator.
Er muß sterben.
Alcibiades.
Hartes Schiksal! Er hätt' im Kriege sterben können.
Milords, wenn euch seine eigne Verdienste nicht bewegen können,
(obgleich sein rechter Arm seine Sache gut machen sollte, ohne
jemand anderm etwas schuldig zu werden) so nehmt meine Verdienste
zu den seinigen; und da ich weiß, daß euer ehrwürdiges
Alter Sicherheit liebt, will ich euch meine Siege, meine Ehrenzeichen
zum Pfand seiner Besserung geben. Wenn er dieses Verbrechens halben
sein Leben dem Gesez schuldig ist, so laßt ihn's im Krieg
auf eine dapfre Art in Wunden ausströmen; wenn das Gesez
scharf ist, so ist es der Krieg nicht weniger.
1. Senator.
Wir sind um des Gesezes willen da, er stirbt, treib es nicht weiter,
bey den strengsten Folgen unsers Mißvergnügens; Freund
oder Bruder, wer eines andern Blut vergießt, macht sich
seines eignen verlustig.
Alcibiades.
Muß es denn seyn? Es muß nicht seyn; Milords, ich
bitte euch, mißkennt mich nicht.
2. Senator.
Wie?
Alcibiades.
Erinnert euch meiner!
3. Senator.
Was? - -
Alcibiades.
Ich kan nicht anders als denken, euer Alter muß mich vergessen
haben; es wäre sonst unmöglich, daß ich so verächtlich
in euern Augen seyn sollte, um eine so gemeine Gnade zu bitten,
und abgewiesen zu werden. Meine Wunden schmerzen mich um euertwillen.
1. Senator.
Trozt ihr unserm Zorn - - - er braucht wenig Worte, aber die Würkung
reicht weit - - Wir verbannen dich auf ewig.
Alcibiades.
Mich verbannen? Verbannt euern Aberwiz, verbannt den Wucher, die
den Senat verachtenswürdig machen!
1. Senator.
Wenn nach zween Tagen Athen dich noch enthält, so erwart'
unser strengeres Urtheil. Und damit dein unmächtiger Stolz
noch mehr aufschwelle, soll er diesen Augenblik hingerichtet werden.
(Sie gehen ab.)
Alcibiades.
Die Götter lassen euch alt genug werden, daß ihr nur
noch in Knochen lebet, und euer Anblik alle Welt verscheuche!
Ich bin mehr als unsinnig; ich habe ihre Feinde von ihnen entfernt
gehalten, indessen daß sie ihr Geld gezählt, und auf
Wucher ausgeliehen haben; Wunden sind mein ganzer Gewinn dabey
- Und alles das für diß? Ist das der Balsam, den der
filzichte Senat in eines Feldherrn Wunden gießt? Ha! Verbannung!
Doch es kommt nicht ungelegen; ich bin es zufrieden, verbannt
zu seyn; es ist mir eine gerechte Ursache, Athen meine Wuth empfinden
zu lassen. Ich will meine mißvergnügten Truppen aufmuntern,
und alles aufs Spiel sezen. Es ist Ehre einzulegen, wenn man es
mit einer überlegnen Anzahl aufnimmt. Soldaten schluken so
wenig eine Beleidigung ein, als die Götter.
(Er geht ab.)